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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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Studien zur Re<strong>ch</strong>tsphilosophie<br />

und Re<strong>ch</strong>tstheorie<br />

24<br />

Axel Ts<strong>ch</strong>ents<strong>ch</strong>er<br />

<strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

Rationales Ents<strong>ch</strong>eiden, Diskursethik und prozedurales Re<strong>ch</strong>t


Studien zur Re<strong>ch</strong>tsphilosophie<br />

und Re<strong>ch</strong>tstheorie<br />

herausgegeben von<br />

Prof. Dr. Robert Alexy und<br />

Prof. Dr. Ralf Dreier<br />

Band 24<br />

2


Axel Ts<strong>ch</strong>ents<strong>ch</strong>er<br />

<strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

Rationales Ents<strong>ch</strong>eiden, Diskursethik und<br />

prozedurales Re<strong>ch</strong>t<br />

3


Axel Ts<strong>ch</strong>ents<strong>ch</strong>er<br />

<strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

Rationales Ents<strong>ch</strong>eiden, Diskursethik und<br />

prozedurales Re<strong>ch</strong>t<br />

3


Meinen Eltern<br />

5


Vorwort<br />

Diese Arbeit wurde im Wintersemester 1998/99 von <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tswissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />

Fakultät <strong>der</strong> Christian-Albre<strong>ch</strong>ts-Universität zu Kiel als Dissertation angenommen.<br />

I<strong>ch</strong> habe sie im Juni 1998 abges<strong>ch</strong>lossen; später ers<strong>ch</strong>ienene Literatur konnte nur im<br />

Einzelfall berücksi<strong>ch</strong>tigt werden. Na<strong>ch</strong>dem die Erstauflage vergriffen war, habe i<strong>ch</strong><br />

diesen Na<strong>ch</strong>druck genutzt, um Druck- und Formatierungsfehler zu beseitigen. Inhaltli<strong>ch</strong><br />

ist die Arbeit ni<strong>ch</strong>t verän<strong>der</strong>t worden. Au<strong>ch</strong> die Seitengrenzen wurden abgesehen<br />

von einzelnen Wortvers<strong>ch</strong>iebungen beibehalten.<br />

Mein Dank gilt zunä<strong>ch</strong>st Herrn Prof. Dr. Robert Alexy, <strong>der</strong> diese Arbeit betreut<br />

hat. Sein wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>es Werk war mir Anregung und Ausgangspunkt für das<br />

Dissertationsprojekt. Beson<strong>der</strong>er Dank gebührt sodann Herrn Prof. Dr. Horst Dreier,<br />

als dessen Mitarbeiter i<strong>ch</strong> zunä<strong>ch</strong>st in Hamburg und später in Würzburg arbeiten<br />

durfte. Sein Enthusiasmus in Fors<strong>ch</strong>ung und Lehre dient mir bis heute als Vorbild.<br />

Ohne seine Rücksi<strong>ch</strong>tnahme auf die Belastung, die eine Dissertation in <strong>der</strong> Endphase<br />

mit si<strong>ch</strong> bringt, wäre es mir ni<strong>ch</strong>t gelungen, die Arbeit pünktli<strong>ch</strong> abzus<strong>ch</strong>ließen.<br />

Die anglo-amerikanis<strong>ch</strong>e Literatur hätte ohne ein Studienjahr an <strong>der</strong> Cornell University<br />

(New York) ni<strong>ch</strong>t angemessen berücksi<strong>ch</strong>tigt werden können. Für die Betreuung<br />

während dieser Zeit danke i<strong>ch</strong> beson<strong>der</strong>s Herrn Prof. Dr. Robert Summers. An<br />

<strong>der</strong> philosophis<strong>ch</strong>en Fakultät <strong>der</strong> Cornell University konnte i<strong>ch</strong> von Prof. David Lyons<br />

profitieren; au<strong>ch</strong> ihm sei hier gedankt.<br />

Herr Prof. Dr. Jörn Eckert hat si<strong>ch</strong> freundli<strong>ch</strong>erweise <strong>der</strong> Mühe des Zweitguta<strong>ch</strong>tens<br />

unterzogen. Herrn Prof. Dr. Ralf Dreier danke i<strong>ch</strong> für die Zustimmung zur Aufnahme<br />

in die S<strong>ch</strong>riftenreihe. Finanzielle und ideelle För<strong>der</strong>ung habe i<strong>ch</strong> als Stipendiat<br />

<strong>der</strong> Studienstiftung des Deuts<strong>ch</strong>en Volkes und <strong>der</strong> Rotary Foundation sowie<br />

dur<strong>ch</strong> eine Druckkostenbeihilfe <strong>der</strong> Deuts<strong>ch</strong>en Fors<strong>ch</strong>ungsgemeins<strong>ch</strong>aft erhalten.<br />

S<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> gilt mein beson<strong>der</strong>er Dank Frau Miriam Min<strong>der</strong>, die die Arbeit für den<br />

Na<strong>ch</strong>druck korrekturgelesen hat.<br />

Einen erhebli<strong>ch</strong>en Anteil an <strong>der</strong> Verwirkli<strong>ch</strong>ung des Vorhabens hatte Frau Prof.<br />

Dr. Susan Emmenegger, LL.M. Sie hat jede Phase <strong>der</strong> langjährigen Re<strong>ch</strong>er<strong>ch</strong>en und<br />

Entwürfe miterlebt und war für die s<strong>ch</strong>wierigsten Fragen meine geduldige Diskussionspartnerin.<br />

Aussagen zur <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> zwis<strong>ch</strong>en Nationen, Generationen, Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tern<br />

und Naturentitäten gehen maßgebli<strong>ch</strong> auf ihre Anregungen zurück – für<br />

Fehler bin i<strong>ch</strong> allein verantwortli<strong>ch</strong>.<br />

Gewidmet ist dieses Bu<strong>ch</strong> meinen lieben Eltern, Helga und Wolfgang Ts<strong>ch</strong>ents<strong>ch</strong>er,<br />

ohne die ni<strong>ch</strong>ts ges<strong>ch</strong>rieben worden wäre.<br />

Bern, im August 2009<br />

Axel Ts<strong>ch</strong>ents<strong>ch</strong>er<br />

7


Inhaltsübersi<strong>ch</strong>t<br />

Einleitung: Aufgabenstellung und Gang <strong>der</strong> Untersu<strong>ch</strong>ung......................................... 21<br />

Erster Teil: <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, Moral und Re<strong>ch</strong>t ..................................................................... 27<br />

Zweiter Teil: Begriff und Klassifizierung prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien ........ 45<br />

A. <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ......................................................................................................... 45<br />

B. <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien ......................................................................................... 76<br />

C. <strong>Prozedurale</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>................................................................................. 118<br />

D. <strong>Prozedurale</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien ................................................................ 132<br />

Dritter Teil: Einige <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>.............................................................. 143<br />

A. <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>en Grundposition ............................................ 143<br />

B. <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition................................................... 152<br />

C. <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en Grundposition ............................................... 167<br />

D. <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en Grundposition ......................................................... 198<br />

Vierter Teil: Analyse und Kritik von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien ...................................... 261<br />

A. <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>en Grundposition ............................................ 261<br />

B. <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition................................................... 267<br />

C. <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en Grundposition ............................................... 270<br />

D. <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en Grundposition ......................................................... 284<br />

Fünfter Teil: Grundzüge einer Diskurstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>............................... 309<br />

A. Vorüberlegungen ................................................................................................ 309<br />

B. Zur unmittelbaren Begründung von Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>ten und<br />

Demokratie .......................................................................................................... 317<br />

C. Zur Institutionalisierung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>.................................................... 333<br />

D. Zur mittelbaren Begründung gere<strong>ch</strong>ten Re<strong>ch</strong>ts............................................. 334<br />

E. Zur Erweiterbarkeitsthese in <strong>der</strong> Diskurstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>........... 358<br />

S<strong>ch</strong>luß: Die Untersu<strong>ch</strong>ungsergebnisse im Überblick .................................................... 363<br />

Anhang: Definitionen, Theoreme und Prinzipien ......................................................... 369<br />

Literaturverzei<strong>ch</strong>nis ........................................................................................................... 375<br />

Sa<strong>ch</strong>register.......................................................................................................................... 407<br />

Personenregister ................................................................................................................. 413<br />

9


Inhaltsverzei<strong>ch</strong>nis<br />

Einleitung: Aufgabenstellung und Gang <strong>der</strong> Untersu<strong>ch</strong>ung .................................. 21!<br />

Erster Teil: <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, Moral und Re<strong>ch</strong>t............................................................ 27!<br />

A.! <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> und praktis<strong>ch</strong>e Vernunft............................................................. 27!<br />

B. Gibt es einen analytis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgehalt des Re<strong>ch</strong>ts? ........................ 29<br />

C. Der normative <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgehalt des Re<strong>ch</strong>ts .............................................. 32<br />

I.! Re<strong>ch</strong>tfertigung <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsordnung (Legitimationsbedarf)................... 33!<br />

II. Interpretierende Re<strong>ch</strong>tsanwendung (Orientierungsbedarf) ................. 34<br />

III. Konkretisierende Re<strong>ch</strong>tsanwendung (Umsetzungsbedarf).................. 35<br />

IV. Zum notwendigen Anspru<strong>ch</strong> des Re<strong>ch</strong>ts auf Ri<strong>ch</strong>tigkeit ..................... 37<br />

D.! Die spezifis<strong>ch</strong> juristis<strong>ch</strong>e Perspektive <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ................................ 38!<br />

I.! <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tstheorie............................................................ 38!<br />

II. <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsdogmatik....................................................... 40<br />

III. <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien aus juristis<strong>ch</strong>er Perspektive .............................. 41<br />

E.! Ergebnisse .............................................................................................................. 43!<br />

Zweiter Teil: Begriff und Klassifizierung prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien ...... 45!<br />

A.! <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ......................................................................................................... 45!<br />

I.! Zur Definition <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ................................................................ 45!<br />

1.! Die suum cuique-Formel...................................................................... 45!<br />

2.! Die Erfor<strong>der</strong>li<strong>ch</strong>keit einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sdefinition......................... 47!<br />

3.! Die Gegenstände des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprädikats<br />

(Transponierbarkeitsthese) .................................................................. 48!<br />

4.! Eine handlungsbezogene Definition <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (D 1 ) .......... 50!<br />

II.! Fünf begriffli<strong>ch</strong> notwendige Bezüge des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprädikats ...... 50!<br />

1.! Der Handlungsbezug ........................................................................... 51!<br />

2.! Der Ri<strong>ch</strong>tigkeitsbezug .......................................................................... 51!<br />

3.! Der Sollensbezug (D 1D D 1A ).................................................................. 52!<br />

4.! Der Sozialbezug..................................................................................... 55!<br />

5.! Der Glei<strong>ch</strong>heitsbezug ........................................................................... 56!<br />

a)! Zum aristotelis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff.................................. 56!<br />

b)! Zur Verteilungsgere<strong>ch</strong>tigkeit........................................................ 58!<br />

c)! Zum normalspra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff ........................ 59!<br />

d)! Zur Kritik am Glei<strong>ch</strong>heitsbezug ................................................... 60!<br />

e)! Ergebnisse ........................................................................................ 62!<br />

11


III.! Zu einigen an<strong>der</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffen........................................... 62!<br />

1.! Der formale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff...................................................... 62!<br />

2.! Die engeren <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffe.................................................... 63!<br />

3.! Der idealistis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff.............................................. 66!<br />

4.! Die holistis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffe ............................................. 68!<br />

5.! Ungere<strong>ch</strong>tigkeit als Grundbegriff?..................................................... 69!<br />

IV.! Die Normen <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> .................................................................. 71!<br />

1.! Der Begriff <strong>der</strong> Norm (D N )................................................................... 71!<br />

2.! Der Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm (D NG ) ........................................ 72!<br />

3.! Formale, prozedurale und materiale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen ......... 74!<br />

4.! Begründung und Erzeugung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen .............. 74!<br />

5.! Eine normbezogene Definition <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (D 1N ).................. 75!<br />

V.! Ergebnisse..................................................................................................... 76!<br />

B.! <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien ......................................................................................... 76!<br />

I.! Eine Definition <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie (D 2 D 2N ).................................. 76!<br />

1.! Ein s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>er Begriff des Begründens.............................................. 77!<br />

2.! Die politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (S<strong>ch</strong>werpunktthese, D 1P ) .................... 78!<br />

3.! Die Umstände <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (D. Hume) ..................................... 79!<br />

II.! Zur Klassifizierung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien..................................... 80!<br />

1.! Vier Grundpositionen <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie (R. Alexy) ....... 81!<br />

a)! Die nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>e Grundposition ........................................... 82!<br />

b)! Die aristotelis<strong>ch</strong>e Grundposition.................................................. 83!<br />

c)! Die hobbesianis<strong>ch</strong>e Grundposition.............................................. 83!<br />

d)! Die kantis<strong>ch</strong>e Grundposition ........................................................ 83!<br />

e)! Ein abs<strong>ch</strong>ließendes S<strong>ch</strong>ema <strong>der</strong> Grundpositionen .................... 84!<br />

2.! Zu einigen ergänzenden Differenzierungen..................................... 87!<br />

a)! Empiris<strong>ch</strong>e, analytis<strong>ch</strong>e und normative <strong>Theorien</strong> ..................... 87!<br />

b)! Begründungs- und Erzeugungstheorien..................................... 88!<br />

c)! Naturre<strong>ch</strong>ts- und Vernunftre<strong>ch</strong>tstheorien .................................. 89!<br />

d)! <strong>Theorien</strong> na<strong>ch</strong> Vernunftgebrau<strong>ch</strong>? (J. Habermas) ....................... 92!<br />

aa)! Pragmatis<strong>ch</strong>er Vernunftgebrau<strong>ch</strong>....................................... 92!<br />

bb)! Ethis<strong>ch</strong>er Vernunftgebrau<strong>ch</strong>................................................ 94!<br />

cc)! Moralis<strong>ch</strong>er Vernunftgebrau<strong>ch</strong> ........................................... 95!<br />

dd)! Ergebnisse............................................................................... 96!<br />

e)! Vertrags-, Beoba<strong>ch</strong>ter-, Diskurstheorien ..................................... 97!<br />

aa)! Darstellungsmittel und Rationalitätskonzept<br />

(Divergenzthese).................................................................... 97!<br />

bb)! Der Vertrag............................................................................. 98!<br />

cc)! Der Beoba<strong>ch</strong>ter..................................................................... 100!<br />

dd)! Der Diskurs .......................................................................... 101!<br />

ee)! Zur Ungeeignetheit <strong>der</strong> Sozialvertragstheorien als<br />

<strong>Theorien</strong>klasse (Indifferenzeinwand) .............................. 102!<br />

12


3.! Zu an<strong>der</strong>en Klassifizierungen ........................................................... 103!<br />

a)! Reine Typen legitimer Herrs<strong>ch</strong>aft (M. Weber) .......................... 103!<br />

b)! Das Verhältnis zwis<strong>ch</strong>en dem Re<strong>ch</strong>ten und dem Guten<br />

(T. Nagel)......................................................................................... 105!<br />

c)! Effizienz, Re<strong>ch</strong>tfertigung, Wertorientierung (A. Hamlin/P.<br />

Pettit)............................................................................................... 106!<br />

d)! Deontologis<strong>ch</strong>e und teleologis<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> (M. Sandel/S.<br />

Kagan) ............................................................................................. 106!<br />

e)! Ergebnisse ...................................................................................... 107!<br />

III.! Zum Gegenstand <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien....................................... 107!<br />

1.! Die Verglei<strong>ch</strong>barkeit von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien .......................... 108!<br />

a)! Zur politis<strong>ch</strong>en Inkommensurabilität (J.P. Sterba) ................... 108!<br />

b)! Zur konzeptuellen Inkommensurabilität.................................. 110!<br />

aa)! Mikro-, Meso- und Makrotheorien ................................... 110!<br />

bb)! Die Skalierbarkeitsthese als Ausweg (B. Barry) .............. 111!<br />

c)! Ergebnisse ...................................................................................... 113!<br />

2.! Die Vollständigkeit von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien ............................ 113!<br />

a)! Die Ergänzbarkeitsthese .............................................................. 113!<br />

b)! Die Erweiterbarkeitsthese............................................................ 114!<br />

c)! Die Mindestgehaltsthese.............................................................. 117!<br />

IV.! Ergebnisse................................................................................................... 118!<br />

C.! <strong>Prozedurale</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>................................................................................. 118!<br />

I.! Eine Definition <strong>der</strong> prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (D M D 3 )...................... 119!<br />

II. Der Begriff <strong>der</strong> Fairneß (D 3 ' D F )............................................................... 121<br />

III. Vier Formen prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (Enumerationsthese)......... 124<br />

1.! Formen <strong>der</strong> dienenden Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit ........................... 125!<br />

a)! Vollkommene prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (D 3a )........................ 125!<br />

b)! Unvollkommene prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (D 3b )................... 126!<br />

2.! Formen <strong>der</strong> definitoris<strong>ch</strong>en Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit.................... 127!<br />

a)! Reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (D 3c )....................................... 127!<br />

b)! Quasi-reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (D 3d )............................ 128!<br />

IV.! Die Funktionen prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (Multifunktionsthese).. 129!<br />

1.! Dienende Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit................................................... 129!<br />

2.! Definitoris<strong>ch</strong>e Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit ........................................... 130!<br />

V.! Ergebnisse................................................................................................... 131!<br />

D.! <strong>Prozedurale</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien ................................................................ 132!<br />

I.! Eine Definition <strong>der</strong> prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie (D 4 ) .............. 132!<br />

II.! Zu prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungstheorien (D 4E ) ................ 133!<br />

13


III.! Zur Klassifizierung prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien .................. 134!<br />

1.! Die Klassifizierung bei A. Kaufmann ................................................ 134!<br />

2.! Die Klassifizierung bei R. Dreier ....................................................... 136!<br />

3.! Die Klassifizierung in Anlehnung an R. Alexy ............................... 137!<br />

4.! Eine erweiterte Klassifizierung ......................................................... 137!<br />

IV.! Die Grenzziehung zwis<strong>ch</strong>en materialen und prozeduralen<br />

<strong>Theorien</strong> ...................................................................................................... 139!<br />

1.! Die Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Begründung und Ergebnis .......... 139!<br />

2.! Die Unters<strong>ch</strong>eidung na<strong>ch</strong> dem S<strong>ch</strong>werpunkt <strong>der</strong> Begründung... 140!<br />

V.! Das Vertragsmodell und das Geri<strong>ch</strong>tsmodell (R. Dreier) .................... 141!<br />

VI.! Ergebnisse................................................................................................... 142!<br />

Dritter Teil: Einige <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ..................................................... 143!<br />

A.! <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>en Grundposition (<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskepsis) .. 143!<br />

I.! Charakteristika ............................................................................................ 143!<br />

II. Theorie des re<strong>ch</strong>tsethis<strong>ch</strong>en Relativismus (H. Kelsen).......................... 145<br />

III. Theorie <strong>der</strong> spontanen sozialen Ordnung (F.A. Hayek) ....................... 146<br />

IV. Theorie <strong>der</strong> sozialen Systeme (N. Luhmann).......................................... 148<br />

V. Theorie <strong>der</strong> Postmo<strong>der</strong>ne (K.-H. Ladeur)................................................ 150<br />

VI. Ergebnisse................................................................................................... 152<br />

B.! <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition (Konzeption des Guten) ....... 152!<br />

I.! Charakteristika ............................................................................................ 152!<br />

II. <strong>Theorien</strong> des (ontologis<strong>ch</strong>en) Naturre<strong>ch</strong>ts ............................................ 154<br />

III. <strong>Theorien</strong> des Utilitarismus....................................................................... 154<br />

IV. <strong>Theorien</strong> des Kommunitarismus............................................................. 157<br />

1.! Epistemologis<strong>ch</strong>er Kommunitarismus (M.J. Sandel)...................... 159!<br />

2.! Neoaristotelis<strong>ch</strong>er Kommunitarismus (A. MacIntyre) ................... 161!<br />

3.! Multikultureller Kommunitarismus (C. Taylor) ............................. 163!<br />

4.! Lokaler Kommunitarismus (M. Walzer)........................................... 164!<br />

V.! Ergebnisse................................................................................................... 167!<br />

C.! <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en Grundposition<br />

(Ents<strong>ch</strong>eidungsrationalität) ............................................................................... 167!<br />

I.! Charakteristika (T RC D 1RC D 4RC ) ................................................................. 167!<br />

II.! <strong>Theorien</strong> zur Optimierung relativer Nutzenfaktoren.......................... 171!<br />

1.! Theorie <strong>der</strong> unglei<strong>ch</strong>en Verhandlungsma<strong>ch</strong>t (J.F. Nash)............... 173!<br />

2.! Theorie <strong>der</strong> Verhandlungsführung (J.C. Harsanyi) ........................ 174!<br />

3.! Theorie <strong>der</strong> relevanten Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>tszustände (R. Selten)......... 175!<br />

4.! Ergebnisse ............................................................................................ 175!<br />

14


III.! <strong>Theorien</strong> zum Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt (nonagreement basepoint) ........... 176!<br />

1.! Theorie des hypothetis<strong>ch</strong>en Drohspiels (R.B. Braithwaite)............ 176!<br />

2.! Theorie <strong>der</strong> öffentli<strong>ch</strong>en Wahl (J.M. Bu<strong>ch</strong>anan) .............................. 177!<br />

a)! Das Ideal einer geordneten Anar<strong>ch</strong>ie ........................................ 177!<br />

b)! Das Drohspiel als Sozialvertrag.................................................. 178!<br />

3.! Theorie <strong>der</strong> realistis<strong>ch</strong>en Verhaltenshypothesen (J.R. Lucas) ....... 179!<br />

4.! Ergebnisse ............................................................................................ 180!<br />

IV.! <strong>Theorien</strong> des neohobbesianis<strong>ch</strong>en Sozialvertrags ................................ 180!<br />

1.! Theorie <strong>der</strong> Maximin-Wahl? (J. Rawls) ............................................ 180!<br />

2.! Theorie des libertären Minimalstaats (R. Nozick) ........................... 183!<br />

a)! Anerkennung persönli<strong>ch</strong>er Integrität<br />

(S<strong>ch</strong>utzvereinigungen)................................................................. 184!<br />

b)! Anerkennung <strong>der</strong> Güterzuordnung (Anspru<strong>ch</strong>stheorie) ....... 184!<br />

c)! Moralis<strong>ch</strong>er Gehalt <strong>der</strong> Theorie.................................................. 185!<br />

3.! Theorie <strong>der</strong> Moral dur<strong>ch</strong> Vereinbarung (D.P. Gauthier)................ 186!<br />

a)! Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt und Lockes<strong>ch</strong>e Provisio ........................ 187!<br />

b)! <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als minimax relative Konzession (D 1G ) ............. 189!<br />

c)! Moralis<strong>ch</strong>er Gehalt <strong>der</strong> Theorie.................................................. 191!<br />

4.! Theorie des transzendentalen Taus<strong>ch</strong>es (O. Höffe)......................... 193!<br />

a)! Natürli<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ............................................................. 193!<br />

b)! Institutionalisierte <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>................................................ 195!<br />

c)! Subsidiäre Legitimität des Staates.............................................. 195!<br />

d)! Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>t aus Eigennutz .................................................... 196!<br />

V.! Ergebnisse................................................................................................... 197!<br />

D.! <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en Grundposition (Universalität)............................... 198!<br />

I.! Charakteristika (T K D 1K D 4K ) ...................................................................... 198!<br />

II.! Sozialvertragstheorien .............................................................................. 199!<br />

1.! Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Fairneß (J. Rawls 1971).................... 199!<br />

a)! Der faire Urzustand (original position)........................................ 200!<br />

b)! Zwei Prinzipien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (N 1 N 2 ) ............................... 203!<br />

c)! Das Vierstufenmodell................................................................... 204!<br />

d)! Die Funktion prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>................................. 204!<br />

e)! Ergebnisse ...................................................................................... 205!<br />

2.! Theorie des politis<strong>ch</strong>en Liberalismus (J. Rawls 1993)..................... 205!<br />

a)! Die Bausteine <strong>der</strong> Theorie ........................................................... 206!<br />

b)! Die S<strong>ch</strong>lüsselstellung des übergreifenden Konsenses............. 207!<br />

c)! Die neuen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien (N 1 ' N 2 ')........................... 209!<br />

d)! Ergebnisse ...................................................................................... 210!<br />

3.! Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Unabweisbarkeit (T.M. Scanlon) ... 211!<br />

a)! Das Scanlon-Kriterium (T S ) ......................................................... 211!<br />

b)! Die Voraussetzung <strong>der</strong> Unerzwungenheit ............................... 211!<br />

15


III.! Beoba<strong>ch</strong>ter- und an<strong>der</strong>e Standpunkttheorien....................................... 211!<br />

1.! Theorie des unparteiis<strong>ch</strong>en Beoba<strong>ch</strong>ters (T. Nagel)........................ 212!<br />

a)! Der interne und <strong>der</strong> externe Standpunkt .................................. 212!<br />

b)! Das Nagel-Kriterium (T N )............................................................ 213!<br />

c)! Zur 'vernünftigen' Parteili<strong>ch</strong>keit ................................................ 214!<br />

2.! Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Unparteili<strong>ch</strong>keit (B. Barry) ............. 215!<br />

a)! Die Unparteili<strong>ch</strong>keit zweiter Ordnung...................................... 215!<br />

b)! Die Notwendigkeit von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sregeln.......................... 215!<br />

c)! Zur Anwendbarkeit des Scanlon-Kriteriums (T S ).................... 216!<br />

d)! <strong>Prozedurale</strong> und substantielle Verfassungsregeln .................. 216!<br />

IV.! Diskurstheorien ......................................................................................... 217!<br />

1.! Charakteristika .................................................................................... 217!<br />

a)! Die Diskursarten ........................................................................... 218!<br />

aa)! Die Definitionen des Diskurses (D Di D Dr )......................... 218!<br />

bb)! Der innere Diskurs .............................................................. 219!<br />

cc)! Der handlungsentlastete Diskurs...................................... 220!<br />

dd)! Der reale Diskurs als diskursive Kontrolle...................... 220!<br />

ee)! Der ideale Diskurs als regulative Idee (T Dr ) .................... 221!<br />

ff)! Ein Anwendungsdiskurs? (K. Günther)............................ 222!<br />

b)! Die Diskursregeln ......................................................................... 222!<br />

aa)! Regeln <strong>der</strong> Konsistenz und Kohärenz.............................. 223!<br />

bb)! Regeln <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heit und Freiheit................................... 224!<br />

cc)! Regeln <strong>der</strong> Argumentationslast ........................................ 224!<br />

c)! Die Begründung <strong>der</strong> Diskursregeln........................................... 225!<br />

aa)! Das transzendentale Argument ........................................ 225!<br />

bb)! Die Begründungspfli<strong>ch</strong>t ..................................................... 227!<br />

cc)! Der Einwand <strong>der</strong> Zirkularität............................................ 228!<br />

dd)! Die Letztbegründung als Variante.................................... 229!<br />

ee)! Ergebnisse............................................................................. 230!<br />

d)! Der Konsens und das Diskursprinzip (T Ko D) .......................... 230!<br />

e)! Die Argumentation als Gegensatz zur Verhandlung<br />

(arguing vs. bargaining) .............................................................. 232!<br />

f)! Ergebnisse ...................................................................................... 233!<br />

2.! Theorie <strong>der</strong> Transzendentalpragmatik (K.-O. Apel)....................... 233!<br />

a)! Die transzendentalpragmatis<strong>ch</strong>e Letztbegründung................ 233!<br />

b)! Das Handlungsprinzip (U h ) ........................................................ 235!<br />

c)! Das Ergänzungsprinzip (E) ......................................................... 236!<br />

d)! Die Legitimation <strong>der</strong> re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Zwangsbefugnisse.............. 238!<br />

3.! Theorie <strong>der</strong> diskursiven Rekonstruktion des Re<strong>ch</strong>ts<br />

(J. Habermas) ......................................................................................... 238!<br />

a)! Die universalpragmatis<strong>ch</strong>e Begründung (U)............................ 239!<br />

b)! Das Paradoxon <strong>der</strong> Legitimation dur<strong>ch</strong> Legalität (D H )........... 239!<br />

c)! Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien in Re<strong>ch</strong>tsform ............................ 241!<br />

16


d)! Die deliberative Politik ................................................................ 242!<br />

e)! Das prozedurale Re<strong>ch</strong>tsparadigma............................................ 245!<br />

f)! Ergebnisse ...................................................................................... 246!<br />

4.! Theorie des analytis<strong>ch</strong>en Liberalismus (R. Alexy).......................... 247!<br />

a)! Die Begründung <strong>der</strong> Diskursregeln........................................... 247!<br />

aa)! Teilnahme an <strong>der</strong> allgemeinsten Lebensform des<br />

Mens<strong>ch</strong>en (T L ) ...................................................................... 248!<br />

bb)! Nutzenmaximierung und Interesse an Ri<strong>ch</strong>tigkeit ........ 249!<br />

cc)! Ergebnisse (T R )..................................................................... 250!<br />

b)! Die Begründung <strong>der</strong> Freiheit ...................................................... 250!<br />

aa)! Das Autonomieprinzip (A) ................................................ 250!<br />

bb)! Die diskurstheoretis<strong>ch</strong>e Notwendigkeit <strong>der</strong><br />

Autonomie............................................................................ 252!<br />

cc)! Die diskurstheoretis<strong>ch</strong>e Notwendigkeit konkreter<br />

Freiheitsre<strong>ch</strong>te (R F ) .............................................................. 253!<br />

c)! Die Begründung <strong>der</strong> Demokratie............................................... 254!<br />

d)! Die Begründung <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heit.................................................. 254!<br />

e)! Die Begründung von Re<strong>ch</strong>tsnormen (S).................................... 255!<br />

f)! Ergebnisse ...................................................................................... 256!<br />

5.! Theorie des neutralen Dialogs (B. Ackerman).................................. 257!<br />

a)! Die Gesprä<strong>ch</strong>sbes<strong>ch</strong>ränkungen im neutralen Dialog.............. 257!<br />

b)! Die Idee <strong>der</strong> dualistis<strong>ch</strong>en Demokratie ..................................... 258!<br />

c)! Ergebnisse ...................................................................................... 260!<br />

Vierter Teil: Analyse und Kritik von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien ................................ 261!<br />

A.! <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>en Grundposition ............................................ 261!<br />

I.! Zur Analyse <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskepsis ('Mün<strong>ch</strong>hausen-Trilemma',<br />

H. Albert) ..................................................................................................... 261!<br />

II. Zur Kritik an <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskepsis ................................................ 265<br />

III. Ergebnisse................................................................................................... 267<br />

B.! <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition................................................... 267!<br />

I.! Die neoaristotelis<strong>ch</strong>en Konzeptionen des Guten ................................... 267!<br />

II. Zur Kritik des Kommunitarismus .......................................................... 268<br />

III. Zur Kritik des Utilitarismus..................................................................... 269<br />

IV. Ergebnisse................................................................................................... 269<br />

C.! <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en Grundposition ............................................... 270!<br />

I.! Zur Kritik spieltheoris<strong>ch</strong>er Grundlegung ............................................... 270!<br />

1.! Einige Anwendungsbedingungen <strong>der</strong> Spieltheorie....................... 270!<br />

a)! Die Skalierbarkeitsthese in <strong>der</strong> Spieltheorie ............................. 270!<br />

b)! Der spieltheoretis<strong>ch</strong>e Fairneßbegriff.......................................... 271!<br />

17


c)! Die rationale Kooperation ........................................................... 272!<br />

d)! Zwei Bedingungen rationalen Verhandelns............................. 273!<br />

2.! Die Mögli<strong>ch</strong>keiten <strong>der</strong> Spieltheorie als <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie ..... 273!<br />

3.! Die Grenzen <strong>der</strong> Spieltheorie als <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie ............... 274!<br />

a)! Die immanenten Grenzen <strong>der</strong> Spieltheorie............................... 274!<br />

b)! Das Gefangenendilemma ............................................................ 276!<br />

c)! Das Beitragsdilemma bei öffentli<strong>ch</strong>en Gütern (D. Parfit) ....... 276!<br />

d)! Das Wählerparadoxon (Condorcet, K.J. Arrow) ......................... 277!<br />

4.! Ergebnisse ............................................................................................ 279!<br />

II.! Zur Kritik am neohobbesianis<strong>ch</strong>en Nutzenkalkül................................ 279!<br />

III. Zur Kritik an D.P. Gauthiers Moral dur<strong>ch</strong> Vereinbarung .................... 281<br />

IV. Zur Kritik an O. Höffes transzendentalem Taus<strong>ch</strong>................................ 281<br />

V. Ergebnisse................................................................................................... 284<br />

D.! <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en Grundposition ......................................................... 284!<br />

I.! Zur Kritik <strong>der</strong> Sozialvertragstheorien...................................................... 284!<br />

1.! Zur Kritik an J. Rawls ents<strong>ch</strong>eidungstheoretis<strong>ch</strong>em Ansatz ......... 285!<br />

2.! Zur Kritik an J. Rawls <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Fairneß............................. 285!<br />

3.! Zur Kritik an J. Rawls politis<strong>ch</strong>em Liberalismus ............................ 286!<br />

4.! Zur Kritik an T.M. Scanlon, B. Barry und T. Nagel .......................... 288!<br />

II.! Zur Kritik <strong>der</strong> Standpunkttheorien......................................................... 288!<br />

III.! Zur Kritik <strong>der</strong> Diskurstheorien ............................................................... 290!<br />

1.! Zur Kritik des Ri<strong>ch</strong>tigkeitsanspru<strong>ch</strong>s .............................................. 291!<br />

2.! Zur Kritik an K.-O. Apels Transzendentalpragmatik ..................... 295!<br />

3.! Zur Kritik an J. Habermas Rekonstruktion des Re<strong>ch</strong>ts ................... 295!<br />

a)! Zur Übertragbarkeit des Diskursprinzips auf das Re<strong>ch</strong>t........ 295!<br />

b)! Zur Begründungslücke bei J. Habermas ..................................... 297!<br />

c)! Zur Illustration <strong>der</strong> Begründungslücke: Können China,<br />

Singapur und <strong>der</strong> Iran na<strong>ch</strong> Habermas Begründung gere<strong>ch</strong>t<br />

sein? ................................................................................................ 299!<br />

4.! Zur Kritik an R. Alexys analytis<strong>ch</strong>em Liberalismus ....................... 302!<br />

a)! Zur Notwendigkeit <strong>der</strong> geheu<strong>ch</strong>elten genuinen<br />

Diskursteilnahme.......................................................................... 302!<br />

b)! Zur Konkretisierung <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te................................ 306!<br />

IV.! Ergebnisse................................................................................................... 307!<br />

Fünfter Teil: Grundzüge einer Diskurstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> .......................... 309!<br />

A.! Vorüberlegungen ................................................................................................ 309!<br />

I.! Die fünf Fragen politis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (Mindestgehaltsthese) ....... 309!<br />

II.! Zur Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen........................................ 310!<br />

18


1.! Die diskurstheoretis<strong>ch</strong>e Notwendigkeit von Normen .................. 311!<br />

2.! Die diskursive Notwendigkeit von Normen .................................. 312!<br />

3.! Die diskursive Mögli<strong>ch</strong>keit von Normen........................................ 312!<br />

4.! Die ents<strong>ch</strong>eidungstheoretis<strong>ch</strong> ergänzte Normbegründung ......... 313!<br />

III.! Zu kombinativen Begründungsstrategien............................................. 314!<br />

1.! Die Begründungsstrategie bei J. Habermas ...................................... 314!<br />

2.! Die Begründungsstrategie bei R. Alexy............................................ 314!<br />

3.! Die hier verfolgte Begründungsstrategie ........................................ 315!<br />

IV.! Ergebnisse................................................................................................... 317!<br />

B.! Zur unmittelbaren Begründung von Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>ten und<br />

Demokratie .......................................................................................................... 317!<br />

I.! Der universelle Geltungsberei<strong>ch</strong>............................................................... 318!<br />

II.! Die diskurstheoretis<strong>ch</strong> notwendigen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen ............. 321!<br />

1.! Eine Modifikation <strong>der</strong> Argumentationsfolge Alexys ..................... 321!<br />

2.! Die notwendig vorausgesetzten Prinzipien (N S N M N E N G ) ......... 322!<br />

3.! Die inhaltli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>e <strong>der</strong> Prinzipien......................................... 325!<br />

4.! Zu mögli<strong>ch</strong>en Wi<strong>der</strong>legungen <strong>der</strong> Prinzipien................................ 325!<br />

5.! Ergebnisse ............................................................................................ 326!<br />

III.! Die diskursiv notwendigen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen ............................. 326!<br />

1.! Zur Begründung <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heit........................................................ 326!<br />

2.! Zur Begründung <strong>der</strong> Freiheit ............................................................ 327!<br />

a)! Ein Grundre<strong>ch</strong>t auf optimierte Freiheiten (N F ) ........................ 327!<br />

b)! Die diskursiv notwendigen Einzelfreiheiten ............................ 328!<br />

c)! Zu den Grenzen einer Eigentumsbegründung ........................ 329!<br />

3.! Zur Begründung <strong>der</strong> Güterordnung................................................ 330!<br />

4.! Zur Begründung <strong>der</strong> Demokratie (N D )............................................ 330!<br />

5.! Zu mögli<strong>ch</strong>en Wi<strong>der</strong>legungen <strong>der</strong> Grundre<strong>ch</strong>te............................ 332!<br />

IV.! Ergebnisse................................................................................................... 332!<br />

C.! Zur Institutionalisierung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (Trittbrettfahrerproblem) ...... 333!<br />

D.! Zur mittelbaren Begründung gere<strong>ch</strong>ten Re<strong>ch</strong>ts............................................. 334!<br />

I.! Der verfassungsrelative Geltungsberei<strong>ch</strong>................................................ 334!<br />

1.! Die Merkmale des demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaates ............... 335!<br />

2.! Das relative Primat des <strong>Prozedurale</strong>n ............................................. 335!<br />

3.! Zu einigen realen Verfahren: Diskurs, Abstimmung,<br />

Verhandlung, Ents<strong>ch</strong>eidung.............................................................. 337!<br />

4.! Zu den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfunktionen realer Verfahren....................... 338!<br />

II.! Zur Diskursivität des Re<strong>ch</strong>ts.................................................................... 339!<br />

1.! Die Son<strong>der</strong>fallthese (R. Alexy) ........................................................... 339!<br />

2.! Die Verfassungsnormsetzung als realer Diskurs ........................... 340!<br />

19


a)! Die materielle Verfassungsordnung .......................................... 340!<br />

b)! Die Verfassunggebung als realer Diskurs................................. 341!<br />

c)! Die Verfassungsän<strong>der</strong>ung als realer Diskurs ........................... 342!<br />

d)! Zur <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> von Ewigkeitsklauseln................................. 343!<br />

e)! Ergebnisse ...................................................................................... 344!<br />

3.! Die parlamentaris<strong>ch</strong>e Gesetzgebung als realer Diskurs................ 345!<br />

4.! Die Verwaltungs- und Geri<strong>ch</strong>tsverfahren als reale Diskurse....... 346!<br />

5.! Ergebnisse ............................................................................................ 347!<br />

III.! Zur Diskursivität <strong>der</strong> Politik.................................................................... 347!<br />

1.! Zum Begriff <strong>der</strong> Politik ...................................................................... 347!<br />

a)! Der strategis<strong>ch</strong>e Charakter <strong>der</strong> Politik ...................................... 348!<br />

b)! Der ni<strong>ch</strong>tstrategis<strong>ch</strong>e Charakter <strong>der</strong> Politik.............................. 349!<br />

2.! Eine erweiterte Son<strong>der</strong>fallthese (S RP )................................................ 350!<br />

3.! Der Wahlkampf als realer Diskurs ................................................... 351!<br />

4.! Die deliberative Politik....................................................................... 353!<br />

a)! Die 'legislative Politik' (J. Habermas)........................................... 353!<br />

b)! Die 'Re<strong>ch</strong>tspolitik' als realer Diskurs ......................................... 354!<br />

c)! Zur Wohlfahrtsstaatli<strong>ch</strong>keit als <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgebot .............. 355!<br />

d)! Die 'deliberative Abstimmung' (J.S. Fishkin)............................. 355!<br />

5.! Ergebnisse ............................................................................................ 356!<br />

IV.! Zur Wirts<strong>ch</strong>aft............................................................................................ 357!<br />

1.! Die Wirts<strong>ch</strong>aft als Kontrapunkt zu Diskursen................................ 357!<br />

2.! Das Re<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Wirts<strong>ch</strong>aft ................................................................... 358!<br />

V.! Ergebnisse................................................................................................... 358!<br />

E.! Zur Erweiterbarkeitsthese in <strong>der</strong> Diskurstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>........... 358!<br />

I.! Zur <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> gegenüber <strong>der</strong> Natur.................................................. 359!<br />

II. Zur <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> gegenüber zukünftigen Generationen................... 360<br />

III. Zur <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in <strong>der</strong> Völkergemeins<strong>ch</strong>aft ...................................... 360<br />

IV. Zur <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> unter den Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tern .......................................... 361<br />

V. Ergebnisse................................................................................................... 362<br />

S<strong>ch</strong>luß: Die Untersu<strong>ch</strong>ungsergebnisse im Überblick............................................. 363!<br />

I.! <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, Moral und Re<strong>ch</strong>t................................................................ 363!<br />

II. Begriff und Klassifizierung prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien..... 363<br />

III. Einige <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>.......................................................... 364<br />

IV. Analyse und Kritik von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien................................... 365<br />

V. Grundzüge einer Diskurstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>............................. 366<br />

Anhang: Definitionen, Theoreme und Prinzipien.................................................. 369!<br />

Literaturverzei<strong>ch</strong>nis ........................................................................................................... 375!<br />

Sa<strong>ch</strong>register.......................................................................................................................... 407!<br />

Personenregister ................................................................................................................. 413!<br />

20


Einleitung:<br />

Aufgabenstellung und Gang <strong>der</strong> Untersu<strong>ch</strong>ung<br />

Juristinnen und Juristen vermögen eine vernünftige und gere<strong>ch</strong>te Ordnung <strong>der</strong> Gesells<strong>ch</strong>aft<br />

in dem von ihnen besetzten Teilgebiet ni<strong>ch</strong>t isoliert zu verwirkli<strong>ch</strong>en; sie<br />

können aber zur Realisierung von Vernunft und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> beitragen 1 . Do<strong>ch</strong> wie<br />

soll dieser Beitrag aussehen – wie kann Re<strong>ch</strong>t gere<strong>ch</strong>t sein? Dieser Frage ist die vorliegende<br />

Untersu<strong>ch</strong>ung gewidmet. Ihr Ziel besteht darin, den Beitrag näher zu<br />

bestimmen, den prozedurale <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> bei <strong>der</strong> Beantwortung <strong>der</strong><br />

Frage na<strong>ch</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Re<strong>ch</strong>t leisten können.<br />

S<strong>ch</strong>on die Leitfrage 'Wie kann Re<strong>ch</strong>t gere<strong>ch</strong>t sein?' wird bei vielen Juristen die Gegenfrage<br />

provozieren, was denn Re<strong>ch</strong>t mit <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> zu tun habe 2 . Immerhin besteht<br />

ein kaum zu unters<strong>ch</strong>ätzen<strong>der</strong> Vorteil darin, daß die Normenwelten des Re<strong>ch</strong>ts<br />

und <strong>der</strong> Moral weitgehend unabhängig voneinan<strong>der</strong> existieren, wir also bei aller Unwägbarkeit<br />

des moralis<strong>ch</strong> ri<strong>ch</strong>tigen Handelns dur<strong>ch</strong>weg si<strong>ch</strong>er sein können, was re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong><br />

von uns verlangt wird. Ist also die Frage 'Wie kann Re<strong>ch</strong>t gere<strong>ch</strong>t sein?' nur für<br />

diejenigen von Interesse, die einen Mindestgehalt an Moralität bereits im Begriff des<br />

Re<strong>ch</strong>ts verankert sehen? Diese Frage wird im ersten Teil dieser Untersu<strong>ch</strong>ung verneint.<br />

Dort wird zu zeigen sein, daß <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Re<strong>ch</strong>t selbst dann Bedeutung<br />

zukommt, wenn <strong>der</strong> Begriff des Re<strong>ch</strong>ts frei von aller Moral bestimmt wird.<br />

<strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> – also vereinfa<strong>ch</strong>t gespro<strong>ch</strong>en sol<strong>ch</strong>e, die<br />

eine Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> unter Rückgriff auf Verfahrensüberlegungen<br />

betreiben – verspre<strong>ch</strong>en am ehesten, eine befriedigende Antwort auf die Frage na<strong>ch</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Re<strong>ch</strong>t zu bieten. Ihr beson<strong>der</strong>er Reiz liegt darin, daß sie <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t von vornherein dur<strong>ch</strong> inhaltli<strong>ch</strong>e Annahmen präjudizieren, also ni<strong>ch</strong>t<br />

eine bestimmte Religion, ein Statusbewußtsein gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er S<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten, eine Tradition,<br />

eine Rollenverteilung <strong>der</strong> Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter, eine kulturelle Identität o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />

Sozialsubstanzen voraussetzen. Abgesehen von dieser inhaltli<strong>ch</strong>en Unvoreingenommenheit<br />

sind die Begriffsmerkmale, die eine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie prägen,<br />

indes no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t hinrei<strong>ch</strong>end untersu<strong>ch</strong>t. Zwar ist die Klasse <strong>der</strong> prozeduralen<br />

<strong>Theorien</strong> als sol<strong>ch</strong>e anerkannt 3 , do<strong>ch</strong> ergibt si<strong>ch</strong> aus den bisherigen Arbeiten ni<strong>ch</strong>t,<br />

1 R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1978), S. 359. Zur Zitierweise: Für die bessere<br />

zeitli<strong>ch</strong>e Zuordnung wird bei abgekürzt zitierten Werken in Anlehnung an die internationalen Zitierkonventionen<br />

in den Sozial- und Geisteswissens<strong>ch</strong>aften (Chicago-Style) zusätzli<strong>ch</strong> eine Jahreszahl<br />

angegeben, und zwar regelmäßig diejenige <strong>der</strong> Erstveröffentli<strong>ch</strong>ung o<strong>der</strong> <strong>der</strong> verän<strong>der</strong>ten<br />

Neuauflage, bei öffentli<strong>ch</strong>en Reden die des Vortragsjahres, bei Übersetzungen die des Jahres <strong>der</strong><br />

Originalausgabe, bei Zitaten aus einem Na<strong>ch</strong>trag die des Jahres <strong>der</strong> unverän<strong>der</strong>ten Neuausgabe,<br />

die den Na<strong>ch</strong>trag enthält.<br />

2 Vgl. F. Bydlinski, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als re<strong>ch</strong>tspraktis<strong>ch</strong>er Maßstab (1996), S. 111 f.: Die Annahme, Re<strong>ch</strong>t<br />

habe mit <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ni<strong>ch</strong>ts zu tun, werde bereits Studienanfängern suggeriert und wirke si<strong>ch</strong><br />

langfristig prägend auf das Denken vieler Juristen aus.<br />

3 Zu den Autoren, die ausdrückli<strong>ch</strong> die 'prozeduralen' bzw. 'prozeduralistis<strong>ch</strong>en' <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

erörtern, gehören beispielsweise A. Kaufmann, <strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

(1989), S. 7 ff. – allerdings im Ergebnis (S. 20) die prozeduralen <strong>Theorien</strong> bis auf einen 'heuristis<strong>ch</strong>en<br />

Wert' ablehnend; R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 107, 111 ff.; J. Habermas, Fak-<br />

21


was genau eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie zu einer prozeduralen ma<strong>ch</strong>t 4 . Die Arbeiten behandeln<br />

zwar einen unumstrittenen Kernbestand <strong>der</strong> prozeduralen <strong>Theorien</strong>gruppe,<br />

zu dem die Ents<strong>ch</strong>eidungs- und Diskurstheorien sowie einige Vertragstheorien gehören<br />

5 . Sie konkretisieren aber ni<strong>ch</strong>t die Grenzen <strong>der</strong> <strong>Theorien</strong>klasse. Ist eine Theorie<br />

s<strong>ch</strong>on dann 'prozedural', wenn sie, wie im Utilitarismus, ein inhaltsunabhängiges,<br />

rein formales Kriterium für <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> bestimmt – 'Das größte Glück <strong>der</strong> größten<br />

Zahl'? 6 Liegt eine 'prozedurale' <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie vor, wenn eine Theorie für die<br />

Erzeugung gere<strong>ch</strong>ter Ergebnisse auf Verfahren abstellt, etwa auf den Geri<strong>ch</strong>tsprozeß<br />

o<strong>der</strong> das Gesetzgebungsverfahren? Müssen wir von 'prozeduralen' <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

au<strong>ch</strong> dort spre<strong>ch</strong>en, wo in grundlegen<strong>der</strong> Vernunftskepsis die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen<br />

als unents<strong>ch</strong>eidbar gelten und auf Verfahren nur als Notlösung zurückgegriffen<br />

wird?<br />

Alle diese Fragen sind mit 'Nein' zu beantworten. Um aber eine sol<strong>ch</strong>e Antwort<br />

geben zu können, muß erst einmal <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> prozeduralen Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

bestimmt werden. Das geht nur innerhalb eines analytis<strong>ch</strong>en Rahmens zu den Begriffen<br />

von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie und prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, <strong>der</strong><br />

trotz zahlrei<strong>ch</strong>er Einzelstudien zu Theoriegruppen erst no<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>affen werden<br />

will 7 . Sol<strong>ch</strong>en terminologis<strong>ch</strong>en und klassifikatoris<strong>ch</strong>en Fragen ist <strong>der</strong> zweite Teil<br />

tizität und Geltung (1992), S. 564; R. Hoffmann, Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit (1992), S. 166 ff.; M.R. Deckert,<br />

Folgenorientierung in <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsanwendung (1995), S. 194; H. Klenner, Über die vier Arten<br />

von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien gegenwärtiger Re<strong>ch</strong>tsphilosophie (1995), S. 138 ff. Parallelen finden<br />

si<strong>ch</strong> in den Begriffen 'prozedurale Ethik', 'prozedurale Methodik' und 'prozedurale Re<strong>ch</strong>tfertigung',<br />

vgl. H. Kits<strong>ch</strong>elt, Moralis<strong>ch</strong>es Argumentieren und Sozialtheorie (1980), S. 391 ff.; S. Benhabib,<br />

The Methodological Illusions of Mo<strong>der</strong>n Political Theory (1982), S. 49; J.-R. Sieckmann, Justice and<br />

Rights (1995), S. 110 f.<br />

4 R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 107, 111 ff. spri<strong>ch</strong>t beispielsweise von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründungs-<br />

und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungstheorien, während A. Kaufmann, <strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1989), S. 13 ff. allein die Beispiele <strong>der</strong> Begründungstheorien von J. Rawls<br />

und J. Habermas heranzieht. Dazu unten S. 132 ff. (Begriff <strong>der</strong> prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie).<br />

5 Zu alledem später ausführli<strong>ch</strong> S. 167 ff. (Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien), S. 217 ff. (Diskurstheorien); zum<br />

Problem <strong>der</strong> Vertragstheorien als <strong>Theorien</strong>klasse außerdem S. 102.<br />

6 Vgl. J. Bentham, Fragment of Government (1776), S. 242: »As a basis for all su<strong>ch</strong> operations ... may<br />

be seen setting up accordingly, the greatest happiness of the greatest number, in the <strong>ch</strong>aracter of<br />

the proper, and only proper and defensible, end of government« sowie S. 271, Anm.: »[T]he greatest-happiness<br />

principle [is] a principle whi<strong>ch</strong> lays down, as the only right and justifiable end of Government,<br />

the greatest happiness of the greatest number« (Hervorhebung bei Bentham). Vgl. <strong>der</strong>s.,<br />

Codification Proposal (1822), S. 537 ff. – die 'greatest happiness of the greatest number' for<strong>der</strong>e eine<br />

umfassende Institutionalisierung von Re<strong>ch</strong>t, das im einzelnen mit <strong>der</strong> Glücksför<strong>der</strong>ung begründet<br />

sein müsse; <strong>der</strong>s., Constitutional Code (1827), S. 5: »The right and proper end of government in<br />

every political community is the greatest happiness of the greatest number.«<br />

7 Der Vortrag von A. Kaufmann, <strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1989), S. 13 ff. bes<strong>ch</strong>ränkt<br />

si<strong>ch</strong> auf eine verglei<strong>ch</strong>ende Darstellung <strong>der</strong> <strong>Theorien</strong> von Habermas und Rawls. Die zahlrei<strong>ch</strong>en<br />

neueren Studien zu Sozialvertragstheorien beziehen Diskursmodelle ni<strong>ch</strong>t mit ein; vgl. etwa P.<br />

Koller, <strong>Theorien</strong> des Sozialkontrakts als Re<strong>ch</strong>tfertigungsmodelle politis<strong>ch</strong>er Institutionen (1984), S.<br />

241 ff.; <strong>der</strong>s., Neue <strong>Theorien</strong> des Sozialkontrakts (1987), S. 11 ff.; V. Medina, Social Contract Theories<br />

(1990), S. 11 ff. (<strong>Theorien</strong> von Hobbes, Locke, Rousseau, Kant und Rawls mit einer Gegenüberstellung<br />

zu Hume und Hegel); R. Kley, Vertragstheorien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1989), S. VIII ff. (Rawls, Nozick,<br />

Bu<strong>ch</strong>anan); W. Kersting, Die politis<strong>ch</strong>e Philosophie des Gesells<strong>ch</strong>aftsvertrags (1994), S. 11 ff.<br />

Die Arbeit von J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992) konzentriert si<strong>ch</strong> auf eine Abgrenzung<br />

zur Theorie von Rawls. Die verglei<strong>ch</strong>enden Arbeiten zu Vertrag und Diskurs, etwa die ents<strong>ch</strong>ei-<br />

22


dieser Untersu<strong>ch</strong>ung gewidmet. Sein Umfang ist einerseits <strong>der</strong> Vielfalt <strong>der</strong> vorfindli<strong>ch</strong>en<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffe und Theoriearten ges<strong>ch</strong>uldet, an<strong>der</strong>erseits aber au<strong>ch</strong> <strong>der</strong><br />

hier angewandten kritis<strong>ch</strong>-analytis<strong>ch</strong>en Methode, die <strong>Theorien</strong> ni<strong>ch</strong>t isoliert aneinan<strong>der</strong>reiht,<br />

son<strong>der</strong>n inhaltli<strong>ch</strong> aufeinan<strong>der</strong> bezieht und deshalb eine solide terminologis<strong>ch</strong>e<br />

und klassifikatoris<strong>ch</strong>e Basis benötigt. Der insoweit grundlegende zweite<br />

Teil wird zu dem Ergebnis führen, daß prozedurale <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> genau<br />

diejenigen <strong>Theorien</strong> sind, die entwe<strong>der</strong> <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en o<strong>der</strong> <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en<br />

Grundposition <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie zugeordnet werden können. Den Gegensatz<br />

dazu bilden die materialen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition<br />

und die (gere<strong>ch</strong>tigkeitsskeptis<strong>ch</strong>en) 'Antitheorien' <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> <strong>der</strong> nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>en<br />

Grundposition.<br />

Will man prozedurale <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> verglei<strong>ch</strong>en, analysieren und<br />

kritisieren, so ist ni<strong>ch</strong>t nur eine genaue Begriffsbildung nötig. Zusätzli<strong>ch</strong> müssen die<br />

Inhalte <strong>der</strong> einzelnen <strong>Theorien</strong> dargestellt werden, um das Spektrum <strong>der</strong> Mögli<strong>ch</strong>keiten<br />

unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>skonzeptionen einigermaßen vollständig zu erfassen.<br />

Dem ist <strong>der</strong> dritte Teil gewidmet. Angesi<strong>ch</strong>ts <strong>der</strong> Materialvielfalt zum Thema<br />

'<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' ist hierbei strikte Selbstbes<strong>ch</strong>ränkung auf einige S<strong>ch</strong>werpunkte geboten.<br />

Sol<strong>ch</strong>e Selbstbes<strong>ch</strong>ränkung wird in dieser Untersu<strong>ch</strong>ung in dreierlei Hinsi<strong>ch</strong>t<br />

vorgenommen:<br />

Erstens geht es im folgenden ni<strong>ch</strong>t um <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>thin (d.h. in <strong>der</strong> Familie,<br />

<strong>der</strong> Welt, unter Freunden), son<strong>der</strong>n nur um politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (d.h. diejenige<br />

»von einem moralis<strong>ch</strong>en Standpunkt gegenüber Re<strong>ch</strong>t und Staat« 8 ), denn zu ihr gehört<br />

die hier verfolgte Leitfrage, wie Re<strong>ch</strong>t gere<strong>ch</strong>t sein kann. Damit ist vorgezei<strong>ch</strong>net,<br />

daß es ni<strong>ch</strong>t auf die soziologis<strong>ch</strong>e o<strong>der</strong> psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>e Bestandsaufnahme <strong>der</strong><br />

kollektiven o<strong>der</strong> individuellen Vorstellungen von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ankommt, wie sie<br />

empiris<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien leisten 9 . Au<strong>ch</strong> wird die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> zwis<strong>ch</strong>en<br />

Generationen, gegenüber <strong>der</strong> Natur, unter Nationen o<strong>der</strong> zwis<strong>ch</strong>en den Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tern<br />

ni<strong>ch</strong>t Gegenstand <strong>der</strong> Untersu<strong>ch</strong>ung sein 10 . Es geht vielmehr um den Kernbestand<br />

an Kriterien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in Re<strong>ch</strong>t und Staat, wie sie von normativen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

entwickelt werden, um die obersten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien<br />

und ihre Bedeutung für die Re<strong>ch</strong>tsordnung in einem Staatswesen zu begründen.<br />

Die S<strong>ch</strong>werpunktsetzung auf politis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> re<strong>ch</strong>tfertigt si<strong>ch</strong> vor allem<br />

daraus, daß die staatli<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>tsordnung beson<strong>der</strong>s dringend <strong>der</strong> Legitimation bedarf.<br />

Denn Re<strong>ch</strong>t ist dadur<strong>ch</strong> gekennzei<strong>ch</strong>net, daß es mit <strong>der</strong> Befugnis zu zwingen<br />

dungslogis<strong>ch</strong>e Analyse von L. Kern, Von Habermas zu Rawls (1986), s<strong>ch</strong>lagen ni<strong>ch</strong>t die in dieser<br />

Untersu<strong>ch</strong>ung beabsi<strong>ch</strong>tigte Brücke zwis<strong>ch</strong>en prozeduraler Theorie und prozeduralem Re<strong>ch</strong>t.<br />

Der analytis<strong>ch</strong>e Rahmen, <strong>der</strong> bei R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 106 ff. entwickelt<br />

wird, entspri<strong>ch</strong>t nur in den Grundzügen <strong>der</strong> Grenzziehung, wie sie in dieser Untersu<strong>ch</strong>ung vorgenommen<br />

wird; vgl. unten S. 136 (Klassifizierung bei Dreier).<br />

8 Definition bei O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 59; ähnli<strong>ch</strong> S. 28: »die sittli<strong>ch</strong>e Perspektive<br />

auf Re<strong>ch</strong>t und Staat«. Zur Bes<strong>ch</strong>ränkung <strong>der</strong> Untersu<strong>ch</strong>ung auf politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> siehe<br />

unten S. 78 (S<strong>ch</strong>werpunktthese).<br />

9 Zur subjektiven prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Gegenstand <strong>der</strong> empiris<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfors<strong>ch</strong>ung<br />

unten S. 119 (Begriff <strong>der</strong> prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, D 3 ).<br />

10 Zur Bes<strong>ch</strong>ränkung <strong>der</strong> Untersu<strong>ch</strong>ung auf intragenerationale, anthropozentristis<strong>ch</strong>e, androgyne,<br />

nationalstaatli<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> unten S. 114 ff., 358 ff. (Erweiterbarkeitsthese).<br />

23


verbunden ist 11 . Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> <strong>der</strong> staatli<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>tsordnung ist na<strong>ch</strong> wie vor<br />

von ungebro<strong>ch</strong>ener Aktualität. Mag au<strong>ch</strong> die gegenwärtige Staatenentwicklung Anlaß<br />

zur Hoffnung geben, daß die unverholen und offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ungere<strong>ch</strong>ten Systeme,<br />

die Okkupations-, Genozid- und Apartheidsregime, <strong>der</strong>zeit im Nie<strong>der</strong>gang begriffen<br />

sind; ein 'Ende <strong>der</strong> Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te' zei<strong>ch</strong>net si<strong>ch</strong> damit keineswegs ab 12 . Denn<br />

selbst wenn die These stimmen sollte, daß si<strong>ch</strong> sämtli<strong>ch</strong>e <strong>der</strong> etwa 180 zur Zeit existierenden<br />

unabhängigen Staaten letztli<strong>ch</strong> am mo<strong>der</strong>nen europäis<strong>ch</strong>en Staatsmodell<br />

orientieren 13 , so ist do<strong>ch</strong> we<strong>der</strong> erkennbar, ob si<strong>ch</strong> die staatli<strong>ch</strong>en Ordnungsmodelle<br />

dabei überhaupt teleologis<strong>ch</strong> auf ein Optimierungsziel hin entwickeln, statt nur einer<br />

vorübergehenden politis<strong>ch</strong>en Mode anzuhängen 14 , no<strong>ch</strong> ähneln si<strong>ch</strong> die unter dem<br />

Bekenntnis demokratis<strong>ch</strong>er Verfaßtheit versammelten Staatsordnungen stark genug,<br />

um von einem einheitli<strong>ch</strong>en, als gere<strong>ch</strong>t anerkannten Modell spre<strong>ch</strong>en zu können.<br />

Zwis<strong>ch</strong>en <strong>der</strong> kommunistis<strong>ch</strong>en Volksrepublik China, <strong>der</strong> religiösen Republik Iran<br />

und den kapitalistis<strong>ch</strong>-laizistis<strong>ch</strong>en Vereinigten Staaten von Amerika entfaltet si<strong>ch</strong><br />

ein so weites Band unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er Demokratievorstellungen, daß we<strong>ch</strong>selseitige<br />

Vorwürfe von Ungere<strong>ch</strong>tigkeit eher die Regel als die Ausnahme sind. Und selbst<br />

wenn es in einer politis<strong>ch</strong> konsolidierten Zukunft jemals einen breiten Konsens über<br />

die ri<strong>ch</strong>tige(n) Staatsordnung(en) geben sollte, so müßte dieser do<strong>ch</strong> stets aufs neue<br />

gegenüber je<strong>der</strong> Einzelstimme <strong>der</strong> Kritik na<strong>ch</strong> innen und außen verteidigt werden.<br />

Zweitens liegt eine Selbstbes<strong>ch</strong>ränkung darin, daß diese Untersu<strong>ch</strong>ung si<strong>ch</strong> auf<br />

'<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien <strong>der</strong> Gegenwart' konzentriert. Die Klassiker <strong>der</strong> Ideenges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

politis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (Aristoteles, Hobbes, Locke, Kant u.v.m.), zu denen es<br />

zahlrei<strong>ch</strong>e Detailstudien gibt, finden hier nur insoweit ausdrückli<strong>ch</strong> Erwähnung, als<br />

sie zu einer unverzi<strong>ch</strong>tbaren Grundlage neuerer <strong>Theorien</strong> geworden sind. Als '<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

<strong>der</strong> Gegenwart' sind sol<strong>ch</strong>e gemeint, die – wie die Theorie von<br />

Rawls 15 – jedenfalls na<strong>ch</strong> Etablierung <strong>der</strong> Spieltheorie dur<strong>ch</strong> J. v. Neumann und<br />

11 Illustrativ die frühe Formulierung bei R. v. Jhering, Geist des römis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>ts auf den vers<strong>ch</strong>iedenen<br />

Stufen seiner Entwicklung (1894), S. 22: »Von allen übrigen Mä<strong>ch</strong>ten und Ideen, wel<strong>ch</strong>e das<br />

mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Handeln bestimmen: <strong>der</strong> des Guten, S<strong>ch</strong>önen, Zweckmäßigen, <strong>der</strong> Religion, unters<strong>ch</strong>eidet<br />

si<strong>ch</strong> das Re<strong>ch</strong>t dadur<strong>ch</strong>, daß es si<strong>ch</strong> zu seiner Verwirkli<strong>ch</strong>ung des Zwanges bedient, also<br />

die Freiheit des eigenen Ents<strong>ch</strong>lusses aufhebt.« Ausführli<strong>ch</strong>er <strong>der</strong>s., Der Zweck im Re<strong>ch</strong>t (1884),<br />

S. 320 ff. beginnend mit <strong>der</strong> Definition: »Re<strong>ch</strong>t ist <strong>der</strong> Inbegriff <strong>der</strong> in einem Staate geltenden<br />

Zwangsnormen« (Hervorhebung bei Jhering). Ähnli<strong>ch</strong> H.L.A. Hart, Concept of Law (1961), S. 84:<br />

»[W]hen physical sanctions are prominent or usual among the forms of pressure, ... we shall be<br />

inclined to classify the rules as a primitive or rudimentary form of law.«<br />

12 Vgl. aber die Thesen von F. Fukuyama, The End of History? (1989), S. 3 ff. (4): »What we may be<br />

witnessing is not just the end of the Cold War, ... but the end of history as su<strong>ch</strong>: that is, the end<br />

point of mankind's ideological evolution and the universalization of Western liberal democracy as<br />

the final form of human government.«; <strong>der</strong>s., The End of History and the Last Man (1992); dagegen<br />

S.P. Huntington, No Exit: The Errors of Endism (1989); <strong>der</strong>s., The Clash of Civilizations? (1993),<br />

S. 38: »conflict between civilizations will supplant ideological and other forms of conflict as the<br />

dominant global form of conflict«.<br />

13 S.E. Finer, History of Government (1997), S. 88; ähnli<strong>ch</strong> in Form einer Vorhersage bereits M. Kriele,<br />

Die demokratis<strong>ch</strong>e Weltrevolution (1987), §§ 1, 16 ff. (S. 9 ff., 53 ff.).<br />

14 Gründe für Skepsis etwa bei S.E. Finer, History of Government (1997), S. 88; frühe Kritik am historis<strong>ch</strong>en<br />

Determinismus bei I. Berlin, Historical Inevitability (1953), S. 109 ff.<br />

15 Die Grundlagen <strong>der</strong> Rawlss<strong>ch</strong>en Theorie wurden bereits am 28. Dezember 1957 gelegt, in einem<br />

Vortrag vor <strong>der</strong> American Philosophical Association, Eastern Division, publiziert als J. Rawls, Ju-<br />

24


O. Morgenstern im Jahre 1944 entwickelt wurden 16 , vor allem also diejenigen, die erst<br />

in <strong>der</strong> Reaktion auf den Rawlss<strong>ch</strong>en Entwurf von 1971 o<strong>der</strong> als Teil <strong>der</strong> dadur<strong>ch</strong> ausgelösten<br />

Renaissance von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen seit den 70er Jahren entstanden<br />

sind 17 .<br />

Drittens muß selbst unter den gegenwärtig vertretenen <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> no<strong>ch</strong> eine Auswahl getroffen werden, da eine ers<strong>ch</strong>öpfende Darstellung<br />

aller <strong>Theorien</strong> den Rahmen <strong>der</strong> Arbeit sprengen würde. Die Auswahl orientiert<br />

si<strong>ch</strong> an zwei Kriterien: Zunä<strong>ch</strong>st sollen die dargestellten <strong>Theorien</strong> exemplaris<strong>ch</strong> für<br />

die gesamte Breite des <strong>Theorien</strong>spektrums stehen. Um dieses Spektrum mögli<strong>ch</strong>st<br />

übers<strong>ch</strong>neidungsfrei zu erfassen, konzentriert si<strong>ch</strong> die Darstellung auf die Unters<strong>ch</strong>iede<br />

zwis<strong>ch</strong>en den Ansätzen und verzi<strong>ch</strong>tet auf jene <strong>Theorien</strong>, die si<strong>ch</strong> im wesentli<strong>ch</strong>en<br />

an<strong>der</strong>en ans<strong>ch</strong>ließen. Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien sollen zudem in erster Linie<br />

auf ihre Aussagen zur <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Re<strong>ch</strong>t hin untersu<strong>ch</strong>t werden. Deshalb sind die<br />

re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Konsequenzen einer Theorie selbst dort in <strong>der</strong> Darstellung hervorgehoben,<br />

wo sie <strong>der</strong> jeweilige Autor selbst ni<strong>ch</strong>t ins Zentrum stellt.<br />

Die im dritten Teil zunä<strong>ch</strong>st weitgehend ohne Bewertung dargestellten Theoriebeispiele<br />

werden im vierten Teil einer Analyse und Kritik unterzogen. Diese Zweistufigkeit<br />

des Untersu<strong>ch</strong>ungsgangs hat den Vorteil, daß etli<strong>ch</strong>e Argumente glei<strong>ch</strong> auf<br />

ganze Theoriegruppen bezogen werden können. Dabei bewährt si<strong>ch</strong> die zuvor gewonnene<br />

und dur<strong>ch</strong> die Theoriedarstellung ausgefüllte Klassifizierung na<strong>ch</strong> Grundpositionen,<br />

ohne die die Materialmenge kaum zu bewältigen wäre 18 . Nur zwei <strong>der</strong><br />

Grundpositionen betreffen prozedurale <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>. Die ni<strong>ch</strong>tprozeduralen<br />

Theoriegruppen <strong>der</strong> nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>en und aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition<br />

verdienen glei<strong>ch</strong>wohl Bea<strong>ch</strong>tung, weil sie die beiden Gegenmodelle zu den prozeduralen<br />

<strong>Theorien</strong> bilden und deshalb für diese eine Herausfor<strong>der</strong>ung sind. Im Ergebnis<br />

des vierten Teils wird si<strong>ch</strong> zeigen, daß sämtli<strong>ch</strong>e Theorieansätze ihre spezifis<strong>ch</strong>en<br />

S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>punkte haben, daß aber glei<strong>ch</strong>wohl die Diskurstheorien <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en<br />

stice as Fairness, in: The Journal of Philosophy 54 (1957), S. 653-662. Die ents<strong>ch</strong>eidungstheoretis<strong>ch</strong>en<br />

Grundlagen, die Rawls später aufgegeben hat (dazu unten S. 180 ff.), rei<strong>ch</strong>en sogar weiter<br />

zurück: J. Rawls, Outline of a Decision Procedure for Ethics (1951), S. 177 ff.<br />

16 J. v. Neumann/O. Morgenstern, Theory of Games and Economic Behavior (1944).<br />

17 Zu Nie<strong>der</strong>gang und Renaissance <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie G. Lübbe, Die Auferstehung des<br />

Sozialvertrags (1977), S. 185 ff.; V. Vanberg/R. Wippler, Die Renaissance <strong>der</strong> Idee des Gesells<strong>ch</strong>aftsvertrags<br />

und die Soziologie (1986), S. 1 ff.; O. Höffe, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Taus<strong>ch</strong>? (1991), S. 7 ff.;<br />

K. Günther, Kann ein Volk von Teufeln Re<strong>ch</strong>t und Staat moralis<strong>ch</strong> legitimieren? (1991), S. 186 ff.;<br />

W. Kersting, Herrs<strong>ch</strong>aftslegitimation (1997), S. 11 ff. Zu den (kritis<strong>ch</strong> an Rawls orientierten) Renaissancemonographien<br />

zählen weiter R. Nozick, Anar<strong>ch</strong>y, State, and Utopia (1974); J.M. Bu<strong>ch</strong>anan,<br />

Limits of Liberty (1975); B. Ackerman, Social Justice in the Liberal State (1980); O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987); T. Nagel, Equality and Partiality (1991) sowie die (liberalismuskritis<strong>ch</strong>en)<br />

Entwürfe <strong>der</strong> Kommunitaristen: M. Sandel, Liberalism and the Limits of Justice (1982);<br />

U. Steinvorth, Glei<strong>ch</strong>e Freiheit (1999), S. 15 ff.; M. Taylor, Community, Anar<strong>ch</strong>y, and Liberty (1982);<br />

M. Walzer, Spheres of Justice (1983). Die bahnbre<strong>ch</strong>ende Bedeutung <strong>der</strong> Rawlss<strong>ch</strong>en Theorie wird<br />

dadur<strong>ch</strong> belegt, daß bereits gut zehn Jahre na<strong>ch</strong> Ers<strong>ch</strong>einen <strong>der</strong> 'Theory of Justice' in <strong>der</strong> Rawls-<br />

Bibliographie von H.G. Wellbank/D. Snook/D.T. Mason, John Rawls and his Critics (1982), S. 23 ff.<br />

insgesamt 2.512 Sekundärquellen aufgezählt und erläutert wurden.<br />

18 Vgl. unten S. 81 (Klassifizierung na<strong>ch</strong> Grundpositionen).<br />

25


Grundposition die vielverspre<strong>ch</strong>endsten Kandidaten für eine adäquate Erfassung <strong>der</strong><br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Re<strong>ch</strong>t sind.<br />

Nun wäre es vermessen, im fünften Teil dieser Untersu<strong>ch</strong>ung eine vollständige<br />

Diskurstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> zu entwickeln. Das wäre die Aufgabe einer weiteren<br />

Arbeit jenseits des hier gesteckten Rahmens. Do<strong>ch</strong> liegt bei aller Zurückhaltung<br />

ein gewisser Reiz darin, das Ergebnis des vierten Teils, na<strong>ch</strong> dem diskursive <strong>Theorien</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> am besten erklären können, wie Re<strong>ch</strong>t gere<strong>ch</strong>t sein kann, zumindest<br />

in Grundzügen au<strong>ch</strong> positiv zu bewähren. Deshalb soll im S<strong>ch</strong>lußkapitel<br />

begonnen werden, die Grundzüge einer diskursiven Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> zu<br />

skizzieren, die prozedurale Maßstäbe für <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Re<strong>ch</strong>t liefern kann. Dabei<br />

knüpft die Untersu<strong>ch</strong>ung an ein Projekt von Alexy an, das von diesem als 'analytis<strong>ch</strong>er<br />

Liberalismus' <strong>ch</strong>arakterisiert wurde 19 . Die Idee eines analytis<strong>ch</strong> begründbaren<br />

Liberalismus soll hier für die Ansätze einer Diskurstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> fru<strong>ch</strong>tbar<br />

gema<strong>ch</strong>t werden.<br />

19 Bezei<strong>ch</strong>nung bei R. Alexy, Vorwort, in: Re<strong>ch</strong>t, Vernunft, Diskurs (1995), S. 10.<br />

26


Erster Teil:<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, Moral und Re<strong>ch</strong>t<br />

'Wie kann Re<strong>ch</strong>t gere<strong>ch</strong>t sein?' – Die Frage ist ni<strong>ch</strong>t nur für diejenigen von Interesse,<br />

die entgegen <strong>der</strong> re<strong>ch</strong>tspositivistis<strong>ch</strong>en Trennungsthese 1 einen Mindestgehalt an Moralität<br />

bereits im Begriff des Re<strong>ch</strong>ts verankert sehen. Vielmehr kommt <strong>der</strong> Frage na<strong>ch</strong><br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Re<strong>ch</strong>t selbst dann Bedeutung zu, wenn <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsbegriff frei von<br />

Moral geda<strong>ch</strong>t wird 2 . Um das zu zeigen, ist es sinnvoll, zunä<strong>ch</strong>st die Stellung <strong>der</strong><br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen in <strong>der</strong> Philosophie, insbeson<strong>der</strong>e ihre Beziehung zur Moral und<br />

zu Konzeptionen <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft deutli<strong>ch</strong> zu ma<strong>ch</strong>en (A). Daraus ergibt<br />

si<strong>ch</strong> ein erster Anhaltspunkt, wie die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> mit dem Begriff des Re<strong>ch</strong>ts zusammenhängen<br />

könnte, nämli<strong>ch</strong> vermittelt dur<strong>ch</strong> die Frage, ob es einen begriffsnotwendigen<br />

moralis<strong>ch</strong>en Mindestgehalt des Re<strong>ch</strong>ts gibt – einen analytis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgehalt<br />

(B). Die These vom normativen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgehalt des Re<strong>ch</strong>ts hält dem entgegen,<br />

daß es für die Bedeutung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Re<strong>ch</strong>t auf einen analytis<strong>ch</strong>en<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgehalt ni<strong>ch</strong>t ents<strong>ch</strong>eidend ankommt, weil die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> unabhängig<br />

von dem verwendeten Re<strong>ch</strong>tsbegriff tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Bedeutung im Re<strong>ch</strong>t erlangt (C).<br />

Diese These wird für <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in Re<strong>ch</strong>tsphilosophie und Re<strong>ch</strong>tstheorie einerseits<br />

sowie Re<strong>ch</strong>tsdogmatik an<strong>der</strong>erseits differenziert und abs<strong>ch</strong>ließend dahin erweitert,<br />

daß au<strong>ch</strong> die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in den re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t o<strong>der</strong> kaum geregelten Sozialberei<strong>ch</strong>en<br />

(Freunds<strong>ch</strong>aft, Familie, Kultur u.v.m.) für das Re<strong>ch</strong>t mittelbar Bedeutung entfaltet<br />

(D).<br />

A. <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> und praktis<strong>ch</strong>e Vernunft<br />

Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist Teil <strong>der</strong> Moral 3 , gehört damit zur praktis<strong>ch</strong>en Philosophie und<br />

ist auf eine Konzeption <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft angewiesen. Was bedeutet das im<br />

einzelnen? Zunä<strong>ch</strong>st ist die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, wie allgemein die Moral, ein Versu<strong>ch</strong>, auf<br />

die Grundfrage <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>er Philosophie 'Was soll i<strong>ch</strong> tun?' 4 zu antworten. <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen<br />

unters<strong>ch</strong>eiden si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> von <strong>der</strong> Fragestellung <strong>der</strong> theoretis<strong>ch</strong>en<br />

Philosophie ('Was kann i<strong>ch</strong> wissen?'), sind also ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> theoretis<strong>ch</strong>en Erkenntnis<br />

(<strong>der</strong> Wahrheitsfindung über Seinstatsa<strong>ch</strong>en) zugängli<strong>ch</strong>. Sie unters<strong>ch</strong>eiden<br />

si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> vom religiösen Bekenntnis in Glaubensfragen ('Was darf i<strong>ch</strong> hoffen?'). In<br />

dieser Gegensätzli<strong>ch</strong>keit zu theoretis<strong>ch</strong>er Erkenntnis einerseits und religiösem Bekenntnis<br />

an<strong>der</strong>erseits verlangt die Beantwortung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen na<strong>ch</strong> einer<br />

Konzeption <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft – häufig synonym verwendet mit 'prakti-<br />

1 Dazu unten S. 29 (Trennungsthese, analytis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgehalt des Re<strong>ch</strong>ts).<br />

2 Vgl. D. v.d. Pfordten, Re<strong>ch</strong>tsethik (1996), S. 202 – die Frage als »Grundfrage <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsethik«.<br />

3 Vgl. unten S. 52 ff. (Sollensbezug <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, Skizze zu <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> und Moral).<br />

4 Die Charakterisierung <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft dur<strong>ch</strong> diese Frage geht auf Kant zurück: I. Kant.,<br />

KrV (1781), A 804 f. / B 832 f.: »Alles Interesse meiner Vernunft (das spekulative sowohl, als das<br />

praktis<strong>ch</strong>e) vereinigt si<strong>ch</strong> in folgenden drei Fragen: 1. Was kann i<strong>ch</strong> wissen? 2. Was soll i<strong>ch</strong> tun?<br />

3. Was darf i<strong>ch</strong> hoffen?«.<br />

27


s<strong>ch</strong>er Rationalität' o<strong>der</strong> 'Handlungsrationalität' 5 . Die praktis<strong>ch</strong>e Vernunft bezei<strong>ch</strong>net<br />

das Vermögen, auf praktis<strong>ch</strong>e Fragen, das heißt sol<strong>ch</strong>e, die auf die Ri<strong>ch</strong>tigkeit einer<br />

handlungsleitenden Ents<strong>ch</strong>eidung zielen 6 , begründete Antworten zu geben 7 . Der<br />

Anspru<strong>ch</strong> auf <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> stellt si<strong>ch</strong> als ein Son<strong>der</strong>fall des Anspru<strong>ch</strong>s auf Ri<strong>ch</strong>tigkeit<br />

dar 8 .<br />

Umstritten ist bereits, ob es überhaupt praktis<strong>ch</strong>e Vernunft gibt, ob also jemals<br />

eine begründete Antwort auf Fragen des ri<strong>ch</strong>tigen Handelns gegeben werden kann 9 .<br />

Gäbe es keine praktis<strong>ch</strong>e Vernunft, so müßte an dieser Stelle jede weitere Untersu<strong>ch</strong>ung<br />

von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen mit einer moralis<strong>ch</strong>en Bankrotterklärung abgebro<strong>ch</strong>en<br />

werden. Diese Konsequenz hat die Philosophie tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> einige Zeit gezogen.<br />

Na<strong>ch</strong> einer Phase des Nie<strong>der</strong>gangs ist – na<strong>ch</strong> einigen Vorläufern 10 – erst seit<br />

1971 mit <strong>der</strong> Publikation <strong>der</strong> Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> von Rawls eine breit wirkende<br />

Renaissance <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie und <strong>der</strong> Grundlegungsbemühungen über<br />

praktis<strong>ch</strong>e Vernunft eingetreten 11 . Unter den seitdem entwickelten <strong>Theorien</strong> sind die<br />

prozeduralen <strong>Theorien</strong> praktis<strong>ch</strong>er Vernunft die aussi<strong>ch</strong>tsrei<strong>ch</strong>sten Kandidaten, die<br />

grundlegende Frage na<strong>ch</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> befriedigend zu beantworten. Sie erklären,<br />

5 Dafür etwa G. Patzig, Grußwort zum Wieacker Symposion (1989), S. 12: »Begriff <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en<br />

Vernunft o<strong>der</strong>, wie man heute sagt, <strong>der</strong> Handlungsrationalität«. Ebenso D. Bu<strong>ch</strong>wald, Der Begriff<br />

<strong>der</strong> rationalen juristis<strong>ch</strong>en Begründung (1990), S. 147 ff. Zur besseren Betonung des etwas an<strong>der</strong>en<br />

Wortgebrau<strong>ch</strong>s im anglo-amerikanis<strong>ch</strong>en Literaturraum wird hier Rationalität (rationality) im<br />

Sinne von Zweckrationalität gebrau<strong>ch</strong>t, also ni<strong>ch</strong>t synonym mit praktis<strong>ch</strong>er Vernunft insgesamt<br />

(reason), son<strong>der</strong>n nur mit <strong>der</strong>en pragmatis<strong>ch</strong>em Gebrau<strong>ch</strong>. Zu dieser Differenzierung vgl. J.R. Lucas,<br />

On Justice (1980), S. 37; A.L. Stin<strong>ch</strong>combe, Reason and Rationality (1986), S. 253 ff. – beide angloamerikanis<strong>ch</strong><br />

(rationality/reason); sowie G. Kir<strong>ch</strong>gässner, Homo oeconomicus (1991), S. 178 ff. –<br />

deuts<strong>ch</strong> (rationales Verhalten/vernünftiges Handeln). Ansatzweise bereits bei I. Kant, KrV (1781),<br />

A 800 / B 828 – pragmatis<strong>ch</strong>es Verhalten/praktis<strong>ch</strong>e Vernunft; <strong>der</strong>s., ebd., A 806 / B 834: »Das<br />

praktis<strong>ch</strong>e Gesetz aus dem Bewegungsgrunde <strong>der</strong> Glückseligkeit nenne i<strong>ch</strong> pragmatis<strong>ch</strong> (Klugheitsregel);<br />

dasjenige aber, wofern ein sol<strong>ch</strong>es ist, das zum Bewegungsgrunde ni<strong>ch</strong>ts an<strong>der</strong>es hat,<br />

als die Würdigkeit, glückli<strong>ch</strong> zu werden, moralis<strong>ch</strong> (Sittengesetz).« (Hervorhebungen bei Kant). Vgl.<br />

unten S. 92 (pragmatis<strong>ch</strong>er Gebrau<strong>ch</strong> <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft).<br />

6 Die Unters<strong>ch</strong>eidung von theoretis<strong>ch</strong>en und praktis<strong>ch</strong>en Disziplinen geht auf die aristotelis<strong>ch</strong>e<br />

Philosophie zurück. Aristoteles stellte <strong>der</strong> seinsorientierten theoretis<strong>ch</strong>en Philosophie (Logik, Physik,<br />

Mathematik, Metaphysik) die handlungsorientierten Disziplinen <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Philosophie<br />

(Ethik, Ökonomie, Politik) gegenüber. Vgl. zur Analyse A. Pieper, Ethik (1991), S. 24 f.; O. Höffe,<br />

Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 30 ff. Die Terminologie findet ihre Fortsetzung im Begriffspaar<br />

Wahrheit/Ri<strong>ch</strong>tigkeit. Bei begründeten Aussagen im Berei<strong>ch</strong> theoretis<strong>ch</strong>er Fragen spri<strong>ch</strong>t man<br />

von Wahrheit, im Berei<strong>ch</strong> praktis<strong>ch</strong>er Fragen dagegen von Ri<strong>ch</strong>tigkeit; A. Kaufmann, <strong>Prozedurale</strong><br />

<strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1989), S. 5 f., 17.<br />

7 Vgl. (m.w.N.) R.A. Posner, Problems of Jurisprudence (1990), S. 71 ff. (71): »[P]ractical reason ... is<br />

most often used to denote the methods ('deliberation' and 'practical syllogism' are the key expressions<br />

here) that people use to make a practical or ethical <strong>ch</strong>oice«.<br />

8 R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1978), S. 242.<br />

9 So z.B. O. Weinberger, Der Streit um die praktis<strong>ch</strong>e Vernunft (1992), S. 315 ff. – 'Gibt es praktis<strong>ch</strong>e<br />

Vernunft' und 'Der Traum von <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Erkenntnis'. Na<strong>ch</strong> Ansi<strong>ch</strong>t Weinbergers ist praktis<strong>ch</strong>e<br />

Vernunft in dem Sinne, daß sie Methoden für das Auffinden des moralis<strong>ch</strong> Ri<strong>ch</strong>tigen bietet,<br />

unmögli<strong>ch</strong>. Vgl. unten S. 143 ff. (Vernunftskepsis <strong>der</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>en Grundposition).<br />

10 Vgl. vor allem R.M. Hare, Freedom and Reason (1963).<br />

11 Vgl. oben S. 25, Fn. 17 (Nie<strong>der</strong>gang und Renaissance <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie).<br />

28


was praktis<strong>ch</strong>e Vernunft ist und wie wir sie auf praktis<strong>ch</strong>e Fragen anwenden können<br />

12 .<br />

Es gibt ganz unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Konzeptionen praktis<strong>ch</strong>er Vernunft. Das läßt si<strong>ch</strong><br />

an <strong>der</strong> einfa<strong>ch</strong>en Frage zeigen, ob man dem Bettler Geld geben sollte. Wer praktis<strong>ch</strong>e<br />

Vernunft für unmögli<strong>ch</strong> hält, wird si<strong>ch</strong> die Frage gar ni<strong>ch</strong>t erst stellen: Für den Skeptiker<br />

genügt es, wenn er aus <strong>der</strong> Laune des Augenblicks handelt. Der Handlungsutilitarist<br />

müßte si<strong>ch</strong> fragen, ob das Gemeinwohl insgesamt dur<strong>ch</strong> die Hingabe des<br />

Geldes gesteigert werden kann, ob also <strong>der</strong> Gewinn aus Si<strong>ch</strong>t des Bettlers größeres<br />

Glück bedeutet als <strong>der</strong> eigene Verlust Leid bringt (act utilitarianism). Der Regelutilitarist<br />

handelt dana<strong>ch</strong>, ob die moralis<strong>ch</strong>e 'Bettlerregel' des Inhalts 'Gib Bettlern gelegentli<strong>ch</strong><br />

Geld!' auf lange Si<strong>ch</strong>t für alle vorteilhaft ist (rule utilitarianism). Ein Kantianer<br />

müßte fragen, ob die Bettlerregel als allgemeines Gesetz aus autonomen Gründen<br />

gewollt sein kann. Der Diskurstheoretiker prüft, ob über eine sol<strong>ch</strong>e Norm in einem<br />

allgemeinen praktis<strong>ch</strong>en Diskurs Konsens hergestellt werden könnte. Ein Kommunitarist<br />

handelt dana<strong>ch</strong>, ob es <strong>der</strong> Tradition in <strong>der</strong> jeweiligen Gemeins<strong>ch</strong>aft entspri<strong>ch</strong>t,<br />

Bettler in dieser Weise zu unterstützen. Und wer die praktis<strong>ch</strong>e Vernunft aus Si<strong>ch</strong>t<br />

eines unparteiis<strong>ch</strong>en Beoba<strong>ch</strong>ters bestimmen will, müßte fragen, wel<strong>ch</strong>es Handeln<br />

bei einer unvoreingenommenen Außenperspektive wohl ri<strong>ch</strong>tig wäre. Jede dieser<br />

Explikationen <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft führt zu unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Moraltheorien<br />

und damit au<strong>ch</strong> zu unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien. Sol<strong>ch</strong>e Explikationsunters<strong>ch</strong>iede<br />

sind selbst dann wi<strong>ch</strong>tig, wenn die <strong>Theorien</strong> in Einzelfragen <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

im Ergebnis übereinstimmen sollten, also beispielsweise Utilitaristen, Kantianer,<br />

Diskurstheoretiker und Kommunitaristen je aus ihrer Perspektive zu dem Ents<strong>ch</strong>luß<br />

gelangen, dem Bettler gelegentli<strong>ch</strong> Geld geben zu müssen. Denn die Konzeption<br />

praktis<strong>ch</strong>er Vernunft enthält die Gründe des Handelns und damit die Grundsätze<br />

zur Lösung aller neu auftretenden <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen.<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist Teil <strong>der</strong> Moral, do<strong>ch</strong> sie ist ni<strong>ch</strong>t identis<strong>ch</strong> mit Moral. Das wird<br />

im einzelnen bei <strong>der</strong> Analyse des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffs deutli<strong>ch</strong> werden 13 . Zur einfa<strong>ch</strong>en<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung sei hier nur soviel vorweggenommen: <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> muß<br />

immer einen Sozialbezug haben. Wer si<strong>ch</strong> als Eremit in <strong>der</strong> Wüste o<strong>der</strong> als S<strong>ch</strong>iffbrü<strong>ch</strong>iger<br />

auf einer Insel die Frage na<strong>ch</strong> ri<strong>ch</strong>tigem Handeln stellt, mag zwar auf <strong>der</strong> Su<strong>ch</strong>e<br />

na<strong>ch</strong> Moral sein – <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen stellen si<strong>ch</strong> indes ni<strong>ch</strong>t.<br />

B. Gibt es einen analytis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgehalt des Re<strong>ch</strong>ts?<br />

Die Bedeutung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> für das Re<strong>ch</strong>t wäre evident, wenn es einen begriffli<strong>ch</strong><br />

notwendigen moralis<strong>ch</strong>en Mindestgehalt des Re<strong>ch</strong>ts gäbe, also einen analytis<strong>ch</strong>en<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgehalt in dem Sinne, daß bestimmte Inhalte gefor<strong>der</strong>t sind, bevor über-<br />

12 Vgl. R. Alexy, Idee und Struktur eines vernünftigen Re<strong>ch</strong>tssystems (1991), S. 30; <strong>der</strong>s., Eine diskurstheoretis<strong>ch</strong>e<br />

Konzeption <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft (1993), S. 114 ff. A. Kaufmann, <strong>Prozedurale</strong><br />

<strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1989), S. 9 ff. bezei<strong>ch</strong>net das Unterfangen, inhaltli<strong>ch</strong>e moralis<strong>ch</strong>e Aussagen<br />

aus einem gedankli<strong>ch</strong>en Verfahren abzuleiten, d.h. Inhalt aus Form zu gewinnen, als das<br />

Charakteristikum prozeduraler <strong>Theorien</strong>.<br />

13 Dazu unten S. 45 ff. (Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

29


haupt von 'Re<strong>ch</strong>t' die Rede sein kann 14 . Der Begriff des Re<strong>ch</strong>ts 15 ist indes umstritten,<br />

wobei die Frage des moralis<strong>ch</strong>en Mindestgehalts plakativ unter dem Titel 'Naturre<strong>ch</strong>tslehre<br />

versus Re<strong>ch</strong>tspositivismus' verhandelt wird 16 . Allgemeine Aussagen zu<br />

dieser Debatte sind vor allem deshalb s<strong>ch</strong>wierig, weil sehr unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Spielarten<br />

des Re<strong>ch</strong>tspositivismus entwickelt wurden 17 . Na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Trennungsthese, die für<br />

re<strong>ch</strong>tspositivistis<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> <strong>ch</strong>arakteristis<strong>ch</strong> ist 18 , gibt es keinen begriffsnotwendigen<br />

Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>t und Moral: je<strong>der</strong> beliebige Inhalt kann gelten-<br />

14 So im voraufkläreris<strong>ch</strong>en, naturre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>ts- und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sverständnis, etwa bei G.W.<br />

Leibniz, Méditation sur la notion commune de la justice (ca. 1674), S. 667: »Re<strong>ch</strong>t kann ni<strong>ch</strong>t ungere<strong>ch</strong>t<br />

sein – das wäre ein Wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong> – aber das Gesetz kann es sein.« Ähnli<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> G. Jellinek,<br />

Die socialethis<strong>ch</strong>e Bedeutung von Re<strong>ch</strong>t, Unre<strong>ch</strong>t und Strafe (1878), S. 42: »Das Re<strong>ch</strong>t ist ni<strong>ch</strong>ts<br />

An<strong>der</strong>es, als das ethis<strong>ch</strong>e Minimum. Objectiv sind es die Erhaltungsbedingungen <strong>der</strong> Gesells<strong>ch</strong>aft,<br />

soweit sie vom mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Willen abhängig sind, also das Existenzminimum ethis<strong>ch</strong>er Normen,<br />

subjectiv ist es das Minimum sittli<strong>ch</strong>er Lebensbethätigung und Gesinnung, wel<strong>ch</strong>es von den<br />

Gesells<strong>ch</strong>aftsglie<strong>der</strong>n gefor<strong>der</strong>t wird.« (Hervorhebung bei Jellinek).<br />

15 Vgl. aus <strong>der</strong> umfangrei<strong>ch</strong>en Literatur zum Begriff des Re<strong>ch</strong>ts die Bestimmungsversu<strong>ch</strong>e bei H.L.A.<br />

Hart, Positivism and the Separation of Law and Morals (1958), S. 622 ff. – notwendiger moralis<strong>ch</strong>er<br />

Mindestgehalt; <strong>der</strong>s., Concept of Law (1961) – re<strong>ch</strong>tspositivistis<strong>ch</strong>e Bestimmung, allerdings<br />

mit Ausnahmen auf S. 189 ff. (minimum content of natural law) sowie S. 202 (rules must be intelligible<br />

and, in general, not retrospective); L.L. Fuller, Morality of Law (1964), S. 95 ff., 152 ff. (internal morality<br />

of law); F. Bydlinski, Juristis<strong>ch</strong>e Methodenlehre und Re<strong>ch</strong>tsbegriff (1982), S. 177 ff., 317 ff. (»wertbezogener«<br />

Re<strong>ch</strong>tsbegriff); R. Dreier, Der Begriff des Re<strong>ch</strong>ts (1984), S. 95 ff.; R. Alexy, Begriff und Geltung<br />

des Re<strong>ch</strong>ts (1992), S. 18 ff., 31 ff. (beide zur ni<strong>ch</strong>tpositivistis<strong>ch</strong>en Bestimmung des Re<strong>ch</strong>tsbegriffs).<br />

Na<strong>ch</strong>weise zur späteren Diskussion bei M. Kaufmann, Re<strong>ch</strong>tsphilosophie (1996), S. 199 ff.;<br />

A. Englän<strong>der</strong>, Zur begriffli<strong>ch</strong>en Mögli<strong>ch</strong>keit des Re<strong>ch</strong>tspositivismus (1997), S. 437 ff. Klassikertexte<br />

zum Begriff des Re<strong>ch</strong>ts finden si<strong>ch</strong> versammelt bei W. Maihofer, Begriff und Wesen des Re<strong>ch</strong>ts<br />

(1973).<br />

16 Aus <strong>der</strong> Literatur etwa H.L.A. Hart, Positivism and the Separation of Law and Morals (1958),<br />

S. 601 (ambiguous use of »positivism«); <strong>der</strong>s., Concept of Law (1961), S. 181 ff. (natural law and legal<br />

positivism); F. Wieacker, Zum heutigen Stand <strong>der</strong> Naturre<strong>ch</strong>tsdiskussion (1965), S. 1 ff.; R. Alexy,<br />

Begriff und Geltung des Re<strong>ch</strong>ts (1992), S. 18 ff. (praktis<strong>ch</strong>e Bedeutung des Streits um den Re<strong>ch</strong>tspositivismus);<br />

J. Renzikowski, Naturre<strong>ch</strong>tslehre versus Re<strong>ch</strong>tspositivismus – ein Streit um Worte?<br />

(1995), S. 335 ff.; M. Kaufmann, Re<strong>ch</strong>tsphilosophie (1996), S. 30 ff., 138 ff. Vgl. au<strong>ch</strong> unten S. 89<br />

(Naturre<strong>ch</strong>tslehren).<br />

17 Zur Bandbreite re<strong>ch</strong>tspositivistis<strong>ch</strong>er <strong>Theorien</strong> mit unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er S<strong>ch</strong>werpunktsetzung und<br />

unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en, teils sogar wi<strong>der</strong>sprü<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Einzelaussagen zählen J.L. Austins Imperativentheorie,<br />

H. Kelsens Reine Re<strong>ch</strong>tslehre, H.L.A. Harts analytis<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>tstheorie und au<strong>ch</strong> N. Luhmanns<br />

systemtheoretis<strong>ch</strong>er Prozeduralismus. Bei einer Entgegensetzung von Re<strong>ch</strong>tspositivismus<br />

und Naturre<strong>ch</strong>tslehre ist in aller Regel ein Re<strong>ch</strong>tspositivismus gemeint, <strong>der</strong> glei<strong>ch</strong>zeitig die starke<br />

These des metaethis<strong>ch</strong>en Nonkognitivismus vertritt, also behauptet, daß in Fragen <strong>der</strong> Moral keine<br />

Erkenntnis mögli<strong>ch</strong> ist. Das kann z.B. für H.L.A. Hart verneint werden und ist selbst bei H. Kelsen<br />

ni<strong>ch</strong>t eindeutig festzustellen, da ein Skeptizismus im engeren Sinne ni<strong>ch</strong>t notwendig Nonkognitivismus<br />

bedeutet. Statt eine paus<strong>ch</strong>ale Entgegensetzung zum Re<strong>ch</strong>tspositivismus zu versu<strong>ch</strong>en,<br />

ist es deshalb treffen<strong>der</strong>, <strong>der</strong> Naturre<strong>ch</strong>tslehre den moralis<strong>ch</strong>en Skeptizismus gegenüberzustellen;<br />

dazu unten S. 82 (nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>e Grundposition).<br />

18 Exemplaris<strong>ch</strong> H. Kelsen, Das Problem <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1960), S. 360: »In dieser Unabhängigkeit<br />

<strong>der</strong> Geltung des positiven Re<strong>ch</strong>ts von seinem Verhältnis zu einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm liegt <strong>der</strong><br />

wesentli<strong>ch</strong>e Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en Naturre<strong>ch</strong>tslehre und Re<strong>ch</strong>tspositivismus.« Zu an<strong>der</strong>en, teils<br />

weitergehenden re<strong>ch</strong>tspositivistis<strong>ch</strong>en Kernthesen (Imperativentheorie, Nonkognitivismus) vgl.<br />

H.L.A. Hart, Positivism and the Separation of Law and Morals (1958), S. 593 ff. sowie die Analyse<br />

von fünf positivistis<strong>ch</strong>en Grundthesen bei W. Kersting, Re<strong>ch</strong>tsverbindli<strong>ch</strong>keit und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

bei Thomas Hobbes (1998), S. 358 f.<br />

30


des positives Re<strong>ch</strong>t sein 19 . Die Gegenthese wurde in ihrer wirkmä<strong>ch</strong>tigsten Form in<br />

Reaktion auf die historis<strong>ch</strong>e Erfahrung des Nationalsozialismus in <strong>der</strong> 'Radbru<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>en<br />

Formel' geprägt 20 und erlebte mit den 'Mauers<strong>ch</strong>ützenprozessen' eine unerwartete<br />

Renaissance 21 . Folgt man dieser Formel, dann sind »Geri<strong>ch</strong>te so unabweisbar<br />

mit dem <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbezug des Re<strong>ch</strong>ts konfrontiert, daß dessen Ausklammerung<br />

glei<strong>ch</strong>bedeutend mit einer Verfehlung ihrer Aufgabe wäre« 22 .<br />

Do<strong>ch</strong> die Annahme eines moralis<strong>ch</strong>en Mindestgehalts des Re<strong>ch</strong>ts ist gar ni<strong>ch</strong>t nötig,<br />

um die Bedeutung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> für das Re<strong>ch</strong>t zu belegen. Allzu lei<strong>ch</strong>t wird<br />

übersehen, daß die gegensätzli<strong>ch</strong>en Positionen zum Begriff des Re<strong>ch</strong>ts in ihren praktis<strong>ch</strong>en<br />

Konsequenzen ni<strong>ch</strong>t sehr weit auseinan<strong>der</strong>liegen. Selbst wenn man mit <strong>der</strong><br />

re<strong>ch</strong>tspositivistis<strong>ch</strong>en Trennungsthese einen notwendigen moralis<strong>ch</strong>en Mindestgehalt<br />

des Re<strong>ch</strong>ts ablehnt, verbleiben no<strong>ch</strong> Berei<strong>ch</strong>e, in denen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen für<br />

die Re<strong>ch</strong>tspraxis Bedeutung erlangen (normativer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgehalt) 23 . Die Trennungsthese<br />

for<strong>der</strong>t nur eine moralunabhängige Bestimmung des Re<strong>ch</strong>tsbegriffs,<br />

ni<strong>ch</strong>t aber den Verzi<strong>ch</strong>t auf jede Kritik am geltenden Re<strong>ch</strong>t im Namen <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

24 . Sie s<strong>ch</strong>ließt au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t aus, daß si<strong>ch</strong> im Re<strong>ch</strong>tssystem moralis<strong>ch</strong>e Vorstellungen<br />

verwirkli<strong>ch</strong>en 25 . Umgekehrt spre<strong>ch</strong>en selbst Naturre<strong>ch</strong>tslehren – abgesehen von<br />

den seltenen Grenzfällen, die in <strong>der</strong> Radbru<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>en Formel konkretisiert sind – einer<br />

ungere<strong>ch</strong>ten 'Re<strong>ch</strong>ts'-Norm ni<strong>ch</strong>t automatis<strong>ch</strong> ihre Re<strong>ch</strong>tsqualität und ihren Gel-<br />

19 Vgl. H. Kelsen, Reine Re<strong>ch</strong>tslehre (1960), S. 51: »Eine Re<strong>ch</strong>tsordnung mag vom Standpunkt einer<br />

bestimmten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm aus als ungere<strong>ch</strong>t beurteilt werden. Aber die Tatsa<strong>ch</strong>e, daß <strong>der</strong><br />

Inhalt einer wirksamen Zwangsordnung als ungere<strong>ch</strong>t beurteilt werden kann, ist jedenfalls kein<br />

Grund, diese Zwangsordnung ni<strong>ch</strong>t als Re<strong>ch</strong>tsordnung gelten zu lassen.«<br />

20 G. Radbru<strong>ch</strong>, Gesetzli<strong>ch</strong>es Unre<strong>ch</strong>t und übergesetzli<strong>ch</strong>es Re<strong>ch</strong>t (1946), S. 345: »Der Konflikt zwis<strong>ch</strong>en<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> und <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit dürfte dahin zu lösen sein, daß das positive,<br />

dur<strong>ch</strong> Satzung und Ma<strong>ch</strong>t gesi<strong>ch</strong>erte Re<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> dann den Vorrang hat, wenn es inhaltli<strong>ch</strong> ungere<strong>ch</strong>t<br />

und unzweckmäßig ist, es sei denn, daß <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong> des positiven Gesetzes zur <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

ein so unterträgli<strong>ch</strong>es Maß errei<strong>ch</strong>t, daß das Gesetz als 'unri<strong>ch</strong>tiges Re<strong>ch</strong>t' <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

zu wei<strong>ch</strong>en hat«. Dem ist die deuts<strong>ch</strong>e Na<strong>ch</strong>kriegsjudikatur gefolgt, etwa BVerfGE 23, 98<br />

(98): »Nationalsozialistis<strong>ch</strong>en 'Re<strong>ch</strong>ts'vors<strong>ch</strong>riften kann die Geltung als Re<strong>ch</strong>t abgespro<strong>ch</strong>en werden,<br />

wenn sie fundamentalen Prinzipien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> so evident wi<strong>der</strong>spre<strong>ch</strong>en, daß <strong>der</strong><br />

Ri<strong>ch</strong>ter, <strong>der</strong> sie anwenden o<strong>der</strong> ihre Re<strong>ch</strong>tsfolgen anerkennen wollte, Unre<strong>ch</strong>t statt Re<strong>ch</strong>t spre<strong>ch</strong>en<br />

würde.«<br />

21 Zu Notwendigkeit und Grenzen <strong>der</strong> Radbru<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>en Formel siehe einerseits R. Alexy, Begriff und<br />

Geltung des Re<strong>ch</strong>ts (1992), S. 15 ff., 52 ff., 201 (Bedeutung für den Re<strong>ch</strong>tsbegriff); <strong>der</strong>s., Mauers<strong>ch</strong>ützen<br />

(1993), S. 3 ff. und an<strong>der</strong>erseits H. Dreier, Gustav Radbru<strong>ch</strong> und die Mauers<strong>ch</strong>ützen<br />

(1997), 422 ff., 428 ff. (Entbehrli<strong>ch</strong>keit <strong>der</strong> Formel), beide m.w.N.<br />

22 R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 123.<br />

23 Vgl. W. Kersting, Herrs<strong>ch</strong>aftslegitimation (1997), S. 34, 37: Würde die Trennungsthese besagen,<br />

daß si<strong>ch</strong> in einem Re<strong>ch</strong>tssystem keine moralis<strong>ch</strong>en Vorstellungen auswirken, so wäre sie empiris<strong>ch</strong><br />

fals<strong>ch</strong>. Der Re<strong>ch</strong>tspositivismus stellt si<strong>ch</strong> dem Programm einer staats- und re<strong>ch</strong>tsethis<strong>ch</strong>en<br />

Legitimationstheorie keinesfalls entgegen. Im Ergebnis ähnli<strong>ch</strong> P. Koller, Zur Verträgli<strong>ch</strong>keit von<br />

Re<strong>ch</strong>tspositivismus und Naturre<strong>ch</strong>t (1983), S. 355 ff. – Dazu soglei<strong>ch</strong> S. 32 ff.<br />

24 O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 165.<br />

25 So ausdrückli<strong>ch</strong> W. Kersting, Herrs<strong>ch</strong>aftslegitimation (1997), S. 14, <strong>der</strong> deshalb vors<strong>ch</strong>lägt, die<br />

Trennungsthese umzutaufen in die »These von <strong>der</strong> begriffli<strong>ch</strong>en Unabhängigkeit des Re<strong>ch</strong>ts von<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>«.<br />

31


tungsanspru<strong>ch</strong> ab: Re<strong>ch</strong>tsgehorsam ist in aller Regel au<strong>ch</strong> gegenüber ungere<strong>ch</strong>tem<br />

Re<strong>ch</strong>t ges<strong>ch</strong>uldet 26 .<br />

Der Streit um den Re<strong>ch</strong>tsbegriff zeigt si<strong>ch</strong> damit als wenig geeignet, die Bedeutung<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> für das Re<strong>ch</strong>t vollständig zu erfassen. Die Leitfrage dieser<br />

Untersu<strong>ch</strong>ung »Wie kann Re<strong>ch</strong>t gere<strong>ch</strong>t sein?« soll deshalb im folgenden ni<strong>ch</strong>t auf den<br />

Grundlagenstreit zum moralis<strong>ch</strong>en Mindestgehalt des Re<strong>ch</strong>ts konzentriert werden<br />

(analytis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgehalt); vielmehr gilt das Hauptaugenmerk dem normativen<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgehalt des Re<strong>ch</strong>ts.<br />

C. Der normative <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgehalt des Re<strong>ch</strong>ts<br />

In <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tspraxis konkreter positiver Re<strong>ch</strong>tsordnungen zeigt si<strong>ch</strong> ein tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es<br />

und regelmäßiges Bedürfnis, Ents<strong>ch</strong>eidungen damit zu begründen, daß sie ges<strong>ch</strong>riebenen<br />

o<strong>der</strong> unges<strong>ch</strong>riebenen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen entspre<strong>ch</strong>en (normativer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgehalt).<br />

Vereinfa<strong>ch</strong>t ausgedrückt: Re<strong>ch</strong>t mag ni<strong>ch</strong>t immer gere<strong>ch</strong>t sein, aber es<br />

soll immer gere<strong>ch</strong>t sein 27 . Die Frage na<strong>ch</strong> ri<strong>ch</strong>tigem Re<strong>ch</strong>t ist glei<strong>ch</strong>bedeutend mit <strong>der</strong><br />

Frage na<strong>ch</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Re<strong>ch</strong>t 28 . Man muß deshalb ni<strong>ch</strong>t erst »für eine Versöhnung<br />

zwis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>tspositivismus und Naturre<strong>ch</strong>tslehre eintreten« 29 , um die Bedeu-<br />

26 Vgl. G. Radbru<strong>ch</strong>, Gesetzli<strong>ch</strong>es Unre<strong>ch</strong>t und übergesetzli<strong>ch</strong>es Re<strong>ch</strong>t (1946), S. 345 – Das positive<br />

Re<strong>ch</strong>t habe grundsätzli<strong>ch</strong> »au<strong>ch</strong> dann den Vorrang ..., wenn es inhaltli<strong>ch</strong> ungere<strong>ch</strong>t und unzweckmäßig<br />

ist«; ähnli<strong>ch</strong> bereits die naturre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Konzeption von T. Hobbes, Leviathan (1651),<br />

Kapitel 21: »[N]othing the Soveraign Representative can doe to a Subject, on what pretence soever,<br />

can properly be called Injustice, or Injury; because every Subject is Author of every act the<br />

Soveraign doth; ... The Obligation of the Subject to the Sovereign, is un<strong>der</strong>stood to last as long,<br />

and no longer, than the power lasteth, by whi<strong>ch</strong> he is able to protect them.« Zur Mögli<strong>ch</strong>keit ungere<strong>ch</strong>ten<br />

aber glei<strong>ch</strong>wohl gültigen Re<strong>ch</strong>ts trotz naturre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er Konzeption vgl. au<strong>ch</strong> H. Haug,<br />

Die S<strong>ch</strong>ranken <strong>der</strong> Verfassungsrevision (1946), S. 63 ff. (66, 231 f.).<br />

27 Ebenso A. Kaufmann, Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1984), S. 9: »zumindest Bewertungsmaßstab muß<br />

die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> sein, will man ni<strong>ch</strong>t einem unfru<strong>ch</strong>tbaren Skeptizismus verfallen«. Insoweit<br />

übereinstimmend sogar H. Kelsen, Das Problem <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1960), S. 402: »<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

s<strong>ch</strong>reibt vor, wie das Re<strong>ch</strong>t ... inhaltli<strong>ch</strong> gestaltet werden soll«.<br />

28 Insoweit besteht breite Übereinstimmung, wenn au<strong>ch</strong> im Einzelfall mit unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er Bedeutungszuweisung;<br />

vgl. M. Rümelin, Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1920), S. 50 (»[Ein] <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff, <strong>der</strong><br />

das Gere<strong>ch</strong>te faßt als das, was ... dem ri<strong>ch</strong>tigen Re<strong>ch</strong>t entspri<strong>ch</strong>t.«); G. Radbru<strong>ch</strong>, Re<strong>ch</strong>tsphilosophie<br />

(1973), S. 346 (»Denn man kann Re<strong>ch</strong>t, au<strong>ch</strong> positives Re<strong>ch</strong>t, gar ni<strong>ch</strong>t an<strong>der</strong>s definieren denn<br />

als eine Ordnung und Satzung, die ihrem Sinn na<strong>ch</strong> bestimmt ist, <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> zu dienen.«);<br />

I. Tammelo, Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1977), S. 7 (Entspre<strong>ch</strong>ung des positiven Re<strong>ch</strong>ts zu ethis<strong>ch</strong>en<br />

For<strong>der</strong>ungen); A. Kaufmann, <strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1989), S. 5, 7 (Glei<strong>ch</strong>setzung<br />

von 'ri<strong>ch</strong>tigem Re<strong>ch</strong>t' mit dem Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>); R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

(1991), S. 95 (<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> sei die Frage <strong>der</strong> 'materialen Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Re<strong>ch</strong>ts'); H. Kelsen, Das<br />

Problem <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1960), S. 402 (»<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> s<strong>ch</strong>reibt vor, wie das Re<strong>ch</strong>t ... inhaltli<strong>ch</strong><br />

gestaltet werden soll.«); T. Mayer-Maly, Re<strong>ch</strong>tswissens<strong>ch</strong>aft (1988), S. 103 (»Geht es dagegen um<br />

Re<strong>ch</strong>tskritik, so wird eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>slehre unentbehrli<strong>ch</strong>.«); W. Leisner, Der Abwägungsstaat<br />

(1997), S. 42 (Annäherung an <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als einem »vers<strong>ch</strong>leierten Ideal allen Re<strong>ch</strong>ts«). Mit<br />

an<strong>der</strong>em <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff hingegen K. Engis<strong>ch</strong>, Auf <strong>der</strong> Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1971),<br />

S. 186: »Exakt ausgedrückt ist also die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> eine notwendige, aber keine hinrei<strong>ch</strong>ende<br />

Bedingung <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er Anordnungen (Normen, Urteile, Verwaltungsakte).«<br />

29 So z.B. J. Renzikowski, Naturre<strong>ch</strong>tslehre versus Re<strong>ch</strong>tspositivismus – ein Streit um Worte? (1995),<br />

S. 346 m.w.N.<br />

32


tung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> für das Re<strong>ch</strong>t aufzuzeigen. Es gibt mindestens drei Gründe,<br />

aus denen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen im Re<strong>ch</strong>t relevant werden können 30 : den Legitimationsbedarf<br />

<strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsordnung insgesamt (I), den Orientierungsbedarf interpretieren<strong>der</strong><br />

Re<strong>ch</strong>tsanwendung (II) und den Umsetzungsbedarf re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> festgelegter <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>svorstellungen<br />

(III). Sol<strong>ch</strong>e Gründe illustrieren die Bedeutung, die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen<br />

im positiven Re<strong>ch</strong>t tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> und regelmäßig zukommt. Dieser Befund<br />

führt zu <strong>der</strong> Frage, ob <strong>der</strong> dadur<strong>ch</strong> umrissene normative <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgehalt des<br />

Re<strong>ch</strong>ts bloß kontingent, o<strong>der</strong> ob er notwendig ist (IV).<br />

I. Re<strong>ch</strong>tfertigung <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsordnung (Legitimationsbedarf)<br />

Eine Re<strong>ch</strong>tsordnung brau<strong>ch</strong>t mehr als die bloße tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Anerkennung ihrer Geltungsansprü<strong>ch</strong>e<br />

dur<strong>ch</strong> verbreiteten Re<strong>ch</strong>tsgehorsam. Sie ist eine Zwangsordnung<br />

und bedarf, um auf Dauer bestehen zu können, <strong>der</strong> Legitimation. Legitimation bedeutet,<br />

daß si<strong>ch</strong> unabhängig von historis<strong>ch</strong> kontingenten Überzeugungen gute Gründe<br />

dafür finden lassen, die Ordnung <strong>der</strong> Gesells<strong>ch</strong>aft re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> so und ni<strong>ch</strong>t an<strong>der</strong>s zu<br />

gestalten 31 . Herrs<strong>ch</strong>aft muß auf praktis<strong>ch</strong>er Erkenntnis, ni<strong>ch</strong>t auf einem bloßen Bekenntnis<br />

beruhen. Um einen sol<strong>ch</strong>en Legitimationsbedarf <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsordnung festzustellen,<br />

müssen keine vorgesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te bes<strong>ch</strong>woren werden.<br />

S<strong>ch</strong>on die erfolgrei<strong>ch</strong>e Selbsterhaltung <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsordnung als Zwangsordnung<br />

ma<strong>ch</strong>t ihre Legitimation erfor<strong>der</strong>li<strong>ch</strong>. Denn Zwang besteht dauerhaft nur dort, wo<br />

Gründe gelten, die Gehorsam immer neu hervorzubringen geeignet sind, wo also<br />

Re<strong>ch</strong>tsgehorsam dur<strong>ch</strong> freiwillige Einsi<strong>ch</strong>t in die Notwendigkeit erzeugt wird.<br />

Juristen verweisen zur Legitimation ihrer Ents<strong>ch</strong>eidungen in <strong>der</strong> Regel auf höherrangige<br />

Re<strong>ch</strong>tsnormen. Das ist sinnvoll, um die Komplexität in <strong>der</strong> alltägli<strong>ch</strong>en<br />

Re<strong>ch</strong>tsfindung zu reduzieren. Es entbindet aber ni<strong>ch</strong>t von <strong>der</strong> Pfli<strong>ch</strong>t, gute Gründe<br />

au<strong>ch</strong> für die Geltung hö<strong>ch</strong>ster Re<strong>ch</strong>tsnormen (verfassungsre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er Grundents<strong>ch</strong>eidungen)<br />

geben zu können 32 . Warum sind Glei<strong>ch</strong>heit, Freiheit und Eigentum so<br />

und ni<strong>ch</strong>t an<strong>der</strong>s Bestandteil <strong>der</strong> Verfassung? Gerade die Verfassungsre<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung<br />

ist dieser Legitimationsproblematik ausgesetzt. Zumindest in mo<strong>der</strong>nen Staaten<br />

wird die Legitimation zur Re<strong>ch</strong>tsfrage 33 .<br />

<strong>Prozedurale</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien antworten auf die mit dem Legitimationsbedarf<br />

aufgeworfene Begründungslast mit mehr als einem politis<strong>ch</strong>en Bekenntnis zum<br />

Ergebnis. Sie stützen den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sanspru<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Gesells<strong>ch</strong>aftsordnung auf<br />

mögli<strong>ch</strong>st s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>e materiale Grundannahmen kombiniert mit mögli<strong>ch</strong>st starken<br />

30 Die Gründe sind ni<strong>ch</strong>t abs<strong>ch</strong>ließend gemeint; umfassen<strong>der</strong> etwa D. v.d. Pfordten, Re<strong>ch</strong>tsethik<br />

(1996), S. 210 ff. – insgesamt se<strong>ch</strong>s 'mögli<strong>ch</strong>e Relationstypen' zwis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>t und Moral.<br />

31 Zu diesem Legitimationsbegriff im Gegensatz zu dem (vielfa<strong>ch</strong> kritisierten) reduzierten Legitimationsbegriff<br />

von Luhmann siehe unten S. 148 ff. (Theorie <strong>der</strong> sozialen Systeme).<br />

32 H. Hofmann, Legitimität und Re<strong>ch</strong>tsgeltung (1977), S. 11: Legitimation verlange »die Re<strong>ch</strong>tfertigung<br />

staatli<strong>ch</strong>er Hoheitsakte und darüber hinaus die Re<strong>ch</strong>tfertigung <strong>der</strong> staatli<strong>ch</strong>en Herrs<strong>ch</strong>aftsordnung<br />

im ganzen aus einem einzigen, letzten und – jedenfalls dem Anspru<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> – allgemeinverbindli<strong>ch</strong>en<br />

Prinzip.«<br />

33 H. Hofmann, Legitimität und Re<strong>ch</strong>tsgeltung (1977), S. 13, 18. Vgl. zur spezifis<strong>ch</strong>en Legitimationsbedürftigkeit<br />

mo<strong>der</strong>ner Re<strong>ch</strong>tsordnungen M. Morlok, Was ist und zu wel<strong>ch</strong>em Ende studiert man<br />

Verfassungstheorie? (1988), S. 124 ff. – »Gewißheitsverluste«.<br />

33


prozeduralen Konzeptionen praktis<strong>ch</strong>er Vernunft. Damit liefern sie gute Gründe für<br />

Demokratie, Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te und an<strong>der</strong>e Elemente mo<strong>der</strong>ner Gesells<strong>ch</strong>aftsordnungen<br />

und tragen so wesentli<strong>ch</strong> zu <strong>der</strong>en Legitimation bei.<br />

II.<br />

Interpretierende Re<strong>ch</strong>tsanwendung (Orientierungsbedarf)<br />

Der Orientierungsbedarf interpretieren<strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsanwendung läßt si<strong>ch</strong> an einem<br />

Fallbeispiel zur Umverteilungsproblematik deutli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en: Darf <strong>der</strong> Gesetzgeber<br />

einer Gesells<strong>ch</strong>aftsgruppe (Arbeitgeber) eine Geldleistungspfli<strong>ch</strong>t auferlegen, mit <strong>der</strong><br />

die Berufsausbildung einer an<strong>der</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aftsgruppe (ausbildungssu<strong>ch</strong>ende Jugendli<strong>ch</strong>e)<br />

geför<strong>der</strong>t wird 34 ? Sol<strong>ch</strong>e und ähnli<strong>ch</strong>e Konstellationen, bei denen eine soziale<br />

Gruppe zugunsten einer an<strong>der</strong>en belastet wird, gehören zum Kernberei<strong>ch</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sproblematik. Sie betreffen gesamtgesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Verteilungsgere<strong>ch</strong>tigkeit,<br />

genauer: die soziale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 35 , und werfen regelmäßig die Frage<br />

auf, inwieweit Umverteilungen zulässig sind 36 . Wenn es an einer ausdrückli<strong>ch</strong>en<br />

Verfassungsbestimmung über die Zulässigkeit einer sol<strong>ch</strong>en Abgabe fehlt, kommt es<br />

bei <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidung auf Verfassungsinterpretation an. Diese wie<strong>der</strong>um greift explizit<br />

o<strong>der</strong> implizit auf Vorstellungen davon zurück, wel<strong>ch</strong>e Ordnungsvorstellung<br />

dem Verfassunggeber als Leitbild zugrunde lag 37 . Sol<strong>ch</strong>e vorpositiven Leitbil<strong>der</strong> finden<br />

si<strong>ch</strong> in <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien. Ginge man etwa von einem libertären Sozialvertragsmodell<br />

aus, so wäre jede Umverteilung ausges<strong>ch</strong>lossen. Eine an diesem Leitbild<br />

orientierte Verfassungsinterpretation zöge dem Gesetzgeber enge Grenzen und müßte<br />

die im Beispiel angespro<strong>ch</strong>ene Son<strong>der</strong>abgabe als unzulässig verwerfen. Ist das<br />

Leitbild hingegen ein egalitäres Sozialvertragsmodell, so sind Umverteilungen dur<strong>ch</strong><br />

den Gesetzgeber geradezu gefor<strong>der</strong>t. Entspre<strong>ch</strong>end würde die Verfassungsinterpretation<br />

zur Anerkennung einer weitgehenden Zulässigkeit von Abgaben<br />

tendieren 38 . Die Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung befriedigt ihren Orientierungsbedarf unter ande-<br />

34 Vgl. aus <strong>der</strong> deuts<strong>ch</strong>en Verfassungsjudikatur: BVerfGE 55, 274 – Berufsbildungsabgabe. Son<strong>der</strong>abgaben<br />

sind Geldleistungspfli<strong>ch</strong>ten, die einem begrenzten Personenkreis im Hinblick auf einen<br />

beson<strong>der</strong>en wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en o<strong>der</strong> sozialen Zusammenhang auferlegt werden.<br />

35 Vgl. unten S. 58 (Verteilungsgere<strong>ch</strong>tigkeit, soziale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

36 In verglei<strong>ch</strong>barer Weise problematis<strong>ch</strong> sind etwa die progressive Besteuerung, die Sozialbindung<br />

des Eigentums, S<strong>ch</strong>utzpfli<strong>ch</strong>ten des Staates und das Sozialstaatsprinzip.<br />

37 H. Dreier, Ethik des Re<strong>ch</strong>ts (1992), S. 40 f.; <strong>der</strong>s., Re<strong>ch</strong>tsethik und staatli<strong>ch</strong>e Legitimität (1993),<br />

S. 389 – Verfassungsinterpretation als »Akt praktis<strong>ch</strong> wirksamer re<strong>ch</strong>tsphilosophis<strong>ch</strong>er Anstrengung«;<br />

D. v.d. Pfordten, Re<strong>ch</strong>tsethik (1996), S. 218 f. – Verfassungsnormen als 'evaluative Vorgaben'.<br />

Vgl. zum tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Moralbezug des positiven Re<strong>ch</strong>ts: H.L.A. Hart, Concept of Law<br />

(1961), S. 181: »Thus, it cannot seriously be disputet that the development of law, at all times and<br />

places, has in fact been profoundly influenced both by the conventional morality and ideals of<br />

particular social groups, and also by forms of enlightened moral criticism urged by individuals,<br />

whose moral horizon has transcended the morality currently accepted.«<br />

38 Im zitierten Fall hat das Bundesverfassungsgeri<strong>ch</strong>t einen Mittelweg gewählt. Der Gesetzgeber<br />

dürfe zwar aus Gründen des Individuals<strong>ch</strong>utzes ni<strong>ch</strong>t 'na<strong>ch</strong> seiner Wahl' eine öffentli<strong>ch</strong>e Aufgabe<br />

dur<strong>ch</strong> parafiskalis<strong>ch</strong>e Son<strong>der</strong>abgaben finanzieren, habe dazu aber innerhalb enger Grenzen (homogene<br />

Gruppe, Sa<strong>ch</strong>nähe, gruppennützige Verwendung, Ausnahme<strong>ch</strong>arakter) Kompetenz. Siehe<br />

BVerfGE 55, 274 (300 ff.). Die Senatsmehrheit hielt diese Grenzen für eingehalten (BVerfGE 55,<br />

274 [274 f.]), während die Ri<strong>ch</strong>ter Rinck, Steinberger und Träger in ihrem Son<strong>der</strong>votum (BVerfGE<br />

34


em aus vorpositiven Leitbil<strong>der</strong>n, wie sie dur<strong>ch</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien bes<strong>ch</strong>rieben<br />

und begründet werden. Wenn dieser Rückgriff auf konkret begründete <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>skonzepte<br />

statt auf diffuse 'Mens<strong>ch</strong>enbil<strong>der</strong>' geri<strong>ch</strong>tet ist, leistet die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie<br />

mittelbar einen Beitrag zu Re<strong>ch</strong>tsklarheit, Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit und damit<br />

letztli<strong>ch</strong> zur Ri<strong>ch</strong>tigkeit <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsanwendung 39 .<br />

III. Konkretisierende Re<strong>ch</strong>tsanwendung (Umsetzungsbedarf)<br />

Ein Umsetzungsbedarf besteht, wo immer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>svorstellungen re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> verbindli<strong>ch</strong><br />

gema<strong>ch</strong>t, das heißt als »geronnene Moral« 40 vom Normgeber in abstrakt-generelle<br />

Re<strong>ch</strong>tssätze gegossen wurden 41 . Insbeson<strong>der</strong>e die abwägende und ausglei<strong>ch</strong>ende<br />

Einzelfallgere<strong>ch</strong>tigkeit, die Billigkeit 42 , »ist na<strong>ch</strong> mo<strong>der</strong>nen Re<strong>ch</strong>tsordnungen<br />

für den Ri<strong>ch</strong>ter in vielen Fällen Ri<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>nur und Leitbild.« 43 Moralgehalte im positiven<br />

Re<strong>ch</strong>t sind dabei keinesfalls immer unproblematis<strong>ch</strong>, lassen si<strong>ch</strong> erstens nur in<br />

Grenzen überhaupt kodifizieren 44 und bergen zweitens Gefahren, wie ein moralisierendes<br />

Strafre<strong>ch</strong>t bis in die jüngste Vergangenheit in vielen Staaten hinlängli<strong>ch</strong> gezeigt<br />

hat 45 . Do<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>e Gefahren können ni<strong>ch</strong>t dazu führen, das positive Re<strong>ch</strong>t seines<br />

gesetzgeberis<strong>ch</strong> gewollten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>skontextes gänzli<strong>ch</strong> zu berauben 46 . Juristen<br />

müssen die im Re<strong>ch</strong>t kodifizierten, materialen und prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>svorstellungen<br />

dur<strong>ch</strong> Interpretation herausarbeiten und diejenigen Verfahrensbedingungen<br />

formulieren, <strong>der</strong>en Einhaltung erfor<strong>der</strong>li<strong>ch</strong> ist, um re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong><br />

festgelegte <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>skonzeptionen in <strong>der</strong> normkonkretisierenden Re<strong>ch</strong>tsanwendung<br />

effektiv zu verwirkli<strong>ch</strong>en. Materielle Gehalte kodifizierter <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> finden<br />

55, 274 [329 f.]) von einer ni<strong>ch</strong>t mehr gruppennützigen Verwendung ausgingen und die Gesetzgebungskompetenz<br />

aus allgemeinen Kompetenznormen verneinten.<br />

39 Vgl. beispielsweise die Kritik an unspezifis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>enbildformeln in <strong>der</strong> Judikatur des Bundesverfassungsgeri<strong>ch</strong>ts<br />

bei H. Dreier, Artikel 1 I GG (1996), Rn. 99 m.w.N.<br />

40 H. Dreier, Ethik des Re<strong>ch</strong>ts (1992), S. 28 f.; <strong>der</strong>s., Gesells<strong>ch</strong>aft, Re<strong>ch</strong>t, Moral (1993), S. 249 f.<br />

41 R. Dworkin, Taking Rights Seriously (1977), S. 185: »The [U.S.-]Constitution fuses legal and moral<br />

issues, by making the validity of a law depend on the answer to complex moral problems, like the<br />

problem of whether a particular statute respects the inherent equality of all men.«; D. v.d. Pfordten,<br />

Re<strong>ch</strong>tsethik (1996), S. 211 – »intentional-inkorporierende Beziehung zwis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>t und Moral«<br />

(Hervorhebung bei v.d. Pfordten). Vgl. N. Luhmann, Re<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Gesells<strong>ch</strong>aft (1993), S. 216 f.: »Wir<br />

hatten dur<strong>ch</strong>aus anerkannt, daß im Re<strong>ch</strong>tssystem Moralnormen zitiert und damit juridifiziert<br />

werden; ... das Re<strong>ch</strong>tssystem [muß] ni<strong>ch</strong>t auf die Idee <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> verzi<strong>ch</strong>ten.«<br />

42 Dazu unten S. 63 (engere <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffe).<br />

43 G. Wesner, Aequitas naturalis, 'natürli<strong>ch</strong>e Billigkeit', in <strong>der</strong> privatre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Dogmen- und Kodifikationsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

(1996), S. 105; kritis<strong>ch</strong> gegenüber sol<strong>ch</strong>em »Einzelfall-Re<strong>ch</strong>t« W. Leisner, Der Abwägungsstaat<br />

(1997), S. 230 ff.<br />

44 Vgl. dazu K.-H. Ladeur, Postmo<strong>der</strong>ne Re<strong>ch</strong>tstheorie (1992), S. 75: »Eine Moralisierung des Verfassungsre<strong>ch</strong>ts<br />

müßte sehr s<strong>ch</strong>nell an die Grenze <strong>der</strong> Konsensfähigkeit und Institutionalisierbarkeit<br />

von Werten stoßen.«<br />

45 Vgl. dazu T. Geiger, Über Moral und Re<strong>ch</strong>t (1979), S. 189 ff. – Plädoyer gegen ein Strafre<strong>ch</strong>t, das<br />

'moralis<strong>ch</strong> infiziert' ist.<br />

46 A.A. offenbar T. Geiger, Über Moral und Re<strong>ch</strong>t (1979), S. 182 ff.: »Das Re<strong>ch</strong>t hat ni<strong>ch</strong>ts mit Moral<br />

zu tun« – mit den dort angeführten Beispielen läßt si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> gesetzgeberis<strong>ch</strong> gewollte <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>skontext<br />

indes ni<strong>ch</strong>t wi<strong>der</strong>legen.<br />

35


si<strong>ch</strong> unmittelbar vor allem in verfassungsre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Glei<strong>ch</strong>heitssätzen 47 , die teils sogar<br />

mit <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> glei<strong>ch</strong>gesetzt o<strong>der</strong> jedenfalls unter Bezug auf <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>skonzeptionen<br />

konkretisiert werden 48 . Sie finden si<strong>ch</strong> darüber hinaus mittelbar in<br />

an<strong>der</strong>en Grundre<strong>ch</strong>ten mit Prinzipien<strong>ch</strong>arakter, da <strong>der</strong>en Geltung ein gegenüber <strong>der</strong><br />

Moral offenes System bildet, in dem si<strong>ch</strong> die notwendige Abwägung letztli<strong>ch</strong> auf<br />

Fragen <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> bezieht 49 . <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgehalte lassen si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t nur im<br />

Verfassungsre<strong>ch</strong>t 50 , son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong> im einfa<strong>ch</strong>en Gesetzesre<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> eine Analyse <strong>der</strong><br />

Dogmen- und Kodifikationsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te bis hin in ihre naturre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Wurzeln na<strong>ch</strong>weisen<br />

51 . Jenseits <strong>der</strong> materiellen finden si<strong>ch</strong> prozedurale Gehalte kodifizierter <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

in aller Regel im Prozeßre<strong>ch</strong>t und in den Verfahrensgrundre<strong>ch</strong>ten sowie<br />

als objektivre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er Verfahrensgehalt von Grundre<strong>ch</strong>ten 52 .<br />

Mit Bezug auf den Umsetzungsbedarf, <strong>der</strong> dur<strong>ch</strong> diese Gehalte kodifizierter <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

entsteht, formulieren prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien in ihrer Form<br />

als <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungstheorien die Verfahrensbedingungen, unter denen die<br />

konkret gewonnenen Re<strong>ch</strong>tsnormen gere<strong>ch</strong>t sind und so dem Handlungsauftrag des<br />

Satzung-, Verordnung-, Gesetz- o<strong>der</strong> Verfassunggebers entspre<strong>ch</strong>en 53 . So kann man<br />

die Theorie des demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaates insgesamt als Ausdruck einer<br />

prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie begreifen, weil sie die Bedingungen festlegt, unter<br />

denen Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und Geri<strong>ch</strong>tsverfahren die größtmögli<strong>ch</strong>e<br />

Gewähr gegen Ungere<strong>ch</strong>tigkeit bieten 54 .<br />

47 Vgl. aus <strong>der</strong> deuts<strong>ch</strong>en Verfassungsre<strong>ch</strong>tsdogmatik zum Glei<strong>ch</strong>heitssatz des Art. 3 I GG: G. Robbers,<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Re<strong>ch</strong>tsprinzip (1980), S. 87 ff. (<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Bestimmung des allgemeinen<br />

Glei<strong>ch</strong>heitssatzes), S. 93 ff. (Analyse <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung); E.-W. Böckenförde, Diskussionsbeitrag,<br />

in: VVDStRL 47 (1989), S. 95: »Wenn <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heitssatz ni<strong>ch</strong>t nur Re<strong>ch</strong>tsanwendungsglei<strong>ch</strong>heit,<br />

son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong> Re<strong>ch</strong>tssetzungsglei<strong>ch</strong>heit ... ist, dann erhält er m.E. unauswei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> einen<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sauftrag und damit au<strong>ch</strong> eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfunktion.« Gegen den Rückgriff auf<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien etwa C. Starck, Die Anwendung des Glei<strong>ch</strong>heitssatzes (1982), S. 62 f.<br />

48 Glei<strong>ch</strong>setzung etwa bei W. Henke, Juristis<strong>ch</strong>e Systematik <strong>der</strong> Grundre<strong>ch</strong>te (1984), S. 5: »Der Anspru<strong>ch</strong><br />

auf Glei<strong>ch</strong>behandlung ri<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> ... auf proportionale Glei<strong>ch</strong>heit, ... eigentli<strong>ch</strong> also auf<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (suum cuique).« Konkretisierung etwa bei P. Kir<strong>ch</strong>hof, Objektivität und Willkür<br />

(1989), S. 85 f. Zum <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgehalt des allgemeinen Glei<strong>ch</strong>heitssatzes S. Huster, Re<strong>ch</strong>te und<br />

Ziele (1993), S. 29 ff., 195 ff.; F. Bydlinski, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als re<strong>ch</strong>tspraktis<strong>ch</strong>er Maßstab (1996), S. 110<br />

ff.<br />

49 R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> Grundre<strong>ch</strong>te (1985), S. 494; zum Prinzipienmodell außerdem J. Esser, Grundsatz<br />

und Norm (1956), S. 69 ff.; R. Dworkin, Taking Rights Seriously (1977), S. 14 ff., 46 ff.; <strong>der</strong>s.,<br />

Law's Empire (1986), S. 179 ff., 221 ff.; F. Bydlinski, Fundamentale Re<strong>ch</strong>tsgrundsätze (1988), passim;<br />

J.-R. Sieckmann, Regelmodelle und Prinzipienmodelle des Re<strong>ch</strong>tssystems (1990), passim; M. Borowski,<br />

Grundre<strong>ch</strong>te als Prinzipien (1998), S. 61 ff.<br />

50 Dazu M. Morlok, Was heißt und zu wel<strong>ch</strong>em Ende studiert man Verfassungstheorie? (1988), S. 91<br />

ff. – »Verfassung als <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sreserve«; W. Brugger, Gesetz, Re<strong>ch</strong>t, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1989), S. 7 –<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgrundsätze als »materiale Verfassungssubstanz«.<br />

51 G. Wesner, Aequitas naturalis, 'natürli<strong>ch</strong>e Billigkeit', in <strong>der</strong> privatre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Dogmen- und Kodifikationsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

(1996), S. 81 ff. m.w.N.<br />

52 Am Beispiel <strong>der</strong> deuts<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>tsordnung H. Goerli<strong>ch</strong>, Grundre<strong>ch</strong>te als Verfahrensgarantien<br />

(1981), S. 57 ff.<br />

53 Zu <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungstheorien R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 113 ff.; vgl. unten<br />

S. 88 ff.<br />

54 R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 113.<br />

36


IV. Zum notwendigen Anspru<strong>ch</strong> des Re<strong>ch</strong>ts auf Ri<strong>ch</strong>tigkeit<br />

Mit alledem ist illustriert, daß tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> und regelmäßig ein normativer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgehalt<br />

im positiven Re<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong>weisbar ist, <strong>der</strong> es erlaubt, die Frage na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> moralfreien<br />

(re<strong>ch</strong>tspositivistis<strong>ch</strong>en) o<strong>der</strong> moralabhängigen (naturre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en) Konzeptualisierung<br />

des Re<strong>ch</strong>tsbegriffs hier offen zu lassen: für Juristen bildet ni<strong>ch</strong>t erst die<br />

analytis<strong>ch</strong>e, son<strong>der</strong>n bereits die normative <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sdimension des Re<strong>ch</strong>ts einen<br />

hinrei<strong>ch</strong>enden Grund, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen zu studieren. Do<strong>ch</strong> läßt diese Feststellung<br />

bisher offen, ob <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> bloß kontingent, o<strong>der</strong> ob sie notwendig vom Re<strong>ch</strong>t<br />

gefor<strong>der</strong>t wird. Bloß kontingent wäre sie, wenn ein Re<strong>ch</strong>tssystem auf jeden <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbezug<br />

verzi<strong>ch</strong>ten und glei<strong>ch</strong>wohl weiter 'Re<strong>ch</strong>t' genannt werden könnte.<br />

In dieser Frage läßt si<strong>ch</strong> die Brücke zwis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> weiter verstärken,<br />

ohne in den Streit zwis<strong>ch</strong>en Naturre<strong>ch</strong>t und Re<strong>ch</strong>tspositivismus zu verfallen.<br />

Denn das Re<strong>ch</strong>t erhebt ni<strong>ch</strong>t bloß kontingent, son<strong>der</strong>n notwendig einen Anspru<strong>ch</strong> auf<br />

Ri<strong>ch</strong>tigkeit: <strong>der</strong> Begriff des Re<strong>ch</strong>ts kann ohne einen wie au<strong>ch</strong> immer gearteten Bezug<br />

zur Ri<strong>ch</strong>tigkeit ni<strong>ch</strong>t bestimmt werden 55 . Dieser implizite Ri<strong>ch</strong>tigkeitsanspru<strong>ch</strong> ist<br />

inhaltsoffen und kann deshalb selbst von denjenigen anerkannt werden, die einen begriffli<strong>ch</strong><br />

notwendigen, inhaltli<strong>ch</strong>en Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>t und Moral besteiten.<br />

Der Ri<strong>ch</strong>tigkeitsanspru<strong>ch</strong> ist inhaltsoffen, weil <strong>der</strong> Begriff des Re<strong>ch</strong>ts no<strong>ch</strong><br />

keine universelle Begründbarkeitsbehauptung impliziert, son<strong>der</strong>n nur (aber au<strong>ch</strong> immerhin)<br />

eine sol<strong>ch</strong>e aus Si<strong>ch</strong>t des Re<strong>ch</strong>ts. Wer als Akteur des Re<strong>ch</strong>ts, etwa als Ri<strong>ch</strong>ter<br />

o<strong>der</strong> Gesetzgeber, erstens die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Re<strong>ch</strong>ts behauptet, zweitens dessen Begründbarkeit<br />

impliziert und drittens damit die Erwartung verbindet, daß es als ri<strong>ch</strong>tiges<br />

Re<strong>ch</strong>t anerkannt werde 56 , <strong>der</strong> sagt damit no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts über die Inhalte dieses Anspru<strong>ch</strong>s<br />

auf Ri<strong>ch</strong>tigkeit. Immerhin könnte die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Re<strong>ch</strong>ts allein darin gesehen<br />

werden, daß die kompetentiell ermä<strong>ch</strong>tigten Organe im vorges<strong>ch</strong>riebenen Verfahren<br />

und unter Wahrung <strong>der</strong> gebotenen Form handeln. We<strong>der</strong> einzelne Re<strong>ch</strong>tsnormen<br />

no<strong>ch</strong> bestimmte Kriterien <strong>der</strong> Normbegründung begleiten die Erkenntnis,<br />

daß es zu den Charakteristika von 'Re<strong>ch</strong>t' gehört, einen (wie au<strong>ch</strong> immer gearteten)<br />

Anspru<strong>ch</strong> auf Ri<strong>ch</strong>tigkeit zu erheben.<br />

Zum Streit zwis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>tspositivismus und Naturre<strong>ch</strong>t verhält si<strong>ch</strong> diese Erkenntnis<br />

folgli<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> neutral. Denno<strong>ch</strong> verstärkt sie die Brücke zwis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>t und<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> von einer bloß tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en und regelmäßigen zu einer notwendigen<br />

Beziehung. Denn <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> betrifft, wie no<strong>ch</strong> im Detail zu zeigen sein wird 57 , die<br />

Ri<strong>ch</strong>tigkeit sozialbezogenen Handelns – au<strong>ch</strong> diejenige des re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> geregelten Handelns.<br />

Damit erweist si<strong>ch</strong> die Begründung <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Re<strong>ch</strong>ts als Teil einer<br />

umfassenden <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung. Entspre<strong>ch</strong>end wurde s<strong>ch</strong>on oben festgestellt:<br />

Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Re<strong>ch</strong>ts ist ni<strong>ch</strong>ts an<strong>der</strong>es als <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Re<strong>ch</strong>t 58 . Bezogen<br />

auf den notwendigen Ri<strong>ch</strong>tigkeitsanspru<strong>ch</strong> des Re<strong>ch</strong>ts kann nunmehr formuliert<br />

55 Dazu und zum folgenden R. Alexy, Law and Correctness (1998), S. 205 ff. m.w.N. Ausdrückli<strong>ch</strong><br />

für einen Ri<strong>ch</strong>tigkeitsanspru<strong>ch</strong> als Element des Re<strong>ch</strong>tsbegriffs au<strong>ch</strong> J.P. Müller, Demokratis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

(1993), S. 149.<br />

56 Zu dieser 'Trilogie' des Anspru<strong>ch</strong>s auf Ri<strong>ch</strong>tigkeit R. Alexy, Law and Correctness (1998), S. 208 f.<br />

57 Dazu soglei<strong>ch</strong> S. 50 ff. (D 1 ).<br />

58 Dazu oben Fn. 28 (<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> und ri<strong>ch</strong>tiges Re<strong>ch</strong>t).<br />

37


werden: <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist die Erfüllung eines Anspru<strong>ch</strong>es, den das Re<strong>ch</strong>t notwendig<br />

erhebt.<br />

D. Die spezifis<strong>ch</strong> juristis<strong>ch</strong>e Perspektive <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

Bisher ist nur dargelegt, wel<strong>ch</strong>e Bedeutung die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Re<strong>ch</strong>t erlangen kann<br />

und warum ein (wie au<strong>ch</strong> immer inhaltli<strong>ch</strong> ausgestalteter) <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbezug zu<br />

den begriffli<strong>ch</strong> notwendigen Elementen des Re<strong>ch</strong>ts gehört. Damit ist no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t erklärt,<br />

weshalb <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ein Gegenstand <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tswissens<strong>ch</strong>aft sein soll. Denn es<br />

wäre eine wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Aufgabenverteilung denkbar, in <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen<br />

zwar in Philosophie, Religion, Politik, Psy<strong>ch</strong>ologie, Soziologie und an<strong>der</strong>en Wissens<strong>ch</strong>aften,<br />

ni<strong>ch</strong>t aber in <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tswissens<strong>ch</strong>aft untersu<strong>ch</strong>t werden 59 . Einer sol<strong>ch</strong>en<br />

'<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sabstinenz' <strong>der</strong> Jurisprudenz kann die These entgegengehalten werden,<br />

daß es eine spezifis<strong>ch</strong> juristis<strong>ch</strong>e Perspektive für <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen gibt, die es nötig<br />

ma<strong>ch</strong>t, <strong>der</strong>artige Fragen ni<strong>ch</strong>t nur als Gegenstand <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie und<br />

<strong>der</strong> empiris<strong>ch</strong>en Wissens<strong>ch</strong>aften, son<strong>der</strong>n außerdem als sol<strong>ch</strong>e <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tswissens<strong>ch</strong>aft<br />

zu begreifen. Bei <strong>der</strong> Begründung dieser These ist zwis<strong>ch</strong>en den re<strong>ch</strong>tswissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />

Teilberei<strong>ch</strong>en <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tstheorie und <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsdogmatik zu unters<strong>ch</strong>eiden.<br />

I. <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tstheorie<br />

Zur Re<strong>ch</strong>tstheorie zählt heute mehr als die bloße Bes<strong>ch</strong>äftigung mit formalen Eigens<strong>ch</strong>aften<br />

und Strukturen des Re<strong>ch</strong>ts 60 . Gemeint ist eine »allgemeine juristis<strong>ch</strong>e Theorie<br />

des Re<strong>ch</strong>ts und <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tswissens<strong>ch</strong>aft« 61 , in <strong>der</strong> analytis<strong>ch</strong>e, empiris<strong>ch</strong>e und<br />

normative Aussagen 62 über das Re<strong>ch</strong>t an si<strong>ch</strong> untersu<strong>ch</strong>t werden, also ohne Be-<br />

59 Diese Art <strong>der</strong> Aufgabenverteilung liegt offenbar <strong>der</strong> Reinen Re<strong>ch</strong>tslehre Kelsens zugrunde; vgl.<br />

H. Kelsen, Das Problem <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1960), S. 402 ff. (429 f.) – notwendige Wi<strong>der</strong>sprü<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>keit<br />

<strong>der</strong> Naturre<strong>ch</strong>tslehren. Ebenso die Bewertung bei R. Walter, Hans Kelsen, die Reine Re<strong>ch</strong>tslehre<br />

und das Problem <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1996), S. 208.<br />

60 So aber no<strong>ch</strong> A. Kaufmann, <strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1989), S. 5; D. v.d. Pfordten,<br />

Re<strong>ch</strong>tsethik (1996), S. 204 f. – Re<strong>ch</strong>tstheorie als 'deskriptiv-historis<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>tsphilosophie' im Gegensatz<br />

zur Re<strong>ch</strong>tsethik als materialer Re<strong>ch</strong>tsphilosophie. Zum Ganzen R. Dreier, Was ist und<br />

wozu Allgemeine Re<strong>ch</strong>tstheorie (1974), S. 17 ff.; R. Alexy/R. Dreier, The Concept of Jurisprudence<br />

(1990), S. 8; N. Luhmann, Das Re<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Gesells<strong>ch</strong>aft (1993), S. 9 ff. Wenig konkret die Definition<br />

<strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tstheorie als Reflexion <strong>der</strong> Identität des Re<strong>ch</strong>tes im Re<strong>ch</strong>tssystem selbst: N. Luhmann,<br />

Selbstreflexion des Re<strong>ch</strong>tssystems (1981), S. 446; sowie G. Roellecke, Theorie und Philosophie des<br />

Re<strong>ch</strong>tes, S. 1. Zu <strong>der</strong> Last einer marxistis<strong>ch</strong>-leninistis<strong>ch</strong>en und positivistis<strong>ch</strong>en Vereinnahmung<br />

des Re<strong>ch</strong>tstheoriebegriffs vgl. R. Dreier, Zum Verhältnis von Re<strong>ch</strong>tsphilosophie und Re<strong>ch</strong>tstheorie<br />

(1992), S. 15 f.<br />

61 So die Definition bei R. Dreier, Re<strong>ch</strong>tstheorie und Re<strong>ch</strong>tsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1989), S. 27; R. Alexy/R. Dreier,<br />

The Concept of Jurisprudence (1990), S. 7 ff.; ausführli<strong>ch</strong> R. Dreier, Zum Verhältnis von Re<strong>ch</strong>tsphilosophie<br />

und Re<strong>ch</strong>tstheorie (1992), S. 20 ff.<br />

62 Zu diesen Dimensionen <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tstheorie ausführli<strong>ch</strong> R. Alexy/R. Dreier, The Concept of Jurisprudence<br />

(1990), S. 9 ff. Im anglo-amerikanis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>gebrau<strong>ch</strong> hat si<strong>ch</strong> wegen <strong>der</strong> Vielfalt<br />

dieser Dimensionen eine Glei<strong>ch</strong>setzung von 'Legal Theory' und 'Jurisprudence' eingestellt; s. etwa<br />

J.J. Kelly, A Short History of Western Legal Theory (1992), S. xi.<br />

38


s<strong>ch</strong>ränkung auf ein bestimmtes Re<strong>ch</strong>tssystem 63 . Zwis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>tstheorie und<br />

Re<strong>ch</strong>tsphilosophie 64 bleibt deshalb keine Differenz mehr 65 .<br />

Die Re<strong>ch</strong>tstheorie hat si<strong>ch</strong> von <strong>der</strong> Anlehnung an die allgemeine Philosophie begriffli<strong>ch</strong><br />

und inhaltli<strong>ch</strong> zu einer genuin juristis<strong>ch</strong>en Disziplin emanzipiert 66 . Ihre Inhalte<br />

sind dadur<strong>ch</strong> bes<strong>ch</strong>ränkt, daß sie auf die Re<strong>ch</strong>tsdogmatik bezogen bleiben 67 .<br />

Daraus ergibt si<strong>ch</strong> die spezifis<strong>ch</strong> juristis<strong>ch</strong>e Perspektive au<strong>ch</strong> für <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen.<br />

Juristen su<strong>ch</strong>en na<strong>ch</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>smaßstäben für das Re<strong>ch</strong>t. Sie sind ni<strong>ch</strong>t an<br />

jedem beliebigen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sproblem glei<strong>ch</strong>ermaßen interessiert. Wenn beispielsweise<br />

Eltern eines ihrer Kin<strong>der</strong> den an<strong>der</strong>en vorziehen, so ist das eine große<br />

Ungere<strong>ch</strong>tigkeit – sol<strong>ch</strong>es Verhalten ist moralis<strong>ch</strong> verwerfli<strong>ch</strong>, didaktis<strong>ch</strong> und psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong><br />

unklug und ein soziales Unding. Denno<strong>ch</strong> werden dadur<strong>ch</strong>, sieht man<br />

von Extremfällen ab, keine Re<strong>ch</strong>tsfragen ausgelöst. Die hier verletzte <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

setzt keine re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Maßstäbe. Glei<strong>ch</strong>es gilt für an<strong>der</strong>e Sozialberei<strong>ch</strong>e, die für den<br />

einzelnen eminent wi<strong>ch</strong>tig sind und si<strong>ch</strong> einer re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Regelung do<strong>ch</strong> entziehen:<br />

Illoyalität unter Freunden, Betrug in <strong>der</strong> Liebe, soziale Ä<strong>ch</strong>tung von Min<strong>der</strong>heiten.<br />

Zugespitzt heißt das: Mögen au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> so ungere<strong>ch</strong>te Zustände in einer sozialen Beziehung<br />

vorherrs<strong>ch</strong>en, den Juristen interessieren sie erst, wenn diese Beziehung einer<br />

re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Regelung unterworfen ist. <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> unterliegt dadur<strong>ch</strong> in <strong>der</strong><br />

Re<strong>ch</strong>tstheorie einer spezifis<strong>ch</strong> juristis<strong>ch</strong>en Perspektive.<br />

Dem könnte ein methodis<strong>ch</strong>er Einwand entgegengehalten werden. Wenn in <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

einerseits Maßstäbe für die Beurteilung <strong>der</strong> sozialen Ordnung<br />

als ri<strong>ch</strong>tig und gere<strong>ch</strong>t erarbeitet werden, an<strong>der</strong>erseits aber die Theorie von Anfang<br />

an auf sol<strong>ch</strong>e Gegenstände bes<strong>ch</strong>ränkt wird, die vom Re<strong>ch</strong>t als relevant anerkannt<br />

sind, so wäre die Untersu<strong>ch</strong>ung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien aus re<strong>ch</strong>tstheoretis<strong>ch</strong>er<br />

Si<strong>ch</strong>t teilweise zirkulär, insoweit nämli<strong>ch</strong>, als sie die Grenzen <strong>der</strong> re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Regulierung<br />

unhinterfragt läßt. Um einem sol<strong>ch</strong>en Einwand zu begegnen und denno<strong>ch</strong><br />

den Berei<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Untersu<strong>ch</strong>ung sa<strong>ch</strong>gere<strong>ch</strong>t auf die spezifis<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Fragen zu<br />

konzentrieren, muß zum Gegenstand einer re<strong>ch</strong>tstheoretis<strong>ch</strong>en Untersu<strong>ch</strong>ung von<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien immer au<strong>ch</strong> die Ents<strong>ch</strong>eidung gere<strong>ch</strong>net werden, wel<strong>ch</strong>e Ge-<br />

63 Vgl. R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t - Moral - Ideologie, S. 10 f.<br />

64 Re<strong>ch</strong>tsphilosophie ist, in Anlehnung an die triadis<strong>ch</strong>e Definition <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tswissens<strong>ch</strong>aft im 19.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t, das dritte Teilgebiet <strong>der</strong> Jurisprudenz neben Re<strong>ch</strong>tsdogmatik und Re<strong>ch</strong>tsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te;<br />

vgl. R. Dreier, Re<strong>ch</strong>tstheorie und Re<strong>ch</strong>tsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1989), S. 17 ff. – Fragentrias zur Jurisprudenz:<br />

'Was ist re<strong>ch</strong>tens?' (Re<strong>ch</strong>tsdogmatik), 'Ist es vernünftig, daß es so sei?' (Re<strong>ch</strong>tsphilosophie) und<br />

'Wie ist es re<strong>ch</strong>tens geworden?' (Re<strong>ch</strong>tsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te). Spätestens dur<strong>ch</strong> die Arbeiten von Max Weber<br />

hat si<strong>ch</strong> in jüngerer Zeit die Re<strong>ch</strong>tssoziologie abgespalten, so daß nunmehr 'Re<strong>ch</strong>tsphilosophie'<br />

(bzw. Re<strong>ch</strong>tstheorie) die Re<strong>ch</strong>tswissens<strong>ch</strong>aft unter Abzug von Re<strong>ch</strong>tsdogmatik, Re<strong>ch</strong>tsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

und Re<strong>ch</strong>tssoziologie ist.<br />

65 Vgl. R. Dreier, Re<strong>ch</strong>tstheorie und Re<strong>ch</strong>tsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1989), S. 18: »Man kann sogar zweifeln, ob es<br />

überhaupt no<strong>ch</strong> sinnvoll sei, zwis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>tstheorie und Re<strong>ch</strong>tsphilosophie zu unters<strong>ch</strong>eiden.«;<br />

sowie <strong>der</strong>s., Zum Verhältnis von Re<strong>ch</strong>tsphilosophie und Re<strong>ch</strong>tstheorie (1992), S. 19: »Systematis<strong>ch</strong><br />

lassen si<strong>ch</strong> die Re<strong>ch</strong>tstheorie und die Re<strong>ch</strong>tsphilosophie ... we<strong>der</strong> gegenständli<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> methodis<strong>ch</strong><br />

streng voneinan<strong>der</strong> abgrenzen.« Vgl. au<strong>ch</strong> das breite Spektrum <strong>der</strong> ges<strong>ch</strong>il<strong>der</strong>ten Gegenstände<br />

bei E.P. Haba, Standortbestimmung zeitgenössis<strong>ch</strong>er Re<strong>ch</strong>tstheorie (1996), S. 280 ff.<br />

66 Zur Entwicklung M. Morlok, Was ist und zu wel<strong>ch</strong>em Ende studiert man Verfassungstheorie?<br />

(1988), S. 44 ff. (46 f.).<br />

67 R. Dreier, Re<strong>ch</strong>tstheorie und Re<strong>ch</strong>tsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1989), S. 18, 22 f.<br />

39


genstände einer re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Regelung zu unterwerfen sind. Es kann ungere<strong>ch</strong>t sein,<br />

wenn die Re<strong>ch</strong>tsordnung si<strong>ch</strong> aus wi<strong>ch</strong>tigen Sozialberei<strong>ch</strong>en zurückzieht. Sol<strong>ch</strong>e<br />

Ungere<strong>ch</strong>tigkeit muß dur<strong>ch</strong> eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie – au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> eine aus juristis<strong>ch</strong>er<br />

Perspektive definierte – aufgespürt werden. Die Frage, was re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> zu regeln<br />

ist, gehört also aus juristis<strong>ch</strong>er Perspektive ebenfalls zu den Fragen <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>.<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> wird dadur<strong>ch</strong>, juristis<strong>ch</strong> betra<strong>ch</strong>tet, umfassend genug, um als Inbegriff<br />

für 'ri<strong>ch</strong>tiges Re<strong>ch</strong>t' zu gelten 68 .<br />

II.<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsdogmatik<br />

Re<strong>ch</strong>tsdogmatik ist die Summe aller Lehrsätze in bezug auf ein bestimmtes Re<strong>ch</strong>tssystem.<br />

Sie ist die Lehre von <strong>der</strong> ri<strong>ch</strong>tigen Re<strong>ch</strong>tspraxis, d.h. <strong>der</strong> ri<strong>ch</strong>tigen Erzeugung<br />

und Anwendung von Normen des positiven Re<strong>ch</strong>ts innerhalb eines bestimmten<br />

Re<strong>ch</strong>tssystems 69 . An<strong>der</strong>s als Re<strong>ch</strong>tstheorie, Re<strong>ch</strong>tsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te und Re<strong>ch</strong>tssoziologie<br />

betrifft die Re<strong>ch</strong>tsdogmatik das konkret anzuwendende Re<strong>ch</strong>t und gilt deshalb als<br />

»Kerndisziplin <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tswissens<strong>ch</strong>aft« 70 in empiris<strong>ch</strong>er, analytis<strong>ch</strong>er und normativer<br />

Dimension 71 . Um ihres Bezuges zur Re<strong>ch</strong>tspraxis willen hat sie einen unaufgebbaren<br />

Bezug zur praktis<strong>ch</strong>en Vernunft 72 .<br />

Wenn <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Gegenstand <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsdogmatik untersu<strong>ch</strong>t wird, dann<br />

will <strong>der</strong> Jurist, an<strong>der</strong>s als <strong>der</strong> Philosoph, ni<strong>ch</strong>t nur wissen, wie si<strong>ch</strong> allgemeinste <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien<br />

begründen lassen. Ihn interessiert außerdem, wie <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

real wird. Kann die Re<strong>ch</strong>tsanwendung insgesamt als Subsumtion unter kodifizierte<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen ('geronnene Moral') angesehen werden? Weisen die abstrakt-generellen<br />

Ebenen <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung und die konkret-individuellen<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugung zumindest Parallelen auf? Steckt die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie<br />

überhaupt einen äußeren Rahmen für ri<strong>ch</strong>tige Re<strong>ch</strong>tsanwendung ab und<br />

handelt es si<strong>ch</strong> dabei um ein enges Korsett o<strong>der</strong> um ein Ents<strong>ch</strong>eidungsfeld von annähernd<br />

grenzenloser Weite? Sol<strong>ch</strong>e Fragen legen es nahe, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

jenseits <strong>der</strong> in politis<strong>ch</strong>er Philosophie übli<strong>ch</strong>en Prinzipiendiskussion zu erweitern<br />

und in ihrer Konsequenz für das Verständnis einzelner Re<strong>ch</strong>tsordnungen zu untersu<strong>ch</strong>en.<br />

68 Dazu oben Fn. 28 (<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> und ri<strong>ch</strong>tiges Re<strong>ch</strong>t).<br />

69 R. Dreier, Re<strong>ch</strong>tstheorie und Re<strong>ch</strong>tsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1989), S. 21 – Charakterisierung als 'juristis<strong>ch</strong>e<br />

Theorie des positiven Re<strong>ch</strong>ts eines bestimmten Re<strong>ch</strong>tssystems' und <strong>der</strong> Hinweis, daß das objektive<br />

Fors<strong>ch</strong>ungsinteresse (i.S.v. Erkenntnisinteresse) den Bezug zur Re<strong>ch</strong>tspraxis herstellt.<br />

70 R. Dreier, Re<strong>ch</strong>tstheorie und Re<strong>ch</strong>tsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1989), S. 21; R. Alexy/R. Dreier, The Concept of Jurisprudence<br />

(1990), S. 7.<br />

71 Vgl. R. Dreier, Re<strong>ch</strong>tstheorie und Re<strong>ch</strong>tsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1989), S. 22: »In ihrer empiris<strong>ch</strong>en Dimension<br />

ist sie [die Re<strong>ch</strong>tsdogmatik], faustformelartig ausgedrückt, auf die Sammlung und Si<strong>ch</strong>tung des<br />

positiven Re<strong>ch</strong>tsstoffs, in ihrer analytis<strong>ch</strong>en Dimension auf dessen begriffli<strong>ch</strong>-systematis<strong>ch</strong>e<br />

Dur<strong>ch</strong>dringung und in ihrer normativen, d.h. re<strong>ch</strong>tsethis<strong>ch</strong>en, Dimension darauf geri<strong>ch</strong>tet, im<br />

Vagheitsberei<strong>ch</strong> des positiven Re<strong>ch</strong>ts vernünftige Ents<strong>ch</strong>eidungsvors<strong>ch</strong>läge zu erarbeiten.«<br />

72 F. Wieacker, Zur praktis<strong>ch</strong>en Leistung <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsdogmatik (1970), S. 78: »Re<strong>ch</strong>tsdogmatik als Instrument<br />

<strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsfindung im Feld <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft und Moral«; R. Dreier, Re<strong>ch</strong>tstheorie<br />

und Re<strong>ch</strong>tsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1989), S. 17, 22.<br />

40


Mit juristis<strong>ch</strong>en Überlegungen zur Umsetzung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Re<strong>ch</strong>t ist die<br />

Domäne <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsdogmatik errei<strong>ch</strong>t. Hier übers<strong>ch</strong>neiden si<strong>ch</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

mit Re<strong>ch</strong>tslehren, insbeson<strong>der</strong>e mit <strong>der</strong> Staatsre<strong>ch</strong>tslehre. Wer die Frage na<strong>ch</strong><br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Re<strong>ch</strong>t beantworten will, darf deshalb ni<strong>ch</strong>t bei <strong>der</strong> Begründung<br />

oberster Prinzipien verharren, son<strong>der</strong>n muß zeigen, wie si<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>e Prinzipien im<br />

Re<strong>ch</strong>t umsetzen lassen, inwieweit sie beispielsweise Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>tsgarantien erfor<strong>der</strong>n,<br />

Demokratie gebieten o<strong>der</strong> Verfahrensregeln erzeugen. Aus juristis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t<br />

werden dabei diejenigen Aussagen in prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien beson<strong>der</strong>s<br />

wi<strong>ch</strong>tig, na<strong>ch</strong> denen ein prozedurales Verständnis au<strong>ch</strong> bei <strong>der</strong> Umsetzung von<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Re<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> eine 'rationalitätssi<strong>ch</strong>ernde Prozedur' zu for<strong>der</strong>n ist 73 .<br />

Das Re<strong>ch</strong>tssystem wird dann ni<strong>ch</strong>t bloß als Normensystem, son<strong>der</strong>n außerdem als<br />

mehrstufiges System von Prozeduren verstanden 74 . Insofern kann neben Regel- und<br />

Prinzipienebene von einer weiteren Ebene, <strong>der</strong> Prozedurebene, eines jeden Re<strong>ch</strong>tssystems<br />

gespro<strong>ch</strong>en werden 75 .<br />

III. <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien aus juristis<strong>ch</strong>er Perspektive<br />

Vor <strong>der</strong> Aufgabe des Re<strong>ch</strong>ts ers<strong>ch</strong>einen die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien in einem neuen<br />

Li<strong>ch</strong>t. Sie sind ni<strong>ch</strong>t länger nur <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründungs-, son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungstheorien<br />

76 . Das Programm einer bis in die re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Umsetzung<br />

hineinrei<strong>ch</strong>enden <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie ist keine Neuheit. S<strong>ch</strong>on Rawls hat von einer<br />

vierstufigen Konkretisierung seiner 'Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' über das Verfassungsre<strong>ch</strong>t<br />

und das einfa<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>t bis hin zur Re<strong>ch</strong>tsanwendung gespro<strong>ch</strong>en 77 . Ursprüngli<strong>ch</strong><br />

wollte au<strong>ch</strong> Barry sein dreibändiges Werk über <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in einer Exposition<br />

<strong>der</strong> Verteilungsgere<strong>ch</strong>tigkeit im konkreten Steuerre<strong>ch</strong>t gipfeln lassen,<br />

glei<strong>ch</strong>sam als Beleg für die Praxistaugli<strong>ch</strong>keit <strong>der</strong> allgemeineren theoretis<strong>ch</strong>en Überlegungen.<br />

Höffe widmet seine Theorie <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ausdrückli<strong>ch</strong><br />

den Problemen einer Legitimation des positiven Re<strong>ch</strong>ts und des Staates und damit<br />

einer stärkeren Anwendungsorientierung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie 78 . Und s<strong>ch</strong>ließ-<br />

73 Vgl. R. Alexy, Re<strong>ch</strong>tssystem und praktis<strong>ch</strong>e Vernunft (1987), S. 416.<br />

74 R. Alexy, Re<strong>ch</strong>tssystem und praktis<strong>ch</strong>e Vernunft (1987), S. 416 ff.; <strong>der</strong>s., Idee und Struktur eines<br />

vernünftigen Re<strong>ch</strong>tssystems (1991), S. 36 ff. – Denkbar sei beispielsweise ein vierstufiges Modell,<br />

bei dem auf die Prozedur des allgemeinen praktis<strong>ch</strong>en Diskurses (1) diejenige <strong>der</strong> staatli<strong>ch</strong>en<br />

Re<strong>ch</strong>tssetzung (2), darauf diejenige des juristis<strong>ch</strong>en Diskurses (3) und s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> diejenige des geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en<br />

Prozesses (4) folge.<br />

75 Zu diesem Drei-Ebenen-Modell siehe ausführli<strong>ch</strong> R. Alexy, Re<strong>ch</strong>tssystem und praktis<strong>ch</strong>e Vernunft<br />

(1987), S. 407 ff.<br />

76 Zu dieser auf R. Dreier zurückgehenden Unters<strong>ch</strong>eidung unten S. 88 ff.<br />

77 J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 31, S. 195 ff. (four-stage sequence); zustimmend P. Koller, Mo<strong>der</strong>ne<br />

Vertragstheorie und Grundgesetz (1996), S. 380 ff. (382). Von vier Stufen <strong>der</strong> staatli<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

spri<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>on E. Brunner, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1943), S. 233 ff., allerdings in einem an<strong>der</strong>en<br />

Sinne. Bei ihm liegt auf <strong>der</strong> ersten Stufe einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie die argumentative Überwindung<br />

<strong>der</strong> Anar<strong>ch</strong>ie dur<strong>ch</strong> Begründung einer Friedensordnung, auf <strong>der</strong> zweiten Stufe etabliert si<strong>ch</strong><br />

das Gesetz als S<strong>ch</strong>utzinstrument gegen Willkür, auf <strong>der</strong> dritten die Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te als Integritätss<strong>ch</strong>utz<br />

und auf <strong>der</strong> vierten die politis<strong>ch</strong>e Ma<strong>ch</strong>tverteilung, idealer- aber ni<strong>ch</strong>t notwendigerweise<br />

in Form einer Demokratie.<br />

78 Zu diesem Programm O. Höffe, Erwi<strong>der</strong>ung (1997), S. 335.<br />

41


li<strong>ch</strong> findet si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> bei Habermas <strong>der</strong> Hinweis, die Prozeduralisierung sei als ein<br />

neues Paradigma zu verstehen, das im gesamten Re<strong>ch</strong>t wirke und ni<strong>ch</strong>t bloß oberste<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien generiere 79 . Indes: das damit angespro<strong>ch</strong>ene Programm ist<br />

nirgends eingelöst 80 . Rawls und Habermas bes<strong>ch</strong>ränken si<strong>ch</strong> auf die Begründung und<br />

Erläuterung allgemeinster <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien, Höffes Staatsre<strong>ch</strong>tfertigung<br />

bleibt punktuell 81 und au<strong>ch</strong> Barry ist inzwis<strong>ch</strong>en von seinem ursprüngli<strong>ch</strong>en Vorhaben<br />

abgerückt und hat die re<strong>ch</strong>tsdogmatis<strong>ch</strong>en Zusammenhänge aus <strong>der</strong> Trilogie<br />

ausgeklammert 82 .<br />

<strong>Prozedurale</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien sind bisher als <strong>Theorien</strong>klasse aus juristis<strong>ch</strong>er<br />

Si<strong>ch</strong>t no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t hinlängli<strong>ch</strong> untersu<strong>ch</strong>t worden 83 . Das liegt unter an<strong>der</strong>em an <strong>der</strong><br />

Zurückhaltung, die si<strong>ch</strong> Protagonisten von Verfahrenstheorien auferlegen, wenn es<br />

darum geht, konkrete inhaltli<strong>ch</strong>e Folgerungen für das Re<strong>ch</strong>t aus den <strong>Theorien</strong> abzuleiten.<br />

Sol<strong>ch</strong>e Zurückhaltung ist verständli<strong>ch</strong>, blickt man auf die Gefahren, die mit<br />

je<strong>der</strong> konkretisierenden Anwendung verbunden sind: allzu lei<strong>ch</strong>t können persönli<strong>ch</strong>e<br />

Präferenzen den Platz universeller o<strong>der</strong> zumindest intersubjektiver Ri<strong>ch</strong>tigkeit<br />

einnehmen, kann spekulative Metaphysik die wohlformulierte Theorie untergraben<br />

84 . Do<strong>ch</strong> ein Rückzug auf das Formale und Abstrakte, die Ausklammerung aller<br />

inhaltli<strong>ch</strong>en Fragen, die ni<strong>ch</strong>t einmal mehr die Struktur <strong>der</strong> realen Lösungsansätze<br />

untersu<strong>ch</strong>t, würde au<strong>ch</strong> bedeuten, daß eine originäre Aufgabe <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Philosophie<br />

aufgegeben wird 85 . S<strong>ch</strong>on deshalb muß gewagt werden, jenseits <strong>der</strong> si<strong>ch</strong>eren<br />

Gefilde abstrakter Theoriebildung und allgemeinster <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien die<br />

theoretis<strong>ch</strong>en Erkenntnisse in wi<strong>ch</strong>tigen Berei<strong>ch</strong>en <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsdogmatik dur<strong>ch</strong>zude-<br />

79 Dazu unten S. 245 ff. (prozedurales Re<strong>ch</strong>tsparadigma).<br />

80 Insoweit unergiebig ist neben den im Text erwähnten Ansätzen au<strong>ch</strong> die neure Theorie von<br />

D. Dürr, Diskursives Re<strong>ch</strong>t (1994).<br />

81 Vgl. zur Kritik K. Günther, Kann ein Volk von Teufeln Re<strong>ch</strong>t und Staat moralis<strong>ch</strong> legitimieren?<br />

(1991), S. 217; P. Koller, Otfried Höffes Begründung <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te und des Staates (1997),<br />

S. 301 ff. Zu Einzelheiten unten S. 281 ff. (Kritik an Höffes transzendentalem Taus<strong>ch</strong>).<br />

82 B. Barry, Justice as Impartiality (1995), S. x – Statt des ursprüngli<strong>ch</strong>en Anwendungsbezugs sollen<br />

ledigli<strong>ch</strong> Einzelfragen in Aufsätzen erörtert werden.<br />

83 Zur Thematisierung in kurzen Beiträgen siehe etwa L. Kern, Von Habermas zu Rawls (1986),<br />

S. 83 ff.; A. Kaufmann, <strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1989), S. 5 ff.; R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 111 ff.<br />

84 Der Begriff <strong>der</strong> Metaphysik ist mehrdeutig. Metaphysik im weitesten Sinne ist jede Behauptung,<br />

es gebe Erkenntnis jenseits <strong>der</strong> empiris<strong>ch</strong>en Welt, d.h. au<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on jede Behauptung <strong>der</strong> Moralerkenntnis<br />

(praktis<strong>ch</strong>e Metaphysik). Metaphysik im hier gemeinten engeren Sinn ist dagegen nur<br />

die theoretis<strong>ch</strong>e o<strong>der</strong> ontologis<strong>ch</strong>e Metaphysik, also die These, daß es eine Wirkli<strong>ch</strong>keit jenseits<br />

<strong>der</strong> empiris<strong>ch</strong>en Welt gebe, z.B. moralis<strong>ch</strong>e Tatsa<strong>ch</strong>en, eine vorgegebene, normative Mens<strong>ch</strong>ennatur<br />

o<strong>der</strong> eine an<strong>der</strong>e Korrespondenz zwis<strong>ch</strong>en Sinnstiftung und Weltstruktur; vgl. G.E. Moore,<br />

Principia Ethica (1903), S. 111 – »[M]etaphysicians ... have in general supposed that whatever does<br />

not exist in time, must at least exist elsewhere, if it is to be at all – that, whatever does not exist in<br />

Nature, must exist in some supersensible reality, whether timeless or not.« (Hervorhebungen bei<br />

Moore). Unter dem Begriff <strong>der</strong> Metaphysik im engeren Sinne versammeln si<strong>ch</strong> dana<strong>ch</strong> alle Aussagen,<br />

die empiris<strong>ch</strong>en Untersu<strong>ch</strong>ungsmethoden ni<strong>ch</strong>t zugängli<strong>ch</strong> und deshalb jedenfalls ni<strong>ch</strong>t im<br />

naturwissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Sinne erkenntnisfähig sind. Der Rückgriff auf sol<strong>ch</strong>e Metaphysik läuft<br />

Gefahr, ins Spekulative abzugleiten.<br />

85 S. Huster, Re<strong>ch</strong>te und Ziele (1993), S. 453.<br />

42


klinieren 86 . In <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie ist dieses Untersu<strong>ch</strong>ungsprogramm unter<br />

dem Begriff <strong>der</strong> <strong>Theorien</strong> mittlerer Rei<strong>ch</strong>weite o<strong>der</strong> mittlerer Abstraktion bekannt geworden<br />

87 . Tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> geht es um mehr: Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung muß auf juristis<strong>ch</strong>e<br />

Fragen zugespitzt und um das Problem <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugung erweitert<br />

werden 88 .<br />

E. Ergebnisse<br />

Der tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> und regelmäßig festzustellende <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbezug des positiven<br />

Re<strong>ch</strong>ts ist ni<strong>ch</strong>t bloß kontingent, son<strong>der</strong>n beruht auf einem inhaltsoffenen Ri<strong>ch</strong>tigkeitsanspru<strong>ch</strong>,<br />

dessen Erhebung notwendig mit <strong>der</strong> Qualifizierung als 'Re<strong>ch</strong>t' einhergeht.<br />

Sowohl in <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tstheorie als au<strong>ch</strong> in <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsdogmatik läßt si<strong>ch</strong> eine<br />

spezifis<strong>ch</strong> juristis<strong>ch</strong>e Perspektive für <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen entwickeln, aus <strong>der</strong> die<br />

<strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie in einem neuen Li<strong>ch</strong>t ers<strong>ch</strong>einen. <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

wird dadur<strong>ch</strong> zu einem Untersu<strong>ch</strong>ungsgegenstand <strong>der</strong> Jurisprudenz. Aus juristis<strong>ch</strong>er<br />

Si<strong>ch</strong>t muß si<strong>ch</strong> eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie bemühen, die philosophis<strong>ch</strong>e Ebene<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung mit <strong>der</strong> dogmatis<strong>ch</strong>en Ebene <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugung<br />

zu verbinden.<br />

86 Vgl. unten S. 339 ff. (Diskursivität des Re<strong>ch</strong>ts).<br />

87 Zu einer 'philosophy of the middle range' etwa T.W. Simon, Democracy and Social Injustice (1995),<br />

S. 21. Das 'Mittlere' <strong>der</strong> Theorie liegt darin, daß die verbindende Ebene zwis<strong>ch</strong>en reiner Prinzipienbegründung<br />

einerseits und reinen Anwendungsfragen in Politik und Re<strong>ch</strong>t an<strong>der</strong>erseits gesu<strong>ch</strong>t<br />

wird.<br />

88 Vgl. unten S. 88 ff. (Begründungs- und Erzeugungstheorien); 334 ff. (mittelbare Begründung von<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen).<br />

43


Zweiter Teil:<br />

Begriff und Klassifizierung prozeduraler<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

Unter prozeduralen <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> werden, vereinfa<strong>ch</strong>t gespro<strong>ch</strong>en, sol<strong>ch</strong>e<br />

<strong>Theorien</strong> verstanden, die zwecks Begründung und Erzeugung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

auf Verfahren zurückgreifen 1 . Für eine genauere Begriffsbestimmung und Klassifizierung<br />

als Voraussetzung je<strong>der</strong> verglei<strong>ch</strong>enden Analyse kommt es darauf an, wel<strong>ch</strong>en<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff die <strong>Theorien</strong> zugrundelegen (A), wel<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

miteinan<strong>der</strong> vergli<strong>ch</strong>en werden können (B), wie diese <strong>Theorien</strong> dabei den<br />

Gedanken von prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> zur Anwendung bringen (C) und mit wel<strong>ch</strong>er<br />

Grenzziehung sie si<strong>ch</strong> als prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien von materialen<br />

(substantiellen) <strong>Theorien</strong> unters<strong>ch</strong>eiden (D).<br />

A. <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

I. Zur Definition <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

1. Die suum cuique-Formel<br />

Suum cuique! 2 Jedem das Seine! So lautet die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sformel, die Ulpian neben<br />

alterum non lae<strong>der</strong>e und honeste vivere in die Dreiheit <strong>der</strong> Gebote des (Natur-)Re<strong>ch</strong>ts<br />

(iuris praecepta) aufgenommen hat 3 , angelehnt an den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff bei Aristoteles<br />

4 und dessen Rezeption in <strong>der</strong> Stoa 5 – Gebote, die mit unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er Abwand-<br />

1 Vgl. A. Kaufmann, <strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1989), S. 5 ff.; R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 107, 111 ff. Dazu unten S. 132 (prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien).<br />

2 Genauer die Dig. 1, 1, 10: »Iustitia est perpetua et constans voluntas jus suum cuique tribuendi.« In <strong>der</strong><br />

Übersetzung von Seiler, in: Behrends/Knütel/Kupis<strong>ch</strong>/Seiler (Hrsg.), Corpus Iuris Civilis, Bd. 2<br />

(1995), S. 94: »<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist <strong>der</strong> unwandelbare und dauerhafte Wille, jedem sein Re<strong>ch</strong>t zu gewähren.«<br />

Inhaltsglei<strong>ch</strong> die Definition <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> bei Cicero, De Finibus 5, 23: »quae animi affectio<br />

suum cuique tribuens ... aeque tuens iustitia dicitur«; Inst., Erstes Bu<strong>ch</strong>, Kapitel I (de iustitia et iure):<br />

»Iustitia est constans et perpetua voluntas jus suum cuique tribuens.« sowie Thomas von Aquin, ST,<br />

II-II, 58, 1: »Et si quis vellet in debitam formam definitionis reducere, posset sic dicere: quod 'justitia est<br />

habitus secundum quem aliquis constanti et perpetua voluntate jus suum unicuique tribuit'.« In <strong>der</strong><br />

Übersetzung von Groner: »Wer die Definition in vollkommene Form bringen wollte, könnte sagen:<br />

Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist ein Habitus, kraft dessen jedem das Seine mit festem und unwandelbarem<br />

Willen zugeteilt wird.« Kritik an <strong>der</strong> ideenges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Zuordnung zu Ulpian bei W. Waldstein,<br />

Ulpians Definition <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1978), S. 215 ff., 231; <strong>der</strong>s., Zur juristis<strong>ch</strong>en Relevanz <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

bei Aristoteles, Cicero und Ulpian (1996), S. 60 f. m.w.N.<br />

3 Dig. 1, 1, 10, 1: »Iuris praecepta sunt haec: honeste vivere, alterum non lae<strong>der</strong>e, suum cuique tribuere.« In<br />

<strong>der</strong> Übersetzung von Seiler, in: Behrends/Knütel/Kupis<strong>ch</strong>/Seiler (Hrsg.), Corpus Iuris Civilis, Bd.<br />

2 (1995), S. 94: »Die Gebote des Re<strong>ch</strong>ts sind folgende: Ehrenhaft leben, niemanden verletzen, jedem<br />

das Seine gewähren.« Au<strong>ch</strong> die Originalität dieser praecepta bei Ulpian ist umstritten;<br />

W. Waldstein, Ulpians Definition <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1978), S. 215; <strong>der</strong>s., Zur juristis<strong>ch</strong>en Relevanz<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> bei Aristoteles, Cicero und Ulpian (1996), S. 60 f. m.w.N.<br />

4 Dazu unten S. 56 (aristotelis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff).<br />

45


lung über Thomas von Aquin 6 , Leibniz 7 und Kant 8 einen festen Platz in <strong>der</strong> europäis<strong>ch</strong>en<br />

Geistesges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te gewonnen haben 9 . Glei<strong>ch</strong> ob als Gebot <strong>der</strong> Tugend- o<strong>der</strong><br />

Re<strong>ch</strong>tslehre, in jedem Fall bleibt die For<strong>der</strong>ung 'Jedem das Seine' – genau wie die übrigen<br />

praecepta 10 – eine inhaltli<strong>ch</strong> ausfüllungsbedürftige Formel, eine leere, bloß formale<br />

Hülle, die für fast beliebige Konkretisierungen ('Jedem das Glei<strong>ch</strong>e', 'Jedem<br />

na<strong>ch</strong> seiner Leistung', 'Jedem na<strong>ch</strong> seinen Bedürfnissen' u.v.m.) genutzt werden kann<br />

und genutzt wurde 11 . Bedingt dur<strong>ch</strong> die Formelhaftigkeit des 'suum cuique' wird <strong>der</strong><br />

Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in Philosophie und Re<strong>ch</strong>tsphilosophie sehr unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong><br />

bestimmt 12 . Allein <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> formalen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist seit Perelmanns Studie<br />

über <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in unumstrittener Weise bestimmt 13 . Im übrigen fielen die Definitionsversu<strong>ch</strong>e,<br />

soweit sie überhaupt gewagt wurden, in ihrer Unbestimmtheit wenig<br />

überzeugend aus 14 .<br />

5 Ausführli<strong>ch</strong> hierzu U. Manthe, Stois<strong>ch</strong>e Würdigkeit und die iuris praecepta Ulpians (1997), S. 1 ff.,<br />

12 ff.<br />

6 Vgl. Thomas von Aquin, ST, II-II, 58, 1; dazu oben Fn. 2.<br />

7 Bei Leibniz no<strong>ch</strong> als Tugendlehre, die alle Vernunftelemente des römis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>ts, <strong>der</strong> <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>en<br />

Tradition und <strong>der</strong> philosophis<strong>ch</strong>en Traktate zu einer iustitia universalis zusammenfassen will,<br />

in die au<strong>ch</strong> die praecepta eingehen: »Ex hac consi<strong>der</strong>atione fit ut justitia universalis appellatur et<br />

omnes alias virtutes comprehendat« (Hervorhebung bei Leibniz); G.W. Leibniz, De notionibus Juris<br />

et Iustitiae (1693), Vorrede des Codex Juris Gentium diplomaticus, zitiert na<strong>ch</strong> dem Textabdruck<br />

bei M. Dießelhorst, Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sdefinition Ulpians (1985), S. 201 ff. (203 f.). Ausführli<strong>ch</strong>er<br />

no<strong>ch</strong> in G.W. Leibniz, Méditation sur la notion commune de la justice (ca. 1674), S. 668: »Während<br />

nun die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> nur eine Tugend ist, ... darf man behaupten, daß sie, sobald man sie auf<br />

Gott und die Na<strong>ch</strong>ahmung Gottes gründet, zur 'iustitia universalis' wird und alle Tugenden umfaßt.<br />

... Die iustitia universalis wird nun dur<strong>ch</strong> die oberste Vors<strong>ch</strong>rift bezei<strong>ch</strong>net: 'honestere, h.e.<br />

probe, pie vivere', ... 'suum cuique tribuere' ... 'neminem lae<strong>der</strong>e'.«<br />

8 Bei Kant bewußt umgestaltet zu Re<strong>ch</strong>tspfli<strong>ch</strong>ten; I. Kant, MdS (1797), A 43 / B 43: »(suum cuique<br />

tribue) ... Tritt in einen Zustand, worin je<strong>der</strong>mann das Seine gegen jeden an<strong>der</strong>en gesi<strong>ch</strong>ert sein<br />

kann.« Zur Rezeption bei Leibniz und Kant außerdem M. Dießelhorst, Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sdefinition<br />

Ulpians (1985), S. 201 ff., 208 ff.<br />

9 U. Manthe, Stois<strong>ch</strong>e Würdigkeit und die iuris praecepta Ulpians (1997), S. 23 ff. m.w.N.<br />

10 Bei alterum non lae<strong>der</strong>e ist <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>ädigungsbegriff, bei honeste vivere <strong>der</strong> Ehrli<strong>ch</strong>keitsbegriff unbestimmt.<br />

11 R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 99; kritis<strong>ch</strong> zu sol<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sformeln<br />

H. Kelsen, Das Problem <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1960), S. 366 ff.; <strong>der</strong>s., Was ist <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>? (1975), S. 29<br />

ff. (Goldene Regel), 33 (Jedem das Seine); kritis<strong>ch</strong> gegenüber Kelsens Kritik etwa I. Tammelo, Theorie<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1977), S. 24 ff. Vgl. au<strong>ch</strong> L.L. Weinreb, The Complete Idea of Justice (1984),<br />

S. 802 ff. – zur Unbestimmtheit <strong>der</strong> Formel hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er/moralis<strong>ch</strong>er Ansprü<strong>ch</strong>e und<br />

re<strong>ch</strong>tspositivistis<strong>ch</strong>er/naturre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er <strong>Theorien</strong>.<br />

12 Übersi<strong>ch</strong>ten über die vertretenen Begriffe etwa bei C.K. Allen, Aspects of Justice (1958), S. 3 ff.;<br />

M. Kriele, Kriterien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1963), S. 42 ff.; C. Perelman, Eine Studie über die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

(1945), S. 14 ff.; K. Engis<strong>ch</strong>, Auf <strong>der</strong> Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1971), S. 147 ff.; G. Robbers,<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Re<strong>ch</strong>tsprinzip (1980), S. 15 ff.; M.R. Deckert, Folgenorientierung in <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsanwendung<br />

(1995), S. 171 f., 192 ff. (Folgenorientierung und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>). Sieht man auf Details,<br />

so kann man sogar sagen, daß es zumindest ebensoviele Varianten des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffs gibt<br />

wie <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien vertreten werden; W. Kersting, Herrs<strong>ch</strong>aftslegitimation (1997), S. 29.<br />

13 Dazu unten S. 62 (formaler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff). Vereinzelt gibt es selbst zu dieser Begriffsbildung<br />

wie<strong>der</strong> Kritik: J. S<strong>ch</strong>roth, Über formale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1997), S. 497 ff.<br />

14 Vgl. nur B.H. Levy, Cardozo and Frontiers of Legal Thinking (1938), S. 75: »Justice can thus be said<br />

to be ... legally organizable morality.«; G. Vlastos, Justice and Equality (1962), S. 53: »An Action is<br />

46


2. Die Erfor<strong>der</strong>li<strong>ch</strong>keit einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sdefinition<br />

Angesi<strong>ch</strong>ts sol<strong>ch</strong>er Konkretisierungshürden stellt si<strong>ch</strong> zunä<strong>ch</strong>st die Frage, ob eine<br />

Erörterung des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffs überhaupt für die Untersu<strong>ch</strong>ung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

erfor<strong>der</strong>li<strong>ch</strong> ist. Denn häufig wird in den <strong>Theorien</strong> auf eine Begriffsbestimmung<br />

ganz verzi<strong>ch</strong>tet. Die sonst sehr umfassende <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie von<br />

Rawls enthält beispielsweise keine Definition des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffs 15 . Statt dessen<br />

legt Rawls den Gegenstand <strong>der</strong> Theorie nur generalisierend als 'soziale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>'<br />

fest und stellt im übrigen auf das Son<strong>der</strong>verständnis einer '<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als<br />

Fairneß' ab 16 . Der <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff wird dabei ni<strong>ch</strong>t definiert, son<strong>der</strong>n vorausgesetzt.<br />

Was zwis<strong>ch</strong>en den Zeilen mit <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> gemeint ist, ers<strong>ch</strong>ließt si<strong>ch</strong> bei<br />

Rawls erst im Rückblick, na<strong>ch</strong>dem die Theorie ihr Begründungszelt aufgespannt hat.<br />

Sol<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> wei<strong>ch</strong>en einer Definition aus 17 . Bei an<strong>der</strong>en Studien zur <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

steht dagegen die Wortbedeutung normativer Grundprädikate wie 'gut' und 'gere<strong>ch</strong>t'<br />

im Mittelpunkt 18 . Sie versu<strong>ch</strong>en, dur<strong>ch</strong> Begriffsanalyse einen semantis<strong>ch</strong>en<br />

Zugang zur Moral zu gewinnen 19 .<br />

Zwis<strong>ch</strong>en den Randpositionen einer Definitionsverweigerung und einer Definitionsfokussiertheit<br />

wird hier ein Mittelweg bes<strong>ch</strong>ritten. Zwar ist es für eine Analyse<br />

unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er <strong>Theorien</strong> unerläßli<strong>ch</strong>, den dabei zugrundegelegten Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

zu definieren, denn sonst ließe si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t einmal genau bestimmen, weljust<br />

if, and only if, it is prescribed exclusively by regard for the rights of all whom it affects substantially.«<br />

(Hervorhebung bei Vlastos); J.R. Lucas, Principles of Politics (1966), S. 369: »Justice is a<br />

rational regard for the individual, taking into account all and only all the circumstances of the individual<br />

case, and not merely some of them, and not any other extraneous, and properly irrelevant<br />

ones.« Au<strong>ch</strong> die Definition von Dreier ist nur eine Reformulierung des inhaltli<strong>ch</strong> unbestimmten<br />

suum cuique; vgl. R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 100: »<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist diejenige<br />

Eigens<strong>ch</strong>aft einer Handlung, eines Handlungssubjekts, einer Norm o<strong>der</strong> einer Normenordnung,<br />

dur<strong>ch</strong> die eine gute Ordnung <strong>der</strong> Verteilung und des Ausglei<strong>ch</strong>s von Gütern und Lasten bewahrt<br />

o<strong>der</strong> hergestellt wird.«<br />

15 Die ähnli<strong>ch</strong> einer Definition formulierte Erläuterung am Anfang <strong>der</strong> Theorie (J. Rawls, Theory of<br />

Justice [1971], § 1, S. 3: »Justice is the first virtue of social institutions, as truth is of systems of<br />

thought.«), <strong>der</strong>en wortglei<strong>ch</strong>es Aufgreifen am Ende <strong>der</strong> Arbeit (S. 586) den Kreis <strong>der</strong> Untersu<strong>ch</strong>ung<br />

s<strong>ch</strong>ließen soll, ist tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> keine Definition, son<strong>der</strong>n setzt vielmehr eine sol<strong>ch</strong>e voraus und<br />

weist <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, basierend auf dieser implizierten Definition, eine Wertigkeit zu.<br />

16 J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 3, 11: »This way of regarding the principles of justice [as object<br />

of the original agreement] I shall call justice as fairness.«<br />

17 Die Auswei<strong>ch</strong>taktik gegenüber den S<strong>ch</strong>wierigkeiten einer Definition beginnt bei Rawls bereits mit<br />

dem Frühwerk; vgl. J. Rawls, Justice as Fairness (1957), S. 653: »Throughout I discuss justice as virtue<br />

of institutions ... and not as a virtue of particular actions, or persons.«<br />

18 Für das Prädikat 'gut' z.B. im Präskriptivismus von R.M. Hare, Spra<strong>ch</strong>e <strong>der</strong> Moral (1952), S. 109 ff.<br />

(Begriffsanalyse); vgl. au<strong>ch</strong> S. 183 (»'Gut', wie es in moralis<strong>ch</strong>en Zusammenhängen gebrau<strong>ch</strong>t<br />

wird, hat eine bes<strong>ch</strong>reibende und wertende Bedeutung, und die letztere ist die primäre.«) sowie –<br />

zum Begriff des 'Sollens' – S. 211: »[D]o<strong>ch</strong> i<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>lage vor, dieser S<strong>ch</strong>wierigkeit in <strong>der</strong> einzig mögli<strong>ch</strong>en<br />

Weise zu begegnen, indem man sie zu einer Sa<strong>ch</strong>e <strong>der</strong> Definition ma<strong>ch</strong>t.« (Hervorhebungen hinzugefügt,<br />

A.T.).<br />

19 R.M. Hare, Ethical Theory and Utilitarianism (1976), S. 25 m.w.N.: »I try to base myself, unlike<br />

Rawls, entirely on the formal properties of the moral concepts as revealed by the logical study of<br />

moral language«.<br />

47


<strong>ch</strong>e Sozialordnungstheorie als <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie gelten kann 20 . Au<strong>ch</strong> muß <strong>der</strong> hier<br />

zugrundegelegte Begriff trenns<strong>ch</strong>arf von dem in <strong>der</strong> Jurisprudenz verbreiteten Verständnis<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als eines von mehreren Elementen <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsidee (Radbru<strong>ch</strong>)<br />

abgegrenzt werden 21 . Die kritis<strong>ch</strong>-analytis<strong>ch</strong>e Arbeit erfor<strong>der</strong>t aber an<strong>der</strong>erseits<br />

ni<strong>ch</strong>t die Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> einem einzig wahren <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff. Hier haben<br />

Ethik und Religionslehre, politis<strong>ch</strong>e Philosophie und Re<strong>ch</strong>tstheorie im Laufe <strong>der</strong> Zeit<br />

unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e, teils wi<strong>der</strong>sprü<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Wortbedeutungen hervorgebra<strong>ch</strong>t, die jeweils<br />

ihre eigene Bere<strong>ch</strong>tigung haben 22 . In dieser Situation ist es wenig erhellend,<br />

den – ohnehin ständigem Wandel unterlegenen – faktis<strong>ch</strong>en Gebrau<strong>ch</strong> des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprädikats<br />

herauszuarbeiten 23 . Au<strong>ch</strong> kann man von einer spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Begriffsanalyse<br />

24 keinen Beitrag zur normativen Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> erwarten 25 .<br />

Vielmehr gilt es, die Vielfalt <strong>der</strong> Ausprägungen des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffs zu akzeptieren.<br />

Die im folgenden entwickelte Definition bestimmt die begriffsnotwendigen<br />

Elemente eines weiten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffs, ohne den zahlrei<strong>ch</strong>en an<strong>der</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffen<br />

im einzelnen na<strong>ch</strong>zugehen.<br />

3. Die Gegenstände des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprädikats (Transponierbarkeitsthese)<br />

Die Definition <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> wird dadur<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>wert, daß unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Gegenstände<br />

mit den Prädikaten 'gere<strong>ch</strong>t' o<strong>der</strong> 'ungere<strong>ch</strong>t' zu einem <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteil<br />

<strong>der</strong> Form 'X ist gere<strong>ch</strong>t' verbunden werden können 26 : einzelne Gesetze, Institutionen<br />

und Verfahren, die Gesells<strong>ch</strong>aftsordnung insgesamt, einzelne Handlungen<br />

eins<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> privater Verhaltensweisen, Geri<strong>ch</strong>tsurteile o<strong>der</strong> administrativer Ein-<br />

20 Vgl. zum Begriff <strong>der</strong> Sozialordnung H. Kelsen, Reine Re<strong>ch</strong>tslehre (1960), S. 25: »Eine normative<br />

Ordnung, die mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es Verhalten insoferne regelt, als es in unmittelbarer o<strong>der</strong> mittelbarer Beziehung<br />

zu an<strong>der</strong>en Mens<strong>ch</strong>en steht, ist eine gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Ordnung. Die Moral und das Re<strong>ch</strong>t<br />

sind sol<strong>ch</strong>e gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Ordnungen.«<br />

21 Dazu unten S. 63 ff. (<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff bei Radbru<strong>ch</strong>).<br />

22 Dazu unten S. 62 ff. (einige an<strong>der</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffe). Vgl. M. Kriele, Kriterien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

(1963), S. 35 – zur klassis<strong>ch</strong>en Methode, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> anhand eines Definitionsversu<strong>ch</strong>s zu<br />

erläutern, sowie zu <strong>der</strong> Illusion, dabei glei<strong>ch</strong>zeitig Allgemeinverbindli<strong>ch</strong>keit und inhaltli<strong>ch</strong>e Aussagekraft<br />

zu errei<strong>ch</strong>en.<br />

23 Vgl. die Kritik bei W. Kersting, Herrs<strong>ch</strong>aftslegitimation (1997), S. 26; inzwis<strong>ch</strong>en au<strong>ch</strong> N. Jansen,<br />

Struktur <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1998), S. 37 ff.<br />

24 Z.B. bei C. Perelman, Eine Studie über die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1945), S. 22 ff.<br />

25 Das sieht au<strong>ch</strong> Perelman selbst: C. Perelman, Eine Studie über die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1945), S. 83: »Ganz<br />

offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>öpft dieser Faktor [formelle <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>] ni<strong>ch</strong>t die ganze Bedeutung dieses<br />

Begriffes [<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>]«. Vgl. allgemein J.R. Searle, Spee<strong>ch</strong> Acts (1969), S. 136 ff. – Kritik an <strong>der</strong><br />

Spra<strong>ch</strong>analyse einzelner Begriffe (good, true, know, probably) bei Hare, Strawson, Austin und Toulmin.<br />

Treffend au<strong>ch</strong> O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 62: »Die deskriptive Semantik bestimmt<br />

den Begriff politis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>; sie legitimiert ihn aber ni<strong>ch</strong>t.« Um so erstaunli<strong>ch</strong>er,<br />

wenn Höffe <strong>der</strong> semantis<strong>ch</strong>en Erörterung von Legitimation und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> später eine erste<br />

Kritik des Utilitarismus zutraut (S. 74 ff., 76). Vgl. dazu die Kritik bei W. Kersting, Herrs<strong>ch</strong>aftslegitimation<br />

(1997), S. 27 ff.<br />

26 Zum Begriff des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteils vgl. H. Kelsen, Das Problem <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1960), S. 358;<br />

sowie R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 96: »Das <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgefühl drückt eine Wertung<br />

aus, die si<strong>ch</strong> in einem Werturteil, genauer: einem <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteil, als einem Urteil darüber,<br />

was gere<strong>ch</strong>t und ungere<strong>ch</strong>t ist, formulieren läßt.«<br />

48


zelakte, bestimmte Situationen, beson<strong>der</strong>s in Anbetra<strong>ch</strong>t einer eingetretenen Güterverteilung,<br />

einzelne Ents<strong>ch</strong>eidungen und s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> Personen 27 . Au<strong>ch</strong> mit <strong>der</strong><br />

Grundformel <strong>der</strong> Gere<strong>ch</strong>igkeit, suum cuique (Jedem das Seine) 28 , läßt si<strong>ch</strong> die Vielfalt<br />

<strong>der</strong> mögli<strong>ch</strong>en Gegenstände von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteilen bes<strong>ch</strong>reiben: Wer o<strong>der</strong> was<br />

jedem das Seine gibt, <strong>der</strong> o<strong>der</strong> das ist gere<strong>ch</strong>t; ein Verhalten, eine Ordnung, ein Gesetz,<br />

ein Verhältnis, in dem jedem das Seine gegeben wird, ist gere<strong>ch</strong>t 29 .<br />

Die Vielfalt <strong>der</strong> unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Gegenstände ist aber nur eine s<strong>ch</strong>einbare. Tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />

lassen si<strong>ch</strong> die Gegenstände des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteils nämli<strong>ch</strong> so aufeinan<strong>der</strong><br />

beziehen, daß alle <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteile ohne Inhaltsverlust mit einem einzigen<br />

Gegenstand formulierbar sind (Transponierbarkeitsthese) 30 . Die Wahl dieses Gegenstandes<br />

ist ni<strong>ch</strong>t zwingend 31 . Häufig bildet die Person den Bezugspunkt (Tugendlehre).<br />

Hier sei das Handeln (Tun o<strong>der</strong> Unterlassen) gewählt. Die Ri<strong>ch</strong>tigkeit <strong>der</strong><br />

Transponierbarkeitsthese läßt si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> belegen, daß die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> aller mögli<strong>ch</strong>en<br />

Gegenstände auf eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> des Handelns übertragen wird 32 : Bezieht<br />

man alle <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteile auf Handeln, so ist ein Gesetz genau dann gere<strong>ch</strong>t,<br />

wenn es gere<strong>ch</strong>tes Handeln gebietet o<strong>der</strong> erlaubt und ungere<strong>ch</strong>tes Handeln verbietet.<br />

Einzelne Institutionen o<strong>der</strong> die Gesells<strong>ch</strong>aft insgesamt sind gere<strong>ch</strong>t, wenn in ihnen<br />

gere<strong>ch</strong>tes Handeln geboten o<strong>der</strong> erlaubt und ungere<strong>ch</strong>tes verboten ist. Situationen<br />

sind gere<strong>ch</strong>t, wenn sie fortbestehen dürfen, weil das Unterlassen einer Verän<strong>der</strong>ung<br />

gere<strong>ch</strong>t ist 33 . Ents<strong>ch</strong>eidungen sind genau dann gere<strong>ch</strong>t, wenn sie zugunsten gere<strong>ch</strong>ten<br />

Handelns ausfallen. Und s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> sind Personen gere<strong>ch</strong>t, wenn sie stets gere<strong>ch</strong>t<br />

handeln 34 .<br />

27 Zur Vielfalt <strong>der</strong> Gegenstände des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteils H. Kelsen, Das Problem <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

(1960), S. 357 ff.; J.R. Lucas, Principles of Politics (1966), S. 233; J. Rawls, Theory of Justice (1971), §<br />

2, S. 7; I. Tammelo, Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1977), S. 69 ff.; O. Höffe, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Taus<strong>ch</strong>?<br />

(1991), S. 13 f.; R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 98 f. Entspre<strong>ch</strong>end zur Vielfalt <strong>der</strong><br />

Gegenstände <strong>der</strong> Legitimation A. Aarnio, Zur Legitimation des Re<strong>ch</strong>ts (1989), S. 143.<br />

28 Dazu oben S. 45 (suum cuique-Formel).<br />

29 So die Begriffsbestimmung bei E. Brunner, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1943), S. 20.<br />

30 Vgl. R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 98 ff. (101). Dreier spri<strong>ch</strong>t zwar ni<strong>ch</strong>t von <strong>der</strong><br />

'Transponierbarkeit', zeigt aber, wie si<strong>ch</strong> die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> bei unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>sten Gegenständen<br />

des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteils jeweils auf Handlungen und handlungsleitende Normen zurückführen<br />

läßt.<br />

31 A.A. J.R. Lucas, Principles of Politics (1966), S. 234, <strong>der</strong> das Handeln als einzigen Gegenstand ansieht,<br />

auf den si<strong>ch</strong> alle <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteile beziehen lassen: Au<strong>ch</strong> Personen könnten zwar 'gere<strong>ch</strong>t'<br />

sein, wenn sie stets versu<strong>ch</strong>ten, gere<strong>ch</strong>t zu handeln; umgekehrt sei aber ein Handeln ni<strong>ch</strong>t<br />

bereits deshalb gere<strong>ch</strong>t, weil eine gere<strong>ch</strong>te Person es vorgenommen hat. Dieser Kritik muß hier<br />

ni<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong>gegangen werden, da ohnehin das Handeln als Anknüpfungspunkt für eine Transponierung<br />

aller <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteile gewählt wird.<br />

32 Ähnli<strong>ch</strong> R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 101.<br />

33 Das Unterlassen einer Verän<strong>der</strong>ung ist mindestens dann gere<strong>ch</strong>t, wenn kein ungere<strong>ch</strong>tes Handeln<br />

zu <strong>der</strong> Situation geführt hat; vgl. R. Nozick, Anar<strong>ch</strong>y, State, and Utopia (1974), S. 150 ff. (gere<strong>ch</strong>te<br />

Aneignung).<br />

34 So au<strong>ch</strong> H. Kelsen, Das Problem <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1960), S. 357: »Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> eines Mens<strong>ch</strong>en<br />

ist die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> seines sozialen Verhaltens«; vgl. den Wortlaut <strong>der</strong> suum cuique-Formel<br />

oben S. 45.<br />

49


4. Eine handlungsbezogene Definition <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (D 1 )<br />

Dur<strong>ch</strong> die Transponierbarkeitsthese ist belegt, daß si<strong>ch</strong> alle <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteile<br />

dur<strong>ch</strong> eine handlungsbezogene Definition <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> erfassen lassen. Es soll<br />

deshalb zunä<strong>ch</strong>st eine allgemeine handlungsbezogene <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sdefinition gegeben<br />

werden, die später dur<strong>ch</strong> eine normbezogene zu ergänzen sein wird 35 :<br />

D 1 :<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist die Ri<strong>ch</strong>tigkeit und Pfli<strong>ch</strong>tigkeit eines<br />

Handelns in bezug auf an<strong>der</strong>e unter dem Gesi<strong>ch</strong>tspunkt<br />

<strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heit. 36<br />

Anhand dieser Definition lassen si<strong>ch</strong> die einzelnen Elemente des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprädikats<br />

besser erläutern als mit einer normbezogenen Definition, weil bei letzterer die<br />

Definitionselemente weitgehend im Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm aufgehen 37 .<br />

II.<br />

Fünf begriffli<strong>ch</strong> notwendige Bezüge des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprädikats<br />

Jedes <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteil im Sinne von D 1 , jede Verknüpfung des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprädikats<br />

mit einem Objekt ('x ist gere<strong>ch</strong>t'), weist fünf begriffli<strong>ch</strong> notwendige Bezüge<br />

auf: den Handlungs-, Ri<strong>ch</strong>tigkeits-, Sollens-, Sozial- und Glei<strong>ch</strong>heitsbezug. Ein Urteil,<br />

bei dem einer dieser Bezüge fehlt, hat mit dem <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff, wie er in<br />

<strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> verwendet wird, ni<strong>ch</strong>ts zu tun. Wer beispielsweise sagt:<br />

'Die göttli<strong>ch</strong>en Gaben sind ungere<strong>ch</strong>t verteilt!', <strong>der</strong> verwendet einen an<strong>der</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff<br />

als den hier interessierenden, denn für sol<strong>ch</strong>e '<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' ist<br />

mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es Handeln ohne Belang 38 . Um die Eignung einzelner <strong>Theorien</strong> ni<strong>ch</strong>t von<br />

vornherein dur<strong>ch</strong> Begriffsbildung zu präjudizieren 39 , werden im folgenden die fünf<br />

Bezüge, insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heitsbezug 40 , so bestimmt, daß ein weiter Begriff <strong>der</strong><br />

35 Dazu unten S. 75 (D 1N ). Im Ergebnis ähnli<strong>ch</strong> für einen Handlungs- und Normbezug des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffs<br />

R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 98: Hauptgegenstände des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteils<br />

seien Handlungen und Handlungssubjekte, Normen und Normordnungen. Ähnli<strong>ch</strong><br />

R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1978), S. 36 f.: »Eine Norm o<strong>der</strong> ein einzelnes<br />

Gebot, das den dur<strong>ch</strong> die Diskursregeln bestimmten Kriterien genügt, kann als gere<strong>ch</strong>t bezei<strong>ch</strong>net<br />

werden.« (Hervorhebung bei Alexy). An<strong>der</strong>s dagegen I. Tammelo, Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

(1977), S. 77: »'Gere<strong>ch</strong>t' ist eine positive, ethis<strong>ch</strong>e, soziale Wertqualität, die korrelative Re<strong>ch</strong>t-<br />

Pfli<strong>ch</strong>t-Beziehungen und die Zuteilung des Gebührenden an jeden betrifft.« Zu sol<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

als Werthaftigkeit vgl. unten S. 55 (D 1A ).<br />

36 Vgl. R. Alexy, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Ri<strong>ch</strong>tigkeit (1997), S. 105: »<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist Ri<strong>ch</strong>tigkeit in bezug<br />

auf Verteilung und Ausglei<strong>ch</strong>.« Dur<strong>ch</strong> die von Alexy gewählte, weite Ausdeutung dessen, was<br />

no<strong>ch</strong> als Perspektive <strong>der</strong> Verteilung o<strong>der</strong> des Ausglei<strong>ch</strong>s angesehen werden kann, kommen si<strong>ch</strong><br />

diese Definitionen sehr nah; vgl. ebd., S. 104 (Mutter-Kind-Beispiel). D 1 bietet den Vorteil, daß offen<br />

bleiben kann, ob eine Verteilungs- o<strong>der</strong> Ausglei<strong>ch</strong>sproblematik vorliegt. Zum Element <strong>der</strong><br />

'Pfli<strong>ch</strong>tigkeit' im Gegensatz zur 'Werthaftigkeit' siehe soglei<strong>ch</strong> S. 52 ff. (55); zum Glei<strong>ch</strong>heitsbezug<br />

ausführli<strong>ch</strong> unten S. 56 ff.<br />

37 Zu diesem Effekt vgl. unten S. 72 ff. (D NG und D 1N ).<br />

38 Dazu unten S. 68 (holistis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff).<br />

39 So etwa O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 74 ff., <strong>der</strong> bereits mit einer Begriffsanalyse von<br />

Legitimation und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> eine Kritik des Utilitarismus beginnt.<br />

40 Dazu unten S. 56 ff. (Glei<strong>ch</strong>heitsbezug).<br />

50


<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> resultiert, mit dessen Hilfe si<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>ste <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

untersu<strong>ch</strong>en lassen.<br />

1. Der Handlungsbezug<br />

Die begriffli<strong>ch</strong>e Notwendigkeit eines Handlungsbezuges folgt daraus, daß <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteile<br />

Antworten auf die Grundfrage praktis<strong>ch</strong>er Philosophie geben: 'Was soll<br />

i<strong>ch</strong> tun?'. Der Annahme eines Handlungsbezuges steht ni<strong>ch</strong>t entgegen, daß die Prädikate<br />

'gere<strong>ch</strong>t' und 'ungere<strong>ch</strong>t' au<strong>ch</strong> auf an<strong>der</strong>e Gegenstände angewendet werden<br />

können, man also ni<strong>ch</strong>t nur Handlungen als 'gere<strong>ch</strong>t' würdigt o<strong>der</strong> als 'ungere<strong>ch</strong>t'<br />

kritisiert, son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong> Personen, Gesetze, Institutionen, Staaten, Verteilungsergebnisse<br />

und vieles mehr (Transponierbarkeitsthese) 41 .<br />

2. Der Ri<strong>ch</strong>tigkeitsbezug<br />

In D 1 ist außerdem die 'Ri<strong>ch</strong>tigkeit' ein Begriffselement <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>. Der Anspru<strong>ch</strong><br />

auf <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist ein Son<strong>der</strong>fall des Anspru<strong>ch</strong>s auf Ri<strong>ch</strong>tigkeit 42 . Es ist<br />

dana<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong>, eine Handlung als 'gere<strong>ch</strong>t' und glei<strong>ch</strong>zeitig als 'fals<strong>ch</strong>' zu bezei<strong>ch</strong>nen,<br />

etwa mit <strong>der</strong> Begründung, daß es no<strong>ch</strong> an<strong>der</strong>e, im Gewi<strong>ch</strong>t überwiegende<br />

Urteilsgründe neben <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> gebe. Die umfassend zu verstehende 'Ri<strong>ch</strong>tigkeit'<br />

in D 1 läßt so<strong>ch</strong>en Zwiespalt ni<strong>ch</strong>t zu. Dadur<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> dieser <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff,<br />

wie no<strong>ch</strong> zu zeigen sein wird, von dem Begriff <strong>der</strong> Einzelfallgere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

43 . Die 'Ri<strong>ch</strong>tigkeit' in D 1 bes<strong>ch</strong>ränkt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t auf einzelne Kriterien, also<br />

beispielsweise ni<strong>ch</strong>t auf 'Ri<strong>ch</strong>tigkeit im Sinne des Gesetzes' (Legalität) o<strong>der</strong> 'Ri<strong>ch</strong>tigkeit<br />

in bezug auf materielle Vorteile' (ökonomis<strong>ch</strong>e Rationalität), son<strong>der</strong>n for<strong>der</strong>t eine<br />

Gesamtbetra<strong>ch</strong>tung aller mögli<strong>ch</strong>en Gründe. Nur ein Handeln, das dieser umfassenden<br />

Ri<strong>ch</strong>tigkeitsprüfung standhält, kann gere<strong>ch</strong>t sein.<br />

Die 'Ri<strong>ch</strong>tigkeit' in D 1 ist dabei offen für materiale, prozedurale o<strong>der</strong> formale<br />

Konkretisierungen. Material kann man Ri<strong>ch</strong>tigkeit beispielsweise verstehen, indem<br />

man sie nur für ein Handeln gelten läßt, das bestimmten inhaltli<strong>ch</strong>en, historis<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

kontingenten, für das Bestehen je<strong>der</strong> Gesells<strong>ch</strong>aft notwendigen Regeln über die Art<br />

und Weise <strong>der</strong> Behandlung des jeweils an<strong>der</strong>en entspri<strong>ch</strong>t 44 . Ein prozedurales Verständnis<br />

von Ri<strong>ch</strong>tigkeit – und dies ist ein Charakteristikum <strong>der</strong> prozeduralen <strong>Theorien</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> – liegt vor, wenn die Ri<strong>ch</strong>tigkeit einer Handlung si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong><br />

Ents<strong>ch</strong>eidungsverfahren beurteilt. Formal wird die Bestimmung <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit,<br />

wenn man sie allein von einem formalen Kriterium abhängen lässt, beispielsweise<br />

dem größtmögli<strong>ch</strong>en Gesamt- o<strong>der</strong> Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittsnutzens 45 . Au<strong>ch</strong> ein sol<strong>ch</strong>es formales<br />

Verständnis ist geeignet, den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff auszufüllen. Diese Offenheit<br />

41 Dazu oben S. 48 (Transponierbarkeitsthese).<br />

42 R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1978), S. 242.<br />

43 Dazu unten S. 63 (engere <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffe).<br />

44 Vgl. B. Gert, Die moralis<strong>ch</strong>en Regeln (1966), S. 116 ff. (129) – die ersten fünf Regeln: verursa<strong>ch</strong>e<br />

keinen Tod, keine S<strong>ch</strong>erzen, keine Unfähigkeit, keinen Freiheitsverlust, keinen Lustverlust.<br />

45 Dazu unten S. 154 (Utilitarismus).<br />

51


unters<strong>ch</strong>eidet die hier vorgenommene Begriffsbestimmung von an<strong>der</strong>en, engeren<br />

Ansätzen 46 .<br />

3. Der Sollensbezug (D 1D D 1A )<br />

Neben dem Handlungs- und Ri<strong>ch</strong>tigkeitsbezug besteht bei allen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteilen<br />

begriffsnotwendig ein Sollensbezug, <strong>der</strong> im Merkmal <strong>der</strong> 'Pfli<strong>ch</strong>tigkeit' ausgedrückt<br />

ist. Die Vornahme <strong>der</strong> gere<strong>ch</strong>ten Handlung ist für den Handelnden eine moralis<strong>ch</strong>e<br />

Pfli<strong>ch</strong>t, und die Gegenseite hat auf sie ein moralis<strong>ch</strong>es Re<strong>ch</strong>t 47 . Wer sagt, es<br />

gebe nur eine einzige gere<strong>ch</strong>te Handlungsalternative, <strong>der</strong> drückt damit glei<strong>ch</strong>zeitig<br />

aus, daß diese Handlung vorgenommen werden muß. Wer behauptet, er sei ungere<strong>ch</strong>t<br />

behandelt worden, <strong>der</strong> rügt glei<strong>ch</strong>zeitig eine Verletzung seiner (moralis<strong>ch</strong>en)<br />

Re<strong>ch</strong>te. Dur<strong>ch</strong> diesen doppelten begriffsimmanenten Sollensbezug (Pfli<strong>ch</strong>t und Re<strong>ch</strong>t)<br />

unters<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in D 1 von Nä<strong>ch</strong>stenliebe, Großzügigkeit, Barmherzigkeit,<br />

Sympathie, Mitleid, Solidarität, Dankbarkeit, Freunds<strong>ch</strong>aft, Vergebung o<strong>der</strong> Liebe 48 .<br />

Wer beispielsweise sagt, er habe aus Nä<strong>ch</strong>stenliebe gehandelt, <strong>der</strong> impliziert (wie bei<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>) die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Handelns. Denno<strong>ch</strong> wäre ein Akt <strong>der</strong> Nä<strong>ch</strong>stenliebe<br />

keine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Sinne von D 1 , denn selbst wenn eine moralis<strong>ch</strong>e<br />

Handlungspfli<strong>ch</strong>t aus <strong>der</strong> Nä<strong>ch</strong>stenliebe folgen sollte, so könnte sie jedenfalls ni<strong>ch</strong>t<br />

eingefor<strong>der</strong>t werden. Sie wäre nur eine einseitige Tugendpfli<strong>ch</strong>t 49 .<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> wird dur<strong>ch</strong> den Sollensbezug zu einem Teil <strong>der</strong> Moral 50 . Dieses<br />

Spezialitätsverhältnis läßt si<strong>ch</strong> – unabhängig davon, wie weit o<strong>der</strong> eng man den Begriff<br />

<strong>der</strong> Moral im übrigen faßt 51 – folgen<strong>der</strong>maßen skizzieren 52 :<br />

46 An<strong>der</strong>s etwa die Begriffsbestimmung von O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 54 f., na<strong>ch</strong><br />

<strong>der</strong> die rein pragmatis<strong>ch</strong>e Rationalität des Utilitarismus s<strong>ch</strong>on begriffli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t als <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

verstanden werden könne.<br />

47 Zu dieser (moralis<strong>ch</strong>en, ni<strong>ch</strong>t notwendig au<strong>ch</strong> juristis<strong>ch</strong>en) 'Re<strong>ch</strong>tspfli<strong>ch</strong>tigkeit' vgl. O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 56 ff.: Moralphilosophis<strong>ch</strong> werde bei <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> von Re<strong>ch</strong>tspfli<strong>ch</strong>ten<br />

gespro<strong>ch</strong>en, also von sol<strong>ch</strong>en moralis<strong>ch</strong>en Pfli<strong>ch</strong>ten, <strong>der</strong>en Erfüllung die Gegenseite einfor<strong>der</strong>n<br />

kann, während im übrigen in <strong>der</strong> Moral nur (einseitige) Tugendpfli<strong>ch</strong>ten bestünden. Die moralis<strong>ch</strong>e<br />

Pfli<strong>ch</strong>t und ihre Einfor<strong>der</strong>ung beziehe si<strong>ch</strong> dabei auf die Vornahme <strong>der</strong> Handlung, ni<strong>ch</strong>t<br />

hingegen auf die moralis<strong>ch</strong>en Motive des Handelns.<br />

48 Vgl. die Gegenüberstellung bei W.K. Frankena, The Concept of Social Justice (1962), S. 4 und J.R.<br />

Lucas, Principles of Politics (1966), S. 234 sowie die Aufzählung bei O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

(1987), S. 55 f.<br />

49 Vgl. O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 56 f.<br />

50 Vgl. H. Kelsen, Das Problem <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1960), S. 357: »[I]nsofern liegt <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> innerhalb<br />

des Berei<strong>ch</strong>es <strong>der</strong> Moral.«<br />

51 Auf die damit angespro<strong>ch</strong>enen terminologis<strong>ch</strong>en Differenzen kann hier ni<strong>ch</strong>t ausführli<strong>ch</strong> eingegangen<br />

werden. Hier wird, wie bei Habermas, für die Frage praktis<strong>ch</strong>er Philosophie (»Was soll i<strong>ch</strong><br />

tun?«) zwis<strong>ch</strong>en pragmatis<strong>ch</strong>er, ethis<strong>ch</strong>er und moralis<strong>ch</strong>er Perspektive mit den ihnen entspre<strong>ch</strong>enden<br />

Gegenständen des Zweckmäßigen, des Guten und des Gere<strong>ch</strong>ten unters<strong>ch</strong>ieden –<br />

J. Habermas, Vom pragmatis<strong>ch</strong>en, ethis<strong>ch</strong>en und moralis<strong>ch</strong>en Gebrau<strong>ch</strong> <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft<br />

(1988), S. 100 ff.; dazu unten S. 92 ff. (Vernunftgebrau<strong>ch</strong>). Unter allen praktis<strong>ch</strong>en Fragen heben<br />

si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Habermas die moralis<strong>ch</strong>en dadur<strong>ch</strong> heraus, daß sie einer vernünftigen Begründung zugängli<strong>ch</strong><br />

seien; dies seien aber nur die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen, weil evaluative Aussagen über das<br />

(eigene) gute Leben ni<strong>ch</strong>t weiter begründbare Präferenzen ausdrückten; J. Habermas, Moralität<br />

und Sittli<strong>ch</strong>keit (1986), S. 25; <strong>der</strong>s., Was ma<strong>ch</strong>t eine Lebensform rational? (1988), S. 39. An<strong>der</strong>e Au-<br />

52


Normale Moral<br />

Tugendpfli<strong>ch</strong>t – kann ni<strong>ch</strong>t eingefor<strong>der</strong>t werden<br />

(betrifft jedes Handeln, selbst sol<strong>ch</strong>es ohne Sozialbezug)<br />

Supererogatoris<strong>ch</strong>e<br />

Moral<br />

keine Pfli<strong>ch</strong>t<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

Re<strong>ch</strong>tspfli<strong>ch</strong>t – kann eingefor<strong>der</strong>t werden<br />

(betrifft nur Handeln mit Sozial- und Glei<strong>ch</strong>heitsbezug)<br />

Die Skizze zeigt, daß si<strong>ch</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> dur<strong>ch</strong> ihre beson<strong>der</strong>e Re<strong>ch</strong>tspfli<strong>ch</strong>tigkeit sowohl<br />

von einfa<strong>ch</strong>er als au<strong>ch</strong> von supererogatoris<strong>ch</strong>er Moral unters<strong>ch</strong>eidet. Der<br />

barmherzige Samariter, <strong>der</strong> dem Fremden uneigennützig Hilfe leistet 53 , handelt ganz<br />

ohne moralis<strong>ch</strong>e Pfli<strong>ch</strong>t; er tut mehr, als von <strong>der</strong> normalen Moral o<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

gefor<strong>der</strong>t ist (supererogatoris<strong>ch</strong>e Moral) 54 . Die Kunstbesitzerin, die ihr Werk<br />

vor drohendem Verfall bewahrt, folgt einer Tugendpfli<strong>ch</strong>t, die niemand einfor<strong>der</strong>n<br />

kann (normale Moral). Die Mutter, die ihre Kin<strong>der</strong> glei<strong>ch</strong> bes<strong>ch</strong>enkt, folgt einer moralis<strong>ch</strong>en<br />

Re<strong>ch</strong>tspfli<strong>ch</strong>t auf Glei<strong>ch</strong>behandlung (<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>); ein Kind hat das moralis<strong>ch</strong>e<br />

Re<strong>ch</strong>t, diese Glei<strong>ch</strong>behandlung einzufor<strong>der</strong>n 55 .<br />

Die Skizze zeigt au<strong>ch</strong>, daß es in <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> – an<strong>der</strong>s als in <strong>der</strong> Moral – keinen<br />

'optionalen' o<strong>der</strong> 'supergere<strong>ch</strong>ten' Berei<strong>ch</strong> gibt, <strong>der</strong> no<strong>ch</strong> gere<strong>ch</strong>t, aber ni<strong>ch</strong>t mehr<br />

gefor<strong>der</strong>t ist, weil er die normalen Grenzen mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Natur übers<strong>ch</strong>reitet 56 . Was<br />

toren bezei<strong>ch</strong>nen als 'Moral' nur die Summe tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> vorfindli<strong>ch</strong>er Handlungsmaximen, als<br />

'Ethik' die Wissens<strong>ch</strong>aft von <strong>der</strong> so verstandenen Moral und als '<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sethik' nur die vertragstheoretis<strong>ch</strong>e<br />

Begründung moralis<strong>ch</strong>er Normen; vgl. A. Pieper, Ethik (1991), S. 17 ff., 240 ff.; D.<br />

Sturma, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sethik (1992), S. 281 ff.<br />

52 Vgl. oben Fn. 47 (Tugend- und Re<strong>ch</strong>tspfli<strong>ch</strong>ten).<br />

53 Lukas 10, 30-37.<br />

54 T. Nagel, The View from Nowhere (1986), S. 203: »Supererogatory virtue is shown by acts of exceptional<br />

sacrifice for the benefit of others. Su<strong>ch</strong> acts are praiseworthy and not regarded as irrational,<br />

but they are not thought to be either morally or rationally required.« Ähnli<strong>ch</strong> S. Kagan,<br />

The Limits of Morality (1989), S. 291 ff. – »extremist« morality; <strong>der</strong>s., Normative Ethics (1998),<br />

S. 155: »supererogatory (a term traditionally used to mark acts that, although meritorious, are not<br />

obligatory)« (Hervorhebung bei Kagan). Die Moraltheorie unters<strong>ch</strong>eidet grundsätzli<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en<br />

normalen moralis<strong>ch</strong>en Pfli<strong>ch</strong>ten und sol<strong>ch</strong>en moralis<strong>ch</strong>en Handlungen, die über die Pfli<strong>ch</strong>tigkeit<br />

hinausgehen (supererogatory actions). Wo eine sol<strong>ch</strong>e Unters<strong>ch</strong>eidung unmögli<strong>ch</strong> ist, wie im klassis<strong>ch</strong>en<br />

Utilitarismus, wird dies als S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>e <strong>der</strong> Theorie empfunden; S. Kagan, Normative Ethics<br />

(1998), S. 153 ff. Zu Korrekturmögli<strong>ch</strong>keiten im Rahmen eines 'korrekt interpretierten' Utilitarismus<br />

siehe J.C. Harsanyi, Maximin Principle (1975), S. 601 f.<br />

55 Vgl. J. Lucas, On Justice (1980), S. 38 f. – Anspru<strong>ch</strong> auf <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>; J. Habermas, Faktizität und<br />

Geltung (1992), S. 190: »<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen betreffen die in interpersonellen Konflikten strittigen<br />

Ansprü<strong>ch</strong>e«; N. Jansen, Struktur <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1998), S. 40: »<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgrundsätze sind<br />

nie supererogatoris<strong>ch</strong>.«<br />

56 Vgl. zur entspre<strong>ch</strong>enden Begründung des optionalen Status <strong>der</strong> Supermoralität T. Nagel, The<br />

View from Nowhere (1986), S. 204.<br />

53


gere<strong>ch</strong>t ist, ist immer au<strong>ch</strong> gefor<strong>der</strong>t. Entspre<strong>ch</strong>end stellt si<strong>ch</strong> das Verlangen na<strong>ch</strong><br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> an<strong>der</strong>s dar als etwa das Verlangen na<strong>ch</strong> Gnade: <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> wird gefor<strong>der</strong>t,<br />

um Gnade muß man bitten.<br />

Der 'Pfli<strong>ch</strong>tigkeit' eines Handelns steht ni<strong>ch</strong>t entgegen, daß es vers<strong>ch</strong>iedene<br />

Handlungsweisen geben kann, die gere<strong>ch</strong>t sind. Bestimmte Fragen, zum Beispiel die<br />

Festsetzung des Wahlalters, lassen unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Antworten zu, die alle glei<strong>ch</strong>ermaßen<br />

gere<strong>ch</strong>t sind 57 . Die Pfli<strong>ch</strong>t bes<strong>ch</strong>ränkt si<strong>ch</strong> dann darauf, eine <strong>der</strong> gere<strong>ch</strong>ten<br />

Handlungen vorzunehmen. Dieses Phänomen <strong>der</strong> Uns<strong>ch</strong>ärfe des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteils<br />

tritt bei prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> auf, wenn es an einem verfahrensexternen<br />

Kriterium <strong>der</strong> Ergebnisgere<strong>ch</strong>tigkeit fehlt 58 .<br />

Obwohl vers<strong>ch</strong>iedene Handlungen gere<strong>ch</strong>t sein können, gibt es zwis<strong>ch</strong>en ihnen<br />

keine Grade <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>. Der Sollensbezug besteht ganz o<strong>der</strong> gar ni<strong>ch</strong>t. Bei <strong>der</strong><br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in D 1 kann ni<strong>ch</strong>t von einer gere<strong>ch</strong>ten, einer no<strong>ch</strong> gere<strong>ch</strong>teren und <strong>der</strong><br />

gere<strong>ch</strong>testen Handlung gespro<strong>ch</strong>en werden. Zwar gibt es umgangsspra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> die<br />

'gere<strong>ch</strong>teste Lösung', do<strong>ch</strong> ist eine sol<strong>ch</strong>e Formulierung nur ein Platzhalter für die<br />

genauere Aussage, daß es si<strong>ch</strong> um eine beson<strong>der</strong>s gut begründete Wahl unter mehreren<br />

gere<strong>ch</strong>ten Lösungen handelt. 'Gere<strong>ch</strong>t' ist kein graduelles Prädikat, son<strong>der</strong>n es ist<br />

wie je<strong>der</strong> Geltungsanspru<strong>ch</strong> »binär kodiert« 59 . Wie ein S<strong>ch</strong>wellenwert zeigt es an, ob<br />

eine Handlung no<strong>ch</strong> im erlaubten Berei<strong>ch</strong> liegt o<strong>der</strong> bereits in den moralis<strong>ch</strong>en Verbotsberei<strong>ch</strong><br />

<strong>der</strong> Ungere<strong>ch</strong>tigkeit ums<strong>ch</strong>lägt. Von einer einzelnen Handlung sagen<br />

wir deshalb ni<strong>ch</strong>t, sie sei 'fast gere<strong>ch</strong>t' o<strong>der</strong> 'äußerst gere<strong>ch</strong>t'. Zwis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

und Ungere<strong>ch</strong>tigkeit besteht vielmehr ein Verhältnis <strong>der</strong> exklusiven Alternativität. Eine<br />

Handlung ist entwe<strong>der</strong> gere<strong>ch</strong>t o<strong>der</strong> ungere<strong>ch</strong>t, eine Zwis<strong>ch</strong>enstufe gibt es begriffli<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t. Zwar können Situationen <strong>der</strong> Ungewißheit und Unents<strong>ch</strong>eidbarkeit<br />

ni<strong>ch</strong>t ausges<strong>ch</strong>lossen werden – sie treten sogar re<strong>ch</strong>t häufig auf. Wenn aber ein Urteil<br />

über die Frage <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ni<strong>ch</strong>t gefällt werden kann, so bedeutet dies, daß<br />

eine Pfli<strong>ch</strong>tigkeit des Handelns ni<strong>ch</strong>t zu begründen ist. Im Ergebnis muß diese<br />

Handlungsweise dann als gere<strong>ch</strong>t und erlaubt angesehen werden, denn es gilt au<strong>ch</strong><br />

umgekehrt: Was ni<strong>ch</strong>t ungere<strong>ch</strong>t ist, ist gere<strong>ch</strong>t.<br />

Gelegentli<strong>ch</strong> wird <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ni<strong>ch</strong>t nur deontologis<strong>ch</strong> als Pfli<strong>ch</strong>tigkeit, son<strong>der</strong>n<br />

au<strong>ch</strong> axiologis<strong>ch</strong> als Werthaftigkeit (bzw. personenbezogen als Tugendhaftigkeit) konzipiert<br />

60 . Man könnte den Unters<strong>ch</strong>ied folgen<strong>der</strong>maßen ausdrücken 61 :<br />

57 Mit diesem Beispiel J.R. Lucas, Principles of Politics (1966), S. 237.<br />

58 Dazu unten S. 127 (Formen <strong>der</strong> definitoris<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

59 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 284: »Geltungsansprü<strong>ch</strong>e sind binär kodiert und lassen<br />

ein Mehr o<strong>der</strong> Weniger ni<strong>ch</strong>t zu«.<br />

60 Deontologis<strong>ch</strong> sind Prädikate, die etwas als 'pfli<strong>ch</strong>tig' vors<strong>ch</strong>reiben (Präskription innerhalb einer<br />

Pfli<strong>ch</strong>tenlehre). Axiologis<strong>ch</strong> sind demgegenüber Prädikate, die etwas als 'gut' bewerten (Evaluation<br />

innerhalb einer Wertlehre). Zu einer Formalisierung dieses Unters<strong>ch</strong>ieds im <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff<br />

siehe N. Jansen, Struktur <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1998), S. 59.<br />

61 Vgl. oben S. 50 (handlungsbezogene Definition D 1 ); unten S. 75 (normbezogene Definition D 1N ).<br />

54


D 1D :<br />

D 1A :<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im deontologis<strong>ch</strong>en Sinn ist die Ri<strong>ch</strong>tigkeit<br />

und Pfli<strong>ch</strong>tigkeit eines Handelns in bezug auf an<strong>der</strong>e<br />

unter dem Gesi<strong>ch</strong>tspunkt <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heit.<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im axiologis<strong>ch</strong>en Sinn ist die Ri<strong>ch</strong>tigkeit<br />

und Werthaftigkeit eines Handelns in bezug auf an<strong>der</strong>e<br />

unter dem Gesi<strong>ch</strong>tspunkt <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heit.<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> wird na<strong>ch</strong> D 1D und D 1A unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> begründet. Wer beispielsweise<br />

begründen will, daß es gere<strong>ch</strong>t ist, allen Kin<strong>der</strong>n glei<strong>ch</strong> viel zu s<strong>ch</strong>enken, würde das<br />

deontologis<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> erklären, daß die Handlungsweise aus si<strong>ch</strong> selbst heraus ri<strong>ch</strong>tig<br />

und pfli<strong>ch</strong>tig ist. Axiologis<strong>ch</strong> wäre die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> <strong>der</strong> Handlungsweise damit<br />

zu erklären, daß das Ergebnis einer glei<strong>ch</strong>en Ges<strong>ch</strong>enkverteilung 'gut' und die Handlung<br />

um dieses Zieles willen (teleologis<strong>ch</strong>) wertvoll ist. Grundsätzli<strong>ch</strong> impliziert eine<br />

<strong>der</strong>artige Werthaftigkeit no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, daß etwas au<strong>ch</strong> gesollt ist, denn es ist ein Unters<strong>ch</strong>ied,<br />

ob etwas als 'gut' bezei<strong>ch</strong>net wird, o<strong>der</strong> ob es außerdem als 'geboten', 'verboten'<br />

o<strong>der</strong> 'erlaubt' gilt – axiologis<strong>ch</strong>e Sätze bedingen deontologis<strong>ch</strong>e Aussagen<br />

grundsätzli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t 62 . Beim <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff ist das an<strong>der</strong>s. Wer sagt, ein Handeln<br />

sei so wertvoll, daß ohne dieses Handeln keine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> mehr bestünde,<br />

<strong>der</strong> sagt damit implizit, daß das Handeln au<strong>ch</strong> gefor<strong>der</strong>t ist 63 . Der Sollensbezug ist<br />

ein begriffsnotwendiger Teil <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>. Ein axiologis<strong>ch</strong>es Verständnis <strong>der</strong><br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> bietet darum keine vollständige Bes<strong>ch</strong>reibung des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffs.<br />

D 1A wird deshalb im folgenden ni<strong>ch</strong>t verwendet.<br />

4. Der Sozialbezug<br />

Alle <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteile weisen ferner einen Sozialbezug auf, da <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> nur<br />

Handeln betrifft, das si<strong>ch</strong> auf an<strong>der</strong>e Personen ri<strong>ch</strong>tet 64 . Was <strong>der</strong> Eremit in <strong>der</strong> Wüste<br />

o<strong>der</strong> ein S<strong>ch</strong>iffbrü<strong>ch</strong>iger auf <strong>der</strong> Insel für si<strong>ch</strong> selbst als Handlungsnorm gelten<br />

lassen, ist zwar Teil ihrer jeweiligen Individualmoral, wirft aber keine Fragen <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

auf. Ni<strong>ch</strong>t jede moralis<strong>ch</strong>e Frage ist glei<strong>ch</strong>zeitig eine Frage <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

65 . So berührt beispielsweise ein Suizid in <strong>der</strong> Privatsphäre moralis<strong>ch</strong>e Fragen,<br />

62 Vgl. R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1978), S. 221: »die in normativen Aussagen<br />

(Wert- und Verpfli<strong>ch</strong>tungsurteilen) vorkommenden normativen Ausdrücke wie ‚gut' o<strong>der</strong> ‚gesollt'«.<br />

Die Werthaftigkeit impliziert grundsätzli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t die Pfli<strong>ch</strong>tigkeit. Nur umgekehrt gilt die<br />

Regel: die Pfli<strong>ch</strong>tigkeit impliziert die Werthaftigkeit – deontologis<strong>ch</strong>e Sätze konstituieren axiologis<strong>ch</strong>e<br />

Aussagen; vgl. H. Kelsen, Reine Re<strong>ch</strong>tslehre (1960), S. 16 ff. (17): »Eine objektiv gültige<br />

Norm, die ein bestimmtes Verhalten als gesollt setzt, konstituiert einen positiven o<strong>der</strong> negativen<br />

Wert.« So erklärt si<strong>ch</strong> die Aussage, daß »<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteile letztli<strong>ch</strong> Werturteile seien«,<br />

M. Kriele, Kriterien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1963), S. 30.<br />

63 So im Ergebnis au<strong>ch</strong> N. Jansen, Struktur <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1998), S. 61 ff.; bei <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als<br />

einem moralis<strong>ch</strong>en Wertprädikat gelte allerdings (ausnahmsweise) ein 'Brückenprinzip', na<strong>ch</strong><br />

dem alles, was als gere<strong>ch</strong>t bewertet werden kann au<strong>ch</strong> als pfli<strong>ch</strong>tig geboten ist.<br />

64 G. Del Vec<strong>ch</strong>io, Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1950), S. 2, 45; H. Kelsen, Das Problem <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1960),<br />

S. 357; W. Brugger, Gesetz, Re<strong>ch</strong>t, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1989), S. 5; M. Fisk, Justice and Universality<br />

(1995), S. 225 ff.<br />

65 J.R. Lucas, Principles of Politics (1966), S. 233.<br />

55


ni<strong>ch</strong>t aber sol<strong>ch</strong>e <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 66 . Erst wenn das Handeln au<strong>ch</strong> an<strong>der</strong>e Personen<br />

betrifft, kann es sinnvoll als 'gere<strong>ch</strong>t' o<strong>der</strong> 'ungere<strong>ch</strong>t' bezei<strong>ch</strong>net werden 67 .<br />

Das in <strong>der</strong> Begriffsbestimmung in D 1 vorausgesetzte Handeln 'in bezug auf an<strong>der</strong>e'<br />

ist eine Kurzform für 'Handeln eines <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>ssubjekts mit Auswirkung auf<br />

mindestens ein an<strong>der</strong>es <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>ssubjekt'. Damit setzt si<strong>ch</strong> D 1 einer kritis<strong>ch</strong>en<br />

Frage aus, die au<strong>ch</strong> in <strong>der</strong> allgemeinen Moraldiskussion gestellt wird: Wer o<strong>der</strong> was<br />

ist taugli<strong>ch</strong>es Subjekt und Objekt eines als moralis<strong>ch</strong> o<strong>der</strong> gere<strong>ch</strong>t zu beurteilenden<br />

Handelns? Genauer: Wer ist taugli<strong>ch</strong>er Adressat (Moralsubjekt, moral agent) und wer<br />

o<strong>der</strong> was ist taugli<strong>ch</strong>er Gegenstand (Objekt) moralis<strong>ch</strong>er Pfli<strong>ch</strong>ten bzw. wer o<strong>der</strong> was<br />

ist taugli<strong>ch</strong>er Inhaber moralis<strong>ch</strong>er Re<strong>ch</strong>te? Die Diskussion in <strong>der</strong> Morallehre konzentriert<br />

si<strong>ch</strong> dabei auf die Frage, inwieweit künftige Generationen, Föten und ni<strong>ch</strong>tmens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e<br />

Entitäten (Tiere, belebte Natur, unbelebte Natur) Moralsubjekte und<br />

-objekte sein können. Diese Diskussion findet ihre Parallele in <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sdiskussion,<br />

da man zum Beispiel sinnvoll fragen kann, ob es au<strong>ch</strong> ungere<strong>ch</strong>tes Handeln<br />

gegenüber Tieren, Föten o<strong>der</strong> künftigen Generationen gibt. Die Begriffsbestimmung<br />

in D 1 bleibt gegenüber den vers<strong>ch</strong>iedenen Konkretisierungsmögli<strong>ch</strong>keiten bewußt offen.<br />

Für die Zwecke dieser Arbeit wird später eine vorläufige, enge Konkretisierung<br />

vorzunehmen sein, die aber na<strong>ch</strong>trägli<strong>ch</strong>e Weiterungen ni<strong>ch</strong>t auss<strong>ch</strong>ließt 68 .<br />

5. Der Glei<strong>ch</strong>heitsbezug<br />

In D 1 bedeutet 'unter dem Gesi<strong>ch</strong>tspunkt <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heit', daß ein <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteil<br />

die Frage eins<strong>ch</strong>ließt, ob die Behandlung des einen angemessen ist, wenn man sie mit<br />

<strong>der</strong> Behandlung des an<strong>der</strong>en verglei<strong>ch</strong>t 69 . Dieser Glei<strong>ch</strong>heitsbezug entspri<strong>ch</strong>t sowohl<br />

dem klassis<strong>ch</strong>-aristotelis<strong>ch</strong>en (a, b) als au<strong>ch</strong> dem normalspra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Begriffsverständnis<br />

(c), ist aber glei<strong>ch</strong>wohl ni<strong>ch</strong>t frei von Kritik (d).<br />

a) Zum aristotelis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff<br />

In <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Ethik, die für das Verständnis von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Glei<strong>ch</strong>heit<br />

bis heute paradigmatis<strong>ch</strong> ist 70 , findet si<strong>ch</strong> ein Glei<strong>ch</strong>heitsbezug in beiden Formen <strong>der</strong><br />

66 Ebenso H. Kelsen, Das Problem <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1960), S. 357; S. Huster, Re<strong>ch</strong>te und Ziele (1993),<br />

S. 202; zu an<strong>der</strong>en mögli<strong>ch</strong>en Abgrenzungen von Moral und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> vgl. oben Fn. 51.<br />

67 O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 51. Ganz an<strong>der</strong>s stellt si<strong>ch</strong> ein re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>es Verbot des<br />

Suizids o<strong>der</strong> ein Gebot <strong>der</strong> Rettungshandlung dar. Allein dur<strong>ch</strong> die Regelung als Re<strong>ch</strong>tsnorm<br />

wird ein Sozialbezug begründet.<br />

68 Dazu unten S. 114 ff. (Erweiterbarkeitsthese); S. 359 (<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> gegenüber <strong>der</strong> Natur).<br />

69 Zu dieser Deutung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Glei<strong>ch</strong>heit vgl. die grundre<strong>ch</strong>tsdogmatis<strong>ch</strong>e Arbeit von<br />

S. Huster, Re<strong>ch</strong>te und Ziele (1993), S. 29 ff. Umgekehrt wird gelegentli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Verglei<strong>ch</strong>smaßstab<br />

innerhalb des Glei<strong>ch</strong>heitssatzes an den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>szielen orientiert: P. Kir<strong>ch</strong>hof, Der allgemeine<br />

Glei<strong>ch</strong>heitssatz (1992), § 124 Rn. 21. Nähme man beide Beziehungen zusammen, so müßte eine<br />

Identität resultieren; materielle Glei<strong>ch</strong>heit wäre glei<strong>ch</strong>bedeutend mit <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>.<br />

70 C. Perelman, Eine Studie über die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1945), S. 22 f.; R. Dreier, Zu Luhmanns systemtheoretis<strong>ch</strong>er<br />

Neuformulierung des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sproblems (1974), S. 195; zur Bedeutung <strong>der</strong><br />

Glei<strong>ch</strong>heit au<strong>ch</strong> S. Huster, Re<strong>ch</strong>te und Ziele (1993), S. 36 ff.<br />

56


eson<strong>der</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (iustitia particularis) 71 . In <strong>der</strong> ausglei<strong>ch</strong>enden <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>,<br />

die einerseits aus <strong>der</strong> Taus<strong>ch</strong>gere<strong>ch</strong>tigkeit (iustitia commutativa) und an<strong>der</strong>erseits aus<br />

<strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>gutma<strong>ch</strong>ungs- und Strafgere<strong>ch</strong>tigkeit (iustitia restitutiva, iustitia vindicativa)<br />

besteht, muß jedem Besitzübergang und je<strong>der</strong> Verletzung eine glei<strong>ch</strong> gewi<strong>ch</strong>tige<br />

Gegenleistung o<strong>der</strong> Sanktion entspre<strong>ch</strong>en. In <strong>der</strong> verteilenden <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (iustitia<br />

distributiva) müssen Glei<strong>ch</strong>e proportional Glei<strong>ch</strong>es erhalten. Nun wäre es naheliegend,<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in Anlehnung an das aristotelis<strong>ch</strong>e Verständnis als »Ri<strong>ch</strong>tigkeit<br />

in bezug auf Verteilung und Ausglei<strong>ch</strong>« 72 zu definieren, um so die unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en<br />

Facetten des Glei<strong>ch</strong>heitsbezugs in D 1 weiter auszudifferenzieren. Dagegen spri<strong>ch</strong>t<br />

aber, daß es oft nur eine Frage <strong>der</strong> Perspektive ist, ob man eine soziale Situation unter<br />

Verteilungs- o<strong>der</strong> unter Ausglei<strong>ch</strong>saspekten analysiert 73 . D 1 bietet demgegenüber<br />

den Vorteil, daß offen bleiben kann, ob eine Verteilungs- o<strong>der</strong> Ausglei<strong>ch</strong>sproblematik<br />

vorliegt. Im übrigen ergibt si<strong>ch</strong> kein Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en den Definitionsansätzen,<br />

weil je<strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heitsbezug entwe<strong>der</strong> unter Verteilungs- o<strong>der</strong> unter Ausglei<strong>ch</strong>s-,<br />

häufig sogar unter beiden Gesi<strong>ch</strong>tspunkten bes<strong>ch</strong>rieben werden kann. Es ist mit D 1<br />

folgli<strong>ch</strong> vereinbar, die im Begriff '<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' in Bezug genommenen Glei<strong>ch</strong>heitsprobleme<br />

als Summe aller Verteilungs- und Ausglei<strong>ch</strong>sprobleme zu verstehen; allerdings<br />

wäre es wohl ein Trugs<strong>ch</strong>luß, davon eine höhere Spezifität des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffs<br />

zu erwarten.<br />

Aristoteles unters<strong>ch</strong>eidet neben diesen Formen <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> eine allgemeine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (iustitia universalis), verstanden als den Gesetzesgehorsam<br />

<strong>der</strong> Bürger 74 . <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in diesem Gehorsamssinne setzt begriffli<strong>ch</strong><br />

keine Glei<strong>ch</strong>heit voraus, denn je<strong>der</strong> kann ungea<strong>ch</strong>tet des Verhaltens an<strong>der</strong>er Gesetzesgehorsam<br />

üben o<strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>t. Diese weitere Konnotation des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffs<br />

ist indes in <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie und Re<strong>ch</strong>tstheorie ni<strong>ch</strong>t glei<strong>ch</strong>ermaßen<br />

rezipiert worden. Dafür gibt es gute Gründe. Denn entwe<strong>der</strong> versteht man den<br />

Re<strong>ch</strong>tsgehorsam bezogen auf das positive Re<strong>ch</strong>t, dann bietet ein sol<strong>ch</strong>er Gere<strong>ch</strong>tig-<br />

71 Aristoteles, Nikoma<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Ethik, S. V 5 (1130b 5 ff.). Zur Struktur <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffe<br />

siehe P. Trude, Der Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>ts- und<br />

Staatsphilosophie (1955), S. 53 ff. (allgemeine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>), 98 ff. (beson<strong>der</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>);<br />

R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 102 ff.; C.-W. Canaris, Die Bedeutung <strong>der</strong> iustitia distributiva<br />

im deuts<strong>ch</strong>en Vertragsre<strong>ch</strong>t (1993), S. 9 ff.; U. Manthe, Die Mathematisierung dur<strong>ch</strong><br />

Pythagoras und Aristoteles (1996), S. 1 ff., 26 ff.; <strong>der</strong>s., Stois<strong>ch</strong>e Würdigkeit und die iuris praecepta<br />

Ulpians (1997), S. 8 ff. In <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>olastik deutete Thomas von Aquin die aristotelis<strong>ch</strong>e Klassifizierung<br />

weiter aus: iustitia distributiva ist die Re<strong>ch</strong>te und Pfli<strong>ch</strong>ten gegenüber <strong>der</strong> Gemeins<strong>ch</strong>aft festlegende<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, iustitia commutativa hingegen die Re<strong>ch</strong>te und Pfli<strong>ch</strong>ten <strong>der</strong> einzelnen untereinan<strong>der</strong><br />

ausglei<strong>ch</strong>ende <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>; vgl. Thomas von Aquin, ST, II-II, 61, 1 (Antwort zu 3. & 5.) in<br />

<strong>der</strong> Übersetzung von Groner: »Das Verteilen <strong>der</strong> gemeins<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Güter steht allein dem Verantwortli<strong>ch</strong>en<br />

für die Gemeins<strong>ch</strong>aftsgüter zu. ... Verteilungs- und Taus<strong>ch</strong>gere<strong>ch</strong>tigkeit unters<strong>ch</strong>eiden<br />

si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t nur wie Eins und Viel, son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> ihrem vers<strong>ch</strong>iedenen Ges<strong>ch</strong>uldetsein:<br />

etwas an<strong>der</strong>es ist es nämli<strong>ch</strong>, jemandem etwas vom Gemeingut, etwas an<strong>der</strong>es, ihm sein Eigengut<br />

zu s<strong>ch</strong>ulden.« Zu an<strong>der</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sstudien in <strong>der</strong> abendländis<strong>ch</strong>en Philosophie siehe<br />

I. Tammelo, Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1977), S. 36 ff. m.w.N.<br />

72 R. Alexy, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Ri<strong>ch</strong>tigkeit (1997), S. 105.<br />

73 So au<strong>ch</strong> R. Alexy, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Ri<strong>ch</strong>tigkeit (1997), S. 104 (Mutter-Kind-Beispiel).<br />

74 Aristoteles, Nikoma<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Ethik, S. V 2 (1129b 11-14). Vgl. P. Trude, Der Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

in <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>ts- und Staatsphilosophie (1955), S. 54 – wörtli<strong>ch</strong>: Gesetzes- und<br />

Re<strong>ch</strong>tsgehorsam.<br />

57


keitsbegriff kein Kriterium für die Ri<strong>ch</strong>tigkeit staatli<strong>ch</strong>er Gesetze 75 , o<strong>der</strong> man bezieht<br />

ihn auf das vorpositive, 'ri<strong>ch</strong>tige' Re<strong>ch</strong>t 76 , dann wird <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> allgemeinen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

zirkulär, denn Maßstäbe für ri<strong>ch</strong>tiges Re<strong>ch</strong>t können nur in den Formen<br />

<strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> gefunden werden. Wer heute von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im<br />

aristotelis<strong>ch</strong>en Sinne spri<strong>ch</strong>t, meint deshalb ni<strong>ch</strong>t Gesetzesgehorsam, son<strong>der</strong>n nur die<br />

beiden Formen <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> und damit letztli<strong>ch</strong> immer eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

mit Glei<strong>ch</strong>heitsbezug.<br />

b) Zur Verteilungsgere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

Au<strong>ch</strong> die zentrale Bedeutung <strong>der</strong> Verteilungsgere<strong>ch</strong>tigkeit (distributive justice), beson<strong>der</strong>s<br />

in <strong>der</strong> Form <strong>der</strong> sozialen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 77 , trägt dazu bei, daß <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heitsbezug<br />

zu den Kernelementen des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffs gere<strong>ch</strong>net wird. Die Verteilungsgere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

ist in <strong>der</strong> Rezeption des aristotelis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffs so dominant,<br />

daß sie teils als die einzige, alles umfassende Form <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> angesehen<br />

wird 78 . Ein <strong>der</strong>art weiter Begriff <strong>der</strong> Verteilungsgere<strong>ch</strong>tigkeit entsteht, wenn man<br />

mit <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> die Verteilung ni<strong>ch</strong>t nur <strong>der</strong> materiellen Güter, son<strong>der</strong>n aller Vorund<br />

Na<strong>ch</strong>teile identifiziert – also beispielsweise au<strong>ch</strong> 'Güter' in Form von Freiheitsre<strong>ch</strong>ten<br />

und 'Lasten' in Gestalt von Steuerzahlungs- und Militärdienstpfli<strong>ch</strong>ten. Gerade<br />

in den empiris<strong>ch</strong>en Studien <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tssoziologie und Sozialpsy<strong>ch</strong>ologie wird<br />

Verteilungsgere<strong>ch</strong>tigkeit regelmäßig mit Ergebnisgere<strong>ch</strong>tigkeit (outcome justice) und<br />

substantieller <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (substantive justice) glei<strong>ch</strong>gesetzt. Au<strong>ch</strong> in <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en<br />

Philosophie wurde die Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> einem allgemeinsten Verteilungsprinzip dur<strong>ch</strong><br />

Rawls Differenzprinzip 79 neu angestoßen und illustriert das Gewi<strong>ch</strong>t, das die Verteilungsgere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

hat. Je<strong>der</strong> Verteilung ist eine Glei<strong>ch</strong>heitsproblematik immanent –<br />

selbst für diejenigen, die den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff ohne das Element <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heit<br />

75 R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 103; W. Kersting, Re<strong>ch</strong>tsverbindli<strong>ch</strong>keit und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

bei Thomas Hobbes (1998), S. 371.<br />

76 Zur Mögli<strong>ch</strong>keit einer an<strong>der</strong>en Bedeutung als <strong>der</strong> des staatli<strong>ch</strong>en Gesetzes vgl. P. Trude, Der Begriff<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>ts- und Staatsphilosophie (1955), S. 55: »Seine<br />

[des Wortes 'Gesetz'] begriffli<strong>ch</strong>e Bedeutung in <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en [Philosophie] ist vielmehr eine<br />

weitere, einerseits nämli<strong>ch</strong> die alte im Sinne von Sitte und Gewohnheit und an<strong>der</strong>erseits die neue<br />

im Sinne eines mit Zwangsgewalt verbundenen Gesetzes«. Sowie ebd., S. 57: »Die allgemeine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

ist demna<strong>ch</strong> ... diejenige Art <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, wel<strong>ch</strong>e die Befolgung je<strong>der</strong> das Gemeins<strong>ch</strong>aftsleben<br />

regelnden Re<strong>ch</strong>tsnorm anordnet.«<br />

77 Soziale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> bezei<strong>ch</strong>net die gere<strong>ch</strong>te Verteilung von Gütern in einem Gemeinwesen. Das<br />

Verteilungsergebnis kann dabei außer dur<strong>ch</strong> Verteilungshandlungen (Distribution) au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong><br />

Ausglei<strong>ch</strong>shandlungen (Restitution) beeinflußt werden. Ähnli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> H.L.A. Hart, Concept of<br />

Law (1961), S. 162 f.<br />

78 So etwa bei R.M. Hare, Moralis<strong>ch</strong>es Denken (1981), S. 226; ebenfalls in diese Ri<strong>ch</strong>tung G. Del Vec<strong>ch</strong>io,<br />

Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1950), S. 59 (»erhabenste Einzelart«); R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

(1991), S. 103 ff. (105): Die Verteilungsgere<strong>ch</strong>tigkeit betreffe die Gewährung von Vergünstigungen<br />

und die Auferlegung von Belastungen aller Art, d.h. die Verteilung von Re<strong>ch</strong>ten und Pfli<strong>ch</strong>ten,<br />

wobei es einen »engen Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en Problemen <strong>der</strong> Taus<strong>ch</strong>- und sol<strong>ch</strong>en <strong>der</strong> Verteilungsgere<strong>ch</strong>tigkeit«<br />

gebe. Zum Begriff <strong>der</strong> Verteilungsgere<strong>ch</strong>tigkeit M. Kriele, Kriterien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

(1963), S. 45 ff. (46); J.R. Lucas, Principles of Politics (1966), S. 259; S. Huster, Re<strong>ch</strong>te und<br />

Ziele (1993), S. 203; R. Spaemann, Moralis<strong>ch</strong>e Grundbegriffe (1994), S. 50 ff.<br />

79 Dazu unten S. 203 (Zwei Prinzipien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

58


verstehen wollen, ist die Verteilungsgere<strong>ch</strong>tigkeit begriffsnotwendig mit dem Glei<strong>ch</strong>heitsprinzip<br />

verknüpft 80 . Dur<strong>ch</strong> diesen Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en Verteilung und<br />

Glei<strong>ch</strong>heit trägt die zentrale Stellung <strong>der</strong> Verteilungsgere<strong>ch</strong>tigkeit mit dazu bei, daß<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff ohne einen Aspekt <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heit kaum mehr geda<strong>ch</strong>t werden<br />

kann.<br />

c) Zum normalspra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff<br />

Als Prüfstein einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sdefinition empfiehlt si<strong>ch</strong> unter an<strong>der</strong>em <strong>der</strong> allgemeine<br />

Spra<strong>ch</strong>gebrau<strong>ch</strong> 81 . Au<strong>ch</strong> die normale Spra<strong>ch</strong>e (ordinary language) verbindet<br />

mit den Prädikaten 'gere<strong>ch</strong>t' und 'ungere<strong>ch</strong>t' stets einen Gesi<strong>ch</strong>tspunkt <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heit<br />

82 . Wer seine Angestellten glei<strong>ch</strong>mäßig s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t behandelt und bezahlt ist zwar<br />

ein 's<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter Chef'; zum 'ungere<strong>ch</strong>ten Chef' wird aber erst <strong>der</strong>jenige, <strong>der</strong> sie außerdem<br />

(grundlos) unglei<strong>ch</strong> behandelt o<strong>der</strong> bezahlt (Verteilungsgere<strong>ch</strong>tigkeit). Man<br />

könnte allerdings die 'Ungere<strong>ch</strong>tigkeit' in dem Mißverhältnis zwis<strong>ch</strong>en aufgewandter<br />

Mühe und erzieltem Lohn sehen. Do<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> dann s<strong>ch</strong>wingt ein Glei<strong>ch</strong>heitsbezug<br />

mit, nämli<strong>ch</strong> <strong>der</strong>jenige über das glei<strong>ch</strong>e Gewi<strong>ch</strong>t von Leistung und Gegenleistung<br />

(Ausglei<strong>ch</strong>sgere<strong>ch</strong>tigkeit) 83 .<br />

Was wir umgangsspra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> als Glei<strong>ch</strong>heitsbezug for<strong>der</strong>n, ist bei alledem sehr<br />

anspru<strong>ch</strong>slos. In den meisten Fällen genügt es, wenn das auf an<strong>der</strong>e bezogene Handeln<br />

irgendwie in seiner Regelhaftigkeit beurteilt wird. Wenn beispielsweise von drei<br />

Freunden, die beim Umzug geholfen haben, nur zwei zum Dank zu einer Feier eingeladen<br />

werden, dann ist dies 'ungere<strong>ch</strong>t', weil die drei untereinan<strong>der</strong> grundlos unglei<strong>ch</strong><br />

behandelt werden. Do<strong>ch</strong> selbst dann, wenn überhaupt keine Feier stattfindet,<br />

alle drei also insoweit glei<strong>ch</strong>gestellt sind, könnte sinnvoll von 'Ungere<strong>ch</strong>tigkeit' die<br />

Rede sein, dann nämli<strong>ch</strong>, wenn die Regelhaftigkeit, die den Glei<strong>ch</strong>heitsbezug begründet,<br />

in einem an<strong>der</strong>en Umstand liegt, z.B. dem, daß sonst konventionsgemäß<br />

80 Z.B. J.R. Lucas, Principles of Politics (1966), S. 242 und S. 258 f.: »Aristotle thought that all forms of<br />

Justice could be explicated in terms of Equality, but his account is confused and his analysis awkward.<br />

With social or 'distributive' justice, ... however, some consi<strong>der</strong>ations of Equality are involved.«<br />

81 Vgl. R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 97: »Leitfaden zur Ermittlung des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffs«;<br />

I. Tammelo, Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1977), S. 66: »Eine Definition gilt als intersubjektiv<br />

vertretbar, wenn <strong>der</strong> dur<strong>ch</strong> sie konstituierte Begriff mit dem übli<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>gebrau<strong>ch</strong> des<br />

bezügli<strong>ch</strong>en Wortes in Einklang steht, ...«; M. Kriele, Kriterien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1963), S. 39: »Die<br />

erste Frage ist also: Wie wird <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> überhaupt verstanden?«; L. Wittgenstein,<br />

Philosophis<strong>ch</strong>e Untersu<strong>ch</strong>ungen I (1953), Nr. 116: »Wenn die Philosophen ein Wort gebrau<strong>ch</strong>en<br />

– 'Wissen', 'Sein', 'Gegenstand', 'I<strong>ch</strong>', 'Satz', 'Name' – und das Wesen des Dings zu erfassen<br />

tra<strong>ch</strong>ten, muß man si<strong>ch</strong> immer fragen: Wird denn dieses Wort in <strong>der</strong> Spra<strong>ch</strong>e, in <strong>der</strong> es seine<br />

Heimat hat, je tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> so gebrau<strong>ch</strong>t? – Wir führen die Wörter von ihrer metaphysis<strong>ch</strong>en wie<strong>der</strong><br />

auf ihre alltägli<strong>ch</strong>e Verwendung zurück.« (Hervorhebungen bei Wittgenstein).<br />

82 Vgl. H.L.A. Hart, Concept of Law (1961), S. 153 f.: »A man guilty of gross cruelty to his <strong>ch</strong>ild<br />

would often be judged to have done something morally wrong, bad, or even wicked or to have disregarded<br />

his moral obligation to his <strong>ch</strong>ild. But it would be strange to criticize his conduct as unjust.<br />

... 'Unjust' would become appropriate if the man had arbitrarily selected one of his <strong>ch</strong>ildren for<br />

severer punishment than those given the others guilty of the same fault« (Hervorhebung bei<br />

Hart).<br />

83 Vgl. dazu s<strong>ch</strong>on oben S. 56 (aristotelis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff).<br />

59


immer eine Dankesfeier veranstaltet wird. Die Ni<strong>ch</strong>tveranstaltung <strong>der</strong> Feier trifft<br />

dann alle drei als Ungere<strong>ch</strong>tigkeit, weil es eine Sozialregel gibt, na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> ihnen eine<br />

Belohnung zusteht. Allgemein gilt dana<strong>ch</strong>: Wenn ein Verteilungs- o<strong>der</strong> Ausglei<strong>ch</strong>sprinzip<br />

hinzugezogen wird, dessen Anwendung eine Handlung for<strong>der</strong>t, dann begründet<br />

das Zuwi<strong>der</strong>handeln bezogen auf die glei<strong>ch</strong>mäßige Verwirkli<strong>ch</strong>ung des<br />

Prinzips eine Unglei<strong>ch</strong>behandlung und damit (umgangsspra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>) eine Ungere<strong>ch</strong>tigkeit.<br />

d) Zur Kritik am Glei<strong>ch</strong>heitsbezug<br />

Trotz <strong>der</strong> breiten Akzeptanz eines auf Glei<strong>ch</strong>heit bezogenen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffs<br />

ist die Einbeziehung des Glei<strong>ch</strong>heitskriteriums in die Begriffsbestimmung von D 1<br />

problematis<strong>ch</strong>. Die auf Aristoteles zurückgehende Identifikation von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

und Glei<strong>ch</strong>heit ist mit einiger Bere<strong>ch</strong>tigung als eine unbegründete Bes<strong>ch</strong>ränkung kritisiert<br />

worden 84 . Denn die Annahme eines begriffli<strong>ch</strong> notwendigen Glei<strong>ch</strong>heitsbezugs<br />

läuft Gefahr, wi<strong>ch</strong>tige Aspekte des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffs in <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

auszublenden. Identifiziert man nämli<strong>ch</strong> die Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Re<strong>ch</strong>t<br />

mit <strong>der</strong> Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> Kriterien für ri<strong>ch</strong>tiges Re<strong>ch</strong>t 85 , so kann diese Su<strong>ch</strong>e ni<strong>ch</strong>t bei<br />

glei<strong>ch</strong>heitsbezogenen Kriterien verharren. Sonst müßte <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> s<strong>ch</strong>on immer<br />

dann angenommen werden, wenn alle Betroffenen ausnahmslos glei<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t behandelt<br />

werden – eine (vorsi<strong>ch</strong>tig ausgedrückt) »mißli<strong>ch</strong>e Konsequenz« 86 .<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien müssen, da sie au<strong>ch</strong> eine glei<strong>ch</strong>mäßig s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>te Behandlung<br />

aller Betroffenen in bestimmten Fällen als 'ungere<strong>ch</strong>t' beurteilen, mit einem weiten<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff operieren. Dieser weite Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> läßt si<strong>ch</strong><br />

sowohl in <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie als au<strong>ch</strong> in <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tstheorie neben an<strong>der</strong>en,<br />

engeren <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffen (Einzelfallgere<strong>ch</strong>tigkeit 87 , Fairneß 88 ) na<strong>ch</strong>weisen 89 .<br />

Er identifiziert <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> mit Ri<strong>ch</strong>tigkeit s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>thin, also ni<strong>ch</strong>t bloß mit glei<strong>ch</strong>-<br />

84 J.R. Lucas, Principles of Politics (1966), S. 242: »Justice itself is not Equality. Aristotle, at the cost of<br />

great artificiality, made out that it was, and has been too mu<strong>ch</strong> quoted and too little criticized.«<br />

Kritis<strong>ch</strong> zum Glei<strong>ch</strong>heitskriterium au<strong>ch</strong> I. Tammelo, Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1977), S. 76 f.: »Es<br />

gibt indessen s<strong>ch</strong>werwiegende Bedenken gegen die Wahl von 'Glei<strong>ch</strong>heit' als Wesensmerkmal des<br />

Begriffes 'gere<strong>ch</strong>t'«; ähnli<strong>ch</strong>: <strong>der</strong>s., Re<strong>ch</strong>tslogik und materiale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1971), S. 58 ff.; S. Huster,<br />

Re<strong>ch</strong>te und Ziele (1993), S. 222.<br />

85 Dazu oben Fn. 28 (<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> des Re<strong>ch</strong>ts glei<strong>ch</strong>bedeutend mit 'ri<strong>ch</strong>tigem Re<strong>ch</strong>t').<br />

86 S. Huster, Re<strong>ch</strong>te und Ziele (1993), S. 222.<br />

87 Dazu unten S. 63 (engere <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffe).<br />

88 Dazu unten S. 121 (Begriff <strong>der</strong> Fairneß). Zur Di<strong>ch</strong>otomie einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Fairneß und einer<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in einem umfassen<strong>der</strong>en Sinne vgl. etwa: N. Res<strong>ch</strong>er, Distributive Justice (1966),<br />

S. 90: »There is justice in the narrower sense of fairness, on the one hand, and on the other, justice in a<br />

wi<strong>der</strong> sense, taking account of the general good.« (Hervorhebungen bei Res<strong>ch</strong>er).<br />

89 Für einen weiten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff etwa M. Rümelin, Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1920), S. 50; W.K.<br />

Frankena, The Concept of Social Justice (1962), S. 3 ff. (10); A. Gewirth, Political Justice (1962),<br />

S. 125; B. Rüthers, Warum wir ni<strong>ch</strong>t genau wissen, was '<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' ist (1987), S. 19 ff. (22 f.:<br />

Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit als eines unter mehreren Merkmalen <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>); <strong>der</strong>s., Das Ungere<strong>ch</strong>te an<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 17 ff.; R. Zippelius, Re<strong>ch</strong>tsphilosophie (1989), S. 75 ff., 106 ff.; W. Wels<strong>ch</strong>,<br />

Vernunft (1995), S. 698 ff., 707 f. Zum Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en engem und weitem Begriff außerdem<br />

W. Fikents<strong>ch</strong>er, Methoden des Re<strong>ch</strong>ts IV (1977), S. 188 ff. ('Sa<strong>ch</strong>gere<strong>ch</strong>tigkeit' neben 'Glei<strong>ch</strong>gere<strong>ch</strong>tigkeit');<br />

S. Huster, Re<strong>ch</strong>te und Ziele (1993), S. 195 ff.<br />

60


heitsbezogener Ri<strong>ch</strong>tigkeit, und nimmt insoweit eine Abwei<strong>ch</strong>ung vom glei<strong>ch</strong>heitsbezogenen<br />

Begriff im klassis<strong>ch</strong>-aristotelis<strong>ch</strong>en Verständnis und im allgemeinen Spra<strong>ch</strong>gebrau<strong>ch</strong><br />

in Kauf. <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im weiten Sinn ist die Ri<strong>ch</strong>tigkeit und Pfli<strong>ch</strong>tigkeit eines<br />

Handelns in bezug auf an<strong>der</strong>e.<br />

Zur Bestimmung eines weiten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffs, wie ihn <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

erfor<strong>der</strong>n, muß <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heitsbezug in <strong>der</strong> Definition indes ni<strong>ch</strong>t ganz aufgegeben<br />

werden. Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sdefinition in D 1 kann in einer Weise verstanden werden,<br />

die den Glei<strong>ch</strong>heitsbezug aufre<strong>ch</strong>terhält und denno<strong>ch</strong> für die Analyse von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

taugli<strong>ch</strong> ist. Das hat den Vorteil, daß <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff,<br />

<strong>der</strong> für die Analyse von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien bestimmt wird, ni<strong>ch</strong>t in Wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong><br />

zur klassis<strong>ch</strong>en und umgangsspra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Wortbedeutung gerät. Der interpretatoris<strong>ch</strong>e<br />

Weg hierzu wurde in dem obigen Beispiel eines Anspru<strong>ch</strong>s auf eine Dankesfeier<br />

bereits angedeutet. Läßt man nämli<strong>ch</strong> jede Regelhaftigkeit als Ausdruck von Glei<strong>ch</strong>heit<br />

genügen, so wird alles Handeln mit Sozialbezug, für das irgendwel<strong>ch</strong>e Normen<br />

gelten o<strong>der</strong> gelten sollten, dem <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteil zugängli<strong>ch</strong> 90 . Um bei dem Beispiel<br />

zu bleiben: Die Helfer können das Ausbleiben einer Dankesfeier s<strong>ch</strong>on dann als<br />

ungere<strong>ch</strong>t bezei<strong>ch</strong>nen, wenn es eine soziale Norm gibt, na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> sie stattfinden müßte.<br />

Entspre<strong>ch</strong>endes ergibt si<strong>ch</strong> für Normen des positiven Re<strong>ch</strong>ts: Wann immer Re<strong>ch</strong>te<br />

und Pfli<strong>ch</strong>ten festgelegt werden, besteht ein Glei<strong>ch</strong>heitsbezug bereits darin, daß<br />

diese Normen innerhalb eines gewissen Adressatenkreises für alle glei<strong>ch</strong> gelten. So<br />

gesehen hat das gesamte positive Re<strong>ch</strong>t einen Glei<strong>ch</strong>heitsbezug im Sinne von D 1 und<br />

damit <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>srelevanz. Selbst jenseits des positiven Re<strong>ch</strong>ts können Normen<br />

<strong>der</strong> Moral geltend gema<strong>ch</strong>t und dadur<strong>ch</strong> Glei<strong>ch</strong>behandlungen eingefor<strong>der</strong>t o<strong>der</strong> Unglei<strong>ch</strong>behandlungen<br />

gerügt werden. So hat beispielsweise die Idee universeller<br />

Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te einen Glei<strong>ch</strong>heitsbezug im Sinne von D 1 und damit <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>srelevanz.<br />

Der Glei<strong>ch</strong>heitsbezug in D 1 bedeutet ni<strong>ch</strong>t, daß <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff von<br />

vornherein etwas mit materieller Glei<strong>ch</strong>heit zu tun hätte. So for<strong>der</strong>t <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>on begriffli<strong>ch</strong> die glei<strong>ch</strong>mäßige Berücksi<strong>ch</strong>tigung aller Interessen 91 . Sol<strong>ch</strong>erlei<br />

materielle Kriterien bleiben einer Konkretisierung <strong>der</strong> 'Ri<strong>ch</strong>tigkeit' vorbehalten,<br />

sie gehören ni<strong>ch</strong>t bereits zum Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>. Es gibt au<strong>ch</strong> keinen Anlaß,<br />

materielle Anfor<strong>der</strong>ungen an den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff so zu formulieren, daß einzelne<br />

<strong>Theorien</strong> s<strong>ch</strong>on definitoris<strong>ch</strong> aus dem Kreis <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien verbannt<br />

werden 92 . Das hier vorges<strong>ch</strong>lagene Verständnis des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffs benutzt<br />

eine inhaltsoffene, weite Interpretation des Glei<strong>ch</strong>heitsbezugs. Trotzdem besteht<br />

keine Gefahr, alle Moralfragen in sol<strong>ch</strong>e <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> umzudeuten 93 , denn<br />

die wi<strong>ch</strong>tige Differenzierung zwis<strong>ch</strong>en sozialbezogenen Handlungsnormen (<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>)<br />

und Handlungsanweisungen insgesamt (Moral) bleibt in jedem Fall erhalten<br />

94 .<br />

90 Vgl. unten S. 71 ff. (Normbegriff und normbezogene <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sdefinition).<br />

91 So aber S. Huster, Re<strong>ch</strong>te und Ziele (1993), S. 204.<br />

92 So aber O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 74 ff. – Utilitarismus könne s<strong>ch</strong>on den Begriff<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ni<strong>ch</strong>t erfassen.<br />

93 Zu dieser Gefahr mit Re<strong>ch</strong>t kritis<strong>ch</strong> S. Huster, Re<strong>ch</strong>te und Ziele (1993), S. 204 f. mit Fn. 158.<br />

94 Dazu oben S. 55 (Sozialbezug).<br />

61


e) Ergebnisse<br />

Um eine einzelne Handlung sinnvoll als 'gere<strong>ch</strong>t' o<strong>der</strong> 'ungere<strong>ch</strong>t' bezei<strong>ch</strong>nen zu<br />

können, muß unter an<strong>der</strong>em au<strong>ch</strong> ein Glei<strong>ch</strong>heitsbezug bestehen. Dieser Glei<strong>ch</strong>heitsbezug<br />

kann dur<strong>ch</strong> einen unmittelbaren Verglei<strong>ch</strong> mit an<strong>der</strong>en Handlungen hergestellt<br />

werden ('A verdient X, weil B ebenfalls X erhalten hat!'). Er kann aber au<strong>ch</strong><br />

in einem Hinweis auf eine allgemeine Norm liegen ('A verdient X, weil je<strong>der</strong> einen<br />

Anspru<strong>ch</strong> auf X hat!'). Bei <strong>der</strong> normbezogenen Definition <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> wird<br />

si<strong>ch</strong> das Definitionselement 'unter dem Gesi<strong>ch</strong>tspunkt <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heit' deshalb als<br />

entbehrli<strong>ch</strong> erweisen 95 .<br />

III. Zu einigen an<strong>der</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffen<br />

Es gibt etli<strong>ch</strong>e Konkretisierungen des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffs, die mit <strong>der</strong> hier zugrundegelegten<br />

Definition ni<strong>ch</strong>t übereinstimmen, die aber glei<strong>ch</strong>wohl ihre Bere<strong>ch</strong>tigung<br />

haben. Einige dieser Konkretisierungen sind so gebräu<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>, daß man insoweit<br />

von eigenen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffen spre<strong>ch</strong>en kann. Die folgende Abgrenzung<br />

von diesen Begriffen dient dazu, die Elemente <strong>der</strong> mit D 1 zugrundegelegte Definition<br />

s<strong>ch</strong>ärfer herauszuarbeiten.<br />

1. Der formale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff<br />

Formale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist allein die glei<strong>ch</strong>mäßige Befolgung von Prinzipien, <strong>der</strong> Gehorsam<br />

gegenüber einem System von Regeln, wie er si<strong>ch</strong> juristis<strong>ch</strong> im Begriff des<br />

Re<strong>ch</strong>tsstaatsprinzips (rule of law) verkörpert findet 96 . Sie läßt si<strong>ch</strong> unabhängig davon<br />

beurteilen, wel<strong>ch</strong>e Inhalte als gere<strong>ch</strong>t gelten; es kommt allein auf Glei<strong>ch</strong>behandlung<br />

an. In <strong>der</strong> Inhaltsunabhängigkeit liegt au<strong>ch</strong> die Gemeinsamkeit, die formale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

mit Systemgere<strong>ch</strong>tigkeit hat. Unter Systemgere<strong>ch</strong>tigkeit versteht man die<br />

Folgeri<strong>ch</strong>tigkeit einer Norm im Hinblick auf an<strong>der</strong>e Normen, letztli<strong>ch</strong> also die Konsistenz<br />

(innere Wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong>sfreiheit) eines Systems von Normen, betra<strong>ch</strong>tet unter dem<br />

Gesi<strong>ch</strong>tspunkt <strong>der</strong> systematis<strong>ch</strong>en Glei<strong>ch</strong>behandlung <strong>der</strong> Normadressaten 97 .<br />

Formale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist nur insoweit ein Kerngehalt des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffs,<br />

als die Regelhaftigkeit im Sinne einer Universalität, also als Geltung für alle, gemeint<br />

ist 98 . Eine Regelhaftigkeit im Sinne von Abstraktheit steht demgegenüber zu jedem<br />

95 Dazu unten S. 75 (D 1N ).<br />

96 Vgl. C. Perelman, Eine Studie über die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1945), S. 58: »Definition <strong>der</strong> formalen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>:<br />

gere<strong>ch</strong>t sein heißt eine Regel zu bea<strong>ch</strong>ten, wel<strong>ch</strong>e die Verpfli<strong>ch</strong>tung formuliert, alle Wesen einer bestimmten<br />

Kategorie auf eine bestimmte Weise zu behandeln.« (Hervorhebung bei Perelman). Ihm insoweit<br />

folgend J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 10, S. 58; § 38, S. 235. Kritik zum Begriff <strong>der</strong> formalen<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> bei J. S<strong>ch</strong>roth, Über formale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1997), S. 497 ff.<br />

97 Vgl. aus <strong>der</strong> deuts<strong>ch</strong>en Verfassungsre<strong>ch</strong>tsdogmatik: U. Battis, Systemgere<strong>ch</strong>tigkeit (1977), S. 13 ff.;<br />

P. Kir<strong>ch</strong>hof, Der allgemeine Glei<strong>ch</strong>heitssatz (1992), § 124 Rn. 231 ff.; S. Huster, Re<strong>ch</strong>te und Ziele<br />

(1993), S. 386 ff.; an<strong>der</strong>s S. 394 ff.; W. Heun, Artikel 3 GG (1996), Rn. 34.<br />

98 Zu Regelhaftigkeit und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff bereits oben S. 60 ff. (Kritik am Glei<strong>ch</strong>heitsbezug).<br />

62


materialen Verständnis <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in einem Spannungsverhältnis 99 . Denn wer<br />

inhaltsbezogen differenzieren will, kann ni<strong>ch</strong>t mehr formal glei<strong>ch</strong> behandeln 100 . <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

bes<strong>ch</strong>ränken si<strong>ch</strong> deshalb ni<strong>ch</strong>t auf formale Glei<strong>ch</strong>behandlung,<br />

son<strong>der</strong>n setzen Maßstäbe für eine inhaltsbezogene Differenzierung. In dem hier<br />

verwendeten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff (D 1 ) ers<strong>ch</strong>öpft si<strong>ch</strong> die Ri<strong>ch</strong>tigkeit einer Handlungsweise<br />

folgli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in <strong>der</strong> formalen Glei<strong>ch</strong>förmigkeit des Handelns. Sowohl<br />

<strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> formalen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als au<strong>ch</strong> <strong>der</strong>jenige <strong>der</strong> Systemgere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

sind zu eng, um als Grundbegriff einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie dienli<strong>ch</strong> zu sein.<br />

2. Die engeren <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffe<br />

In D 1 ist ein weiter <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff bestimmt 101 , bei dem alle Güter o<strong>der</strong> Werte<br />

(z.B. Glei<strong>ch</strong>heit, Zweckmäßigkeit, Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit) in einem einzigen Ri<strong>ch</strong>tigkeitsurteil<br />

über sozialbezogenes Handeln berücksi<strong>ch</strong>tigt werden: »Ri<strong>ch</strong>tigkeit ... eines Handelns«<br />

102 bedeutet Ri<strong>ch</strong>tigkeit s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>thin. Von dem so definierten weiten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff<br />

sind mindestens drei engere Begriffsverständnisse zu unters<strong>ch</strong>eiden.<br />

Zunä<strong>ch</strong>st gibt es zwei Konzeptualisierungen <strong>der</strong> Einzelfallgere<strong>ch</strong>tigkeit (aequitas),<br />

nämli<strong>ch</strong> die Billigkeit sowie die (anglo-amerikanis<strong>ch</strong> geprägte) equity. Die Billigkeit<br />

ist eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sform, die <strong>der</strong> formalen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> wi<strong>der</strong>spri<strong>ch</strong>t, indem sie –<br />

si<strong>ch</strong> auf die ratio <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> berufend – eine Ausnahme von <strong>der</strong> Regel for<strong>der</strong>t,<br />

eingedenk <strong>der</strong> Warnung: summum ius, summa iniuria 103 . Die equity ist ebenfalls ein<br />

beson<strong>der</strong>er Fall <strong>der</strong> Einzelfallgere<strong>ch</strong>tigkeit, <strong>der</strong> aber, an<strong>der</strong>s als die Billigkeit, ni<strong>ch</strong>t<br />

99 Im Ergebnis ebenso: A. Zsidai, Systemwandel und Beseitigung von Ungere<strong>ch</strong>tigkeiten (1995),<br />

S. 506: »Die formelle <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ... bedeutet gerade das Auss<strong>ch</strong>ließen je<strong>der</strong> materiellen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>spostulate<br />

und Konzeptionen.« (Hervorhebung bei Zsidai).<br />

100 Dieser Zielkonflikt ist in <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heitsre<strong>ch</strong>tsdogmatik als Gegensatz zwis<strong>ch</strong>en formalem und<br />

materialem Glei<strong>ch</strong>heitsverständnis bekannt. Vgl. etwa aus <strong>der</strong> deuts<strong>ch</strong>en Verfassungsre<strong>ch</strong>tsdogmatik<br />

zum Glei<strong>ch</strong>heitssatz des Art. 3 I GG: W. Heun, Artikel 3 GG (1996), Rn. 58 ff. m.w.N.<br />

101 Dazu oben Fn. 89 (Vertreter eines weiten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffs).<br />

102 Vgl. oben S. 50 (D 1 ).<br />

103 Vgl. Aristoteles, Nikoma<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Ethik, I 1 (1137a 32 ff.), übers. v. O. Gigon: »Die S<strong>ch</strong>wierigkeit<br />

kommt daher, daß das Billige zwar ein Re<strong>ch</strong>t ist, aber ni<strong>ch</strong>t dem Gesetze na<strong>ch</strong>, son<strong>der</strong>n als eine<br />

Korrektur des gesetzli<strong>ch</strong> Gere<strong>ch</strong>ten. ... Dies ist also die Natur des Billigen, eine Korrektur des Gesetzes,<br />

soweit es auf Grund seiner Allgemeinheit mangelhaft ist.«; G. Radbru<strong>ch</strong>, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> und<br />

Gnade (1949), S. 333 – Billigkeit als '<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> des Einzelfalls'; <strong>der</strong>s., Re<strong>ch</strong>tsphilosophie (1973),<br />

S. 123 – zum heuristis<strong>ch</strong>en Unters<strong>ch</strong>ied: »Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> sieht den Einzelfall unter dem Gesi<strong>ch</strong>tspunkt<br />

<strong>der</strong> allgemeinen Norm, die Billigkeit su<strong>ch</strong>t im Einzelfall sein eigenes Gesetz, das si<strong>ch</strong><br />

s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> aber glei<strong>ch</strong>falls zu einem allgemeinen Gesetz erheben lassen muß«; W. Leisner, Der<br />

Abwägungsstaat (1997), S. 230 ff. – »<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> dur<strong>ch</strong> Normdur<strong>ch</strong>bre<strong>ch</strong>ung«. Außerdem<br />

C. Perelman, Fünf Vorlesungen über die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1965), S. 108: »Steht ni<strong>ch</strong>t außerdem die Billigkeit<br />

bisweilen einer glei<strong>ch</strong>förmigen und sozusagen me<strong>ch</strong>anis<strong>ch</strong>en Anwendung <strong>der</strong> selben Regel<br />

ohne Bea<strong>ch</strong>tung <strong>der</strong> Folgen entgegen?«; K. Engis<strong>ch</strong>, Auf <strong>der</strong> Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

(1971), S. 180 ff. (181): »Dagegen betrifft augens<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> die Billigkeit die Beziehung <strong>der</strong> abstrakten<br />

Norm zum konkreten Einzelfall bei Anwendung jener auf diesen.« Ferner H. Henkel, Einführung<br />

in die Re<strong>ch</strong>tsphilosophie (1964), S. 327: »Billigkeit ist also ni<strong>ch</strong>ts von <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> Wesensvers<strong>ch</strong>iedenes<br />

o<strong>der</strong> ihr gegenüber Gegensätzli<strong>ch</strong>es; sie ist vielmehr nur <strong>der</strong> Ausdruck <strong>der</strong> einen<br />

<strong>der</strong> beiden im Wi<strong>der</strong>streit befindli<strong>ch</strong>en Tendenzen <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>: Einzelfallgere<strong>ch</strong>tigkeit.«<br />

(Hervorhebung bei Henkel).<br />

63


ein Regel-Ausnahme-Verhältnis andeutet, son<strong>der</strong>n vielmehr ein Einzelergebnis <strong>der</strong><br />

Verteilungsgere<strong>ch</strong>tigkeit 104 . Den Formen <strong>der</strong> Einzelfallgere<strong>ch</strong>tigkeit soll hier ni<strong>ch</strong>t<br />

weiter na<strong>ch</strong>gegangen werden.<br />

Interessant als Gegensatz zum weiten Begriff in D 1 ers<strong>ch</strong>eint vor allem <strong>der</strong> enge<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff, <strong>der</strong> von Radbru<strong>ch</strong> systematis<strong>ch</strong> bestimmt wurde und seitdem<br />

in <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Literatur große Verbreitung findet. Er soll hier juristis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff<br />

genannt werden. Der juristis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff versteht <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

als eine unter mehreren spezifis<strong>ch</strong>en Ideen des Re<strong>ch</strong>ts; er stellt <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

die Zweckmäßigkeit und Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit als Antinomien innerhalb <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsidee<br />

gegenüber 105 . Die so bestimmte <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Re<strong>ch</strong>tswert 'konkurriert' dann mit<br />

an<strong>der</strong>en Zielen, etwa <strong>der</strong> Effizienzsteigerung o<strong>der</strong> <strong>der</strong> staatli<strong>ch</strong>en Selbsterhaltung 106 .<br />

Außer bei Radbru<strong>ch</strong> finden si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> bei an<strong>der</strong>en Autoren ähnli<strong>ch</strong> antinomis<strong>ch</strong> bestimmte<br />

Re<strong>ch</strong>tsbegriffe; so stellt etwa Lucas <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> außerdem Freiheit,<br />

Gemeinwohl und Moralität gegenüber 107 . Eine abs<strong>ch</strong>ließende Liste dürfte si<strong>ch</strong> kaum<br />

befriedigend erstellen lassen, zumal si<strong>ch</strong> die Güter gegenseitig bedingen 108 .<br />

104 Gemeint ist hier <strong>der</strong> weite equity-Begriff im Sinne proportionaler Glei<strong>ch</strong>heit (equitable distribution).<br />

Enger ist demgegenüber <strong>der</strong> sozialpsy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>e Begriff <strong>der</strong> equity-Theory; dana<strong>ch</strong> ist equity »die<br />

Wahrnehmung, daß alle an <strong>der</strong> Beziehung beteiligten Personen einen im Verhältnis zu ihren Beiträgen<br />

relativ glei<strong>ch</strong>en Gewinn erhalten«; H.W. Bierhoff, Sozialpsy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

(1996), S. 4. In Kontinentaleuropa wird als 'equity' o<strong>der</strong> 'équité' gelegentli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> das<br />

Regel-Ausnahme-Verhältnis bezei<strong>ch</strong>net, das hier 'Billigkeit' heißen soll; so etwa P. Ricœur, Soimême<br />

comme un autre (1990), S. 305.<br />

105 G. Radbru<strong>ch</strong>, Gesetzli<strong>ch</strong>es Unre<strong>ch</strong>t und übergesetzli<strong>ch</strong>es Re<strong>ch</strong>t (1946), S. 345: »Neben die Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit<br />

treten ... Zweckmäßigkeit und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>«; <strong>der</strong>s., Re<strong>ch</strong>tsphilsophie (1973), S. 164 ff.<br />

(Antinomien <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsidee) sowie S. 142 f. (Zweck des Re<strong>ch</strong>ts). Genauso K. Engis<strong>ch</strong>, Auf <strong>der</strong> Su<strong>ch</strong>e<br />

na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1971), S. 186 ff.; F. Bydlinski, Juristis<strong>ch</strong>e Methodenlehre und Re<strong>ch</strong>tsbegriff<br />

(1982), S. 325 ff. Ähnli<strong>ch</strong> H.L.A. Hart, Concept of Law (1961), S. 162: »Not only is this [justice]<br />

distinct from other values whi<strong>ch</strong> laws may have or lack, but sometimes the demands of justice<br />

may conflict with other values.« Hart erwähnt das Interesse an Generalprävention, die öffentli<strong>ch</strong>e<br />

Si<strong>ch</strong>erheit, den Wohlstand, die Funktionsfähigkeit des Geri<strong>ch</strong>tswesens, die Kosten <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsdur<strong>ch</strong>setzung;<br />

I. Tammelo, Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1977), S. 81: »Neben <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> gibt es<br />

au<strong>ch</strong> an<strong>der</strong>e Leitwerte des Re<strong>ch</strong>ts, vor allem die Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit, die re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Zweckmäßigkeit,<br />

das im Re<strong>ch</strong>tswege erzielbare Gemeinwohl und au<strong>ch</strong> die Billigkeit.« Ausdrückli<strong>ch</strong>e Hervorhebungen<br />

<strong>der</strong> Differenz zwis<strong>ch</strong>en Ri<strong>ch</strong>tigkeit und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> etwa bei D.D. Raphael, Justice and<br />

Liberty (1980), S. 111: »If so, he [Rawls] is regarding his theory as one of rightness, not of justice or<br />

fairness as commonly un<strong>der</strong>stood.« Au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Huster gibt es in <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsdogmatik 'spezifis<strong>ch</strong>e<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgebote', die mit Erwägungen kollektiven Wohls kollidieren können; S. Huster, Re<strong>ch</strong>te<br />

und Ziele (1993), S. 221. Vgl. au<strong>ch</strong> W. Hoffmann-Riem, Wahrheit, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, Unabhängigkeit<br />

und Effizienz (1997), S. 1 f. Verwe<strong>ch</strong>slungsgefahr besteht zwis<strong>ch</strong>en den hier gemeinten (re<strong>ch</strong>tstheoretis<strong>ch</strong>en)<br />

Antinomien innerhalb <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsidee und den ebenfalls als 'Antinomien im Re<strong>ch</strong>t'<br />

diskutierten (re<strong>ch</strong>tsdogmatis<strong>ch</strong>en) Wi<strong>der</strong>sprü<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>keiten innerhalb einzelner Re<strong>ch</strong>tsgebiete; vgl.<br />

die Beiträge in dem von C. Perelman herausgegebenen Sammelband 'Les Antinomies en Droit'<br />

(1965), insbeson<strong>der</strong>e die dortige Definition von P. Foriers, Les Antinomies en Droit (1965), S. 20:<br />

»realer o<strong>der</strong> s<strong>ch</strong>einbarer Wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en zwei Re<strong>ch</strong>tsnormen«.<br />

106 Vgl. G. Radbru<strong>ch</strong>, Re<strong>ch</strong>tsphilosophie (1973), S. 164 f.; J.R. Lucas, Principles of Politics (1966), S. 238:<br />

Ein reales Beispiel 'ungere<strong>ch</strong>ter' Maßnahmen, die im Interesse staatli<strong>ch</strong>er Selbsterhaltung dur<strong>ch</strong>geführt<br />

wurden, liege in <strong>der</strong> Internierung von Personen japanis<strong>ch</strong>er Abstammung in den Vereinigten<br />

Staaten während des zweiten Weltkriegs.<br />

107 Vgl. J.R. Lucas, Principles of Politics (1966), S. 233 ff. Beson<strong>der</strong>s eindringli<strong>ch</strong> seine Gegenüberstellung<br />

von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> und Freiheit (S. 242): »Freedom is radically different from Justice, and we<br />

64


Die Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en dem juristis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff, wie er von<br />

Radbru<strong>ch</strong> und an<strong>der</strong>en formuliert wurde, und dem in D 1 bestimmten weiten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff<br />

ist grundlegend für den Gebrau<strong>ch</strong> des Prädikats 'gere<strong>ch</strong>t'. Na<strong>ch</strong> dem<br />

juristis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff wird man Personen häufig absi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> 'ungere<strong>ch</strong>t'<br />

behandeln, beispielsweise mit <strong>der</strong> Begründung: 'A müßte gere<strong>ch</strong>terweise X erhalten;<br />

für die Effizienz des Verteilungsverfahrens ist es aber unerläßli<strong>ch</strong> und deshalb ri<strong>ch</strong>tig,<br />

wenn er X ni<strong>ch</strong>t erhält.' Na<strong>ch</strong> dem weiten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff würde dieselbe<br />

Behandlung des A dagegen als 'gere<strong>ch</strong>t' ers<strong>ch</strong>einen: 'A müßte aus Gründen <strong>der</strong><br />

Glei<strong>ch</strong>behandlung X erhalten; das Effizienzgebot ma<strong>ch</strong>t es aber ri<strong>ch</strong>tig und damit gere<strong>ch</strong>t,<br />

wenn er X ni<strong>ch</strong>t erhält.' Dieser unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Gebrau<strong>ch</strong> des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprädikats<br />

betrifft ni<strong>ch</strong>t etwa nur exotis<strong>ch</strong>e Grenzfälle, son<strong>der</strong>n tritt in ganz gewöhnli<strong>ch</strong>en<br />

Regelungen einer Re<strong>ch</strong>tsordnung auf. Wenn beispielsweise S seinen Gläubiger<br />

G wegen einer Darlehenssumme mit ges<strong>ch</strong>ickter Hinhaltetaktik so lange vertröstet,<br />

bis <strong>der</strong> Rückzahlungsanspru<strong>ch</strong> verjährt ist, dann gilt das re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Ergebnis als ungere<strong>ch</strong>t,<br />

aber denno<strong>ch</strong> ri<strong>ch</strong>tig, wenn man mit dem juristis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff operiert.<br />

Denn G stand die Rückzahlung des Darlehens zu (suum cuique) 109 . Er kann seinen<br />

individuellen Anspru<strong>ch</strong> nur deshalb ni<strong>ch</strong>t verwirkli<strong>ch</strong>en, weil die dur<strong>ch</strong> das kollektive<br />

Bedürfnis na<strong>ch</strong> Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit und Re<strong>ch</strong>tsfrieden begründeten Verjährungsregeln<br />

eine geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Dur<strong>ch</strong>setzung auss<strong>ch</strong>ließen. Na<strong>ch</strong> dem hier mit D 1 zugrundegelegten<br />

weiten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff ist das Ergebnis demgegenüber unter<br />

Bea<strong>ch</strong>tung aller Gesi<strong>ch</strong>tspunkte (eins<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> des Interesses an Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit)<br />

insgesamt ri<strong>ch</strong>tig und folgli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> gere<strong>ch</strong>t.<br />

Auf den ersten Blick mag es vorteilhaft ers<strong>ch</strong>einen, zwis<strong>ch</strong>en einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

im engeren Sinne und an<strong>der</strong>en Gesi<strong>ch</strong>tspunkten (Wohlstand, gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>em Gesamtnutzen,<br />

Funktionsfähigkeit <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsordnung) einen Zielkonflikt festzustellen<br />

110 . Der <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff würde dadur<strong>ch</strong> spezifis<strong>ch</strong>er, ließe si<strong>ch</strong> auf die Ri<strong>ch</strong>tigkeit<br />

eines Verteilungs- o<strong>der</strong> Ausglei<strong>ch</strong>sergebnisses konzentrieren, und könnte in<br />

dieser Spezifität von einer Gesamtbeurteilung unter Abwägung mit an<strong>der</strong>en relevanten<br />

Faktoren unters<strong>ch</strong>ieden werden 111 . Do<strong>ch</strong> gibt es drei Gründe, aus denen <strong>der</strong> enge,<br />

juristis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t als Ausgangspunkt für <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sanalysen<br />

eignet. Erstens führt er zu <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>wierigkeit, Kriterien einer Ge-<br />

have to compromise Justice, however all-embracing we make it, if we are to have Freedom at all.<br />

In allowing men to exercise legal privileges, we allow them to act arbitrarily, selfishly, inconsi<strong>der</strong>ately,<br />

unreasonably and unfairly. ... Freedom is inherently unfair.«<br />

108 Das sieht au<strong>ch</strong> G. Radbru<strong>ch</strong>, Gesetzli<strong>ch</strong>es Unre<strong>ch</strong>t und übergesetzli<strong>ch</strong>es Re<strong>ch</strong>t (1946), S. 345: »Die<br />

Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit, die jedem positiven Gesetz s<strong>ch</strong>on wegen seiner Positivität eignet, nimmt eine<br />

merkwürdige Mittelstellung zwis<strong>ch</strong>en Zweckmäßigkeit und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ein: sie ist einerseits<br />

vom Gemeinwohl gefor<strong>der</strong>t, an<strong>der</strong>erseits aber au<strong>ch</strong> von <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>. Daß das Re<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong>er<br />

sei, daß es ni<strong>ch</strong>t heute und hier so, morgen und dort an<strong>der</strong>s ausgelegt und angewandt werde, ist<br />

zuglei<strong>ch</strong> eine For<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>.«<br />

109 Dazu oben S. 45 (suum cuique-Formel).<br />

110 Vgl. den Katalog bei H.L.A. Hart, Concept of Law (1961), S. 162 ff.<br />

111 So z.B. S. Huster, Re<strong>ch</strong>te und Ziele (1993), S. 208.<br />

65


e<strong>ch</strong>tigkeit im engeren Sinn von an<strong>der</strong>en Kriterien, etwa <strong>der</strong> Nützli<strong>ch</strong>keit, abzugrenzen<br />

112 . Zweitens gibt er das Verhältnis zwis<strong>ch</strong>en Ri<strong>ch</strong>tigkeit und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, wie es<br />

na<strong>ch</strong> normalem Spra<strong>ch</strong>gebrau<strong>ch</strong> gilt, ni<strong>ch</strong>t zutreffend wie<strong>der</strong>; denn dieser Spra<strong>ch</strong>gebrau<strong>ch</strong><br />

läßt es ni<strong>ch</strong>t zu, eine Handlung glei<strong>ch</strong>zeitig als ungere<strong>ch</strong>t und als ri<strong>ch</strong>tig zu<br />

bezei<strong>ch</strong>nen. Vor allem aber gilt drittens, daß si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> enge Begriff ni<strong>ch</strong>t für die Untersu<strong>ch</strong>ung<br />

von <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> eignet, weil diese die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> umfassend,<br />

also unter Berücksi<strong>ch</strong>tigung aller relevanten Faktoren begründen wollen. Die<br />

<strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> können deshalb gerade ni<strong>ch</strong>t einen verengten, von an<strong>der</strong>en<br />

Faktoren isolierten Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> zur Grundlage nehmen. Denn für<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien ist ni<strong>ch</strong>ts gewonnen, wenn beispielsweise die Sippenhaft (d.h.<br />

die Geiselnahme von Angehörigen zur Strafverfolgung o<strong>der</strong> die Verhängung von<br />

Kollektivstrafen) si<strong>ch</strong> als ungere<strong>ch</strong>t für die Betroffenen aber glei<strong>ch</strong>wohl effektiv zur<br />

Dur<strong>ch</strong>setzung staatli<strong>ch</strong>er Strafsanktionen erweist 113 . Die eigentli<strong>ch</strong>e Frage, ob si<strong>ch</strong> in<br />

einer Gesamtbetra<strong>ch</strong>tung <strong>der</strong> Umstände das Mittel <strong>der</strong> Sippenhaft re<strong>ch</strong>tfertigen läßt,<br />

ist damit no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t einmal gestellt. Ähnli<strong>ch</strong>es gilt für eine Vielzahl an<strong>der</strong>er Fälle:<br />

Der Gläubiger, dessen For<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Verjährung unterfällt, das Verbre<strong>ch</strong>ensopfer,<br />

das wegen Verfolgungsverjährung auf die Genugtuung staatli<strong>ch</strong>er Vergeltung verzi<strong>ch</strong>ten<br />

muß, die Vertragspartei, die si<strong>ch</strong> wegen eines Formfehlers ni<strong>ch</strong>t auf eine Vereinbarung<br />

berufen kann – sie alle müßten na<strong>ch</strong> dem engen, juristis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff<br />

als Opfer staatli<strong>ch</strong>er Ungere<strong>ch</strong>tigkeit angesehen werden. In <strong>der</strong> Perspektive<br />

von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien wird demgegenüber untersu<strong>ch</strong>t, ob eine (re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e)<br />

Regelung insgesamt ungere<strong>ch</strong>t ist. Dazu aber ist, wie hier mit D 1 , ein weiter <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff<br />

zugrundezulegen, in dem au<strong>ch</strong> die Kriterien <strong>der</strong> Zweckmäßigkeit und<br />

Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit aufgehen 114 .<br />

3. Der idealistis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff<br />

Als 'idealistis<strong>ch</strong>e' o<strong>der</strong> 'tugendzentrierte' Begriffsbestimmungen kann man diejenigen<br />

Definitionen bezei<strong>ch</strong>nen, die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> unter Bezugnahme auf die Natur des<br />

Mens<strong>ch</strong>en bestimmen 115 – in ihrem juristis<strong>ch</strong>en Eins<strong>ch</strong>lag meist als ontologis<strong>ch</strong>e Naturre<strong>ch</strong>tslehren<br />

116 . Sol<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> verstehen den Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in erster<br />

112 S. Huster, Re<strong>ch</strong>te und Ziele (1993), S. 209.<br />

113 Beispiel bei J.R. Lucas, Principles of Politics (1966), S. 240 f. Dort au<strong>ch</strong> die Aussage, daß exemplaris<strong>ch</strong><br />

s<strong>ch</strong>arfe Strafen zur Generalprävention gere<strong>ch</strong>tfertigt sein können, wenn die staatli<strong>ch</strong>e Selbsterhaltung<br />

ohne sie in Frage gestellt wäre.<br />

114 Ähnli<strong>ch</strong> bereits M. Rümelin, Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1920), S. 50: »[E]in höherer .... <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff,<br />

<strong>der</strong> das Gere<strong>ch</strong>te faßt als das, was dem Wesen des Re<strong>ch</strong>ts gemäß ist o<strong>der</strong> was dem ri<strong>ch</strong>tigen<br />

Re<strong>ch</strong>t entspri<strong>ch</strong>t. Dabei muß ausgegangen werden von den Zwecken <strong>der</strong> Gemeins<strong>ch</strong>aft selbst.<br />

Insofern vers<strong>ch</strong>windet <strong>der</strong> Gegensatz zwis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> und Zweckmäßigkeit.«. Auf den<br />

weiten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff läßt si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Radbru<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>e Gedanke <strong>der</strong> Antinomien glei<strong>ch</strong>wohl übertragen:<br />

Innerhalb <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (im hier zugrundegelegten weiten Sinn) können Antinomien<br />

zwis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im engeren Sinn und <strong>der</strong> Zweckmäßigkeit bzw. Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit bestehen.<br />

115 Vgl. insbeson<strong>der</strong>e Aristoteles, Nikoma<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Ethik, I 1 (1094a 2-3), <strong>der</strong> das Gute als das definiert,<br />

na<strong>ch</strong> dem alles strebt. Zum deuts<strong>ch</strong>en Idealismus vgl. H. Welzel, Naturre<strong>ch</strong>t und materiale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

(1962), S. 175: »Hegels Re<strong>ch</strong>tsphilosophie ist, wenn man es re<strong>ch</strong>t versteht, die vollkommenste<br />

Gestalt einer materialen Naturre<strong>ch</strong>tslehre.«<br />

116 Dazu unten S. 89 (ontologis<strong>ch</strong>es und rationalistis<strong>ch</strong>es Naturre<strong>ch</strong>t).<br />

66


Linie axiologis<strong>ch</strong>, begründen also <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> damit, daß etwas als 'gut' bewertet<br />

werden kann 117 . Daraus ergeben si<strong>ch</strong> drei Unters<strong>ch</strong>iede zu dem hier verwendeten<br />

deontologis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff 118 .<br />

Ein erster Unters<strong>ch</strong>ied liegt darin, daß axiologis<strong>ch</strong>e Prädikate graduell verwirkli<strong>ch</strong>t<br />

werden können, weil eine Sa<strong>ch</strong>e mehr o<strong>der</strong> weniger gut sein kann. Dagegen<br />

vergibt man deontologis<strong>ch</strong>e Prädikate absolut, d.h. entwe<strong>der</strong> ganz o<strong>der</strong> gar ni<strong>ch</strong>t 119 .<br />

In Tugendlehren und idealistis<strong>ch</strong>en Ethiken, denen eine Konzeption des Guten<br />

zugrunde liegt, ist die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> eine Tugend des Mens<strong>ch</strong>en 120 , also eine Eigens<strong>ch</strong>aft,<br />

dur<strong>ch</strong> die <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong> gut wird 121 . Ein einzelnes Handeln verdient das Prädikat<br />

'gere<strong>ch</strong>t' wenn es (teleologis<strong>ch</strong>) den Handelnden dem vorbestimmten Ziel <strong>der</strong><br />

Tugendhaftigkeit näher bringt. Der Mens<strong>ch</strong> selbst kann dabei mehr o<strong>der</strong> weniger gere<strong>ch</strong>t<br />

sein; eine einzelne Ungere<strong>ch</strong>tigkeit im Handeln ma<strong>ch</strong>t ihn ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>thin<br />

ungere<strong>ch</strong>t 122 . Neben die absolute Bedeutung ('s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>thin gere<strong>ch</strong>t') tritt also in <strong>der</strong><br />

Tugendlehre eine graduelle Bedeutung des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprädikats. Beim deontologis<strong>ch</strong>en<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff in D 1 ist dies ausges<strong>ch</strong>lossen. Die definitionsgemäß erfor<strong>der</strong>li<strong>ch</strong>e<br />

'Pfli<strong>ch</strong>tigkeit' des Handelns impliziert bereits eine absolute Geltung, in<br />

<strong>der</strong> jede Graduierbarkeit ausges<strong>ch</strong>lossen ist: ein Handeln kann nur entwe<strong>der</strong> ganz<br />

o<strong>der</strong> gar ni<strong>ch</strong>t pfli<strong>ch</strong>tig sein.<br />

Ein zweiter Unters<strong>ch</strong>ied entsteht dur<strong>ch</strong> die Einbeziehung des Gesetzesgehorsams<br />

in das tugendzentrierte <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sverständnis. Die Tugendhaftigkeit des Mens<strong>ch</strong>en<br />

beweist si<strong>ch</strong> dabei in <strong>der</strong> Befolgung gesetzli<strong>ch</strong>er Gebote und Verbote 123 . Demgegenüber<br />

kann es gemäß D 1 für die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> gerade ni<strong>ch</strong>t darauf ankommen,<br />

ob ein Handeln Ausdruck von Gesetzesgehorsam ist o<strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>t. Die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des<br />

Handelns muß zunä<strong>ch</strong>st unabhängig von Re<strong>ch</strong>tsnormen bestimmt werden, soll sie<br />

si<strong>ch</strong> dazu eignen, Maßstäbe für das Re<strong>ch</strong>t zu liefern.<br />

Der dritte Unters<strong>ch</strong>ied liegt in <strong>der</strong> Subjektivierung <strong>der</strong> Kriterien für <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

124 . Im tugendzentrierten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sverständnis kommt es grundsätzli<strong>ch</strong> auf<br />

den guten Willen an 125 . Dieser Zusammenhang findet si<strong>ch</strong> treffend in <strong>der</strong> Formulierung<br />

Ulpians, na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> davon abhängt, daß ein Mens<strong>ch</strong> dauerhaft<br />

den Willen hat, jedem das Seine zu gewähren (iustitia est constans et perpetua voluntas<br />

ius suum cuique tribuere) 126 . Indem D 1 ledigli<strong>ch</strong> auf die Pfli<strong>ch</strong>tigkeit des Handelns,<br />

117 Dazu oben S. 52 ff. (Sollensbezug und axiologis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff D 1A ).<br />

118 Dazu oben S. 50 (D 1 ).<br />

119 Vgl. oben S. 52 ff. bei Fn. 59 (<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist 'binär kodiert'). Das heißt ni<strong>ch</strong>t, daß bei deontologis<strong>ch</strong>en<br />

Prädikaten ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> Regelkollisionen dur<strong>ch</strong> Vorrangverhältnisse o<strong>der</strong> Prinzipienkollisionen<br />

dur<strong>ch</strong> Abwägungen gelöst werden müßten. Do<strong>ch</strong> bleibt im Ergebnis immer eine absolute<br />

Aussage über die Pfli<strong>ch</strong>tigkeit des Handelns.<br />

120 Aristoteles, Nikoma<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Ethik, V 1-15 (1129a 1 ff.). Vgl. unten S. 161 ff. (neoaristotelis<strong>ch</strong>er<br />

Kommunitarismus MacIntyres).<br />

121 Aristoteles, Nikoma<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Ethik, II 5 (1106a 15-24).<br />

122 Aristoteles, Nikoma<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Ethik, V 10 (1134a 17-23).<br />

123 Dazu oben S. 56 (aristotelis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff). Aristoteles, Nikoma<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Ethik, V 3<br />

(1129b 11-14).<br />

124 F. Bydlinski, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als re<strong>ch</strong>tspraktis<strong>ch</strong>er Maßstab (1996), S. 109 f.<br />

125 Aristoteles, Nikoma<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Ethik, V 1 (1129a 6-11).<br />

126 Vgl. oben S. 45 (suum cuique-Formel).<br />

67


ni<strong>ch</strong>t dagegen auf die Motive für das Handeln abstellt, enthält die Definition ein objektives<br />

Element, das sie von tugendzentrierten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffen unters<strong>ch</strong>eidet.<br />

Wi<strong>ch</strong>tig wird dies in allen Fällen konfligieren<strong>der</strong> Verhaltensanfor<strong>der</strong>ungen.<br />

Normalerweise besteht die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> des Einzelnen na<strong>ch</strong> idealistis<strong>ch</strong>em o<strong>der</strong> tugendhaftem<br />

Verständnis gerade in <strong>der</strong> Einhaltung <strong>der</strong> Regeln aller normativen Teilordnungen,<br />

also insbeson<strong>der</strong>e im Gesetzesgehorsam, <strong>der</strong> Religiosität, <strong>der</strong> Loyalität<br />

und in <strong>der</strong> übrigen Sittli<strong>ch</strong>keit. Subjektives Verständnis und objektive Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

entspre<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> dann. Die Entspre<strong>ch</strong>ung endet jedo<strong>ch</strong> dort, wo individuelle<br />

Tugendvorstellung und normative Ordnung konfligieren (z.B. weil jemand die Verfolgung<br />

eigener Interessen au<strong>ch</strong> dort no<strong>ch</strong> für gere<strong>ch</strong>t hält, wo sie gesetzli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on<br />

den Betrugstatbestand erfüllt) 127 , wo die individuelle Moral über die Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

sozialer Ordnung hinausgeht (z.B. wenn S<strong>ch</strong>uld empfunden wird, obwohl ein Verhalten<br />

gesetzli<strong>ch</strong> und sittli<strong>ch</strong> objektiv gere<strong>ch</strong>tfertigt war), wo eine normative Ordnung<br />

wi<strong>der</strong>sprü<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es verlangt und dadur<strong>ch</strong> unerfüllbar wird o<strong>der</strong> – und dies ist<br />

<strong>der</strong> häufigste und s<strong>ch</strong>wierigste Fall – wo normative Ordnungen untereinan<strong>der</strong> konfligieren,<br />

etwa Religion o<strong>der</strong> Sitte mit dem Gesetz, so daß <strong>der</strong> Einzelne keine Mögli<strong>ch</strong>keit<br />

hat, die Normen aller für ihn subjektiv verbindli<strong>ch</strong>en Ordnungen glei<strong>ch</strong>zeitig zu<br />

a<strong>ch</strong>ten. Ein subjektiver <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff führt in Konfliktfällen notwendig zur<br />

Unbestimmtheit. Demgegenüber bietet D 1 als objektive Definition die Mögli<strong>ch</strong>keit,<br />

als gere<strong>ch</strong>t nur dasjenige Verhalten anzusehen, das si<strong>ch</strong> unter Berücksi<strong>ch</strong>tigung <strong>der</strong><br />

Verhaltenserwartungen aus allen normativen Teilordnungen insgesamt als ri<strong>ch</strong>tig<br />

erweist. Ein gesetzli<strong>ch</strong>es Gebot kann si<strong>ch</strong> in dieser Gesamtbetra<strong>ch</strong>tung beispielsweise<br />

als 'ungere<strong>ch</strong>t' erweisen, wenn es von den Normadressaten unangemessen intensive<br />

Zugeständnisse an ihre Religiosität o<strong>der</strong> Sittli<strong>ch</strong>keit verlangt 128 .<br />

4. Die holistis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffe<br />

Neben <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffen, die enger als <strong>der</strong> in D 1 definierte sind, gibt es au<strong>ch</strong><br />

sol<strong>ch</strong>e, die si<strong>ch</strong> wegen ihrer uferlosen Weite für <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien ni<strong>ch</strong>t eignen.<br />

Zu diesen gehören die Begriffe <strong>der</strong> Gottes- und <strong>der</strong> Weltgere<strong>ch</strong>tigkeit, die auf je eigene<br />

Art von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> au<strong>ch</strong> jenseits des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Handelns spre<strong>ch</strong>en und<br />

in diesem Sinne 'holistis<strong>ch</strong>' genannt werden können.<br />

Ein religiöses Verständnis <strong>der</strong> '<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> Gottes' 129 kann selbst dort Kriterien<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> erri<strong>ch</strong>ten, wo unmittelbare persönli<strong>ch</strong>e Verhaltensverantwortung<br />

von Mens<strong>ch</strong>en gänzli<strong>ch</strong> fehlt 130 . Der allmä<strong>ch</strong>tige und allwissende Gott mag dabei<br />

zwar als 'handlungsfähig' bezei<strong>ch</strong>net werden, do<strong>ch</strong> dann mit an<strong>der</strong>em Sinngehalt als<br />

127 Ein entspre<strong>ch</strong>endes Beispiel zum fehlenden Vorsatz bei deliktis<strong>ch</strong>em Verhalten findet si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong><br />

bei Aristoteles, Nikoma<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Ethik, V 10 (1134a 17-23).<br />

128 Vgl. oben S. 63 ff. (weiter <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff im Gegensatz zu engeren Begriffen).<br />

129 Unter '<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> Gottes' versteht die Moraltheologie die 'Re<strong>ch</strong>tfertigung' des Mens<strong>ch</strong>en vor<br />

Gott; D. Mieth, Re<strong>ch</strong>tfertigung und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1977), S. 64 ff.<br />

130 Z.B. E. Brunner, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1943), S. 54 ff. (54): »Entwe<strong>der</strong> hat das Wort <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> den Bezug<br />

auf göttli<strong>ch</strong>e Ursetzung, den Klang des Heiligen und unbedingt Gültigen – o<strong>der</strong> aber es ist<br />

ein leerer S<strong>ch</strong>all.«; D. Mieth, Re<strong>ch</strong>tfertigung und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1977), S. 64: »Gott allein stiftet <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>,<br />

indem er den Mens<strong>ch</strong>en vor seiner <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> re<strong>ch</strong>tfertigt.« und S. 66: »[A]llein<br />

Gott ma<strong>ch</strong>t den Mens<strong>ch</strong>en gere<strong>ch</strong>t ... <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong> lebt gere<strong>ch</strong>t aus <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> Gottes.«<br />

68


eim mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Handeln, das in D 1 gemeint ist. Ähnli<strong>ch</strong>es gilt für diejenige religiöse<br />

Begriffsbildung, die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Gottesgehorsam sieht, etwa beim biblis<strong>ch</strong>en<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff des alten und neuen Testaments 131 . Insoweit besteht eine<br />

Paralle zum Gesetzesgehorsam <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en 'allgemeinen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' (iustitia<br />

universalis) 132 : Gehorsamsbegriffe taugen ni<strong>ch</strong>t für <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien, weil es<br />

zu <strong>der</strong>en Eigenarten gehört, Normenordnungen kritis<strong>ch</strong> zu hinterfragen statt ein Gehorsamsgebot<br />

vorauszusetzen. Ni<strong>ch</strong>t unter D 1 fällt außerdem das ni<strong>ch</strong>t-religiöse Verständnis<br />

einer 'Weltgere<strong>ch</strong>tigkeit', wie es si<strong>ch</strong> etwa im Alltagsspra<strong>ch</strong>gebrau<strong>ch</strong> ausdrückt,<br />

wenn wir S<strong>ch</strong>icksalss<strong>ch</strong>läge (z.B. den frühen Tod eines geliebten Mens<strong>ch</strong>en,<br />

die Naturkatastrophe) als 'Ungere<strong>ch</strong>tigkeit' beklagen 133 . Derlei 'Ungere<strong>ch</strong>tigkeit' ist<br />

vom hier zugrundegelegten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff vers<strong>ch</strong>ieden, weil sie si<strong>ch</strong> dem<br />

mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Handeln entzieht.<br />

Der Grund dafür, daß sowohl Gottes- als au<strong>ch</strong> Weltgere<strong>ch</strong>tigkeit in gegenwärtigen<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien keine Rolle spielen, liegt in <strong>der</strong>en Bestreben na<strong>ch</strong> Metaphysikfreiheit<br />

134 . We<strong>der</strong> religiöser Glaube no<strong>ch</strong> weltans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>es Bekenntnis sind<br />

in demjenigen Sinne begründbar, den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien als Projekt <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en<br />

Philosophie als 'Begründung' anerkennen 135 . Die <strong>Theorien</strong> erstreben eine<br />

glaubensunabhängige Begründung, was auf die Struktur des von ihnen verwendeten<br />

und in D 1 zugrundegelegten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprädikats zurückwirkt: <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> und<br />

Handeln sind nur mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> und mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es Handeln.<br />

5. Ungere<strong>ch</strong>tigkeit als Grundbegriff?<br />

Als Kritik an gegenwärtigen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien ist geltend gema<strong>ch</strong>t worden, daß<br />

sie den Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> zu Unre<strong>ch</strong>t in den Mittelpunkt <strong>der</strong> Fragestellung<br />

rücken 136 . Eine in je<strong>der</strong> Hinsi<strong>ch</strong>t ri<strong>ch</strong>tige Sozialordnung könne dur<strong>ch</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>skonzepte<br />

allein ni<strong>ch</strong>t errei<strong>ch</strong>t werden. Statt dessen soll es zweckmäßiger sein, Sozialtheorien<br />

auf die Analyse von Ungere<strong>ch</strong>tigkeit zu stützen 137 . Die fortwährende Untersu<strong>ch</strong>ung<br />

von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> habe zwar immer neue Ansätze einer Legitimation von<br />

Herrs<strong>ch</strong>aft hervorgebra<strong>ch</strong>t, zur Beseitigung <strong>der</strong> offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Ungere<strong>ch</strong>tigkeiten in<br />

<strong>der</strong> Welt aber ni<strong>ch</strong>ts beigetragen 138 , obwohl die Beseitigung des Übels ein viel dringen<strong>der</strong>es<br />

moralis<strong>ch</strong>e Gebot sei als die S<strong>ch</strong>affung des Guten. Außerdem seien konkre-<br />

131 Vgl. 5 Mose 6.25, 9.6; Römer 2.13; Psalter 1.5; Matthäus 5.10.<br />

132 Aristoteles, Nikoma<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Ethik, S. V 1 (1129a 1 ff.). Dazu oben S. 56 (aristotelis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff).<br />

133 Bei Naturereignissen, die si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t als beson<strong>der</strong>er S<strong>ch</strong>icksalss<strong>ch</strong>lag für einzelne auswirken, etwa<br />

bei einem einfa<strong>ch</strong>en Gewitter, kann man no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t einmal im holistis<strong>ch</strong>en Sinne von '<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>'<br />

o<strong>der</strong> 'Ungere<strong>ch</strong>tigkeit' spre<strong>ch</strong>en; O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 51.<br />

134 Zum hier zugrundegelegten Metaphysikbegriff siehe oben S. 42, Fn. 84.<br />

135 Vgl. oben S. 27 ff. (<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> und praktis<strong>ch</strong>e Vernunft).<br />

136 T. Simon, Democracy and Social Injustice (1995), S. 16 ff.; B. Rüthers, Das Ungere<strong>ch</strong>te an <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

(1991), S. 20 ff., 133 ff.<br />

137 Vgl. T.R. Kearns/A. Sarat, Legal Justice and Injustice (1996), S. 2: »For every step taken toward realizing<br />

the good, an equal, if not greater, number of steps have been taken in the name of evil.«<br />

Grundlegend dazu J.N. Shklar, Über Ungere<strong>ch</strong>tigkeit (1990).<br />

138 Vgl. die Kritik bei T.R. Kearns/A. Sarat, Legal Justice and Injustice (1996), S. 1 f.<br />

69


te Regeln <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> regelmäßig negativ formuliert, also als Regeln über Ungere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

139 . Die politis<strong>ch</strong>e Philosophie sei s<strong>ch</strong>on aus Gründen <strong>der</strong> Bestimmtheit<br />

besser beraten, na<strong>ch</strong> Verfahren zur Vermeidung von Ungere<strong>ch</strong>tigkeit zu su<strong>ch</strong>en, statt<br />

si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> unbestimmten Vielfalt gere<strong>ch</strong>ter Lösungen auszuliefern 140 . Sowohl psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong><br />

als au<strong>ch</strong> moralis<strong>ch</strong> verdienten Fragen <strong>der</strong> Ungere<strong>ch</strong>tigkeit Priorität gegenüber<br />

Fragen <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 141 . Folgli<strong>ch</strong> sei ein Blickwe<strong>ch</strong>sel von <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

hin zur Ungere<strong>ch</strong>tigkeit geboten.<br />

Diese Kritik ist nur dann überhaupt verständli<strong>ch</strong>, wenn unter Ungere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

etwas an<strong>der</strong>es als Ni<strong>ch</strong>tgere<strong>ch</strong>tigkeit verstanden wird 142 . Denn an<strong>der</strong>nfalls wäre in<br />

<strong>der</strong> Untersu<strong>ch</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> immer au<strong>ch</strong> eine spiegelbildli<strong>ch</strong>e Untersu<strong>ch</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Ungere<strong>ch</strong>tigkeit enthalten. Dementspre<strong>ch</strong>end wird von den Proponenten <strong>der</strong><br />

Kritik unter Ungere<strong>ch</strong>tigkeit eine Art gesteigerter Ni<strong>ch</strong>tgere<strong>ch</strong>tigkeit verstanden. Gegenstand<br />

<strong>der</strong> Ungere<strong>ch</strong>tigkeitsfors<strong>ch</strong>ung soll ni<strong>ch</strong>t einfa<strong>ch</strong> das sein, was einer Legitimation<br />

als 'gere<strong>ch</strong>t' entzogen ist, son<strong>der</strong>n vielmehr das, was als Diskriminierung für<br />

einzelne Gruppen von Bena<strong>ch</strong>teiligten beson<strong>der</strong>s s<strong>ch</strong>wer wiegt.<br />

An <strong>der</strong> Kritik ist ri<strong>ch</strong>tig, daß man si<strong>ch</strong> (negativ) über das Bestehen von Ungere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

häufig lei<strong>ch</strong>ter einigen kann als (positiv) über das von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 143 . So<br />

lassen denn au<strong>ch</strong> gegenwärtige <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien konkrete Aussagen über gebotene<br />

Än<strong>der</strong>ungen in Staat und Gesells<strong>ch</strong>aft regelmäßig vermissen. Es mag au<strong>ch</strong><br />

ri<strong>ch</strong>tig sein, daß unter <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Ungere<strong>ch</strong>tigkeit an<strong>der</strong>e Fragen gestellt<br />

werden als in <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 144 . Fals<strong>ch</strong> ist hingegen, daß konkrete <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sregeln<br />

si<strong>ch</strong> nur negativ formulieren ließen 145 . Au<strong>ch</strong> kann ni<strong>ch</strong>t gefolgert<br />

werden, eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie müsse si<strong>ch</strong> allein einzelnen Diskriminierungsfragen<br />

widmen, um soziale Relevanz zu entfalten. Es ist wi<strong>ch</strong>tig, den Regelfall <strong>der</strong> ri<strong>ch</strong>tigen<br />

Erzeugung von gere<strong>ch</strong>ten Ergebnissen zu analysieren. Gerade darin liegt ein<br />

bere<strong>ch</strong>tigtes Anliegen <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tspraxis an die Re<strong>ch</strong>tstheorie. Die Ungere<strong>ch</strong>tigkeitsfors<strong>ch</strong>ung<br />

ist ein wesentli<strong>ch</strong>er Teil <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tskritik – <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien kann sie<br />

indes ni<strong>ch</strong>t ersetzen. Entspre<strong>ch</strong>end ist au<strong>ch</strong> <strong>der</strong> eng verstandene Begriff <strong>der</strong> Ungere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

ni<strong>ch</strong>t taugli<strong>ch</strong> als Grundbegriff <strong>der</strong> <strong>Theorien</strong>. Vielmehr muß – wie übli<strong>ch</strong><br />

– unter Ungere<strong>ch</strong>tigkeit allein Ni<strong>ch</strong>tgere<strong>ch</strong>tigkeit verstanden werden. Grundbegriff<br />

einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie bleibt damit <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>.<br />

139 F.A. Hayek, Law, Legislation and Liberty, Bd. II (1976), S. 36; vgl. J.R. Lucas, On Justice (1980), S. 4<br />

ff. (4): »And therefore we should ... adopt a negative approa<strong>ch</strong>, discovering what justice is by consi<strong>der</strong>ing<br />

on what occasions we protest at injustice or unfairness.«<br />

140 J.R. Lucas, Principles of Politics (1966), S. 130, 234 – allerdings mit <strong>der</strong> Eins<strong>ch</strong>ränkung (S. 234), daß<br />

ein positives Begriffsverständnis als regulative Idee (»a goal of aspiration and a criterion of appraisal«)<br />

sowohl für Einzelents<strong>ch</strong>eidungen als au<strong>ch</strong> allgemeine Gesetze wirksam bleibt.<br />

141 T. Simon, Democracy and Social Injustice (1995), S. 16 ff.<br />

142 T. Simon, Democracy and Social Injustice (1995), S. 11 ff. – 'Separability Thesis'.<br />

143 O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 43; T. Simon, Democracy and Social Injustice (1995),<br />

S. 14.<br />

144 T. Simon, Democracy and Social Injustice (1995), S. 24.<br />

145 Vgl. O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 43 f. (Beispiele zur positiven Formulierung von<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sregeln); außerdem unten S. 203 (Zwei Prinzipien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> bei Rawls).<br />

70


IV. Die Normen <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

Mit D 1 ist erklärt, wie das einzelne Handeln zum Gegenstand eines <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteils<br />

wird. Daran ließ si<strong>ch</strong> zeigen, wel<strong>ch</strong>e notwendigen Bezüge ein sol<strong>ch</strong>es <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteil<br />

aufweist und wie si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> in D 1 formulierte <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff von<br />

an<strong>der</strong>en Begriffen <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> unters<strong>ch</strong>eidet. In <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien geht es<br />

aber häufig ni<strong>ch</strong>t um die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> eines einzelnen Handelns, son<strong>der</strong>n um die<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> von Handlungsweisen. Die <strong>Theorien</strong> zeigen, wie <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

begründet und erzeugt werden können (4). Der Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm (2, 3)<br />

kann mit dem Begriff <strong>der</strong> Norm (1) bestimmt werden.<br />

1. Der Begriff <strong>der</strong> Norm (D N )<br />

Der Begriff <strong>der</strong> Norm ist – vor allem unter Juristen und Re<strong>ch</strong>tsphilosophen – umstritten<br />

146 . Statt auf die Einzelheiten dieses Streits einzugehen, kann hier im Spektrum<br />

<strong>der</strong> mögli<strong>ch</strong>en Begriffsbestimmungen nur ein weiter, ni<strong>ch</strong>tempiris<strong>ch</strong>er, ni<strong>ch</strong>tlegalistis<strong>ch</strong>er,<br />

ni<strong>ch</strong>taxiologis<strong>ch</strong>er 147 und ni<strong>ch</strong>tteleologis<strong>ch</strong>er 148 Normbegriff erläutert werden,<br />

<strong>der</strong> im Hinblick auf den Untersu<strong>ch</strong>ungsgegenstand vorzugswürdig ers<strong>ch</strong>eint. Dana<strong>ch</strong><br />

gilt:<br />

D N :<br />

Eine Norm ist die Verbindung eines deontis<strong>ch</strong>en Operators<br />

(Gebot, Verbot, Erlaubnis) mit einer Handlungsweise.<br />

Eine Norm ist na<strong>ch</strong> D N we<strong>der</strong> die Handlungweise selbst, no<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Satz o<strong>der</strong> das Zei<strong>ch</strong>en,<br />

mit dem sie gefor<strong>der</strong>t, untersagt o<strong>der</strong> erlaubt wird 149 , son<strong>der</strong>n vielmehr die Bedeutung<br />

150 , <strong>der</strong> Sinn 151 des Gebots, des Verbots o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Erlaubnis 152 . Eine auf rot<br />

springende Ampel kann sol<strong>ch</strong>e (Verbots-)Bedeutung ebenso haben wie <strong>der</strong> biblis<strong>ch</strong>e<br />

146 Vgl. zum Streit R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> Grundre<strong>ch</strong>te (1985), S. 40 ff.; T. Zoglauer, Normenkonflikte<br />

(1998), S. 23 ff., beide m.w.N.; zum konditionalen Normmodell neuerdings N. Jansen, Struktur <strong>der</strong><br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1998), S. 63 ff. m.w.N.<br />

147 Handlungsbezogene Aussagen können axiologis<strong>ch</strong> ('x ist gut') o<strong>der</strong> deontologis<strong>ch</strong> ('x soll A') sein.<br />

Dazu unten S. 52 ff. (Sollensbezug und axiologis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff).<br />

148 Vgl. J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 310 f.: »Prinzipien o<strong>der</strong> höherstufige Normen ...<br />

haben einen deontologis<strong>ch</strong>en, Werte hingegen einen teleologis<strong>ch</strong>en Sinn.« Dazu R. Alexy, Jürgen<br />

Habermas' Theorie des juristis<strong>ch</strong>en Diskurses (1995), S. 167: »Dieser Unters<strong>ch</strong>eidung, die <strong>der</strong> klassis<strong>ch</strong>en<br />

Di<strong>ch</strong>otomie zwis<strong>ch</strong>en dem Gesollten und dem Guten entspri<strong>ch</strong>t, ist zuzustimmen.«<br />

149 Vgl. F. Müller, Juristis<strong>ch</strong>e Methodik (1995), S. 122 ff.; T. Zoglauer, Normenkonflikte (1998), S. 38 ff.<br />

150 Vgl. die Definition (bezogen auf entspre<strong>ch</strong>ende Begriffsbestimmungen bei Weinberger und Ross)<br />

bei R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> Grundre<strong>ch</strong>te (1985), S. 43: »Eine Norm ist damit die Bedeutung eines<br />

Normsatzes.«<br />

151 Vgl. H. Kelsen, Reine Re<strong>ch</strong>tslehre (1960), S. 5: »'Norm' ist <strong>der</strong> Sinn eines Aktes, mit dem ein Verhalten<br />

geboten o<strong>der</strong> erlaubt, insbeson<strong>der</strong>e ermä<strong>ch</strong>tigt wird.« Zuvor, ebd., S. 4: »Mit 'Norm' bezei<strong>ch</strong>net<br />

man: daß etwas sein o<strong>der</strong> ges<strong>ch</strong>ehen, insbeson<strong>der</strong>e daß si<strong>ch</strong> ein Mens<strong>ch</strong> in bestimmter Weise<br />

verhalten soll.« (Hervorhebung bei Kelsen).<br />

152 Zum Bezug zu den deontis<strong>ch</strong>en Grundmodalitäten des Gebots, des Verbot und <strong>der</strong> Erlaubnis siehe<br />

R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> Grundre<strong>ch</strong>te (1985), S. 43 ff.<br />

71


(Gebots-)Satz 'Du sollst deinen Nä<strong>ch</strong>sten lieben wie di<strong>ch</strong> selbst!' 153 o<strong>der</strong> die re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e<br />

Anordnung 'Der S<strong>ch</strong>uldner ist verpfli<strong>ch</strong>tet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu<br />

und Glauben mit Rücksi<strong>ch</strong>t auf die Verkehrssitte es erfor<strong>der</strong>n.' (§ 242 BGB). Für den<br />

Normbegriff in D N kommt es ni<strong>ch</strong>t darauf an, ob si<strong>ch</strong> das Gesolltsein einer Handlung<br />

als soziale Regel etablieren konnte 154 , o<strong>der</strong> ob es eine Verhaltenserwartung begründet<br />

155 .<br />

Außerdem ist zwis<strong>ch</strong>en <strong>der</strong> Norm selbst und ihrer Geltung zu unters<strong>ch</strong>eiden 156 :<br />

Zum Begriff <strong>der</strong> Norm gehört zunä<strong>ch</strong>st nur die (semantis<strong>ch</strong>e) Bedeutung, die in<br />

Normsätzen o<strong>der</strong> Normzei<strong>ch</strong>en verkörpert ist. Wer weiter behauptet, daß einer<br />

Norm (re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e, religiöse, soziale) Geltung zukomme, o<strong>der</strong> wer eine Norm selbst in<br />

Geltung setzt (z.B. <strong>der</strong> parlamentaris<strong>ch</strong>e Gesetzgeber, <strong>der</strong> gebotsverkündende Vorsteher<br />

einer religiösen Sekte, <strong>der</strong> einladende Gastgeber) verläßt die Ebene bloßer Semantik<br />

und begibt si<strong>ch</strong> auf die Ebene <strong>der</strong> Pragmatik. Auf diesen pragmatis<strong>ch</strong>en Gehalt<br />

<strong>der</strong> Normverwendung wird bei <strong>der</strong> Begründung und Erzeugung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

zurückzukommen sein 157 .<br />

2. Der Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm (D NG )<br />

Werden Normen im Sinne von D N mit dem <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprädikat zu einem normbezogenen<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteil verbunden ('Das Tötungsverbot ist gere<strong>ch</strong>t.'), so<br />

könnte man insoweit von einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm im Sinne einer 'gere<strong>ch</strong>ten Norm'<br />

spre<strong>ch</strong>en, weil jede Einzelhandlung, die <strong>der</strong> Norm entspri<strong>ch</strong>t, gere<strong>ch</strong>t sein müßte 158 .<br />

Aber ni<strong>ch</strong>t diese explizite Verbindung einer Norm mit dem <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprädikat ist<br />

übli<strong>ch</strong>erweise gemeint, wenn von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen die Rede ist. <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

sind vielmehr alle Normen, die den Anwendungsberei<strong>ch</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> teilen<br />

159 . S<strong>ch</strong>on das Tötungsverbot selbst ('Du sollst ni<strong>ch</strong>t töten!') ist implizit eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm,<br />

weil die Handlungsweise 'Tötung eines an<strong>der</strong>en Mens<strong>ch</strong>en' einen<br />

153 Alt- wie neutestamentaris<strong>ch</strong>: 3. Mose 19, 18 = Matthäus 22, 39.<br />

154 Zur Bezugsetzung zwis<strong>ch</strong>en Normbegriff (hier: Re<strong>ch</strong>tsregel) und sozialer Regel vgl. H.L.A. Hart,<br />

Concept of Law (1961), S. 54 ff. (more complex practice), sowie S. 84: »Rules are conceived and spoken<br />

of as imposing obligations when the general demand for conformity is insistent and the social<br />

pressure brought to bear upon those who deviate or threaten to deviate is great.«<br />

155 So N. Luhmann, Re<strong>ch</strong>tssoziologie (1987), S. 43: »Normen sind demna<strong>ch</strong> kontrafaktis<strong>ch</strong> stabilisierte<br />

Verhaltenserwartungen.« (Hervorhebung bei Luhmann).<br />

156 Ausführli<strong>ch</strong>er dazu R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> Grundre<strong>ch</strong>te (1985), S. 47 ff. m.w.N. Wenn in diesem<br />

Zusammenhang von 'Geltung' einer Norm gespro<strong>ch</strong>en wird, dann ist das ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>e<br />

Geltungsbegriff im Gegensatz zu einer moralis<strong>ch</strong>en Gültigkeit, son<strong>der</strong>n ein umfassen<strong>der</strong> Begriff<br />

für jede erdenkli<strong>ch</strong>e (re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e, religiöse, soziale, moralis<strong>ch</strong>e) Verbindli<strong>ch</strong>keit.<br />

157 Dazu unten S. 74 (Begründung und Erzeugung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen).<br />

158 Vgl. H. Kelsen, Das Problem <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1960), S. 358: »<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ... als Eigens<strong>ch</strong>aft au<strong>ch</strong><br />

von Normen«. Die umstrittene Frage, ob si<strong>ch</strong> deontis<strong>ch</strong>e Operatoren (geboten, verboten, erlaubt)<br />

nur auf Handlungen o<strong>der</strong> (bei Normen höherer Ordnung) au<strong>ch</strong> auf handlungsleitende Normen<br />

selbst beziehen können, kann dabei offen bleiben, denn hier wird das <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprädikat, ni<strong>ch</strong>t<br />

ein deontis<strong>ch</strong>er Operator, auf die Norm angewendet.<br />

159 Vgl. H. Kelsen, Das Problem <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1960), S. 357: »Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> eines Mens<strong>ch</strong>en ist<br />

die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> seines sozialen Verhaltens; und die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> seines sozialen Verhaltens besteht<br />

darin, daß es einer den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>swert konstituierenden und in diesem Sinne gere<strong>ch</strong>ten<br />

Norm entspri<strong>ch</strong>t. Diese Norm kann man als <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm bezei<strong>ch</strong>nen.«<br />

72


Sozialbezug aufweist. Bis auf den Sozialbezug verbinden si<strong>ch</strong> die Definitionselemente<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> bereits mit dem Begriff <strong>der</strong> Norm und mit <strong>der</strong>en pragmatis<strong>ch</strong>em<br />

Gehalt 160 : <strong>der</strong> Handlungs- und Sollensbezug ergibt si<strong>ch</strong> aus dem deontologis<strong>ch</strong>en<br />

Charakter <strong>der</strong> Norm, <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeitsbezug aus ihrem Geltungsanspru<strong>ch</strong>. Der<br />

Glei<strong>ch</strong>heitsbezug liegt in <strong>der</strong> Regelhaftigkeit <strong>der</strong> deontologis<strong>ch</strong>en Aussage 161 , denn<br />

Normen betreffen na<strong>ch</strong> D N stets Handlungsweisen ('Du sollst ni<strong>ch</strong>t töten!'), ni<strong>ch</strong>t nur<br />

eine einzelne Handlung ('A soll B ni<strong>ch</strong>t erste<strong>ch</strong>en!'). Zwar könnte man au<strong>ch</strong> beim<br />

Verbot einer einzelnen Handlung von einer Norm spre<strong>ch</strong>en – <strong>der</strong> Fallnorm 162 . Do<strong>ch</strong><br />

wird gemeinhin die Norm dadur<strong>ch</strong> vom Sa<strong>ch</strong>verhalt unters<strong>ch</strong>ieden, daß erstere abstrakt-generell,<br />

letzterer hingegen konkret-individuell ist 163 . Die Definition <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm<br />

kann demzufolge kurz ausfallen:<br />

D NG :<br />

Eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm ist die Verbindung eines deontis<strong>ch</strong>en<br />

Operators (Gebot, Verbot, Erlaubnis) mit einer<br />

sozialbezogenen Handlungsweise.<br />

Je na<strong>ch</strong>dem, ob die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm definitive o<strong>der</strong> prinzipielle Geltung beanspru<strong>ch</strong>t,<br />

können <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sregeln und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien unters<strong>ch</strong>ieden<br />

werden 164 . Offenbar ist mit dem Übergang vom <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff (D 1 ) zum Begriff<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm (D NG ) eine gewisse Vereinfa<strong>ch</strong>ung verbunden, weil ein<br />

Großteil <strong>der</strong> Definitionselemente bereits im Begriff <strong>der</strong> Norm und in ihrem pragmatis<strong>ch</strong>en<br />

Gehalt aufgeht. <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien, die wie diejenige von Rawls einzelne<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien begründen 165 , ohne zuvor den Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> zu<br />

definieren 166 , nutzen diese Vereinfa<strong>ch</strong>ungsmögli<strong>ch</strong>keit aus. Sie nehmen eine Abbildung<br />

des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffs in den Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm vor, die letztli<strong>ch</strong><br />

den Definitionsproblemen beim <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff auswei<strong>ch</strong>t. Eine sol<strong>ch</strong>e<br />

Strategie vers<strong>ch</strong>weigt indes den unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Gebrau<strong>ch</strong>, <strong>der</strong> vom Begriff <strong>der</strong><br />

160 Vgl. die Definitionsexplikation oben S. 50 ff. (D 1 ); zur Geltung als dem pragmatis<strong>ch</strong>en Gehalt von<br />

Normen oben S. 71 f. (Begriff <strong>der</strong> Norm) und unten S. 74 ff. (Begründung und Erzeugung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen;<br />

normbezogene Definition <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

161 Vgl. oben S. 60 (Kritik am Glei<strong>ch</strong>heitsbezug und das Kriterium <strong>der</strong> Regelhaftigkeit).<br />

162 Der Begriff ist <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsmethodik Fikents<strong>ch</strong>ers entlehnt. Unter 'Fallnorm' versteht W. Fikents<strong>ch</strong>er,<br />

Methoden des Re<strong>ch</strong>ts IV (1977), S. 176 ff., 202 ff., 382 f. (202) »diejenige Regel des objektiven<br />

Re<strong>ch</strong>ts, die einem Lösungsbedürftigen Sa<strong>ch</strong>verhalt eine ihn regelnde Re<strong>ch</strong>tsfolge zuordnet.« Gemeint<br />

ist dabei die Übertragung <strong>der</strong> ratio decidendi auf den Einzelfall; vgl. ebd. S. 190. Fallnormen<br />

sind damit au<strong>ch</strong> »die erst in Zukunft notwendig werdenden, <strong>der</strong>zeit no<strong>ch</strong> gar ni<strong>ch</strong>t gebildeten«<br />

Normen; F. Bydlinski, Juristis<strong>ch</strong>e Methodenlehre und Re<strong>ch</strong>tsbegriff (1982), S. 516.<br />

163 So zumindest für <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen au<strong>ch</strong> H. Kelsen, Das Problem <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1960),<br />

S. 362 f.: »<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen haben einen generellen Charakter. Generell ist eine Norm, wenn<br />

sie ni<strong>ch</strong>t – wie eine individuelle Norm – in einem einzigen Falle, son<strong>der</strong>n in einer von vornherein<br />

unbestimmten Zahl von glei<strong>ch</strong>en Fällen gilt, das heißt: zu befolgen o<strong>der</strong> anzuwenden ist.«<br />

164 Dazu oben Fn. 49 (Regeln und Prinzipien).<br />

165 Zur Theorie von Rawls ausführli<strong>ch</strong> S. 199 ff. (<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Fairneß); S. 205 ff. (Politis<strong>ch</strong>er Liberalismus).<br />

Da <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien nur <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen mit prinzipiellem Geltungsanspru<strong>ch</strong><br />

sind, müßte Rawls genau genommen von '<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sregeln' spre<strong>ch</strong>en, weil seine 'Prinzipien'<br />

Anspru<strong>ch</strong> auf definitive Geltung erheben.<br />

166 Dazu oben S. 47 (Erfor<strong>der</strong>li<strong>ch</strong>keit einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sdefinition).<br />

73


<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> gema<strong>ch</strong>t wird, und eignet si<strong>ch</strong> deshalb ni<strong>ch</strong>t für verglei<strong>ch</strong>ende Theorieanalysen.<br />

3. Formale, prozedurale und materiale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

Es können na<strong>ch</strong> dem Inhalt vers<strong>ch</strong>iedene Arten von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen unters<strong>ch</strong>ieden<br />

werden. Materiale Normen treffen eine inhaltli<strong>ch</strong>e Aussage ('Du sollst<br />

ni<strong>ch</strong>t töten.'). Demgegenüber sind bloß formale Normen selbst inhaltsleer ('Jedem<br />

das Seine.'). Glei<strong>ch</strong>wohl handelt es si<strong>ch</strong> um <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen im Sinne von D NG .<br />

Einen Inhalt gewinnen sie, indem die leere Form dur<strong>ch</strong> Anwendung ausgefüllt wird,<br />

etwa dur<strong>ch</strong> eine Bestimmung dessen, was jemandem als 'das Seine' gebührt. Entspre<strong>ch</strong>endes<br />

gilt für prozedurale Normen, etwa für das Gebot des kontradiktoris<strong>ch</strong>en<br />

Verfahrens: 'Au<strong>ch</strong> die an<strong>der</strong>e Seite muß gehört werden!' – audiatur et altera pars.<br />

Au<strong>ch</strong> sie sind ohne bestimmten Inhalt und gewinnen ihre Substanz erst in <strong>der</strong> konkreten<br />

Dur<strong>ch</strong>führung des gebotenen Verfahrens. S<strong>ch</strong>on an dieser Stelle gilt es klarzustellen,<br />

daß die Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en prozeduralen und materialen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

ni<strong>ch</strong>t mit <strong>der</strong>jenigen zwis<strong>ch</strong>en prozeduralen und materialen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

zusammenfällt 167 . Eine prozedurale Theorie vermag materiale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

zu begründen, ebenso wie eine materiale Theorie zu prozeduralen<br />

Normen führen kann 168 .<br />

4. Begründung und Erzeugung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

Der pragmatis<strong>ch</strong>e Gehalt einer Norm besteht na<strong>ch</strong> den Ausführungen zum Normbegriff<br />

darin, ihre Geltung zu behaupten o<strong>der</strong> die Norm autoritativ in Geltung zu setzen.<br />

Mit dem Behaupten ist das argumentative Begründen, mit dem Ingeltungsetzen<br />

das reale Erzeugen von Normen angespro<strong>ch</strong>en. <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugung<br />

können zusammen als <strong>der</strong> pragmatis<strong>ch</strong>e Gehalt von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

angesehen werden.<br />

Die Begründung einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm als Moralnorm liegt darin, ihre bereits<br />

bestehende Geltung zu zeigen. <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen haben als Moralnormen ihr<br />

eigenes Geltungsuniversum, in dem die Geltungsgründe ni<strong>ch</strong>t von vornherein Bes<strong>ch</strong>ränkungen<br />

dur<strong>ch</strong> materielle Vorgaben (Verfassungsre<strong>ch</strong>t), Normsetzungskompetenzen<br />

(Gewaltenteilung), Normenhierar<strong>ch</strong>ien o<strong>der</strong> sozialen Konventionen unterliegen.<br />

Es kommt allein darauf an zu zeigen, daß eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm unter Be-<br />

167 A.A. offenbar D. v.d. Pfordten, Re<strong>ch</strong>tsethik (1996), S. 269: »Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en materialen<br />

und prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien bzw. -prinzipien«; wie hier für eine Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

N. Jansen, Struktur <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1998), S. 56 f. mit Fn. 58.<br />

168 Für den ersten Fall ist die Begründung <strong>der</strong> materialen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien in <strong>der</strong> prozeduralen<br />

Theorie von Rawls ein Beispiel; dazu unten S. 199 ff. (<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Fairneß). Der zweite<br />

Fall liegt beispielsweise vor, wenn <strong>der</strong> demokratis<strong>ch</strong>e Verfassungsstaat trotz seiner prozeduralen<br />

Natur (siehe dazu unten S. 335 ff.) dur<strong>ch</strong> eine materiale Wertethik begründet wird; so beispielsweise<br />

in Deuts<strong>ch</strong>land die ältere Wertordnungsjudikatur des Bundesverfassungsgeri<strong>ch</strong>ts: BVerfGE<br />

2, 1 (12) – freiheitli<strong>ch</strong>e demokratis<strong>ch</strong>e Grundordnung als 'wertgebundene Ordnung'. H. Welzel,<br />

Naturre<strong>ch</strong>t und materiale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1962), S. 225 ff. (227) spri<strong>ch</strong>t insoweit von »dem weitgehenden<br />

Bekenntnis <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung zum Naturre<strong>ch</strong>t«.<br />

74


ücksi<strong>ch</strong>tigung aller relevanten Gesi<strong>ch</strong>tspunkte ri<strong>ch</strong>tig ist und deshalb moralis<strong>ch</strong> gilt.<br />

Die Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen als Moralnormen ist ledigli<strong>ch</strong> auf eine<br />

Konzeption des begründbar ri<strong>ch</strong>tigen Handelns, d.h. <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft, angewiesen<br />

169 . Die Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen als Re<strong>ch</strong>tsnormen verlangt<br />

mehr. Es muß ni<strong>ch</strong>t nur ihre Ri<strong>ch</strong>tigkeit gezeigt werden, son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong>, daß es<br />

Gründe gibt, die Norm in Form des Re<strong>ch</strong>ts zu institutionalisieren (Institutionalisierungsfrage)<br />

170 . Außerdem unterliegt jede einzelne Re<strong>ch</strong>tsnorm den Geltungskriterien<br />

<strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsordnung (lex superior-Regel, lex posterior-Regel, lex specialis-Regel, Kompetenzregeln,<br />

Verfahrensvors<strong>ch</strong>riften u.v.m.), so daß letztli<strong>ch</strong> immer die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

<strong>der</strong> gesamten Re<strong>ch</strong>tsordnung begründet werden muß 171 .<br />

Die Erzeugung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen als Moralnormen fällt mit ihrer Begründung<br />

zusammen, weil niemand eine autoritative Normsetzungskompetenz in <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen<br />

innehat. Eine Moralnorm, die begründet ist, gilt. Die reale Erzeugung<br />

von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen als Re<strong>ch</strong>tsnormen ist dagegen auf die Normsetzungsregeln<br />

<strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsordnung angewiesen. Will man <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> verwirkli<strong>ch</strong>en, so<br />

müssen außerdem Gesi<strong>ch</strong>tspunkte <strong>der</strong> Dur<strong>ch</strong>setzbarkeit mit einbezogen werden 172 –<br />

etwa die politis<strong>ch</strong>en und wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Rahmenbedingungen, mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>en,<br />

die Struktur re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er Institutionen und sogar die volkswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Kosten<br />

<strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung 173 . Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit und Zweckmäßigkeit sind Teil einer<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, die real in staatli<strong>ch</strong>es Re<strong>ch</strong>t umgesetzt ist 174 . <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungstheorien<br />

widmen si<strong>ch</strong> diesen Fragen <strong>der</strong> realen Umsetzbarkeit von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>.<br />

Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß sowohl <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung<br />

als au<strong>ch</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugung si<strong>ch</strong> mit <strong>der</strong> Geltung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

befassen. Diese Geltung ist <strong>der</strong> pragmatis<strong>ch</strong>e Gehalt <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen.<br />

5. Eine normbezogene Definition <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (D 1N )<br />

Es hat si<strong>ch</strong> bereits gezeigt, daß <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm (D NG ) einfa<strong>ch</strong>er zu<br />

bestimmen ist als <strong>der</strong>jenige <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, weil ein Großteil <strong>der</strong> Definitionselemente<br />

im Begriff <strong>der</strong> Norm und in ihrem pragmatis<strong>ch</strong>en Gehalt aufgeht. Die Vereinfa<strong>ch</strong>ung<br />

(und vermin<strong>der</strong>te Differenziertheit) zeigt si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> bei einer normbezogenen<br />

Definition <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>:<br />

D 1N :<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist die Geltung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen.<br />

169 Dazu unten S. 80 ff. (Klassifizierung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien und Konzeptionen praktis<strong>ch</strong>er<br />

Vernunft).<br />

170 Dazu unten S. 116 ff. (Mindestgehaltsthese und Institutionalisierungsfrage); S. 333 ff. (Institutionalisierung<br />

von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen).<br />

171 Vgl. oben S. 33 (Re<strong>ch</strong>tfertigung <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsordnung, Legitimationsbedarf), S. 37 (notwendiger Anspru<strong>ch</strong><br />

des Re<strong>ch</strong>ts auf Ri<strong>ch</strong>tigkeit).<br />

172 Vgl. dazu die Diskussion um die Steuerungskrise des Re<strong>ch</strong>ts: G. Teubner, Das regulatoris<strong>ch</strong>e Trilemma<br />

(1994), S. 109 ff.; G.-P. Calliess, <strong>Prozedurale</strong>s Re<strong>ch</strong>t (1999), 73 ff., 114 ff. m.w.N.<br />

173 R.A. Posner, Economic Analysis of Law (1992), S. 549 ff. – »Economic Goals of Procedure«.<br />

174 Dazu oben S. 63 ff. (Unters<strong>ch</strong>ied zu engeren <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffen).<br />

75


Im Verglei<strong>ch</strong> zur unmittelbar handlungsbezogenen Definition D 1 liegt hier – bei inhaltli<strong>ch</strong>er<br />

Übereinstimmung – <strong>der</strong> Handlungs- und Sollensbezug bereits im deontologis<strong>ch</strong>en<br />

Charakter <strong>der</strong> Norm (D N ), <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeitsbezug in ihrem Geltungsanspru<strong>ch</strong><br />

und <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heitsbezug in ihrer Regelhaftigkeit 175 . Der Sozialbezug findet<br />

si<strong>ch</strong> ergänzend im Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm (D NG ). Dur<strong>ch</strong> das Definitionselement<br />

<strong>der</strong> 'Geltung' ist einerseits auf die Begründung und an<strong>der</strong>erseits auf die reale Erzeugung<br />

von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> verwiesen. Dem entspri<strong>ch</strong>t die Unters<strong>ch</strong>eidung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründungs-<br />

und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungstheorien 176 .<br />

V. Ergebnisse<br />

Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist Teil <strong>der</strong> Moral. Die notwendigen Elemente des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffs<br />

treten deutli<strong>ch</strong> hervor, wenn man ihn zunä<strong>ch</strong>st unabhängig vom Begriff <strong>der</strong><br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm definiert. Dann zeigt si<strong>ch</strong>, daß das <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprädikat dur<strong>ch</strong><br />

Handlungs-, Sozial-, Ri<strong>ch</strong>tigkeits-, Sollens- und Glei<strong>ch</strong>heitsbezug geprägt ist. Im Begriff<br />

<strong>der</strong> Norm und in ihrem pragmatis<strong>ch</strong>en Gehalt sind hingegen die meisten dieser<br />

Elemente bereits enthalten, so daß <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen vereinfa<strong>ch</strong>t als Normen<br />

über sozialbezogene Handlungsweisen begriffen werden können. <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

stellt si<strong>ch</strong> dann als Inbegriff <strong>der</strong> Geltung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen dar. Die Behauptung<br />

<strong>der</strong> Geltung kann si<strong>ch</strong> auf die Begründung o<strong>der</strong> Erzeugung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

stützen. Damit ist ein <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff gefunden, <strong>der</strong> sowohl für<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründungs- als au<strong>ch</strong> für <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungstheorien als<br />

Grundlage geeignet ist.<br />

B. <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

I. Eine Definition <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie (D 2 D 2N )<br />

Wie s<strong>ch</strong>on <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, so ist au<strong>ch</strong> <strong>der</strong>jenige <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie<br />

in uneinheitli<strong>ch</strong>em Gebrau<strong>ch</strong>. In <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie fallen unter den Begriff<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie nur <strong>Theorien</strong> darüber, wel<strong>ch</strong>e sozialen Arrangements<br />

verteidigt werden können 177 . Hier soll hingegen zunä<strong>ch</strong>st ein weiter Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie<br />

bestimmt werden 178 :<br />

D 2 :<br />

Eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie ist eine Theorie über das Anführen<br />

von Gründen für o<strong>der</strong> gegen die Behauptung <strong>der</strong><br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>.<br />

175 Dazu oben S. 72 (Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm; Glei<strong>ch</strong>heitsbezug dur<strong>ch</strong> Normbezug).<br />

176 Dazu unten S. 88 (Begründungs- und Erzeugungstheorien).<br />

177 B. Barry, Theories of Justice (1989), S. 3.<br />

178 Ähnli<strong>ch</strong> R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 106 f.: »<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien sind, grob gespro<strong>ch</strong>en,<br />

Systeme von Aussagen über die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>. ... Normative <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien sind<br />

<strong>Theorien</strong> darüber, wel<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>svorstellungen und -urteile ethis<strong>ch</strong> gere<strong>ch</strong>tfertigt sind<br />

bzw. auf wel<strong>ch</strong>e Weise sie si<strong>ch</strong> ethis<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>tfertigen lassen.«<br />

76


Setzt man D 1 in D 2 ein, so erhält man die vollständige Fassung:<br />

D 2 ':<br />

Eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie ist eine Theorie über das Anführen<br />

von Gründen für o<strong>der</strong> gegen die Behauptung <strong>der</strong><br />

Ri<strong>ch</strong>tigkeit und Pfli<strong>ch</strong>tigkeit einer Handlungsweise in<br />

bezug auf an<strong>der</strong>e unter dem Gesi<strong>ch</strong>tspunkt <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heit.<br />

Normbezogen kann definiert werden:<br />

D 2N :<br />

Eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie ist eine Theorie über die Geltung<br />

von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen.<br />

1. Ein s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>er Begriff des Begründens<br />

Mit D 2 ist ein s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>er Begriff des Begründens und demzufolge eine weite Definition<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie gemeint. Es kommt ni<strong>ch</strong>t darauf an, von wel<strong>ch</strong>er Art die<br />

Begründung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist. Selbst einfa<strong>ch</strong>e Glaubensbekenntnisse (etwa die<br />

Aussage, daß die Handlungsweise na<strong>ch</strong> den 10 Geboten <strong>der</strong> Bibel gere<strong>ch</strong>t ist, weil es<br />

si<strong>ch</strong> um Gesetze Gottes handelt) genügen als Gründe für die Behauptung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

im Sinne von D 2 . Dadur<strong>ch</strong> sind selbst sol<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> einbezogen, die ledigli<strong>ch</strong><br />

Bekenntnisse explizieren; au<strong>ch</strong> auf die Naturre<strong>ch</strong>tslehren wird Bezug genommen<br />

179 . Das Begründen <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Sinne von D 2 hat zwar immer etwas<br />

mit Universalität zu tun 180 . Do<strong>ch</strong> Universalität kann in sehr unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er Weise<br />

verstanden werden. Das Spektrum rei<strong>ch</strong>t (mindestens) von spontaner sozialer Homogenität<br />

bis zu kategoris<strong>ch</strong>er Geltung unabhängig von Raum und Zeit 181 . Dementspre<strong>ch</strong>end<br />

unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> können au<strong>ch</strong> die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien ausfallen. Von<br />

kommunitaristis<strong>ch</strong>er Gruppenbezogenheit bis zu idealistis<strong>ch</strong>en Weltre<strong>ch</strong>tssystemen<br />

erfüllen unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>ste soziale Ordnungsmodelle die Kriterien von D 2<br />

182. Die<br />

Grenze von begründetem zu ni<strong>ch</strong>t begründetem Handeln wird ni<strong>ch</strong>t einmal dann in<br />

jedem Fall übers<strong>ch</strong>ritten, wenn Akte allein auf konkret-individueller Willkür beruhen.<br />

Zwar s<strong>ch</strong>ließt das Begründen mindestens ein Behaupten intersubjektiver Gültigkeit<br />

ein – Gründe wollen vermittelt werden. Do<strong>ch</strong> wenn ein <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskeptiker<br />

den Standpunkt einnimmt, daß die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Handelns überhaupt ni<strong>ch</strong>t be-<br />

179 Vgl. oben S. 66 (idealistis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffe); unten S. 89 (ontologis<strong>ch</strong>e Naturre<strong>ch</strong>tslehren).<br />

180 Vgl. zur Beziehung zwis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung und Universalität M. Fisk, Justice and<br />

Universality (1995), S. 221 ff.; sowie U. Steinvorth, Glei<strong>ch</strong>e Freiheit (1999), S. 38 ff. zum notwendigen<br />

Universalismus <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie.<br />

181 Insbeson<strong>der</strong>e zu perspektivis<strong>ch</strong>er und ni<strong>ch</strong>tperspektivis<strong>ch</strong>er Universalität siehe M. Fisk, Justice<br />

and Universality (1995), S. 227 ff.<br />

182 Diese Vielfalt <strong>der</strong> <strong>Theorien</strong> entspri<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Vielfalt bei den Gegenständen <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>; dazu<br />

oben S. 62 ff. (Vielfalt <strong>der</strong> Gegenstände <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, Transponierbarkeitsthese). Rawls legt<br />

seinem Entwurf einen engeren Begriff <strong>der</strong> normativen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie zugrunde, nämli<strong>ch</strong><br />

den einer politis<strong>ch</strong>-sozialen Institutionenlehre. Aufgabe einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie sei ledigli<strong>ch</strong><br />

die Entwicklung einer moralis<strong>ch</strong>en Konzeption für politis<strong>ch</strong>e, soziale und ökonomis<strong>ch</strong>e Institutionen;<br />

J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 41, S. 258 ff.<br />

77


gründbar ist, so ist au<strong>ch</strong> das eine Begründung dafür, alle Handlungen als glei<strong>ch</strong> ungere<strong>ch</strong>t<br />

anzusehen 183 . Überhaupt kommt es für die Qualifikation einer Theorie als<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie ni<strong>ch</strong>t auf die tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Überzeugungskraft <strong>der</strong> Gründe an.<br />

2. Die politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (S<strong>ch</strong>werpunktthese, D 1P )<br />

Aus re<strong>ch</strong>tstheoretis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t ist ni<strong>ch</strong>t die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> insgesamt, son<strong>der</strong>n nur die<br />

politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> interessant, d.h. diejenige »von einem moralis<strong>ch</strong>en Standpunkt<br />

gegenüber Re<strong>ch</strong>t und Staat« 184 . Denn soweit die Re<strong>ch</strong>tstheorie si<strong>ch</strong> mit <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

befaßt, ergründet sie <strong>der</strong>en Bedeutung für das Re<strong>ch</strong>t. Da nur die re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> geregelte<br />

o<strong>der</strong> re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> regelbare Sphäre mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Handelns interessiert, bleiben aus<br />

re<strong>ch</strong>tstheoretis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t bestimmte Aspekte <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> bedeutungslos 185 . So<br />

gehört zwar die Frage, ob ein Ri<strong>ch</strong>ter o<strong>der</strong> Abgeordneter gegen seine Freunde unehrli<strong>ch</strong><br />

ist, gemäß D 1 zur <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, weil hier jemand in bezug auf an<strong>der</strong>e fals<strong>ch</strong> handelt<br />

186 . Sie ist aber von <strong>der</strong> Frage zu unters<strong>ch</strong>eiden, ob si<strong>ch</strong> ein Ri<strong>ch</strong>ter o<strong>der</strong> Abgeordneter<br />

in Ausübung seines Amtes korrumpieren läßt 187 . Nur im zweiten Fall handelt<br />

es si<strong>ch</strong> um re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> geregelte o<strong>der</strong> regelbare Handlungsweisen – um politis<strong>ch</strong>e<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>. Damit teilt si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff entlang <strong>der</strong> Di<strong>ch</strong>otomie<br />

von Staat und Gesells<strong>ch</strong>aft und gründet so auf die relative Autonomie <strong>der</strong><br />

Re<strong>ch</strong>tsordnung gegenüber an<strong>der</strong>en sozialen Ordnungssystemen 188 . Soziale Ordnung<br />

wirft in allen Modalitäten, seien sie re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> o<strong>der</strong> gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen<br />

auf, do<strong>ch</strong> nur diejenigen im Regelungsberei<strong>ch</strong> des Staates sollen im folgenden interessieren.<br />

In Anlehnung an D 1N kann formuliert werden:<br />

D 1P :<br />

Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist die Geltung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

als Re<strong>ch</strong>tsnormen.<br />

Die Bes<strong>ch</strong>ränkung auf politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> mag zunä<strong>ch</strong>st als gewi<strong>ch</strong>tige Eins<strong>ch</strong>ränkung<br />

ers<strong>ch</strong>einen. Das täus<strong>ch</strong>t. Tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> bes<strong>ch</strong>äftigen si<strong>ch</strong> die meisten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> o<strong>der</strong> ganz überwiegend mit politis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>.<br />

Dur<strong>ch</strong> die »vollständige Verstaatli<strong>ch</strong>ung <strong>der</strong> Gesells<strong>ch</strong>aft« 189 sind fast alle<br />

sozialen Fragen zumindest in ihren Rahmenbedingungen au<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> bestimmt, so<br />

183 Vgl. etwa F. Nietzs<strong>ch</strong>e, Mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es, Allzumens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es, Bd. 1 (1878), Vorrede: »Du solltest die<br />

notwendige Ungere<strong>ch</strong>tigkeit in jedem Für und Wi<strong>der</strong> begreifen lernen, die Ungere<strong>ch</strong>tigkeit als unablösbar<br />

vom Leben« (Hervorhebung bei Nietzs<strong>ch</strong>e). Dazu unten S. 143 ff. (nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>e<br />

Grundposition).<br />

184 Definition bei O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 59; ähnli<strong>ch</strong> S. 28: »die sittli<strong>ch</strong>e Perspektive<br />

auf Re<strong>ch</strong>t und Staat«.<br />

185 Dazu oben S. 38 (<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tstheorie).<br />

186 Vgl. oben S. 50 (D 1 ); S. 56 ff. (weit verstandener Glei<strong>ch</strong>heitsbezug).<br />

187 Zu diesem Beispiel siehe O. Höffe, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Taus<strong>ch</strong>? (1991), S. 13.<br />

188 Zum autopoietis<strong>ch</strong>en Autonomiebegriff als <strong>der</strong> 'operativen Ges<strong>ch</strong>lossenheit eines Systems' und<br />

zur systemtheoretis<strong>ch</strong>en These von <strong>der</strong> relativen Autonomie des Re<strong>ch</strong>ts vgl. N. Luhmann, Das<br />

Re<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Gesells<strong>ch</strong>aft (1993), S. 62 ff. Ob diese These ri<strong>ch</strong>tig ist, kann hier ni<strong>ch</strong>t untersu<strong>ch</strong>t werden.<br />

189 So die weitgehende, aber inzwis<strong>ch</strong>en für die meisten Staaten wohl zutreffende Eins<strong>ch</strong>ätzung bei<br />

A. Aarnio, Zur Legitimation des Re<strong>ch</strong>ts (1989), S. 144.<br />

78


daß <strong>der</strong> Anwendungsberei<strong>ch</strong> einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie dur<strong>ch</strong> die Fokussierung auf<br />

Fragen politis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> sa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> kaum bes<strong>ch</strong>ränkt ist. Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie<br />

kann eng auf einzelne Fragen konzentriert sein, etwa bei einer Theorie über<br />

die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> <strong>der</strong> Verteilungsprinzipien in <strong>der</strong> Organtransplantation o<strong>der</strong> über<br />

die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> des S<strong>ch</strong>wangers<strong>ch</strong>aftsabbru<strong>ch</strong>s, o<strong>der</strong> sehr weit, beispielsweise in<br />

einer Theorie über die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> <strong>der</strong> Weltordnung, wie sie völkerre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong><br />

die Staatengemeins<strong>ch</strong>aft determiniert wird. Au<strong>ch</strong> die Frage, ob eine Materie überhaupt<br />

re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> geregelt ist, gehört zur politis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 190 .<br />

Typis<strong>ch</strong>erweise bes<strong>ch</strong>äftigt si<strong>ch</strong> eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie mit <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

einer staatli<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>tsordnung. Es ist kein Zufall, daß si<strong>ch</strong> die staatli<strong>ch</strong>e Ordnung<br />

als Anwendungsberei<strong>ch</strong> <strong>der</strong> meisten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien herausgebildet hat, son<strong>der</strong>n<br />

Effekt <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en Bedeutung <strong>der</strong> staatli<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>tsordnung in <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne.<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen stellen si<strong>ch</strong> dort am dringli<strong>ch</strong>sten, wo die soziale Ordnung<br />

ihre stärkste Prägung erfährt. Dies ist na<strong>ch</strong> wie vor die Domäne <strong>der</strong> einzel- und territorialstaatli<strong>ch</strong><br />

verfaßten Re<strong>ch</strong>tsordnung. Der überstaatli<strong>ch</strong>en Völkerre<strong>ch</strong>tsordnung<br />

fehlt eine dem einzelstaatli<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>t verglei<strong>ch</strong>bare Dur<strong>ch</strong>setzungskraft. Die rein<br />

gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en, d.h. ni<strong>ch</strong>tstaatli<strong>ch</strong>en Berei<strong>ch</strong>e sozialer Ordnung entfalten ihre<br />

normative Kraft nur dort, wo dies <strong>der</strong> re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Rahmen des staatli<strong>ch</strong>en Gewaltmonopols<br />

zuläßt. Einzelne Re<strong>ch</strong>tsgebiete ordnen si<strong>ch</strong> dabei <strong>der</strong> gesamtstaatli<strong>ch</strong>en Verfassungsordnung<br />

sowohl ein als au<strong>ch</strong> unter. Soziale Ordnung ist darum am stärksten<br />

dur<strong>ch</strong> die jeweilige Verfassungsre<strong>ch</strong>tsordnung eines Territorialstaates geprägt.<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen stellen si<strong>ch</strong> bezogen auf dieses Ordnungsprimat <strong>der</strong> Verfassung<br />

am dringendsten und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien wählen die Verfassungsordnung demgemäß<br />

am häufigsten als Anwendungsberei<strong>ch</strong>. Als Konsequenz aus <strong>der</strong> Erkenntnis,<br />

daß die hier interessierenden <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien in erster Linie die politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

zum Gegenstand haben (S<strong>ch</strong>werpunktthese), werden im folgenden unter<br />

den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien – soweit ni<strong>ch</strong>t ausdrückli<strong>ch</strong> an<strong>der</strong>s erwähnt – nur diejenigen<br />

untersu<strong>ch</strong>t, die (unmittelbar o<strong>der</strong> mittelbar) die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> <strong>der</strong> staatli<strong>ch</strong>en<br />

Re<strong>ch</strong>tsordnung beurteilen.<br />

3. Die Umstände <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (D. Hume)<br />

Von Hume stammt die These von den 'Umständen <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' (circumstances of<br />

justice) 191 , die in gegenwärtigen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien aufgegriffen wird 192 . Na<strong>ch</strong><br />

ihr ist <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> eine künstli<strong>ch</strong>e Tugend (artificial virtue), von mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Konventionen<br />

abhängig und nur unter bestimmten Umständen überhaupt relevant. Zu<br />

190 Dazu oben S. 38 (<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tstheorie).<br />

191 Vgl. D. Hume, A Treatise of Human Nature, Bd. III: Of Morals (1740), Teil II: Of Justice and Injustice,<br />

Abs<strong>ch</strong>nitt II: Of the Origin of Justice and Property – 'natural temper' und 'outward circumstances'<br />

sowie ausdrückli<strong>ch</strong>: »Here then is a proposition whi<strong>ch</strong>, I think, may be regarded as certain,<br />

that it is only from the selfishness and confined generosity of man, along with the scanty provision nature<br />

has made for his wants that justice <strong>der</strong>ives its origin.« (Hervorhebung bei Hume); <strong>der</strong>s., An Enquiry<br />

Concerning the Principles of Morals (1751), Abs<strong>ch</strong>nitt III: Of Justice, Teil I sowie Anhang III:<br />

Some Further Consi<strong>der</strong>ations With Regard to Justice.<br />

192 Etwa J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 22, S. 126 ff.; B. Barry, Theories of Justice (1989), S. 152 ff.<br />

Vgl. au<strong>ch</strong> die causal connexions bei H.L.A. Hart, Concept of Law (1961), S. 190 ff. (human vulnerability,<br />

approximate equality, limited altruism, limited resources, limited un<strong>der</strong>standing and strength of will).<br />

79


diesen Umstände gehört, daß erstens Mens<strong>ch</strong>en zusammen leben, si<strong>ch</strong> ungefähr glei<strong>ch</strong>en,<br />

ni<strong>ch</strong>t alle Interessen gemeinsam haben, über begrenzte psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>e, emotionale<br />

und intellektuelle Kapazitäten verfügen, vor allem über begrenzte Großzügigkeit<br />

(limited generosity), und deshalb konfligierende Ansprü<strong>ch</strong>e geltend ma<strong>ch</strong>en,<br />

sowie zweitens bezügli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> verfügbaren Güter mo<strong>der</strong>ate Knappheit besteht (mo<strong>der</strong>ate<br />

scarcity).<br />

Daß die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> bei Hume gar ni<strong>ch</strong>t als eine 'natürli<strong>ch</strong>e' Tugend, son<strong>der</strong>n als<br />

eine künstli<strong>ch</strong>e gilt, sei hier dahingestellt 193 . Wi<strong>ch</strong>tig ist allein, ob Humes These etwas<br />

am Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> än<strong>der</strong>t (D 1 ) o<strong>der</strong> die S<strong>ch</strong>werpunktthese zur politis<strong>ch</strong>en<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ers<strong>ch</strong>üttern kann (vgl. D 1P ). Beides ist ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Fall. Der <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff<br />

berücksi<strong>ch</strong>tig Humes 'Umstände' bereits im Definitionselement <strong>der</strong><br />

'Pfli<strong>ch</strong>tigkeit'. Wenn Güter im Überfluß bestehen, dann tendiert die Pfli<strong>ch</strong>t, auf an<strong>der</strong>e<br />

bei <strong>der</strong> Güterverteilung Rücksi<strong>ch</strong>t zu nehmen, gegen Null. Wenn lebensbedrohli<strong>ch</strong>e<br />

Knappheit eintritt, dann ist eine Pfli<strong>ch</strong>t zur Rücksi<strong>ch</strong>tnahme ni<strong>ch</strong>t länger<br />

zumutbar. Wo keine Pfli<strong>ch</strong>ten begründbar sind, kann von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr<br />

gespro<strong>ch</strong>en werden. Darin bestätigt si<strong>ch</strong> die These Humes. Deshalb wird die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>,<br />

beson<strong>der</strong>s die politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, aber ni<strong>ch</strong>t bedeutungslos. Die conditio<br />

humana liegt ja gerade zwis<strong>ch</strong>en dem paradiesis<strong>ch</strong>en Zustand des Gartens Eden und<br />

<strong>der</strong> lebensgefährli<strong>ch</strong>en Notlage eines S<strong>ch</strong>iffbru<strong>ch</strong>s. In aller Regel finden wir, irgendwo<br />

zwis<strong>ch</strong>en Überfluß und Lebensnot, den Zustand mo<strong>der</strong>ater Knappheit vor,<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen in <strong>der</strong> staatli<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>tsordnung wi<strong>ch</strong>tig werden läßt.<br />

Humes These von den Umständen <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> muß deshalb als Bestätigung <strong>der</strong><br />

S<strong>ch</strong>werpunktthese gesehen werden, ni<strong>ch</strong>t als ihre Infragestellung.<br />

II.<br />

Zur Klassifizierung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

Unter dem Oberbegriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien finden si<strong>ch</strong> Entwürfe vereinigt,<br />

die in vers<strong>ch</strong>iedenen Disziplinen, zu unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Zeiten und in voneinan<strong>der</strong><br />

dur<strong>ch</strong> Spra<strong>ch</strong>- und Traditionsbarrieren getrennten Fors<strong>ch</strong>ungszyklen entstanden<br />

sind. So sind in <strong>der</strong> Gattung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien beispielsweise europäis<strong>ch</strong><br />

dominierte Diskurstheorien mit angloamerikanis<strong>ch</strong> geprägten Ents<strong>ch</strong>eidungs- und<br />

neueren Sozialvertragstheorien vereinigt, obwohl diese Denktraditionen und Theoriegattungen<br />

abgesehen von <strong>der</strong> Aufgabenstellung wenig verbindet. Daraus ergibt<br />

si<strong>ch</strong> eine Klassifizierungsaufgabe als Grundlage je<strong>der</strong> verglei<strong>ch</strong>enden Theorieanalyse.<br />

Die Bedeutung einer Klassifizierung von <strong>Theorien</strong> folgt in erster Linie aus ihrer<br />

Definitionswirkung, d.h. aus dem Umstand, daß eine Klassifizierung <strong>Theorien</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

nur irgendwie gruppiert, son<strong>der</strong>n dabei glei<strong>ch</strong>zeitig festlegt, was als relevantes Kriterium<br />

<strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung herangezogen werden soll. Will man den methodis<strong>ch</strong>en<br />

Fehler vermeiden, Inkommensurables zu verglei<strong>ch</strong>en, und an<strong>der</strong>erseits die in <strong>der</strong><br />

gegenwärtigen Literatur beklagenswerte Zersplitterung ni<strong>ch</strong>t weiter vertiefen, die<br />

193 D. Hume, A Treatise of Human Nature, Bd. III: Of Morals (1740), Teil II: Of Justice and Injustice,<br />

Abs<strong>ch</strong>nitt I: Justice, whether a natural or artificial virtue? Vgl. dazu etwa H. Pauer-Stu<strong>der</strong>, Das An<strong>der</strong>e<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1996), S. 201 ff. (205) – natürli<strong>ch</strong>e Tugenden bedürfen ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Übereinkunft,<br />

um dem allgemeinen Wohlergehen för<strong>der</strong>li<strong>ch</strong> zu sein.<br />

80


dadur<strong>ch</strong> entsteht, daß ledigli<strong>ch</strong> einzelne Aspekte einzelner <strong>Theorien</strong> aus <strong>der</strong> Si<strong>ch</strong>t<br />

einzelner an<strong>der</strong>er <strong>Theorien</strong> analysiert und kritisiert werden, dann muß das Kriterium<br />

für die Klassifizierung mit Beda<strong>ch</strong>t gewählt werden. Es geht – und das ma<strong>ch</strong>t das<br />

Gewi<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Definitionswirkung aus – um die inhaltli<strong>ch</strong>e Frage, wel<strong>ch</strong>er Baustein von<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien wi<strong>ch</strong>tiger als alle an<strong>der</strong>en Elemente ist: Was ist das grundlegendste<br />

Merkmal, mit dem <strong>Theorien</strong> sinnvoll verglei<strong>ch</strong>bar und unters<strong>ch</strong>eidbar werden? In<br />

<strong>der</strong> Literatur zu <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien sind unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Vors<strong>ch</strong>läge für die<br />

Festlegung des Klassifizierungskriteriums gema<strong>ch</strong>t worden, die im weiteren auf ihre<br />

Eignung zu untersu<strong>ch</strong>en sind 194 . Zuvor aber soll eine Klassifizierung na<strong>ch</strong> Grundpositionen<br />

<strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie vorgestellt werden, die als grundlegendstes<br />

Merkmal und wi<strong>ch</strong>tigster Baustein von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien <strong>der</strong>en Konzeption <strong>der</strong><br />

praktis<strong>ch</strong>en Vernunft ansieht.<br />

1. Vier Grundpositionen <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie (R. Alexy)<br />

Es können – in Anwendung einer von Alexy stammenden Unters<strong>ch</strong>eidung 195 – unter<br />

Bezugnahme auf ihre historis<strong>ch</strong>en Vorbil<strong>der</strong> vier Grundpositionen <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en<br />

Philosophie und damit au<strong>ch</strong> vier Grundpositionen von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien unters<strong>ch</strong>ieden<br />

werden: die 'aristotelis<strong>ch</strong>e', die 'hobbesianis<strong>ch</strong>e', die 'kantis<strong>ch</strong>e' und die<br />

'nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>e'. Diese Einteilung bildet den Ausgangspunkt für die hier zugrunde<br />

gelegte Klassifizierung 196 und wird in <strong>der</strong> Analyse und Kritik wie<strong>der</strong> aufgegriffen 197 .<br />

Eine Zuordnung einzelner <strong>Theorien</strong> zu den Grundpositionen will dabei ni<strong>ch</strong>t behaupten,<br />

daß in jedem Fall eine Traditionslinie bestünde, dur<strong>ch</strong> die si<strong>ch</strong> die Theorie<br />

mit dem historis<strong>ch</strong>en Vorläufer ideen- o<strong>der</strong> dogmenges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> verbinden ließe. Es<br />

geht ledigli<strong>ch</strong> um die Herausarbeitung des grundlegendsten Unters<strong>ch</strong>eidungsmerkmals<br />

von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien: <strong>der</strong> jeweiligen Konzeption <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft.<br />

Die Grundpositionen sollen hier abs<strong>ch</strong>ließend verstanden werden und müssen<br />

deshalb so voneinan<strong>der</strong> unters<strong>ch</strong>ieden werden, daß sie auf beiden Seiten eines jeden<br />

Abgrenzungskriteriums alle mögli<strong>ch</strong>en Standpunkte <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie erfassen<br />

(Klassenverhältnis <strong>der</strong> exklusiven Alternativität). Wegen <strong>der</strong> unbestimmbaren<br />

Vielzahl <strong>der</strong> gegenwärtig und zukünftig vertretenen Standpunkte ist diese Vollständigkeit<br />

nur errei<strong>ch</strong>bar, wenn die Grundpositionen allgemein als sol<strong>ch</strong>e <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en<br />

Philosophie formuliert werden. Denn je<strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Philosophie liegt eine<br />

194 Dazu unten S. 102 (Sozialvertragstheorien als <strong>Theorien</strong>klasse); S. 103 ff. (an<strong>der</strong>e Klassifizierungen).<br />

195 Dazu R. Alexy, Eine diskurstheoretis<strong>ch</strong>e Konzeption <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft (1993), S. 11 ff.;<br />

<strong>der</strong>s., Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 127. Der Sa<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> findet si<strong>ch</strong> die Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

etwa au<strong>ch</strong> bei Apel, in dessen Gruppierung <strong>der</strong> Konzeptionen rationalen Handelns, bei<br />

<strong>der</strong> er das aristotelis<strong>ch</strong>e Konzept teleologis<strong>ch</strong>er Handlungen und das hobbesianis<strong>ch</strong>e und lockeanis<strong>ch</strong>e<br />

Konzept des strategis<strong>ch</strong>en Handelns von dem kantis<strong>ch</strong>en Konzept <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft<br />

unters<strong>ch</strong>eidet; K.-O. Apel, Die Vernunftfunktion <strong>der</strong> kommunikativen Rationalität (1996),<br />

S. 26 f. Weitgehende Parallelen gibt es au<strong>ch</strong> in <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung von agnostis<strong>ch</strong>en, analytis<strong>ch</strong>en,<br />

formalen und materialen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien bei H. Klenner, Über die vier Arten von<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien gegenwärtiger Re<strong>ch</strong>tsphilosophie (1995), S. 137 ff.<br />

196 Dazu unten S. 143 ff. (Dritter Teil).<br />

197 Dazu unten S. 261 ff. (Vierter Teil).<br />

81


estimmte Konzeption <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft zugrunde, an <strong>der</strong> si<strong>ch</strong> die Abgrenzungskriterien<br />

orientieren können 198 . Die Charakteristika <strong>der</strong> einzelnen Grundpositionen<br />

werden im einzelnen erst bei <strong>der</strong> Darstellung <strong>der</strong> <strong>Theorien</strong> relevant 199 . An<br />

dieser Stelle geht es zunä<strong>ch</strong>st nur um die Identifizierung von drei Abgrenzungskriterien<br />

und die aus diesen Kriterien entstehende Klassifizierungsstruktur.<br />

a) Die nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>e Grundposition<br />

Das erste Abgrenzungskriterium, mit dem <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>en Grundposition<br />

von allen an<strong>der</strong>en unters<strong>ch</strong>ieden werden, ist das <strong>der</strong> Begründbarkeit praktis<strong>ch</strong>er<br />

Vernunft 200 . Nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> halten die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Handelns für ni<strong>ch</strong>t<br />

begründbar 201 und nehmen insoweit eine Position grundlegen<strong>der</strong> Skepsis ein 202 . Eine<br />

198 Eine Theorie ohne Konzeption <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft könnte ni<strong>ch</strong>t Teil <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Philosophie<br />

sein, da praktis<strong>ch</strong>e Philosophie die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Handelns betrifft (dazu oben S. 27: <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

und praktis<strong>ch</strong>e Vernunft) und deshalb begriffli<strong>ch</strong> notwendig eine Aussage darüber<br />

voraussetzt, was diese Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Handelns ausma<strong>ch</strong>t, also eine Aussage über praktis<strong>ch</strong>e<br />

Vernunft.<br />

199 Dazu unten S. 143 ff. (Dritter Teil).<br />

200 Ausführli<strong>ch</strong>er zur Skepsis gegenüber <strong>der</strong> Existenz praktis<strong>ch</strong>er Vernunft R. Alexy, Eine diskurstheoretis<strong>ch</strong>e<br />

Konzeption <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft (1993), S. 11.<br />

201 Vgl. etwa F. Nietzs<strong>ch</strong>e, Mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es, Allzumens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es, Bd 1 (1878), Nr. 25, S. 466: »Die ältere<br />

Moral, namentli<strong>ch</strong> die Kants, verlangt vom einzelnen Handlungen, wel<strong>ch</strong>e man von allen Mens<strong>ch</strong>en<br />

wüns<strong>ch</strong>t: das war eine s<strong>ch</strong>öne naive Sa<strong>ch</strong>e; ... Viellei<strong>ch</strong>t läßt es ein zukünftiger Überblick<br />

über die Bedürfnisse <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>heit dur<strong>ch</strong>aus ni<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>enswert ers<strong>ch</strong>einen, daß alle Mens<strong>ch</strong>en<br />

glei<strong>ch</strong> handeln, vielmehr dürften im Interesse ökumenis<strong>ch</strong>er Ziele für ganze Strecken <strong>der</strong><br />

Mens<strong>ch</strong>heit spezielle, viellei<strong>ch</strong>t unter Umständen sogar böse Aufgaben zu stellen sein.« Ebd., Nr.<br />

34, S. 472: »Denn ein Sollen gibt es ni<strong>ch</strong>t mehr; die Moral, insofern sie ein Sollen war, ist ja dur<strong>ch</strong><br />

unsere Betra<strong>ch</strong>tungsart ebenso verni<strong>ch</strong>tet wie die Religion.« Ebd., Bd. 2 (1879), Der Wan<strong>der</strong>er<br />

und sein S<strong>ch</strong>atten, Nr. 2, S. 873: »Die Vernunft <strong>der</strong> Welt. - Daß die Welt ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Inbegriff einer<br />

ewigen Vernünftigkeit ist, läßt si<strong>ch</strong> endgültig dadur<strong>ch</strong> beweisen, daß jenes Stück Welt, wel<strong>ch</strong>es<br />

wir kennen - i<strong>ch</strong> meine unsre mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Vernunft -, ni<strong>ch</strong>t allzu vernünftig ist. Und wenn sie<br />

ni<strong>ch</strong>t allezeit und vollständig weise und rationell ist, so wird es die übrige Welt au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t sein;<br />

hier gilt <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>luß a minori ad majus, a parte ad totum, und zwar mit ents<strong>ch</strong>eiden<strong>der</strong> Kraft.« (Hervorhebungen<br />

bei Nietzs<strong>ch</strong>e); <strong>der</strong>s., Also spra<strong>ch</strong> Zarathustra (1883), Von den Lehrstühlen <strong>der</strong> Tugend,<br />

S. 297: »Au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> heute wohl gibt es einige, wie diesen Prediger <strong>der</strong> Tugend, und ni<strong>ch</strong>t<br />

immer so Ehrli<strong>ch</strong>e: aber ihre Zeit ist um. Und ni<strong>ch</strong>t mehr lange stehen sie no<strong>ch</strong>: da liegen sie<br />

s<strong>ch</strong>on.« Ebd., Vor Sonnen-Aufgang, S. 416: »bei allem ist eins unmögli<strong>ch</strong> – Vernünftigkeit!« Ebd.,<br />

Vom neuen Götzen: »Staat heisst das kälteste aller kalten Ungeheuer. Kalt lügt es au<strong>ch</strong>; und diese<br />

Lüge krie<strong>ch</strong>t aus seinem Munde: 'I<strong>ch</strong>, <strong>der</strong> Staat, bin das Volk.'«<br />

202 Vgl. etwa F. Nietzs<strong>ch</strong>e, Mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es, Allzumens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es, Bd. 1 (1878), Vorrede, Nr. 6, S. 443: »Du<br />

solltest die notwendige Ungere<strong>ch</strong>tigkeit in jedem Für und Wi<strong>der</strong> begreifen lernen, die Ungere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

als unablösbar vom Leben, das Leben selbst als bedingt dur<strong>ch</strong> das Perspektivis<strong>ch</strong>e und seine<br />

Ungere<strong>ch</strong>tigkeit« (Hervorhebung bei Nietzs<strong>ch</strong>e); ebd., Bd. 2 (1879), Vorrede, Nr. 1, S. 737 f.: »Als<br />

i<strong>ch</strong> sodann, in <strong>der</strong> dritten Unzeitgemäßen Betra<strong>ch</strong>tung, meine Ehrfur<strong>ch</strong>t vor meinem ersten und<br />

einzigen Erzieher, vor dem großen Arthur S<strong>ch</strong>openhauer zum Ausdruck bra<strong>ch</strong>te ..., war i<strong>ch</strong> für<br />

meine eigne Person s<strong>ch</strong>on mitten in <strong>der</strong> moralistis<strong>ch</strong>en Skepsis und Auflösung drin, das heißt ebensosehr<br />

in <strong>der</strong> Kritik als <strong>der</strong> Vertiefung alles bisherigen Pessimismus -, und glaubte bereits 'an gar ni<strong>ch</strong>ts<br />

mehr', wie das Volk sagt, au<strong>ch</strong> an S<strong>ch</strong>openhauer ni<strong>ch</strong>t« (Hervorhebung bei Nietzs<strong>ch</strong>e). Dazu unten<br />

S. 143 (Charakteristika <strong>der</strong> nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>en Grundposition).<br />

82


sol<strong>ch</strong>e Position ist beispielsweise in <strong>der</strong> nonkognitivistis<strong>ch</strong>en Ethik na<strong>ch</strong>weisbar 203 .<br />

Vereinfa<strong>ch</strong>t läßt si<strong>ch</strong> festhalten: Die nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>e Perspektive ist diejenige <strong>der</strong><br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskepsis.<br />

b) Die aristotelis<strong>ch</strong>e Grundposition<br />

Die ni<strong>ch</strong>t-nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>en <strong>Theorien</strong> halten praktis<strong>ch</strong>e Vernunft für mögli<strong>ch</strong> und<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> für positiv begründbar. Unter ihnen begründen die <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en<br />

Tradition die Ri<strong>ch</strong>tigkeit eines Handelns damit, daß es (extrinsis<strong>ch</strong>) gut<br />

für etwas ist (Konzeption des Guten) 204 , während die übrigen <strong>Theorien</strong> dana<strong>ch</strong> fragen,<br />

ob das Handeln (intrinsis<strong>ch</strong>) um seiner selbst willen ri<strong>ch</strong>tig ist (Konzeption des Ri<strong>ch</strong>tigen).<br />

Die aristotelis<strong>ch</strong>en <strong>Theorien</strong> zei<strong>ch</strong>nen si<strong>ch</strong> also dadur<strong>ch</strong> aus, daß sie eine inhaltli<strong>ch</strong>e<br />

Zielvorstellung davon haben, was im Ergebnis gut ist. Die aristotelis<strong>ch</strong>e<br />

Perspektive ist diejenige <strong>der</strong> Tugendhaftigkeit.<br />

c) Die hobbesianis<strong>ch</strong>e Grundposition<br />

Den ni<strong>ch</strong>t-aristotelis<strong>ch</strong>en <strong>Theorien</strong> fehlt eine vorgefaßte Konzeption des Guten. Bei<br />

ihnen ri<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> dana<strong>ch</strong>, ob das Handeln selbst ri<strong>ch</strong>tig ist. Eine Handlungsweise<br />

kann also unter Umständen fals<strong>ch</strong> sein, obwohl sie ein gutes Ergebnis<br />

bewirkt 205 . Unter sol<strong>ch</strong>en <strong>Theorien</strong> kennzei<strong>ch</strong>net diejenigen <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en<br />

Grundposition, daß sie die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Handelns rationalistis<strong>ch</strong> dana<strong>ch</strong> beurteilen,<br />

ob es für den einzelnen vorteilhaft ist 206 . Die hobbesianis<strong>ch</strong>e Perspektive ist diejenige<br />

des egoistis<strong>ch</strong>en Nutzenmaximierers.<br />

d) Die kantis<strong>ch</strong>e Grundposition<br />

Übrig bleiben diejenigen <strong>Theorien</strong>, die ni<strong>ch</strong>t allein dana<strong>ch</strong> fragen, was für den einzelnen<br />

vorteilhaft ist. Sie können, in einem weiten Verständnis, als <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en<br />

Grundposition bezei<strong>ch</strong>net werden, weil sie dana<strong>ch</strong> fragen, was (universell)<br />

203 Hierzu R. Alexy, Eine diskurstheoretis<strong>ch</strong>e Konzeption <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft (1993), S. 11 mit<br />

Na<strong>ch</strong>weisen zum Emotivismus.<br />

204 Vgl. Aristoteles, Nikoma<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Ethik, I 1 (1094a 1-3), übers. v. O. Gigon: »Jede Kunst und jede<br />

Lehre, ebenso jede Handlung und je<strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>luß s<strong>ch</strong>eint irgendein Gut zu erstreben. Darum hat<br />

man mit Re<strong>ch</strong>t das Gute als dasjenige bezei<strong>ch</strong>net, wona<strong>ch</strong> alles strebt.« Vgl. dazu ebd., übers. v.<br />

F. Dirlmeier: »Jedes praktis<strong>ch</strong>e Können und jede wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Untersu<strong>ch</strong>ung, ebenso alles<br />

Handeln und Wählen strebt na<strong>ch</strong> einem Gut, wie allgemein angenommen wird. Daher die ri<strong>ch</strong>tige<br />

Bestimmung von 'Gut' als 'das Ziel, zu dem alles strebt'.« Dazu unten S. 152 (Charakteristika<br />

<strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition).<br />

205 S. S<strong>ch</strong>effler, Rejection of Consequentialism (1994), S. 2.<br />

206 Vgl. T. Hobbes, Leviathan (1651), Kapitel 17: »The finall Cause, End, or Designe of men, (who naturally<br />

love Liberty, and Dominion over others,) in the introduction of that restraint upon themselves,<br />

(in whi<strong>ch</strong> wee see them live in Common-wealths,) is the foresight of their own pre<strong>servat</strong>ion,<br />

and of a more contented life thereby«. Dazu unten S. 167 (Charakteristika <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en<br />

Grundposition).<br />

83


i<strong>ch</strong>tig au<strong>ch</strong> für an<strong>der</strong>e und damit letztli<strong>ch</strong> für alle ist 207 . Die kantis<strong>ch</strong>e Grundposition<br />

ist diejenige des autonomen Selbstgesetzgebers 208 .<br />

e) Ein abs<strong>ch</strong>ließendes S<strong>ch</strong>ema <strong>der</strong> Grundpositionen<br />

Mit diesen drei Abgrenzungskriterien entsteht folgende Struktur einer abs<strong>ch</strong>ließenden<br />

Klassifizierung na<strong>ch</strong> Grundpositionen:<br />

207 Vgl. den kategoris<strong>ch</strong>en Imperativ bei I. Kant, KpV (1788), A 54: »Handle so, daß die Maxime deines<br />

Willens je<strong>der</strong>zeit zuglei<strong>ch</strong> als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.« Von<br />

den sog. hypothetis<strong>ch</strong>en Imperativen unters<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> kategoris<strong>ch</strong>e dadur<strong>ch</strong>, daß er aprioris<strong>ch</strong>en<br />

Charakter hat, weil er frei von Begierden und Neigungen, Glücksstreben und aller sonstigen<br />

empiris<strong>ch</strong>en Erfahrung ist. Er gilt als (bloß formaler) synthetis<strong>ch</strong>er Satz a priori und besitzt damit<br />

Denknotwendigkeit. Vgl. I. Kant, KpV (1788), A 38, A 48, A 55 sowie A 63: »Alle praktis<strong>ch</strong>en<br />

Prinzipien, die ein Objekt (Materie) des Begehrungsvermögens, als Bestimmungsgrund des Willens,<br />

voraussetzen, sind insgesamt empiris<strong>ch</strong> und können keine praktis<strong>ch</strong>e[n] Gesetze abgeben. ...<br />

Wenn ein vernünftiges Wesen si<strong>ch</strong> seine Maximen als praktis<strong>ch</strong>e allgemeine Gesetze denken soll,<br />

so kann es si<strong>ch</strong> dieselbe[n] nur als sol<strong>ch</strong>e Prinzipien denken, die, ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Materie, son<strong>der</strong>n bloß<br />

<strong>der</strong> Form na<strong>ch</strong>, den Bestimmungsgrund des Willens enthalten. ... Denn <strong>der</strong> Gedanke a priori von<br />

einer mögli<strong>ch</strong>en allgemeinen Gesetzgebung, <strong>der</strong> also bloß problematis<strong>ch</strong> ist, wird, ohne von <strong>der</strong><br />

Erfahrung o<strong>der</strong> irgend einem äußeren Willen etwas zu entlehnen, als Gesetz unbedingt geboten.<br />

... Das Prinzip <strong>der</strong> Glückseligkeit kann zwar ... generelle, aber niemals universelle Regeln, d.i. sol<strong>ch</strong>e,<br />

die im Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nitte am öftersten zutreffen, ni<strong>ch</strong>t aber sol<strong>ch</strong>e, die je<strong>der</strong>zeit und notwendig<br />

gültig sein müssen, geben« (Hervorhebungen bei Kant).<br />

208 Vgl. I. Kant, KpV (1788), A 58: »Die Autonomie des Willens ist das alleinige Prinzip aller moralis<strong>ch</strong>en<br />

Gesetze und <strong>der</strong> ihnen gemäßen Pfli<strong>ch</strong>ten; alle Heteronomie <strong>der</strong> Willkür gründet dagegen<br />

ni<strong>ch</strong>t allein gar keine Verbindli<strong>ch</strong>keit, son<strong>der</strong>n ist vielmehr dem Prinzip <strong>der</strong>selben und <strong>der</strong> Sittli<strong>ch</strong>keit<br />

des Willens entgegen.« Dazu unten S. 198 (Charakteristika <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en Grundposition).<br />

84


Vier Grundpositionen <strong>der</strong><br />

politis<strong>ch</strong>en Philosophie<br />

1. nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>e<br />

Grundposition<br />

(Skeptizismus,<br />

Unbegründbarkeit<br />

praktis<strong>ch</strong>er Vernunft)<br />

ni<strong>ch</strong>t-nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>e Grundpositionen<br />

(Begründbarkeit praktis<strong>ch</strong>er Vernunft)<br />

2. aristotelis<strong>ch</strong>e<br />

Grundposition<br />

(Tugendhaftigkeit,<br />

Konzeption des Guten)<br />

ni<strong>ch</strong>t-aristotelis<strong>ch</strong>e Grundpositionen<br />

(Konzeptionen des Ri<strong>ch</strong>tigen)<br />

3. hobbesianis<strong>ch</strong>e<br />

Grundposition<br />

(Rationalismus,<br />

egoistis<strong>ch</strong>e Nutzenmaximierung)<br />

4. kantis<strong>ch</strong>e<br />

Grundposition<br />

(Universalismus,<br />

autonome Selbstgesetzgebung)<br />

Wenn in <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie auf die historis<strong>ch</strong>en Vorbil<strong>der</strong> von Aristoteles,<br />

Hobbes und Kant zurückgegriffen wird, so stellt si<strong>ch</strong> unmittelbar die Frage, warum<br />

ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> John Locke berücksi<strong>ch</strong>tigt wird: gibt es ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> eine 'lockeanis<strong>ch</strong>e Grundposition'?<br />

Immerhin hat Locke mit <strong>der</strong> Idee vorpositiver Re<strong>ch</strong>te einen grundlegenden<br />

Gegenentwurf zum hobbesianis<strong>ch</strong>en Naturzustand vorgelegt 209 . Damit kann er, bei<br />

allen Unters<strong>ch</strong>ieden im Detail, als Vorläufer des Konzepts universeller Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te<br />

angesehen werden. Außerdem hat Locke im Rahmen seiner Arbeitstheorie des<br />

209 Vgl. J. Locke, Two Treatises of Government (1698), II § 6: »The State of Nature has a Law of Nature<br />

to govern it, whi<strong>ch</strong> obliges every one: And Reason, whi<strong>ch</strong> is that Law, tea<strong>ch</strong>es all Mankind, who<br />

will but consult it, that being all equal and independent, no one ought to harm another in his Life,<br />

Health, Liberty, or Possession. ... Every one as he is bound to preserve himself, and not to quit his<br />

Station wilfully; so by the like reason when his own Pre<strong>servat</strong>ion comes not in competition, ought<br />

he, as mu<strong>ch</strong> as he can, to preserve the rest of Mankind, and may not unless it be to do Justice on an<br />

Offen<strong>der</strong>, take away, or impair the life, or what tends to the Pre<strong>servat</strong>ion of the Life, the Liberty,<br />

Health, Limb or Goods of another.« (Hervorhebungen bei Locke). Ebd., II § 19: »And here we have<br />

the plain difference between the State of Nature, and the State of War, whi<strong>ch</strong> however some Men have<br />

confounded, are as far distant, as a State of Peace, Good Will, Mutual Assistance, and Pre<strong>servat</strong>ion,<br />

and a State of Enmity, Malice, Violence, and Mutual Destruction are one from another. Men<br />

living together according to reason, without a common Superior on Earth, with Authority to judge<br />

between them, is properly the State of Nature.« (Hervorhebungen bei Locke).<br />

85


Eigentums 210 und seiner Aneignungstheorie 211 die sogenannte Lockes<strong>ch</strong>e Provisio entwickelt<br />

212 . Sie wird von gegenwärtigen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien als allgemeines S<strong>ch</strong>ädigungsverbot<br />

interpretiert und in dieser Fassung als Vorbild aufgegriffen 213 . Wenn<br />

die politis<strong>ch</strong>en Philosophien von Hobbes und Kant in gegenwärtigen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

von Bu<strong>ch</strong>anan und Rawls ihre Aktualisierung finden, so läßt si<strong>ch</strong> für Locke<br />

zumindest Nozick anführen 214 . Do<strong>ch</strong> kann die damit bes<strong>ch</strong>riebene Aktualität <strong>der</strong><br />

lockes<strong>ch</strong>en Philosophie ni<strong>ch</strong>t dazu führen, eine weitere Grundposition zu definieren.<br />

Denn die Idee <strong>der</strong> vorpositiven Re<strong>ch</strong>te, auf die letztli<strong>ch</strong> alle Ers<strong>ch</strong>einungsformen <strong>der</strong><br />

Locke-Renaissance zurückgreifen, läßt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t auf eine bestimmte Konzeption praktis<strong>ch</strong>er<br />

Vernunft festlegen. Locke selbst hat sie theistis<strong>ch</strong> begründet 215 , also im Rahmen<br />

einer Naturre<strong>ch</strong>tslehre, die für das Handeln ein substantiell als ri<strong>ch</strong>tig erkanntes Ziel<br />

vorgibt und somit na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> hier getroffenen Einteilung den <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en<br />

Grundposition zuzure<strong>ch</strong>nen ist 216 . Gauthier hat, in Abgrenzung zu Locke, eine<br />

transzendental-rationalistis<strong>ch</strong>e Begründung versu<strong>ch</strong>t, die er <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en<br />

Grundposition zure<strong>ch</strong>net, die aber tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> moralis<strong>ch</strong>e Gehalte wie eine kantis<strong>ch</strong>e<br />

Theorie aufweist 217 . Und Nozick hat die universelle (moralis<strong>ch</strong>e) Gültigkeit vorpositiver<br />

Re<strong>ch</strong>te postuliert, si<strong>ch</strong> aber von <strong>der</strong> substantiell-naturre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Begründung<br />

Lockes distanziert und diese dur<strong>ch</strong> ein Vorteilskalkül ersetzt, so daß die Zuordnung<br />

zur hobbesianis<strong>ch</strong>en Grundposition geboten ers<strong>ch</strong>eint 218 . Wegen dieser Unbestimmtheit<br />

hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> des Begründungskonzeptes gilt: Für die Idee vorpositiver<br />

210 J. Locke, Two Treatises of Government (1698), II § 45: »Thus Labour, in the Beginning, gave the Right<br />

of Property, where-ever any one was pleased to imploy it, upon what was common, whi<strong>ch</strong> remained,<br />

a long while, the far greater part, and is yet more than Mankind makes use of.« Sowie ebd.,<br />

II § 51: »And thus, I think, it is very easie to conceive without any difficulty, how Labour could at<br />

first begin a title of Property in the common things of Nature, and how the spending it upon our<br />

uses bounded it.« (Hervorhebungen bei Locke).<br />

211 Dazu J. Locke, Two Treatises of Government (1698), II §§ 25 ff.<br />

212 Die vielzitierte Stelle »still enough, and as good left« findet si<strong>ch</strong> in J. Locke, Two Treatises of<br />

Government (1698), II § 33: »Nor was this [original] appropriation of any parcel of Land, by improving<br />

it, any prejudice to any other Man, since there was still enough, and as good left; and more<br />

than the yet unprovided could use.« (Hervorhebungen bei Locke).<br />

213 Dazu unten S. 180 ff. (Gauthier) und S. 205 ff. (Nozick).<br />

214 Mit diesen drei Parallelen zwis<strong>ch</strong>en Aufklärungsphilosophen und gegenwärtigen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheoretikern:<br />

O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 92; P. Koller, Neue <strong>Theorien</strong> des Sozialkontrakts<br />

(1987), S. 135 ff.<br />

215 Dazu Kritik etwa bei D. Gauthier, Morals by Agreement (1986), S. 222: »Locke, ... his moral theory,<br />

unlike Hobbes's, is overtly theistic.« Der theistis<strong>ch</strong>e Bezug läßt si<strong>ch</strong> im Werk an vielen Stellen belegen,<br />

z.B. im unmittelbaren Begründungszusammenhang mit den vorpositiven Re<strong>ch</strong>ten im Naturzustand:<br />

J. Locke, Two Treatises of Government (1698), II § 6: »For Men being all the Workmanship<br />

of one Omnipotent, and infinitely wise Maker«. Ebenso im Begründungszusammenhang<br />

mit <strong>der</strong> Aneignungs- und Eigentumstheorie: ebd., II § 26: »God, who hath given the World<br />

to Men in common, hath also given them reason to make use of it to the best advantage of Life,<br />

and convenience.« Vgl. R. Dreier, Eigentum in re<strong>ch</strong>tsphilosophis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t (1986), S. 172 ff. – Lockes<br />

Eigentumstheorie im Verglei<strong>ch</strong> zu den <strong>Theorien</strong> von Kant, Hegel und Fi<strong>ch</strong>te.<br />

216 Dazu oben S. 89 (Begriff <strong>der</strong> Naturre<strong>ch</strong>tslehre) sowie unten S. 154 (ontologis<strong>ch</strong>e Naturre<strong>ch</strong>tslehren).<br />

217 Dazu oben S. 83 (aristotelis<strong>ch</strong>e Grundposition) sowie unten S. 180 ff. (Gauthier).<br />

218 Dazu unten S. 205 ff. (Nozick).<br />

86


Re<strong>ch</strong>te, und damit für das historis<strong>ch</strong>e Vorbild Lockes, kann keine eigene Grundposition<br />

formuliert werden.<br />

2. Zu einigen ergänzenden Differenzierungen<br />

Dem grundlegenden Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en prozeduralen und materialen <strong>Theorien</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist ein eigener Abs<strong>ch</strong>nitt gewidmet 219 . Es gibt daneben no<strong>ch</strong> eine<br />

Reihe an<strong>der</strong>er Differenzierungen, die jenseits <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung na<strong>ch</strong> Konzeptionen<br />

praktis<strong>ch</strong>er Vernunft Bea<strong>ch</strong>tung verdienen. Es geht dabei – ni<strong>ch</strong>t abs<strong>ch</strong>ließend 220<br />

– um sol<strong>ch</strong>e Gruppenbildungen, die ni<strong>ch</strong>t alternativ <strong>der</strong> Klassifizierung na<strong>ch</strong> Grundpositionen<br />

entgegenstehen, son<strong>der</strong>n vielmehr ergänzend neben diese treten, weil sie<br />

auf einer an<strong>der</strong>en Ebene liegen.<br />

a) Empiris<strong>ch</strong>e, analytis<strong>ch</strong>e und normative <strong>Theorien</strong><br />

Au<strong>ch</strong> innerhalb <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 221 ist bei <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien na<strong>ch</strong><br />

<strong>der</strong> angewandten Methode und dem untersu<strong>ch</strong>ten Gegenstand zwis<strong>ch</strong>en analytis<strong>ch</strong>en,<br />

empiris<strong>ch</strong>en und normativen <strong>Theorien</strong> zu unters<strong>ch</strong>eiden 222 . Analytis<strong>ch</strong>e<br />

<strong>Theorien</strong> fragen na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> logis<strong>ch</strong>en Struktur theoretis<strong>ch</strong>er Aussagen zur <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

223 und sind regelmäßig bloß unselbständige Teile <strong>der</strong>jenigen empiris<strong>ch</strong>en und<br />

normativen <strong>Theorien</strong>, <strong>der</strong>en ni<strong>ch</strong>tanalytis<strong>ch</strong>e Aussagen über <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> sie zum<br />

Gegenstand nehmen 224 . Empiris<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong>, insbeson<strong>der</strong>e soziologis<strong>ch</strong>e o<strong>der</strong> psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>e,<br />

untersu<strong>ch</strong>en die soziale Realität von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 225 . Sie erfors<strong>ch</strong>en beispielsweise,<br />

wann eine Person, Handlung o<strong>der</strong> Institution als gere<strong>ch</strong>t o<strong>der</strong> ungere<strong>ch</strong>t<br />

empfunden wird (Sozialpsy<strong>ch</strong>ologie), wie si<strong>ch</strong> das Potential, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> und Ungere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

zu empfinden, entwickelt (Entwicklungspsy<strong>ch</strong>ologie), von wel<strong>ch</strong>en Parametern<br />

eine sol<strong>ch</strong>e Empfindung real abhängt und ob zwis<strong>ch</strong>en dem <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sempfinden<br />

und einem objektiv als ri<strong>ch</strong>tig erkennbaren (weil na<strong>ch</strong> unstreitigen Kriterien<br />

begründeten) Ergebnis ein signifikanter Zusammenhang besteht 226 . Normative<br />

<strong>Theorien</strong> dagegen verfolgen Fragestellungen, die unabhängig von einer bestimmten<br />

sozialen o<strong>der</strong> personalen Realität sind. Sie beurteilen die Geltung von Gere<strong>ch</strong>-<br />

219 Dazu unten S. 139 ff. (Grenzziehung).<br />

220 Zu den Unters<strong>ch</strong>eidungen, die hier ni<strong>ch</strong>t weiter verfolgt werden, gehört diejenige zwis<strong>ch</strong>en 'definitoris<strong>ch</strong>en<br />

und kriteriologis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien'; vgl. dazu R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en<br />

Argumentation (1978), S. 227 m.w.N. in Fn. 16.<br />

221 Zur politis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> vgl. oben S. 78 (S<strong>ch</strong>werpunktthese).<br />

222 R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 96 f., 106 ff.<br />

223 Vgl. R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 106: »Analytis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien sind <strong>Theorien</strong><br />

über logis<strong>ch</strong>e Strukturen und spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Gehalte des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffs und seine Verwendung<br />

in <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteilen.« (Hervorhebung bei Dreier).<br />

224 R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 106: »in <strong>der</strong> Regel sind analytis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

Teiltheorien empiris<strong>ch</strong>er o<strong>der</strong> normativer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien.«<br />

225 Vgl. R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 106: »Empiris<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien sind <strong>Theorien</strong><br />

darüber, wel<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>svorstellungen in einer Gesells<strong>ch</strong>aft tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> vertreten wurden<br />

o<strong>der</strong> werden, wie sie historis<strong>ch</strong>, soziologis<strong>ch</strong>, psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong> o<strong>der</strong> ökonomis<strong>ch</strong> zu erklären<br />

sind und wel<strong>ch</strong>e Rolle sie in wel<strong>ch</strong>en Hinsi<strong>ch</strong>ten tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> gespielt haben o<strong>der</strong> spielen.« (Hervorhebung<br />

bei Dreier).<br />

226 Siehe K.F. Röhl, Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit (1993), S. 9 ff.; <strong>der</strong>s., Procedural Justice (1997), S. 7 ff.<br />

87


tigkeitsnormen, su<strong>ch</strong>en also na<strong>ch</strong> Kriterien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 227 . Als Teil <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en<br />

Philosophie fragen normative <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien dana<strong>ch</strong>, wel<strong>ch</strong>e sozialen<br />

Arrangements verteidigt werden können 228 .<br />

Au<strong>ch</strong> analytis<strong>ch</strong>e und empiris<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> sind <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien im Sinne<br />

von D 2 , denn au<strong>ch</strong> sie sagen etwas über die Behauptung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> – erstere<br />

etwa hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> logis<strong>ch</strong>en Wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong>sfreiheit, letztere mit Verweisen auf die<br />

soziale Wirkli<strong>ch</strong>keit. Aus re<strong>ch</strong>tstheoretis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t gebührt normativen <strong>Theorien</strong> indes<br />

die größte Aufmerksamkeit, denn nur sie fragen na<strong>ch</strong> Maßstäben für die soziale<br />

und damit au<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Ordnung unabhängig davon, was ohnehin s<strong>ch</strong>on Realität<br />

ist. Glei<strong>ch</strong>zeitig stellt si<strong>ch</strong> die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung in normativen <strong>Theorien</strong> am<br />

s<strong>ch</strong>wierigsten dar. Während analytis<strong>ch</strong>e und empiris<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfors<strong>ch</strong>ung<br />

methodis<strong>ch</strong> auf einigermaßen festem Fundament ruhen, betrifft die Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

bei normativen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien häufig s<strong>ch</strong>on Meinungsunters<strong>ch</strong>iede<br />

über methodis<strong>ch</strong>e Fragen. Nun kann und muß hier keine neue Methodik entwickelt<br />

werden. Do<strong>ch</strong> ist es für eine kritis<strong>ch</strong>e Analyse <strong>der</strong> <strong>Theorien</strong> hilfrei<strong>ch</strong>, wenn eine<br />

Klassifizierung gewählt wird, die si<strong>ch</strong> eng an das methodis<strong>ch</strong>e Fundament <strong>der</strong> <strong>Theorien</strong><br />

anlehnt. Genau das ges<strong>ch</strong>ieht bei <strong>der</strong> Klassifizierung na<strong>ch</strong> Grundpositionen. Sie<br />

ma<strong>ch</strong>t die unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Konzeptionen praktis<strong>ch</strong>er Vernunft zum Ausgangspunkt<br />

und betont damit glei<strong>ch</strong>zeitig einen grundlegenden methodis<strong>ch</strong>en Unters<strong>ch</strong>ied,<br />

<strong>der</strong> etwa zwis<strong>ch</strong>en (hobbesianis<strong>ch</strong>en) <strong>Theorien</strong> rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens und<br />

(kantis<strong>ch</strong>en) Diskurstheorien bestehen.<br />

b) Begründungs- und Erzeugungstheorien<br />

Unter den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien sind im Ans<strong>ch</strong>luß an Ralf Dreier Begründungs- und<br />

Erzeugungstheorien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> zu unters<strong>ch</strong>eiden 229 . Erstere betreffen – ganz<br />

im Wortsinne von D 2 – das Anführen von Gründen für die Behauptung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>,<br />

also die Erkenntnis über die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Handelns. Letztere dagegen fragen,<br />

wie <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> real erzeugt werden kann, betreffen also das konkrete Handeln<br />

gemäß als ri<strong>ch</strong>tig erkannten Maßstäben 230 . Sie haben als sol<strong>ch</strong>e keinen Erkenntnis-,<br />

son<strong>der</strong>n vielmehr einen »heuristis<strong>ch</strong>en Wert« 231 – werden Mittel zur effizienten<br />

227 Vgl. R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 107: »Normative <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien sind <strong>Theorien</strong><br />

darüber, wel<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>svorstellungen und -urteile ethis<strong>ch</strong> gere<strong>ch</strong>tfertigt sind bzw. auf<br />

wel<strong>ch</strong>e Weise sie si<strong>ch</strong> ethis<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>tfertigen lassen.« (Hervorhebung bei Dreier). Ähnli<strong>ch</strong> K.E. Soltan,<br />

The Causal Theory of Justice (1987), S. 58: »A normative theory is a set of rules and principles<br />

that constitutes possible justifications for a variety of decisions.«<br />

228 B. Barry, Theories of Justice (1989), S. 3.<br />

229 Grundlegend zur Unters<strong>ch</strong>eidung R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 107, 113 ff.; ähnli<strong>ch</strong><br />

G.-P. Calliess, <strong>Prozedurale</strong>s Re<strong>ch</strong>t (1999), S. 30 sowie S. 35 f. mit Fn. 132. Vgl. oben S. 74 (Begründung<br />

und Erzeugung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen) sowie unten S. 133 (prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungstheorien).<br />

230 Vgl. R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 113: »<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungstheorien sind<br />

<strong>Theorien</strong> über Verfahren, <strong>der</strong>en Einhaltung gewährleisten soll, daß das in ihnen erzeugte Re<strong>ch</strong>t<br />

gere<strong>ch</strong>t ist, o<strong>der</strong>, s<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>er ausgedrückt, <strong>der</strong>en Einhaltung na<strong>ch</strong> Maßgabe des Mögli<strong>ch</strong>en verhin<strong>der</strong>n<br />

soll, daß ungere<strong>ch</strong>tes Re<strong>ch</strong>t erzeugt wird.«<br />

231 So die insoweit treffende Beurteilung bei A. Kaufmann, <strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

(1989), S. 20. Kaufmann bezieht diese Bes<strong>ch</strong>reibung indes auf hypothetis<strong>ch</strong>e (Denk-) statt auf reale<br />

88


Zielerrei<strong>ch</strong>ung an<strong>der</strong>weitig begründeter Ziele. Beispielweise liegt eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungstheorie<br />

vor, wenn die Verfahrensbedingungen bestimmt werden, unter<br />

denen die Verurteilung s<strong>ch</strong>uldiger Straftäter (und nur <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>uldigen) am besten<br />

gelingt. Au<strong>ch</strong> die demokratis<strong>ch</strong>e Wahlre<strong>ch</strong>tstheorie (wie die Theorie des demokratis<strong>ch</strong>en<br />

Verfassungsstaates insgesamt) 232 ist eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungstheorie, <strong>der</strong>en<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>smaßstab (Selbstregierung <strong>der</strong> Betroffenen dur<strong>ch</strong> legitimierte Vertreter)<br />

bereits feststeht. Selbst eine Theorie <strong>der</strong> Vertragsfreiheit, die die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

privatautonomer, ni<strong>ch</strong>t staatli<strong>ch</strong>er Re<strong>ch</strong>tserzeugung betrifft, ist <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungstheorie<br />

233 .<br />

In allen diesen Beispielen besteht unabhängig vom Verfahren ein Maßstab für die<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> des Ergebnisses (S<strong>ch</strong>uld des Straftäters, Repräsentation <strong>der</strong> Gewählten,<br />

Verwirkli<strong>ch</strong>ung von Privatautonomie). Dur<strong>ch</strong> die Abhängigkeit von sol<strong>ch</strong>en Maßstäben<br />

ist die Erzeugung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> stets auf die Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteilen<br />

angewiesen. In jedem konkreten Einzelfall des gere<strong>ch</strong>ten Handelns<br />

muß zunä<strong>ch</strong>st bestimmt werden, was überhaupt als gültiger Grund für o<strong>der</strong> gegen<br />

ein <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteil anerkannt werden soll, warum also ein Täter bestraft, ein<br />

Bürger repräsentiert o<strong>der</strong> ein Vertrag ges<strong>ch</strong>lossen werden darf. Eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungstheorie<br />

ist dadur<strong>ch</strong> mittelbar eine 'Theorie über das Anführen von Gründen<br />

für o<strong>der</strong> gegen die Behauptung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' im Sinne von D 2 , also eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie<br />

im Sinne <strong>der</strong> Definition. Die Differenzierung zwis<strong>ch</strong>en Begründungs-<br />

und Erzeugungstheorien erweist si<strong>ch</strong> dabei als Ergänzung, ni<strong>ch</strong>t als Alternative<br />

zu <strong>der</strong> Klassifizierung na<strong>ch</strong> Grundpositionen. Denn die Grundpositionen kennzei<strong>ch</strong>nen<br />

das unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Vernunftkonzept bei <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung – ein<br />

Konzept, auf das neben den Begründungstheorien au<strong>ch</strong> die Erzeugungstheorien <strong>der</strong><br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> mittelbar angewiesen sind.<br />

c) Naturre<strong>ch</strong>ts- und Vernunftre<strong>ch</strong>tstheorien<br />

Eine grundlegende Unters<strong>ch</strong>eidung aus <strong>der</strong> Entstehungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

ist diejenige zwis<strong>ch</strong>en Naturre<strong>ch</strong>ts- und Vernunftre<strong>ch</strong>tstheorien. Die<br />

historis<strong>ch</strong>e Wurzel dessen, was zu den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien im Sinne von D 2 gehört,<br />

sind die Naturre<strong>ch</strong>tslehren 234 . Der Begriff des Naturre<strong>ch</strong>ts (ius naturae, lex natu-<br />

(Handlungs-)Verfahren und betra<strong>ch</strong>tet den 'heuristis<strong>ch</strong>en Wert' zudem als einzige Leistung <strong>der</strong><br />

prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien, da er eine eigenständige Begründungsleistung ni<strong>ch</strong>t anerkennt<br />

und die prozeduralen <strong>Theorien</strong> ledigli<strong>ch</strong> als 'Stimmigkeits- o<strong>der</strong> Plausibilitätskontrolle' für<br />

dienli<strong>ch</strong> hält.<br />

232 R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 113.<br />

233 R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 107, 114.<br />

234 Die Einzelheiten <strong>der</strong> Genese von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien aus Naturre<strong>ch</strong>tslehren können hier ni<strong>ch</strong>t<br />

behandelt werden. Vgl. dazu H. Welzel, Naturre<strong>ch</strong>t und materiale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1962), S. 108 ff.;<br />

J. Finnis, Natural Law and Natural Rights (1980), S. 64 ff., 86 ff. (seven self-evident basic values); L.L.<br />

Weinreb, Natural Law and Justice (1987), S. 43 ff., 225 ff. sowie die Beiträge in D. Mayer-<br />

Maly/P.M. Simons (Hrsg.), Das Naturre<strong>ch</strong>tsdenken heute und morgen (1983). Speziell zur Vorgehensweise<br />

<strong>der</strong> Naturre<strong>ch</strong>tslehren R. Hittinger, A Critique of the New Natural Law Theory<br />

(1987), S. 10 ff., 155 ff.; O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 88 ff. Eine religiös-materiale und<br />

in diesem Sinne 'naturre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e' Theorie formuliert beispielsweise E. Brunner, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

(1943), S. 54 ff. Vgl. außerdem oben Fn. 16 (Naturre<strong>ch</strong>t versus Re<strong>ch</strong>tspositivismus).<br />

89


ae) steht – ganz im Wortsinne 235 – für dasjenige Re<strong>ch</strong>t, das si<strong>ch</strong> aus <strong>der</strong> Natur <strong>der</strong><br />

Welt 236 und dabei insbeson<strong>der</strong>e aus <strong>der</strong> Natur des Mens<strong>ch</strong>en ableitet, diesem also<br />

vorgegeben ist, ohne daß es seiner Setzung unterworfen wäre (Vorpositivität) 237 . Naturre<strong>ch</strong>t<br />

beanspru<strong>ch</strong>t unabdingbare Gültigkeit, ist also – im Gegensatz zum positiven<br />

Re<strong>ch</strong>t – von Raum und Zeit unabhängig (Cicero, lex aeterna, lex naturalis) 238 . Als antikes<br />

(Platon, Aristoteles) 239 , spätantikes (Augustinus, lex divina), mittelalterli<strong>ch</strong>es (Thomas<br />

von Aquin, ius divinum) 240 , reformatoris<strong>ch</strong>es (Luther, Calvin) 241 o<strong>der</strong> sonst ontologis<strong>ch</strong>es,<br />

d.h. kosmologis<strong>ch</strong>es o<strong>der</strong> anthropologis<strong>ch</strong>es 242 Naturre<strong>ch</strong>t (Grotius, Pufendorf)<br />

hat es bis zur Aufklärung na<strong>ch</strong> dem Wesen des Mens<strong>ch</strong>en gefragt, seither indes,<br />

235 Vgl. O. Höffe, Artikel: Naturre<strong>ch</strong>t (1987), Sp. 1298: »Die Natur ist jener Aspekt am Mens<strong>ch</strong>en und<br />

seiner Welt, <strong>der</strong> <strong>der</strong> persönli<strong>ch</strong>en, gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en und ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Verfügung entzogen, insofern<br />

s<strong>ch</strong>on vom Begriff her vorpositiv und überpositiv gültig ist.«<br />

236 Ni<strong>ch</strong>tanthropozentris<strong>ch</strong> ist beispielsweise <strong>der</strong> Naturre<strong>ch</strong>tsbegriff in Dig. 1, 1, 1, 3: »Ius naturale est,<br />

quod natura omnia animalia docuit: nam ius istud non humani generis proprium, sed omnium animalium,<br />

quae in terra, quae in mari nascuntur, avium quoque commune est.« In <strong>der</strong> Übersetzung von Seiler, in:<br />

Behrends/Knütel/Kupis<strong>ch</strong>/Seiler (Hrsg.), Corpus Iuris Civilis, Bd. 2 (1995), S. 92: »Naturre<strong>ch</strong>t ist<br />

das, was die Natur alle Lebewesen gelehrt hat. Denn dieses Re<strong>ch</strong>t ist ni<strong>ch</strong>t allein dem Mens<strong>ch</strong>enges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t<br />

eigen, son<strong>der</strong>n allen Lebewesen, die es auf dem Lande und im Wasser gibt, gemeinsam<br />

– au<strong>ch</strong> den Vögeln.«<br />

237 Vgl. dazu die frühe Kritik bei J. Bentham, Anar<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>al Fallacies (1820), S. 501: »Natural rights is<br />

simple nonsense: natural and imprescriptible rights, rhetorical nonsense, – nonsense upon stilts.«<br />

238 Vgl. M.T. Cicero, Über den Staat, III, 22: »Es stellt si<strong>ch</strong> ja das wahre Gesetz in <strong>der</strong> geradlinigen<br />

Vernunft dar, die in Einklang steht mit <strong>der</strong> Natur, die über alle Mens<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> ausgebreitet hat,<br />

die festen, dauernden Bestand hat, ... Dieses Gesetz in seiner Rei<strong>ch</strong>weite einzus<strong>ch</strong>ränken, verstößt<br />

wi<strong>der</strong> göttli<strong>ch</strong>es Re<strong>ch</strong>t; es ist au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t erlaubt, es teilweise aufzuheben, und es kann au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

ganz abges<strong>ch</strong>afft werden. ... es wird ni<strong>ch</strong>t an<strong>der</strong>s in Rom, an<strong>der</strong>s in Athen, an<strong>der</strong>s heute, an<strong>der</strong>s<br />

später sein, son<strong>der</strong>n die Völker werden sowohl in ihrer Gesamtheit wie zu allen Zeiten dieses eine<br />

Gesetz als ewiges und unverän<strong>der</strong>li<strong>ch</strong>es umfassen und einer wird glei<strong>ch</strong>sam <strong>der</strong> gemeinsame<br />

Lehrer und Gebieter über alle sein: Gott.« Zu lex aeterna und lex naturalis bei Augustinus siehe A.<br />

Kaufmann, Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1984), S. 17.<br />

239 Vgl. W. Waldstein, Zur juristis<strong>ch</strong>en Relevanz <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> bei Aristoteles, Cicero und Ulpian<br />

(1996), S. 67 ff.: Der antike Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Tugend bedinge, daß eine substantiell gere<strong>ch</strong>te<br />

mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Ordnung naturre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> verstanden werde.<br />

240 Vgl. etwa Thomas von Aquin, ST, II-II, 57, 2 (Antwort zu 3.): »Ad tertium dicendum quod jus divinum<br />

dicitur quod divinitus promulgatur. ...« In <strong>der</strong> Übersetzung von Groner: »Zu 3.: Jenes Re<strong>ch</strong>t heißt<br />

'göttli<strong>ch</strong>', das dur<strong>ch</strong> Gott kundgetan wird. Es bezieht si<strong>ch</strong> teilweise auf das naturhaft Gere<strong>ch</strong>te –<br />

seine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> bleibt dem Mens<strong>ch</strong>en jedo<strong>ch</strong> verborgen –, teilweise auf das, was dur<strong>ch</strong> göttli<strong>ch</strong>e<br />

Verfügung gere<strong>ch</strong>t wird. Daher kann, wie das mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>t, au<strong>ch</strong> das göttli<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong><br />

diesen zwei Gesi<strong>ch</strong>tspunkten unters<strong>ch</strong>ieden werden.« Vgl. dazu: M.B. Crowe, St. Thomas and Ulpian's<br />

Natural Law (1974), S. 261 ff. (281 f.) – weitgehende Übernahme von Ulpians Naturre<strong>ch</strong>tsverständnis<br />

in <strong>der</strong> thomasis<strong>ch</strong>en Lehre; M. Beck-Mannagetta, Mittelalterli<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>slehre<br />

(1996), S. 74 ff.<br />

241 Dazu etwa E. Brunner, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1943), S. 319 ff. Anm. 34 m.w.N.<br />

242 Das kosmologis<strong>ch</strong>e Naturre<strong>ch</strong>t bes<strong>ch</strong>reibt als ontologis<strong>ch</strong>es Naturbild eine (gottgestiftete) Ordnung<br />

<strong>der</strong> Welt, das anthropologis<strong>ch</strong>e Naturre<strong>ch</strong>t dagegen das Wesen des Mens<strong>ch</strong>en; O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 89. Der Übergang vom theozentris<strong>ch</strong>en zum anthropozentris<strong>ch</strong>en<br />

Weltbild und damit ein Paradigmenwe<strong>ch</strong>sel in <strong>der</strong> Naturre<strong>ch</strong>tslehre kann etwa bei Jean Bodin verortet<br />

werden; vgl. J. Bodin, Se<strong>ch</strong>s Bü<strong>ch</strong>er über den Staat (1583), I. Bu<strong>ch</strong>, 1. Kapitel, S. 101: »Wenn<br />

nun aber die wahre Glückseligkeit des Staates (R) glei<strong>ch</strong>zusetzen ist mit <strong>der</strong> des einzelnen Mens<strong>ch</strong>en<br />

...«. Das neue anthropozentris<strong>ch</strong>e Weltbild hat seinen Nie<strong>der</strong>s<strong>ch</strong>lag dann in den ni<strong>ch</strong>ttheozentris<strong>ch</strong>en<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien von Thomas Hobbes (Vom Bürger, 1642; Leviathan, 1651) und<br />

John Locke (Two Treatises of Government, 1698) gefunden.<br />

90


in <strong>der</strong> Form des rationalistis<strong>ch</strong>en Naturre<strong>ch</strong>ts (Vernunftre<strong>ch</strong>ts), na<strong>ch</strong> dem als ri<strong>ch</strong>tig<br />

Erkannten.<br />

Es kann ein enger und ein weiter Naturre<strong>ch</strong>tsbegriff unters<strong>ch</strong>ieden werden. Naturre<strong>ch</strong>t<br />

im engeren Sinn ist nur das ontologis<strong>ch</strong>e Naturre<strong>ch</strong>t 243 , das bis auf wenige<br />

Ausnahmen neuerer, meist religiös motivierter <strong>Theorien</strong> 244 in <strong>der</strong> Zeit vor <strong>der</strong> Aufklärung<br />

begründet wurde 245 . <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> wird dabei in einem personalen Sinn verstanden,<br />

etwa in <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sdefinition bei Ulpian 246 . Beginnend mit <strong>der</strong> neuzeitli<strong>ch</strong>en<br />

Philosophie (Descartes) orientieren si<strong>ch</strong> Antworten demgegenüber an Kriterien<br />

<strong>der</strong> Vernunft – juristis<strong>ch</strong> gewendet in Form eines rationalistis<strong>ch</strong>en Naturre<strong>ch</strong>ts<br />

o<strong>der</strong> Vernunftre<strong>ch</strong>ts, das dur<strong>ch</strong> die Aufklärung (Kant) dann (abgesehen von aufklärungskritis<strong>ch</strong>en<br />

Ausnahmen) zu einem kritis<strong>ch</strong>en Vernunftre<strong>ch</strong>t wird 247 . Naturre<strong>ch</strong>t in<br />

diesem weiteren Sinne ist jedes Normensystem, das na<strong>ch</strong> Maßstäben für positives<br />

Re<strong>ch</strong>t fragt, also sowohl ältere ontologis<strong>ch</strong>e Naturre<strong>ch</strong>tslehren als au<strong>ch</strong> das neuzeitli<strong>ch</strong>e<br />

Vernunftre<strong>ch</strong>t eins<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> aller normativ-politis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien 248 .<br />

Für die Zwecke dieser Untersu<strong>ch</strong>ung wird <strong>der</strong> enge Naturre<strong>ch</strong>tsbegriff verwendet,<br />

um die Abgrenzung von neueren <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien zu betonen. Unter 'Naturre<strong>ch</strong>t'<br />

wird im folgenden also, soweit ni<strong>ch</strong>t ausdrückli<strong>ch</strong> an<strong>der</strong>s gekennzei<strong>ch</strong>net, nur<br />

das ontologis<strong>ch</strong>e Naturre<strong>ch</strong>t, ni<strong>ch</strong>t dagegen das Vernunftre<strong>ch</strong>t verstanden.<br />

243 A. Kaufmann, <strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1989), S. 9 f. spri<strong>ch</strong>t von dem substanzontologis<strong>ch</strong>en<br />

Denken als Grundlage für 'Naturre<strong>ch</strong>t im herkömmli<strong>ch</strong>en Sinne' bzw. 'Naturre<strong>ch</strong>t alter<br />

Art'. R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 108 kennzei<strong>ch</strong>net als 'klassis<strong>ch</strong>e' Naturre<strong>ch</strong>tslehren<br />

diejenigen, die Natur ni<strong>ch</strong>t im Sinne <strong>der</strong> neuzeitli<strong>ch</strong>en Naturwissens<strong>ch</strong>aft, son<strong>der</strong>n als »sinnvoll-werthaft-vernünftige<br />

Seinsordnung o<strong>der</strong>, <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong> interpretiert, als göttli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>öpfungsordnung«<br />

verstehen. Den engen Naturre<strong>ch</strong>tsbegriff verwendet au<strong>ch</strong> H. Kelsen, Allgemeine Theorie<br />

<strong>der</strong> Normen (1979), S. 4 ff.: Alle Naturre<strong>ch</strong>tslehren gründeten letztli<strong>ch</strong> auf Voraussetzungen<br />

eines religiösen Bekenntnisses.<br />

244 Etwa E. Brunner, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1943), S. 54 ff. (54): »Das göttli<strong>ch</strong>e Gesetz <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>«. Ein<br />

vernunftre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> gewendetes, aber glei<strong>ch</strong>wohl no<strong>ch</strong> religiöses Naturre<strong>ch</strong>t unter Bezugnahme auf<br />

Thomas von Aquin kann bei G. Grisez, Beyond the New Theism (1975); <strong>der</strong>s., Christian Moral Principles<br />

(1983) und J. Finnis, Natural Law and Natural Rights (1980) verortet werden; kritis<strong>ch</strong> dazu<br />

etwa: R. Hittinger, Critique of the New Natural Law Theory (1987), S. 155 ff. (192): »A natural law<br />

theory must show how nature is normative with regard to practical rationality. This has not been<br />

accomplished by the Grisez-Finnis method.«<br />

245 Dazu oben Fn. 234 (Naturre<strong>ch</strong>tslehren).<br />

246 Dazu oben S. 45 (suum cuique-Formel; bei Ulpian: iustitia est constans et perpetua voluntas ius suum<br />

unicuique tribuendi) sowie S. 66 ff. (idealistis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff und Subjektivierung). Zum<br />

Gegensatz <strong>der</strong> personalen zur politis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> siehe O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

(1987), S. 59 f.<br />

247 Der We<strong>ch</strong>sel von einer 'metaphysis<strong>ch</strong>en' zur 'praktis<strong>ch</strong>en' Philosophie kann fühestens bei René<br />

Descartes, die Unters<strong>ch</strong>eidung von mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er und natürli<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> frühestens bei den<br />

Vorsokratikern festgestellt werden; A. Kaufmann, Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1984), S. 11 f., 20. Die<br />

prägende Vorstellung, daß mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Ordnung allein Mens<strong>ch</strong>enwerk sein darf, statt si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong><br />

natürli<strong>ch</strong>en Vorgaben zu ri<strong>ch</strong>ten, setzt hingegen eine kritis<strong>ch</strong>e Distanz zur Metaphysik voraus,<br />

wie sie systematis<strong>ch</strong> erst mit <strong>der</strong> Aufklärung in <strong>der</strong> kritis<strong>ch</strong>en Philosophie Kants entwickelt wurde.<br />

248 Vgl. die Verwendung des weiten Naturre<strong>ch</strong>tsbegriffs bei J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 77,<br />

S. 506 mit Fn. 30: »Thus justice as fairness has the <strong>ch</strong>aracteristic marks of a natural rights theory.«<br />

91


d) <strong>Theorien</strong> na<strong>ch</strong> Vernunftgebrau<strong>ch</strong>? (J. Habermas)<br />

Für die Klassifizierung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien na<strong>ch</strong> den Grundpositionen politis<strong>ch</strong>er<br />

Philosophie wurde auf die Konzeption praktis<strong>ch</strong>er Vernunft Bezug genommen.<br />

Von <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft, verstanden als <strong>der</strong> Fähigkeit, begründete und in diesem<br />

Sinne 'ri<strong>ch</strong>tige' Antworten auf Fragen des Handelns zu finden, ma<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en<br />

auf drei grundsätzli<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Weisen Gebrau<strong>ch</strong>, die im Ans<strong>ch</strong>luß an<br />

Habermas als pragmatis<strong>ch</strong>er, ethis<strong>ch</strong>er und moralis<strong>ch</strong>er Gebrau<strong>ch</strong> bezei<strong>ch</strong>net werden<br />

können 249 . Zu je<strong>der</strong> dieser Gebrau<strong>ch</strong>sformen gibt es spezifis<strong>ch</strong>e Konfliktpotentiale<br />

und Konfliktlösungsmodelle. Die Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en den drei Formen ist für<br />

die Analyse von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien deshalb wi<strong>ch</strong>tig, weil es zu <strong>der</strong>en Eigenart<br />

gehört, entwe<strong>der</strong> die eine o<strong>der</strong> die an<strong>der</strong>e Gebrau<strong>ch</strong>sweise stärker zu betonen. So<br />

läßt si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> pragmatis<strong>ch</strong>e Vernunftgebrau<strong>ch</strong> am ehesten mit <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en<br />

Grundposition identifizieren, <strong>der</strong> ethis<strong>ch</strong>e mit denen <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en und<br />

<strong>der</strong> moralis<strong>ch</strong>e mit <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en Grundposition. Denno<strong>ch</strong> kann gezeigt<br />

werden, daß Habermas Typologie des Vernunftgebrau<strong>ch</strong>s ni<strong>ch</strong>t identis<strong>ch</strong> ist mit <strong>der</strong><br />

hier vorgenommenen Klassifizierung na<strong>ch</strong> Grundpositionen.<br />

aa) Pragmatis<strong>ch</strong>er Vernunftgebrau<strong>ch</strong><br />

Einen pragmatis<strong>ch</strong>en Gebrau<strong>ch</strong> von <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft ma<strong>ch</strong>t, wer das Handeln<br />

dana<strong>ch</strong> ri<strong>ch</strong>tet, ob es gut für jemanden o<strong>der</strong> einige ist. Dem vorgelagert ist die<br />

Zweckrationalität, also die Frage, ob ein Handeln überhaupt gut für etwas (einen<br />

Zweck, ein Ziel) ist 250 . Typis<strong>ch</strong>erweise liegt <strong>der</strong> pragmatis<strong>ch</strong>e Gebrau<strong>ch</strong> <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en<br />

Vernunft darin, gemäß den eigenen Interessen, also individualpragmatis<strong>ch</strong> zu<br />

handeln (Egoismus). Pragmatis<strong>ch</strong> ist aber au<strong>ch</strong> ein Handeln, das sozialpragmatis<strong>ch</strong><br />

na<strong>ch</strong> dem Gesamtwohl einer Gruppe fragt (Utilitarismus). Dur<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>ickte Abwägung<br />

<strong>der</strong> Vor- und Na<strong>ch</strong>teile führt pragmatis<strong>ch</strong>e Rationalität zu einer Optimierung<br />

des Verhaltens bei vorgegebenen Rahmenbedingungen. Allgemeine Handlungsprinzipien<br />

erlangen dabei den Status von Klugheitsregeln: 'Unter den gegebenen<br />

Umständen ist Handlungsweise A für mi<strong>ch</strong>/für alle besser als Handlungsweise B.'<br />

Handeln na<strong>ch</strong> pragmatis<strong>ch</strong>er Rationalität ist einfa<strong>ch</strong>, solange die Umstände bestimmbar<br />

und die Ergebnisse von Handlungsweisen vorhersehbar sind: Wer vor einem<br />

starken Regens<strong>ch</strong>auer in einen Unterstand flieht, weiß einigermaßen si<strong>ch</strong>er, daß<br />

er klug handelt, selbst wenn dies die Reise verzögert. S<strong>ch</strong>wieriger wird es, wenn die<br />

Umstände unklar sind. (Der Regens<strong>ch</strong>auer könnte in einen Dauerregen übergehen,<br />

so daß die Weiterreise ohnehin ni<strong>ch</strong>t im Trockenen ges<strong>ch</strong>ehen kann.) Sehr s<strong>ch</strong>wierig<br />

wird <strong>der</strong> pragmatis<strong>ch</strong>e Gebrau<strong>ch</strong> <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong>, wenn <strong>der</strong> Er-<br />

249 So die hier weitgehend übernommene Klassifizierung von J. Habermas, Vom pragmatis<strong>ch</strong>en, ethis<strong>ch</strong>en<br />

und moralis<strong>ch</strong>en Gebrau<strong>ch</strong> <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft (1988), S. 101. Vgl. au<strong>ch</strong> dessen Definition<br />

<strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft (ebd., S. 109): »Praktis<strong>ch</strong>e Vernunft nennen wir das Vermögen, ...<br />

Imperative [für das Handeln] zu begründen«. Dazu R. Alexy, Jürgen Habermas' Theorie des juristis<strong>ch</strong>en<br />

Diskurses (1995), S. 173: Im allgemeinen praktis<strong>ch</strong>en Diskurs werden »moralis<strong>ch</strong>e, ethis<strong>ch</strong>e<br />

und pragmatis<strong>ch</strong>e Fragen und Gründe miteinan<strong>der</strong> verbunden«.<br />

250 Zu dieser Abgrenzung von Zweckrationalität (gut für etwas) und pragmatis<strong>ch</strong>er Rationalität (gut<br />

für jemanden o<strong>der</strong> einige) siehe z.B. O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 53 f.; K. Günther,<br />

Kann ein Volk von Teufeln Re<strong>ch</strong>t und Staat moralis<strong>ch</strong> legitimieren? (1991), S. 190.<br />

92


folg <strong>der</strong> eigenen Handlungsweise maßgebli<strong>ch</strong> vom Verhalten an<strong>der</strong>er abhängt. (Im<br />

bereits besetzten Unterstand ma<strong>ch</strong>t niemand Platz.) Dann kann nur no<strong>ch</strong> <strong>der</strong>jenige<br />

klug agieren, <strong>der</strong> die Aktionen und Reaktionen an<strong>der</strong>er in die eigenen Ents<strong>ch</strong>eidungen<br />

einbezieht, nötigenfalls unter Bea<strong>ch</strong>tung <strong>der</strong> jeweiligen Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keiten für<br />

einzelne Handlungsalternativen: das pragmatis<strong>ch</strong>e wird zum strategis<strong>ch</strong>en Handeln<br />

251 . Die Absi<strong>ch</strong>t des klugen Verhaltens stößt dadur<strong>ch</strong> bei je<strong>der</strong> sozialen Interaktion<br />

auf ein Dicki<strong>ch</strong>t von we<strong>ch</strong>selseitig beeinflußten Handlungsalternativen und<br />

Handlungsstrategien. <strong>Theorien</strong> rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens (rational <strong>ch</strong>oice theories) 252<br />

widmen si<strong>ch</strong> den s<strong>ch</strong>wierigen Vorteilsbere<strong>ch</strong>nungen, wie sie vor allem bei <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidung<br />

über ri<strong>ch</strong>tiges Marktverhalten erfor<strong>der</strong>li<strong>ch</strong> sind.<br />

Pragmatis<strong>ch</strong>e Konflikte entstehen dadur<strong>ch</strong>, daß mehrere Personen dieselbe Sa<strong>ch</strong>e<br />

begehren o<strong>der</strong> einan<strong>der</strong> als Mittel für eigene Zwecke gebrau<strong>ch</strong>en wollen 253 . Diese<br />

Konflikte komplizieren si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Bedürfnisse, Fähigkeiten, Neigungen<br />

und Interessen erhebli<strong>ch</strong>. Die Lösung pragmatis<strong>ch</strong>er Konflikte liegt im situativen<br />

Kompromiß, d.h. in einem von Fall zu Fall si<strong>ch</strong> einstellenden Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t, das<br />

auf gegenseitigem, wenn au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t notwendig glei<strong>ch</strong> weitgehendem Verzi<strong>ch</strong>t beruht<br />

254 . Freiwilligkeit ist zwar keine notwendige Voraussetzung des Kompromisses,<br />

denn die Unvereinbarkeit <strong>der</strong> Verhaltensweise läßt si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> Zwang effektiv<br />

beseitigen. Aber ein gewisses Maß an Freiwilligkeit hat si<strong>ch</strong> als stabilitätsför<strong>der</strong>nd<br />

erwiesen, verhin<strong>der</strong>t also den baldigen Rückfall in einen ungelösten Konflikt. Inbegriff<br />

des freiwilligen Kompromisses ist <strong>der</strong> Vertrag. Optimierungsbedingung vertragli<strong>ch</strong>er<br />

Kooperation ist <strong>der</strong> Markt. Dadur<strong>ch</strong> bilden Vertrag und Markt die Grundbegriffe<br />

aller <strong>Theorien</strong> über den pragmatis<strong>ch</strong>en Gebrau<strong>ch</strong> <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft 255 .<br />

Unter den Grundpositionen <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie ist die hobbesianis<strong>ch</strong>e diejenige,<br />

die pragmatis<strong>ch</strong>en Vernunftgebrau<strong>ch</strong> am stärksten betont, stellt sie do<strong>ch</strong> für<br />

die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Handelns allein auf die Perspektive eines egoistis<strong>ch</strong>en Nutzenmaximierers<br />

ab, <strong>der</strong> einer individuellen Vorteilskalkulation folgt, um sein Verhalten<br />

zu bestimmen. Damit ist indes ni<strong>ch</strong>t ausges<strong>ch</strong>lossen, daß au<strong>ch</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en<br />

und kantis<strong>ch</strong>en Grundposition einen pragmatis<strong>ch</strong>en Vernunftgebrau<strong>ch</strong> zu-<br />

251 Vgl. J. Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 1 (1981), S. 127.<br />

252 Dazu unten S. 167 ff. (<strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en Grundposition).<br />

253 Konflikt ist hier s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>t als Imkompatibilität von Zielvorstellungen gemeint. Zu diesem Konfliktbegriff<br />

vgl. B. Barry, Political Argument (1965), S. 84: »Conflict, on my definition, arises wherever<br />

two or more actors have incompatible desires (including publicly-oriented wants for this<br />

purpose) concerning the future state of the world, and try to do something about it.« Als Verfahren<br />

zur Konfliktlösung nennt Barry, ebd., S. 84 ff.: S<strong>ch</strong>lagabtaus<strong>ch</strong> (combat), Verhandlung (bargaining),<br />

Diskurs (»Discussion on Merits. As an 'ideal type' this involves the complete absence of<br />

threats and inducements; the parties to the dispute set out ... to rea<strong>ch</strong> an agreement on what is the<br />

morally right division«), Wahl o<strong>der</strong> Abstimmung (voting), Los (<strong>ch</strong>ance), Wettkampf (contest) und<br />

autoritative Ents<strong>ch</strong>eidung (authoritative determination).<br />

254 Zur Notwendigkeit von Kompromissen als Ergebnis pragmatis<strong>ch</strong>er Diskurse siehe J. Habermas,<br />

Vom pragmatis<strong>ch</strong>en, ethis<strong>ch</strong>en und moralis<strong>ch</strong>en Gebrau<strong>ch</strong> <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft (1988),<br />

S. 117. – Ein Kompromiß beinhaltet immer einen bei<strong>der</strong>seitigen Verzi<strong>ch</strong>t, denn s<strong>ch</strong>on im Begriff des<br />

Konflikts liegt begründet, daß keine Seite die eigenen Interessen freiwillig und vollständig aufgibt;<br />

folgli<strong>ch</strong> 'verzi<strong>ch</strong>tet' die obsiegende Partei zumindest auf den Vorteil einer zwanglosen Dur<strong>ch</strong>setzung<br />

<strong>der</strong> eigenen Position.<br />

255 Vgl. unten S. 180 ff. (neohobbesianis<strong>ch</strong>e Sozialvertragstheorien).<br />

93


lassen, nur ist er dort einer ni<strong>ch</strong>tpragmatis<strong>ch</strong>en Begründung (d.h. einer ethis<strong>ch</strong>en<br />

o<strong>der</strong> moralis<strong>ch</strong>en) untergeordnet.<br />

bb) Ethis<strong>ch</strong>er Vernunftgebrau<strong>ch</strong><br />

Der ethis<strong>ch</strong>e Gebrau<strong>ch</strong> <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft bes<strong>ch</strong>reibt die Ausri<strong>ch</strong>tung des<br />

Handelns an einem individuellen o<strong>der</strong> kollektiven Lebensplan, ma<strong>ch</strong>t also die För<strong>der</strong>ung<br />

des Guten zum Beurteilungskriterium des Handelns 256 . Der Handelnde muß,<br />

meist in einem Prozeß <strong>der</strong> individuellen o<strong>der</strong> kollektiven Selbstreflexion, eine Konzeption<br />

des Guten für si<strong>ch</strong> o<strong>der</strong> für die Gemeins<strong>ch</strong>aft entwickeln und als Handlungsziel<br />

verfolgen. Ein Beispiel hierfür bietet das Verhalten, wie es von Tugendlehren,<br />

etwa sol<strong>ch</strong>en des neoaristotelis<strong>ch</strong>en Kommunitarismus 257 , propagiert wird: tugendhafte<br />

Mens<strong>ch</strong>en handeln so, daß ihr Handeln na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> eigenen Vorstellung etwas<br />

Gutes bewirkt.<br />

Zur individuellen Konzeption des Guten gehören alle s<strong>ch</strong>werwiegenden Wertents<strong>ch</strong>eidungen,<br />

dur<strong>ch</strong> die eine Person bestimmt, wer sie ist und wofür sie leben mö<strong>ch</strong>te<br />

258 . Die Konzeption des Guten s<strong>ch</strong>ließt eine Konzeption des Selbst und eine Konzeption<br />

des guten Lebens ein, gewissermaßen das Woher und Wohin des I<strong>ch</strong>. Allgemeine<br />

Handlungsprinzipien erlangen dabei den Status von axiologis<strong>ch</strong>en und teleologis<strong>ch</strong>en<br />

Regeln. Axiologis<strong>ch</strong>, also auf ein Wertsystem bezogen, ist beispielsweise<br />

<strong>der</strong> Satz: 'Handlungsweise A ist für mi<strong>ch</strong> besser als Handlungsweise B, weil i<strong>ch</strong><br />

selbstloses Handeln für besser halte als habgieriges.' Teleologis<strong>ch</strong>, also auf Ziele bezogen,<br />

ist beispielsweise <strong>der</strong> Satz: 'Handlungsweise A ist für mi<strong>ch</strong> besser als Handlungsweise<br />

B, weil sie mi<strong>ch</strong> zu einem guten Christen ma<strong>ch</strong>t.' Werte und Ziele markieren<br />

so den ethis<strong>ch</strong>en Vernunftgebrau<strong>ch</strong> bei einer Handlung. Ethis<strong>ch</strong>e und pragmatis<strong>ch</strong>e<br />

Handlungskriterien übers<strong>ch</strong>neiden si<strong>ch</strong> dort, wo sie beide die individuelle<br />

Perspektive einnehmen ('X ist gut für mi<strong>ch</strong>'). Die Zweckmäßigkeitskriterien des ethis<strong>ch</strong>en<br />

Handelns unters<strong>ch</strong>eiden si<strong>ch</strong> aber von denen des pragmatis<strong>ch</strong>en: Pragmatis<strong>ch</strong>e<br />

Zielverfolgung orientiert si<strong>ch</strong> an dem dur<strong>ch</strong> einzelne Handlungsweisen errei<strong>ch</strong>baren<br />

Vorteil; ethis<strong>ch</strong>e Werthaftigkeit und Zielverfolgung orientieren si<strong>ch</strong> unabhängig von<br />

den Mögli<strong>ch</strong>keiten <strong>der</strong> Einzelsituation an einem längerfristigen Ideal. Deshalb kann<br />

ethis<strong>ch</strong> motiviert sogar <strong>der</strong>jenige handeln, <strong>der</strong> die Aussi<strong>ch</strong>tslosigkeit o<strong>der</strong> zumindest<br />

Na<strong>ch</strong>teiligkeit einer Handlungsweise bei pragmatis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Dinge bereits erkannt<br />

hat. Märtyrer sind aus diesem Holz ges<strong>ch</strong>nitzt.<br />

Ethis<strong>ch</strong>e Konflikte entstehen dadur<strong>ch</strong>, daß Personen o<strong>der</strong> Gruppen unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e<br />

Wertvorstellungen und Lebenspläne verfolgen und dur<strong>ch</strong> ihr Zusammenleben<br />

bei <strong>der</strong>en Verfolgung aneinan<strong>der</strong>geraten. Die Lösung ethis<strong>ch</strong>er Konflikte liegt in <strong>der</strong><br />

256 J. Habermas, Vom pragmatis<strong>ch</strong>en, ethis<strong>ch</strong>en und moralis<strong>ch</strong>en Gebrau<strong>ch</strong> <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft<br />

(1988), S. 101, 103 f. – Der ethis<strong>ch</strong>e Gebrau<strong>ch</strong> <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft muß dabei vom sehr viel umfassen<strong>der</strong>en<br />

Begriff <strong>der</strong> Ethik als Wissens<strong>ch</strong>aft von <strong>der</strong> Moral unters<strong>ch</strong>ieden werden. Diese gänzli<strong>ch</strong><br />

an<strong>der</strong>e Bestimmung von 'ethis<strong>ch</strong>' und 'Ethik' ist die geläufigere, vgl. etwa O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 55. Trotz dieser Verwe<strong>ch</strong>slungsgefahr ist au<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Spra<strong>ch</strong>gebrau<strong>ch</strong> von<br />

Habermas inzwis<strong>ch</strong>en verbreitet. Er wird hier zugrundegelegt.<br />

257 Dazu unten S. 161 ff. (neoaristotelis<strong>ch</strong>er Kommunitarismus MacIntyres).<br />

258 J. Habermas, Vom pragmatis<strong>ch</strong>en, ethis<strong>ch</strong>en und moralis<strong>ch</strong>en Gebrau<strong>ch</strong> <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft<br />

(1988), S. 103.<br />

94


Begründung einer kollektiven Identität, d.h. eines gemeinsamen Wertekanons und einer<br />

gemeinsamen Lebensweise unter denjenigen Mens<strong>ch</strong>en, die zusammenleben 259 .<br />

Diese Identität kann ni<strong>ch</strong>t allein auf effektiver Dur<strong>ch</strong>setzung erzwungener Konformität<br />

beruhen, son<strong>der</strong>n liegt erst in <strong>der</strong> freiwilligen Übereinkunft unter den Mitglie<strong>der</strong>n<br />

eines Sozialwesens. So wird bei Aristoteles die Ethik des Einzelnen in die Polis<br />

<strong>der</strong> Bürger einbezogen, tritt bei Hegel die Aufhebung des Gegensatzes von erzwungener<br />

Konformität und autonomer Moralität in <strong>der</strong> Sittli<strong>ch</strong>keit ein und finden Kommunitaristen<br />

die harmoniebildende Identität in <strong>der</strong> Kontinuität gemeinsamer historis<strong>ch</strong>er<br />

Lebensweisen 260 .<br />

Unter den Grundpositionen <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie ist die aristotelis<strong>ch</strong>e diejenige,<br />

die ethis<strong>ch</strong>en Vernunftgebrau<strong>ch</strong> am stärksten betont. Do<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> hier gilt:<br />

<strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en und kantis<strong>ch</strong>en Grundposition können dem ethis<strong>ch</strong>en<br />

Gebrau<strong>ch</strong> <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft Bedeutung zuerkennen, soweit dies im Rahmen<br />

<strong>der</strong> für sie in erster Linie maßgebli<strong>ch</strong>en pragmatis<strong>ch</strong>en bzw. moralis<strong>ch</strong>en Kriterien<br />

mögli<strong>ch</strong> ist.<br />

cc) Moralis<strong>ch</strong>er Vernunftgebrau<strong>ch</strong><br />

S<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> liegt ein moralis<strong>ch</strong>er Gebrau<strong>ch</strong> <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft vor, wenn man<br />

na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> <strong>der</strong> Handlungsweise selbst fragt, also in <strong>der</strong> hier auss<strong>ch</strong>laggebenden<br />

Definition na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit und Pfli<strong>ch</strong>tigkeit eines Verhaltens in bezug<br />

auf an<strong>der</strong>e 261 . Das Handeln verlangt na<strong>ch</strong> einer überindividuellen Re<strong>ch</strong>tfertigung,<br />

muß also universalisierbaren Regeln gehor<strong>ch</strong>en, d.h. sol<strong>ch</strong>en, die für alle Mens<strong>ch</strong>en<br />

als verbindli<strong>ch</strong> begründet werden können. Allgemeine Handlungsprinzipien erlangen<br />

dabei den Status kategoris<strong>ch</strong>er Imperative: 'Handlungsweise A ist besser als<br />

Handlungsweise B, weil sie einem allgemeinen Gesetz enspri<strong>ch</strong>t, das für alle ri<strong>ch</strong>tig<br />

ist.' Die individuelle Perspektive pragmatis<strong>ch</strong>er und ethis<strong>ch</strong>er Motive ('besser für<br />

mi<strong>ch</strong>', 'besser für mi<strong>ch</strong> in meiner Gemeins<strong>ch</strong>aft') wird dabei zugunsten einer universellen<br />

Perspektive ('besser für alle') verlassen. Der moralis<strong>ch</strong>e Gebrau<strong>ch</strong> <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en<br />

Vernunft zeigt si<strong>ch</strong> in moralis<strong>ch</strong>en Selbstbes<strong>ch</strong>ränkungen (moral constraints),<br />

d.h. in <strong>der</strong> Zurückstellung eigener Neigungen, Werte und Ziele hinter Überlegungen,<br />

die auf alle bezogen sind. So, wie <strong>der</strong> ethis<strong>ch</strong> Handelnde die augenblickli<strong>ch</strong>en Neigungen<br />

zugunsten seiner längerfristigen Konzeption des Guten zurückstellt und gerade<br />

in dieser Neigungsverdrängung zur Tugendhaftigkeit gelangt, so stellt <strong>der</strong> mo-<br />

259 Zur Herausbildung einer kollektiven Identität als Ergebnis ethis<strong>ch</strong>-politis<strong>ch</strong>er Diskurse siehe<br />

J. Habermas, Vom pragmatis<strong>ch</strong>en, ethis<strong>ch</strong>en und moralis<strong>ch</strong>en Gebrau<strong>ch</strong> <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft<br />

(1988), S. 117.<br />

260 Vgl. J. Habermas, Vom pragmatis<strong>ch</strong>en, ethis<strong>ch</strong>en und moralis<strong>ch</strong>en Gebrau<strong>ch</strong> <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft<br />

(1988), S. 100, 106.<br />

261 Zur Bezugnahme auf das 'Gere<strong>ch</strong>te' siehe J. Habermas, Vom pragmatis<strong>ch</strong>en, ethis<strong>ch</strong>en und moralis<strong>ch</strong>en<br />

Gebrau<strong>ch</strong> <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft (1988), S. 101; zum hier zugrundegelegten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff<br />

siehe oben S. 50 (D 1 ). Hier soll <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Sittli<strong>ch</strong>keit für konventionelle Moralvorstellungen<br />

innerhalb einer historis<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aft reserviert bleiben. Häufig werden die<br />

Prädikate 'moralis<strong>ch</strong>' und 'sittli<strong>ch</strong>' dagegen synonym verwendet; so z.B. ausdrückli<strong>ch</strong> O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 55. Diese moralsynonyme Verwendungsweise von 'Sittli<strong>ch</strong>keit'<br />

und 'Sittengesetz' geht auf Kant zurück; I. Kant, KrV (1781), B 834 / A 806 ff.<br />

95


alis<strong>ch</strong> Handelnde die eigene Konzeption des Guten unter den Vorbehalt, daß diese<br />

mit den konkurrierenden Konzeptionen an<strong>der</strong>er vereinbar ist.<br />

Moralis<strong>ch</strong>e Konflikte entstehen dadur<strong>ch</strong>, daß Personen eine unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e<br />

Vorstellung davon haben, wel<strong>ch</strong>e Verhaltensregeln für alle begründet sind und darum<br />

gelten sollten. Die Lösung moralis<strong>ch</strong>er Konflikte ges<strong>ch</strong>ieht dur<strong>ch</strong> die Etablierung<br />

von Verhaltensnormen, d.h. vor allem dur<strong>ch</strong> zwingende Re<strong>ch</strong>tsnormen, aber au<strong>ch</strong><br />

dur<strong>ch</strong> Konventionsbildung in Politik und Gesells<strong>ch</strong>aft 262 .<br />

Unter den Grundpositionen <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie ist die kantis<strong>ch</strong>e diejenige,<br />

die den moralis<strong>ch</strong>en Vernunftgebrau<strong>ch</strong> am stärksten betont. Wie<strong>der</strong>um gilt, daß<br />

au<strong>ch</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en und aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition dem moralis<strong>ch</strong>en<br />

Vernunftgebrau<strong>ch</strong> Platz einräumen können, dann aber nur innerhalb eines<br />

Handlungsrahmens, <strong>der</strong> pragmatis<strong>ch</strong> (Moralität als Bedürfnis) o<strong>der</strong> ethis<strong>ch</strong> (Moralität<br />

als Identitätsbildung) begründet ist.<br />

Eine Beson<strong>der</strong>heit ergibt si<strong>ch</strong> beim Utilitarismus, denn dieser rekurriert einerseits<br />

auf moralis<strong>ch</strong>en Vernunftgebrau<strong>ch</strong>, weil si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Einzelne in seinen Bedürfnissen<br />

dem größeren Gemeinnutzen unterwerfen muß, insoweit also uneigennützig und in<br />

diesem Sinne 'moralis<strong>ch</strong>' handelt. Die vers<strong>ch</strong>iedenen Spielarten des Utilitarismus<br />

sind aber an<strong>der</strong>erseits ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en, son<strong>der</strong>n vielmehr <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en<br />

Grundposition zuzure<strong>ch</strong>nen, da es beim Utilitarismus allein um die Verwirkli<strong>ch</strong>ung<br />

einer formal definierten Konzeption des Guten – des 'größten Glücks <strong>der</strong> größten<br />

Zahl' 263 – geht, so daß si<strong>ch</strong> jede 'moralis<strong>ch</strong>e' Uneigennützigkeit im Utilitarismus einem<br />

Gemeinwohlideal unterordnet.<br />

dd) Ergebnisse<br />

Wenn die <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en Grundposition s<strong>ch</strong>lagwortartig als 'moralis<strong>ch</strong>' gekennzei<strong>ch</strong>net<br />

werden, diejenigen <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en Grundposition demgegenüber<br />

als 'pragmatis<strong>ch</strong>' und die <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition als 'ethis<strong>ch</strong>',<br />

dann trifft das insoweit zu, als damit tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> <strong>der</strong>jenige Vernunftgebrau<strong>ch</strong> identifiziert<br />

ist, <strong>der</strong> bei den jeweiligen <strong>Theorien</strong> an erster Stelle steht, dem si<strong>ch</strong> also die an<strong>der</strong>en<br />

Gebrau<strong>ch</strong>sformen unterordnen. Fals<strong>ch</strong> wäre es indes, daraus zu s<strong>ch</strong>ließen,<br />

daß die <strong>Theorien</strong> nie an<strong>der</strong>e als die für sie kennzei<strong>ch</strong>nenden Gebrau<strong>ch</strong>sformen <strong>der</strong><br />

praktis<strong>ch</strong>en Vernunft zulassen. Eine kantis<strong>ch</strong>e Theorie kann dur<strong>ch</strong>aus Raum lassen<br />

für pragmatis<strong>ch</strong>e und ethis<strong>ch</strong>e Motive des Handelns, ebenso wie eine hobbesianis<strong>ch</strong>e<br />

262 Vgl. J. Habermas, Vom pragmatis<strong>ch</strong>en, ethis<strong>ch</strong>en und moralis<strong>ch</strong>en Gebrau<strong>ch</strong> <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft<br />

(1988), S. 117 f.<br />

263 Zum Prinzip <strong>der</strong> 'greatest happiness of the greatest number' bei Bentham siehe oben Fn. 6. Diese Gesamtnutzenmaximierung<br />

ist im Ergebnis mit <strong>der</strong> Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittsnutzenmaximierung (average utility)<br />

identis<strong>ch</strong>, weil es für das Nutzenmaximierungskriterium glei<strong>ch</strong>gültig ist, ob man nur eine Summe<br />

aller einzelnen Nutzenbeiträge bildet (Gesamtnutzenmaximierung), o<strong>der</strong> ob man no<strong>ch</strong> einen<br />

S<strong>ch</strong>ritt weiter geht und diese Nutzensumme hypothetis<strong>ch</strong> als glei<strong>ch</strong>mäßig verteilt denkt (Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittsnutzenmaximierung).<br />

In je<strong>der</strong> <strong>der</strong> beiden Betra<strong>ch</strong>tungen enspri<strong>ch</strong>t die Maximierung des<br />

insgesamt (ni<strong>ch</strong>t: individuell) gebildeten Nutzens <strong>der</strong>jenigen Si<strong>ch</strong>t, die gemeinhin als 'utilitaristis<strong>ch</strong>'<br />

bezei<strong>ch</strong>net wird. Es ist ni<strong>ch</strong>t ausges<strong>ch</strong>lossen, einen Utilitarismus zu formulieren, in dem<br />

die Gesamtnutzenmaximierung gegen an<strong>der</strong>e substantielle Ziele ausgetaus<strong>ch</strong>t wird, etwa gegen<br />

eine Mindestnutzenmaximierung, die dann dem Differenzprinzip bei Rawls sehr ähnli<strong>ch</strong> wäre; vgl.<br />

zum Ganzen D. Gauthier, Morals by Agreement (1986), S. 240 ff. (247).<br />

96


Theorie im Einzelfall moralis<strong>ch</strong>es Verhalten als ri<strong>ch</strong>tig einzustufen vermag. Daher<br />

bleibt es dabei, daß die Grundpositionen <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie mit ihrer je beson<strong>der</strong>en<br />

Konzeption <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft das wi<strong>ch</strong>tigste Unters<strong>ch</strong>eidungsmerkmal<br />

von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien bilden; die einzelnen Gebrau<strong>ch</strong>sformen <strong>der</strong><br />

Vernunft ordnen si<strong>ch</strong> dem jeweils unter.<br />

e) Vertrags-, Beoba<strong>ch</strong>ter-, Diskurstheorien<br />

Übli<strong>ch</strong>erweise werden <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien – vor allem Sozialvertragstheorien 264 –<br />

na<strong>ch</strong> dem Darstellungsmittel klassifiziert, dessen sie si<strong>ch</strong> bedienen. Darum bedarf es<br />

einer Begründung dafür, daß dieser Unters<strong>ch</strong>eidung hier nur untergeordnete Bedeutung<br />

beigemessen wird. Den Ausgangspunkt <strong>der</strong> Begründung bildet die These, daß<br />

die Kategorien 'Vertrag', 'Beoba<strong>ch</strong>ter' und 'Diskurs' ni<strong>ch</strong>t nur vers<strong>ch</strong>iedene Darstellungsmittel,<br />

son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Rationalitätskonzepte identifizieren (bbdd),<br />

die indes mit dem Gebrau<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Kategorien als Darstellungsmittel ni<strong>ch</strong>t in allen<br />

<strong>Theorien</strong> zusammenfallen (aa, Divergenzthese). Eine Klassifizierung na<strong>ch</strong> Darstellungsmitteln<br />

ist deshalb für die Analyse von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien ni<strong>ch</strong>t aussagekräftig<br />

(ee, Indifferenzeinwand).<br />

aa) Darstellungsmittel und Rationalitätskonzept (Divergenzthese)<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien, zumindest diejenigen <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 265 , arbeiten<br />

in aller Regel mit einem <strong>der</strong> drei Darstellungsmittel 'Vertrag', 'Beoba<strong>ch</strong>ter' o<strong>der</strong><br />

'Diskurs', sofern sie ni<strong>ch</strong>t auf ein beson<strong>der</strong>es Darstellungsmittel ganz verzi<strong>ch</strong>ten und<br />

argumentativ einen moralis<strong>ch</strong>en Standpunkt (moral point of view) einnehmen. 'Vertrag',<br />

'Beoba<strong>ch</strong>ter' und 'Diskurs' sind ni<strong>ch</strong>t nur Darstellungsmittel, son<strong>der</strong>n es gibt<br />

daneben au<strong>ch</strong> methodis<strong>ch</strong>e Unters<strong>ch</strong>iede, die mit diesen Kategorien identifiziert<br />

werden. So ist eine Diskurstheorie immer dialogis<strong>ch</strong> angelegt, d.h. sie begründet<br />

ri<strong>ch</strong>tiges Handeln mit dem Zusammenwirken mehrerer Personen, während eine Beoba<strong>ch</strong>tertheorie<br />

monologis<strong>ch</strong> vorgeht, die Begründung also in <strong>der</strong> Reflexion einer<br />

einzelnen Person sieht 266 . Man kann insoweit vom voluntativen (Vertrag), perspektivis<strong>ch</strong>en<br />

(Beoba<strong>ch</strong>ter) o<strong>der</strong> argumentativen Rationalitätskonzept (Diskurs) spre<strong>ch</strong>en.<br />

Die Divergenzthese besagt, daß eine Theorie, die ein bestimmtes Darstellungsmittel<br />

benutzt, keineswegs immer au<strong>ch</strong> das entspre<strong>ch</strong>ende Rationalitätskonzept zugrundelegt<br />

267 . Am deutli<strong>ch</strong>sten wird dies beim beliebtesten Darstellungsmittel, dem<br />

Vertrag. Eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie – glei<strong>ch</strong> ob sie die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Handelns perspektivis<strong>ch</strong><br />

(Beoba<strong>ch</strong>ter), voluntativ (Vertrag) o<strong>der</strong> argumentativ (Diskurs) begrün-<br />

264 Vgl. oben S. 22, Fn. 7 (neuere Arbeiten zu Sozialvertragstheorien). Zur ideenges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Bedeutung<br />

des Sozialvertrags als »Denkfigur« vgl. H. Dreier, Staatli<strong>ch</strong>e Legitimität, Grundgesetz<br />

und neue soziale Bewegung (1987), S. 149 m.w.N.<br />

265 Vgl. oben S. 78 (S<strong>ch</strong>werpunktthese).<br />

266 Dazu unten S. 211 ff. (dialogis<strong>ch</strong>es im Gegensatz zum monologis<strong>ch</strong>en Vorgehen).<br />

267 Ähnli<strong>ch</strong> W. Kersting, Die politis<strong>ch</strong>e Philosophie des Gesells<strong>ch</strong>aftsvertrags (1994), S. 45 f., <strong>der</strong> zwis<strong>ch</strong>en<br />

dem 'Darstellungsprogramm' und dem 'Begründungsprogramm' des philosophis<strong>ch</strong>en Kontraktualismus<br />

unters<strong>ch</strong>eidet.<br />

97


det – kann si<strong>ch</strong> immer des Darstellungsmittels 'Gesells<strong>ch</strong>aftsvertrag' bedienen 268 .<br />

Zwar gibt es insoweit keine Beliebigkeit: ni<strong>ch</strong>t jedes Darstellungsmittel läßt si<strong>ch</strong> mit<br />

jedem Rationalitätskonzept kombinieren 269 . Do<strong>ch</strong> muß für die drei Kategorien jeweils<br />

unters<strong>ch</strong>ieden werden, ob sie nur zur Darstellung <strong>der</strong> Theorie o<strong>der</strong> au<strong>ch</strong> zur Erklärung<br />

<strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft eingesetzt werden. Dabei zeigt si<strong>ch</strong>, daß die Rationalitätskonzepte<br />

'Vertrag', 'Beoba<strong>ch</strong>ter' und 'Diskurs' ni<strong>ch</strong>t deckungsglei<strong>ch</strong> mit <strong>der</strong><br />

Klassifikation na<strong>ch</strong> Grundpositionen sind 270 .<br />

bb) Der Vertrag<br />

Vertragstheorien sind alle <strong>Theorien</strong>, die si<strong>ch</strong> des Darstellungsmittels 'Vertrag' bedienen<br />

271 . Das Darstellungsmittel 'Vertrag' präsentiert mehrere Personen in einer Verhandlungs-<br />

und Ents<strong>ch</strong>eidungssituation. Bei definierter Interessenlage su<strong>ch</strong>t jede<br />

Person ihren eigenen Vorteil 272 und stimmt auf dieser Grundlage freiwillig einer gegenseitigen<br />

Vereinbarung zu, die Re<strong>ch</strong>te und Pfli<strong>ch</strong>ten für die Zukunft begründet.<br />

Das (voluntative) Rationalitätskonzept 'Vertrag' su<strong>ch</strong>t praktis<strong>ch</strong>e Erkenntnis im<br />

freiwilligen Interessenabglei<strong>ch</strong>. Gegenseitige Re<strong>ch</strong>te und Pfli<strong>ch</strong>ten sowie die darauf<br />

gestützten Verhaltensweisen stellen si<strong>ch</strong> genau dann als gere<strong>ch</strong>tfertigt dar, wenn sie<br />

Gegenstand einer Vereinbarung sein können. Das ri<strong>ch</strong>tigkeitsverbürgende Element<br />

liegt in <strong>der</strong> geda<strong>ch</strong>ten Freiwilligkeit <strong>der</strong> Bindung, also letztli<strong>ch</strong> in dem Satz, daß dem<br />

Einwilligenden kein Unre<strong>ch</strong>t getan werden kann (volenti non fit iniuria) 273 . Vertrags-<br />

268 Für Höffes Theorie des transzendentalen Taus<strong>ch</strong>es (dazu unten S. 193 ff.) hat beispielsweise<br />

K.-O. Apel, Diskursethik vor <strong>der</strong> Problematik von Re<strong>ch</strong>t und Politik (1992), S. 47 festgestellt, daß<br />

sie zwar das Darstellungsmittel des Sozialvertrags nutzt, für die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Handelns aber<br />

auf die Perspektive eines idealen, unparteiis<strong>ch</strong>en Beoba<strong>ch</strong>ters abstellt. Vgl. au<strong>ch</strong> H. Pauer-Stu<strong>der</strong>,<br />

Das An<strong>der</strong>e <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1996), S. 66 ff. (67) – Unters<strong>ch</strong>eidung von individualistis<strong>ch</strong>en (Hobbes,<br />

Gauthier) und universalistis<strong>ch</strong>en (Kant, Rawls) Vertragstheorien.<br />

269 Das Darstellungsmittel des Diskurses läßt si<strong>ch</strong> beispielsweise allein mit dem Rationalitätskonzept<br />

des Diskurses sinnvoll kombinieren, ni<strong>ch</strong>t aber mit Beoba<strong>ch</strong>ter- o<strong>der</strong> Vertragsrationalität, weil die<br />

au<strong>ch</strong> in <strong>der</strong> Darstellung vorausgesetzte Herrs<strong>ch</strong>aftsfreiheit bei interessengeleitetem Handeln unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong><br />

mä<strong>ch</strong>tiger Realpersonen ni<strong>ch</strong>t aufre<strong>ch</strong>terhalten werden kann. Das Darstellungsmittel<br />

des Beoba<strong>ch</strong>ters und erst re<strong>ch</strong>t dasjenige des Vertrags sind hingegen für unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Rationalitätskonzepte<br />

offen.<br />

270 Beispielsweise können kantis<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> als Diskurstheorien mit argumentativem und als Beoba<strong>ch</strong>tertheorien<br />

mit perspektivis<strong>ch</strong>em Rationalitätskonzept arbeiten. In beiden Fällen explizieren<br />

sie eine universalistis<strong>ch</strong>e Konzeption <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft.<br />

271 An<strong>der</strong>s V. Medina, Social Contract Theories (1990), S. 5: »Contractarianism is a theory whi<strong>ch</strong> maintains<br />

that all of our basic political rights and duties are <strong>der</strong>ived from some kind of explicit or implicit<br />

contract among a collection of individuals.« Dana<strong>ch</strong> wäre Vertragsrationalität nötig. Hier<br />

wird hingegen <strong>der</strong> übli<strong>ch</strong>e weite Vertragstheoriebegriff benutzt, na<strong>ch</strong> dem es allein auf das Darstellungsmittel<br />

ankommt.<br />

272 An<strong>der</strong>s insoweit W. Kersting, Die politis<strong>ch</strong>e Philosophie des Gesells<strong>ch</strong>aftsvertrags (1994), S. 46 –<br />

Die Vorteilsorientierung gehöre ni<strong>ch</strong>t nur zum Darstellungsmittel, son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong> zum Rationalitätskonzept<br />

des Vertrages. Das mag für (neo)hobbesianis<strong>ch</strong>e Sozialvertragstheorien gelten, ni<strong>ch</strong>t<br />

aber für die kantis<strong>ch</strong>en, weil bei ihnen <strong>der</strong> individuelle Vorteil ni<strong>ch</strong>t notwendig den Auss<strong>ch</strong>lag<br />

gibt. Zur Zuordnung <strong>der</strong> Sozialvertragstheorien zu unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Grundpositionen siehe unten<br />

S. 137 f. (erweiterte Klassifizierung).<br />

273 Dig. 47, 10, 1, 5 f.: »[N]ulla iniuria est, quae in volentem fiat«; vgl. au<strong>ch</strong> Thomas von Aquin, ST, II-II, 59,<br />

3: »Dicendum est ergo quod injustum, per se et formaliter loquendo, nullus potest facere nisi volens, nec pa-<br />

98


ationalität bezei<strong>ch</strong>net das selbstlegitimierende Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t, das si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> den Interessenabglei<strong>ch</strong><br />

vers<strong>ch</strong>iedener Vertragsparteien in einer Verhandlung einstellt, das<br />

dur<strong>ch</strong> die Zustimmung aller Beteiligten markiert wird und das eine gegenseitige<br />

Verpfli<strong>ch</strong>tung für die Zukunft begründet 274 . Ri<strong>ch</strong>tig ist dana<strong>ch</strong> genau die Handlungsweise,<br />

auf die si<strong>ch</strong> die Betroffenen in einem hypothetis<strong>ch</strong>en Vertragss<strong>ch</strong>luß einigen<br />

könnten.<br />

Die hobbesianis<strong>ch</strong>e Grundposition spiegelt am besten das (voluntative) Rationalitätskonzept<br />

'Vertrag' wi<strong>der</strong>. In den Interessenabglei<strong>ch</strong>, <strong>der</strong> in einer Vertragsverhandlung<br />

stattfindet, fließt das Streben <strong>der</strong> Verhandlungsparteien na<strong>ch</strong> dem eigenen Vorteil<br />

ungehin<strong>der</strong>t ein 275 . Genau darin liegt die Gewähr von Handlungsri<strong>ch</strong>tigkeit na<strong>ch</strong><br />

<strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en Grundposition. Kantis<strong>ch</strong>e Vertragstheorien, die <strong>der</strong> Vertragssituation<br />

von vornherein bestimmte moralis<strong>ch</strong>e Bes<strong>ch</strong>ränkungen auferlegen, bedienen<br />

si<strong>ch</strong> demgegenüber nur des Darstellungsmittels 'Vertrag'. Dafür ist Rawls Theorie das<br />

beste Beispiel 276 : bei seinem Urzustand (original position) handelt es si<strong>ch</strong> überhaupt<br />

ni<strong>ch</strong>t um eine Vertragssituation 277 ; die geda<strong>ch</strong>ten Parteien sind dur<strong>ch</strong> ihre künstli<strong>ch</strong>e<br />

Unwissenheit so weitgehend ihrer individuellen Unters<strong>ch</strong>iede beraubt, daß glei<strong>ch</strong>sam<br />

nur no<strong>ch</strong> eine einzige, künstli<strong>ch</strong>e Person übrigbleibt, die dann individuelle Vorteilsüberlegungen<br />

anstellt 278 . Darstellungsmittel und Rationalitätskonzept fallen auseinan<strong>der</strong><br />

279 .<br />

ti nisi nolens.« In <strong>der</strong> Übersetzung von Groner: »Man muß also sagen: an si<strong>ch</strong> und im eigentli<strong>ch</strong>en<br />

Sinn (formell) gespro<strong>ch</strong>en, kann niemand Unre<strong>ch</strong>t tun, es sei denn, er will, und niemand es erleiden,<br />

es sei denn gegen seinen Willen.« Zur zentralen Bedeutung des Satzes für Vertragstheorien<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>: A. Gewirth, Political Justice (1962), S. 128 ff. (129); P. Koller, Neue <strong>Theorien</strong><br />

des Sozialkontrakts (1987), S. 12 f.; W. Kersting, Die politis<strong>ch</strong>e Philosophie des Gesells<strong>ch</strong>aftsvertrags<br />

(1994), S. 16, 44.<br />

274 Ähnli<strong>ch</strong> W. Kersting, Die politis<strong>ch</strong>e Philosophie des Gesells<strong>ch</strong>aftsvertrags (1994), S. 16 f. Kersting<br />

unters<strong>ch</strong>eidet (ebd., S. 54 ff.) innerhalb des Rationalitätskonzepts genauer zwis<strong>ch</strong>en 'Vertragsinhaltsargument',<br />

'Vertragssituationsargument' und 'Vertragsbegründungsargument'. Jedes dieser<br />

Teilargumente hat eigene S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>en, die hier ni<strong>ch</strong>t untersu<strong>ch</strong>t werden können. Hier geht es zunä<strong>ch</strong>st<br />

nur um die Ungeeignetheit <strong>der</strong> Vertragstheorien als <strong>Theorien</strong>klasse; dazu soglei<strong>ch</strong> S. 102<br />

(Indifferenzeinwand).<br />

275 Vgl. A. Kaufmann, <strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1989), S. 13 – Die Vertragstheorie fingiere<br />

»das sehr kluge und sehr eigennützige Individuum, das uns in <strong>der</strong> klassis<strong>ch</strong>en Nationalökonomie<br />

als <strong>der</strong> homo oeconomicus begegnet.«<br />

276 Vgl. die entspre<strong>ch</strong>ende Eins<strong>ch</strong>ätzung bei G. Lübbe, Die Auferstehung des Sozialvertrags (1977),<br />

S. 190: »Diese Fragen [zum Warum und Wie <strong>der</strong> Gesells<strong>ch</strong>aft] lassen si<strong>ch</strong> nun sämtli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> unabhängig<br />

von <strong>der</strong> Konstruktion eines Sozialvertrags behandeln, und es fällt s<strong>ch</strong>wer, einzusehen,<br />

inwiefern Argumente für die Vernünftigkeit einer Gesells<strong>ch</strong>aft überzeugen<strong>der</strong> werden dur<strong>ch</strong> Hinzufügen<br />

<strong>der</strong> Behauptung, sie sei wegen dieser Vernünftigkeit au<strong>ch</strong> vertragli<strong>ch</strong> bes<strong>ch</strong>lossen worden.«<br />

Zustimmend K. Homann, Rationalität und Demokratie (1988), S. 213. Vgl. au<strong>ch</strong> unten S. 180<br />

ff. (Zuordnung von Rawls Theorie zu den Grundpositionen).<br />

277 Zu dieser allgemeinen Eins<strong>ch</strong>ätzung in <strong>der</strong> Sekundärliteratur etwa J. Nida-Rümelin, Die beiden<br />

zentralen Intentionen <strong>der</strong> Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Fairneß von John Rawls (1990), S. 461;<br />

<strong>der</strong>s., <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> bei John Rawls und Otfried Höffe (1997), S. 312 f.<br />

278 Dazu unten S. 200 ff. (Urzustand bei Rawls).<br />

279 Bezei<strong>ch</strong>nen<strong>der</strong>weise hat Rawls seine Überlegungen zur Moralbegründung lange vor den vertragstheoretis<strong>ch</strong>en<br />

Darstellungen mit einer Beoba<strong>ch</strong>tertheorie begonnen. Seine Erstkonzeption <strong>der</strong> Theorie<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> publizierte er 1957; J. Rawls, Justice as Fairness (1957), S. 653 ff. Sie wurde<br />

von Anfang an als Sozialvertragstheorie angesehen – E.W. Hall, Justice as Fairness: A Mo<strong>der</strong>nized<br />

99


cc) Der Beoba<strong>ch</strong>ter<br />

Das Darstellungsmittel 'Beoba<strong>ch</strong>ter' präsentiert eine als Person geda<strong>ch</strong>te Beurteilungseinheit<br />

in <strong>der</strong> Außenperspektive 280 . Damit wird räumli<strong>ch</strong> und persönli<strong>ch</strong> die<br />

Befangenheit abgelegt, die alle übrigen Aktoren des Ges<strong>ch</strong>ehens haben. In einer Art<br />

Draufsi<strong>ch</strong>t o<strong>der</strong> Fernsi<strong>ch</strong>t nimmt <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter einen externen Standpunkt ein,<br />

sieht alles, ohne selbst beteiligt zu sein. Beoba<strong>ch</strong>tertheorien sind Standpunkttheorien<br />

und unters<strong>ch</strong>eiden si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> von den Konsenstheorien, die auf Vertrag o<strong>der</strong> Diskurs<br />

Bezug nehmen 281 .<br />

Das (perspektivis<strong>ch</strong>e) Rationalitätskonzept 'Beoba<strong>ch</strong>ter' su<strong>ch</strong>t praktis<strong>ch</strong>e Erkenntnis<br />

in einem Zustand <strong>der</strong> Unvoreingenommenheit und Unparteili<strong>ch</strong>keit 282 . Das<br />

ri<strong>ch</strong>tigkeitsverbürgende Element liegt in <strong>der</strong> geda<strong>ch</strong>ten Überpersönli<strong>ch</strong>keit, die sogar<br />

das Ideal <strong>der</strong> Allwissenheit eins<strong>ch</strong>ließen kann 283 und jedenfalls die Befangenheit des<br />

Einzelnen in seiner neigungs- und interessengebundenen Identität dur<strong>ch</strong> ein Element<br />

Version of the Social Contract (1957), S. 663 f. –, wenn au<strong>ch</strong> als eine beson<strong>der</strong>e; ebd., S. 663:<br />

»Perhaps the most noticeable modification is its frank fictionalization«. Die in <strong>der</strong> Literatur kaum<br />

rezipierte Beoba<strong>ch</strong>tertheorie, in <strong>der</strong> Rawls statt von »consi<strong>der</strong>ed moral judgments« no<strong>ch</strong> von »competent<br />

moral judges« spri<strong>ch</strong>t, ers<strong>ch</strong>ien bereits 1951; J. Rawls, Outline of a Decision Procedure for<br />

Ethics (1951), S. 177 ff.<br />

280 So z.B. T. Nagel, View From Nowhere (1986), S. 185 ff.; S. Kagan, The Limits of Morality (1989), S.<br />

279 ff., 350 ff.; <strong>der</strong>s., Normative Ethics (1998), S. 41 ff., 271 ff.; vgl. die Charakterisierung bei C.S.<br />

Nino,The Ethics of Human Rights (1991), S. 74. Das Klassikervorbild für Beoba<strong>ch</strong>tertheorien bietet<br />

D. Hume, A Treatise of Human Nature, Bd. III: Of Morals (1740), Teil III, Abs<strong>ch</strong>nitt I: »[It is] impossible<br />

we cou'd ever converse together on any reasonable terms, were ea<strong>ch</strong> of us to consi<strong>der</strong><br />

<strong>ch</strong>aracters and persons, only as they appear from his peculiar point of view. In or<strong>der</strong>, therefore, to<br />

prevent those continual contradictions, and arrive at a more stable judgment of things, we fix on<br />

some steady and general points of views; and always, in our thoughts, place ourselves in them,<br />

whatever may be our present situation. ... Experience soon tea<strong>ch</strong>es us this method of correcting<br />

our sentiments« (Hervorhebung bei Hume). Ebenfalls als wirkmä<strong>ch</strong>tig erwies si<strong>ch</strong> die Beoba<strong>ch</strong>tertheorie<br />

von A. Smith, The Theory of Moral Sentiments (1759), Teil II, Kapitel II: »But these [gratitude<br />

and resentment] ... seem proper and are approved of, when the heart of every impartial spectator<br />

entirely sympathizes with them«; ebd., Fn.: »We conceive ourselves as acting in the presence<br />

of a person quite candid and equitable, of one who has no particular relation either to ourselves,<br />

or to those whose interests are affected by our conduct, ... but is merely a man in general, an impartial<br />

spectator who consi<strong>der</strong>s our conduct with the same indifference with whi<strong>ch</strong> we regard that<br />

of other people.«; ebd., Kapitel III: »We must view them [opposite interests], neither from our<br />

own place nor yet from his, neither with our own eyes nor yet with his, but from the place and<br />

with the eyes of a third person, who has no particular connexion with either, and who judges with<br />

impartiality between us.« Smith (ebd., Kapitel IV) bezieht si<strong>ch</strong> ausdrückli<strong>ch</strong> auf Hume als einen<br />

»ingenious and agreeable philosopher«.<br />

281 Vgl. A. Kaufmann, <strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1989), S. 10 f. – Konsens als verbindendes<br />

Element von Vertrags- und Diskurstheorien im Gegensatz zu Standpunkttheorien.<br />

282 T. Nagel, Equality and Impartiality (1991), S. 10 ff.<br />

283 Beispielsweise K. Baier, Standpunkt <strong>der</strong> Moral (1958), S. 191: »Standpunkt eines ... Beoba<strong>ch</strong>ters ...<br />

gewissermaßen mit Gottes Augen«; C.S. Nino, The Ethics of Human Rights (1991), S. 74: »An ideal<br />

observer would be a hypothetical individual who was fully impartial, completely rational, aware<br />

of all the relevant facts, etc.« Vgl. zur »ideal observer theory« außerdem R.M. Hare, Rawls' Theory of<br />

Justice (1973), S. 89; S. Kagan, Normative Ethics (1998), S. 271 ff. Illustrativ aus <strong>der</strong> Literatur insoweit<br />

F. Dürrenmatt, Monstervortrag über <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1969), S. 12 ff.<br />

100


<strong>der</strong> Universalisierung des Standpunkts erweitert 284 . Beoba<strong>ch</strong>terrationalität bezei<strong>ch</strong>net<br />

also den beson<strong>der</strong>en Standpunkt, den eine einzelne Person einnehmen kann,<br />

wenn sie zusätzli<strong>ch</strong> zu ihren eigenen Interessen au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> eine überindividuelle Perspektive<br />

einnimmt und so einen zumutbaren Abglei<strong>ch</strong> von egoistis<strong>ch</strong>en mit altruistis<strong>ch</strong>en<br />

Motiven begründet 285 . Ri<strong>ch</strong>tig ist dana<strong>ch</strong> genau die Handlungsweise, die den<br />

eigenen Interessen, in zumutbarem Maße korrigiert um eine hypothetis<strong>ch</strong>e Außensi<strong>ch</strong>t<br />

<strong>der</strong> Dinge, entspri<strong>ch</strong>t.<br />

Die kantis<strong>ch</strong>e Grundposition spiegelt am besten das (perspektivis<strong>ch</strong>e) Rationalitätskonzept<br />

'Beoba<strong>ch</strong>ter' wi<strong>der</strong>. Beoba<strong>ch</strong>terstatus ist nur nötig, um von eigenen Interessen<br />

und Zielen zu abstrahieren, also einen moralis<strong>ch</strong>en Standpunkt einzunehmen,<br />

wie er den <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en Grundposition eigentümli<strong>ch</strong> ist 286 .<br />

dd) Der Diskurs<br />

Das Darstellungsmittel 'Diskurs' präsentiert mehrere Personen, die gemeinsam und<br />

ohne Zwang na<strong>ch</strong> dem su<strong>ch</strong>en, was für alle ri<strong>ch</strong>tig ist, und auf dieser Grundlage<br />

freiwillig Konsensen zustimmen, die dur<strong>ch</strong> neue Argumente relativiert werden können<br />

und dadur<strong>ch</strong> diskursiv kontrolliert bleiben.<br />

Das (argumentative) Rationalitätskonzept 'Diskurs' su<strong>ch</strong>t praktis<strong>ch</strong>e Erkenntnis<br />

in <strong>der</strong> Argumentation realer Personen unter idealen Bedingungen. Ri<strong>ch</strong>tig ist das,<br />

was Gegenstand eines Konsenses sein könnte. Das ri<strong>ch</strong>tigkeitsverbürgende Element<br />

liegt in <strong>der</strong> Herrs<strong>ch</strong>aftsfreiheit <strong>der</strong> (geda<strong>ch</strong>ten) Argumentation und Zustimmung.<br />

Diskursrationalität bezei<strong>ch</strong>net also die praktis<strong>ch</strong>e Erkenntnis, die si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> einer Argumentation<br />

unter vers<strong>ch</strong>iedenen Diskursteilnehmern einstellt, dur<strong>ch</strong> den Konsens<br />

<strong>der</strong> Beteiligten markiert wird und eine gegenseitige Verpfli<strong>ch</strong>tung während <strong>der</strong><br />

Dauer des Konsenses begründet. Ri<strong>ch</strong>tig ist dana<strong>ch</strong> genau die Handlungsweise,<br />

284 Die hier angespro<strong>ch</strong>enen universalistis<strong>ch</strong>en Standpunkttheorien unters<strong>ch</strong>eiden si<strong>ch</strong> grundlegend<br />

von den (hier ni<strong>ch</strong>t gemeinten) partikularistis<strong>ch</strong>en Standpunkttheorien, die ganz bewußt einen parteili<strong>ch</strong>en<br />

Standpunkt einnehmen; vgl. etwa S. Hekman, Truth and Method (1997), S. 349: »The original<br />

formulations of feminist standpoint theory rest on two assumptions: that all knowledge is<br />

located and situated, and that one location, that of the standpoint of women, is privileged because<br />

it provides a vantage point that reveals the truth of social reality.«; S. Harding, Whose Standpoint<br />

Needs the Regimes of Truth and Reality? (1997), S. 383: »[S]tandpoint epistemologies and methodologies<br />

were constructed in opposition to the all-powerful dictates of rationalist/empiricist epistemologies<br />

and methodologies«; P.H. Collins, Where's the Power? (1997), S. 380: »One fundamental<br />

contribution of feminist movement grounded in standpoint theory was that it aimed to bring<br />

women's group consciousness into being.«<br />

285 T. Nagel, Equality and Impartiality (1991), S. 10 ff. (Kombination des persönli<strong>ch</strong>en und des überpersönli<strong>ch</strong>en<br />

Beoba<strong>ch</strong>terstandpunktes). S<strong>ch</strong>on bei Hume geht es ni<strong>ch</strong>t um einen auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong><br />

überpersönli<strong>ch</strong>en Standpunkt, son<strong>der</strong>n um einen, <strong>der</strong> egoistis<strong>ch</strong>e Motive mitberücksi<strong>ch</strong>tigt;<br />

D. Hume, A Treatise of Human Nature, Bd. III: Of Morals (1740), Teil III, Abs<strong>ch</strong>nitt I: »We make allowance<br />

for a certain degree of selfishness in men«. Zu Ähnli<strong>ch</strong>keiten zwis<strong>ch</strong>en Vertrags- und<br />

Beoba<strong>ch</strong>terrationalität siehe W. Kersting, Die politis<strong>ch</strong>e Philosophie des Gesells<strong>ch</strong>aftsvertrags<br />

(1994), S. 51.<br />

286 Vgl. oben S. 95 (moralis<strong>ch</strong>er Vernunftgebrau<strong>ch</strong>). Zum moralis<strong>ch</strong>en Standpunkt und seiner Definition<br />

vgl. K. Baier, Standpunkt <strong>der</strong> Moral (1958), S. 175 ff. (191): »Standpunkt eines unabhängigen,<br />

vorurteilslosen, unparteili<strong>ch</strong>en, objektiven, leidens<strong>ch</strong>aftslosen, neutralen Beoba<strong>ch</strong>ters.«<br />

101


über die die Betroffenen in einem hypothetis<strong>ch</strong>en Diskurs eine Einigung erzielen<br />

könnten.<br />

Die kantis<strong>ch</strong>e Grundposition ist die einzige, die das (argumentative) Rationalitätskonzept<br />

'Diskurs' wie<strong>der</strong>gibt. Die Diskursbedingungen sind geradezu prototypis<strong>ch</strong><br />

für eine Situation, in <strong>der</strong> eigene Interessen und Ziele nur no<strong>ch</strong> als Teil von universellen,<br />

auf alle bezogenen Überlegungen auftreten.<br />

ee) Zur Ungeeignetheit <strong>der</strong> Sozialvertragstheorien als <strong>Theorien</strong>klasse (Indifferenzeinwand)<br />

Darstellungsmittel eignen si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t als Anknüpfungspunkt für die grundlegende<br />

Klassifizierung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien (Indifferenzeinwand). Das erweist si<strong>ch</strong> in<br />

<strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> Sozialvertragstheorien, in <strong>der</strong> eine sehr uneinheitli<strong>ch</strong>e Vielfalt von<br />

theoretis<strong>ch</strong>en Ansätzen vereint ist 287 . Neben neohobbesianis<strong>ch</strong>en 288 und kantis<strong>ch</strong>en<br />

Sozialvertragstheorien 289 gibt es beispielsweise au<strong>ch</strong> sozialvertragli<strong>ch</strong>e Rekonstruktionen<br />

des Utilitarismus 290 . Die einzelnen <strong>Theorien</strong> nutzen das Darstellungsmittel<br />

des Sozialvertrags dabei in so unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er Weise, daß eine Ähnli<strong>ch</strong>keit nur<br />

no<strong>ch</strong> oberflä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> besteht 291 . Denn <strong>der</strong> Kontraktualismus führt ein Leben aus zweiter<br />

Hand, bei dem die Geltung <strong>der</strong> vertragstheoretis<strong>ch</strong>en Begründung von <strong>der</strong> Anerkennung<br />

<strong>der</strong> Ausgangssituation abhängt (Relativität <strong>der</strong> Vertragsrationalität) 292 . Es<br />

kommt ents<strong>ch</strong>eidend darauf an, wie die Parteien ihre Position in <strong>der</strong> Verhandlung<br />

sehen (Interessengewißheit/-ungewißheit), wel<strong>ch</strong>e Strategie sie verfolgen (Risikobereits<strong>ch</strong>aft/Risikos<strong>ch</strong>eu),<br />

inwieweit Sanktionen jenseits <strong>der</strong> Verhandlungssituation<br />

mögli<strong>ch</strong> sind (Drohung/Gewaltfreiheit). Stehen diese Parameter fest, dann ist <strong>der</strong><br />

hypothetis<strong>ch</strong>e Vertragss<strong>ch</strong>luß nur no<strong>ch</strong> eine automatis<strong>ch</strong>e Folge, glei<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Konklusion,<br />

die im Syllogismus die logis<strong>ch</strong>e Konsequenz <strong>der</strong> den Inhalt tragenden Prämissen<br />

ist 293 . Längst ni<strong>ch</strong>t alle Vertragstheorien orientieren si<strong>ch</strong> bei <strong>der</strong> Definition <strong>der</strong><br />

Ausgangsposition an reiner Vertragsrationalität (Divergenzthese) 294 ; die Vertragstheorie<br />

von Rawls ist dafür ein Beispiel 295 . Würden sol<strong>ch</strong>e untypis<strong>ch</strong>en Modelle mit<br />

287 So au<strong>ch</strong> U. Steinvorth, Über die Rolle von Vertrag und Konsens in <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Theorie (1986),<br />

S. 21 – 'Vieldeutigkeit'; H. Pauer-Stu<strong>der</strong>, Das An<strong>der</strong>e <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1996), S. 66 ff. (67) – Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

von individualistis<strong>ch</strong>en (Hobbes, Gauthier) und universalistis<strong>ch</strong>en (Kant, Rawls) Vertragstheorien.<br />

288 Dazu unten S. 180 ff. (neohobbesianis<strong>ch</strong>e Sozialvertragstheorien).<br />

289 Dazu unten S. 199 ff. (kantis<strong>ch</strong>e Sozialvertragstheorien).<br />

290 Beispielsweise R.M. Hare, Rawls' Theory of Justice (1973), S. 90 f.; R.B. Brandt, The Concept of Rationality<br />

in Ethical and Political Theory (1977), S. 278: »[T]he equilibrium system that will be <strong>ch</strong>osen<br />

is one that on the evidence appears to maximize expectable utility.« In Abgrenzung zu Rawls<br />

au<strong>ch</strong> bei J. Narveson, Rawls and Utilitarianism (1982), S. 133 ff. – 'utilitarian defense of Rawls's two<br />

principles'. Vgl. unten S. 154 (Zuordnung des Utilitarismus zur aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition).<br />

291 Entspre<strong>ch</strong>ende Kritik au<strong>ch</strong> bei V. Medina, Social Contract Theories (1990), S. 1.<br />

292 W. Kersting, Die politis<strong>ch</strong>e Philosophie des Gesells<strong>ch</strong>aftsvertrags (1994), S. 33; <strong>der</strong>s., Herrs<strong>ch</strong>aftslegitimation<br />

(1997), S. 51.<br />

293 Treffen<strong>der</strong> Verglei<strong>ch</strong> bei W. Kersting, Herrs<strong>ch</strong>aftslegitimation (1997), S. 51.<br />

294 Dazu oben S. 97 (Divergenzthese).<br />

295 Vgl. oben S. 98 (Vertrag).<br />

102


'e<strong>ch</strong>ten' Vertragstheorien, die au<strong>ch</strong> auf das Rationalitätskonzept 'Vertrag' setzen 296 , in<br />

einen Topf geworfen, so entstünde eine klassifikatoris<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>ieflage. Entgegen einer<br />

verbreiteten Klassifizierungspraxis wird deshalb in dieser Untersu<strong>ch</strong>ung die Kategorie<br />

<strong>der</strong> Sozialvertragstheorie ni<strong>ch</strong>t zur Grundlage <strong>der</strong> Darstellung, Analyse und Kritik<br />

gema<strong>ch</strong>t. Sie tritt vielmehr ergänzend neben diejenige na<strong>ch</strong> Grundpositionen <strong>der</strong><br />

politis<strong>ch</strong>en Philosophie 297 .<br />

3. Zu an<strong>der</strong>en Klassifizierungen<br />

Neben <strong>der</strong> oben vorgenommene Klassifizierung na<strong>ch</strong> Grundpositionen und den weiteren<br />

Differenzierungen, die diese ergänzen 298 , werden in <strong>der</strong> soziologis<strong>ch</strong>en und philosophis<strong>ch</strong>en<br />

Literatur eine Reihe alternativer Klassifizierungen vertreten. Diese können<br />

hier ni<strong>ch</strong>t alle Berücksi<strong>ch</strong>tigung finden 299 , son<strong>der</strong>n nur insoweit, als sie beson<strong>der</strong>e<br />

Bea<strong>ch</strong>tung verdienen, weil sie entwe<strong>der</strong> einen ganz an<strong>der</strong>en Ansatzpunkt wählen<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> hier getroffenen Differenzierung so ähnli<strong>ch</strong> sind, daß die Unters<strong>ch</strong>iede erst<br />

bei genauerem Hinsehen deutli<strong>ch</strong> werden.<br />

a) Reine Typen legitimer Herrs<strong>ch</strong>aft (M. Weber)<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien betreffen die Legitimität von Herrs<strong>ch</strong>aft in Staat und Gesells<strong>ch</strong>aft.<br />

Na<strong>ch</strong> Weber sind drei reine Typen legitimer Herrs<strong>ch</strong>aft zu unters<strong>ch</strong>eiden: die<br />

legale, die traditionale und die <strong>ch</strong>arismatis<strong>ch</strong>e 300 . Legale Herrs<strong>ch</strong>aft ist dabei diejenige<br />

kraft Satzung, eins<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> aller mo<strong>der</strong>nen, dur<strong>ch</strong> Gesetz geregelten politis<strong>ch</strong>en<br />

Verbände 301 . Traditionale Herrs<strong>ch</strong>aft ist diejenige kraft Glaubens an die Heiligkeit <strong>der</strong><br />

von jeher vorhandenen Ordnungen und Herrengewalten, eins<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> ständis<strong>ch</strong>en<br />

Herrs<strong>ch</strong>aft, bei <strong>der</strong> eine Obrigkeit kraft eingelebter Gewöhnung mit Erfolg legitime<br />

Autorität in Anspru<strong>ch</strong> nimmt 302 . Charismatis<strong>ch</strong>e Herrs<strong>ch</strong>aft ist diejenige kraft<br />

affektueller, persönli<strong>ch</strong>er Hingabe an die Person des Herrn und seine Gnadengaben<br />

(Charisma), eins<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> aller Ordnungen, in denen es Führer und Jünger gibt 303 .<br />

296 Dazu unten S. 180 ff. (neohobbesianis<strong>ch</strong>e Sozialvertragstheorien).<br />

297 Dazu insbeson<strong>der</strong>e unten S. 198 ff. (<strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en Grundposition, unters<strong>ch</strong>ieden na<strong>ch</strong><br />

Sozialvertrags-, Standpunkt- und Diskurstheorien).<br />

298 Dazu unten S. 180 ff. (neohobbesianis<strong>ch</strong>e Sozialvertragstheorien); S. 199 ff. (kantis<strong>ch</strong>e Sozialvertragstheorien).<br />

299 Zu weiteren Klassifizierungen vgl. etwa O. O'Neill, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terdifferenz und internationale<br />

Grenzen (1993), S. 417 ff. – idealisierende und relativierende <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien;<br />

H. Klenner, Über vier Arten von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien (1995), S. 137 ff. – agnostis<strong>ch</strong>e, analytis<strong>ch</strong>e,<br />

formale und materiale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien.<br />

300 M. Weber, Die drei reinen Typen <strong>der</strong> legitimen Herrs<strong>ch</strong>aft (1922), S. 1 ff.; <strong>der</strong>s., Wirts<strong>ch</strong>aft und Gesells<strong>ch</strong>aft<br />

(1976), Bd. I, S. 124 ff.; dazu ausführli<strong>ch</strong> J. Heidorn, Legitimität und Regierbarkeit (1982),<br />

S. 12 ff.<br />

301 M. Weber, Die drei reinen Typen <strong>der</strong> legitimen Herrs<strong>ch</strong>aft (1922), S. 2 f. – au<strong>ch</strong> die Bürokratie.<br />

302 M. Weber, Die drei reinen Typen <strong>der</strong> legitimen Herrs<strong>ch</strong>aft (1922), S. 4 ff. – patriar<strong>ch</strong>ale<br />

Verwaltungsstruktur und ständis<strong>ch</strong>e Sozialstruktur als Formen.<br />

303 M. Weber, Die drei reinen Typen <strong>der</strong> legitimen Herrs<strong>ch</strong>aft (1922), S. 6 ff. – Führer, 'Jünger', Propheten,<br />

Kriegshelden, 'Wirts<strong>ch</strong>aftshäuptlinge'.<br />

103


Bezügli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> <strong>ch</strong>arismatis<strong>ch</strong>en Herrs<strong>ch</strong>aft hat s<strong>ch</strong>on Weber festgestellt, daß sie –<br />

abgesehen von reinen Formen wie bei <strong>der</strong> Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> einem neuen Dalai Lama – dazu<br />

tendiert, in traditionale o<strong>der</strong> legale Herrs<strong>ch</strong>aft überzugehen. Ähnli<strong>ch</strong>es gilt für<br />

die Übergangstendenz von traditionaler zu legaler Herrs<strong>ch</strong>aft. S<strong>ch</strong>on deshalb empfiehlt<br />

es si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, sol<strong>ch</strong>e Herrs<strong>ch</strong>aftsformen für eine Gruppenbildung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

heranzuziehen: sie neigen dazu, in einer einzigen Gruppe, <strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Satzungsherrs<strong>ch</strong>aft, aufzugehen. Demgemäß greifen neuere Legitimitätstheorien, etwa<br />

diejenige Luhmanns 304 , aus Webers Typenlehre nur die Legitimitätskonzeption <strong>der</strong><br />

legalen Herrs<strong>ch</strong>aft auf 305 .<br />

Vor allem aber ist Webers Legitimitätsbegriff inkompatibel mit demjenigen <strong>der</strong><br />

normativen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien. Zwar untersu<strong>ch</strong>en beide 'soziales Handeln' im<br />

Sinne Webers 306 . Au<strong>ch</strong> Webers Unterteilung des sozialen Handelns in zweckrationales,<br />

wertrationales, affektuelles und traditionales 307 findet no<strong>ch</strong> Parallelen in <strong>der</strong> hier<br />

vorgenommenen Gruppenbildung na<strong>ch</strong> Grundpositionen 308 . Webers Begriff <strong>der</strong> Legitimität<br />

läuft aber auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> auf eine empiris<strong>ch</strong>e Untersu<strong>ch</strong>ung <strong>der</strong> Herrs<strong>ch</strong>aft hinaus,<br />

d.h. auf die Erfors<strong>ch</strong>ung des faktis<strong>ch</strong> vorhandenen und mit Erfolg in Anspru<strong>ch</strong><br />

genommenen Legitimitätsglaubens 309 . Für Weber ist Herrs<strong>ch</strong>aft allein die Chance, Gehorsam<br />

für einen bestimmten Befehl zu finden 310 , so daß seine Typen legitimer Herrs<strong>ch</strong>aft,<br />

die er als »Legitimitätsgründe« bezei<strong>ch</strong>net 311 , ni<strong>ch</strong>t deshalb 'legitim' sind, weil<br />

sie einer objektiven Re<strong>ch</strong>tfertigung zugängli<strong>ch</strong> wären. Es kommt allein auf tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e<br />

Akzeptanz an 312 . Darin liegt eine Legitimitätsvorstellung, die normativen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

fremd ist, diese also au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t erfassen kann. Denn Normativität<br />

fragt na<strong>ch</strong> den ri<strong>ch</strong>tigen Maßstäben, ni<strong>ch</strong>t nur na<strong>ch</strong> den tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en. Insoweit haben<br />

304 Dazu unten S. 148 ff.<br />

305 J. Heidorn, Legitimität und Regierbarkeit (1982), S. 116.<br />

306 M. Weber, Wirts<strong>ch</strong>aft und Gesells<strong>ch</strong>aft (1976), Bd. I, S. 1: »'Handeln' soll dabei ein mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es<br />

Verhalten (einerlei ob äußerli<strong>ch</strong>es o<strong>der</strong> innerli<strong>ch</strong>es Tun, Unterlassen o<strong>der</strong> Dulden) heißen, wenn<br />

und insofern als <strong>der</strong> o<strong>der</strong> die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden. 'Soziales'<br />

Handeln aber soll ein sol<strong>ch</strong>es Handeln heißen, wel<strong>ch</strong>es seinem von dem o<strong>der</strong> den Handelnden gemeinten<br />

Sinn na<strong>ch</strong> auf das Verhalten an<strong>der</strong>er bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert<br />

ist.« (Hervorhebungen bei Weber); vgl. oben S. 50 (handlungsbezogene <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sdefinition<br />

D 1 ).<br />

307 Vgl. M. Weber, Wirts<strong>ch</strong>aft und Gesells<strong>ch</strong>aft (1976), Bd. I, S. 12 ff.: Zweckrational ist soziales Handeln,<br />

das unter Einbeziehung erwarteten Fremdverhaltens eigene Zwecke anstrebt. Wertrational<br />

ist soziales Handeln, das eine bestimmte Verhaltensweise rein als sol<strong>ch</strong>e und unabhängig vom<br />

etwaigen Erfolg gebietet. Affektuell ist soziales Handeln aufgrund aktueller Gefühlslagen. Traditional<br />

ist soziales Handeln aus eingelebter Gewohnheit. Reales Handeln nähert si<strong>ch</strong> diesen reinen<br />

Formen laut Weber entwe<strong>der</strong> an o<strong>der</strong> ist aus ihnen gemis<strong>ch</strong>t (ebd., S. 13).<br />

308 Vgl. oben S. 81 ff. (traditionales Handeln gemäß <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition; zweckrationales<br />

Handeln gemäß <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en Grundposition).<br />

309 J. Winckelmann, Legitimität und Legalität (1952), S. 25; J. Heidorn, Legitimität und Regierbarkeit<br />

(1982), S. 69 ff.<br />

310 M. Weber, Die drei reinen Typen <strong>der</strong> legitimen Herrs<strong>ch</strong>aft (1922), S. 1: »Herrs<strong>ch</strong>aft, d.h. die Chance,<br />

Gehorsam für einen bestimmten Befehl zu finden«; genauer <strong>der</strong>s., Wirts<strong>ch</strong>aft und Gesells<strong>ch</strong>aft<br />

(1976), Bd. I, S. 28: »Herrs<strong>ch</strong>aft soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren<br />

Personen Gehorsam zu finden« (Hervorhebung bei Weber).<br />

311 M. Weber, Die drei reinen Typen <strong>der</strong> legitimen Herrs<strong>ch</strong>aft (1922), S. 1: »An 'Legitimitätsgründen'<br />

<strong>der</strong> Herrs<strong>ch</strong>aft gibt es, in ganz reiner Form, nur drei«.<br />

312 Vgl. unten S. 148 ff. (entspre<strong>ch</strong>en<strong>der</strong> Legitimitätsbegriff bei Luhmann).<br />

104


soziologis<strong>ch</strong>e Herrs<strong>ch</strong>aftsanalysen und normative <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien einen unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en<br />

Legitimitätsbegriff. Eine Übernahme <strong>der</strong> Gruppenbildung Webers wäre<br />

folgli<strong>ch</strong> eine nur unvollständige Wie<strong>der</strong>gabe des Spektrums von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

und deshalb hier ni<strong>ch</strong>t sa<strong>ch</strong>gere<strong>ch</strong>t.<br />

b) Das Verhältnis zwis<strong>ch</strong>en dem Re<strong>ch</strong>ten und dem Guten (T. Nagel)<br />

Das Verhältnis zwis<strong>ch</strong>en dem Re<strong>ch</strong>ten und dem Guten ist eine viel untersu<strong>ch</strong>te<br />

Grundents<strong>ch</strong>eidungen in <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien 313 , die wohl am konsequentesten<br />

von Nagel zu einer Klassifizierung <strong>der</strong> <strong>Theorien</strong> herangezogen wurde 314 . Die Grenzlinie<br />

entspri<strong>ch</strong>t im Grundsatz <strong>der</strong>jenigen zwis<strong>ch</strong>en <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en<br />

Grundposition auf <strong>der</strong> einen und <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en und kantis<strong>ch</strong>en Grundposition<br />

auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite. Erstere bejahen ein Primat des Guten über das Re<strong>ch</strong>te, ma<strong>ch</strong>en<br />

also die Ri<strong>ch</strong>tigkeit einer Handlung davon abhängig, ob sie (teleologis<strong>ch</strong>, konsequentialistis<strong>ch</strong>)<br />

315 eine bestimmte Konzeption des Guten för<strong>der</strong>n kann. Letztere<br />

bejahen ein Primat des Re<strong>ch</strong>ten über das Gute, fragen also isoliert na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit<br />

<strong>der</strong> einzelnen Handlung, glei<strong>ch</strong> ob sie vorhandene (individuelle o<strong>der</strong> kollektive)<br />

Konzeptionen des Guten zu för<strong>der</strong>n vermag o<strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>t. Im ersten Fall wir das tugendhafte<br />

Gute zum vorrangigen Maßstab <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung, im letzteren<br />

das moralis<strong>ch</strong> Ri<strong>ch</strong>tige. <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskepsis, also sol<strong>ch</strong>e, die jede<br />

positive Begründbarkeit von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ablehnen (nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>e Grundposition),<br />

bleiben in dieser einfa<strong>ch</strong>en Einteilung unberücksi<strong>ch</strong>tigt.<br />

Die s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>te Zweiteilung <strong>der</strong> Positionen ist in <strong>der</strong> Analyse von Nagel zu fünf beson<strong>der</strong>s<br />

wi<strong>ch</strong>tigen Konstellationen verfeinert worden, unter denen au<strong>ch</strong> die nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>e<br />

Grundposition wie<strong>der</strong> eine Zuordnung findet 316 . Je na<strong>ch</strong>dem, wie das<br />

gute Leben (das Gute) zum moralis<strong>ch</strong>en Leben (dem Re<strong>ch</strong>ten) ins Verhältnis gesetzt<br />

wird, sollen fünf vers<strong>ch</strong>iedene Konstellationen resultieren. Erstens könne, wie bei<br />

Aristoteles, das moralis<strong>ch</strong>e Leben in Abhängigkeit vom guten Leben definiert werden.<br />

Eine Handlung sei dana<strong>ch</strong> ri<strong>ch</strong>tig, wenn sie dem guten Leben diene. Zweitens solle,<br />

wie bei Platon, das gute Leben in Abhängigkeit vom moralis<strong>ch</strong>en Leben definierbar<br />

sein. Moralis<strong>ch</strong>es Handeln ist dann eine Voraussetzung für gutes Leben. Wird das<br />

Leben ni<strong>ch</strong>t auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> auf moralis<strong>ch</strong>e Handlungen gegründet, so kann es kein<br />

gutes Leben mehr sein. Drittens könne, wie bei Nietzs<strong>ch</strong>e, das moralis<strong>ch</strong>e Leben unabhängig<br />

vom guten Leben verstanden werden; das Re<strong>ch</strong>te und das Gute bedingten<br />

einan<strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>t, do<strong>ch</strong> gebühre dem guten Leben im Kollisionsfall die absolute Priorität<br />

317 . Viertens sei es mögli<strong>ch</strong>, wie beim Utilitarismus und den meisten deontologi-<br />

313 Vgl. J. Rawls, Theory of Justice (1971), S. 24: »The two main concepts of ethics are those of the right<br />

and the good; ... The structure of an ethical theory is, then, largely determined by how it defines<br />

and connects these two basic notions.«<br />

314 T. Nagel, The View From Nowhere (1986), S. 195 ff.<br />

315 Zum Begriff des Konsequentialismus (consequentialism) siehe unten S. 152 (Charakteristika <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en<br />

Grundposition).<br />

316 T. Nagel, The View From Nowhere (1986), S. 195 ff.<br />

317 T. Nagel, The View From Nowhere (1986), S. 196. Dana<strong>ch</strong> kann das moralis<strong>ch</strong>e Leben zwar als<br />

mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es Gut angesehen werden, jedo<strong>ch</strong> nur solange, wie es ein gutes Leben ni<strong>ch</strong>t dominiert.<br />

Würde moralis<strong>ch</strong>es Handeln indes das gute Leben behin<strong>der</strong>n, so gäbe aus keinen Grund, die Moralität<br />

aufre<strong>ch</strong>tzuerhalten.<br />

105


s<strong>ch</strong>en <strong>Theorien</strong> eins<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en Tradition, dem moralis<strong>ch</strong>en Leben absoluten<br />

Vorrang vor dem guten Leben einzuräumen 318 . Fünftens s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> ließe si<strong>ch</strong><br />

eine Kollision zwis<strong>ch</strong>en dem guten und dem moralis<strong>ch</strong>en Leben dur<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t-absolute<br />

Vorrangregeln lösen. Dann wäre je na<strong>ch</strong> dem Gewi<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Gründe mal dem guten<br />

Leben, mal dem moralis<strong>ch</strong>en Leben <strong>der</strong> Vorrang einzuräumen sein. Der vierten Verhältnissetzung<br />

gibt Nagel selbst den Vorzug, während <strong>der</strong> die ersten drei für s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>t<br />

fals<strong>ch</strong> hält und die fünfte für unbefriedigend 319 .<br />

Der Indifferenzeinwand, <strong>der</strong> s<strong>ch</strong>on gegenüber <strong>der</strong> Klassifizierung na<strong>ch</strong> Darstellungsmitteln<br />

zu erheben war (Sozialvertragstheorien) 320 , gilt au<strong>ch</strong> gegenüber <strong>der</strong> Einteilung<br />

von Nagel. Au<strong>ch</strong> hier werden mit den utilitaristis<strong>ch</strong>en und kantis<strong>ch</strong>en <strong>Theorien</strong><br />

Begründungsansätze in einer Globalklasse zusammengefaßt, die dann die meisten<br />

<strong>der</strong> gegenwärtig vertretenen <strong>Theorien</strong> vereint, ohne <strong>der</strong>en grundlegenden Unters<strong>ch</strong>iede<br />

zu würdigen 321 .<br />

c) Effizienz, Re<strong>ch</strong>tfertigung, Wertorientierung (A. Hamlin/P. Pettit)<br />

Der Indifferenzeinwand gilt ferner au<strong>ch</strong> gegenüber <strong>der</strong> von Hamlin und Pettit vorges<strong>ch</strong>lagenen<br />

Einteilung, die bei <strong>der</strong> Analyse normativer <strong>Theorien</strong> über die ri<strong>ch</strong>tige politis<strong>ch</strong>e<br />

Ordnung dana<strong>ch</strong> fragen, ob si<strong>ch</strong> die Argumentation auf die Ma<strong>ch</strong>barkeit, die<br />

Re<strong>ch</strong>tfertigung o<strong>der</strong> die För<strong>der</strong>li<strong>ch</strong>keit für bestimmte Werte ri<strong>ch</strong>tet 322 . In <strong>der</strong> Gruppe<br />

<strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tfertigungstheorien finden si<strong>ch</strong> dann so unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Ansätze wie die<br />

von Rawls, Bu<strong>ch</strong>anan, Gauthier und Nozick 323 , also <strong>Theorien</strong> sowohl <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en<br />

als au<strong>ch</strong> <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en Grundposition. Mit einer sol<strong>ch</strong>en Klassifizierung ist<br />

ähnli<strong>ch</strong> wenig gewonnen wie mit <strong>der</strong> paus<strong>ch</strong>alen Vereinigung von Vertragstheorien<br />

unter einem Da<strong>ch</strong> 324 .<br />

d) Deontologis<strong>ch</strong>e und teleologis<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> (M. Sandel/S. Kagan)<br />

Die Unters<strong>ch</strong>eidung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien dana<strong>ch</strong>, ob sie deontologis<strong>ch</strong>e o<strong>der</strong><br />

teleologis<strong>ch</strong>e Ethik explizieren, ist – soweit ersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> – bisher am ausführli<strong>ch</strong>sten<br />

318 Zwar mag generell das gute Leben des einzelnen mit dem moralis<strong>ch</strong>en Leben zusammentreffen,<br />

wie es dur<strong>ch</strong> die Summe des Nutzens für alle o<strong>der</strong> dur<strong>ch</strong> eine an<strong>der</strong>e Begründung <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit<br />

definiert ist. Im Kollisionsfall muß si<strong>ch</strong> indes das gute Leben dem moralis<strong>ch</strong>en Leben, also einem<br />

Handeln zum Besten <strong>der</strong> Gemeins<strong>ch</strong>aft o<strong>der</strong> na<strong>ch</strong> einem allgemeinen Ri<strong>ch</strong>tigkeitsprinzip wie dem<br />

kategoris<strong>ch</strong>en Imperativ, beugen; T. Nagel, The View From Nowhere (1986), S. 196 f.<br />

319 Vgl. T. Nagel, The View From Nowhere (1986), S. 197, 199 f.<br />

320 Dazu oben S. 102 (Ungeeignetheit <strong>der</strong> Sozialvertragstheorien als <strong>Theorien</strong>klasse).<br />

321 Zur Abgrenzung einer kantis<strong>ch</strong>en Grundposition vom Utilitarismus siehe etwa die ausführli<strong>ch</strong>e<br />

Begründung bei J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 26, S. 150 ff.; § 27, S. 161 ff.<br />

322 A. Hamlin/P. Pettit, Normative Analysis (1989), S. 10 f. – feasibility, eligibility, desirability.<br />

323 Dazu unten S. 143 ff. (Dritter Teil).<br />

324 Bezei<strong>ch</strong>nen<strong>der</strong>weise vereint Hamlin glei<strong>ch</strong>zeitig unter <strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> Vertragstheorien so divergente<br />

Ansätze wie die von Rawls, Gauthier und Bu<strong>ch</strong>anan unter dem Gesi<strong>ch</strong>tspunkt einer 'contractarian<br />

strategy'; A. Hamlin, Liberty, Contract and the State (1989), S. 87 ff.<br />

106


von Sandel und Kagan vorgenommen worden 325 . Sie ist bei Sandel im Kontext mit<br />

dessen kommunitaristis<strong>ch</strong>er Theorie zu sehen 326 und entspri<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Abgrenzung<br />

zwis<strong>ch</strong>en <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition auf <strong>der</strong> einen und sol<strong>ch</strong>en <strong>der</strong><br />

hobbesianis<strong>ch</strong>en und kantis<strong>ch</strong>en Grundposition auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite. In <strong>der</strong> spezifis<strong>ch</strong><br />

kommunitaristis<strong>ch</strong>en Zuspitzung geht es bei Sandel vor allem um eine Kritik an<br />

dem liberalen Verständnis <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>en losgelöst von ihrer Konzeption des Guten<br />

327 . Au<strong>ch</strong> gegenüber <strong>der</strong> Einteilung von Sandel gilt <strong>der</strong> Indifferenzeinwand, weil<br />

zu den <strong>Theorien</strong>, die er unter <strong>der</strong> Bezei<strong>ch</strong>nung 'deontologis<strong>ch</strong>er Liberalismus' zusammenfaßt,<br />

so unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Ansätze gehören wie die von Hobbes, Kant und<br />

Rawls 328 . Entspre<strong>ch</strong>ende Bedenken sind gegenüber Kagans Klassifizierung begründet:<br />

zwar wird sehr treffend <strong>ch</strong>arakterisiert, daß teleologis<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> (positiv) das<br />

Gute erstreben, während deontologis<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> (nur) das S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>te verbieten 329 ,<br />

do<strong>ch</strong> finden si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> bei Kagan in undifferenzierter Weise die Vertrags-, Beoba<strong>ch</strong>terund<br />

Universalitätstheorien unter einer 'deontologis<strong>ch</strong>en Grundlegung' vereint 330 .<br />

e) Ergebnisse<br />

In dieser Analyse konnten ni<strong>ch</strong>t alle denkbaren Klassifizierungen untersu<strong>ch</strong>t werden<br />

331 . Für die dargestellten gilt indes, daß sie für eine aussagekräftige Analyse und<br />

Kritik an <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien weniger geeignet sind als die hier verfolgte Klassifizierung<br />

na<strong>ch</strong> Grundpositionen <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie. Gegenüber den meisten<br />

Ansätze ist <strong>der</strong> Indifferenzeinwand zu erheben, weil <strong>Theorien</strong> mit grundlegenden<br />

Unters<strong>ch</strong>ieden in einer Klasse zusammengefaßt werden. Dieser Einwand gilt vor allem<br />

gegenüber <strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> Sozialvertragstheorien, <strong>der</strong> so unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong><br />

zugehören, daß die Klasse fast das gesamte Spektrum <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>e Philosophie<br />

umfaßt.<br />

III. Zum Gegenstand <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

Daß die hier interessierenden <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> zum<br />

Gegenstand haben, wurde bereits erläutert (S<strong>ch</strong>werpunktthese) 332 . Do<strong>ch</strong> die Inhalte,<br />

325 M. Sandel, Liberalism and the Limits of Justice (1982), S. 54, 175 ff. (177); S. Kagan, Normative<br />

Ethics (1998), S. 25 ff., 70 ff., 189 ff., 240 ff.<br />

326 Dazu unten S. 159 ff. (epistemologis<strong>ch</strong>er Kommunitarismus).<br />

327 M. Sandel, Liberalism and the Limits of Justice (1982), S. 175: »Only in a universe empty of telos ...<br />

is it possible to conceive a subject apart from and prior to its purposes and ends. ... In this the<br />

depth of opposition between deontological liberlalism and teleological world views most fully<br />

appears.« (Hervorhebung bei Sandel).<br />

328 M. Sandel, Liberalism and the Limits of Justice (1982), S. 175 f.<br />

329 Vgl. S. Kagan, Normative Ethics (1998), S. 25 ff., 70 ff.<br />

330 S. Kagan, Normative Ethics (1998), S. 240 ff. – 'Deontological Foundations'.<br />

331 Unerörtert blieb beispielsweise die (ni<strong>ch</strong>t ganz übers<strong>ch</strong>neidungsfreie) Differenzierung bei J. Nida-<br />

Rümelin, Theoretis<strong>ch</strong>e und angewandte Ethik (1996), S. 7 ff. na<strong>ch</strong> den 'Paradigmen' des Utilitarismus,<br />

Kontraktualismus, Libertarismus, <strong>der</strong> Tugendethik und kantis<strong>ch</strong>en Ethik. W. Reese-S<strong>ch</strong>äfer,<br />

Grenzgötter <strong>der</strong> Moral (1997), S. 59 ff. unters<strong>ch</strong>eidet zwis<strong>ch</strong>en Diskurs- und Moraltheorien,<br />

Kommunitarismus sowie 'Differenzierungstheorien'.<br />

332 Dazu oben S. 78 (politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> und die S<strong>ch</strong>werpunktthese).<br />

107


auf die si<strong>ch</strong> einzelne <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> beziehen, sind damit<br />

immer no<strong>ch</strong> so unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>, daß si<strong>ch</strong> die Frage <strong>der</strong> Verglei<strong>ch</strong>barkeit und Vollständigkeit<br />

<strong>der</strong> <strong>Theorien</strong> stellt.<br />

1. Die Verglei<strong>ch</strong>barkeit von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

Für eine Analyse <strong>der</strong> <strong>Theorien</strong> politis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> stellt die Frage <strong>der</strong> Verglei<strong>ch</strong>barkeit<br />

eine grundlegende methodis<strong>ch</strong>e Herausfor<strong>der</strong>ung dar. Immerhin ist es<br />

denkbar, daß die vers<strong>ch</strong>iedenen <strong>Theorien</strong> einan<strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>t nur unauflösli<strong>ch</strong> wi<strong>der</strong>spre<strong>ch</strong>en,<br />

in diesem Sinne also unvereinbar sind, son<strong>der</strong>n bereits einen <strong>der</strong>art unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en<br />

Gegenstand betra<strong>ch</strong>ten o<strong>der</strong> Blickwinkel einnehmen, daß sie als unverglei<strong>ch</strong>bar<br />

angesehen werden müssen (Inkommensurabilitätsthese) 333 . Während si<strong>ch</strong> bei bloßer<br />

Unvereinbarkeit über die Vorzüge <strong>der</strong> einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Theorie treffli<strong>ch</strong> streiten<br />

läßt, muß <strong>der</strong> Kritiker angesi<strong>ch</strong>ts von Unverglei<strong>ch</strong>barkeit s<strong>ch</strong>weigen: wo ni<strong>ch</strong>t vergli<strong>ch</strong>en<br />

werden kann, wird verglei<strong>ch</strong>ende Kritik sinnlos.<br />

Die Inkommensurabilitätsthese manifestiert si<strong>ch</strong> an zwei Theorieunters<strong>ch</strong>ieden:<br />

erstens an den vers<strong>ch</strong>iedenen politis<strong>ch</strong>en Idealen, die in <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien zum<br />

Ausdruck kommen (politis<strong>ch</strong>e Inkommensurabilität, dazu a), und zweitens an den vers<strong>ch</strong>iedenen<br />

Gegenständen, <strong>der</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> untersu<strong>ch</strong>t wird (konzeptuelle Inkommensurabilität,<br />

dazu b). Den methodis<strong>ch</strong>en Bedenken läßt si<strong>ch</strong>, soweit sie überhaupt<br />

begründet sind, mit <strong>der</strong> Skalierbarkeitsthese begegnen (c).<br />

a) Zur politis<strong>ch</strong>en Inkommensurabilität (J.P. Sterba)<br />

In <strong>der</strong> ersten (<strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en) Variante wird die Inkommensurabilitätsthese von Sterba<br />

vertreten. Zwis<strong>ch</strong>en dem Freiheitsideal des libertären Individualisten, dem<br />

Glei<strong>ch</strong>heitsideal des Sozialisten, dem Fairneßideal des Sozialdemokraten, dem Tugendideal<br />

des Kommunitaristen und dem Androgynitätsideal <strong>der</strong> Feministin 334 bestünden<br />

so grundlegende Differenzen, daß diese Ideale ni<strong>ch</strong>t nur unvereinbar, son<strong>der</strong>n<br />

sogar unverglei<strong>ch</strong>bar würden (politis<strong>ch</strong>e Inkommensurabilitätsthese) 335 . Die Glei<strong>ch</strong>heitsfor<strong>der</strong>ung<br />

des Sozialisten läßt si<strong>ch</strong> dana<strong>ch</strong> nur vor dem Hintergrund des von<br />

ihm vertretenen Glei<strong>ch</strong>heitsideals verstehen, das Minimalstaatsstreben des libertären<br />

Individualisten nur vor dem Hintergrund seines individualistis<strong>ch</strong> geprägten Freiheitsideals.<br />

Zwis<strong>ch</strong>en den beiden kann dagegen keine sinnvolle Kommunikation<br />

über Ideale stattfinden, weil kein kleinster gemeinsamer Nenner existiert. Es fehlt bereits<br />

die Grundlage, auf <strong>der</strong> ein Verglei<strong>ch</strong> aufgebaut werden könnte.<br />

333 Vgl. grundsätzli<strong>ch</strong> zum methodis<strong>ch</strong>en Problem <strong>der</strong> Inkommensurabilität – dort am Beispiel <strong>der</strong><br />

Unglei<strong>ch</strong>artigkeit von Satz-Regelsystemen – J.-F. Lyotard, Der Wi<strong>der</strong>streit (1983), S. 215 ff. Lyotard<br />

reformuliert und verallgemeinert den Sein-Sollens-Fehls<strong>ch</strong>luß als Problem <strong>der</strong> Inkommensurabilität<br />

kognitiver und präskriptiver Sätze. Zum Fehls<strong>ch</strong>luß unten S. 261, Fn. 5.<br />

334 Gegenüberstellung bei J.P. Sterba, How to Make People Just (1988), S. 11 ff.; <strong>der</strong>s., Reconciling<br />

Conceptions of Justice (1995), S. 1 ff. Zur Kritik an dieser Gegenüberstellung siehe C.C. Gould,<br />

Comments on Reconciling Conceptions of Justice (1995), S. 53 ff.<br />

335 Vgl. J.P. Sterba, Reconciling Conceptions of Justice (1995), S. 1 ff. – Inkommensurabilität von fünf<br />

politis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sverständnissen (libertär, sozialistis<strong>ch</strong>, wohlfahrtsstaatli<strong>ch</strong>, feministis<strong>ch</strong>,<br />

kommunitaristis<strong>ch</strong>); zuvor bereits <strong>der</strong>s., How to Make People Just (1988), S. 11 ff.<br />

108


Sterba hat vorges<strong>ch</strong>lagen, aus diesem Dilemma die Flu<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> vorn anzutreten,<br />

indem man die Unvereinbarkeit und Unverglei<strong>ch</strong>barkeit <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Ideale ignoriert,<br />

um die Gemeinsamkeit bei den aus ihnen resultierenden Handlungsgeboten zu<br />

su<strong>ch</strong>en 336 . So könnten das Re<strong>ch</strong>t auf ein wohlfahrtsstaatli<strong>ch</strong> zu si<strong>ch</strong>erndes Existenzminimum<br />

und das Gebot <strong>der</strong> Chancenglei<strong>ch</strong>heit ungea<strong>ch</strong>tet des jeweiligen politis<strong>ch</strong>en<br />

Ideals verteidigt werden 337 . In <strong>der</strong> Konkretisierung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgeboten<br />

jenseits <strong>der</strong> Ideale könnte also eine Vereinbarkeit vers<strong>ch</strong>iedener Ansätze und zumindest<br />

insoweit eine Verglei<strong>ch</strong>barkeit gesu<strong>ch</strong>t werden.<br />

Dem ist entgegenzuhalten, daß we<strong>der</strong> die politis<strong>ch</strong>e Inkommensurabilitätsthese<br />

als Problembes<strong>ch</strong>reibung no<strong>ch</strong> die Vorgehensweise, die Sterba zur Problemlösung<br />

vorges<strong>ch</strong>lagen hat, Zustimmung verdient. Als Problembes<strong>ch</strong>reibung trifft die politis<strong>ch</strong>e<br />

Inkommensurabilitätsthese ni<strong>ch</strong>t zu, weil politis<strong>ch</strong>e Ideale ni<strong>ch</strong>t den Ausgangspunkt<br />

von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien bilden, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong>en Ergebnis. Ob das Freiheitsideal<br />

<strong>der</strong> libertären Individualistin o<strong>der</strong> das Glei<strong>ch</strong>heitsideal <strong>der</strong> Sozialistin die ri<strong>ch</strong>tige<br />

Zielvorstellung für eine gere<strong>ch</strong>te Sozialordnung abgeben, o<strong>der</strong> ob viellei<strong>ch</strong>t beide<br />

Ideale anteilig zur Formulierung politis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> beitragen, muß in einer<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie erst no<strong>ch</strong> begründet werden. Bezügli<strong>ch</strong> dieses Begründungsauftrags<br />

stehen die Individualistin und die Sozialistin sehr wohl im selben Anfangspunkt<br />

<strong>der</strong> Ungewißheit; s<strong>ch</strong>on deshalb bleiben ihre Entwürfe für eine gere<strong>ch</strong>te Ordnung<br />

bei aller Diskrepanz zumindest verglei<strong>ch</strong>bar – die politis<strong>ch</strong>e Inkommensurabilitätsthese<br />

ist fals<strong>ch</strong>. Darüber hinaus ist <strong>der</strong> Lösungsvors<strong>ch</strong>lag, den Sterba für das<br />

vermeintli<strong>ch</strong>e Verglei<strong>ch</strong>barkeitsproblem ma<strong>ch</strong>t, zur Bewältigung <strong>der</strong> Theorieunters<strong>ch</strong>iede<br />

ungeeignet, wenn man neben <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugung au<strong>ch</strong> die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung<br />

ins Auge faßt. Dann genügt es ni<strong>ch</strong>t, auf die Praktikabilität des<br />

Ergebnisses zu s<strong>ch</strong>auen, son<strong>der</strong>n es müssen die Gründe angegeben werden, die die<br />

Handlungsgebote in den einzelnen Normensystemen (Liberalismus, Sozialismus)<br />

tragen. Erst eine positive Konzeption praktis<strong>ch</strong>er Vernunft enthält die Gründe des<br />

Handelns und damit die Grundsätze zur Lösung aller neu auftretenden <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen<br />

338 .<br />

Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß die Inkommensurabilität von<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien, soweit sie mit unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en politis<strong>ch</strong>en Idealen begründet<br />

wird (politis<strong>ch</strong>e Inkommensurabilitätsthese), ein S<strong>ch</strong>einproblem darstellt: <strong>Theorien</strong><br />

bleiben verglei<strong>ch</strong>bar, selbst wenn si<strong>ch</strong> die Befürworter vers<strong>ch</strong>iedener politis<strong>ch</strong>er<br />

Ideale unversöhnli<strong>ch</strong> zeigen.<br />

336 So die Strategie von Sterba, die dieser als 'practical reconciliationist argument' bezei<strong>ch</strong>net;<br />

J.P. Sterba, How to Make People Just (1988), S. 185. Sterba stellt die folgende These auf: »I content<br />

... that reconciliation is possible, at least at the practical level. ... liberty, equality, contractual fairness,<br />

androgyny, or the common good as the ultimate political ideal, ... when correctly interpreted,<br />

support the same practical requirements«; ebd., S. 85, ähnli<strong>ch</strong> S. 177; Begründung <strong>der</strong> Strategie<br />

S. vii, 85 ff.; Neuformulierung in <strong>der</strong>s., Reconciling Conceptions of Justice (1995), S. 2 ff.<br />

m.w.N.<br />

337 J.P. Sterba, Reconciling Conceptions of Justice (1995), S. 2.<br />

338 Vgl. oben S. 27 ff. (<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> und praktis<strong>ch</strong>e Vernunft).<br />

109


) Zur konzeptuellen Inkommensurabilität<br />

aa) Mikro-, Meso- und Makrotheorien<br />

In <strong>der</strong> zweiten (<strong>der</strong> konzeptuellen) Variante wird die Inkommensurabilitätsthese<br />

kaum diskutiert 339 , obwohl sie in dieser Form eine sehr viel dringen<strong>der</strong>e methodis<strong>ch</strong>e<br />

Herausfor<strong>der</strong>ung für die verglei<strong>ch</strong>ende Kritik von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien darstellt<br />

als in <strong>der</strong> (nur s<strong>ch</strong>einbar problematis<strong>ch</strong>en) 'politis<strong>ch</strong>en' Variante. Eine Inkommensurabilität<br />

würde nämli<strong>ch</strong> vor allem dann entstehen, wenn <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien na<strong>ch</strong><br />

dem Gegenstand <strong>der</strong> behandelten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteile <strong>der</strong>art unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Berei<strong>ch</strong>e<br />

abdecken, daß ihnen ein kleinster gemeinsamer Nenner verlorengeht und deshalb<br />

die Verglei<strong>ch</strong>barkeit endet (konzeptuelle Inkommensurabilitätsthese). Immerhin rei<strong>ch</strong>t<br />

das Gegenstandsspektrum <strong>der</strong> behandelten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteile von genau definierten<br />

Einzelents<strong>ch</strong>eidungen in sehr kleinen Personengruppen (Mikrotheorien) über<br />

spezifis<strong>ch</strong>e Verteilungsprobleme in gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Teilberei<strong>ch</strong>en (Mesotheorien)<br />

340 bis hin zu <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteilen über die Grundstruktur einer Gesells<strong>ch</strong>aft<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Welt insgesamt (Makrotheorien) 341 . Damit stellt si<strong>ch</strong> die methodis<strong>ch</strong>e Frage<br />

na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Verglei<strong>ch</strong>barkeit von <strong>Theorien</strong>, in denen zwar jeweils von '<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>'<br />

gespo<strong>ch</strong>en wird und bei denen es immer au<strong>ch</strong> um politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> gehen<br />

kann 342 , die aber letztli<strong>ch</strong> kaum Übers<strong>ch</strong>neidungen beim Gegenstandsberei<strong>ch</strong> aufweisen,<br />

weil sie <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> mal im Kleinen, mal im Großen untersu<strong>ch</strong>en. Teilen<br />

die sol<strong>ch</strong>ermaßen differenzierten <strong>Theorien</strong> ledigli<strong>ch</strong> eine gemeinsame »<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>ssemantik«<br />

343 , o<strong>der</strong> gibt es Verbindungslinien, dur<strong>ch</strong> die eine Verglei<strong>ch</strong>barkeit<br />

begründet wird? Diese Frage kann mit <strong>der</strong> Skalierbarkeitsthese beantwortet werden,<br />

die einen methodis<strong>ch</strong>en Brückens<strong>ch</strong>lag zwis<strong>ch</strong>en <strong>Theorien</strong> vers<strong>ch</strong>iedener Gegenstandsberei<strong>ch</strong>e<br />

unternimmt.<br />

339 Eine positive Ausnahme bildet V.H. S<strong>ch</strong>midt, Bounded Justice (1993), S. 19 – bezogen auf die Verglei<strong>ch</strong>barkeit<br />

<strong>der</strong> <strong>Theorien</strong> von Walzer und Rawls.<br />

340 Mesotheorien bes<strong>ch</strong>äftigen si<strong>ch</strong> mit dem Phänomen <strong>der</strong> 'lokalen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' (local justice), na<strong>ch</strong><br />

dem si<strong>ch</strong> in einzelnen Institutionen und Aufgabenberei<strong>ch</strong>en bestimmte Präferenzen für <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sverfahren<br />

(z.B. Organspendenverteilung) herausbilden; J. Elster, Local Justice (1992), S. 18<br />

ff.; V.H. S<strong>ch</strong>midt, Soziologis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sanalyse als empiris<strong>ch</strong>e Institutionenanalyse (1995),<br />

S. 173 ff.; H.W. Bierhoff, Sozialpsy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1996), S. 3.<br />

341 Von einer Mikrotheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> spri<strong>ch</strong>t man allgemein, wenn sie ihren Fokus auf das<br />

Individuum ri<strong>ch</strong>tet; von einer Makrotheorie, wenn es um die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in <strong>der</strong> Gesells<strong>ch</strong>aft<br />

geht: H.W. Bierhoff, Sozialpsy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1996), S. 2 f. – dort allerdings<br />

mit spezifis<strong>ch</strong> sozialpsy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>en Differenzierungen zum <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sempfinden, auf<br />

die es in <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie ni<strong>ch</strong>t ankommt.<br />

342 Vgl. oben S. 78 (politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> und die S<strong>ch</strong>werpunktthese) – ‚politis<strong>ch</strong>e' <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

als diejenige im Zusammenhang mit Re<strong>ch</strong>t und Staat. Ein Verteilungsproblem bei staatli<strong>ch</strong> geregelter<br />

Organtransplantation (Mesotheorie) o<strong>der</strong> eine Frage <strong>der</strong> Legitimität von Ma<strong>ch</strong>tausübung<br />

bei Vertragsgestaltungen (Mikrotheorie) gehört ebenso zur politis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> wie die verfassungskräftige<br />

Garantie von Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>ten (Makrotheorie).<br />

343 Vgl. V.H. S<strong>ch</strong>midt, Bounded Justice (1993), S. 19: »[I]t simply makes no sense to juxtapose works<br />

whose subjects barely overlap and whi<strong>ch</strong> share little more than a common semantic – in this case,<br />

the semantic of justice.«<br />

110


) Die Skalierbarkeitsthese als Ausweg (B. Barry)<br />

Das Verhältnis zwis<strong>ch</strong>en Mikro- und Makrotheorien ist, ohne daß dies immer ausdrückli<strong>ch</strong><br />

betont würde 344 , als das einer we<strong>ch</strong>selseitigen Entspre<strong>ch</strong>ung festgelegt<br />

worden, dur<strong>ch</strong> die ein kritis<strong>ch</strong>er Verglei<strong>ch</strong> von <strong>Theorien</strong> aus beiden 'Theoriewelten'<br />

mögli<strong>ch</strong> wird 345 . Die im Kleinen gefundenen Prinzipien und Verfahren sollen si<strong>ch</strong><br />

ohne inhaltli<strong>ch</strong>en Unters<strong>ch</strong>ied o<strong>der</strong> weitere Voraussetzungen auf eine größere Gruppe von<br />

Individuen und Sa<strong>ch</strong>verhalten und damit letztli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> auf den Anwendungsberei<strong>ch</strong><br />

<strong>der</strong> staatli<strong>ch</strong>en Ordnung erweitern lassen, also verzerrungsfrei vom Kleinen ins Große<br />

skaliert werden können (Skalierbarkeitsthese).<br />

Die maßstäbli<strong>ch</strong>e Vergrößerbarkeit von Theorieansätzen (Skalierbarkeit) ist von<br />

großer praktis<strong>ch</strong>er Bedeutung. Denn das, was eine Theorie im Kleinen untersu<strong>ch</strong>t,<br />

wird häufig erst dadur<strong>ch</strong> wi<strong>ch</strong>tig, daß si<strong>ch</strong> dieselben Grundsätze au<strong>ch</strong> auf <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

in <strong>der</strong> staatli<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>tsgemeins<strong>ch</strong>aft übertragen lassen sollen 346 . Die Skalierbarkeit<br />

ist erfor<strong>der</strong>li<strong>ch</strong>, wenn man analytis<strong>ch</strong> von Konflikten im Zweipersonenverhältnis<br />

zur Re<strong>ch</strong>tfertigung sozialer Institutionen übergehen will 347 . Dazu werden Mikrotheorien<br />

und Makrotheorien auf <strong>der</strong> Basis struktureller Merkmale einan<strong>der</strong> zugeordnet,<br />

selbst wenn sie einen unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Anwendungsberei<strong>ch</strong> haben – die Ents<strong>ch</strong>eidungsrationalität<br />

<strong>der</strong> Zweipersonensituation wä<strong>ch</strong>st zur Sozialvertragstheorie,<br />

<strong>der</strong> Diskurs in <strong>der</strong> Kleingruppe wä<strong>ch</strong>st zur Kommunikationsgesells<strong>ch</strong>aft. Die<br />

Selbstverständli<strong>ch</strong>keit, mit <strong>der</strong> die meisten Autoren die Skalierbarkeit implizieren,<br />

zeigt si<strong>ch</strong> in den von ihnen gezogenen Verglei<strong>ch</strong>en zwis<strong>ch</strong>en vernünftigen Einzelfallents<strong>ch</strong>eidungen<br />

im Zweipersonenverhältnis auf <strong>der</strong> einen Seite und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

für das polits<strong>ch</strong>e Gemeinwesen auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en 348 . Sol<strong>ch</strong>e Verglei<strong>ch</strong>barkeit<br />

zwis<strong>ch</strong>en <strong>Theorien</strong> unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er Anwendungsberei<strong>ch</strong>e wird erst dadur<strong>ch</strong> errei<strong>ch</strong>t,<br />

daß man Mikro- und Makrotheorien einan<strong>der</strong> we<strong>ch</strong>selseitig zuordnet. Verglei<strong>ch</strong><br />

und Zuordnung wie<strong>der</strong>um implizieren, daß si<strong>ch</strong> eine Mikrotheorie maßstäbli<strong>ch</strong><br />

vergrößern (o<strong>der</strong> eine Makrotheorie maßstäbli<strong>ch</strong> verkleinern) läßt, bis sie in den<br />

jeweils an<strong>der</strong>en <strong>Theorien</strong> eine Entspre<strong>ch</strong>ung findet 349 .<br />

344 Erwähnung des Skalierbarkeitsproblems bei J.C. Harsanyi, Maximin Principle (1975), S. 605: »In<br />

fact, it would be a priori rather surprising if, at the most fundamental level, the basic principles of<br />

morality should take different forms for large-scale and for small-scale situations.« Kritis<strong>ch</strong>e Erörterung<br />

bei B. Peters, Integration mo<strong>der</strong>ner Gesells<strong>ch</strong>aften (1993), S. 380 f.<br />

345 Vgl. etwa B. Barry, Theories of Justice (1989), S. 293: »The result will be that theories with very different<br />

substantive conclusions will be treated together as having the same structure«; sowie S. 321<br />

– Zuordnung <strong>der</strong> <strong>Theorien</strong> von Harsanyi und Rawls als <strong>Theorien</strong> glei<strong>ch</strong>er Struktur.<br />

346 So au<strong>ch</strong> B. Peters, Integration mo<strong>der</strong>ner Gesells<strong>ch</strong>aften (1993), S. 380 f., <strong>der</strong> dies als den Vorteil <strong>der</strong><br />

Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien s<strong>ch</strong>il<strong>der</strong>t, dem inhaltli<strong>ch</strong>en Gewinn aus den Folgerungen aber skeptis<strong>ch</strong><br />

gegenübersteht.<br />

347 Exemplaris<strong>ch</strong> B. Barry, Theories of Justice (1989), S. 145: »[W]e move on from fair division to social<br />

justice. By 'fair division' I mean to refer to proposed solutions to conflicts among small numbers of<br />

people ... . By 'social justice' I intend to refer to criteria to appraise social institutions«.<br />

348 B. Barry, Theories of Justice (1989), S. 145.<br />

349 Implizit au<strong>ch</strong> Gauthier, <strong>der</strong> die Theorie des Verhandelns (theory of bargaining) als mit seiner Theorie<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> verbunden bezei<strong>ch</strong>net und diese später mit Sozialvertragstheorien verglei<strong>ch</strong>t.<br />

Siehe D. Gauthier, Bargaining and Justice (1985), S. 206; <strong>der</strong>s., The Social Contract as Ideology<br />

(1977), S. 350: »Insofar as the two [contractarian and noncontractarian conceptions] are mutually<br />

supportive, all is well.«<br />

111


Die Skalierbarkeit ist, obwohl sie häufig impliziert wird, keinesfalls trivial. Was<br />

im Kleinen gere<strong>ch</strong>t ist, läßt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in jedem Fall auf größere Maßstäbe übertragen,<br />

ohne daß si<strong>ch</strong> an <strong>der</strong> Begründbarkeit etwas än<strong>der</strong>t. Im Gegenteil. Eine einfa<strong>ch</strong>e<br />

Überlegung zur Informiertheit <strong>der</strong> Beteiligten zeigt, daß zumindest bei <strong>der</strong> realen<br />

Umsetzung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> die Größe des Beteiligtenkreises einen Unters<strong>ch</strong>ied bedeutet.<br />

Nehmen wir beispielsweise den Fall, daß <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in einem Zweipersonenverhältnis<br />

dur<strong>ch</strong> Vertragsverhandlung hergestellt werden soll. Dazu muß und<br />

kann davon ausgegangen werden, daß die beiden Beteiligten über alle relevanten<br />

Umstände und Interessen des jeweils an<strong>der</strong>en annähernd vollständig informiert sind.<br />

Vergrößert man aber den Beteiligtenkreis auf die staatli<strong>ch</strong>e Gemeins<strong>ch</strong>aft, so kann<br />

bei Verhandlungen zwis<strong>ch</strong>en Gruppen (etwa einer religiösen Min<strong>der</strong>heit mit <strong>der</strong><br />

Mehrheit) die vollständige Informiertheit getrenntleben<strong>der</strong> Bevölkerungsgruppen<br />

untereinan<strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr länger angenommen werden. Sie müßte erst dur<strong>ch</strong> zusätzli<strong>ch</strong>e<br />

Maßnahmen si<strong>ch</strong>ergestellt werden – etwa dur<strong>ch</strong> einen funktionierenden Meinungsmarkt<br />

(marketplace of ideas 350 ) o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e effektive Informationsmedien. Erst<br />

dadur<strong>ch</strong> wäre die Verglei<strong>ch</strong>barkeit <strong>der</strong> Makro- mit <strong>der</strong> Mikrosituation wie<strong>der</strong>hergestellt.<br />

Die Übertragung eines Ergebnisses aus <strong>der</strong> experimentellen Zweipersonensituation<br />

auf die Größenordnung eines staatli<strong>ch</strong>en Gemeinwesens kann also jedenfalls<br />

ni<strong>ch</strong>t in allen Fällen, wie von <strong>der</strong> Skalierbarkeitsthese vorausgesetzt, ohne inhaltli<strong>ch</strong>en<br />

Unters<strong>ch</strong>ied o<strong>der</strong> weitere Voraussetzungen ges<strong>ch</strong>ehen, son<strong>der</strong>n bedarf zusätzli<strong>ch</strong>er<br />

Re<strong>ch</strong>tfertigung. Wer eine Mikrotheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> zu einer Makrotheorie<br />

ausbauen will, um sie an<strong>der</strong>en Makrotheorien gegenüberzustellen, muß zusätzli<strong>ch</strong><br />

begründen, warum die Skalierung an den im Kleinen begründeten Ergebnissen<br />

ni<strong>ch</strong>ts än<strong>der</strong>t.<br />

Wenn die Skalierbarkeitsthese für die reale Umsetzung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> also zumindest<br />

in einigen Fällen unzutreffend ist, so behält sie do<strong>ch</strong> ihren Wert. Für das<br />

ideale Begründungsmodell, wie es alle <strong>Theorien</strong> enthalten, ist die These nämli<strong>ch</strong> zutreffend.<br />

Im geda<strong>ch</strong>ten Idealzustand sind Voraussetzungen <strong>der</strong> Makrosituation (staatli<strong>ch</strong>e<br />

Gemeins<strong>ch</strong>aft) ebenso hypothetis<strong>ch</strong> wie diejenigen <strong>der</strong> Mikrosituation (Gedankenexperiment<br />

mit zwei Personen). Die maßstäbli<strong>ch</strong>e Vergrößerung des Anwendungsberei<strong>ch</strong>s<br />

einer Theorie krankt also ni<strong>ch</strong>t daran, daß si<strong>ch</strong> ihre Voraussetzungen<br />

unter den Bedingungen <strong>der</strong> realen Welt verän<strong>der</strong>n. Der geda<strong>ch</strong>te Vertrag o<strong>der</strong> <strong>der</strong> geda<strong>ch</strong>te<br />

Diskurs behalten im Kleinen wie im Großen stets dieselbe Struktur.<br />

350 In heutigem Verständnis zuerst Holmes Min<strong>der</strong>heitenvotum in Abrams vs. United States, 250 U.S.<br />

616, 630 (1919): »But when men have realized that time has upset many fighting faiths, they may<br />

come to believe even more than they believe the very foundations of their own conduct that the<br />

ultimate good desired is better rea<strong>ch</strong>ed by free trade in ideas – that the best test of truth is the power<br />

of the thought to get itself accepted in the competition of the market, and that truth is the only<br />

ground upon whi<strong>ch</strong> their wishes safely can be carried out. That at any rate is the theory of our<br />

Constitution.« Vgl. dazu BVerfGE 5, 85 (135) – KPD-Verbotsurteil: »Denn es ist eine <strong>der</strong> Grundans<strong>ch</strong>auungen<br />

<strong>der</strong> freiheitli<strong>ch</strong>en Demokratie, daß nur die ständige geistige Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

zwis<strong>ch</strong>en den einan<strong>der</strong> begegnenden sozialen Kräften und Interessen, den politis<strong>ch</strong>en Ideen und<br />

damit au<strong>ch</strong> den sie vertretenden politis<strong>ch</strong>en Parteien <strong>der</strong> ri<strong>ch</strong>tige Weg zur Bildung des Staatswillens<br />

ist – ni<strong>ch</strong>t in dem Sinne, daß er immer objektiv ri<strong>ch</strong>tige Ergebnisse liefere, denn dieser Weg<br />

ist a process of trial and error (I. B. Talmon), aber do<strong>ch</strong> so, daß er dur<strong>ch</strong> die ständige gegenseitige<br />

Kontrolle und Kritik die beste Gewähr für eine (relativ) ri<strong>ch</strong>tige politis<strong>ch</strong>e Linie als Resultante<br />

und Ausglei<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en den im Staat wirksamen politis<strong>ch</strong>en Kräften gibt.«<br />

112


c) Ergebnisse<br />

In ihrer politis<strong>ch</strong>en Variante betrifft die Inkommensurabilitätsthese ein S<strong>ch</strong>einproblem,<br />

denn selbst bei unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>sten politis<strong>ch</strong>en Idealen (Ergebnissen) bleiben<br />

die <strong>Theorien</strong> zur Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> verglei<strong>ch</strong>bar. In <strong>der</strong> konzeptuellen<br />

Variante zeigt die Inkommensurabilitätsthese zutreffend die methodis<strong>ch</strong>en Grenzen<br />

<strong>der</strong> Verglei<strong>ch</strong>barkeit von <strong>Theorien</strong> auf. Im Ergebnis gelingt aber ein methodis<strong>ch</strong>er<br />

Brückens<strong>ch</strong>lag, <strong>der</strong> die Verglei<strong>ch</strong>barkeit von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründungstheorien si<strong>ch</strong>erstellt:<br />

Bei <strong>der</strong> Untersu<strong>ch</strong>ung gesamtgesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in Makrotheorien<br />

können au<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> zum Verglei<strong>ch</strong> herangezogen werden, die si<strong>ch</strong> mit <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

innerhalb eines kleineren Beteiligtenkreises befassen (Mikrotheorien) 351 ,<br />

solange es um das ideale Begründungsmodell <strong>der</strong> <strong>Theorien</strong> geht, denn an<strong>der</strong>s als bei<br />

<strong>der</strong> realen Umsetzung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> trifft insoweit die These zu, daß si<strong>ch</strong> die im<br />

Kleinen gefundenen Prinzipien o<strong>der</strong> Verfahren ohne inhaltli<strong>ch</strong>en Unters<strong>ch</strong>ied o<strong>der</strong><br />

weitere Voraussetzungen maßstäbli<strong>ch</strong> vergrößern lassen (Skalierbarkeitsthese). Die<br />

Inkommensurabilitätsthese trifft insoweit ni<strong>ch</strong>t zu.<br />

2. Die Vollständigkeit von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

a) Die Ergänzbarkeitsthese<br />

Bei <strong>der</strong> Skalierbarkeitsthese geht es um die Verglei<strong>ch</strong>barkeit von <strong>Theorien</strong>. Aber<br />

au<strong>ch</strong> unter dem Gesi<strong>ch</strong>tspunkt <strong>der</strong> Vollständigkeit stellen si<strong>ch</strong> Probleme, die in ganz<br />

ähnli<strong>ch</strong>er Weise gelöst werden. Wenn eine Theorie zur politis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t alle <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen behandelt, die für die Beurteilung eines staatli<strong>ch</strong>en<br />

Gemeinwesens Gewi<strong>ch</strong>t haben, so muß die Theorie, um überhaupt Aussagekraft zu<br />

behalten, implizit davon ausgehen, daß si<strong>ch</strong> an den gefundenen Ergebnissen ni<strong>ch</strong>ts<br />

verän<strong>der</strong>t, wenn sie auf die ungeklärten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen übertragen werden<br />

(Ergänzbarkeitsthese). Die Theorie geht also davon aus, daß einzelne Bausteine si<strong>ch</strong><br />

ohne inhaltli<strong>ch</strong>e Än<strong>der</strong>ung zu einer umfassenden Theorie <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

vervollständigen lassen.<br />

Au<strong>ch</strong> die Ergänzbarkeitsthese ist ni<strong>ch</strong>t trivial. Wenn beispielsweise eine Theorie<br />

nur ein einzelnes Verteilungsprinzip re<strong>ch</strong>tfertigt, etwa das Differenzprinzip bei<br />

Rawls, o<strong>der</strong> nur ein bestimmtes Verfahren für gere<strong>ch</strong>t erklärt, etwa den Diskurs bei<br />

Habermas, dann kann dies ein theoretis<strong>ch</strong>es Ergebnis sein, das bereits <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> zuzuordnen ist. Do<strong>ch</strong> fehlen no<strong>ch</strong> wesentli<strong>ch</strong>e Zwis<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>ritte, um<br />

von einer vollständigen Theorie über politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> spre<strong>ch</strong>en zu können:<br />

Differenzprinzip und Diskurs müssen ihre Anwendbarkeit in Fragen staatli<strong>ch</strong>er<br />

Ordnung unter Beweis stellen. Würde jetzt diese Ergänzung dazu führen, Prinzip<br />

o<strong>der</strong> Verfahren selbst wie<strong>der</strong> in Frage zu stellen, so wäre die Ergänzbarkeitsthese<br />

wi<strong>der</strong>legt. Das kann – ähnli<strong>ch</strong> wie bei <strong>der</strong> Skalierbarkeitsthese – immer dann ges<strong>ch</strong>ehen,<br />

wenn es si<strong>ch</strong> um die reale Anwendung von Prinzipien o<strong>der</strong> Verfahren handelt,<br />

denn dabei können im Berei<strong>ch</strong> staatli<strong>ch</strong>er Ordnung Anwendungsbedingungen problematis<strong>ch</strong><br />

werden, die bei an<strong>der</strong>en Sa<strong>ch</strong>fragen o<strong>der</strong> kleineren Beteiligtengruppen<br />

keine S<strong>ch</strong>wierigkeiten aufwerfen. So müßte beispielsweise, wenn die Anwendung<br />

351 Dazu unten S. 171 ff. (<strong>Theorien</strong> zur Optimierung relativer Nutzenfaktoren).<br />

113


des Diskursprinzips in einem Modell deliberativer Politik an unvermeidbaren politis<strong>ch</strong>-realen<br />

Zwängen s<strong>ch</strong>eitern sollte, dies zu dem Rücks<strong>ch</strong>luß führen, daß ein realer<br />

Diskurs als Fundament gere<strong>ch</strong>ter sozialer Ordnung untaugli<strong>ch</strong> ist 352 .<br />

Do<strong>ch</strong> bleibt die Ergänzbarkeitsthese trotz ihrer insoweit bes<strong>ch</strong>ränkten Geltung<br />

wertvoll für alle Aussagen zur idealen Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, denn sol<strong>ch</strong>e<br />

Aussagen sind unabhängig davon ri<strong>ch</strong>tig o<strong>der</strong> fals<strong>ch</strong>, ob die realen Anwendungsbedingungen<br />

bestehen. Um beim Beispiel zu bleiben: Ein einzelner, im staatli<strong>ch</strong>en Rahmen<br />

ni<strong>ch</strong>t umsetzbarer realer Diskurs könnte keinen Zweifel daran begründen, daß ideale<br />

Diskurse als Mittel praktis<strong>ch</strong>er Erkenntnis grundsätzli<strong>ch</strong> taugli<strong>ch</strong> sind 353 . Das bedeutet<br />

im Ergebnis: Eine unvollständige Theorie kann das Bild eines <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sverständnisses<br />

für die staatli<strong>ch</strong>e Ordnung bereits in si<strong>ch</strong> tragen, ohne es im einzelnen zu<br />

explizieren. Sol<strong>ch</strong>e Unvollständigkeit ist zumindest für die ideale Begründung von<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> uns<strong>ch</strong>ädli<strong>ch</strong>, weil si<strong>ch</strong> eine Theorie ohne inhaltli<strong>ch</strong>e Än<strong>der</strong>ung um weitere<br />

Bausteine ergänzen und so zu einer umfassenden Theorie <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

vervollständigen läßt (Ergänzbarkeitsthese). Folgli<strong>ch</strong> können au<strong>ch</strong> allgemein<br />

formulierte <strong>Theorien</strong> über rationales Ents<strong>ch</strong>eiden sinnvoll als <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> untersu<strong>ch</strong>t werden 354 .<br />

b) Die Erweiterbarkeitsthese<br />

Bei <strong>der</strong> Erweiterbarkeitsthese geht es, vereinfa<strong>ch</strong>t gespro<strong>ch</strong>en, um die Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

von 'Pfli<strong>ch</strong>t' und 'Kür' in <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>. Gegenwärtige <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

sind auf eine vereinfa<strong>ch</strong>te Si<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Dinge konzentriert. Sie fragen<br />

nur na<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, bei <strong>der</strong> die definitionsgemäß relevanten 'an<strong>der</strong>en' 355<br />

aktuell und selbständig lebende Mens<strong>ch</strong>en sind, also we<strong>der</strong> Tiere, Pflanzen und unbelebte<br />

Entitäten, no<strong>ch</strong> Föten o<strong>der</strong> künftige Generationen. Die <strong>Theorien</strong> blenden<br />

damit die s<strong>ch</strong>wierige Frage aus, wel<strong>ch</strong>e Entitäten als Moralsubjekte und -objekte in Frage<br />

kommen 356 . Außerdem verzi<strong>ch</strong>ten sie auf eine Differenzierung na<strong>ch</strong> dem Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t<br />

und klammern damit die feministis<strong>ch</strong>e Theorie insgesamt aus 357 .<br />

352 Dazu unten S. 239 ff. (Diskursprinzip und deliberative Politik bei Habermas).<br />

353 Vgl. unten S. 218 ff. (idealer und realer Diskurs).<br />

354 Dazu unten S. 171 ff. (<strong>Theorien</strong> zur Optimierung relativer Nutzenfaktoren), S. 176 ff. (<strong>Theorien</strong><br />

zum Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt).<br />

355 Dazu oben S. 50 (D 1 ).<br />

356 Vgl. etwa I. Persson, Eine Basis für (Interspezies-)Glei<strong>ch</strong>heit (1994), S. 281 – <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> erfor<strong>der</strong>e,<br />

daß das Leben bestimmter ni<strong>ch</strong>tmens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Wesen den glei<strong>ch</strong>en Wert habe wie das von<br />

Mens<strong>ch</strong>en; T. Regan, Unre<strong>ch</strong>tmäßig erworbene Vorteile (1994), S. 308 ff. – zum Kriterium des inhärenten<br />

Wertes.<br />

357 Zur Kritik etwa M. Matsuda, Liberal Jurisprudence and Abstracted Visions of Human Nature<br />

(1986), S. 616: »Behind Rawls's veil, woman thinking, the terrifying Other, is abstracted out.«;<br />

I.M. Young, Impartiality and Civic Public (1987), S. 58: »[I]deals of liberalism and contract theory,<br />

su<strong>ch</strong> as formal equality and universal rationality, are deeply marred by masculine biases about<br />

what it means to be human and the nature of society.«; V. Held, Non-contractual Society (1987),<br />

S. 112 f.: »[C]ontractual relations ... discount in very fundamental ways the experience of women.«;<br />

C. Pateman, The Sexual Contract (1988), S. 1: »We hear an enormous amount about the social<br />

contract; a deep silence is maintained about the sexual contract. ... Standard accounts of the<br />

social contract theory do not discuss the whole story«; S.M. Okin, Justice, Gen<strong>der</strong>, and the Family<br />

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S<strong>ch</strong>on Rawls hat bewußt offen gelassen, ob <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> und Ungere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

gegenüber ni<strong>ch</strong>tmens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Entitäten (Tieren, Pflanzen, unbelebten Naturobjekten)<br />

mögli<strong>ch</strong> ist und damit Gegenstand einer umfassenden <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie sein<br />

sollte. Au<strong>ch</strong> hat er die spezifis<strong>ch</strong>en Ungere<strong>ch</strong>tigkeiten in <strong>der</strong> Unglei<strong>ch</strong>behandlung<br />

<strong>der</strong> Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter ni<strong>ch</strong>t aufgegriffen. Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> zwis<strong>ch</strong>en Generationen ist<br />

zwar Bestandteil seiner Theorie, hat si<strong>ch</strong> aber seitdem innerhalb <strong>der</strong> Diskussion verselbständigt<br />

358 . Au<strong>ch</strong> die internationale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> war bei Rawls ni<strong>ch</strong>t behandelt,<br />

son<strong>der</strong>n ist, wie alle diese Gegenstände, erst als Erweiterung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie<br />

diskutiert worden 359 . Rawls hat die Bes<strong>ch</strong>ränkung des Gegenstandsberei<strong>ch</strong>es<br />

damit gere<strong>ch</strong>tfertigt, daß eine zunä<strong>ch</strong>st bes<strong>ch</strong>eidener konzipierte Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

si<strong>ch</strong> später erweitern lasse 360 . Diese Erweiterbarkeitsthese ist implizit Bestandteil<br />

all jener <strong>Theorien</strong>, die si<strong>ch</strong> auf einen Grundkanon von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen kon-<br />

(1989), S. 89: »critiquing Rawls's theory for its neglect of gen<strong>der</strong>«; dies., Political Liberalism, Justice,<br />

and Gen<strong>der</strong> (1994), S. 24 ff.; S. Benhabib, Der verallgemeinerte und <strong>der</strong> konkrete An<strong>der</strong>e (1989),<br />

S. 462: »Zu Beginn <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen moralis<strong>ch</strong>en und politis<strong>ch</strong>en Theorie [erfolgte] die Ausklammerung<br />

von Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tsbeziehungen aus dem Umfeld des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffs überhaupt.«; H.<br />

Nagl-Docekal, Die Kunst <strong>der</strong> Grenzziehung und die Familie (1995), S. 261: »Klis<strong>ch</strong>eebild des männli<strong>ch</strong>en<br />

Haushaltsvorstands«; H. Pauer-Stu<strong>der</strong>, Das An<strong>der</strong>e <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1996), S. 20: »Au<strong>ch</strong><br />

um die mo<strong>der</strong>ne Theorie steht es ni<strong>ch</strong>t besser: Bis auf ganz wenige Ausnahmen haben die zeitgenössis<strong>ch</strong>en<br />

Moralphilosophen si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t gefragt, ob die von ihnen entwickelten Grundsätze, Thesen<br />

und Modelle Frauen als Moralsubjekte berücksi<strong>ch</strong>tigen.«; S. Baer, Würde o<strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heit?<br />

(1996), S. 163: »Frauen ... vers<strong>ch</strong>winden hinter dem S<strong>ch</strong>leier des Ni<strong>ch</strong>twissens komplett und sie<br />

hatten nie Stimmen im Diskurs.«; S. Hekman, Truth and Method (1997), S. 341 (mit Bezug auf Hartsock):<br />

»[I]t is women's unique standpoint in society that provides the justification for the truth<br />

claims of feminism.«<br />

358 Vgl. z.B. M. Brumlik, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> zwis<strong>ch</strong>en Generationen (1995); D.E. Lee, Generations and the<br />

Challenge of Justice (1996), S. 54 ff. – zum Fehlen eines Alterkontinuums in den U.S.A. zwis<strong>ch</strong>en<br />

<strong>der</strong> 'World War II Generation' (1906-25, 8,4% in 1994), <strong>der</strong> 'Silent Generation' (1926-1945, 17%), <strong>der</strong><br />

'Baby-Boom-Generation' (1946-1965, 30,9%), <strong>der</strong> 'Generation X' (1966-1985, 28,4%) und <strong>der</strong> 'Twenty-First-Century<br />

Generation' (1986-, 14,8%). Diese getrennte Problemstellung gilt allgemein in <strong>der</strong><br />

Moraltheorie; vgl. D. Parfit, Reasons and Persons (1984), S. 351 ff. – Zeitabhängigkeit moralis<strong>ch</strong>er<br />

Ansprü<strong>ch</strong>e als Son<strong>der</strong>problem.<br />

359 Insbeson<strong>der</strong>e für die internationale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>: T.W. Pogge, Realizing Rawls (1989) – Erweiterung<br />

von Rawls' <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie auf den internationalen Maßstab. Rawls hat später einen<br />

eigenen Entwurf für die internationale Erweiterung seiner Theorie präsentiert: J. Rawls, Das Völkerre<strong>ch</strong>t<br />

(1993), S. 53 ff. (59 ff.). An<strong>der</strong>e Beispiele: D.W. Skubik, Two Models for a Rawlsian Theory<br />

of International Law and Justice (1986), S. 231 ff.; F. R. Tesón, The Kantian Theory of International<br />

Law (1992), S. 53 ff.; C. Chwaszcza, Ethik <strong>der</strong> Internationalen Beziehungen (1996), S. 155 ff. m.w.N.<br />

Kritis<strong>ch</strong> zur Verwendung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien als Legitimationsmaßstab internationalen<br />

Re<strong>ch</strong>ts T.M. Franck, The Power of Legitimacy Among Nations (1990), S. 208 ff. In <strong>der</strong> religiös-materialen<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie von E. Brunner, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1943), S. 268 wurde 'Die gere<strong>ch</strong>te<br />

Völkerordnung' hingegen von Anbeginn als integraler Bestandteil angesehen. Die von Rawls eingeführte<br />

Trennung von nationaler und internationaler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, die si<strong>ch</strong> fast überall dur<strong>ch</strong>gesetzt<br />

hat, kann deshalb jedenfalls ni<strong>ch</strong>t als zwingend angesehen werden. Vgl. O. O'Neill, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>,<br />

Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terdifferenz und internationale Grenzen (1993), S. 425 – 'unliebsame Wahl'<br />

zwis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgrundsätzen mit kosmopolitis<strong>ch</strong>em Anspru<strong>ch</strong> und einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>,<br />

die an den Staatsgrenzen halt ma<strong>ch</strong>t.<br />

360 J. Rawls, Political Liberalism (1993), S. 20: »We may think of these problems as questions of extension.«<br />

115


zentrieren, ohne die weitergehenden Fragen, die ebenfalls zur politis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

gehören 361 , begründet auszus<strong>ch</strong>ließen.<br />

Die Erweiterbarkeitsthese ist ni<strong>ch</strong>t trivial. So hat Walzer mit Re<strong>ch</strong>t darauf hingewiesen,<br />

daß <strong>der</strong> Nationalstaat keine abges<strong>ch</strong>lossene Distributionswelt ist 362 . Wenn<br />

aber die Güterverteilung zwangsläufig territorialstaatli<strong>ch</strong>e Grenzen sprengt, dann<br />

muß au<strong>ch</strong> eine Therorie über gere<strong>ch</strong>te Güterverteilung den Rahmen einer politis<strong>ch</strong>en,<br />

d.h. heute immer no<strong>ch</strong> primär staatli<strong>ch</strong>en, Sozialordnung zugunsten einer internationalen<br />

Perspektive öffnen, wenn sie den Anspru<strong>ch</strong> auf Vollständigkeit erheben<br />

will. Angesi<strong>ch</strong>ts <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>wierigkeiten, die damit verbunden sind, überhaupt eine<br />

Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> zu begründen, ist es bei aller Kritik verständli<strong>ch</strong>, wenn zunä<strong>ch</strong>st<br />

dur<strong>ch</strong>weg von dem vereinfa<strong>ch</strong>ten Modell ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tsloser, gegenwärtig leben<strong>der</strong><br />

Mens<strong>ch</strong>en in einem Nationalstaat ausgegangen wird und die weiteren Probleme, insbeson<strong>der</strong>e<br />

die in <strong>der</strong> feministis<strong>ch</strong>en Jurisprudenz betonte Ungere<strong>ch</strong>tigkeit zwis<strong>ch</strong>en<br />

den Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tern, vorerst aus dem Grundkanon <strong>der</strong> Theorie ausgeklammert bleiben.<br />

Do<strong>ch</strong> bevor eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie, die zunä<strong>ch</strong>st nur für die Grundfragen<br />

<strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> Ergebnisse gefundenen hat, auf die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> zwis<strong>ch</strong>en<br />

Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tern, Naturentitäten, Generationen, Nationen o<strong>der</strong> Völkern übertragen<br />

wird, muß die Kritik wie<strong>der</strong> in Erinnerung gerufen werden 363 . Es besteht immer<br />

die Gefahr, daß eine Theorie si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t verzerrungsfrei auf die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> unter<br />

Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tern, gegenüber <strong>der</strong> Natur o<strong>der</strong> zwis<strong>ch</strong>en den Generationen o<strong>der</strong> Nationen<br />

übertragen läßt. S<strong>ch</strong>on Rawls hat zugestanden, daß eine Theorie dann unter Umständen<br />

revidiert werden muß 364 . Do<strong>ch</strong> es könnte mehr als eine bloße Revision nötig<br />

werden. Je na<strong>ch</strong>dem, auf wel<strong>ch</strong>e Voraussetzungen si<strong>ch</strong> eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie<br />

stützt, kann die implizite Erweiterbarkeitsthese insgesamt s<strong>ch</strong>eitern. Wenn etwa die<br />

feministis<strong>ch</strong>e These zutreffen sollte, daß es eine spezifis<strong>ch</strong> weibli<strong>ch</strong>e Form praktis<strong>ch</strong>er<br />

Vernunft gibt 365 , dann wäre damit jede ni<strong>ch</strong>tfeministis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie<br />

aus den Angeln gehoben.<br />

Alle Eins<strong>ch</strong>ränkungen zusammen definieren den Kreis <strong>der</strong> Gegenstände, die in<br />

den hier zu untersu<strong>ch</strong>enden <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien behandelt werden. Es geht zunä<strong>ch</strong>st<br />

nur um politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> unter aktuell lebenden Mens<strong>ch</strong>en ohne Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

des Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ts. Fragen <strong>der</strong> Naturgere<strong>ch</strong>tigkeit, Generationengere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

o<strong>der</strong> Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tergere<strong>ch</strong>tigkeit kann man demgegenüber als Erweiterungen von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

verstehen.<br />

361 Etwas an<strong>der</strong>s O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 51 f., <strong>der</strong> zwar das Verhältnis <strong>der</strong> Staaten<br />

zueinan<strong>der</strong> und das Verhältnis <strong>der</strong> Lebenden zu den künftigen Generationen in den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff<br />

einbezogen wissen will, wegen 'Asymmetrie' aber ni<strong>ch</strong>t das Verhältnis zu unzure<strong>ch</strong>nungsfähigen<br />

Entitäten <strong>der</strong> Natur.<br />

362 M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 61.<br />

363 Dazu unten S. 358 ff. (Fünfter Teil).<br />

364 J. Rawls, Political Liberalism (1993), S. 20: »Other questions we can discuss later, and how we<br />

answer them may require us to revise answers already rea<strong>ch</strong>ed.«<br />

365 So z.B. A.M. Jaggar, Toward a Feminist Conception of Moral Reasoning (1995), S. 115 ff. m.w.N.<br />

Jaggar vertritt die These, es gebe einen 'Feministis<strong>ch</strong>en Praktis<strong>ch</strong>en Dialog' (FPD), <strong>der</strong> die Diskurstheorie<br />

von Habermas aufgreift, um sie auf ein empiris<strong>ch</strong>, begriffli<strong>ch</strong>, moralis<strong>ch</strong> und pragmatis<strong>ch</strong><br />

an<strong>der</strong>es Verständnis moralis<strong>ch</strong>er Begründung zu übertragen.<br />

116


c) Die Mindestgehaltsthese<br />

Letztli<strong>ch</strong> bleiben fünf Themenkreise, die jede Theorie politis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> behandeln<br />

muß, um staatli<strong>ch</strong>e Ordnung umfassend zu würdigen. Man kann insoweit<br />

von einem substantiellen Mindestgehalt <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Gere<strong>ch</strong>igkeitstheorien spre<strong>ch</strong>en<br />

(Mindestgehaltsthese). Diese Mindestgehaltsthese wird im letzten Teil dieser Arbeit<br />

als Ausgangspunkt für die Grundzüge einer Diskurstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

wie<strong>der</strong> aufgegriffen 366 . Der 'Mindestgehalt' läßt si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>lagwortartig dur<strong>ch</strong> die Begriffe<br />

'Begründungsmodell', 'Institutionalisierung', 'Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te', 'Demokratie'<br />

und 'Güterverteilung' bezei<strong>ch</strong>nen 367 .<br />

Ein Begründungsmodell ist nötig, weil die Explikation von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er<br />

Weise auf eine Konzeption <strong>der</strong> allgemeinen praktis<strong>ch</strong>en Vernunft gestützt<br />

werden kann. Die Institutionalisierung betrifft die Frage, warum es gere<strong>ch</strong>t ist,<br />

daß eine staatli<strong>ch</strong>e Zwangsordnung überhaupt besteht. Dabei geht es um die Verteidigung<br />

von Re<strong>ch</strong>tspfli<strong>ch</strong>ten gegenüber Konzepten des Anar<strong>ch</strong>ismus – ein Kernproblem<br />

<strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie 368 . Für die Ma<strong>ch</strong>tkontrolle innerhalb einer staatli<strong>ch</strong>en<br />

Zwangsordnung ist sodann bedeutsam, ob und in wel<strong>ch</strong>em Umfang bestimmte<br />

Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te <strong>der</strong> Regelungskompetenz <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>ts- und Staatsordnung entzogen<br />

sein müssen. Mit <strong>der</strong> Thematisierung von Demokratie ist s<strong>ch</strong>lagwortartig die Frage<br />

gestellt, wel<strong>ch</strong>en Anteil die Betroffenen an <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidung über staatli<strong>ch</strong>e Belange<br />

haben müssen. Und s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> ist mit Güterverteilung die Frage <strong>der</strong> 'sozialen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>'<br />

aufgeworfen, also einerseits <strong>der</strong> Mindestausstattung mit Gütern, die in einer<br />

Sozialordnung für alle gewährleistet sein muß, und an<strong>der</strong>erseits <strong>der</strong> staatli<strong>ch</strong>en Befugnisse<br />

und Pfli<strong>ch</strong>ten, eine ausglei<strong>ch</strong>ende Umverteilung von Gütern zu bewirken.<br />

Bei <strong>der</strong> Beantwortung dieser fünf Fragen kann si<strong>ch</strong> eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie<br />

ni<strong>ch</strong>t darauf bes<strong>ch</strong>ränken, einzelne staatli<strong>ch</strong>e Gemeinwesen zu untersu<strong>ch</strong>en. Denn<br />

366 Dazu unten S. 309 (Fünf Fragen politis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

367 Ähnli<strong>ch</strong>keit zu diesem Fragenkatalog haben die drei Stufen <strong>der</strong> Philosophie des Politis<strong>ch</strong>en bei<br />

O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 33 f. Au<strong>ch</strong> Höffe kann insoweit als Vertreter einer Mindestgehaltsthese<br />

angesehen werden. Au<strong>ch</strong> F. Bydlinski, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als re<strong>ch</strong>tspraktis<strong>ch</strong>er Maßstab<br />

(1996), S. 149 ff. hebt die Fragen <strong>der</strong> Freiheit (hier: Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te, Demokratie) und sozialen<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (hier: Güterverteilung) als speziellere <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprobleme außergewöhnli<strong>ch</strong>er<br />

Komplexität hervor.<br />

368 Vgl. V. Medina, Social Contract Theories (1990), S. 135 ff. sowie S. 111: »In short, social contract<br />

theorists are addressing at least two major questions: Whom should we obey? And why?« <strong>Theorien</strong><br />

<strong>der</strong> 'geordneten Anar<strong>ch</strong>ie' (z.B. Bu<strong>ch</strong>anan, dazu unten S. 177 – Ideal einer geordneten Anar<strong>ch</strong>ie)<br />

sind ni<strong>ch</strong>t dasselbe wie das reine anar<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Ideal einer völligen Herrs<strong>ch</strong>aftslosigkeit, die<br />

zur Absage an jede Staatli<strong>ch</strong>keit führen muß; vgl. dazu M.A. Bakunin, Staatli<strong>ch</strong>keit und Anar<strong>ch</strong>ie<br />

(1873), S. 278: »Wer Staat sagt, sagt notwendigerweise Unterdrückung und folgli<strong>ch</strong> Sklaverei; ein<br />

Staat ohne Sklaverei, offen o<strong>der</strong> vers<strong>ch</strong>leiert, ist undenkbar, deshalb sind wir Feinde des Staates.«;<br />

sowie ebd., S. 308: »Auf <strong>der</strong> pangermanis<strong>ch</strong>en Fahne steht ges<strong>ch</strong>rieben: Erhaltung und Stärkung des<br />

Staates um jeden Preis; auf <strong>der</strong> Fahne <strong>der</strong> sozialen Revolution, auf unserer Fahne, wird dagegen mit<br />

Bu<strong>ch</strong>staben aus Feuer und Blut ges<strong>ch</strong>rieben stehen: Zerstörung aller Staaten, Abs<strong>ch</strong>affung <strong>der</strong> bürgerli<strong>ch</strong>en<br />

Kultur, spontane Organisation von unten na<strong>ch</strong> oben mit Hilfe freier Assoziationen befreiter Arbeitermassen<br />

und <strong>der</strong> gesamten Mens<strong>ch</strong>heit und Gründung einer neuen mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aft.« (Hervorhebung<br />

bei Bakunin). Ähnli<strong>ch</strong> ents<strong>ch</strong>lossen P.J. Proudhon, Philosophie <strong>der</strong> Staatsökonomie<br />

(1846), Bd. 2, S. 213: »Das Eigenthum ist eine Einri<strong>ch</strong>tung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, und das Eigenthum<br />

ist <strong>der</strong> Diebstahl.« (Hervorhebung bei Proudhon).<br />

117


dadur<strong>ch</strong> würde die Theorie zeitli<strong>ch</strong>-räumli<strong>ch</strong> so kontingent, daß sie die Aufgabe <strong>der</strong><br />

Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr sinnvoll erfüllen könnte. Der Mindestgehalt<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien, die hier untersu<strong>ch</strong>t werden sollen, besteht also darin,<br />

Antworten auf die fünf Fragen zu bieten, die zeitli<strong>ch</strong> und räumli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t kontingent<br />

und in diesem Sinne universell sind. Au<strong>ch</strong> in den abs<strong>ch</strong>ließend vorzustellenden<br />

Grundzügen einer Diskurstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> wird auf diese fünf Themenkreise<br />

<strong>der</strong> Mindestgehaltsthese zurückzukommen sein 369 .<br />

IV. Ergebnisse<br />

Unter den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien sind diejenigen beson<strong>der</strong>s bedeutsam, die si<strong>ch</strong> mit<br />

politis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> befassen (S<strong>ch</strong>werpunktthese). Sie werden gemeinhin na<strong>ch</strong><br />

dem Darstellungsmittel klassifiziert (Vertrag, Beoba<strong>ch</strong>ter, Diskurs). Eine sol<strong>ch</strong>e Einteilung<br />

ist allein wenig aussagekräftig, weil praktis<strong>ch</strong> je<strong>der</strong> Inhalt im Gewand einer<br />

Vertragstheorie präsentiert werden kann (Indifferenzeinwand). Dagegen vermag die<br />

Klassifizierung na<strong>ch</strong> Grundpositionen <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie die unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en<br />

Konzeptionen <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft, die von den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

jeweils verfolgt werden, besser zu betonen. Sowohl die Formen des Vernunftgebrau<strong>ch</strong>s<br />

(pragmatis<strong>ch</strong>, ethis<strong>ch</strong>, moralis<strong>ch</strong>) als au<strong>ch</strong> die in den <strong>Theorien</strong> verwendeten<br />

Darstellungsmittel (Vertrag, Beoba<strong>ch</strong>ter, Diskurs) sind demgegenüber untergeordnete<br />

Unters<strong>ch</strong>eidungskriterien.<br />

Trotz des sehr unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Anwendungsberei<strong>ch</strong>s, den <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> behandeln (Mikro-, Meso-, Makrotheorien), bleiben sie verglei<strong>ch</strong>bar<br />

(Skalierbarkeitsthese). Eine vollständige Theorie <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

muß mindestens die fünf Themenkreise 'Begründungsmodell', 'Institutionalisierung',<br />

'Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te', 'Demokratie' und 'Güterverteilung' behandeln (Mindestgehaltsthese).<br />

Als beson<strong>der</strong>e, ni<strong>ch</strong>t zum Mindestkanon gehörige Themenkreise können die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

gegenüber <strong>der</strong> Natur, in <strong>der</strong> Völkergemeins<strong>ch</strong>aft, gegenüber zukünftigen<br />

Generationen und unter den Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tern gelten. In <strong>der</strong> Regel läßt si<strong>ch</strong> eine unvollständige<br />

Theorie ohne Argumentationsbru<strong>ch</strong> vervollständigen (Ergänzbarkeitsthese)<br />

und verliert ihre Gültigkeit ni<strong>ch</strong>t dadur<strong>ch</strong>, daß sie na<strong>ch</strong>trägli<strong>ch</strong> auf die beson<strong>der</strong>en<br />

Themenkreise ausgedehnt wird (Erweiterbarkeitsthese).<br />

C. <strong>Prozedurale</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

Das Beson<strong>der</strong>e an prozeduralen <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist, daß sie si<strong>ch</strong> wesentli<strong>ch</strong><br />

auf ein Verfahren stützen, um <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> zu begründen 370 . Damit setzen sie voraus,<br />

daß überhaupt <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> mit <strong>der</strong> Einhaltung von Verfahrensregeln begründet<br />

werden kann. Eine sol<strong>ch</strong>e Konzeption <strong>der</strong> dur<strong>ch</strong> Verfahren begründbaren <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

wird allgemein 'prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' (procedural justice) – in man<strong>ch</strong>en<br />

Aspekten au<strong>ch</strong> 'natürli<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' (natural justice) 371 – genannt. Sie fun-<br />

369 Dazu unten S. 309 ff. (Fünf Fragen politis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien).<br />

370 Dazu im einzelnen unten S. 132 ff. (prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien).<br />

371 So bei dem von R.S. Summers und J.R. Lucas entwickelten Katalog von Ents<strong>ch</strong>eidungsregeln <strong>der</strong><br />

natürli<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>; J.R. Lucas, Principles of Politics (1966), S. 130: »The rules of Natural Ju-<br />

118


giert in normativen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien in vers<strong>ch</strong>iedenen Formen, <strong>der</strong>en genaue<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung für die Untersu<strong>ch</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Theorien</strong> wi<strong>ch</strong>tig ist. Na<strong>ch</strong> einer allgemeinen<br />

Definition <strong>der</strong> prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (I) und des eng mit ihr verbundenen<br />

Fairneßbegriffs (II) sind darum vorerst die vier Ers<strong>ch</strong>einungsformen (III) und ihre<br />

Funktion in <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien zu klären (IV), bevor auf diesem Fundament<br />

über Begriff und Klassifizierung von prozeduralen <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> gespro<strong>ch</strong>en<br />

werden kann.<br />

I. Eine Definition <strong>der</strong> prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (D M D 3 )<br />

Eine alle Einzelformen umfassende Definition des Begriffs <strong>der</strong> prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

kann in Abgrenzung zum Begriff <strong>der</strong> materialen (substantiellen) <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

vorgenommen werden:<br />

D M :<br />

D 3 :<br />

Materiale (substantielle) <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

eines Ergebnisses (Ergebnisgere<strong>ch</strong>tigkeit). 372<br />

<strong>Prozedurale</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist diejenige För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

Ergebnisgere<strong>ch</strong>tigkeit, die dur<strong>ch</strong> Verfahren errei<strong>ch</strong>t wird<br />

(Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit). 373<br />

Die Definition ist mit dem Kriterium <strong>der</strong> 'För<strong>der</strong>ung' bewußt s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong> gewählt, damit<br />

alle Formen <strong>der</strong> Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit mit ihren gemeinsamen Elementen erfaßt<br />

werden. Vor einer Erörterung dieser Formen ist darauf hinzuweisen, daß es neben<br />

einer objektiven au<strong>ch</strong> eine subjektive prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> gibt, die vor allem<br />

in Studien <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tssoziologie und Sozialpsy<strong>ch</strong>ologie untersu<strong>ch</strong>t wird 374 . Während<br />

die Qualifikation als 'objektiv' die Eignung einer Prozedur bezei<strong>ch</strong>net, normatistice<br />

are general rules of procedure designed to prevent certain sorts of injustice, particularly in<br />

individual cases. They have been formulated with legal adjudications in view rather than any<br />

other sort of political dispute, but they should not be restricted to disputes that are decided by the<br />

courts of law. The rules of Natural Justice require that no man shall be judge in his own cause;<br />

that the judge shall hear both sides of the case; that the judge shall give full consi<strong>der</strong>ation to the<br />

case; that the judge shall exclude all irrelevant consi<strong>der</strong>ations from his mind while rea<strong>ch</strong>ing a decision;<br />

that like cases shall be decided alike; that cases once settled shall not be reopened, though,<br />

according to some authorities, there should be some right of appeal; that not only shall justice be<br />

done but that it shall be seen to be done; that the judgement shall include not only the bare decision,<br />

but the reasons whi<strong>ch</strong> led to it.« Zum anglo-amerikanis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>gebrau<strong>ch</strong> vgl. H.L.A. Hart,<br />

Concept of Law (1961), S. 156: »[T]he procedural standards su<strong>ch</strong> as 'audi alteram partem' 'let no one<br />

be a judge in his own cause' are thought of as requirements of justice, and in England and America<br />

are often referred to as principles of Natural Justice.« (Hervorhebung bei Hart).<br />

372 Die englis<strong>ch</strong>spra<strong>ch</strong>ige Literatur benutzt die Termini 'material justice' und 'substantive justice'.<br />

373 Die englis<strong>ch</strong>spra<strong>ch</strong>ige Literatur benutzt statt 'proedural justice' gelegentli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> einfa<strong>ch</strong> 'fairness',<br />

wobei allerdings hier 'fairness at large' gemeint ist, ni<strong>ch</strong>t hingegen bloße Regeleinhaltung ('procedural<br />

fairness'). Dazu unten S. 121 (Begriff <strong>der</strong> Fairneß).<br />

374 K.F. Röhl, Procedural Justice (1997), S. 3 ff.; H.W. Bierhoff, Sozialpsy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

(1996), S. 1 ff.<br />

119


ven Standards <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> zu genügen 375 , ist 'subjektiv' die Eignung einer Prozedur,<br />

na<strong>ch</strong> Meinung <strong>der</strong> Beteiligten gere<strong>ch</strong>te Ergebnisse hervorzubringen. Subjektive<br />

prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist maßgebli<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> Verfahrenserwartungen bestimmt 376 .<br />

Zahlrei<strong>ch</strong>e Faktoren beeinflussen sol<strong>ch</strong>e Erwartungen und werden in <strong>der</strong> empiris<strong>ch</strong>en<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfors<strong>ch</strong>ung untersu<strong>ch</strong>t – beispielsweise die Verfahrenskontrolle<br />

dur<strong>ch</strong> die Beteiligten (process control), die Ergebniskontrolle (decision control), gute<br />

Behandlung (dignity factors), allgemeine Beteiligung (voice), Unvoreingenommenheit<br />

(impartiality factors), Glei<strong>ch</strong>behandlung (equality factor), Ergebniserwartungen (entitlement)<br />

o<strong>der</strong> Hoffnungen auf einen guten Ausgang (relative outcome) 377 . Es ist mögli<strong>ch</strong>,<br />

daß subjektive Verfahrenserwartungen und objektive Verfahrenseignung in einen<br />

Zielkonflikt geraten, wenn etwa dem Ri<strong>ch</strong>ter mehr Spielraum eingeräumt wird, um<br />

im Einzelfall eine gere<strong>ch</strong>tere Ents<strong>ch</strong>eidung mögli<strong>ch</strong> zu ma<strong>ch</strong>en, diese Flexibilität aber<br />

aus Si<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Beteiligten die 'Würde des Verfahrens' min<strong>der</strong>t 378 .<br />

Subjektive prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> hat Überzeugungsfunktion, umfaßt also alle<br />

prozeduralen Elemente, die geeignet sind, eine Akzeptanz <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidung bei<br />

den Beteiligten tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> herbeizuführen 379 . Dabei kann es si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> um bloß symbolis<strong>ch</strong>e<br />

Elemente handeln, etwa die Gestaltung des Geri<strong>ch</strong>tsraums, das Tragen einer<br />

Robe o<strong>der</strong> die erhöhte Position des Ri<strong>ch</strong>ters sowie formale Abläufe des einzelnen<br />

Prozesses o<strong>der</strong> ganz allgemein die juristis<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>e 380 . Wenn etwa die Parteien eines<br />

Zivilstreits au<strong>ch</strong> deshalb von <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> des Prozeßergebnisses überzeugt<br />

sind, weil die Würde des Geri<strong>ch</strong>ts dur<strong>ch</strong> eine erhöhte Sitzposition unterstri<strong>ch</strong>en<br />

wird, dann genügt diese Überzeugungswirkung, um das Podest als Verfahrenselement<br />

einer subjektiven prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> anzusehen, selbst wenn objektive<br />

Auswirkungen auf das Prozeßergebnis ni<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong>weisbar sind. Zwar sind Verfahrenselemente,<br />

die subjektiv vertrauensbildend wirken, meist au<strong>ch</strong> objektiv einer ri<strong>ch</strong>tigen<br />

Ents<strong>ch</strong>eidung dienli<strong>ch</strong> (z.B. <strong>der</strong> Anspru<strong>ch</strong> bei<strong>der</strong> Parteien auf re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>es Gehör<br />

– audiatur et altera pars). Do<strong>ch</strong> ist dieser Zusammenhang ni<strong>ch</strong>t zwingend. Deshalb<br />

bleibt die subjektive prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in den hier interessierenden normativen<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien regelmäßig ausgeklammert. Subjektive prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

wird – genau wie <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>ssinn, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgefühle, Empathie<br />

und Intuition – im Rahmen dieser Arbeit nur am Rande eine Rolle spielen 381 . Im<br />

375 E. A. Lind/T. R. Tyler, The Social Psy<strong>ch</strong>ology of Procedural Justice, S. 3.<br />

376 K.F. Röhl, Procedural Justice (1997), S. 4.<br />

377 Zu den Faktoren und ihrer empiris<strong>ch</strong>en Untersu<strong>ch</strong>ung im Geltungsberei<strong>ch</strong> <strong>der</strong> deuts<strong>ch</strong>en Zivilprozeßordnung<br />

siehe C. Rennig, Subjective Procedural Justice and Civil Procedure (1997), S. 207 ff.<br />

(218 ff.); allgemein H.W. Bierhoff, Sozialpsy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1996), S. 8 f.<br />

378 Zu diesem Beispiel C. Rennig, Subjective Procedural Justice and Civil Procedure (1997), S. 218 f.<br />

379 Im englis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>gebrau<strong>ch</strong> wird diese tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Akzeptanz übli<strong>ch</strong>erweise als Legitimität<br />

(legitimacy) bezei<strong>ch</strong>net und von <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Begründbarkeit im Sinne einer vernünftigen<br />

Re<strong>ch</strong>tfertigung (Legitimation, legitimation) unters<strong>ch</strong>ieden.<br />

380 Zu Verhaltenskonsistenz, Vertrauen und Würde als Faktoren, die zur subjektiven prozeduralen<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> beitragen siehe C. Rennig, Subjective Procedural Justice and Civil Procedure (1997),<br />

S. 221 f. m.w.N.<br />

381 Relevanz für normative <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien kann etwa dort bestehen, wo die <strong>Theorien</strong> auf intuitive<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteile als Begründungselement zurückgreifen. Vgl. etwa zum Überlegungsglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t<br />

bei Rawls unten S. 284 ff. (kantis<strong>ch</strong>e Sozialvertragstheorien).<br />

120


folgenden ist mit prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> nur die objektive prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

gemeint.<br />

II. Der Begriff <strong>der</strong> Fairneß (D 3 ' D F )<br />

Es gibt drei konstitutive Elemente <strong>der</strong> prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>: Erstens müssen<br />

die Anwendungsbedingungen des Verfahrens vorliegen, also alle sogenannten Hintergrundbedingungen,<br />

die eine Anwendbarkeit des Verfahrens überhaupt erst ermögli<strong>ch</strong>en<br />

(background circumstances) 382 . Zweitens müssen die Verfahrensregeln korrekt<br />

eingehalten werden, wozu ihre ri<strong>ch</strong>tige Interpretation gehört (procedural fairness)<br />

383 . Drittens s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> muß – und dies ist das anspru<strong>ch</strong>svollste Element – das<br />

Verfahren selbst als gere<strong>ch</strong>tigkeitsför<strong>der</strong>nd begründet sein (fairness as su<strong>ch</strong>, fairness of<br />

the procedure). Erst die gemeinsame Implementation aller drei Elemente (Hintergrundbedingungen,<br />

Regeleinhaltung, Verfahrensbegründung) bewirkt prozedurale<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>. Die Definition <strong>der</strong> prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in D 3 muß also genauer<br />

wie folgt verstanden werden:<br />

D 3 ':<br />

<strong>Prozedurale</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist diejenige För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

Ergebnisgere<strong>ch</strong>tigkeit, die unter den Anwendungsbedingungen<br />

eines als gere<strong>ch</strong>tigkeitsför<strong>der</strong>nd begründeten<br />

Verfahrens dur<strong>ch</strong> die korrekte Einhaltung <strong>der</strong> Verfahrensregeln<br />

errei<strong>ch</strong>t wird.<br />

Die Elemente werden häufig als Fairneßelemente von Verfahren bezei<strong>ch</strong>net, d.h. als<br />

Hintergrundfairneß (background fairness), Anwendungsfairneß (procedural fairness)<br />

und Prozedurfairneß (fairness of the procedure). Der Begriff <strong>der</strong> Fairneß wird damit<br />

zum S<strong>ch</strong>lüsselbegriff <strong>der</strong> prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>. Angesi<strong>ch</strong>ts <strong>der</strong> s<strong>ch</strong>illernden<br />

Vielfalt <strong>der</strong> Wortbedeutungen 384 kann nur eine weite Begriffsbestimmung alle Gehalte<br />

adäquat einfangen:<br />

382 B. Barry, Political Argument (1965), S. 98 f.: »Background Fairness [asks] whether the background<br />

conditions are satisfactory. ... Procedural fairness rules out one boxer having a piece of lead inside<br />

his gloves, but background fairness would also rule out any undue disparity in the weight of the<br />

boxers«.<br />

383 B. Barry, Political Argument (1965), S. 97: »Procedural Fairness. To say that a procedure is being<br />

fairly operated is to say that the formalities whi<strong>ch</strong> define the procedure have been correctly adhered<br />

to.« Gelegentli<strong>ch</strong> wird in dieser Ri<strong>ch</strong>tung aus sozialpsy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t außerdem 'interaktionale<br />

Fairneß' gefor<strong>der</strong>t: H.W. Bierhoff, Sozialpsy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

(1996), S. 1 – Wenn man die Prozedur als abstrakt-generelle Verfahrensklasse (z.B. das Verfahren<br />

na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Strafprozeßordnung) von ihrer Implementation in <strong>der</strong> konkret-individuellen Interaktion<br />

(z.B. einem Strafprozeß) unters<strong>ch</strong>eidet, so ergibt si<strong>ch</strong> die Sequenz 'Prozedur – Interaktion – Ergebnis',<br />

bei dem die interaktionale Fairneß in <strong>der</strong> psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong> besten Umsetzung prozeduraler<br />

Fairneß liegt, etwa dur<strong>ch</strong> Höfli<strong>ch</strong>keit und Ungezwungenheit.<br />

384 Zu den vers<strong>ch</strong>iedenen Fairneßbegriffen aus sozialpsy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t etwa H.W. Bierhoff, Sozialpsy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>e<br />

<strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1996), S. 1 ff.; aus re<strong>ch</strong>tsdogmatis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t P.J.<br />

Tettinger, Fairneß und Waffenglei<strong>ch</strong>heit (1984), S. 2 ff.; <strong>der</strong>s., Fairness als Re<strong>ch</strong>tsbegriff (1997), S.<br />

578 ff. m.w.N.; außerdem J. Berkemann, Fairneß als Re<strong>ch</strong>tsprinzip (1989), S. 223 ff.; D. Steiner, Das<br />

Fairneßprinzip im Strafprozeß (1995), S. 31 ff.<br />

121


D F :<br />

Fairneß ist <strong>der</strong> Inbegriff <strong>der</strong> Verfahrensri<strong>ch</strong>tigkeit bei sol<strong>ch</strong>en<br />

Prozeduren und ihrer Dur<strong>ch</strong>führung (Prozeß), die<br />

selbst ri<strong>ch</strong>tigkeitsorientiert sind.<br />

Die Fairneß in D F ist verfahrensbezogen und dadur<strong>ch</strong> immer inhaltsunabhängig. Im<br />

Sinne dieser Inhaltsunabhängigkeit können beispielsweise politis<strong>ch</strong>e Parteien im<br />

Wahlkampf 'Fairneßabkommen' s<strong>ch</strong>ließen, ohne <strong>der</strong> inhaltli<strong>ch</strong>en Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

ihre S<strong>ch</strong>ärfe zu nehmen 385 . Dieser verfahrensbezogene Fairneßbegriff <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en<br />

Philosophie ist ni<strong>ch</strong>t identis<strong>ch</strong> mit dem Fairneßbegriff <strong>der</strong> englis<strong>ch</strong>en Umgangsspra<strong>ch</strong>e,<br />

denn dort steht 'Fairneß' außerdem no<strong>ch</strong> für die Ri<strong>ch</strong>tigkeit eines Ergebnisses<br />

386 . In D F ist 'Fairneß' hingegen ein Platzhalter für alle Einzelgebote des<br />

Verfahrens 387 . Daß sie dabei vor allem strikte Einhaltung aller festgelegten Regeln<br />

verlangt, ist nur einer ihrer Gehalte (Anwendungsfairneß) 388 . Als Inbegriff <strong>der</strong> Verfahrensri<strong>ch</strong>tigkeit<br />

fungiert 'Fairneß' als »programmatis<strong>ch</strong>es Optimierungsgebot« von<br />

Verfahren 389 .<br />

Prozeduren und Prozesse müssen selbst ri<strong>ch</strong>tigkeitsorientiert sein, um sinnvoll von<br />

Fairneß spre<strong>ch</strong>en zu können 390 . Der Massenmör<strong>der</strong> mag beim Genozid na<strong>ch</strong> einem<br />

no<strong>ch</strong> so ausgeklügelten Verfahren töten – Fairneß kann er dabei ni<strong>ch</strong>t erzeugen, weil<br />

er das Verfahren nur aus Effizienz, Gewohnheit o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Gründen einhält, es<br />

ihm aber jedenfalls ni<strong>ch</strong>t darum geht, damit die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Ergebnisses zu begründen.<br />

Sol<strong>ch</strong>e Verfahren sind ni<strong>ch</strong>t ri<strong>ch</strong>tigkeitsorientiert. Wird das glei<strong>ch</strong>e Ergebnis<br />

(<strong>der</strong> Tod eines Mens<strong>ch</strong>en) hingegen als Vollstreckung eines Todesurteils na<strong>ch</strong> einem<br />

geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Prozeß bewirkt, dann soll die Dur<strong>ch</strong>führung des Verfahrens einen<br />

Beitrag zur Begründung des Ergebnisses leisten: Das Verfahren ist ri<strong>ch</strong>tigkeitsorientiert<br />

und man kann sinnvoll von Fairneß spre<strong>ch</strong>en.<br />

385 Zur weitgehenden Inhaltsunabhängigkeit und Verfahrensorientierung sol<strong>ch</strong>er Fairneßabkommen<br />

vgl. R. Stark, Ehrens<strong>ch</strong>utz in Deuts<strong>ch</strong>land (1996), S. 215 ff. (215): »Kernstück des Abkommens war<br />

hier die S<strong>ch</strong>affung einer gemeinsamen S<strong>ch</strong>iedsstelle zur Überwa<strong>ch</strong>ung <strong>der</strong> getroffenen Vereinbarungen.<br />

... Die Ents<strong>ch</strong>eidungen <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>iedsstelle waren unverzügli<strong>ch</strong> von den Pressediensten <strong>der</strong><br />

betroffenen Parteien zu veröffentli<strong>ch</strong>en.«<br />

386 Webster's Third New International Dictionary (1986): »fair: ... 7a: <strong>ch</strong>aracterized by honesty and justice:<br />

free from fraud, injustice, prejudice, or favoritism ... syn ... or implies a quality or result in an<br />

action ... « (Hervorhebungen im Original). Die Umgangsspra<strong>ch</strong>e<br />

beurteilt als 'fair', ähnli<strong>ch</strong> wie beim umgangsspra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Prädikat 'gere<strong>ch</strong>t', selbst sol<strong>ch</strong>e Ergebnisse,<br />

die ni<strong>ch</strong>t auf ein Handeln von Mens<strong>ch</strong>en zurückzuführen sind – beispielsweise S<strong>ch</strong>icksalss<strong>ch</strong>läge<br />

und Naturkatastrophen.<br />

387 Exemplaris<strong>ch</strong> aus <strong>der</strong> Verfassungsjudikatur in Deuts<strong>ch</strong>land: BVerfGE 49, 220 (225) – wirksamer<br />

Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utz; 57, 250 (290) – bestes Beweismittel; 65, 171 (174 ff.) – Anwesenheit des Re<strong>ch</strong>tsbeistands;<br />

70, 297 (308) – umfassende Sa<strong>ch</strong>aufklärung; BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats) NJW<br />

1996, S. 1811 f. – Versäumnis des Geri<strong>ch</strong>ts. Zur Analyse und weiteren Beispielen siehe P.J. Tettinger,<br />

Fairness als Re<strong>ch</strong>tsbegriff (1997), S. 580 ff.<br />

388 Im Sportre<strong>ch</strong>t nennt man sie das formelle Element <strong>der</strong> Fairneß; P.J. Tettinger, Fairness als Re<strong>ch</strong>tsbegriff<br />

(1997), S. 591 m.w.N.<br />

389 P.J. Tettinger, Fairness als Re<strong>ch</strong>tsbegriff (1997), S. 594 f.<br />

390 Zum Verhältnis von Ri<strong>ch</strong>tigkeit und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> vgl. R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation<br />

(1978), S. 242: »Ein Son<strong>der</strong>fall des Anspru<strong>ch</strong>s auf Ri<strong>ch</strong>tigkeit ist <strong>der</strong> Anspru<strong>ch</strong> auf <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>.«<br />

122


Damit ist deutli<strong>ch</strong>, warum 'Fairneß' als Ausdruck eines <strong>der</strong> Gebote <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

anzusehen 391 und mit 'prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' synonym zu verwenden ist 392 :<br />

Denn wenn <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in D 1 die Ri<strong>ch</strong>tigkeit von sozial- und glei<strong>ch</strong>heitsbezogenem<br />

Handeln bedeutet und Fairneß in D F gerade <strong>der</strong>jenige 'Ri<strong>ch</strong>tigkeitsanteil' eines Handelns<br />

ist, <strong>der</strong> inhaltsunabhängig im Verfahren gewonnen werden kann, dann wird<br />

bei <strong>der</strong> prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in D 3 die För<strong>der</strong>ung von Ergebnisgere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

dur<strong>ch</strong> Verfahren genau mit demjenigen 'Ri<strong>ch</strong>tigkeitsanteil' bewirkt, den <strong>der</strong> Begriff<br />

<strong>der</strong> Fairneß bezei<strong>ch</strong>net:<br />

D F ':<br />

Fairneß ist genau das, was in <strong>der</strong> prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Ergebnisses<br />

ausma<strong>ch</strong>t.<br />

Zum Verständnis von Fairneß und prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist es wi<strong>ch</strong>tig, die Abgrenzung<br />

zwis<strong>ch</strong>en den drei Fairneßelementen deutli<strong>ch</strong> zu ma<strong>ch</strong>en. Als einfa<strong>ch</strong>e Illustration<br />

kann das Beispiel eines Tennisspiels dienen. Substantielle <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (Ergebnisgere<strong>ch</strong>tigkeit)<br />

ist dann verwirkli<strong>ch</strong>t, wenn <strong>der</strong> bessere Spieler gewinnt. Zu<br />

den Anwendungsbedingungen, unter denen das Spiel als Verfahren den Sieg des besseren<br />

Spielers beför<strong>der</strong>n kann, gehört unter an<strong>der</strong>em, daß beide Spieler tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> gewinnen<br />

wollen und jeweils mit ihrer bevorzugten Ausrüstung spielen dürfen (Hintergrundfairneß,<br />

background fairness). Ferner ist Regeleinhaltung gefor<strong>der</strong>t, die Spieler<br />

dürfen beispielsweise ni<strong>ch</strong>t von einem Ball, <strong>der</strong> die Linie trifft, behaupten, daß er ins<br />

Aus ging; günstigstenfalls wird ein unparteiis<strong>ch</strong>er S<strong>ch</strong>iedsri<strong>ch</strong>ter die Regeleinhaltung<br />

besorgen (Anwendungsfairneß, procedural fairness). Zur Verfahrensbegründung<br />

gehört, daß die Spielregeln selbst in einer Weise gestaltet sind, die das Spiel zur Ermittlung<br />

des besseren Spielers för<strong>der</strong>li<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>einen lassen. So ist beispielsweise ein<br />

gelegentli<strong>ch</strong>er Seitenwe<strong>ch</strong>sel vorzusehen, weil sonst die Gefahr besteht, daß <strong>der</strong> bessere<br />

Spieler verliert, nur weil er gegen die Sonne spielen mußte (Prozedurfairneß,<br />

fairness of the procedure). Sind die Spielregeln in diesem Sinne 'fair', ist außerdem das<br />

Verhalten <strong>der</strong> Spieler 'fair' und findet das Spiel unter 'fairen' Voraussetzungen statt,<br />

so kann man als Folgerung aus diesen Fairneßelementen mindestens die Aussage treffen,<br />

daß das Spiel zur Ermittlung des besseren Spielers 'för<strong>der</strong>li<strong>ch</strong>' ist. Die Dur<strong>ch</strong>führung<br />

des Spiels führt folgli<strong>ch</strong> zu prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Sinne von D 3 .<br />

Das Beispiel vermag aber no<strong>ch</strong> mehr zu zeigen, als die bloße Illustration <strong>der</strong> Fairneßelemente.<br />

Es läßt si<strong>ch</strong> daran entwickeln, wie man relative Aussagen über prozedurale<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> treffen kann, wo es an einer absoluten Meßbarkeit fehlt. Denn es<br />

ist ohne weiteres einsi<strong>ch</strong>tig, daß in dem Beispiel die Einführung eines unparteiis<strong>ch</strong>en<br />

391 Instruktiv aus <strong>der</strong> Verfassungsjudikatur in Deuts<strong>ch</strong>land: BVerfGE 70, 297 (308): »[F]aires, re<strong>ch</strong>tsstaatli<strong>ch</strong>es<br />

Verfahren ... folgt letztli<strong>ch</strong> aus <strong>der</strong> Idee <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>«.<br />

392 Vgl. J. Berkemann, Fairneß als Re<strong>ch</strong>tsprinzip (1989), S. 226 ff. – Fairneß als Inbegriff <strong>der</strong> prozeduralen<br />

Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit in <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsdogmatik. Gelegentli<strong>ch</strong> wird Fairneß sogar als Inbegriff<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Re<strong>ch</strong>t angesehen; H.L.A. Hart, Concept of Law (1961), S. 154: »The distinctive<br />

features of justice and their special connexion with law begin to emerge if it is observed that most<br />

of the criticism made in terms of just and unjust could equally well be conveyed by the words<br />

'fair' and 'unfair'.« Diese Konzentration auf prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> erklärt si<strong>ch</strong> bei Hart aus<br />

seiner re<strong>ch</strong>tspositivistis<strong>ch</strong>en Grundhaltung.<br />

123


Tenniss<strong>ch</strong>iedsri<strong>ch</strong>ters zu einer weitergehenden prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> führen<br />

muß. Der unparteiis<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>iedsri<strong>ch</strong>ter kann besser als die parteiis<strong>ch</strong>en Spieler für<br />

die Regeleinhaltung sorgen und Ents<strong>ch</strong>eidungen über die Anwendungsbedingungen<br />

(Wind, Regen, Material) treffen. Ein Spiel mit S<strong>ch</strong>iedsri<strong>ch</strong>ter wird darum in aller Regel<br />

den besseren Spieler si<strong>ch</strong>erer ermitteln als ein sol<strong>ch</strong>es ohne S<strong>ch</strong>iedsri<strong>ch</strong>ter. Mit<br />

an<strong>der</strong>en Worten: Tennisspiele mit S<strong>ch</strong>iedsri<strong>ch</strong>ter sind prozedural gere<strong>ch</strong>ter als sol<strong>ch</strong>e<br />

ohne S<strong>ch</strong>iedsri<strong>ch</strong>ter. Diese relative Aussage können wir treffen, au<strong>ch</strong> ohne etwas<br />

über die absolute Eignung des Tennisspiels zur Ermittlung <strong>der</strong> besseren Spielerin zu<br />

wissen. Dabei wird au<strong>ch</strong> deutli<strong>ch</strong>, daß prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Gegensatz zur<br />

Ergebnisgere<strong>ch</strong>tigkeit graduell bestehen kann; ein Verfahren kann mehr o<strong>der</strong> weniger<br />

för<strong>der</strong>li<strong>ch</strong> für die Errei<strong>ch</strong>ung eines gere<strong>ch</strong>ten Ergebnisses sein 393 .<br />

Das Beispiel geht über eine bloße Illustration <strong>der</strong> Fairneßelemente au<strong>ch</strong> insoweit<br />

hinaus, als das Tennisspiel mehr als nur 'för<strong>der</strong>li<strong>ch</strong>' zur Ermittlung <strong>der</strong> besseren<br />

Spielerin ist. Die Dur<strong>ch</strong>führung eines Spiels ist die einzige Mögli<strong>ch</strong>keit zu ermitteln,<br />

wel<strong>ch</strong>er Spieler besser ist. Es gibt keinen allwissenden, objektiven Beoba<strong>ch</strong>ter, <strong>der</strong><br />

diese Frage ents<strong>ch</strong>eiden könnte. Selbst wenn es ihn gäbe, würden ihm spielunabhängige<br />

Kriterien für die Beurteilung <strong>der</strong> relativen Spielerqualität in einem festgelegten<br />

Zeitpunkt fehlen, denn es geht ja gerade um das Bessersein zu einem bestimmten<br />

Zeitpunkt, mit an<strong>der</strong>en Worten: bei einem bestimmten Spiel. Mangels verfahrensunabhängiger<br />

Kriterien bleibt also nur die Dur<strong>ch</strong>führung des Spiels als Kriterium dafür,<br />

wer <strong>der</strong> besser Spieler ist. Dies ist ein beson<strong>der</strong>er Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en Ergebnis-<br />

und Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit, <strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>t bei allen, aber do<strong>ch</strong> bei dem wi<strong>ch</strong>tigen<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sverfahren <strong>der</strong> reinen prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> besteht 394 . Damit<br />

stellt si<strong>ch</strong> die allgemeine und soglei<strong>ch</strong> zu behandelnde Frage, wel<strong>ch</strong>e Formen prozeduraler<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> na<strong>ch</strong> den beson<strong>der</strong>en Eigens<strong>ch</strong>aften einzelner Verfahren unters<strong>ch</strong>ieden<br />

werden können.<br />

III. Vier Formen prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (Enumerationsthese)<br />

Es können vier Formen innerhalb <strong>der</strong> objektiven prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> unters<strong>ch</strong>ieden<br />

und in ihrer Bedeutung für <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien bewertet werden. Die<br />

Abgrenzung orientiert si<strong>ch</strong> dabei mit Ausnahme zweier Details an <strong>der</strong> von Rawls<br />

vorges<strong>ch</strong>lagenen, wie sie inzwis<strong>ch</strong>en allgemein gebräu<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ist 395 . Rawls unters<strong>ch</strong>ei-<br />

393 Zur Eigens<strong>ch</strong>aft <strong>der</strong> Ni<strong>ch</strong>tgradualität <strong>der</strong> Ergebnisgere<strong>ch</strong>tigkeit na<strong>ch</strong> D 1 siehe oben S. 52 ff. (Sollensbezug<br />

und 'binär kodierte' <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>). Im Gegensatz zum <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprädikat kann<br />

dasjenige <strong>der</strong> prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> graduell verwirkli<strong>ch</strong>t werden, denn die För<strong>der</strong>ung mag,<br />

wie das Beispiel zeigt, mehr o<strong>der</strong> weniger intensiv ausfallen. Das heißt in <strong>der</strong> Fairneßterminologie:<br />

Ein Ergebnis kann nur ganz o<strong>der</strong> gar ni<strong>ch</strong>t 'gere<strong>ch</strong>t' sein; das Verfahren, das zur Ermittlung<br />

des Ergebnisses geführt hat, kann hingegen mehr o<strong>der</strong> weniger 'fair' sein. Entspre<strong>ch</strong>end können<br />

prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien einerseits absolute Aussagen über die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> von Ergebnissen<br />

treffen und an<strong>der</strong>erseits relative Aussagen darüber, wel<strong>ch</strong>e Verfahrensbedingungen gere<strong>ch</strong>tigkeitsför<strong>der</strong>li<strong>ch</strong><br />

sind; vgl. unten S. 221 (idealer Diskurs als regulative Idee); S. 317 ff. (Begründung<br />

von Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>ten und Demokratie).<br />

394 Dazu soglei<strong>ch</strong> S. 127 (reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

395 Selbst in <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsdogmatik; vgl. etwa C.-W. Canaris, Die Bedeutung <strong>der</strong> iustitia distributiva im<br />

deuts<strong>ch</strong>en Vertragsre<strong>ch</strong>t (1993), S. 58 f. m.w.N.<br />

124


det grundlegend zwis<strong>ch</strong>en vollkommener, unvollkommener, reiner und quasi-reiner<br />

prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 396 .<br />

Die objektive prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> wird abs<strong>ch</strong>ließend in diesen vier Formen<br />

erfaßt (Enumerationsthese). Das folgt (analytis<strong>ch</strong>) daraus, daß si<strong>ch</strong> die vier Formen<br />

jeweils aus dem Vorliegen o<strong>der</strong> Ni<strong>ch</strong>tvorliegen zweier Kriterien ergeben. Das erste<br />

Kriterium ist die Definitionswirkung, die einer Form <strong>der</strong> prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

für die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> des Ergebnisses zukommen kann. Das zweite Kriterium ist die<br />

Vollkommenheit (d.h. Ausnahmslosigkeit) des Verfahrens bei <strong>der</strong> Hervorbringung eines<br />

gere<strong>ch</strong>ten Ergebnisses. Daraus ergibt si<strong>ch</strong> folgende Aufteilung <strong>der</strong> Formen:<br />

Vollkommenheit<br />

Unvollkommenheit<br />

Keine Definitionswirkung<br />

(dienende Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit)<br />

Vollkommene prozedurale<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (D 3a )<br />

Unvollkommene prozedurale<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (D 3b )<br />

Definitionswirkung<br />

(definitoris<strong>ch</strong>e Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit)<br />

Reine prozedurale<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (D 3c )<br />

Quasi-reine prozedurale<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (D 3d )<br />

1. Formen <strong>der</strong> dienenden Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

Die beiden Formen, denen keine Definitionswirkung zukommt, können gemeinsam<br />

als dienende Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit bezei<strong>ch</strong>net werden, weil sie nur als Mittel zur<br />

Errei<strong>ch</strong>ung eines Ergebnisses benutzt werden, das unabhängig vom Verfahren als<br />

gere<strong>ch</strong>t begründet ist.<br />

a) Vollkommene prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (D 3a )<br />

D 3a :<br />

Vollkommene prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (perfect procedural<br />

justice) ist diejenige prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, bei<br />

<strong>der</strong> ein Verfahren mit Si<strong>ch</strong>erheit eine angemessene Annäherung<br />

an ein verfahrensunabhängig als gere<strong>ch</strong>t begründetes<br />

Ergebnis bewirkt.<br />

Ein Beispiel für vollkommene prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist die Aufteilung einer Torte,<br />

bei <strong>der</strong> die Person, die s<strong>ch</strong>neidet, das letzte Stück erhält. Geht man davon aus,<br />

396 J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 14, S. 85 ff.; § 32, S. 201 – 'perfect', 'imperfect', 'pure' und 'quasipure<br />

procedural justice'. Allgemein zu den Formen: ebd., § 14, S. 85 ff.; § 32, S. 201; § 54, S. 361 f.<br />

Speziell zur vollkommenen prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>: ebd., § 14, S. 85 f.; § 54, S. 359 f.; vgl. J. Berkemann,<br />

Fairneß als Re<strong>ch</strong>tsprinzip (1989), S. 226 ff. – zustimmend aus re<strong>ch</strong>tsdogmatis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t.<br />

Speziell zur quasi-reinen prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 14, S. 85<br />

ff.; § 32, S. 201; § 54, S. 361 f.<br />

125


daß die Ergebnisgere<strong>ch</strong>tigkeit in genau glei<strong>ch</strong> großen Stücken besteht, so wird das<br />

Verfahren die Ergebnisgere<strong>ch</strong>tigkeit im Sinne <strong>der</strong> allgemeinen Definition 'för<strong>der</strong>n',<br />

indem es mit Si<strong>ch</strong>erheit eine angemesse Annäherung an die bezweckten glei<strong>ch</strong> großen<br />

Stücke bewirkt 397 . Denn die mit dem S<strong>ch</strong>neiden beauftragte Person wird, weil<br />

sie bei <strong>der</strong> Verteilung erst na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Auswahl dur<strong>ch</strong> die an<strong>der</strong>en zum Zuge kommt,<br />

aus ihrem Eigeninteresse an einem mögli<strong>ch</strong>st großen Anteil bestrebt sein, ihr na<strong>ch</strong><br />

den Umständen Bestes zu tun, um glei<strong>ch</strong> große Stücke zu erzeugen (Verfahrensbegründung).<br />

Das funktioniert indes nur, wenn sie tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ein Interesse an<br />

einem mögli<strong>ch</strong>st großen Tortenstück hat (Anwendungsbedingung) und am konzentrierten<br />

Arbeiten ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> Ablenkung gehin<strong>der</strong>t wird (Regeleinhaltung).<br />

An dem Beispiel zeigt si<strong>ch</strong> ein Charakteristikum <strong>der</strong> vollkommenen prozeduralen<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>. S<strong>ch</strong>on bevor die Torte anges<strong>ch</strong>nitten ist, steht fest, worin die Ergebnisgere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

zu sehen ist: in etwa glei<strong>ch</strong> großen Stücken. Es gibt also ein Kriterium<br />

außerhalb des Verfahrens, meist ein Verteilungskriterium, an dem die Ergebnisgere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

gemessen wird 398 . Das unters<strong>ch</strong>eidet vollkommene (und au<strong>ch</strong> unvollkommene)<br />

prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> von <strong>der</strong> reinen und quasi-reinen prozeduralen<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, bei denen verfahrensexterne Kriterien fehlen, so daß eine Definitionswirkung<br />

für die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> des Ergebnisses eintritt.<br />

b) Unvollkommene prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (D 3b )<br />

D 3b :<br />

Unvollkommene prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (imperfect<br />

procedural justice) ist diejenige prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>,<br />

bei <strong>der</strong> ein Verfahren ni<strong>ch</strong>t mit Si<strong>ch</strong>erheit eine angemessene<br />

Annäherung an ein verfahrensunabhängig als gere<strong>ch</strong>t<br />

begründetes Ergebnis bewirkt.<br />

Eine Zusammens<strong>ch</strong>au von D 3 und D 3b ergibt, daß das Verfahren die Bewirkung eines<br />

gere<strong>ch</strong>ten Ergebnisses zumindest för<strong>der</strong>n muß, an<strong>der</strong>erseits die bloße Einhaltung <strong>der</strong><br />

Verfahrensregeln ni<strong>ch</strong>t immer ein akzeptables Ergebnis bewirkt. Das Verfahren<br />

ma<strong>ch</strong>t ein gere<strong>ch</strong>tes Ergebnis wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>er. Als Beispiel kann hier das Re<strong>ch</strong>tsver-<br />

397 Die 'angemessene Annäherung' ist ni<strong>ch</strong>t Teil <strong>der</strong> von Rawls verwendeten Definition. Vgl. Rawls,<br />

Theory of Justice (1971), § 14, S. 85: »[I]t is possible to devise a procedure that is sure to give the<br />

desired outcome.« (Hervorhebung hinzugefügt, A.T.) Die Definition von Rawls ist indes so ni<strong>ch</strong>t<br />

geeignet, den von Rawls selbst gewählten Beispielfall <strong>der</strong> Tortenaufteilung sa<strong>ch</strong>gere<strong>ch</strong>t zu <strong>ch</strong>arakterisieren.<br />

Denn keine Hand s<strong>ch</strong>neidet so si<strong>ch</strong>er, daß wirkli<strong>ch</strong> genau glei<strong>ch</strong>e Stücke entstehen.<br />

Diese Ungenauigkeit ist aber uns<strong>ch</strong>ädli<strong>ch</strong>, denn eine für diesen Fall angemessene Annäherung an<br />

das gere<strong>ch</strong>te Ergebnis <strong>der</strong> exakten Glei<strong>ch</strong>verteilung liegt s<strong>ch</strong>on dann vor, wenn so genau wie na<strong>ch</strong><br />

den Umständen mögli<strong>ch</strong> geteilt wird. Diese lei<strong>ch</strong>te Korrektur an Rawls' Begriffsbestimmung än<strong>der</strong>t<br />

an <strong>der</strong> Bedeutung dieser Form prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ni<strong>ch</strong>ts.<br />

398 Zu diesem Charakteristikum J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 14, S. 85; im begriffli<strong>ch</strong>en Ansatz<br />

übereinstimmend C.-W. Canaris, Die Bedeutung <strong>der</strong> iustitia distributiva im deuts<strong>ch</strong>en Vertragsre<strong>ch</strong>t<br />

(1993), S. 58 ff.; U. Neumann, Zur Interpretation des forensis<strong>ch</strong>en Diskurses (1996), S. 423.<br />

126


fahren na<strong>ch</strong> den Regeln des Strafprozeßre<strong>ch</strong>ts dienen 399 . Die Verfahrensregeln sind<br />

generell geeignet, ein gere<strong>ch</strong>tes Ergebnis zu för<strong>der</strong>n, indem sie in den meisten Fällen<br />

nur bei denjenigen zur Verurteilung führen, die tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> einer Straftat s<strong>ch</strong>uldig<br />

sind (Verfahrensbegründung). Aber selbst wenn <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>ter kein eigenes Interesse<br />

am Ausgang des Verfahrens hat (Anwendungsbedingung) und alle Re<strong>ch</strong>tsvors<strong>ch</strong>riften<br />

bea<strong>ch</strong>tet (Regeleinhaltung) ist nie ganz ausges<strong>ch</strong>lossen, daß es do<strong>ch</strong> zu einem<br />

Fehlurteil kommen kann. Wird ein Uns<strong>ch</strong>uldiger verurteilt, so ist dies au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t als<br />

eine 'angemessene Annäherung' an die Ergebnisgere<strong>ch</strong>tigkeit aus Gründen <strong>der</strong> Prozeßökonomie<br />

hinnehmbar 400 . Folgli<strong>ch</strong> 'för<strong>der</strong>t' das Strafverfahren die Ergebnisgere<strong>ch</strong>tigkeit,<br />

bleibt aber dabei stets unvollkommen.<br />

2. Formen <strong>der</strong> definitoris<strong>ch</strong>en Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

Die beiden Formen, denen eine Definitionswirkung zukommt, können gemeinsam<br />

als definitoris<strong>ch</strong>e Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit bezei<strong>ch</strong>net werden. Bei ihnen gibt es keine<br />

verfahrensunabhängigen Kriterien, mit denen ein Ergebnis als gere<strong>ch</strong>t begründet<br />

werden könnte 401 . Die Begründung liegt im Verfahren selbst.<br />

a) Reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (D 3c )<br />

D 3c :<br />

Reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (pure procedural justice)<br />

ist diejenige prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, bei <strong>der</strong> ein Verfahren<br />

mit Si<strong>ch</strong>erheit ein gere<strong>ch</strong>tes Ergebnis bewirkt,<br />

wobei es kein verfahrensunabhängiges Kriterium für die<br />

Beurteilung <strong>der</strong> Ergebnisgere<strong>ch</strong>tigkeit gibt (Definitionswirkung).<br />

Mit Rawls kann man sagen, daß die Umstände das Verfahren als gere<strong>ch</strong>t definieren<br />

(Verfahrensbegründung) 402 . Das erwähnte Tennisspiel bietet hierfür ein Beispiel 403 .<br />

Die Dur<strong>ch</strong>führung des Spiels bildet die einzige Mögli<strong>ch</strong>keit zu begründen, warum<br />

eine Spielerin besser ist als die an<strong>der</strong>e. Entspre<strong>ch</strong>ende Beispiele finden si<strong>ch</strong> bei allen<br />

399 Ebenso im Ergebnis U. Neumann, Materiale und prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Strafverfahren<br />

(1989), S. 52 ff. (70) – Mit <strong>der</strong> Annahme reiner prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> würden »die Mögli<strong>ch</strong>keiten<br />

einer Re<strong>ch</strong>tfertigung des Urteils dur<strong>ch</strong> Verfahren überzogen.«<br />

400 Vgl. aus <strong>der</strong> deuts<strong>ch</strong>en Strafprozeßre<strong>ch</strong>tsliteratur U. Neumann, Materiale und prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

im Strafverfahren (1989), S. 53: »Das Prozeßziel <strong>der</strong> auf Wahrheit beruhenden gere<strong>ch</strong>ten<br />

Ents<strong>ch</strong>eidung führt zu einer klaren Dominanz des materiellen Strafre<strong>ch</strong>ts gegenüber dem<br />

Strafprozeßre<strong>ch</strong>t. Das Verfahrensre<strong>ch</strong>t wird auf te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e Funktionen reduziert; man bes<strong>ch</strong>einigt<br />

ihm eine 'existentielle Abhängigkeit' vom materiellen Re<strong>ch</strong>t.«<br />

401 C.-W. Canaris, Die Bedeutung <strong>der</strong> iustitia distributiva im deuts<strong>ch</strong>en Vertragsre<strong>ch</strong>t (1993), S. 58:<br />

»Das prägende Charakteristikum ... ist das Fehlen eines unabhängigen Kriteriums für die Beurteilung<br />

<strong>der</strong> Frage, ob das Ergebnis des Verfahrens eine faire Verteilung darstellt«.<br />

402 J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 14, S. 86: »[T]here is a correct or fair procedure su<strong>ch</strong> that the<br />

outcome is likewise correct or fair, whatever it is, ... the background circumstances define a fair<br />

procedure.«<br />

403 Dazu oben S. 121 ff. (Begriff <strong>der</strong> Fairneß und Tennisbeispiel).<br />

127


Glücksspielen: ganz glei<strong>ch</strong> wie <strong>der</strong> Würfel fällt o<strong>der</strong> die Kugel rollt, das Ergebnis ist<br />

immer gere<strong>ch</strong>t, solange die Spielregeln eingehalten wurden. Wo ein sol<strong>ch</strong>er Zusammenhang<br />

zwis<strong>ch</strong>en Verfahrens- und Ergebnisgere<strong>ch</strong>tigkeit gegeben ist, liegt ein<br />

Verfahren <strong>der</strong> reinen prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> vor 404 . Die Anwendung eines Verfahrens<br />

dieser Art, soweit sie ri<strong>ch</strong>tig erfolgt (Anwendungsbedingungen, Regeleinhaltung),<br />

definiert das Ergebnis als gere<strong>ch</strong>t. Für Verfahren <strong>der</strong> reinen prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

gilt folgli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Satz: Etwas (z.B. eine Situation, Institution, Person, Norm,<br />

Handlung) 405 ist genau dann gere<strong>ch</strong>t, wenn es das Ergebnis des Verfahrens ist (Definitionswirkung).<br />

Für ni<strong>ch</strong>t real dur<strong>ch</strong>geführte (hypothetis<strong>ch</strong>e) Verfahren <strong>der</strong> rein<br />

prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, die in einem prozeduralen Gedankenexperiment bestehen,<br />

gilt entspre<strong>ch</strong>end: Etwas ist genau dann gere<strong>ch</strong>t, wenn es das Ergebnis eines<br />

Verfahrens sein könnte.<br />

b) Quasi-reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (D 3d )<br />

D 3d :<br />

Quasi-reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (quasi-pure procedural<br />

justice) ist diejenige prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, bei<br />

<strong>der</strong> ein Verfahren ni<strong>ch</strong>t mit Si<strong>ch</strong>erheit ein gere<strong>ch</strong>tes Ergebnis<br />

bewirkt, wobei es kein verfahrensunabhängiges<br />

Kriterium für die Beurteilung <strong>der</strong> Ergebnisgere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

gibt.<br />

Wie bei <strong>der</strong> unvollkommenen ergibt au<strong>ch</strong> bei <strong>der</strong> quasi-reinen 406 prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

eine Zusammens<strong>ch</strong>au von D 3 und D 3d , daß das Verfahren die Bewirkung<br />

eines gere<strong>ch</strong>ten Ergebnisses zumindest för<strong>der</strong>n muß, an<strong>der</strong>erseits die bloße Einhaltung<br />

<strong>der</strong> Verfahrensregeln ni<strong>ch</strong>t immer ein gere<strong>ch</strong>tes Ergebnis bewirkt. Laut Rawls<br />

soll das typis<strong>ch</strong>e Beispiel im Gesetzgebungsverfahren zu sehen sein. Gesetze seien<br />

bei Einhaltung des Gesetzgebungsverfahrens definitionsgemäß gere<strong>ch</strong>t, solange sie<br />

im Berei<strong>ch</strong> des na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Verfassung Erlaubten liegen 407 . Eine sol<strong>ch</strong>e Aussage s<strong>ch</strong>eint<br />

das Verhältnis von Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> auf den Kopf zu stellen. Denn ni<strong>ch</strong>t <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

ist <strong>der</strong> Maßstab, an dem si<strong>ch</strong> das Re<strong>ch</strong>t zu messen hat, son<strong>der</strong>n es kann<br />

umgekehrt das Re<strong>ch</strong>t definieren, was als gere<strong>ch</strong>t anzusehen ist. Verständli<strong>ch</strong> wird<br />

die Aussage erst aus Rawls Verwendung <strong>der</strong> quasi-reinen prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

in einem vierstufigen Modell zunehmen<strong>der</strong> Konkretisierung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

in <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Ordnung. Auf je<strong>der</strong> Stufe ist jeweils die Ergebnisgere<strong>ch</strong>tigkeit <strong>der</strong><br />

darüberliegenden Stufe als Vorgabe zu respektieren. Quasi-reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

ist nur auf einer untergeordneten Stufe mögli<strong>ch</strong>; ihr ist ein <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>srahmen<br />

vorgegeben. Es wird eine implizite Anwendungsbedingung des Verfahrens<br />

404 So au<strong>ch</strong> U. Neumann, Zur Interpretation des forensis<strong>ch</strong>en Diskurses (1996), S. 423; N. Duxbury,<br />

Random Justice (1999), S. 43 ff. (Beispiele), S. 131 ff. (prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>), S. 146 ff. (Verglei<strong>ch</strong><br />

mit dem Windhundprinzip: first come, first served).<br />

405 Dazu oben S. 48 (Vielfalt <strong>der</strong> mögli<strong>ch</strong>en Gegenstände und Transponierbarkeitsthese).<br />

406 Die deuts<strong>ch</strong>e Übersetzung von Rawls Theorie spri<strong>ch</strong>t statt dessen von 'fast-reiner' Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit:<br />

J. Rawls, Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1979), § 31, S. 229. Das drückt die in 'quasi-pure'<br />

enthaltene Skepsis ni<strong>ch</strong>t hinrei<strong>ch</strong>end aus. Abgesehen von dieser Abwei<strong>ch</strong>ung entspri<strong>ch</strong>t die hier<br />

gewählte Terminologie <strong>der</strong>jenigen <strong>der</strong> deuts<strong>ch</strong>en Übersetzung.<br />

407 J. Ralws, Theory of Justice (1971), S. 201.<br />

128


konstituiert: quasi-reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> besteht nur, soweit die Lösungen,<br />

zwis<strong>ch</strong>en denen im Verfahren gewählt wird, alle gere<strong>ch</strong>t im Sinne <strong>der</strong> übergeordneten<br />

Stufe <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung sind. Wählt <strong>der</strong> Gesetzgeber dagegen eine<br />

Gesetzesfassung, die im Li<strong>ch</strong>te übergeordneter <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien ni<strong>ch</strong>t bestehen<br />

kann, so fehlt es an einer Anwendungsbedingung <strong>der</strong> quasi-reinen prozeduralen<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>. Die Wahlents<strong>ch</strong>eidung des Gesetzgebers ist dann ni<strong>ch</strong>t mehr prozedural<br />

gere<strong>ch</strong>t.<br />

Von <strong>der</strong> dienenden Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit unters<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> die quasi-reine<br />

dadur<strong>ch</strong>, daß das gere<strong>ch</strong>te Ergebnis vor <strong>der</strong> Verfahrensdur<strong>ch</strong>führung no<strong>ch</strong> unbestimmt<br />

ist. Von <strong>der</strong> reinen Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit unters<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> die quasi-reine<br />

dadur<strong>ch</strong>, daß die Definitionswirkung nur bedingt eintritt. Worin besteht angesi<strong>ch</strong>ts<br />

dieser Unbestimmtheit und Bedingtheit überhaupt die 'För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> substantiellen<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' im Sinne von D 3 ? Sie liegt darin, daß das Verfahren ni<strong>ch</strong>t nur aus <strong>der</strong><br />

unbestimmten Vielzahl mögli<strong>ch</strong>er Ergebnisse eines auswählt (Definitionswirkung),<br />

son<strong>der</strong>n in aller Regel als Folge <strong>der</strong> Verfahrensbedingungen au<strong>ch</strong> zur Wahl eines Ergebnisses<br />

führt, das innerhalb des übergeordneten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>srahmens liegt. Im<br />

Beispiel: Die öffentli<strong>ch</strong>e Parlamentsdebatte führt in <strong>der</strong> Regel zu verfassungskonformen<br />

Gesetzen. Das Ergebnis wird dadur<strong>ch</strong> prima facie – vorbehaltli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>legung<br />

– als gere<strong>ch</strong>t definiert.<br />

IV. Die Funktionen prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (Multifunktionsthese)<br />

Das Konzept <strong>der</strong> prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> wird mit ganz unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Funktionen<br />

in Re<strong>ch</strong>tsdogmatik und Re<strong>ch</strong>tstheorie eingesetzt (Multifunktionsthese). Das<br />

folgt aus <strong>der</strong> unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Eignung <strong>der</strong> vier Formen für die Begründung und<br />

Erzeugung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>.<br />

1. Dienende Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

Betra<strong>ch</strong>ten wir zunä<strong>ch</strong>st die Formen <strong>der</strong> dienenden Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit, so fällt<br />

auf, daß beide ein Kriterium außerhalb des Verfahrens voraussetzen, meist ein Prinzip<br />

<strong>der</strong> Verteilungsgere<strong>ch</strong>tigkeit, mit dem si<strong>ch</strong> die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> des Ergebnisses unabhängig<br />

von <strong>der</strong> Dur<strong>ch</strong>führung des Verfahrens beurteilen läßt. Vollkommene und<br />

unvollkommene prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> wirken nur instrumentell zur Verfolgung<br />

verfahrensextern gere<strong>ch</strong>tfertigter Ziele 408 . Sie haben keine Begründungs-, son<strong>der</strong>n<br />

nur <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungsfunktion, indem sie helfen, an<strong>der</strong>weitig begründete <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

in <strong>der</strong> Realität zu bewirken. Man muß s<strong>ch</strong>on vorher wissen, was gere<strong>ch</strong>t<br />

ist (Glei<strong>ch</strong>verteilung <strong>der</strong> Torte, Verurteilung nur <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>uldigen), und nutzt das Verfahren<br />

dann ledigli<strong>ch</strong>, um dieses verfahrensextern begründete gere<strong>ch</strong>te Ergebnis tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />

zu errei<strong>ch</strong>en. Das Verfahren hat nur na<strong>ch</strong>geordnete, 'dienende' Funktion 409 .<br />

408 Zum grundlegenden Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en externer und interner Re<strong>ch</strong>tfertigung – allerdings dort<br />

bezogen auf Unglei<strong>ch</strong>behandlungen und den allgemeinen Glei<strong>ch</strong>heitssatz – vgl. S. Huster, Re<strong>ch</strong>te<br />

und Ziele (1993), S. 165 ff.<br />

409 A. Ts<strong>ch</strong>ents<strong>ch</strong>er, Function of Procedural Justice (1997), S. 108 ff.<br />

129


Die Re<strong>ch</strong>tsdogmatik, insbeson<strong>der</strong>e die des Prozeßre<strong>ch</strong>ts, stützt si<strong>ch</strong> auf die dienende<br />

Funktion vollkommener o<strong>der</strong> unvollkommener prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 410 :<br />

Verfahrensregeln des Beweisre<strong>ch</strong>ts dienen <strong>der</strong> Wahrheitsfindung, Verteidigungsbefugnisse<br />

dienen dem S<strong>ch</strong>utz vor Fehlurteilen. In den (selteneren) Fällen vollkommener<br />

prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> führt die Einhaltung <strong>der</strong> Verfahrensvors<strong>ch</strong>riften mit<br />

Si<strong>ch</strong>erheit zu einer 'angemessenen' – das heißt in diesem Zusammenhang: zu einer<br />

ni<strong>ch</strong>t revisiblen – Annäherung an das als gere<strong>ch</strong>t erkannte Ergebnis. Das kann etwa<br />

bei einem Re<strong>ch</strong>tsverfahren na<strong>ch</strong> Zivilprozeßre<strong>ch</strong>t gelten, wenn eine Beweislastents<strong>ch</strong>eidung<br />

getroffen wird und die materiell re<strong>ch</strong>tskräftige Ents<strong>ch</strong>eidung (solange<br />

kein Wie<strong>der</strong>aufnahmegrund vorliegt) als angemessene Annäherung an das als gere<strong>ch</strong>t<br />

erkannte Ergebnis (Ansprü<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> den tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Vorgängen) qualifiziert<br />

wird. An<strong>der</strong>s als beim fals<strong>ch</strong>en Strafurteil würde man hier ni<strong>ch</strong>t von einem 'Fehlurteil'<br />

o<strong>der</strong> 'Justizirrtum' spre<strong>ch</strong>en 411 . Die Obliegenheit, daß je<strong>der</strong> selbst für die Dur<strong>ch</strong>setzbarkeit<br />

<strong>der</strong> eigenen zivilre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Ansprü<strong>ch</strong>e zu sorgen hat, ist im Rahmen <strong>der</strong><br />

Beweislastverteilung hinzunehmen, das Ergebnis einer Beweislastents<strong>ch</strong>eidung angemessen<br />

412 .<br />

In <strong>der</strong> Regel ist die zugrundegelegte prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> aber unvollkommen,<br />

weil selbst bei Einhaltung aller Verfahrensregeln das Verfahrensergebnis ni<strong>ch</strong>t<br />

in jedem Fall eine angemessene Annäherung an die Ergebnisgere<strong>ch</strong>tigkeit ist. Am<br />

Beispiel des Strafverfahrens wurde dieser Zusammenhang bereits erörtert 413 . Unvollkommen<br />

prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> nimmt darum zwar an <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugung<br />

teil, hat jedo<strong>ch</strong> wegen <strong>der</strong> mit ihr verbundenen Unsi<strong>ch</strong>erheit nur einen Status,<br />

<strong>der</strong> si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>lagwortartig als <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sför<strong>der</strong>ungsfunktion kennzei<strong>ch</strong>nen läßt.<br />

2. Definitoris<strong>ch</strong>e Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

Bei den Formen <strong>der</strong> definitoris<strong>ch</strong>en Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit läßt si<strong>ch</strong> die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

des Ergebnisses ni<strong>ch</strong>t unabhängig von <strong>der</strong> Dur<strong>ch</strong>führung des Verfahrens beur-<br />

410 Weitere Beispiele etwa bei J. Berkemann, Fairneß als Re<strong>ch</strong>tsprinzip (1989), S. 223 ff.<br />

411 Der Wertungsunters<strong>ch</strong>ied muß ni<strong>ch</strong>t notwendig moralis<strong>ch</strong>, son<strong>der</strong>n er kann au<strong>ch</strong> ökonomis<strong>ch</strong> begründet<br />

werden; R.A. Posner, Economic Analysis of Law (1992), S. 553.<br />

412 Vgl. aus <strong>der</strong> deuts<strong>ch</strong>en Strafprozeßre<strong>ch</strong>tsliteratur U. Neumann, Materiale und prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

im Strafverfahren (1989), S. 56 f., 62 f. – zum Zusammenhang von Wie<strong>der</strong>aufnahmegründen<br />

und materieller Re<strong>ch</strong>tskraft mit <strong>der</strong> Funktion prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in realen Geri<strong>ch</strong>tsverfahren.<br />

Neumanns Zweifel an <strong>der</strong> 'dienenden Funktion' des Strafprozesses (S. 58) betreffen<br />

ni<strong>ch</strong>t die hier angespro<strong>ch</strong>ene 'dienende Funktion' <strong>der</strong> vollkommenen und unvollkommenen<br />

prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>. Erstere betrifft das Verhältnis zwis<strong>ch</strong>en Prozessre<strong>ch</strong>t und materiellem<br />

Re<strong>ch</strong>t, letztere fragt nur dana<strong>ch</strong>, ob ein verfahrensexternes Kriterium für die Beurteilung <strong>der</strong><br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> besteht. Das ist s<strong>ch</strong>on immer dann <strong>der</strong> Fall, wenn überhaupt irgendein Wie<strong>der</strong>aufnahmegrund<br />

anerkannt ist, <strong>der</strong> über bloße Verfahrensmängel hinausgeht, also etwa wenn beim<br />

Strafprozeß neue Tatsa<strong>ch</strong>en o<strong>der</strong> Beweismittel vorliegen (§ 359 Nr. 5 StPO) o<strong>der</strong> beim Zivil- und<br />

Verwaltungsprozeß in den Fällen des Prozeßbetrugs (§ 580 Nr. 1-4 ZPO, § 153 I VwGO). Denn<br />

darin beweist si<strong>ch</strong>, daß die Ri<strong>ch</strong>tigkeit und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidung ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> das Verfahren<br />

definiert wird. Es kommt also ni<strong>ch</strong>t darauf an, ob si<strong>ch</strong> die Wie<strong>der</strong>aufnahmegründe »überwiegend<br />

wie<strong>der</strong>um auf Defizite im Berei<strong>ch</strong> des Verfahrens« beziehen; so aber Neumann, ebd.,<br />

S. 56. Treffend hingegen M. Kriele, Kriterien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1963), S. 34: S<strong>ch</strong>on das Zugeständnis,<br />

ein Urteil könne ungere<strong>ch</strong>t sein, besage »letztli<strong>ch</strong>, daß die Kriterien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ni<strong>ch</strong>t allein<br />

in prozessualen Fragen zu su<strong>ch</strong>en sind, son<strong>der</strong>n daß es materiale Kriterien geben muß.«<br />

413 Dazu oben S. 126 (Strafverfahren als Verfahren unvollkommen prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

130


teilen. Das bietet den Vorteil, keine verfahrensexternen Kriterien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

bestimmen zu müssen 414 . Statt dessen findet si<strong>ch</strong> im Verfahren selbst das (prozedurale)<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>skriterium verkörpert. Es genügt, die Verfahrensregeln zu bea<strong>ch</strong>ten,<br />

um ein qua definitionem gere<strong>ch</strong>tes Ergebnis zu bewirken. Reine prozedurale<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> stellt diesen Zusammenhang ausnahmslos in allen Fällen her und hat<br />

dadur<strong>ch</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründungsfunktion.<br />

Das trifft im Grundsatz au<strong>ch</strong> für die unvollkommene Variante <strong>der</strong> quasi-reinen<br />

prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> zu 415 , jedo<strong>ch</strong> mit <strong>der</strong> Eins<strong>ch</strong>ränkung, daß die Einhaltung<br />

<strong>der</strong> Verfahrensregeln nur prima facie das Ergebnis als gere<strong>ch</strong>t definiert. Das Verfahren<br />

begründet keine Si<strong>ch</strong>erheit, son<strong>der</strong>n stellt die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> des Verfahrensergebnisses<br />

unter den Vorbehalt <strong>der</strong> Vereinbarkeit mit übergeordneten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>skriterien.<br />

Es ist ein übergeordneter <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>srahmen mit unbestimmt vielen<br />

Ents<strong>ch</strong>eidungsmögli<strong>ch</strong>keiten begründet, in dessen Grenzen si<strong>ch</strong> die quasi-reine prozedurale<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> halten muß und in aller Regel als Folge <strong>der</strong> Verfahrensbedingungen<br />

au<strong>ch</strong> hält. Wird unter den mögli<strong>ch</strong>en Ents<strong>ch</strong>eidungen eine getroffen, so ist<br />

das Resultat dieser Wahl qua definitionem gere<strong>ch</strong>t; werden die Grenzen hingegen ausnahmsweise<br />

verlassen, so ist sie wegen Verstoßes gegen den übergeordneten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>srahmen<br />

ungere<strong>ch</strong>t. Die Form erzeugt demna<strong>ch</strong> wi<strong>der</strong>legli<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>.<br />

Quasi-reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> nimmt an <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründungsfunktion<br />

teil, hat jedo<strong>ch</strong> wegen <strong>der</strong> mit ihr verbundenen Unsi<strong>ch</strong>erheit nur einen Status,<br />

<strong>der</strong> si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>lagwortartig als <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>swahlfunktion kennzei<strong>ch</strong>nen läßt.<br />

V. Ergebnisse<br />

<strong>Prozedurale</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist die För<strong>der</strong>ung von Ergebnisgere<strong>ch</strong>tigkeit dur<strong>ch</strong> Verfahren.<br />

Sie tritt abs<strong>ch</strong>ließend in vier Formen auf. Nur die reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

läßt eine Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> zu, die ohne verfahrensexterne <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>skriterien<br />

und ohne einen übergeordneten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>srahmen auskommt.<br />

Die quasi-reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> bedarf dagegen immer eines übergeordneten<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>srahmens. Die beiden 'dienenden' Formen, die unvollkommene<br />

und die vollkommene prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, eignen si<strong>ch</strong> allein ni<strong>ch</strong>t zur <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung,<br />

son<strong>der</strong>n sind auf verfahrensexterne Kriterien angewiesen.<br />

Es kann darum ni<strong>ch</strong>t verwun<strong>der</strong>n, wenn prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründungstheorien,<br />

wie die folgenden Beispiele im einzelnen zeigen werden, si<strong>ch</strong> vorwiegend<br />

auf reine und ergänzend auf quasi-reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> stützen.<br />

Demgegenüber stellen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungstheorien in <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsdogmatik<br />

vorwiegend auf die dienenden Formen <strong>der</strong> vollkommenen und unvollkommenen<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ab. Auf diese Trennungslinie wird beim beson<strong>der</strong>en Begriff <strong>der</strong> 'prozeduralen<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungstheorie' zurückzukommen sein 416 .<br />

414 J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 14, S. 87.<br />

415 Vgl. J. Berkemann, Fairneß als Re<strong>ch</strong>tsprinzip (1989), S. 227; die bei den dortigen Beispielen (Sportre<strong>ch</strong>t,<br />

Losverfahren bei Studienplatzvergabe, formale Chancenglei<strong>ch</strong>heit <strong>der</strong> Parteien) erwähnte<br />

'reine' Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit ist tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> eine 'quasi-reine', weil sie im verfassungsre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en<br />

Rahmen stattfindet.<br />

416 Dazu unten S. 133 (prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungstheorie).<br />

131


D. <strong>Prozedurale</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

I. Eine Definition <strong>der</strong> prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie (D 4 )<br />

Bei '<strong>Prozedurale</strong>n <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' 417 handelt es si<strong>ch</strong> um eine beson<strong>der</strong>e<br />

Form <strong>der</strong> 'prozeduralen <strong>Theorien</strong>' (D P ) – genauer: um einen Son<strong>der</strong>fall <strong>der</strong> 'prozeduralen<br />

<strong>Theorien</strong> praktis<strong>ch</strong>er Ri<strong>ch</strong>tigkeit' (D R ). Der Begriff <strong>der</strong> 'prozeduralen Theorie<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' läßt si<strong>ch</strong> damit in folgenden Stufen bestimmen:<br />

D P :<br />

D R :<br />

D 4N :<br />

<strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> sind <strong>Theorien</strong>, na<strong>ch</strong> denen eine<br />

Aussage genau dann wahr o<strong>der</strong> ri<strong>ch</strong>tig ist, wenn sie das<br />

Ergebnis einer bestimmten Prozedur sein kann.<br />

<strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> praktis<strong>ch</strong>er Ri<strong>ch</strong>tigkeit sind <strong>Theorien</strong>,<br />

na<strong>ch</strong> denen eine normative Aussage N genau dann<br />

ri<strong>ch</strong>tig ist, wenn sie das Ergebnis einer bestimmten Prozedur<br />

P sein kann. 418<br />

<strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> sind <strong>Theorien</strong>,<br />

na<strong>ch</strong> denen eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm N genau dann ri<strong>ch</strong>tig<br />

ist, wenn sie das Ergebnis einer bestimmten Prozedur<br />

P sein kann.<br />

Diese normbezogene Definition entspri<strong>ch</strong>t den normbezogenen Begriffsbestimmungen<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in D 1N und <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie in D 2N . Sie drückt außerdem<br />

reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Sinne von D 3d aus. Ohne inhaltli<strong>ch</strong>en Unters<strong>ch</strong>ied<br />

läßt si<strong>ch</strong> dazu eine handlungsbezogene Definition entspre<strong>ch</strong>end D 1 und D 2<br />

formulieren:<br />

D 4 :<br />

<strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> sind <strong>Theorien</strong>,<br />

die die Behauptung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> mit Verfahren begründen.<br />

417 Die hier definierten '<strong>Prozedurale</strong>n <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' müssen von '<strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> prozeduralen<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' unters<strong>ch</strong>ieden werden. Bei ersteren geht es um das <strong>Prozedurale</strong> <strong>der</strong> <strong>Theorien</strong>,<br />

bei letzteren um das <strong>Prozedurale</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>. Zwar hängen beide Theoriegruppen zusammen,<br />

weil in aller Regel eine Theorie über Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit selbst dem Begründungsmodell<br />

<strong>der</strong> Verfahrenstheorien folgt. Das ist aber ni<strong>ch</strong>t zwingend. Es wäre au<strong>ch</strong> denkbar, Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

material zu begründen (Beispiel: 'Es ist ein Gebot Gottes, daß je<strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>ter<br />

au<strong>ch</strong> die an<strong>der</strong>e Partei anhört!'). Hier besteht <strong>der</strong> Ausgangspunkt demgegenüber allein im Begriff<br />

<strong>der</strong> 'Verfahrenstheorie', ni<strong>ch</strong>t in dem <strong>der</strong> 'Theorie über Verfahren'. Das unters<strong>ch</strong>eidet die Untersu<strong>ch</strong>ung<br />

grundlegend von primär prozeßre<strong>ch</strong>tstheoretis<strong>ch</strong>en Studien, etwa <strong>der</strong>jenigen von<br />

R. Hoffmann, Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit (1992), S. 84 ff., 105 ff.; dort insbeson<strong>der</strong>e S. 158: »Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

[wird] zu einem prozeduralen Reflex materialer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>.« Mit unglückli<strong>ch</strong>er<br />

Verquickung bei<strong>der</strong> Aspekte (Verfahrenstheorie und Theorie des Verfahrens) ebd., S. 166 ff.<br />

418 Vgl. R. Alexy, Die Idee einer prozeduralen Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1979), S. 95:<br />

»D: Eine normative Aussage N ist ri<strong>ch</strong>tig genau dann, wenn sie das Ergebnis <strong>der</strong> Prozedur P sein<br />

kann.« Ebenso A. Aarnio/R. Alexy/A. Peczenik, Grundlagen <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1983),<br />

S. 41.<br />

132


D 4 ':<br />

<strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> sind <strong>Theorien</strong>,<br />

die die Behauptung <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit und Pfli<strong>ch</strong>tigkeit eines<br />

Handelns in bezug auf an<strong>der</strong>e unter dem Gesi<strong>ch</strong>tspunkt<br />

<strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heit mit Verfahren begründen.<br />

Die Definitionen D 4 und D 4N setzen jeweils voraus, daß si<strong>ch</strong> das Verfahren auf die<br />

Begründung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> bezieht. Wenn im folgenden ohne weitere Qualifizierung<br />

von einer prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie gespro<strong>ch</strong>en wird, so ist eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründungstheorie<br />

gemeint. Dies ist <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> prozeduralen Theorie<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im engeren Sinne.<br />

II. Zu prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungstheorien (D 4E )<br />

Als prozedurale <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im weiteren Sinne kann man au<strong>ch</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungstheorien<br />

verstehen 419 . Au<strong>ch</strong> sie explizieren prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

na<strong>ch</strong> D 3 , was si<strong>ch</strong> in folgen<strong>der</strong> Definition ausdrücken läßt:<br />

D 4E : <strong>Prozedurale</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungstheorien sind<br />

<strong>Theorien</strong>, na<strong>ch</strong> denen die reale Erzeugung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

dadur<strong>ch</strong> geför<strong>der</strong>t wird, daß man ein als gere<strong>ch</strong>t<br />

begründetes Verfahren, dessen Anwendungsbedingungen<br />

vorliegen, korrekt dur<strong>ch</strong>führt.<br />

Bei <strong>der</strong> Prozeduralität in sol<strong>ch</strong>en <strong>Theorien</strong> handelt es si<strong>ch</strong> um etwas grundlegend<br />

an<strong>der</strong>es als bei Begründungsverfahren. Erzeugungs- und Begründungsverfahren<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ma<strong>ch</strong>en in je eigener Weise von dem Konzept <strong>der</strong> prozeduralen<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> Gebrau<strong>ch</strong>; erstere nutzen Formen <strong>der</strong> dienenden Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

und ihrer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungsfunktion, letztere die Formen <strong>der</strong> definitoris<strong>ch</strong>en<br />

Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit und <strong>der</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründungsfunktion 420 . Bereits<br />

die Untersu<strong>ch</strong>ung zum Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie hat ergeben, daß <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungstheorien<br />

immer auf externe Maßstäbe für die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

dessen, was sie real bewirken wollen, angewiesen sind 421 . Das Strafverfahren, das<br />

über den einzelnen Prozeß die Verurteilung eines s<strong>ch</strong>uldigen Straftäters bewirkt, ist<br />

nur dann ein <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungsverfahren, wenn begründet werden kann,<br />

daß <strong>der</strong> Straftatbestand überhaupt strafwürdig ist. <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugung wäre<br />

ohne <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung ziellos. Au<strong>ch</strong> die Definition D 4E ('ein als gere<strong>ch</strong>t begründetes<br />

Verfahren') drückt das aus: Es gilt ein Primat <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung.<br />

Ein Begründungsmodell kann ohne die reale Erzeugung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> gebildet<br />

werden, aber die reale Erzeugung ist ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong>, ohne daß begründet wird, warum<br />

ein Ergebnis gere<strong>ch</strong>t sein soll.<br />

419 So insbeson<strong>der</strong>e R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 107 ff. Zum Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en<br />

Begründungs- und Erzeugungstheorien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> bereits oben S. 88 ff.<br />

420 Dazu oben S. 131 (Ergebnisse zur prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

421 Dazu oben S. 88 (Begründungs- und Erzeugungstheorien).<br />

133


Angesi<strong>ch</strong>ts dieser Unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>keit und des Aufeinan<strong>der</strong>angewiesenseins von<br />

Erzeugung und Begründung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> wird es fragli<strong>ch</strong>, wann eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie<br />

insgesamt als 'prozedural' bezei<strong>ch</strong>net werden kann. Die Antwort<br />

muß si<strong>ch</strong> unabhängig von den Erzeugungsverfahren allein dana<strong>ch</strong> ri<strong>ch</strong>ten, ob materiale<br />

o<strong>der</strong> prozedurale Rationalität bei <strong>der</strong> Begründung zur Anwendung kommt.<br />

Wird beispielsweise in einem Strafverfahren ein Dieb na<strong>ch</strong> allen Regeln <strong>der</strong> Verfahrenskunst<br />

seiner Straftat überführt, so genügt das allein ni<strong>ch</strong>t, um von <strong>der</strong> Anwendung<br />

einer prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie zu spre<strong>ch</strong>en. Die Strafe könnte ja au<strong>ch</strong><br />

darin bestehen, daß ihm in Befolgung eines Gottesgebotes die Hand abges<strong>ch</strong>lagen<br />

wird, also in einer material begründeten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbehauptung.<br />

Im Ergebnis gilt: Von einer 'prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie' sollte man ni<strong>ch</strong>t<br />

s<strong>ch</strong>on dann spre<strong>ch</strong>en, wenn die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugung auf Verfahren gestützt<br />

wird, son<strong>der</strong>n nur, wenn au<strong>ch</strong> die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung prozedural erfolgt. Stützt<br />

si<strong>ch</strong> dagegen die reale Erzeugung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> auf Verfahren, ohne explizit eine<br />

prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung damit zu verbinden, so sollte <strong>der</strong> Klarstellung<br />

halber von einer 'prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungstheorie' gespro<strong>ch</strong>en werden.<br />

Nur eine sol<strong>ch</strong>ermaßen verdeutli<strong>ch</strong>te Begriffsbildung kann die mißli<strong>ch</strong>e Folge verhin<strong>der</strong>n,<br />

daß alle materialen <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> glei<strong>ch</strong>zeitig als prozedurale<br />

<strong>Theorien</strong> angesehen werden müßten, weil es praktis<strong>ch</strong> keine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

gibt, bei <strong>der</strong>en realer Umsetzung ni<strong>ch</strong>t ri<strong>ch</strong>tigkeitsverbürgende Verfahren nötig<br />

würden. Die Definitionen in D 4 und D 4N setzen demgemäß für eine prozedurale<br />

Theorie begriffsnotwendig voraus, daß die Behauptung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> mit Verfahren<br />

begründet wird.<br />

III. Zur Klassifizierung prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

1. Die Klassifizierung bei A. Kaufmann<br />

Arthur Kaufmann versteht unter prozeduralen <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> alle <strong>Theorien</strong>,<br />

die Aussagen über <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> aus einem gedankli<strong>ch</strong>en Verfahren ableiten 422 .<br />

Ihr Charakteristikum soll in dem Versu<strong>ch</strong> liegen, Inhalte aus bloßer Form zu gewinnen<br />

423 . Na<strong>ch</strong> Kaufmann gehören Vertragstheorien und Diskurstheorien zu den so<br />

verstandenen prozeduralen <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 424 . Als Prototypen dieser<br />

<strong>Theorien</strong>gruppen untersu<strong>ch</strong>t er die Sozialvertragstheorie von Rawls und die Diskurstheorie<br />

von Habermas 425 . Neben diese »zwei wi<strong>ch</strong>tigsten Modelle« stellt Kaufmann<br />

422 Vgl. A. Kaufmann, <strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1989), S. 10 f.<br />

423 A. Kaufmann, <strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1989), S. 11: »Heute werden diese Versu<strong>ch</strong>e<br />

meist als 'prozedurale <strong>Theorien</strong>' <strong>der</strong> Wahrheit bzw. <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> bezei<strong>ch</strong>net.« Kaufmann<br />

führt dies auf die kantis<strong>ch</strong>e Tradition zurück; siehe ebd., S. 9: »Kant denkt ni<strong>ch</strong>t objektivistis<strong>ch</strong><br />

und ni<strong>ch</strong>t subjektivistis<strong>ch</strong>, son<strong>der</strong>n prozeßhaft. ... Der kategoris<strong>ch</strong>e Imperativ bedeutet denn au<strong>ch</strong><br />

gar ni<strong>ch</strong>ts an<strong>der</strong>es als das Unterfangen, inhaltli<strong>ch</strong>e moralis<strong>ch</strong>e Aussagen aus einem gedankli<strong>ch</strong>en<br />

Verfahren abzuleiten.«<br />

424 Vgl. A. Kaufmann, <strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1989), S. 13 ff. ('Vertragsmodell'), 16 ff.<br />

('Diskursmodell').<br />

425 A. Kaufmann, <strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1989), S. 13 ff. Die glei<strong>ch</strong>e exemplaris<strong>ch</strong>e<br />

Auswahl findet si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> bei L. Kern, Von Habermas zu Rawls (1986), S. 83 ff.<br />

134


außerdem die Systemtheorie, insbeson<strong>der</strong>e diejenige Luhmanns, als eine weitere<br />

Gruppe prozeduraler <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 426 . Für die Systemtheorie Luhmanns<br />

ma<strong>ch</strong>t er dabei selbst die Eins<strong>ch</strong>ränkung, daß '<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' im Sinne <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en<br />

Philosophie dort gerade ni<strong>ch</strong>t anerkannt wird 427 . Insgesamt ergibt si<strong>ch</strong> folgende<br />

Klassifizierung:<br />

(1) Materiale <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

(2) <strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

(a) Sozialvertragstheorien (z.B. Rawls)<br />

(b) Diskurstheorien (z.B. Habermas)<br />

(c) Systemtheorien (z.B. Luhmann)<br />

Diese Zusammenstellung erklärt si<strong>ch</strong> daraus, daß Kaufmann im weiteren Verlauf seiner<br />

Studie die <strong>Theorien</strong> von Luhmann, Rawls und Habermas alle aus dem glei<strong>ch</strong>en<br />

Grund verwirft. In allen drei Fällen lasse si<strong>ch</strong> zeigen, daß <strong>der</strong> Versu<strong>ch</strong>, aus einer<br />

konsequent dur<strong>ch</strong>geführten reinen prozeduralen Theorie Inhalte zu gewinnen, fehls<strong>ch</strong>lagen<br />

müsse 428 .<br />

Die dur<strong>ch</strong> dieses Wi<strong>der</strong>legungsziel motivierte Klassifizierung kann ni<strong>ch</strong>t überzeugen.<br />

Sieht man einmal von <strong>der</strong> Systemtheorie ab, die mit <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung<br />

ohnehin ni<strong>ch</strong>ts zu tun hat und au<strong>ch</strong> von Kaufmann in seiner Studie ni<strong>ch</strong>t weiter<br />

untersu<strong>ch</strong>t wird, so läuft das S<strong>ch</strong>ema auf eine Di<strong>ch</strong>otomie von Sozialvertragstheorien<br />

und Diskurstheorien hinaus 429 . Diese Konkretisierung <strong>der</strong> prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

verna<strong>ch</strong>lässigt Standpunkttheorien, kann also die monologis<strong>ch</strong>en Konzeptionen<br />

<strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft, wie sie etwa in <strong>Theorien</strong> des unparteiis<strong>ch</strong>en Beoba<strong>ch</strong>ters<br />

expliziert werden, ni<strong>ch</strong>t berücksi<strong>ch</strong>tigen. Außerdem gibt es (prozedurale)<br />

Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien, die ni<strong>ch</strong>t zu einem vollständigen Sozialvertragsmodell ausgebaut<br />

werden 430 . Au<strong>ch</strong> sie bleiben in Kaufmanns Darstellung unberücksi<strong>ch</strong>tigt. Bezieht<br />

man alle prozeduralen <strong>Theorien</strong> mit ein, so spitzt si<strong>ch</strong> die Frage na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> rationalen<br />

Begründbarkeit einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>skonzeption ni<strong>ch</strong>t auf die Darstellungsmit-<br />

426 Vgl. A. Kaufmann, <strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1989), S. 11.<br />

427 A. Kaufmann, <strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1989), S. 11: »Für Luhmann gibt es so etwas<br />

wie 'Ri<strong>ch</strong>tigkeit', '<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>', 'Wahrheit' überhaupt ni<strong>ch</strong>t; ... Es kommt ni<strong>ch</strong>t darauf an, daß<br />

'<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' verwirkli<strong>ch</strong>t wird (sie gibt es ja ni<strong>ch</strong>t), son<strong>der</strong>n daß das System funktioniert, indem<br />

es soziale Komplexität reduziert.« Diese Eins<strong>ch</strong>ätzung ist zutreffend; vgl. unten S. 148 ff. (Theorie<br />

<strong>der</strong> sozialen Systeme).<br />

428 A. Kaufmann, <strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1989), S. 11: »Er [<strong>der</strong> Entwurf Luhmanns]<br />

zeigt aber au<strong>ch</strong>, daß eine konsequent dur<strong>ch</strong>geführte rein prozedurale Theorie keine Inhalte mehr<br />

zuläßt.«; S. 15: »[Bei Rawls] hat si<strong>ch</strong> gezeigt, daß die normativen Inhalte gar ni<strong>ch</strong>t, jedenfalls ni<strong>ch</strong>t<br />

allein, aus dem Verfahren gewonnen sind.«; S. 19: »Der rationale, konsenserzielende Diskurs als<br />

sol<strong>ch</strong>er sagt uns ni<strong>ch</strong>t, was wahr o<strong>der</strong> ri<strong>ch</strong>tig ist, und ni<strong>ch</strong>t, was wir tun sollen. Erst wenn man dem<br />

Diskurs einen Inhalt, ein 'Thema', gibt, <strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>t mit dem Diskurs ineinsfällt, kann die Diskursbzw.<br />

Konsensustheorie als Wahrheits- und Ri<strong>ch</strong>tigkeitstheorie fungieren.« S<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> zusammenfassend<br />

S. 20: »Allen diesen rein prozeduralen <strong>Theorien</strong> ist gemeinsam, daß die Inhalte ers<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />

sind.« So bereits <strong>der</strong>s., Re<strong>ch</strong>t und Rationalität (1988), S. 34. Ebenso D. v.d. Pfordten,<br />

Re<strong>ch</strong>tsethik (1996), S. 270.<br />

429 Vgl. A. Kaufmann, <strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1989), S. 11.<br />

430 Dazu unten S. 171 ff. (<strong>Theorien</strong> zur Optimierung relativer Nutzenfaktoren), S. 176 ff. (<strong>Theorien</strong><br />

zum Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt).<br />

135


tel von Vertrag und Diskurs zu, son<strong>der</strong>n vielmehr auf die Frontenstellung zwis<strong>ch</strong>en<br />

Diskursrationalität und Ents<strong>ch</strong>eidungsrationalität 431 .<br />

2. Die Klassifizierung bei R. Dreier<br />

Eine umfassen<strong>der</strong>e Klassifizierung <strong>der</strong> normativen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien hat Ralf<br />

Dreier vorges<strong>ch</strong>lagen 432 :<br />

(1) Materiale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

(a) vom Naturre<strong>ch</strong>tstypus<br />

(b) vom Vernunftre<strong>ch</strong>tstypus 433<br />

(c) u.U. au<strong>ch</strong> »Reine Gefühlstheorien« 434<br />

(2) <strong>Prozedurale</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

(a) <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungstheorien<br />

(!) <strong>Theorien</strong> staatli<strong>ch</strong>er Re<strong>ch</strong>tserzeugung<br />

(") <strong>Theorien</strong> privatautonomer Re<strong>ch</strong>tserzeugung<br />

(b) <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründungstheorien<br />

(!) Argumentationstheorien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (Perelman, Alexy)<br />

(") Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (Rawls 435 )<br />

Dieses S<strong>ch</strong>ema stellt die Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Begründungs- und Erzeugungstheorien<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ins Zentrum – eine Unters<strong>ch</strong>eidung, die si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> in <strong>der</strong><br />

Definition bei R. Dreier nie<strong>der</strong>s<strong>ch</strong>lägt: »<strong>Prozedurale</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien sind normative<br />

<strong>Theorien</strong> über Methoden <strong>der</strong> Erzeugung gere<strong>ch</strong>ten Re<strong>ch</strong>ts o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tfertigung<br />

von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteilen; sie sind darauf geri<strong>ch</strong>tet, Verfahren zu entwickeln,<br />

<strong>der</strong>en Bedingungen und Regeln eingehalten werden müssen, wenn man gere<strong>ch</strong>tes<br />

Re<strong>ch</strong>t erzeugen o<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteile rational begründen will.« 436 Diese Definition<br />

stellt dem philosophis<strong>ch</strong>en Begründungselement ein spezifis<strong>ch</strong> juristis<strong>ch</strong>es Erzeugungselement<br />

an die Seite und führt so zu einem juristis<strong>ch</strong> erweiterten Begriff <strong>der</strong><br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie, wie er im allgemeinen sinnvoll ist und s<strong>ch</strong>on oben zugrundegelegt<br />

wurde 437 . Für die Bestimmung von prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien führt<br />

Dreiers weite Definition indes zu <strong>der</strong> s<strong>ch</strong>on erwähnten Begriffsverwirrung, daß au<strong>ch</strong><br />

materiale Begründungstheorien regelmäßig als prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

angesehen werden müssen, weil au<strong>ch</strong> sie zur Umsetzung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

431 An<strong>der</strong>s A. Kaufmann, <strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1989), S. 11, <strong>der</strong> Vertragstheorien<br />

und Diskurstheorien als die zwei wi<strong>ch</strong>tigsten 'Modelle' prozeduraler <strong>Theorien</strong> ansieht. Wie hier<br />

R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 107, 115; dazu soglei<strong>ch</strong>.<br />

432 R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 107; zustimmend M.R. Deckert, Folgenorientierung in<br />

<strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsanwendung (1995), S. 194.<br />

433 Zu dem Umstand, daß die meisten Vernunftre<strong>ch</strong>tstheorien in den prozeduralen Theoriegattungen<br />

<strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en und kantis<strong>ch</strong>en Grundposition zu verorten sein dürften, vgl. oben S. 89 (Naturre<strong>ch</strong>ts-<br />

und Vernunftre<strong>ch</strong>tstheorien).<br />

434 R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 108.<br />

435 Zur Kritik <strong>der</strong> Einordnung von Rawls' Theorie als Ents<strong>ch</strong>eidungstheorie siehe S. 180 (Theorie <strong>der</strong><br />

Maximin-Wahl?).<br />

436 R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 107.<br />

437 Zu Begründungs- und Erzeugungstheorien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> bereits oben S. 88.<br />

136


auf ri<strong>ch</strong>tigkeitsverbürgende Verfahren setzen 438 . Außerdem drückt Dreiers S<strong>ch</strong>ema,<br />

indem es Erzeugungs- und Begründungstheorien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> auf dieselbe<br />

Ebene stellt, das Verhältnis zwis<strong>ch</strong>en den Theoriegruppen ni<strong>ch</strong>t befriedigend aus.<br />

Das Primat <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung 439 muß dazu führen, daß jede <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugung,<br />

sei sie prozedural o<strong>der</strong> material, einem Begründungsmodell zugeordnet<br />

wird und si<strong>ch</strong> deshalb nur no<strong>ch</strong> als unselbständiger Teil dieser Begründungstheorie<br />

darstellt.<br />

3. Die Klassifizierung in Anlehnung an R. Alexy<br />

Die von Robert Alexy vorges<strong>ch</strong>lagene Klassifizierung na<strong>ch</strong> Grundpositionen, die<br />

s<strong>ch</strong>on bei den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien im allgemeinen zugrundegelegt wurde 440 , kann<br />

au<strong>ch</strong> zur Unters<strong>ch</strong>eidung von materialen und prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

beitragen. In Anlehnung an Alexys Einteilung ergibt si<strong>ch</strong> für normative <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

folgendes S<strong>ch</strong>ema 441 :<br />

(1) 'Antitheorien' <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> = nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>e Grundposition<br />

(2) Materiale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien = aristotelis<strong>ch</strong>e Grundposition<br />

(3) <strong>Prozedurale</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

(a) Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> = hobbesianis<strong>ch</strong>e Grundposition<br />

(b) Universalistis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien = kantis<strong>ch</strong>e Grundposition<br />

Dana<strong>ch</strong> gilt <strong>der</strong> Satz: <strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> sind genau diejenigen<br />

<strong>Theorien</strong>, die zur hobbesianis<strong>ch</strong>en o<strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en Grundposition gehören. Im Gegensatz<br />

zur Einteilung na<strong>ch</strong> Kaufmann hat dies den Vorteil, daß die prozeduralen<br />

<strong>Theorien</strong> abs<strong>ch</strong>ließend erfaßt werden 442 . An<strong>der</strong>s als bei R. Dreier werden die Erzeugungstheorien<br />

ni<strong>ch</strong>t auf eine Stufe mit den Begründungstheorien gestellt, son<strong>der</strong>n es<br />

kann hinter je<strong>der</strong> Grundposition wie<strong>der</strong> materiale und prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungstheorien<br />

geben. Entspre<strong>ch</strong>end <strong>der</strong> These vom Primat <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung<br />

bleiben sol<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> unselbständige Teile <strong>der</strong> sie tragenden Begründungstheorien.<br />

4. Eine erweiterte Klassifizierung<br />

Berücksi<strong>ch</strong>tigt man einige Unterformen, so ergibt si<strong>ch</strong> die erweiterte Klassifizierung,<br />

die im folgenden zugrundegelegt wird. Beispielhaft sind einige Vertreter prozeduraler<br />

<strong>Theorien</strong> in dem S<strong>ch</strong>ema aufgeführt:<br />

438 Dazu oben S. 133 (prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungstheorien).<br />

439 Dazu oben S. 133 f. (Primat <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung).<br />

440 Dazu oben S. 81 ff. (vier Grundpositionen); vgl. oben S. 103 ff. (an<strong>der</strong>e Klassifizierungen).<br />

441 Die Grundpositionen stammen von Alexy, ni<strong>ch</strong>t hingegen die ihnen hier zugeordneten Bezei<strong>ch</strong>nungen<br />

als 'Antitheorien' bzw. 'materiale' und 'prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien'.<br />

442 Vgl. oben S. 84 (abs<strong>ch</strong>ließendes S<strong>ch</strong>ema <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien).<br />

137


(1) 'Antitheorien' <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> = nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>e Grundposition<br />

(2) Materiale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien = aristotelis<strong>ch</strong>e Grundposition<br />

(3) <strong>Prozedurale</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

(a) Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> = hobbesianis<strong>ch</strong>e Grundposition<br />

(!) Ni<strong>ch</strong>tvertragli<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens (Braithwaite)<br />

(") Neohobbesianis<strong>ch</strong>e Sozialvertragstheorien (Nozick, Bu<strong>ch</strong>anan)<br />

(b) Universalistis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien = kantis<strong>ch</strong>e Grundposition<br />

(!) Kantis<strong>ch</strong>e Sozialvertragstheorien (Rawls)<br />

(") Standpunkttheorien (Nagel)<br />

(#) Diskurstheorien (Apel, Habermas, Alexy)<br />

Das S<strong>ch</strong>ema zeigt, wie prozedurale <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> dana<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>ieden<br />

werden können, wel<strong>ch</strong>e Antwort sie auf die Frage na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Begründbarkeit von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

geben, o<strong>der</strong> allgemein: wel<strong>ch</strong>e Konzeptionen <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft sie<br />

verfolgen.<br />

Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien (rational <strong>ch</strong>oice theories 443 ) urteilen dana<strong>ch</strong>, wie si<strong>ch</strong> Mens<strong>ch</strong>en<br />

'vernünftigerweise' in Ents<strong>ch</strong>eidungssituationen verhalten. Sie definieren Ents<strong>ch</strong>eidungsverfahren<br />

444 und nehmen das Ents<strong>ch</strong>eidungsverhalten egoistis<strong>ch</strong>er Nutzenmaximierer<br />

als Ausgangspunkt, um die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Handelns zu erklären 445 .<br />

Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien in diesem Sinne sind nur die <strong>Theorien</strong>, die na<strong>ch</strong> dem Verhalten<br />

egoistis<strong>ch</strong>er Nutzenmaximierer fragen (hobbesianis<strong>ch</strong>e Grundposition), ni<strong>ch</strong>t etwa<br />

alle Sozialvertragstheorien (au<strong>ch</strong>: kantis<strong>ch</strong>e Grundposition) o<strong>der</strong> gar alle Nutzenmaximierungstheorien<br />

des Utilitarismus (aristotelis<strong>ch</strong>e Grundposition) 446 .<br />

Universalistis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien untersu<strong>ch</strong>en, wie si<strong>ch</strong> Mens<strong>ch</strong>en 'vernünftigerweise'<br />

verhalten, wenn sie ni<strong>ch</strong>t nur eigennützig ihren Neigungen na<strong>ch</strong>geben,<br />

son<strong>der</strong>n si<strong>ch</strong> als autonome Selbstgesetzgeber fragen, was au<strong>ch</strong> für an<strong>der</strong>e, letztli<strong>ch</strong><br />

sogar für alle das Ri<strong>ch</strong>tige ist. Im Zentrum <strong>der</strong> Diskussion steht dabei die kantis<strong>ch</strong>e<br />

Sozialvertragstheorie von Rawls. Do<strong>ch</strong> sollen in dieser Untersu<strong>ch</strong>ung als Gegenpol<br />

zu den Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien vor allem die <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> rationalen Argumentation<br />

in ihrer Ausprägung als <strong>Theorien</strong> des rationalen praktis<strong>ch</strong>en Diskurses<br />

443 Hier wird 'rational <strong>ch</strong>oice theory' dur<strong>ch</strong>weg mit 'Theorie rationaler Ents<strong>ch</strong>eidung' o<strong>der</strong> einfa<strong>ch</strong> 'Ents<strong>ch</strong>eidungstheorie'<br />

übersetzt, da die wörtli<strong>ch</strong>e Übersetzung ('Theorie rationaler Wahl') ni<strong>ch</strong>t in<br />

glei<strong>ch</strong>er Weise geeignet ist, diejenigen Ents<strong>ch</strong>eidungen zu berücksi<strong>ch</strong>tigen, die eine Auswahlmögli<strong>ch</strong>keit<br />

erst gestalten.<br />

444 Eine allgemeine Definition hierfür findet si<strong>ch</strong> bei J.R. Lucas, Principles of Politics (1966), S. 366: »A<br />

decision procedure is the method of deciding disputes that is common to members of a community.«<br />

Dabei ist ein Disput die Uneinigkeit über Handeln, ni<strong>ch</strong>t Ideen (S. 11). Das Ents<strong>ch</strong>eidungsverfahren<br />

wird nötig, wenn vernünftige Diskussion und Argumentation keinen Konsens bewirken<br />

und das Gewaltverbot, das eine Gemeins<strong>ch</strong>aft begriffli<strong>ch</strong> erst ausma<strong>ch</strong>t, eine (friedli<strong>ch</strong>e) Ents<strong>ch</strong>eidung<br />

erfor<strong>der</strong>t (S. 11).<br />

445 G. Kir<strong>ch</strong>gässner, Homo oeconomicus (1991), S. 12 ff., 45 ff. – eigener Vorteil als Charakteristikum;<br />

R.A. Posner, Economic Analysis of Law (1992), S. 4, 264 ff. – Eigeninteresse, Anreizorientierung.<br />

446 Zu an<strong>der</strong>en Verwendungen des Begriffs <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidungstheorie vgl. R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

(1991), S. 116 f. (au<strong>ch</strong> kantis<strong>ch</strong>e Sozialvertragstheorien).<br />

138


(discourse theories) 447 untersu<strong>ch</strong>t werden. Sie betra<strong>ch</strong>ten Verhalten, das aus Kommunikation<br />

hervorgeht o<strong>der</strong> hervorgehen könnte und erklären die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Handelns<br />

damit, daß bestimmte, rationalitätsverbürgende Regeln in <strong>der</strong> handlungsbestimmenden<br />

Kommunikation eingehalten werden.<br />

IV. Die Grenzziehung zwis<strong>ch</strong>en materialen und prozeduralen <strong>Theorien</strong><br />

Der Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en ontologis<strong>ch</strong>en Naturre<strong>ch</strong>tslehren und aufkläreris<strong>ch</strong>em<br />

Vernunftre<strong>ch</strong>t, dem gegenwärtige <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien in ihrer Mehrzahl zuzure<strong>ch</strong>nen<br />

sind, wurde bereits erörtert 448 . Es sind aber keinesfalls alle neueren <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

prozedural, son<strong>der</strong>n es gibt au<strong>ch</strong> <strong>Theorien</strong> aufkläreris<strong>ch</strong>en Vernunftre<strong>ch</strong>ts,<br />

die man als materiale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien <strong>ch</strong>arakterisieren kann, weil sie<br />

ohne Rückgriff auf Verfahren substantielle Annahmen zum Ausgangspunkt <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung<br />

wählen 449 . Die Zuordnung sol<strong>ch</strong>er <strong>Theorien</strong> (Kommunitarismus,<br />

Utilitarismus) zur aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition und damit zu den materialen<br />

<strong>Theorien</strong> wird im dritten Teil dieser Untersu<strong>ch</strong>ung genauer begründet 450 . Do<strong>ch</strong><br />

es gibt einige Grenzziehungsprobleme zwis<strong>ch</strong>en materialen und prozeduralen <strong>Theorien</strong>,<br />

die allgemeiner Natur sind und deshalb vorab geklärt werden können.<br />

1. Die Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Begründung und Ergebnis<br />

Die Regel, daß ein Verfahrensbezug in <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugung eine Theorie no<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t zur 'prozeduralen' ma<strong>ch</strong>t, wurde bereits in <strong>der</strong> Definition und Klassifizierung<br />

angespro<strong>ch</strong>en 451 . Diese Abgrenzungsregel beruht auf <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung und ihren Ergebnissen – den moralis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen,<br />

die dann in <strong>der</strong> realen Welt verwirkli<strong>ch</strong>t werden wollen. Die Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

von Begründung und Begründungsergebnis führt zu weiteren Abgrenzungsregeln<br />

zwis<strong>ch</strong>en prozeduralen und materialen <strong>Theorien</strong>. Zunä<strong>ch</strong>st gilt, daß eine<br />

Theorie ihren prozeduralen Charakter ni<strong>ch</strong>t verliert, wenn sie oberste <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien<br />

begründet, die dann als materiale Ziele (teleologis<strong>ch</strong>) verfolgt werden<br />

452 . Denn <strong>der</strong>lei Effekte beoba<strong>ch</strong>tet man bei je<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie, die von<br />

prozeduraler Begründung zu realen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen gelangt. Wenn beispielsweise<br />

Rawls oberste <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien begründet, die dann als Leitbil<strong>der</strong><br />

für die Gestaltung <strong>der</strong> Sozialordnung dienen, so bleibt seine Theorie eine prozedura-<br />

447 Zum Begriff <strong>der</strong> Argumentationstheorie siehe R. Alexy, Die Idee einer prozeduralen Theorie <strong>der</strong><br />

juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1979), S. 94 f. Zur Klassifizierung prozeduraler <strong>Theorien</strong> vgl. <strong>der</strong>s.,<br />

Idee und Struktur eines vernünftigen Re<strong>ch</strong>tssystems (1991), S. 30.<br />

448 Dazu oben S. 89 (Naturre<strong>ch</strong>ts- und Vernunftre<strong>ch</strong>tstheorien).<br />

449 Dazu oben S. 89 (Naturre<strong>ch</strong>ts- und Vernunftre<strong>ch</strong>tstheorien, Beispiele: Brunner, Grisez, Finnis).<br />

450 Dazu unten S. 152 ff. (<strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition).<br />

451 Dazu oben S. 132 ff. (Definition <strong>der</strong> prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie).<br />

452 Ebenso T. Vesting, <strong>Prozedurale</strong>s Rundfunkre<strong>ch</strong>t (1997), S. 99; a.A. R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

(1991), S. 113 f. (113): Die Theorie des demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaats sei eine 'gemis<strong>ch</strong>t<br />

prozedural-materiale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie', weil zu ihr au<strong>ch</strong> die materiale Gewährleistung von<br />

Mens<strong>ch</strong>en- und Bürgerre<strong>ch</strong>ten gehöre, die den Staatsgewalten Grenzen setzten.<br />

139


le 453 . Gerade darin liegt ja <strong>der</strong> Sinn <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung, daß am Ende<br />

handlungsleitende Regeln befolgt und Prinzipien so weit wie mögli<strong>ch</strong> verwirkli<strong>ch</strong>t<br />

werden können. Teleologis<strong>ch</strong>e Gehalte des als gere<strong>ch</strong>t begründeten Ergebnisses ma<strong>ch</strong>en<br />

eine prozedurale Theorie ni<strong>ch</strong>t zur materialen, solange die letzten Gründe in<br />

Verfahrensüberlegungen liegen. Eine ganz entspre<strong>ch</strong>ende Regel kann für eine Wertorientierung<br />

in <strong>der</strong> Sozialordnung formuliert werden: Axiologis<strong>ch</strong>e Gehalte eines als<br />

gere<strong>ch</strong>t erkannten Ergebnisses ma<strong>ch</strong>en eine prozedurale Theorie ni<strong>ch</strong>t zur materialen.<br />

Und au<strong>ch</strong> für ethis<strong>ch</strong>e Gehalte 454 läßt si<strong>ch</strong> entspre<strong>ch</strong>endes formulieren: Eine<br />

prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie wird ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>on dadur<strong>ch</strong> zur materialen, daß sie<br />

im Ergebnis zu einer Konzeption <strong>der</strong> tugendhaften Person führt 455 .<br />

2. Die Unters<strong>ch</strong>eidung na<strong>ch</strong> dem S<strong>ch</strong>werpunkt <strong>der</strong> Begründung<br />

S<strong>ch</strong>wieriger wird die Abgrenzung zwis<strong>ch</strong>en materialen und prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

dort, wo die materialen Gehalte ni<strong>ch</strong>t nur im Ergebnis, son<strong>der</strong>n<br />

s<strong>ch</strong>on in <strong>der</strong> Begründung eine Rolle spielen. Das ist bis zu einem gewissen Grad unauswei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />

456 . Wer ein Verfahren egoistis<strong>ch</strong>er Nutzenmaximierung anwendet,<br />

setzt damit bereits voraus, daß Mens<strong>ch</strong>en Interessen, Neigungen und ausrei<strong>ch</strong>end<br />

Verstand haben, um zwis<strong>ch</strong>en vers<strong>ch</strong>iedenen Handlungsweisen rational zu wählen<br />

457 . Wer ein Verfahren <strong>der</strong> Universalisierung vertritt, benötigt die mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e<br />

Fähigkeit, einen moralis<strong>ch</strong>en Standpunkt einzunehmen. Da die Übergänge von <strong>der</strong>lei<br />

materialen Annahmen über sol<strong>ch</strong>e anthropologis<strong>ch</strong>en Konstanten zu einer prozeduralen<br />

Verfahrensbegründung fließend sind, bleibt letztli<strong>ch</strong> nur die Lösung, die Abgrenzung<br />

dana<strong>ch</strong> vorzunehmen, ob <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>werpunkt <strong>der</strong> Begründung auf materialen<br />

o<strong>der</strong> prozeduralen Überlegungen beruht 458 .<br />

Mit diesem vage ers<strong>ch</strong>einenden Kriterium lassen si<strong>ch</strong> prozedurale <strong>Theorien</strong> denno<strong>ch</strong><br />

ausrei<strong>ch</strong>end klar identifizieren, weil ihnen eine Begründungsstrategie gemein<br />

ist, die sie erkennbar ma<strong>ch</strong>t. <strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> versu<strong>ch</strong>en, die materialen Annahmen<br />

so s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong> wie mögli<strong>ch</strong> zu halten und die prozeduralen Überlegungen so stark wie mögli<strong>ch</strong><br />

453 Dazu unten S. 203 (Zwei Prinzipien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in Rawls' Theorie).<br />

454 Zur Ethik als <strong>der</strong> individuellen o<strong>der</strong> kollektiven Konzeption des Guten vgl. oben S. 94 (ethis<strong>ch</strong>er<br />

Gebrau<strong>ch</strong> <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft na<strong>ch</strong> Habermas).<br />

455 Vgl. J. Nida-Rümelin, Die beiden zentralen Intentionen <strong>der</strong> Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Fairneß<br />

von John Rawls (1990), S. 466.<br />

456 So au<strong>ch</strong> J. Nida-Rümelin, Die beiden zentralen Intentionen <strong>der</strong> Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Fairneß<br />

von John Rawls (1990), S. 466: »Jede normativ-ethis<strong>ch</strong>e Theorie enthält – zumindest implizit –<br />

au<strong>ch</strong> eine Konzeption <strong>der</strong> moralis<strong>ch</strong>en Person.« H. Kits<strong>ch</strong>elt, Moralis<strong>ch</strong>es Argumentieren und Sozialtheorie<br />

(1980), S. 406: Eine prozedurale Theorie sei »immer s<strong>ch</strong>on im Rahmen einer anthropologis<strong>ch</strong><br />

orientierten Rekonstruktion moralis<strong>ch</strong>er Kompetenzen <strong>der</strong> Person zu lesen« (Hervorhebung bei<br />

Kits<strong>ch</strong>el). Mit an<strong>der</strong>em Akzent W. Kersting, Die politis<strong>ch</strong>e Philosophie des Gesells<strong>ch</strong>aftsvertrags<br />

(1994), S. 43 in Fn. 29 a.E.: »[Es] gilt, daß jedes Verfahren bestimmte, prozeduralistis<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t begründbare<br />

normative Bedingungen erfüllen muß, um als Legitimationsinstanz theoretis<strong>ch</strong> und<br />

praktis<strong>ch</strong> verwendet werden zu können.« Zu weitgehend deshalb M.R. Deckert, Folgenorientierung<br />

in <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsanwendung (1995), S. 194 (»Die nur-prozeduralen <strong>Theorien</strong> verzi<strong>ch</strong>ten auf jeden<br />

materialen Gehalt.«) und K.-E. Hain, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (2001), S. 195.<br />

457 Ähnli<strong>ch</strong> A. Cortina, Diskursethik und partizipatoris<strong>ch</strong>e Demokratie (1993), S. 246.<br />

458 Umgekehrt abgrenzend M.R. Deckert, Folgenorientierung in <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsanwendung (1995), S. 194 –<br />

'Au<strong>ch</strong>-materiale' <strong>Theorien</strong> seien sol<strong>ch</strong>e, die den S<strong>ch</strong>werpunkt im materialen Berei<strong>ch</strong> haben.<br />

140


auszubauen 459 . <strong>Theorien</strong> rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens sind also deshalb prozedural, weil<br />

sie den S<strong>ch</strong>werpunkt ihrer Argumentation darauf legen, was in einem Verfahren rationaler<br />

Abwägung für den Einzelnen na<strong>ch</strong> seinen Interessen optimal ist. Diskurstheorien<br />

sind prozedural, weil sie dana<strong>ch</strong> fragen, was im Verfahren des Diskurses als<br />

Ergebnis erzeugt werden könnte. Anthropologis<strong>ch</strong>e Naturre<strong>ch</strong>tslehren sind hingegen<br />

material, weil sie vor allem auf Bedürfnisse des Mens<strong>ch</strong>en abstellen, ohne daß es<br />

wesentli<strong>ch</strong> auf die Verfahren ankäme, mit denen sol<strong>ch</strong>e Bedürfnisse befriedigt werden<br />

460 . Die Abgrenzung na<strong>ch</strong> dem S<strong>ch</strong>werpunkt <strong>der</strong> Begründung führt dazu, daß<br />

eine im Grunde gere<strong>ch</strong>tigkeitsskeptis<strong>ch</strong>e positivistis<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>tstheorie wie diejenige<br />

H.L.A. Harts wegen des Fehlens je<strong>der</strong> Verfahrensüberlegung allein dur<strong>ch</strong> die Annahme<br />

eines Minimalgehalts des Naturre<strong>ch</strong>ts (minimum content of natural law) 461 als<br />

materiale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie anzusehen ist.<br />

V. Das Vertragsmodell und das Geri<strong>ch</strong>tsmodell (R. Dreier)<br />

Ralf Dreier vertritt die These, daß si<strong>ch</strong> alle Verfahren, die in prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

vorges<strong>ch</strong>lagen werden, letztli<strong>ch</strong> auf zwei Grundmodelle und <strong>der</strong>en<br />

Kombination zurückführen lassen: auf das Vertragsmodell und das Geri<strong>ch</strong>tsmodell<br />

462 . Das Vertragsmodell beruhe dabei auf <strong>der</strong> Vorstellung, daß das einem jeden<br />

Zustehende (suum cuique) dur<strong>ch</strong> Übereinkunft aller, die es angeht, festzulegen sei.<br />

Das Geri<strong>ch</strong>tsmodell verlange demgegenüber, daß im Streitfall eine neutrale, beson<strong>der</strong>s<br />

qualifizierte Instanz zu ents<strong>ch</strong>eiden habe. Aus dem Bedingungs- und Regelbestand<br />

dieser beiden Grundmodelle sollen si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Dreier alle an<strong>der</strong>en Verfahrensmodelle,<br />

etwa das Gesetzgebungsmodell o<strong>der</strong> das Modell wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Wahrheitsfindung,<br />

zusammensetzen lassen 463 .<br />

Das mag stimmen, do<strong>ch</strong> genügt die Unters<strong>ch</strong>eidung ni<strong>ch</strong>t als Analysemittel, weil<br />

si<strong>ch</strong> die Verfahren jeweils auf ganz unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Weise aus diesen 'Grundmodel-<br />

459 Vgl. C.K. Kaufman, The Nature of Justice (1980), S. 223 – im Konflikt zwis<strong>ch</strong>en substantiellen und<br />

prozeduralen Kriterien gebührt den prozeduralen <strong>der</strong> Vorrang.<br />

460 Als eine sol<strong>ch</strong>e Theorie kann beispielsweise die objektivistis<strong>ch</strong>e Werttheorie (self-evident basic values)<br />

von Finnis angesehen werden; vgl. oben S. 89 (Naturre<strong>ch</strong>ts- und Vernunftre<strong>ch</strong>tstheorien).<br />

Ebenfalls materiale <strong>Theorien</strong> sind diejenigen, die ganz ohne Verfahrensüberlegungen unmittelbar<br />

na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tfertigung moralis<strong>ch</strong>er Regeln fragen, etwa wie bei B. Gert, Die moralis<strong>ch</strong>en Regeln<br />

(1966), S. 116 ff.<br />

461 H.L.A. Hart, Concept of Law (1961), S. 189 ff.: Die Tatsa<strong>ch</strong>en <strong>der</strong> Verletzli<strong>ch</strong>keit des Mens<strong>ch</strong>en<br />

(human vulnerability), <strong>der</strong> Bedürftigkeit trotz begrenzter Resourcen (limited resources) und <strong>der</strong> bloß<br />

begrenzten Uneigennützigkeit (limited altruism) führe notwendig zu integritätss<strong>ch</strong>ützenden Geboten<br />

<strong>der</strong> Unterlassung; die <strong>der</strong> näherungsweisen Glei<strong>ch</strong>heit (approximate equality) führe notwendig<br />

zur Re<strong>ch</strong>tspfli<strong>ch</strong>tigkeit aller; die des begrenzten Verständnisses und <strong>der</strong> begrenzten Willensstärke<br />

(limited un<strong>der</strong>standing and strength of will) führe notwendig zur Gehorsamserzwingung dur<strong>ch</strong><br />

Sanktionen. Vgl. dazu Harts These, daß – wenn überhaupt – ein Naturre<strong>ch</strong>t darin bestünde, allen<br />

Mens<strong>ch</strong>en ein glei<strong>ch</strong>es Re<strong>ch</strong>t auf Freiheit zuzuweisen: H.L.A. Hart, Are There Any Natural Rights?<br />

(1955), S. 77 ff. Eine verwandte, aber do<strong>ch</strong> an<strong>der</strong>e, s<strong>ch</strong>utzre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Bedeutung verbindet si<strong>ch</strong> dagegen<br />

mit <strong>der</strong> These Jellineks vom 'ethis<strong>ch</strong>en Minimum'; dazu oben S. 30, Fn. 14.<br />

462 R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 112 ff.<br />

463 R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 112 f.<br />

141


len' zusammensetzen 464 . So bildet si<strong>ch</strong> in neohobbesianis<strong>ch</strong>en Sozialvertragstheorien<br />

<strong>der</strong> Konsens nur im Ausglei<strong>ch</strong> egoistis<strong>ch</strong>er Nutzenmaximierung, während in kantis<strong>ch</strong>en<br />

Sozialvertragstheorien eine universalistis<strong>ch</strong>e Komponente enthalten ist, die<br />

na<strong>ch</strong> Dreiers Einteilung dem Geri<strong>ch</strong>tsmodell zuzus<strong>ch</strong>reiben wäre. Diskurstheorien<br />

und kantis<strong>ch</strong>e Sozialvertragstheorien kombinieren jeweils Elemente des Vertragsmodells<br />

(Konsens 465 ) und des Geri<strong>ch</strong>tsmodells (Universalität) und sind do<strong>ch</strong> im Ergebnis<br />

deutli<strong>ch</strong> zu unters<strong>ch</strong>eiden. Wegen <strong>der</strong> nahezu grenzenlosen Vielfalt unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er<br />

Kombinationsmögli<strong>ch</strong>keiten wird die Einteilung in Grundmodelle hier<br />

ni<strong>ch</strong>t weiter verfolgt.<br />

VI. Ergebnisse<br />

<strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im engeren Sinne sind nur sol<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong>,<br />

die zur Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> auf Verfahren zurückgreifen. Es handelt si<strong>ch</strong><br />

dabei um genau diejenigen <strong>Theorien</strong>, die <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en o<strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en<br />

Grundposition <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie zuzure<strong>ch</strong>nen sind. Für diese <strong>Theorien</strong> ist<br />

kennzei<strong>ch</strong>nend, daß sie materiale Annahmen so s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong> wie mögli<strong>ch</strong> halten und die<br />

prozeduralen Begründungselemente so stark wie mögli<strong>ch</strong> ausbauen. Als prozedurale<br />

<strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im weiteren Sinne kann man au<strong>ch</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungstheorien<br />

verstehen; <strong>der</strong>en Verfahren bleiben aber auf verfahrensexterne<br />

Kriterien zur <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung angewiesen.<br />

464 Das gesteht au<strong>ch</strong> Dreier zu: R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 112.<br />

465 R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 115 benutzt die Bezei<strong>ch</strong>nung 'Konsensmodell' synonym<br />

mit <strong>der</strong> des 'Vertragsmodells'.<br />

142


Dritter Teil:<br />

Einige <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

Die einzelnen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien sollen hier zunä<strong>ch</strong>st nur in ihren Grundzügen<br />

dargestellt und auf innere Wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong>sfreiheit hin untersu<strong>ch</strong>t werden (Konsistenz).<br />

Im übrigen bleibt die Analyse <strong>der</strong> äußeren Wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong>sfreiheit (Kohärenz) und alle<br />

übrige Kritik dem vierten Teil vorbehalten 1 , denn viele Einwände gelten für ganze<br />

Theoriegruppen und setzen deshalb einen Überblick über das Spektrum voraus. Die<br />

Darstellung folgt <strong>der</strong> zuvor begründeten Klassifizierung na<strong>ch</strong> Grundpositionen <strong>der</strong><br />

politis<strong>ch</strong>en Philosophie 2 und erstreckt si<strong>ch</strong> auf die ni<strong>ch</strong>tprozeduralen Theoriegruppen<br />

<strong>der</strong> nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>en und aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition, weil diese als Gegenmodelle<br />

zu den prozeduralen <strong>Theorien</strong> Bea<strong>ch</strong>tung verdienen. Die Auswahl <strong>der</strong><br />

<strong>Theorien</strong> zielt ni<strong>ch</strong>t auf Vollständigkeit, son<strong>der</strong>n soll das Spektrum <strong>der</strong> Mögli<strong>ch</strong>keiten<br />

beispielhaft umreißen.<br />

A. <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>en Grundposition (<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskepsis)<br />

I. Charakteristika<br />

Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien <strong>der</strong> nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>en Tradition verbindet die These, daß<br />

si<strong>ch</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> inhaltli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t bestimmen läßt. In <strong>der</strong> These, daß na<strong>ch</strong> den streitig<br />

gewordenen materialen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>svorstellungen <strong>der</strong> Naturre<strong>ch</strong>tslehren au<strong>ch</strong><br />

die rationalistis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründungen des Vernunftre<strong>ch</strong>ts fehlges<strong>ch</strong>lagen<br />

sein sollen, liegt das beson<strong>der</strong>e Verdienst Nietzs<strong>ch</strong>es 3 . Allein diese grundlegende<br />

Skepsis gegenüber je<strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Rationalität 4 – und damit au<strong>ch</strong> gegenüber <strong>der</strong><br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskepsis) – ist gemeint, wenn hier von nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>er<br />

Grundposition die Rede ist 5 . Im übrigen gibt es ni<strong>ch</strong>t viele Skeptiker, die au<strong>ch</strong> Nietz-<br />

1 Dazu unten S. 261 ff. (Vierter Teil).<br />

2 Vgl. oben S. 80 ff. (Klassifizierung).<br />

3 Zu dieser Eins<strong>ch</strong>ätzung au<strong>ch</strong> A. MacIntyre, Verlust <strong>der</strong> Tugend (1984), S. 341; J. Habermas, Eintritt<br />

in die Postmo<strong>der</strong>ne: Nietzs<strong>ch</strong>e als Drehs<strong>ch</strong>eibe (1985), S. 129: »[Die] beiden von Nietzs<strong>ch</strong>e gebahnten<br />

... Wege... in die Postmo<strong>der</strong>ne«.<br />

4 Vgl. F. Nietzs<strong>ch</strong>e, Götzen-Dämmerung (1888), Die 'Vernunft' in <strong>der</strong> Philosophie, Nr. 5, S. 960 –<br />

Vernunft als »alte betrügeris<strong>ch</strong>e Weibsperson«. Siehe au<strong>ch</strong> oben S. 82, Fn. 201 f. sowie soglei<strong>ch</strong><br />

Fn. 6. Außerdem J. Habermas, Eintritt in die Postmo<strong>der</strong>ne: Nietzs<strong>ch</strong>e als Drehs<strong>ch</strong>eibe (1985),<br />

S. 129: »Nietzs<strong>ch</strong>e verdankt seinen ma<strong>ch</strong>ttheoretis<strong>ch</strong> entwickelten Begriff <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne einer demaskierenden<br />

Vernunftkritik, die si<strong>ch</strong> selbst außerhalb des Horizonts <strong>der</strong> Vernunft stellt.«<br />

5 Zur Identifizierung <strong>der</strong> nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>en Grundposition mit grundlegen<strong>der</strong> Skepsis gegenüber<br />

dem Begriff <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft R. Alexy, Eine diskurstheoretis<strong>ch</strong>e Konzeption <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en<br />

Vernunft (1993), S. 11 f.; ähnli<strong>ch</strong> H. Klenner, Über die vier Arten von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

gegenwärtiger Re<strong>ch</strong>tsphilosophie (1995), S. 137 (»Agnostiker«). Genau genommen wäre bei <strong>der</strong><br />

kritis<strong>ch</strong>en Distanz zur praktis<strong>ch</strong>en Vernunft zwis<strong>ch</strong>en Relativismus, Skeptizismus und Nihilismus<br />

zu unters<strong>ch</strong>eiden; vgl. S. Rosen, Nihilism (1969), S. 72 ff., 94 ff. (Nihilismus bei Nietzs<strong>ch</strong>e). Hier<br />

143


s<strong>ch</strong>es Begründung seiner <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>skritik teilen würden. Nietzs<strong>ch</strong>e hat die Skepsis<br />

als S<strong>ch</strong>wert gegen <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>e und bürgerli<strong>ch</strong>e Moral entwickelt und in seinem<br />

moralkritis<strong>ch</strong>en Werk sozialdarwinistis<strong>ch</strong> zugespitzt: Nur die egoistis<strong>ch</strong>e und lebensfroh<br />

instinktive Herrenmoral eines 'Übermens<strong>ch</strong>en' entspre<strong>ch</strong>e dem alles beherrs<strong>ch</strong>enden<br />

Willen zur Ma<strong>ch</strong>t und sei im Gegensatz zur Sklavenmoral das einzig Ri<strong>ch</strong>tige<br />

im mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Sollen 6 . Die neuen Werte, die Nietzs<strong>ch</strong>e im 'Übermens<strong>ch</strong>en'<br />

verkörpert sah, gehen maßgebli<strong>ch</strong> auf S<strong>ch</strong>openhauers 'Willen zur Ma<strong>ch</strong>t' zurück 7 . Sie<br />

betonen die zentrale Rolle des Ma<strong>ch</strong>twillens als einer blinden und irrationalen Kraft,<br />

mit <strong>der</strong> die Gedanken <strong>der</strong> Aufklärung wi<strong>der</strong>legt und dur<strong>ch</strong> einen grundlegenden<br />

Pessimismus und Skeptizismus ersetzt werden.<br />

Den Standpunkt <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskepsis wird nur einnehmen, wer die Su<strong>ch</strong>e<br />

na<strong>ch</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als von vornherein aussi<strong>ch</strong>tslos o<strong>der</strong> als endgültig ges<strong>ch</strong>eitert ansieht.<br />

Der moralis<strong>ch</strong>e Nihilismus lehnt bereits die Existenz von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ab 8 ,<br />

<strong>der</strong> moralis<strong>ch</strong>e Relativismus behauptet ihre Unents<strong>ch</strong>eidbarkeit 9 und <strong>der</strong> Emotivismus<br />

definiert die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> hinweg, indem er normativen und axiologis<strong>ch</strong>en Sätzen<br />

einen Anspru<strong>ch</strong> auf Ri<strong>ch</strong>tigkeit aberkennt 10 . <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>en Tradition<br />

enthalten insofern eine moralis<strong>ch</strong>e Bankrotterklärung, also gerade die Antithese<br />

zur Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>. Ihr verbindendes Element liegt in <strong>der</strong> Ablehnung<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Kategorie des Sollens. Damit können alle <strong>Theorien</strong> zur<br />

nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>en Tradition gere<strong>ch</strong>net werden, die die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfrage für sinnlos<br />

o<strong>der</strong> unents<strong>ch</strong>eidbar und konsequenterweise in <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Philosophie für<br />

irrelevant halten. In ihnen wird die Frage 'Was soll i<strong>ch</strong> tun?' ohne einen Rückgriff<br />

wird demgegenüber jede <strong>der</strong> Spielarten <strong>der</strong> Vernunftskepsis in einem weiten Sinn als 'Skeptizismus'<br />

verstanden.<br />

6 Vgl. F. Nietzs<strong>ch</strong>e, Also spra<strong>ch</strong> Zarathustra (1883), Zarathustras Vorrede, Nr. 7, S. 287: »I<strong>ch</strong> will die<br />

Mens<strong>ch</strong>en den Sinn ihres Seins lehren: wel<strong>ch</strong>er ist <strong>der</strong> Übermens<strong>ch</strong>, <strong>der</strong> Blitz aus <strong>der</strong> dunklen<br />

Wolke Mens<strong>ch</strong>.«; <strong>der</strong>s., Zur Genealogie <strong>der</strong> Moral (1887), Vorrede, Nr. 6, S. 768: »So daß gerade<br />

die Moral daran s<strong>ch</strong>uld wäre, wenn eine an si<strong>ch</strong> mögli<strong>ch</strong>e hö<strong>ch</strong>ste Mä<strong>ch</strong>tigkeit und Pra<strong>ch</strong>t des Typus<br />

Mens<strong>ch</strong> niemals errei<strong>ch</strong>t würde?« (Hervorhebung bei Nietzs<strong>ch</strong>e).<br />

7 Vgl. A. S<strong>ch</strong>openhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung (1819), S. 691 (Kritik <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en Philosophie):<br />

»O<strong>der</strong> sind etwa au<strong>ch</strong> die Vors<strong>ch</strong>riften, wel<strong>ch</strong>e <strong>der</strong> kluge und konsequente, überlegte<br />

und weitsehende Ma<strong>ch</strong>iavelli dem Fürsten gibt, unvernünftig?« (Hervorhebung bei S<strong>ch</strong>openhauer).<br />

8 Vgl. S. Rosen, Nihilism (1969), S. 72 ff., 94 ff. (Nihilismus bei Nietzs<strong>ch</strong>e).<br />

9 Dazu soglei<strong>ch</strong> S. 145 (re<strong>ch</strong>tsethis<strong>ch</strong>er Relativismus Kelsens). Zum Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en Skeptizismus<br />

i.S.v. Nihilismus einerseits und Relativismus an<strong>der</strong>erseits G. Patzig, Ethik ohne Metaphysik<br />

(1983), S. 62 ff. (76 ff.).<br />

10 Dazu insbeson<strong>der</strong>e C.L. Stevenson, Ethics and Language (1944), S. 22, 81 – die Bedeutung des Satzes<br />

'This is good.' ers<strong>ch</strong>öpfe si<strong>ch</strong> in <strong>der</strong>jenigen des Satzes 'I approve of this; do so as well.' Ausdrückli<strong>ch</strong><br />

au<strong>ch</strong> A.J. Ayer, Spra<strong>ch</strong>e, Wahrheit und Logik (1947), S. 135: »Wir werden uns darauf<br />

konzentrieren zu zeigen, daß Wertaussagen ... ni<strong>ch</strong>t im eigentli<strong>ch</strong>en Sinne bedeutsam, son<strong>der</strong>n<br />

einfa<strong>ch</strong> Gefühlsausdrücke sind, die we<strong>der</strong> wahr no<strong>ch</strong> fals<strong>ch</strong> sein können.« Als 'Emotivismus'<br />

kann generell diejenige ni<strong>ch</strong>tmetaphysis<strong>ch</strong>e, metaethis<strong>ch</strong>e Theorie gelten, die, an<strong>der</strong>s als <strong>der</strong> Deskriptivismus<br />

(Naturalismus, Intuitionismus), eine Fakten/Werte-Di<strong>ch</strong>otomie anerkennt, aber<br />

axiologis<strong>ch</strong>e Sätze, etwa die mit dem allgemeinsten Wertprädikat 'gut', als bloße Auffor<strong>der</strong>ungen<br />

interpretiert, weil er davon ausgeht, daß Werturteile im Gegensatz zu Tatsa<strong>ch</strong>enbehauptungen<br />

we<strong>der</strong> wahr o<strong>der</strong> ri<strong>ch</strong>tig no<strong>ch</strong> fals<strong>ch</strong> sein können. Vgl. zur Einteilung ni<strong>ch</strong>tmetaphysis<strong>ch</strong>er, metaethis<strong>ch</strong>er<br />

<strong>Theorien</strong> H. Pauer-Stu<strong>der</strong>, Das An<strong>der</strong>e <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1996), S. 195 ff.<br />

144


auf <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> beantwortet, entwe<strong>der</strong> weil das Handeln überhaupt keiner Re<strong>ch</strong>tfertigung<br />

bedarf, o<strong>der</strong> weil eine inhaltli<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>tfertigung unmögli<strong>ch</strong> ist.<br />

Mit dem Gesagten ist klar, daß <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>en Tradition keine<br />

materialen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien sein können, denn die inhaltli<strong>ch</strong>e Festlegung von<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> lehnen sie gerade ab. Es handelt si<strong>ch</strong> aber au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t um prozedurale<br />

<strong>Theorien</strong> im Sinne von D 4 . Zwar bleibt den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskeptikern mangels inhaltli<strong>ch</strong>er<br />

Anknüpfungspunkte letztli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts an<strong>der</strong>es übrig, als auf bestimmte Verfahren<br />

zur Regelung <strong>der</strong> sozialen Ordnung zu setzen. Sie sind deshalb prozedural in<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugung. Aber in <strong>der</strong> Einhaltung gedankli<strong>ch</strong>er Verfahren sehen<br />

sie keine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung 11 .<br />

Die <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>en Grundposition erweisen si<strong>ch</strong> also bei genauer<br />

Betra<strong>ch</strong>tung we<strong>der</strong> als materiale no<strong>ch</strong> als prozedurale <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>,<br />

son<strong>der</strong>n sie sind <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskepsis. Man könnte, weil sie die Antithese<br />

zur <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> enthalten, au<strong>ch</strong> von Antitheorien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> spre<strong>ch</strong>en.<br />

II.<br />

Theorie des re<strong>ch</strong>tsethis<strong>ch</strong>en Relativismus (H. Kelsen)<br />

Man kann als <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskeptiker zugestehen, daß die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> insofern etwas<br />

mit Re<strong>ch</strong>t zu tun hat, als sie ein Motiv für die Gestaltung <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsordnung ist,<br />

und glei<strong>ch</strong>zeitig darauf bestehen, daß es sinnlos ist, über <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> zu spre<strong>ch</strong>en,<br />

weil vers<strong>ch</strong>iedene <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>skonzeptionen als glei<strong>ch</strong>ermaßen gültig o<strong>der</strong> ungültig<br />

angesehen werden müssen. Dies ist die Position des re<strong>ch</strong>tsethis<strong>ch</strong>en Relativismus,<br />

wie Kelsen ihn in <strong>der</strong> 'Reinen Re<strong>ch</strong>tslehre' entwickelt hat 12 . Das Re<strong>ch</strong>t ist dana<strong>ch</strong><br />

ein System von Zwangsnormen, das einer vorpositiven Re<strong>ch</strong>tfertigung ni<strong>ch</strong>t bedarf<br />

und ihrer au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t fähig ist. Eine praktis<strong>ch</strong>e Vernunft, die Begründungen <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

generieren könnte, gibt es ni<strong>ch</strong>t 13 . Damit wird jede Politisierung und geisteswissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e<br />

Bewertung aus <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tslehre verbannt (juristis<strong>ch</strong>er Wertrelativismus)<br />

14 . Die Sollensanordnungen re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er Normen gelten ohne den Rückgriff<br />

auf <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 15 . Über diese re<strong>ch</strong>tspositivistis<strong>ch</strong>e Trennungsthese hinaus sagt Kelsen<br />

aber au<strong>ch</strong> Grundlegendes über die Mögli<strong>ch</strong>keit praktis<strong>ch</strong>er Vernunft: Was <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

inhaltli<strong>ch</strong> und absolut ist, entziehe si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Beurteilung; es<br />

11 Vgl. J. Habermas, Eintritt in die Postmo<strong>der</strong>ne: Nietzs<strong>ch</strong>e als Drehs<strong>ch</strong>eibe (1985), S. 119 f.: Nietzs<strong>ch</strong>e<br />

habe das »kritis<strong>ch</strong>e Vermögen <strong>der</strong> Werts<strong>ch</strong>ätzung ni<strong>ch</strong>t als ein Moment <strong>der</strong> Vernunft anerkannt,<br />

das wenigstens prozedural, im Verfahren argumentativer Begründung, mit objektivieren<strong>der</strong> Erkenntnis<br />

und moralis<strong>ch</strong>er Einsi<strong>ch</strong>t no<strong>ch</strong> zusammenhängt.«<br />

12 H. Kelsen, Das Problem <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1960), S. 357, 366 ff., sowie insbeson<strong>der</strong>e S. 403 f.: »Eine<br />

positivistis<strong>ch</strong>e und das heißt realistis<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>tslehre behauptet ni<strong>ch</strong>t – wie immer wie<strong>der</strong> betont<br />

werden muß –, daß es keine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> gebe, ... Sie leugnet ni<strong>ch</strong>t, daß die Gestaltung einer positiven<br />

Re<strong>ch</strong>tsordnung dur<strong>ch</strong> die Vorstellung irgendeiner <strong>der</strong> vielen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen bestimmt<br />

werden kann und in <strong>der</strong> Regel tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> bestimmt wird.«<br />

13 H. Kelsen, Das Problem <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1960), S. 419 – Die praktis<strong>ch</strong>e Vernunft sei ein logis<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t haltbarer Begriff. Ähnli<strong>ch</strong> bereits A. Ross, Kritik <strong>der</strong> sogenannten praktis<strong>ch</strong>en Vernunft<br />

(1933), S. 19: »Ganz glei<strong>ch</strong>, unter wel<strong>ch</strong>em Namen die praktis<strong>ch</strong>e Erkenntnis auftritt; [sie] ist in<br />

si<strong>ch</strong> wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong>svoll. ... Das Ergebnis <strong>der</strong> Analyse: <strong>der</strong> sogenannte Begriff einer praktis<strong>ch</strong>en Erkenntnis<br />

ist kein e<strong>ch</strong>ter Begriff«.<br />

14 Zu dieser Bezei<strong>ch</strong>nung R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 99, 117 f.<br />

15 H. Kelsen, Das Problem <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1960), S. 402 ff.<br />

145


gebe allenfalls eine 'relative Lösung' des Problems <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 16 . <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen<br />

sind bei Kelsen aus dem Berei<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Erkenntnis in denjenigen <strong>der</strong> Bekenntnis<br />

verdrängt, können also nur no<strong>ch</strong> als hö<strong>ch</strong>stpersönli<strong>ch</strong>e Gewissensents<strong>ch</strong>eidung<br />

o<strong>der</strong> als Glaube an Gott gelten 17 .<br />

Die aus Kelsens <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskepsis resultierende »relativistis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sphilosophie«<br />

18 enthält glei<strong>ch</strong>wohl eine Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Sinne von<br />

D 2 . So, wie die bewußte Abwendung von allen Religionen selbst wie<strong>der</strong> ein Bekenntnis<br />

ausdrückt, so liegt au<strong>ch</strong> in Kelsens <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskepsis eine positive Aussage<br />

über ri<strong>ch</strong>tiges Handeln. Wer nämli<strong>ch</strong> absolute <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als irrationales Ideal ablehnt,<br />

dem bleibt in politis<strong>ch</strong>-sozialer Konsequenz das Gebot <strong>der</strong> gegenseitigen Toleranz,<br />

das Kelsen glei<strong>ch</strong>setzt mit gegenseitiger A<strong>ch</strong>tung von Freiheit 19 . Die Demokratie<br />

wird nur insoweit zur gere<strong>ch</strong>ten Staatsform, als sie Toleranz und Freiheit<br />

si<strong>ch</strong>ert 20 . Kelsens Demokratietheorie ist dabei keine prozedurale Theorie im Sinne<br />

von D 4 . Denn dazu müßte sowohl die Begründung als au<strong>ch</strong> die Erzeugung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

prozedural bestimmt werden. Bei Kelsen gilt die Demokratie genau dann<br />

als gere<strong>ch</strong>te Staatsform, wenn das demokratis<strong>ch</strong>e Verfahren ein vorbestimmtes Ziel<br />

individueller Freiheit verwirkli<strong>ch</strong>en kann (unvollkommene prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

i.S.v. D 3b ). In seiner Theorie ist also die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugung prozedural.<br />

Das gilt indes ni<strong>ch</strong>t für die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung. Insoweit ist Kelsen Skeptiker,<br />

weil seine relativistis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sphilosophie eine Beurteilung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>skonzeptionen<br />

als ri<strong>ch</strong>tig o<strong>der</strong> fals<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zuläßt.<br />

III. Theorie <strong>der</strong> spontanen sozialen Ordnung (F.A. Hayek)<br />

Eine beson<strong>der</strong>e Form <strong>der</strong> marktzentrierten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie entwickelt Hayek<br />

aus seinem Modell <strong>der</strong> spontanen Ordnung in sozialen Systemen 21 . Spontane Ordnung<br />

im Sinne Hayeks ist dadur<strong>ch</strong> gekennzei<strong>ch</strong>net, daß si<strong>ch</strong> Individuen innerhalb vorausgesetzter,<br />

angemessener Rahmenbedingungen, die unter mögli<strong>ch</strong>st geringem<br />

Zwang (minimal coercion) universell befolgt werden, na<strong>ch</strong> ihren pragmatis<strong>ch</strong>rationalen<br />

Eigeninteressen selbständig (d.h. ohne äußere Steuerung) arrangieren.<br />

Die im Ergebnis eintretende Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>tslage weise die Fähigkeit zur Selbstkorrektur<br />

und insofern Stabilität auf und könne verteiltes Wissen besser nutzen als eine<br />

direktive Organisation 22 . Modellfall ist für Hayek die liberale Marktwirts<strong>ch</strong>aft im Ge-<br />

16 H. Kelsen, Was ist <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>? (1975), S. 17: »Das Absolute im allgemeinen und absolute Werte<br />

im beson<strong>der</strong>en sind jenseits <strong>der</strong> mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Vernunft, für die nur eine bedingte und in diesem<br />

Sinne relative Lösung des Problems <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als des Problems <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tfertigung<br />

mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Verhaltens mögli<strong>ch</strong> ist.«; S. 40: »Wenn die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te <strong>der</strong> mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Erkenntnis<br />

uns irgend etwas lehren kann, ist es die Vergebli<strong>ch</strong>keit des Versu<strong>ch</strong>es, auf rationalem Wege eine<br />

absolut gültige Norm gere<strong>ch</strong>ten Verhaltens zu finden ...«.<br />

17 R. Walter, Hans Kelsen, die Reine Re<strong>ch</strong>tslehre und das Problem <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1996), S. 231 ff.<br />

18 Begriff bei H. Kelsen, Was ist <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>? (1975), S. 40.<br />

19 Ausführli<strong>ch</strong> H. Kelsen, Was ist <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>? (1975), S. 40-43.<br />

20 H. Kelsen, Was ist <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>? (1975), S. 15 f., 41 f.<br />

21 Zur Abgrenzung von Kelsen siehe F.A. Hayek, Law, Legislation and Liberty, Bd. II (1976), S. 48 ff.<br />

22 Vgl. die Kritik an den Begriffen <strong>der</strong> sozialen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> und Verteilungsgere<strong>ch</strong>tigkeit bei F.A.<br />

Hayek, Law, Legislation and Liberty, Bd. II (1976), S. 62 ff.; zur Ablehnung direktiver Organisation<br />

siehe R. Kley, Hayek's Social and Political Thought (1994), S. 120.<br />

146


gensatz zur sozialistis<strong>ch</strong>en Planwirts<strong>ch</strong>aft. Sein Gedanke einer mit minimalem<br />

Zwang auskommenden spontanen Ordnung hat aber darüber hinaus – ähnli<strong>ch</strong> <strong>der</strong><br />

'Great Society' von Adam Smith o<strong>der</strong> <strong>der</strong> 'offenen Gesells<strong>ch</strong>aft' von Karl Popper – den<br />

Charakter eines politis<strong>ch</strong>en Ideals 23 . Das Ideal versteht au<strong>ch</strong> den mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>ssinn<br />

als Fähigkeit zur Bildung spontaner Ordnung 24 . Moralis<strong>ch</strong>e Regeln<br />

seien Ergebnisse spontaner Ordnung und ni<strong>ch</strong>t Ausdruck steuern<strong>der</strong> mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er<br />

Vernunft 25 . In einer ri<strong>ch</strong>tigen und gere<strong>ch</strong>ten Sozialordnung ersetze <strong>der</strong> selbstorganisierende<br />

und si<strong>ch</strong> selbst generierende (endogene) 'Organismus' die künstli<strong>ch</strong> von außen<br />

konstruierte und dur<strong>ch</strong> Direktiven geregelte (exogene) 'Organisation' 26 .<br />

Die resultierende <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie kann nur eine sol<strong>ch</strong>e weitestgehen<strong>der</strong><br />

staatli<strong>ch</strong>er Abstinenz sein. Hayek wendet si<strong>ch</strong> gegen einen konstruktivistis<strong>ch</strong>en Rationalismus,<br />

<strong>der</strong> dur<strong>ch</strong> drei Grundannahmen <strong>ch</strong>arakterisiert werden kann 27 : Erstens<br />

geht er davon aus, daß alle sozialen Ordnungen das Ergebnis bewußter Gestaltung<br />

sind und sein sollten 28 ; zweitens nimmt er an, daß mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Vernunft ausrei<strong>ch</strong>t,<br />

um alle relevanten Faktoren mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Existenz bei <strong>der</strong> Gesells<strong>ch</strong>aftsgestaltung<br />

einzubeziehen 29 ; und drittens s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> impliziert er, daß alle Institutionen, die<br />

ni<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong>tbar die Errei<strong>ch</strong>ung sanktionierter Ziele för<strong>der</strong>n, abges<strong>ch</strong>afft werden sollten<br />

30 . Dem stellt Hayek gegenüber, daß es in mo<strong>der</strong>nen Gesells<strong>ch</strong>aften Einigkeit über<br />

die allgemeinen Prinzipien sozialer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> o<strong>der</strong> eine einheitli<strong>ch</strong>e Konzeption<br />

des Guten ni<strong>ch</strong>t gibt und jede autoritative Festlegung dur<strong>ch</strong> ein Individuum o<strong>der</strong> die<br />

Regierung glei<strong>ch</strong>ermaßen willkürli<strong>ch</strong> wäre, weil si<strong>ch</strong> die Frage <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ein-<br />

23 R. Kley, Hayek's Social and Political Thought (1994), S. 120 f.<br />

24 Zu diesem Verständnis des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>ssinns als Gespür für die s<strong>ch</strong>on vorhandene ri<strong>ch</strong>tige<br />

Ordnung, ni<strong>ch</strong>t dagegen als Vernunftbegabung, siehe F.A. Hayek, Primacy of the Abstract (1968),<br />

S. 46: »[O]ur capacity to judge actions of our own or of others as just or unjust, must be based on<br />

the possession of highly abstract rules governing our actions, although we are not aware of their<br />

existence and even less capable of articulating them in words.« Vgl. dazu <strong>der</strong>s., Confusion of Language<br />

in Political Thought (1967), S. 81: »What we call the 'sense of justice' is nothing but that capacity<br />

to act in accordance with non-articulated rules, and what is described as finding or discovering<br />

justice consists in trying to express in words the yet unarticulated rules by whi<strong>ch</strong> a particular<br />

decision is judged.«<br />

25 Hayek hat beispielsweise unter Berufung auf Charles Darwin, David Hume und Adam Smith bei<br />

glei<strong>ch</strong>zeitiger Abgrenzung vom Sozialdarwinismus (Social Darwinism) Humes' These: »The rules<br />

of morality, therefore, are not conclusions of our reason.« (D. Hume, A Treatise of Human Nature,<br />

Bd. III: Of Morals (1740), Teil I: Of Virtue and Vice in General, Abs<strong>ch</strong>nitt I: Moral Distinctions not<br />

Derived from Reason; ähnli<strong>ch</strong> <strong>der</strong>s., ebd., Teil III, Abs<strong>ch</strong>nitt I) dahin konkretisiert, daß Moralität<br />

ein unters<strong>ch</strong>eidbares Vermögen zwis<strong>ch</strong>en Instinkt und Vernunft ist: »a system of restraints on our<br />

animal instincts whi<strong>ch</strong> we sentimentally dislike and whose functions transcended our intellectual<br />

comprehension«; F.A. Hayek, Rules of Morality (1987), S. 227 ff. (235).<br />

26 F.A. Hayek, Law, Legislation and Liberty, Bd. I (1973), S. 35 ff.<br />

27 Zur Analyse siehe R. Kley, Hayek's Social and Political Thought (1994), S. 187.<br />

28 Kritik des 'constructivist rationalism' bei F.A. Hayek, Law, Legislation and Liberty, Bd. I (1973), S. 5<br />

ff.<br />

29 Kritik dieser 'Cartesian tradition' bei F.A. Hayek, Law, Legislation and Liberty, Bd. I (1973), S. 29 ff.<br />

30 Deutli<strong>ch</strong> etwa die Kritik als 'scientific error' bei F.A. Hayek, Errors of Constructivism (1970), S. 13:<br />

»Constructivists ... demand that all those grown values not visibly serving approved ends ...<br />

should be discarded to offer individuals improved prospects of a<strong>ch</strong>ieving their different and often<br />

conflicting goals.«<br />

147


zelner Verteilungsergebnisse einer vernünftigen Erkenntnis s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>t entziehe 31 . In<br />

dieser Situation soll allein <strong>der</strong> liberale Markt als natürli<strong>ch</strong>es, vorpositives Faktum das<br />

prozedurale Kriterium für ri<strong>ch</strong>tiges Handeln bilden: wenige Regeln stecken den<br />

Rahmen ab, innerhalb dessen si<strong>ch</strong> ökonomis<strong>ch</strong>e und soziale Selbstkoordination abspielen<br />

kann. An die Stelle eines zielbezogenen Konsequentialismus tritt ein mittelbezogener<br />

Prozeduralismus 32 . Hayeks Skepsis ri<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> sowohl gegen Vernunfterkenntnisse<br />

über die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> von Verteilungsergebnissen als au<strong>ch</strong> gegen die<br />

Vorhersehbarkeit pragmatis<strong>ch</strong>-rationalen Verhaltens. Allein das prozedurale Kriterium<br />

des Marktes soll als unverdä<strong>ch</strong>tiger Agent <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> Bestand haben.<br />

Au<strong>ch</strong> Hayeks Theorie ist keine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie im Sinne von D 4 .<br />

Die Prozedur des Marktes dient allein <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugung. <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

selbst ist hingegen – wie bei Kelsen – inhaltli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t begründbar 33 .<br />

IV. Theorie <strong>der</strong> sozialen Systeme (N. Luhmann)<br />

Die neuere Systemtheorie Luhmanns 34 hat die Aussagen seines Frühwerks zur prozeduralen<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ('Legitimation dur<strong>ch</strong> Verfahren' 35 ) unangetastet gelassen 36 .<br />

Neue wie alte S<strong>ch</strong>riften basieren auf einer grundlegenden <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskepsis.<br />

Luhmann meint, mit Argumenten könne man dem ri<strong>ch</strong>tigen Handeln ni<strong>ch</strong>t näher<br />

kommen 37 . Er versteht praktis<strong>ch</strong>e Vernunft allein als 'operative Vernunft' 38 . Seine<br />

Legitimation dur<strong>ch</strong> Verfahren fragt nur, ob Ents<strong>ch</strong>eidungen innerhalb gewisser Tole-<br />

31 F.A. Hayek, Law, Legislation and Liberty, Bd. II (1976), S. 75, 96 f.; sowie S. 42 zur Unmögli<strong>ch</strong>keit<br />

einer positiven inhaltli<strong>ch</strong>en Bestimmung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>. Die Unzugängli<strong>ch</strong>keit für Kriterien<br />

praktis<strong>ch</strong>er Vernunft ist von R. Kley, Hayek's Social and Political Thought (1994), S. 220 zu Re<strong>ch</strong>t<br />

als 'ethis<strong>ch</strong>er Skeptizismus' in Hayeks beson<strong>der</strong>er und moralis<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>wer zu verortenden Form des<br />

Liberalismus geortet worden.<br />

32 F.A. Hayek, Law, Legislation and Liberty, Bd. II (1976), S. 110: »[T]he Great Society ... is merely<br />

means-connected and not ends-connected.« Zum Begriff des Konsequentialismus (consequentialism)<br />

siehe unten S. 152 (Charakteristika <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition).<br />

33 Zuordnungsversu<strong>ch</strong>e zu kantis<strong>ch</strong>en o<strong>der</strong> utilitaristis<strong>ch</strong>en Ansätzen sind deshalb zum S<strong>ch</strong>eitern<br />

verurteilt; vgl. C. Kukathas, Hayek and Mo<strong>der</strong>n Liberalism (1989), S. 201 – Es ließen si<strong>ch</strong> bei Hayek<br />

zwar kantis<strong>ch</strong>e, kon<strong>servat</strong>ive und utilitaristis<strong>ch</strong>e Argumente erkennen, diese würden aber ni<strong>ch</strong>t<br />

zu einer Moraltheorie verbunden.<br />

34 N. Luhmann, Das Re<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Gesells<strong>ch</strong>aft (1993), S. 332 f. – ausdrückli<strong>ch</strong>e Berufung auf das Frühwerk.<br />

Hier kann auf die spezifis<strong>ch</strong>en re<strong>ch</strong>tssoziologis<strong>ch</strong>en Aspekte <strong>der</strong> Theorie ni<strong>ch</strong>t eingegangen<br />

werden. Allein die Aussagen zur Unmögli<strong>ch</strong>keit einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung jenseits des<br />

bloßen Akzeptierens eines Handelns dur<strong>ch</strong> die Betroffenen ist im vorliegenden Zusammenhang<br />

relevant.<br />

35 N. Luhmann, Legitimation dur<strong>ch</strong> Verfahren (1969). Vgl. zur Bestätigung: <strong>der</strong>s., <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in<br />

den Re<strong>ch</strong>tssystemen <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Gesells<strong>ch</strong>aft (1973), S. 144 f. – Das <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>skriterium<br />

werde neu gefaßt dur<strong>ch</strong> die For<strong>der</strong>ung na<strong>ch</strong> 'adäquater Komplexität' eines Re<strong>ch</strong>tssystems, die genau<br />

dann bestehen soll, »wenn sie mit konsistentem Ents<strong>ch</strong>eiden im System no<strong>ch</strong> vereinbar ist.«<br />

Ebenso: <strong>der</strong>s., Re<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Gesells<strong>ch</strong>aft (1993), S. 225. Vgl. dazu die Kritik bei R. Dreier, Zu Luhmanns<br />

systemtheoretis<strong>ch</strong>er Neuformulierung des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sproblems (1974), S. 194 ff.<br />

36 S. Ma<strong>ch</strong>ura, The Individual in the Shadow of Powerful Institutions (1997), S. 181.<br />

37 N. Luhmann, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in den Re<strong>ch</strong>tssystemen <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Gesells<strong>ch</strong>aft (1973), S. 144 mit<br />

Fn. 33.<br />

38 N. Luhmann, Die Systemreferenz von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1974), S. 203.<br />

148


anzen von den Betroffenen akzeptiert werden, solange die Verfahrensregeln in <strong>der</strong><br />

Ents<strong>ch</strong>eidungsfindung eingehalten werden 39 . Der sol<strong>ch</strong>ermaßen verkürzte Legitimationsbegriff<br />

zeigt eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskepsis, die <strong>der</strong>jenigen des re<strong>ch</strong>tsethis<strong>ch</strong>en Relativismus<br />

ähnelt 40 . Luhmann will dur<strong>ch</strong> sein Legitimationsverständnis ältere naturre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e<br />

Begründungen o<strong>der</strong> taus<strong>ch</strong>förmige Methoden <strong>der</strong> Konsensbildung ersetzen<br />

41 . Es komme für 'Legitimation' allein auf das tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Akzeptieren an, das<br />

ni<strong>ch</strong>t einmal eine subjektive Überzeugung von <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit <strong>der</strong> Werte, Re<strong>ch</strong>tfertigungsprinzipien,<br />

Ents<strong>ch</strong>eidungsprämissen o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Inhalte einer Ents<strong>ch</strong>eidung voraussetzt.<br />

Auss<strong>ch</strong>laggebend für sol<strong>ch</strong>e 'Legitimation' ist allein das Hinnehmen von<br />

Einzelents<strong>ch</strong>eidungen im Sinne einer freiwilligen Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Verhaltenserwartung<br />

42 .<br />

Obwohl Luhmann von 'Legitimation dur<strong>ch</strong> Verfahren' spri<strong>ch</strong>t und genau diejenigen<br />

institutionalisierten Verfahren in Re<strong>ch</strong>t und Politik untersu<strong>ch</strong>t, die in einer politis<strong>ch</strong>en<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie zentral sind 43 , handelt es si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t um eine prozedurale<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie im Sinne von D 4 . Denn es geht ni<strong>ch</strong>t um die Begründung von<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> mit Verfahren, son<strong>der</strong>n allein um die Umstrukturierung von Verhaltenserwartungen<br />

dur<strong>ch</strong> geregeltes Ges<strong>ch</strong>ehen 44 . Das Verfahren als ents<strong>ch</strong>eidungsorientiertes<br />

soziales System soll ni<strong>ch</strong>t <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> realisieren, son<strong>der</strong>n ledigli<strong>ch</strong> eine<br />

Komplexitätsreduzierung bewirken und Orientierungshilfen bieten. Ein Geri<strong>ch</strong>tsverfahren<br />

begründet beispielsweise ni<strong>ch</strong>t dadur<strong>ch</strong> Legitimität, daß ihm dur<strong>ch</strong> die<br />

Verfahrensbedingungen eine ri<strong>ch</strong>tigkeitsverbürgende Wirkung zukommt, son<strong>der</strong>n<br />

allein dadur<strong>ch</strong>, daß es ein wirksames Si<strong>ch</strong>abfinden mit <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidung zu errei<strong>ch</strong>en<br />

vermag 45 . Es geht ni<strong>ch</strong>t um das Begründen <strong>der</strong> Geri<strong>ch</strong>tsents<strong>ch</strong>eidung als ri<strong>ch</strong>tig<br />

und gere<strong>ch</strong>t, son<strong>der</strong>n um das Si<strong>ch</strong>abfinden mit dem Urteil. Luhmanns 'Legitimation'<br />

ist eine »Selbstlegitimation« innerhalb des autonomen Systems 'Re<strong>ch</strong>t' 46 . Die Verfahrensregeln<br />

müssen ledigli<strong>ch</strong> so ausgeri<strong>ch</strong>tet sein, daß sie Akzeptanz erzeugen<br />

können. Ob das zufällig mit Regeln zusammenfällt, die eine Ents<strong>ch</strong>eidung ri<strong>ch</strong>tig<br />

und gere<strong>ch</strong>t ma<strong>ch</strong>en, ist (jedenfalls unmittelbar) ni<strong>ch</strong>t von Belang 47 . Die Funktion<br />

des Verfahrens liegt in <strong>der</strong> Symbolbildung, in <strong>der</strong> »Ausgestaltung des Verfahrens als<br />

39 N. Luhmann, Legitimation dur<strong>ch</strong> Verfahren (1969), S. 28.<br />

40 O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 171-187 – 'sozialges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er Re<strong>ch</strong>tspositivismus'.<br />

41 N. Luhmann, Legitimation dur<strong>ch</strong> Verfahren (1969), S. 31.<br />

42 N. Luhmann, Legitimation dur<strong>ch</strong> Verfahren (1969), S. 30 ff., 120. Vgl. <strong>der</strong>s., <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in den<br />

Re<strong>ch</strong>tssystemen <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Gesells<strong>ch</strong>aft (1973), S. 131, 153 – Der Geltungsgrund des positiven<br />

Re<strong>ch</strong>ts liege ni<strong>ch</strong>t länger in normimmanenten Qualitäten, son<strong>der</strong>n nur no<strong>ch</strong> in seiner Än<strong>der</strong>barkeit<br />

selbst, in seiner Negierbarkeit.<br />

43 Vgl. unten S. 334 ff. (Diskurstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>; mittelbare Begründung gere<strong>ch</strong>ten Re<strong>ch</strong>ts:<br />

parlamentaris<strong>ch</strong>e Gesetzgebung, Geri<strong>ch</strong>tsverfahren, Verwaltungsverfahren, Wahlen).<br />

44 N. Luhmann, Legitimation dur<strong>ch</strong> Verfahren (1969), S. 37.<br />

45 Vgl. N. Luhmann, Legitimation dur<strong>ch</strong> Verfahren (1969), S. 109.<br />

46 Vgl. N. Luhmann, Selbstlegitimation des Staates (1981), S. 75 ff.<br />

47 Eine mögli<strong>ch</strong>e mittelbare Wirkung könnte dadur<strong>ch</strong> bestehen, daß Verfahren immerhin einen allgemeinen<br />

Glauben an das System benötigen, selbst wenn sie nur Akzeptanz erzeugen sollen. Insoweit<br />

kann man bei Luhmanns Theorie von einer bloß 'teilweisen Erklärung' <strong>der</strong> Verfahrenswirkung<br />

spre<strong>ch</strong>en; S. Ma<strong>ch</strong>ura, The Individual in the Shadow of Powerful Institution (1997), S. 188.<br />

149


eines Dramas, das ri<strong>ch</strong>tige und gere<strong>ch</strong>te Ents<strong>ch</strong>eidung symbolisiert« 48 , ohne sie tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />

begründen zu müssen; es kennt we<strong>der</strong> normative no<strong>ch</strong> moralis<strong>ch</strong>e Aspekte<br />

49 . Mit Re<strong>ch</strong>t ist diese Position als »Verfahren statt Legitimation« 50 und »<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

ohne <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>« bezei<strong>ch</strong>net worden 51 . Als Rekonstruktion des Re<strong>ch</strong>tsfindungsprozesses<br />

stieß sie in <strong>der</strong> Jurisprudenz bisher dur<strong>ch</strong>weg auf Ablehnung 52 .<br />

Hier ist eine Bewertung entbehrli<strong>ch</strong>. Es genügt die Feststellung, daß Luhmanns systemtheoretis<strong>ch</strong>es<br />

Verfahrensmodell einen an<strong>der</strong>en Legitimitätsbegriff als die normativen<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien verwendet 53 und insgesamt Ausdruck eines grundlegenden<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskeptizismus ist und insoweit <strong>der</strong> nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>en Grundposition<br />

zugere<strong>ch</strong>net werden kann. Dieser <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskeptizismus ist ni<strong>ch</strong>t für jede<br />

Systemtheorie des Re<strong>ch</strong>ts zwingend 54 , prägt aber jedenfalls die Theorie Luhmanns.<br />

V. Theorie <strong>der</strong> Postmo<strong>der</strong>ne (K.-H. Ladeur)<br />

Die postmo<strong>der</strong>nen Gegenentwürfe zum Projekt <strong>der</strong> Aufklärung sind so vielfältig,<br />

daß si<strong>ch</strong> eine gemeinsame Charakterisierung weitgehend verbietet. Verbunden werden<br />

die <strong>Theorien</strong> aber dur<strong>ch</strong> eine allgemeine Vernunftskepsis 55 . Zur Illustration <strong>der</strong><br />

Vernunft- und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskepsis kann hier die postmo<strong>der</strong>ne Re<strong>ch</strong>tstheorie dienen,<br />

die Ladeur auf <strong>der</strong> Grundlage facettenrei<strong>ch</strong>er postmo<strong>der</strong>ner und poststrukturalistis<strong>ch</strong>er<br />

Kritiken (J. Derrida 56 , J.-F. Lyotard 57 , P. Ricœur 58 ) in Anlehnung an autopoie-<br />

48 N. Luhmann, Legitimation dur<strong>ch</strong> Verfahren (1969), S. 124; gegen die Sinnhaftigkeit einer sol<strong>ch</strong>en<br />

»symbolis<strong>ch</strong>en« Funktion des Verfahrens, in <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeits- und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sansprü<strong>ch</strong>e aufgegeben<br />

werden G. Zimmer, Funktion – Kompetenz – Legitimation (1979), S. 259 mit Fn. 42.<br />

49 Vgl. die Kritik bei J. S<strong>ch</strong>aper, Studien zur Theorie und Soziologie des geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Verfahrens<br />

(1985), S. 226 f.<br />

50 J. Heidorn, Legitimität und Regierbarkeit (1982), S. 118.<br />

51 O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 183.<br />

52 Vor allem bei J. Esser, Vorverständnis und Methodenwahl (1970), S. 201 ff. (207: »peinli<strong>ch</strong>e Verzerrung<br />

<strong>der</strong> Wirkli<strong>ch</strong>keit«), aber etwa au<strong>ch</strong> bei R. Zippelius, Legitimation im demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaat<br />

(1981), S. 87 ff.; <strong>der</strong>s., Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in <strong>der</strong> offenen Gesells<strong>ch</strong>aft (1996), S. 87<br />

ff.; R. Dreier, Zu Luhmanns systemtheoretis<strong>ch</strong>er Neuformulierung des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sproblems<br />

(1974), S. 194 ff. (aus Si<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tstheorie).<br />

53 Vgl. R. Zippelius, Legitimation im demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaat (1981), S. 84 ff. (87) – Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

<strong>der</strong> 'Legitimation' und 'Legitimität' in den normativen Wissens<strong>ch</strong>aften von <strong>der</strong>jenigen<br />

in <strong>der</strong> Soziologie.<br />

54 Z.B. vertritt G. Teubner, Re<strong>ch</strong>t als autopoietis<strong>ch</strong>es System (1989) eine systemtheoretis<strong>ch</strong>e Position,<br />

die ni<strong>ch</strong>t glei<strong>ch</strong>ermaßen gere<strong>ch</strong>tigkeitsskeptis<strong>ch</strong> ist wie diejenige Luhmanns; vgl. G. Teubner, Alter<br />

Pars Audiatur (1996), S. 218: »Eine Re<strong>ch</strong>tsordnung stellt si<strong>ch</strong> in dem Ausmaße <strong>der</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, als sie ni<strong>ch</strong>t nur die interne Konsistenz des Re<strong>ch</strong>ts erwirkli<strong>ch</strong>te, son<strong>der</strong>n<br />

zuglei<strong>ch</strong> die Eigenrationalität <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en beteiligten Diskurse re<strong>ch</strong>tsintern adäquat zu rekonstruieren<br />

versu<strong>ch</strong>te.«<br />

55 W. Reese-S<strong>ch</strong>äfer, Grenzgötter <strong>der</strong> Moral (1997), S. 41 – postmo<strong>der</strong>ne <strong>Theorien</strong> als »Feld von letztli<strong>ch</strong><br />

irrationalistis<strong>ch</strong>en Ethikbegründungen«; vgl. außerdem <strong>der</strong>s., Was bleibt na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Dekonstruktion?<br />

(1998), S. 143 f., 157 ff. Zur Kontingenz aller <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>skonzeptionen etwa R. Rorty,<br />

Kontingenz, Ironie und Solidarität (1989), S. 12 ff.<br />

56 Vgl. etwa J. Derrida, Force de loi (1990), S. 971 – <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> sei selbst für die, die an sie glauben,<br />

ni<strong>ch</strong>t erkennbar; S. 947 – <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als eine Erfahrung, die ni<strong>ch</strong>t erfahrbar sei. Vgl. dazu<br />

S.K. White, Political Theory and Postmo<strong>der</strong>nism (1991), S. 115 f.<br />

150


tis<strong>ch</strong>e (H.R. Maturana/F.J. Varela 59 ), systemtheoretis<strong>ch</strong>e (N. Luhmann 60 , G. Teubner 61 )<br />

und ordoliberale (F.A. Hayek 62 ) <strong>Theorien</strong> entwickelt hat.<br />

Na<strong>ch</strong> Ladeur wird die Idee einer 'Universalität <strong>der</strong> Vernunft' dur<strong>ch</strong> die Vorstellung<br />

von einer Vielfalt gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Beziehungsnetzwerke ersetzt 63 . Die »auf<br />

dem klassis<strong>ch</strong>en Subjekt aufbauende Vernunftordnung« geht in dem neuen Chaos<br />

<strong>der</strong> Systemvielfalt unter 64 . Es gibt keine gemeinsamen normativen Projekte mehr,<br />

son<strong>der</strong>n nur no<strong>ch</strong> ein zwis<strong>ch</strong>en den Individuen 'zerstreutes Orientierungswissen' 65 ,<br />

das Ausdruck einer 'transversalen, relationalen Vernunft' sei 66 . Aus dem Deutungsmuster<br />

<strong>der</strong> 'Autopoiesis sozialer Systeme' (N. Luhmann) folge, daß au<strong>ch</strong> das Re<strong>ch</strong>tssystem<br />

seine Selbstorganisation ni<strong>ch</strong>t unter Rückgriff auf eine 'universelle Vernunft'<br />

betreibe 67 , son<strong>der</strong>n vielmehr aus einer 'Selbstinterpretation' heraus bestehe, die einen<br />

kreativen, experimentellen und generativen Charakter habe 68 .<br />

Die postmo<strong>der</strong>ne Re<strong>ch</strong>tstheorie Ladeurs ist keine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie, au<strong>ch</strong> keine<br />

prozedurale. Ladeur betont selbst, daß die von ihm untersu<strong>ch</strong>te Prozeduralisie-<br />

57 Vgl. vor allem das für den philosophis<strong>ch</strong>en Postmo<strong>der</strong>nismus geradezu programmatis<strong>ch</strong>e Werk<br />

von J.-F. Lyotard, La Condition postmo<strong>der</strong>ne (1979). Abs<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>end dazu <strong>der</strong>s., Die Aufklärung<br />

(1988), S. 103 ff. – Vernunft solle ni<strong>ch</strong>t geleugnet, son<strong>der</strong>n nur in den Plural gesetzt werden.<br />

Grundlegend vernunftkritis<strong>ch</strong> bereits <strong>der</strong>s., Das postmo<strong>der</strong>ne Wissen (1979), S. 187 f. – Beliebigkeit<br />

<strong>der</strong> Wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>keitsregeln ('Metapräskriptiven') und <strong>der</strong> Legitimationserzählungen.<br />

Zur Philosophie Lyotards: W. Reese-S<strong>ch</strong>äfer, Lyotard zur Einführung (1988), S. 7 ff., 75 ff.; <strong>der</strong>s.,<br />

Grenzgötter <strong>der</strong> Moral (1997), S. 465 ff. – pluralistis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>; W. Wels<strong>ch</strong>, Unsere postmo<strong>der</strong>ne<br />

Mo<strong>der</strong>ne (1987), S. 31 ff., 169 ff., 227 ff. – Genealogie, Programmatik, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>skonzeption;<br />

<strong>der</strong>s., Vernunft (1995), S. 305 ff. – Vernunftverwirrung.<br />

58 Vgl. P. Ricœur, Soi-même comme un autre (1990), S. 230, 274; allgemein zum postmo<strong>der</strong>nen<br />

Re<strong>ch</strong>tsverständnis: T.R. Kearns/A. Sarat, Legal Justice and Injustice (1996), S. 6 f.<br />

59 Vgl. dazu H.R. Maturana/F.J. Varela, Der Baum <strong>der</strong> Erkenntnis (1984), S. 7 ff. (9) – Versu<strong>ch</strong>, lebende<br />

Systeme als Prozeß zu verstehen; S. 227 f. – Spra<strong>ch</strong>e als Selbstbes<strong>ch</strong>reibung; S. 258 f. – es gebe keinen<br />

festen Bezugspunkt für unsere Bes<strong>ch</strong>reibung, son<strong>der</strong>n nur »Me<strong>ch</strong>anismen <strong>der</strong> Erzeugung unserer<br />

selbst als Bes<strong>ch</strong>reiber und Beoba<strong>ch</strong>ter«.<br />

60 K.-H. Ladeur, Postmo<strong>der</strong>ne Re<strong>ch</strong>tstheorie (1992), S. 107 ff. Dazu oben S. 148 (Theorie <strong>der</strong> sozialen<br />

Systeme).<br />

61 K.-H. Ladeur, Postmo<strong>der</strong>ne Re<strong>ch</strong>tstheorie (1992), S. 112 – Bezugnahme auf den Gedanken selbstreferentieller<br />

Systemkomponenten (Struktur, Prozeß, Identität u.v.m.) bei G. Teubner, Re<strong>ch</strong>t als autopoietis<strong>ch</strong>es<br />

System (1987), S. 44 f., 49.<br />

62 K.-H. Ladeur, Postmo<strong>der</strong>ne Re<strong>ch</strong>tstheorie (1992), S. 194, 202. Dazu oben S. 146 (Theorie <strong>der</strong> spontanen<br />

sozialen Ordnung).<br />

63 K.-H. Ladeur, Postmo<strong>der</strong>ne Re<strong>ch</strong>tstheorie (1992), S. 83, sowie S. 167 – Pluralität <strong>der</strong> gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />

(und natürli<strong>ch</strong>en) Umwelten.<br />

64 K.-H. Ladeur, Postmo<strong>der</strong>ne Re<strong>ch</strong>tstheorie (1992), S. 85, sowie S. 105 – 'Chaos' als Generator neuer<br />

Mögli<strong>ch</strong>keiten <strong>der</strong> Nutzung verteilten Wissens.<br />

65 Vgl. K.-H. Ladeur, Postmo<strong>der</strong>ne Re<strong>ch</strong>tstheorie (1992), S. 95 – Dort in Abgrenzung von <strong>der</strong> »Habermass<strong>ch</strong>en<br />

Lesart <strong>der</strong> kommunikativen Rationalität«, die Autonomie »normativ als gemeinsames<br />

Projekt« verstehe und damit den wahren Charakter <strong>der</strong> Kollektivität verfehle.<br />

66 Vgl. K.-H. Ladeur, Postmo<strong>der</strong>ne Re<strong>ch</strong>tstheorie (1992), S. 107 – neuer Vernunftbegriff; S. 103 – eigenständige,<br />

'relationale' Logik <strong>der</strong> (Selbst-)Beoba<strong>ch</strong>tung.<br />

67 K.-H. Ladeur, Postmo<strong>der</strong>ne Re<strong>ch</strong>tstheorie (1992), S. 110.<br />

68 K.-H. Ladeur, Postmo<strong>der</strong>ne Re<strong>ch</strong>tstheorie (1992), S. 168 – Unter Abgrenzung gegenüber Teubners<br />

Vorstellung eines 'internen Steuerungsprogramms'.<br />

151


ung »keine Annäherung an die Wahrheit und Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Re<strong>ch</strong>ts« bedeutet 69 .<br />

Die Kommunikation wird ni<strong>ch</strong>t als Verfahren zur Erkenntnis <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Ri<strong>ch</strong>tigkeit,<br />

son<strong>der</strong>n auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> als eine unzielgeri<strong>ch</strong>tete 'Cocktail-Party' mit Zufallsergebnissen<br />

verstanden 70 .<br />

VI. Ergebnisse<br />

Die <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>en Grundposition verbindet eine grundlegende <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskepsis.<br />

Ihr Credo ist, daß <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> inhaltli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t begründet werden<br />

kann. Soweit die <strong>Theorien</strong> auf Verfahren setzen, um Ents<strong>ch</strong>eidungen über<br />

Handlungsweisen herbeizuführen, wird diesen Verfahren keine gere<strong>ch</strong>tigkeitsbegründende<br />

Wirkung zugeordnet; diese sind vielmehr bloß Mittel zur Errei<strong>ch</strong>ung<br />

eines ni<strong>ch</strong>tprozedural bestimmten Zwecks (Toleranz bei Kelsen, spontane soziale<br />

Ordnung bei Hayek 71 und Ladeur 72 , Akzeptanz bei Luhmann).<br />

B. <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition (Konzeption des Guten)<br />

I. Charakteristika<br />

Der politis<strong>ch</strong>en Philosophie in <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Tradition ist eigentümli<strong>ch</strong>, daß sie<br />

eine bestimmte Konzeption des guten Lebens für allgemeinverbindli<strong>ch</strong> hält und die<br />

praktis<strong>ch</strong>e Ri<strong>ch</strong>tigkeit dana<strong>ch</strong> bestimmt, ob ein Handeln das vorgegebene Ziel des<br />

guten Lebens (teleologis<strong>ch</strong>) för<strong>der</strong>n kann 73 . Das Handeln ist also ni<strong>ch</strong>t um seiner<br />

selbst willen gesollt und deshalb (deontologis<strong>ch</strong>) ri<strong>ch</strong>tig, son<strong>der</strong>n Ri<strong>ch</strong>tigkeit definiert<br />

si<strong>ch</strong> (axiologis<strong>ch</strong>) in Abhängigkeit von dem als wertvoll erkannten 'Guten' 74 .<br />

69 K.-H. Ladeur, Postmo<strong>der</strong>ne Re<strong>ch</strong>tstheorie (1992), S. 212.<br />

70 Vgl. K.-H. Ladeur, Postmo<strong>der</strong>ne Re<strong>ch</strong>tstheorie (1992), S. 93 – Bezugnahme auf Varela.<br />

71 Vgl. S. Brittan, Role and Limits of Government (1983), S. 53 – Ni<strong>ch</strong>t nur das ordoliberale Verfahrensmodell,<br />

son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong> die individuelle Freiheit, die zu dessen Funktionieren gewährleistet<br />

werden müsse, sei bei Hayek instrumentell.<br />

72 Das gilt jedenfalls für das Verständnis des Marktes als eines 'Entdeckungsverfahrens'; vgl.<br />

K.-H. Ladeur, Postmo<strong>der</strong>ne Re<strong>ch</strong>tstheorie (1992), S. 194, 202 – Bezugnahme auf Hayek.<br />

73 So z.B. A. MacIntyre, Whose Justice? Whi<strong>ch</strong> Rationality? (1988), S. 2: »[T]o be practically rational ...<br />

is to act in su<strong>ch</strong> a way as to a<strong>ch</strong>ieve the ultimate and true good of human beings«. Vgl. H. S<strong>ch</strong>nädelba<strong>ch</strong>,<br />

Was ist Neoaristotelismus? (1986), S. 51 (Realisierung des Guten in <strong>der</strong> Welt). Zur teleologis<strong>ch</strong>en<br />

Orientierung in <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Ethik im Gegensatz zur deontologis<strong>ch</strong>en Orientierung<br />

in <strong>der</strong> Diskursethik siehe K.-O. Apel, Diskursethik vor <strong>der</strong> Problematik von Re<strong>ch</strong>t und Politik<br />

(1992), S. 36.<br />

74 Vgl. Aristoteles, Nikoma<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Ethik, I 1 (1094a 1-3), wona<strong>ch</strong> das Gute das ist, na<strong>ch</strong> dem alles<br />

Handeln strebt. Zum Gegensatz von teleologis<strong>ch</strong>-axiologis<strong>ch</strong>en und deontologis<strong>ch</strong>en <strong>Theorien</strong><br />

vgl. D. Lyons, Forms and Limits of Utilitarianism (1965), S. vii: »Teleologists claim that the rightness<br />

of acts depends solely ... upon their contribution towards intrinsically good states of affairs. ... Deontologists<br />

deny this; they maintain that ... right acts, regardless of their good or bad effects, must<br />

conform to moral rules.« (Hervorhebung bei Lyons); P. Ricœur, Soi-même comme un autre (1990),<br />

S. 230: »Est-ce bien encore du plan éthique et téléologique, et non moral et déontologique, que relève<br />

le sens de la justice?«<br />

152


Dur<strong>ch</strong> die inhaltli<strong>ch</strong>en Ziele werden <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition insgesamt<br />

zu substantiellen <strong>Theorien</strong>, die si<strong>ch</strong> in <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung grundlegend<br />

von den prozeduralen <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en und kantis<strong>ch</strong>en Grundposition<br />

unters<strong>ch</strong>eiden 75 . Von den <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>en Grundposition<br />

grenzen sie si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> ab, daß sie praktis<strong>ch</strong>e Ri<strong>ch</strong>tigkeit überhaupt für begründbar<br />

halten und insofern keinem <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskeptizismus huldigen.<br />

Was hier als aristotelis<strong>ch</strong>e Grundposition bezei<strong>ch</strong>net ist, wird in <strong>der</strong> englis<strong>ch</strong>spra<strong>ch</strong>igen<br />

Literatur gelegentli<strong>ch</strong> mit dem Begriff des Konsequentialismus (consequentialism)<br />

erfaßt. Der Begriff steht indes in uneinheitli<strong>ch</strong>em Gebrau<strong>ch</strong>. In <strong>der</strong> Regel<br />

wird damit die Zielorientiertheit des Utilitarismus verallgemeinert 76 . Dadur<strong>ch</strong> ist<br />

letztli<strong>ch</strong>, wie hier, eine Verbindungslinie zwis<strong>ch</strong>en Utilitarismus und Kommunitarismus<br />

hergestellt und <strong>der</strong>en Ähnli<strong>ch</strong>keit zu ontologis<strong>ch</strong>en Naturre<strong>ch</strong>tslehren aufgezeigt 77 .<br />

Konsequentialismus in diesem Sinn umfaßt jede teleologis<strong>ch</strong>e o<strong>der</strong> axiologis<strong>ch</strong>e<br />

Konzeption <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft (im Gegensatz zu deontologis<strong>ch</strong>en Konzeptionen),<br />

fragt also immer na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung einer kollektiven Konzeption des Guten,<br />

beim Paradebeispiel des Utilitarismus na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> kollektiven Nutzenmaximierung 78 .<br />

Konsequentialismus ist ni<strong>ch</strong>t auf Utilitarismus bes<strong>ch</strong>ränkt 79 und erfor<strong>der</strong>t au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t,<br />

daß je<strong>der</strong> erdenkli<strong>ch</strong>e Lebensberei<strong>ch</strong> einem Primat des Gemeinwohls untersteht 80 ;<br />

man kann eine politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition<br />

75 Dazu oben S. 139 ff. (Grenzziehung zwis<strong>ch</strong>en materialen und prozeduralen <strong>Theorien</strong>).<br />

76 Vgl. J.L. Mackie, Can There Be a Right-Based Moral Theory (1978), S. 168: »We are familiar with<br />

goal-based or consequentialist moral views and with duty-based or deontological ones«; D. Parfit,<br />

Reasons and Persons (1984), S. 24: »[There] are different versions of Consequentialism, or C. C's central<br />

claim is (C1) There is one ultimate moral aim: that outcomes be as good as possible.«; S. S<strong>ch</strong>effler,<br />

Rejection of Consequentialism (1994), S. 167: »Consequentialists hold that the right act in any<br />

situation is the one that will produce the best overall outcome«. S<strong>ch</strong>effler versteht 'consequentialism'<br />

an an<strong>der</strong>er Stelle allerdings enger als in dieser Definition; vgl. ebd., S. 2. Außerdem S. Kagan,<br />

Normative Ethics (1998), S. 59 ff. (63) – universalistis<strong>ch</strong>er und individualistis<strong>ch</strong>er Konsequentialismus.<br />

77 Zur Parallele zwis<strong>ch</strong>en Utilitarismus und ontologis<strong>ch</strong>er Naturre<strong>ch</strong>tslehre vgl. etwa B. Barry, Justice<br />

as Impartiality (1995), S. 76: »Although utilitarianism and Thomism differ substantively at almost<br />

every point, they agree that justice and morality are cut from the same cloth. ... In both cases,<br />

we start with a conception of the good that is to be a<strong>ch</strong>ieved, as far as possible. We then assess potential<br />

rules of justice by their conduciveness to the a<strong>ch</strong>ievement of that good. Principles of justice<br />

have a purely <strong>der</strong>ivative status: they function as guides to the selection of appropriate rules.«<br />

78 S. Kagan, Normative Ethics (1998), S. 63 – universalistis<strong>ch</strong>er und individualistis<strong>ch</strong>er Konsequentialismus:<br />

»A common proposal is to call all su<strong>ch</strong> theories teleological.« (Hervorhebung bei Kagan).<br />

Zum Gegensatz von teleologis<strong>ch</strong>en/axiologis<strong>ch</strong>en zu deontologis<strong>ch</strong>en Konzeptionen D. Lyons,<br />

Forms and Limits of Utilitarianism (1965), S. vii; S. S<strong>ch</strong>effler, Rejection of Consequentialism (1994),<br />

S. 2: »In contrast to consequentialist conseptions, standard deontological views maintain that it is<br />

sometimes wrong to do what will produce the best available outcome overall.« Vgl. unten S. 167<br />

ff. (hobbesianis<strong>ch</strong>e Grundposition), S. 198 ff. (kantis<strong>ch</strong>e Grundposition).<br />

79 An<strong>der</strong>s S. S<strong>ch</strong>effler, Rejection of Consequentialism (1994), S. 2 ff. – Konsequentialismus sei nur<br />

Handlungskonsequentialismus im Sinne des Handlungsutilitarismus (act utilitarianism).<br />

80 So aber das an<strong>der</strong>e Begriffsverständnis bei B. Barry, Justice as Impartiality (1995), S. 23: »There is,<br />

however, a system according to whi<strong>ch</strong> duty extends to all areas of life, even including the <strong>ch</strong>oice<br />

of friends. This is consequentialism, un<strong>der</strong>stood here as the doctrine that everyone has a duty to<br />

perform at ea<strong>ch</strong> moment the action that will, in his estimation, maximize the total amount of good<br />

in the universe.«<br />

153


entwerfen, ohne den Kreis <strong>der</strong> gefor<strong>der</strong>ten Handlungen auf private Lebensberei<strong>ch</strong>e<br />

(z.B. 'gute' Wahl von Freunden, 'gute' Erziehung von Kin<strong>der</strong>n) zu erstrecken. Abzugrenzen<br />

ist <strong>der</strong> Konsequentialismus dagegen von individueller Nutzenmaximierung,<br />

denn soweit Eigennutz über Gemeinnutz gestellt wird, ist das ein Charakteristikum<br />

<strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en, ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Tradition 81 .<br />

II.<br />

<strong>Theorien</strong> des (ontologis<strong>ch</strong>en) Naturre<strong>ch</strong>ts<br />

Naturre<strong>ch</strong>tslehren wurden bereits dadur<strong>ch</strong> gekennzei<strong>ch</strong>net, daß sie ein Bekenntnis<br />

zu einer bestimmten Konzeption des Guten enthalten 82 . Damit sind sie glei<strong>ch</strong>zeitig<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition. Für sie ist genau das<br />

Handeln ri<strong>ch</strong>tig und gere<strong>ch</strong>t, das die vorgefaßte Konzeption des Guten zu för<strong>der</strong>n<br />

vermag. Am deutli<strong>ch</strong>sten ist dies bei den Religionslehren 83 . Ihr <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sverständnis<br />

orientiert si<strong>ch</strong> an Glaubenszielen, die ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Erkenntnis zugängli<strong>ch</strong> sind,<br />

son<strong>der</strong>n nur dur<strong>ch</strong> ein Bekenntnis subjektiv verbindli<strong>ch</strong> werden können. Aber ni<strong>ch</strong>t<br />

nur Religionslehren weisen diesen Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en Bekenntnis und Zielorientierung<br />

auf. Au<strong>ch</strong> die Marxistis<strong>ch</strong>-Leninistis<strong>ch</strong>e Ideologie mit ihrem kommunistis<strong>ch</strong>en<br />

Gesells<strong>ch</strong>aftsideal enthält einen Absolutheitsanspru<strong>ch</strong> ihrer Ziele, <strong>der</strong> mit<br />

Re<strong>ch</strong>t als Parallele zu den Religionslehren identifiziert wurde 84 .<br />

III. <strong>Theorien</strong> des Utilitarismus<br />

Utilitarismus wählt im Gegensatz zu Naturre<strong>ch</strong>tslehren ein formales Kriterium <strong>der</strong><br />

Ergebnisgere<strong>ch</strong>tigkeit als vorgegebenen, absoluten Maßstab: das größte Glück <strong>der</strong><br />

größten Zahl. Die Beson<strong>der</strong>heit des Utilitarismus liegt ni<strong>ch</strong>t in <strong>der</strong> Nutzenmaximie-<br />

81 Dazu unten S. 167 ff. (hobbesianis<strong>ch</strong>e Grundposition). Eindringli<strong>ch</strong> zur Abgrenzung utilitaristis<strong>ch</strong>er<br />

von sowohl hobbesianis<strong>ch</strong>er als au<strong>ch</strong> kantis<strong>ch</strong>er Normbegründung R.B. Brandt, The Concept<br />

of Rationality in Ethical and Political Theory (1977), S. 272 ff.<br />

82 Dazu, daß Naturre<strong>ch</strong>tslehren hier immer als sol<strong>ch</strong>e im engeren Sinn verstanden sind, also als ontologis<strong>ch</strong>e<br />

Naturre<strong>ch</strong>tslehren, siehe oben S. 89 (Naturre<strong>ch</strong>ts- und Vernunftre<strong>ch</strong>tslehren).<br />

83 Zur Ähnli<strong>ch</strong>keit <strong>der</strong> naturre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en und theologis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung vgl. L. Müller,<br />

Islam und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1996), S. 102: »Wir haben festgestellt, daß die Funktion sowohl <strong>der</strong><br />

naturre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en als au<strong>ch</strong> <strong>der</strong> theologis<strong>ch</strong>en Begründung von Re<strong>ch</strong>t ein- und dieselbe ist, nämli<strong>ch</strong><br />

die, bestimmte Re<strong>ch</strong>tsinhalte auf einer metare<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Ebene zu verwurzeln. Dadur<strong>ch</strong> sollen sie<br />

mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Disposition entzogen werden. Jedenfalls insoweit weisen naturre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e und theologis<strong>ch</strong>e<br />

Begründungsversu<strong>ch</strong>e keine Unters<strong>ch</strong>iede auf«.<br />

84 J.A. S<strong>ch</strong>umpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie (1942), S. 19: »In einer wi<strong>ch</strong>tigen Hinsi<strong>ch</strong>t<br />

ist <strong>der</strong> Marxismus Religion. Dem Gläubigen bietet er erstens ein System von letzten Zielen,<br />

die den Sinn des Leben[s] enthalten und absolute Maßstäbe sind, na<strong>ch</strong> wel<strong>ch</strong>en Ereignisse und<br />

Taten beurteilt werden können; und zweitens bietet er si<strong>ch</strong> als Führer zu jenen Zielen, was glei<strong>ch</strong>bedeutend<br />

ist mit einem Erlösungsplan und mit <strong>der</strong> Aufdeckung des Übels, von dem die<br />

Mens<strong>ch</strong>heit o<strong>der</strong> ein auserwählter Teil <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>heit erlöst werden soll.« (Hervorhebung bei<br />

S<strong>ch</strong>umpeter). Als ni<strong>ch</strong>tmarxistis<strong>ch</strong>er Sozialist konnte S<strong>ch</strong>umpeter diese Aussage ni<strong>ch</strong>t unparteiis<strong>ch</strong><br />

treffen; inhaltli<strong>ch</strong> zutreffend ist sie glei<strong>ch</strong>wohl. Parallelisierung von religiösem Naturre<strong>ch</strong>t und<br />

Marxismus au<strong>ch</strong> bei H. Klenner, Über die vier Arten von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien gegenwärtiger<br />

Re<strong>ch</strong>tsphilosophie (1995), S. 140 f.<br />

154


ung – insoweit gibt es eine Übereinstimmung mit den <strong>Theorien</strong> zur Optimierung<br />

des individuellen Nutzens in <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en Grundposition –, son<strong>der</strong>n vielmehr<br />

darin, daß <strong>der</strong> größte Gesamtnutzen zu einem kollektiven Ziel erklärt wird. Dur<strong>ch</strong><br />

dieses Ziel, und sei es bloß formal, gehören utilitaristis<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> zur aristotelis<strong>ch</strong>en<br />

Grundposition 85 .<br />

S<strong>ch</strong>on unter den Klassikern des Utilitarismus (J. Bentham, J.S. Mill, H. Sidgwick) 86<br />

ist das Spektrum <strong>der</strong> utilitaristis<strong>ch</strong>en Einzelansätze so breit, daß eine Gesamtdarstellung<br />

o<strong>der</strong> gar Gesamtwi<strong>der</strong>legung wenig aussi<strong>ch</strong>tsrei<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>eint 87 . Bereits mit dem<br />

Übergang von Bentham auf seinen S<strong>ch</strong>üler Mill beginnt ein Utilitarismus <strong>der</strong> zweiten<br />

Generation 88 . Die zunehmende Ausdifferenzierung utilitaristis<strong>ch</strong>en Gedankenguts<br />

ma<strong>ch</strong>t jede vereinheitli<strong>ch</strong>ende Darstellung spätestens seit <strong>der</strong> Überwindung des<br />

Handlungsutilitarismus (act utilitarianism) dur<strong>ch</strong> den Regelutilitarismus (rule utilitarianism)<br />

unmögli<strong>ch</strong> 89 . Es seien deshalb als Beispiele nur zwei aktuelle Modelle <strong>der</strong><br />

utilitaristis<strong>ch</strong>en politis<strong>ch</strong>en Philosophie erwähnt.<br />

85 Vgl. D. Lyons, Forms and Limits of Utilitarianism (1965), S. vii – Utilitarismus als teleologis<strong>ch</strong>e<br />

Theorie <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit; beson<strong>der</strong>s deutli<strong>ch</strong> P. Ricœur, Soi-même comme un autre (1990), S. 230:<br />

»tradition téléologique, incarnée par l'utilitarisme«; sowie S. 267: »L'utilitarisme est en effet une<br />

doctrine téléologique, dans la mesure où il définit la justice par la maximisation du bien pour le<br />

plus grand nombre.«<br />

86 Differenzierend zu Hauptvertretern des Utilitarismus D. Lyons, In the Interest of the Governed<br />

(1973), S. 21 ff. – bereits Mill habe Utilitarismus universell verstanden und damit an<strong>der</strong>s als Bentham.<br />

Vgl. au<strong>ch</strong> R.B. Brandt, Ethical Theory (1959), S. 396 – Grundlagen des Regelutilitarismus<br />

s<strong>ch</strong>on bei Mill, ni<strong>ch</strong>t aber bei Bentham.<br />

87 Denno<strong>ch</strong> gibt es Versu<strong>ch</strong>e einer allgemeinen Wi<strong>der</strong>legung; vgl. etwa J. Rawls, Theory of Justice<br />

(1971), § 28, S. 167 ff. (difficulties with average utility); D. Parfit, Reasons and Persons (1984), S. 24<br />

ff. (how consequentialism is indirectly self-defeating). Differenzierter S. S<strong>ch</strong>effler, Rejection of<br />

Consequentialism (1994), S. 20 (Formulierung einer 'hybriden' Theorie): »More specifically, I believe<br />

that a plausible agent-centred prerogative would allow ea<strong>ch</strong> agent to assign a certain proportionately<br />

greater weight to his own interests than to the interests of other people. I would then<br />

allow the agent to promote the non-optimal outcome of his <strong>ch</strong>oosing«. Dazu unten S. 269 (Kritik<br />

des Utilitarismus).<br />

88 Zu den Unters<strong>ch</strong>ieden, s<strong>ch</strong>on den Vertretern des klassis<strong>ch</strong>en Utilitarismus, siehe oben Fn. 86, sowie<br />

W. Lasars, Die klassis<strong>ch</strong>-utilitaristis<strong>ch</strong>e Begründung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1982), S. 24 ff. Zu den<br />

Entwicklungslinien <strong>der</strong> utilitaristis<strong>ch</strong>en Ideenges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te von Bentham über Mill und Sidgwick bis<br />

zu Moore siehe A. Ross, Kritik <strong>der</strong> sogenannten praktis<strong>ch</strong>en Erkenntnis (1933), S. 119 ff.<br />

89 Unters<strong>ch</strong>eidung mit diesen Begriffen erstmals bei R.B. Brandt, Ethical Theory (1959), S. 380 ff., 413<br />

ff. (380): »[H]edonistic utilitarianism and ideal utilitarianism. These two forms of universal result<br />

theory ... we shall group together unter the title of 'act-utilitarianism.'« Sowie ebd., S. 413: »[T]he<br />

thesis of rule utilitarianism is, roughly, that an act is a persons's duty if and only i[f] it is required<br />

by the ideal rules for his community – those the conscientious following of whi<strong>ch</strong> would have<br />

maximum net expectable utility.« Zur genauen Differenzierung zwis<strong>ch</strong>en vers<strong>ch</strong>iedenen Formen<br />

des Handlungs- und Regelutilitarismus D. Lyons, Forms and Limits of Utilitarianism (1965), S. 8<br />

ff., 121 ff. (9): »Roughly speaking ..., Act-Utilitarianism is the theory that one should always perform<br />

acts the effects of whi<strong>ch</strong> would be at least as good as those of any alternative. These are right<br />

actions; all others are wrong. It is one's duty, or over-all obligation, to perform right acts only; and<br />

thus if one act has the best consequences, that act is the thing to be done.« (Hervorhebung bei Lyons).<br />

155


Zu den gegenwärtig vertretenen <strong>Theorien</strong>, die einen Utilitarismus um normative<br />

Bes<strong>ch</strong>ränkungen ergänzen, gehört <strong>der</strong> '<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sutilitarismus' von Trapp 90 .<br />

Au<strong>ch</strong> hier werden die Präferenzen <strong>der</strong> Einzelnen in die Gesamtheit <strong>der</strong> individuellen<br />

Nutzenfunktionen eingere<strong>ch</strong>net 91 . In <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidungsfindung über die Handlungsweise<br />

mit dem größten Gesamtnutzen sollen dabei au<strong>ch</strong> moralis<strong>ch</strong>e Präferenzen<br />

eingehen, also etwa die individuelle Befriedigung, die eine Person daraus zieht, daß<br />

sie si<strong>ch</strong> wohltätig verhält 92 . Zu einem normativ angerei<strong>ch</strong>erten '<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sutilitarismus'<br />

wird das Kalkül spätestens dadur<strong>ch</strong>, daß bestimmte Präferenzen, etwa Sadismus,<br />

als illegitim ausges<strong>ch</strong>lossen werden 93 .<br />

Der ents<strong>ch</strong>eidungstheoretis<strong>ch</strong>e 94 Utilitarismus Harsanyis versu<strong>ch</strong>t, zwei Grundprobleme<br />

des klassis<strong>ch</strong>en Utilitarismus zu überwinden: den Einzelaktbezug und die<br />

interpersonalen Nutzenverglei<strong>ch</strong>e. Als Regelutilitarismus anerkennt die Theorie den<br />

einzelaktunabhängigen Nutzen, den Personen einem System von individuellen Re<strong>ch</strong>ten<br />

und Pfli<strong>ch</strong>ten zuweisen 95 . Es soll ihnen dadur<strong>ch</strong> mögli<strong>ch</strong> sein, moralis<strong>ch</strong>e Prinzipien<br />

aus Eigennutz anzuerkennen (moral commitment), selbst wenn sie im einzelnen<br />

Anwendungsfall einmal ni<strong>ch</strong>t nützli<strong>ch</strong> sein sollten. Das Nutzenkalkül will Harsanyi<br />

plausibler ma<strong>ch</strong>en, indem er (in Anknüpfung an die kardinalen Nutzenfunktionen<br />

<strong>der</strong> Spieltheorie) die Interaktionspartner den Nutzen an<strong>der</strong>er aus <strong>der</strong>en Si<strong>ch</strong>t (ni<strong>ch</strong>t<br />

aus <strong>der</strong> eigenen) eins<strong>ch</strong>ätzen läßt 96 . Interpersonale Nutzenverglei<strong>ch</strong>e werden so<br />

dur<strong>ch</strong> ein Verfahren ersetzt, das dem Abglei<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er Handlungsstrategien<br />

in <strong>der</strong> Spieltheorie entspri<strong>ch</strong>t. Für eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>skonzeption ist es dann ni<strong>ch</strong>t<br />

mehr nötig, einen interpersonal gültigen Maßstab für Nutzen festzulegen 97 .<br />

Beide Beispiele zeigen, wie <strong>der</strong> klassis<strong>ch</strong>e Utilitarismus zu einer mo<strong>der</strong>nen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie<br />

weiterentwickelt werden kann. Do<strong>ch</strong> bleiben sie dabei stets dem<br />

Ziel verhaftet, daß die Legitimation im größten Glück <strong>der</strong> größten Zahl liegt. Dieses<br />

90 R. Trapp, 'Ni<strong>ch</strong>t-klassis<strong>ch</strong>er' Utilitarismus (1988), S. 297 ff.<br />

91 R. Trapp, 'Ni<strong>ch</strong>t-klassis<strong>ch</strong>er' Utilitarismus (1988), S. 292 ff. – individuelle Interessen.<br />

92 Vgl. R. Trapp, 'Ni<strong>ch</strong>t-klassis<strong>ch</strong>er' Utilitarismus (1988), S. 311 – summum bonorum; S. 323 –<br />

angenommene Präferenzen.<br />

93 R. Trapp, 'Ni<strong>ch</strong>t-klassis<strong>ch</strong>er' Utilitarismus (1988), S. 323 ff. (324) – »ethis<strong>ch</strong>er Filter«; <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sutilitarismus<br />

sei »axiologis<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t autark«.<br />

94 Vgl. unten S. 174 – Harsanyis Verbindung von Ents<strong>ch</strong>eidungstheorie und Utilitarismus impliziert<br />

ni<strong>ch</strong>t, daß Ents<strong>ch</strong>eidungstheoretiker generell zum Utilitarismus neigen. Ohne moraltheoretis<strong>ch</strong>e<br />

Zusätze bleiben sol<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> vielmehr Mikrotheorien, die allenfalls den Makrotheorien des<br />

neohobbesianis<strong>ch</strong>en Sozialvertrags zuzuordnen sind. Harsanyi ist in seinen moralis<strong>ch</strong>en Theorieerweiterungen<br />

unter den Ents<strong>ch</strong>eidungstheoretikern eine Ausnahme; vgl. D. Gauthier, On the Refutation<br />

of Utilitarianism (1982), S. 144 ff. – utilitaristis<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> von Bentham bis Harsanyi seien<br />

inkompatibel mit <strong>der</strong> Konzeption praktis<strong>ch</strong>er Vernunft in Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien.<br />

95 J.C. Harsanyi, Morality and the Theory of Rational Behaviour (1977), S. 56 ff.; <strong>der</strong>s., Rule Utilitarianism,<br />

Rights, Obligations and the Theory of Rational Behavior (1980), S. 115: »The most important<br />

advantage that rule utilitarianism as an ethical theory has over act utilitarianism lies in ist ability<br />

to give full recognition to the moral and social importance of individual rights and personal obligations.«<br />

(Hervorhebung bei Harsanyi).<br />

96 Vgl. J.C. Harsanyi, Maximin Principle (1975), S. 600: »Consequently, vNM [von Neumann-Morgenstern]<br />

utility functions have a completely legitimate place in ethics because they express the subjective<br />

importance people atta<strong>ch</strong> to their vaious needs and interests.«<br />

97 Vgl. J.C. Harsanyi, Maximin Principle (1975), S. 600 – Beispiel zum 'concept of justice'.<br />

156


Ziel ist ni<strong>ch</strong>t mehr dur<strong>ch</strong> Verfahren begründet. Deshalb handelt es si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t um<br />

prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien, son<strong>der</strong>n um sol<strong>ch</strong>e <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition.<br />

IV. <strong>Theorien</strong> des Kommunitarismus<br />

Unter den gegenwärtig diskutierten <strong>Theorien</strong> mit aristotelis<strong>ch</strong>er Grundposition sind<br />

vor allem diejenigen des Kommunitarismus (communitarianism) herauszustellen 98 ,<br />

<strong>der</strong>en Kernaussage die Gemeins<strong>ch</strong>aftsgebundenheit des Individuums ist: Das Individuum<br />

findet seinen Lebenssinn und seine Würde vollständig erst dur<strong>ch</strong> die Einbindung<br />

in die Gemeins<strong>ch</strong>aft 99 . Dadur<strong>ch</strong> grenzt si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Kommunitarismus von allen<br />

individualistis<strong>ch</strong>en Strömungen ab, die ihren Ausdruck vor allem in Vertragstheorien<br />

gefunden haben 100 . Denn aristotelis<strong>ch</strong>e Tugendhaftigkeit ri<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong><br />

laut kommunitaristis<strong>ch</strong>er Deutung ni<strong>ch</strong>t allein na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> je eigenen (subjektiven)<br />

Konzeption des Guten, son<strong>der</strong>n dana<strong>ch</strong>, was für den einzelnen (objektiv) »als<br />

Mens<strong>ch</strong> wirkli<strong>ch</strong> gut ist« 101 . Damit verbunden ist eine tendenziell positive Ans<strong>ch</strong>auung<br />

von sozialer Ordnung als einem für die individuelle Freiheit ni<strong>ch</strong>t nur bedrohli<strong>ch</strong>en,<br />

son<strong>der</strong>n diese Freiheit für den Mens<strong>ch</strong>en als zoon politikon erst ermögli<strong>ch</strong>enden<br />

Gebilde 102 . Insoweit gibt es eine Verwandts<strong>ch</strong>aft zu Hegels polititis<strong>ch</strong>er Philosophie<br />

und seinem Begriff <strong>der</strong> Sittli<strong>ch</strong>keit 103 . Man könnte, da es für die hier vorgenommene<br />

Klassifizierung letztli<strong>ch</strong> nur auf das Charakteristikum des Eigenwertes einer dur<strong>ch</strong><br />

Gesells<strong>ch</strong>aft und Staat verkörperten Traditionsgemeins<strong>ch</strong>aft ankommt, beim Kommunitarismus<br />

au<strong>ch</strong> von einer 'hegelianis<strong>ch</strong>en Grundposition' spre<strong>ch</strong>en 104 . Allerdings<br />

hat si<strong>ch</strong> MacIntyre als wohl bekanntester Vertreter des Neoaristotelismus 105 ohne An-<br />

98 Zur Zuordnung des Kommunitarismus zur aristotelis<strong>ch</strong>en Tradition au<strong>ch</strong> H. Brunkhorst, Demokratie<br />

als Solidarität unter Fremden (1996), S. 21.<br />

99 C. Taylor, Quellen des Selbst (1994), S. 72 f. Vgl. die Begriffsbestimmung bei W. Reese-S<strong>ch</strong>äfer, Rezeption<br />

des kommunitaris<strong>ch</strong>en Denkens (1996), S. 3: »Das kommunitaris<strong>ch</strong>e Projekt ist <strong>der</strong> Versu<strong>ch</strong><br />

einer Wie<strong>der</strong>belebung von Gemeins<strong>ch</strong>aftsdenken unter den Bedingungen postmo<strong>der</strong>ner<br />

Dienstleistungsgesells<strong>ch</strong>aften.« Treffende Glei<strong>ch</strong>setzung von 'Kommunitarismus' mit 'Gemeins<strong>ch</strong>aftsdenken'<br />

au<strong>ch</strong> bei W. Brugger, Kommunitarismus als Verfassungstheorie des Grundgesetzes<br />

(1998), S. 338 ff.<br />

100 V. Medina, Social Contract Theories (1990), S. 116.<br />

101 A. MacIntyre, Verlust <strong>der</strong> Tugend (1984), S. 202.<br />

102 Vgl. A. MacIntyre, Verlust <strong>der</strong> Tugend (1984), S. 203; H. S<strong>ch</strong>nädelba<strong>ch</strong>, Was ist Neoaristotelismus?<br />

(1986), S. 50 (Rückbindung <strong>der</strong> Ethik an jeweils s<strong>ch</strong>on gelebtes Ethos), 51 (Vernunft in <strong>der</strong> Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te).<br />

103 H. S<strong>ch</strong>nädelba<strong>ch</strong>, Was ist Neoaristotelismus? (1986), S. 41 f. – Hegel selbst als Neoaristoteliker;<br />

V. Medina, Social Contract Theories (1990), S. 116 ff.; W. Kersting, Die politis<strong>ch</strong>e Philosophie des<br />

Gesells<strong>ch</strong>aftsvertrags (1994), S. 1 – Liberalismuskritik bei Hegel und im Kommunitarismus.<br />

104 Zur Zuordnung des Neohegelianismus zum Neoaristotelismus siehe R. Alexy, Eine diskurstheoretis<strong>ch</strong>e<br />

Konzeption <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft (1993), S. 12 m.w.N. Zur Entgegensetzung von hegelianis<strong>ch</strong>em<br />

Sittli<strong>ch</strong>keits- und kantis<strong>ch</strong>em Moralitätsverständnis siehe beispielsweise F.J. Kelly,<br />

An Analysis of Hegel's Theory of Social Morality (1998), S. 188 ff. m.w.N.<br />

105 Na<strong>ch</strong> an<strong>der</strong>er Eins<strong>ch</strong>ätzung kommt Charles Taylor die Ehre des »führenden kommunitaris<strong>ch</strong>en<br />

Philosophen« zu und ist Amitai Etzioni maßgebli<strong>ch</strong> für die Begründung <strong>der</strong> kommunitaris<strong>ch</strong>en<br />

'Plattform' gewesen; W. Reese-S<strong>ch</strong>äfer, Rezeption des kommunitaris<strong>ch</strong>en Denkens (1996), S. 4. Vgl.<br />

unten S. 167 (Eins<strong>ch</strong>ätzung des Kommunitarismus im Ergebnis). Wie hier für einen qualitativen<br />

157


knüpfung an Hegel direkt auf Aristoteles als »Vertreter einer langen Tradition« 106 gestützt<br />

und so für den Kommunitarismus die Entgegensetzung von kantis<strong>ch</strong>er und<br />

aristotelis<strong>ch</strong>er Grundposition in <strong>der</strong> anglo-amerikanis<strong>ch</strong>en Literatur etabliert 107 .<br />

Es gibt einige gemeinsame Merkmale <strong>der</strong> kommunitaristis<strong>ch</strong>en <strong>Theorien</strong>. Zunä<strong>ch</strong>st<br />

wenden si<strong>ch</strong> alle Vertreter des Kommunitarismus kritis<strong>ch</strong> gegen den in <strong>der</strong><br />

westli<strong>ch</strong>en politis<strong>ch</strong>en Philosophie dominierenden Liberalismus 108 . Als politis<strong>ch</strong>e,<br />

soziologis<strong>ch</strong>e und philosophis<strong>ch</strong>e Denkri<strong>ch</strong>tung hat si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Kommunitarismus erst<br />

dur<strong>ch</strong> seine Kritik am Liberalismus konstituiert – die Kritik ist <strong>der</strong> gemeinsame Nenner<br />

<strong>der</strong> sonst sehr unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Vertreter 109 . Charles Taylor hat für die gegenwärtige<br />

Philosophie in den Vereinigten Staaten treffend von einem liberalistis<strong>ch</strong>en<br />

Lager ('Team L') mit J. Rawls, R. Dworkin, T. Nagel und T.M. Scanlon und einem kommunitaristis<strong>ch</strong>en<br />

Lager ('Team K') mit M.J. Sandel, A. MacIntyre und M. Walzer gespro<strong>ch</strong>en<br />

110 . In <strong>der</strong> kommunitaristis<strong>ch</strong>en Kritik am Liberalismus lassen si<strong>ch</strong> heute<br />

vier Elemente unters<strong>ch</strong>eiden, die mit unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er S<strong>ch</strong>werpunktsetzung in allen<br />

<strong>Theorien</strong> vertreten werden 111 :<br />

1. die Kritik am atomistis<strong>ch</strong>en Personenkonzept;<br />

2. die Kritik an <strong>der</strong> fehlenden integrativen Kraft individualistis<strong>ch</strong>er Gesells<strong>ch</strong>aftstheorien;<br />

3. die Kritik am Neutralitätsanspru<strong>ch</strong> des Liberalismus und<br />

4. die Kritik am Universalismus in Moraltheorien 112 .<br />

Über die Ideenges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des Kommunitarismus, also über Herkunftslinien jenseits<br />

<strong>der</strong> in <strong>der</strong> 80er Jahren festzustellenden Herauskristallisierung als Strömung, herrs<strong>ch</strong>t<br />

Neubeginn <strong>der</strong> Liberalismuskritik Taylors mit MacIntyre au<strong>ch</strong> H. Brunkhorst, Demokratie als Solidarität<br />

unter Fremden (1996), S. 21.<br />

106 A. MacIntyre, Verlust <strong>der</strong> Tugend (1984), S. 197.<br />

107 MacIntyre sieht die ideenges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Verbindung Hegels zu Platon und Aristoteles zwar, hält die<br />

politis<strong>ch</strong>e Philosophie Hegels aber in ents<strong>ch</strong>eidenden Punkten für »wenig überzeugend« und »außerordentli<strong>ch</strong><br />

s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t begründet«: A. MacIntyre, A Short History of Ethics (1966), S. 199 ff., 208 ff.<br />

(209). Zur Abgrenzung von Nietzs<strong>ch</strong>e vor allem die beiden Kapitel zu 'Nietzs<strong>ch</strong>e o<strong>der</strong> Aristoteles?'<br />

in A. MacIntyre, Verlust <strong>der</strong> Tugend (1984), S. 149 ff., 341 ff.<br />

108 So au<strong>ch</strong> H. Joas, Vorges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te <strong>der</strong> Kommunitarismus-Diskussion (1993), S. 50.<br />

109 A.A. offenbar W. Brugger, Kommunitarismus als Verfassungstheorie des Grundgesetzes (1998),<br />

S. 344 mit Fn. 24, S. 346 f., 349 ff. Die von ihm entworfene »idealtypis<strong>ch</strong>e Skizze« läßt bezei<strong>ch</strong>nen<strong>der</strong>weise<br />

offen, ob es für einen »universalistis<strong>ch</strong>en« o<strong>der</strong> »liberalen Kommunitarismus« überhaupt<br />

Vertreter gibt, die »dem diskutierten Kommunitarismustyp zugere<strong>ch</strong>net werden« können;<br />

siehe ebd., S. 344 mit Fn. 24. Jedenfalls bezügli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> anglo-amerikanis<strong>ch</strong>en Diskussion ers<strong>ch</strong>einen<br />

die ges<strong>ch</strong>il<strong>der</strong>ten Mis<strong>ch</strong>formen gerade ni<strong>ch</strong>t »typis<strong>ch</strong>« für kommunitaristis<strong>ch</strong>es Gedankengut.<br />

110 C. Taylor, Aneinan<strong>der</strong> vorbei (1993), S. 103. Den Kommunitaristen ist außerdem Taylor selbst zuzure<strong>ch</strong>nen.<br />

111 Vgl. R. Forst, Kommunitarismus und Liberalismus (1993), S. 183 ff. Eine an<strong>der</strong>e Charakterisierung<br />

dur<strong>ch</strong> vier »Kernpunkte« (Gruppenabgrenzung, Gruppenzugehörigkeit, Pluralismus, anthropologis<strong>ch</strong>-sozialtheoretis<strong>ch</strong>e<br />

Ausri<strong>ch</strong>tung) findet si<strong>ch</strong> bei W. Brugger, Kommunitarismus als Verfassungstheorie<br />

des Grundgesetzes (1998), S. 340 ff.<br />

112 Wenn im Zusammenhang mit dem Kommunitarismus gelegentli<strong>ch</strong> von 'Universalität' gespro<strong>ch</strong>en<br />

wird, dann ist damit eine an<strong>der</strong>e gemeint als die in <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en Tradition – eine 'perspektivis<strong>ch</strong>e<br />

Universalität'; M. Fisk, Justice and Universality (1995), S. 227 ff.<br />

158


Einigkeit nur insoweit, als Ursprünge bei Hegel anzusiedeln sind 113 . Insbeson<strong>der</strong>e die<br />

erste <strong>der</strong> oben erwähnten Gemeinsamkeiten steht in <strong>der</strong> direkten Na<strong>ch</strong>folge von Hegels<br />

Auffassung über das sittli<strong>ch</strong> situierte Selbst 114 . Walzer bringt es auf den Punkt,<br />

wenn er meint, Mens<strong>ch</strong>en ohne Sozialbindung seien keine Mens<strong>ch</strong>en, son<strong>der</strong>n »mythis<strong>ch</strong>e<br />

Figuren« 115 . Sandel konkretisiert: in das Personenkonzept müsse au<strong>ch</strong> die<br />

konkrete Einbettung von Individuen in ihre vers<strong>ch</strong>iedenen gemeins<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Verhältnisse<br />

einbezogen werden, also die Zugehörigkeit zur Stadt- o<strong>der</strong> Dorfgemeins<strong>ch</strong>aft,<br />

zu Familie, Klasse, Nation o<strong>der</strong> Volk 116 . Zugespitzt auf eine Hegel/Kant-<br />

Di<strong>ch</strong>otomie könnte man sagen: Der Kommunitarismus betont die Sittli<strong>ch</strong>keit im Sinne<br />

einer sozialübli<strong>ch</strong>en Moralität und kommt dadur<strong>ch</strong> zu einer Moral partikulärer<br />

Bindungen 117 , wohingegen <strong>der</strong> Liberalismus na<strong>ch</strong> den unparteiis<strong>ch</strong>en Prinzipien einer<br />

universellen Moral su<strong>ch</strong>t 118 .<br />

1. Epistemologis<strong>ch</strong>er Kommunitarismus (M.J. Sandel)<br />

Abgesehen von <strong>der</strong> gemeinsamen Frontenstellung gegen den Liberalismus haben die<br />

Positionen innerhalb des kommunitaristis<strong>ch</strong>en Lagers ni<strong>ch</strong>t viel gemein. Eine verbindende<br />

Rolle unter den vers<strong>ch</strong>iedenen Spielarten des Kommunitarismus spielt allein<br />

Sandel, dessen 1982 vorgelegte Rawls-Kritik 119 erst die lebhafte Diskussion auslöste,<br />

die später zum Kristallisationspunkt all jener Auffassungen wurde, die unter<br />

dem Oberbegriff 'Kommunitarismus' (communitarianism) firmieren. Zwar war au<strong>ch</strong><br />

s<strong>ch</strong>on vor 1982 <strong>der</strong> Personenbegriff bei Rawls kritisiert worden, aber erst Sandel hat<br />

die Theorie vermittels einer Kritik ihres Mens<strong>ch</strong>enbildes grundsätzli<strong>ch</strong> in Frage gestellt<br />

120 .<br />

Der Kommunitarismus Sandels findet seinen Ausgangspunkt in <strong>der</strong> Selbsterkenntnis<br />

des Mens<strong>ch</strong>en als Gemeins<strong>ch</strong>aftswesen und kann deshalb s<strong>ch</strong>lagwortartig<br />

als 'epistemologis<strong>ch</strong>' bezei<strong>ch</strong>net werden 121 . In seinem S<strong>ch</strong>lüsselargument zur Gemeins<strong>ch</strong>aftsgebundenheit<br />

des Mens<strong>ch</strong>en stellt Sandel den bei Rawls herausgearbeite-<br />

113 Ni<strong>ch</strong>t zufällig finden si<strong>ch</strong> ausgere<strong>ch</strong>net Personen wie Charles Taylor – in den USA bekannt dur<strong>ch</strong><br />

seine Hegel-Monographie – im kommunitaristis<strong>ch</strong>en Lager; vgl. A. Honneth, Individualisierung<br />

und Gemeins<strong>ch</strong>aft (1994), S. 17. Zur Bedeutung von Aristoteles und Hegel für den Kommunitarismus<br />

au<strong>ch</strong> M. Sandel, Liberalism and the Limits of Justice (1982), S. ix. Im übrigen wird darüber<br />

diskutiert, ob Ursprünge au<strong>ch</strong> beim amerikanis<strong>ch</strong>en Pragmatismus von John Dewey o<strong>der</strong> bei Alexis<br />

de Tocqueville zu finden sind.<br />

114 R. Forst, Kommunitarismus und Liberalismus (1993), S. 183.<br />

115 M. Walzer, Die kommunitaristis<strong>ch</strong>e Kritik am Liberalismus (1993), S. 162.<br />

116 M. Sandel, Liberalism and the Limits of Justice (1982), S. 172.<br />

117 Vgl. A. MacIntyre, Ist Patriotismus eine Tugend? (1993), S. 102.<br />

118 Zur Gegensätzli<strong>ch</strong>keit von Kommunitarismus und Universalismus H. Brunkhorst, Demokratie als<br />

Solidarität unter Fremden (1996), S. 25 ff.<br />

119 M. Sandel, Liberalism and the Limits of Justice (1982), S. 50 ff., 122 ff.<br />

120 Zu dieser Eins<strong>ch</strong>ätzung R. Forst, Kommunitarismus und Liberalismus (1993), S. 183. Die Kritik<br />

des Personenbegriffs findet si<strong>ch</strong> bei M. Sandel, Liberalism and the Limits of Justice (1982), S. 47 ff.<br />

(50 ff.).<br />

121 Zur Selbsteins<strong>ch</strong>ätzung Sandels vgl. die Ausführungen zum 'constitutive self-un<strong>der</strong>standing' im<br />

Kapitel 'moral epistemology of justice': M. Sandel, Liberalism and the Limits of Justice (1982),<br />

S. 168 ff. (171 f.), sowie zum 'epistemological claim' S. 182 f.<br />

159


ten Gemeins<strong>ch</strong>aftsverständnissen einer 'instrumental community' und einer 'sentimental<br />

community' eine dritte gegenüber. Diese 'constitutive community' zei<strong>ch</strong>ne<br />

si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> aus, daß Mens<strong>ch</strong>en ihr ni<strong>ch</strong>t nur mehr o<strong>der</strong> weniger freiwillig angehören,<br />

son<strong>der</strong>n daß sie erst dur<strong>ch</strong> die vorgefundene Gemeins<strong>ch</strong>aftszugehörigkeit erkennen,<br />

wer sie selbst sind 122 . Es sei ihnen ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong>, si<strong>ch</strong> selbst unabhängig von<br />

ihrer Gemeins<strong>ch</strong>aftsbindung wahrzunehmen, wie dies in je<strong>der</strong> liberalen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung<br />

vorausgesetzt werde 123 . We<strong>der</strong> sei <strong>der</strong> einzelne frei, si<strong>ch</strong> seine Konzeption<br />

des Guten ganz unabhängig von an<strong>der</strong>en zu su<strong>ch</strong>en, no<strong>ch</strong> könne den an<strong>der</strong>en<br />

eine völlige Wahlfreiheit für ihre Ziele und Lebenspläne zugestanden werden,<br />

ohne damit glei<strong>ch</strong>zeitig die Identität jedes Gemeins<strong>ch</strong>aftsmitglieds zu beeinflussen<br />

und zu gefährden 124 . Das individualistis<strong>ch</strong>e Mens<strong>ch</strong>enbild stellt si<strong>ch</strong> vor diesem<br />

Hintergrund ni<strong>ch</strong>t als Befreiung dar, son<strong>der</strong>n raubt dem einzelnen seinen Charakter<br />

und liefert ihn <strong>der</strong> Willkür unbegrenzter Wahlfreiheit des moralis<strong>ch</strong>en Handelns<br />

aus 125 : Freunds<strong>ch</strong>aft, Güte und Liebe werden zu bloßen Instrumenten einer egozentris<strong>ch</strong>en<br />

Wahl umgedeutet und dadur<strong>ch</strong> entstellt 126 .<br />

Da si<strong>ch</strong> Sandels Kommunitarismus bewußt auf die Kritik am Liberalismus konzentriert<br />

127 , ist es ni<strong>ch</strong>t ganz einfa<strong>ch</strong>, daraus auf die konkrete <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>skonzeption<br />

zu s<strong>ch</strong>ließen, zu <strong>der</strong> seine Form des Kommunitarismus führen müßte. Wi<strong>ch</strong>tig<br />

ist zunä<strong>ch</strong>st, daß Sandel bei aller Liberalismuskritik ni<strong>ch</strong>t insgesamt antiliberal eingestellt<br />

ist, son<strong>der</strong>n den Liberalismus vielmehr als Projekt <strong>der</strong> Befreiung würdigt 128 .<br />

Was im Ergebnis an<strong>der</strong>s ist, wenn man die liberalismusgeprägte Re<strong>ch</strong>ts- und Sozialordnung<br />

dur<strong>ch</strong> eine neue Gemeins<strong>ch</strong>aftsbezogenheit uminterpretiert, indem man<br />

Universalismus dur<strong>ch</strong> Kontextualismus ersetzt, wird bei Sandel, soweit ersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>,<br />

ni<strong>ch</strong>t ausdrückli<strong>ch</strong> dargelegt. Ein konkreter Unters<strong>ch</strong>ied könnte darin liegen, daß es<br />

aus kommunitaristis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t beispielsweise zulässig ist, in einer Stadt pornographis<strong>ch</strong>e<br />

Bu<strong>ch</strong>läden allein deshalb zu verbieten, weil sie gegen die Lebensweise und<br />

122 Die S<strong>ch</strong>lüsselstelle findet si<strong>ch</strong> bei M. Sandel, Liberalism and the Limits of Justice (1982), S. 150: »A<br />

theory of community whose province extended to the subject as well as the object of motivations<br />

would be individualistic in neither the conventional sense nor in Rawls'. It would ... differ from<br />

Rawls' conception in that community would describe not just a feeling but a mode of selfun<strong>der</strong>standing<br />

partly constitutive of the agent's identity. On this strong view, to say that the<br />

members of a society are bound by a sense of community is not simply to say that a great many of<br />

them profess communitarian sentiments and pursue communitarian aims, but rather that they<br />

conceive their identity – the subject and not just the object of their feelings and aspirations – as defined<br />

to some extent by the community of whi<strong>ch</strong> they are a part. For them, community describes<br />

not just what they have as fellow citizens but also what they are, not a relationship they <strong>ch</strong>oose (as<br />

in a voluntary association) but an atta<strong>ch</strong>ment they discover, not merely an attribute but a constituent<br />

of their identity. In contrast to the instrumental and sentimental conceptions of community,<br />

we might describe this strong view as the constitutive conception.« Die S<strong>ch</strong>lüsselstelle findet si<strong>ch</strong><br />

nahezu wortglei<strong>ch</strong> wie<strong>der</strong>holt au<strong>ch</strong> auf S. 173.<br />

123 M. Sandel, Liberalism and the Limits of Justice (1982), S. 179.<br />

124 Vgl. M. Sandel, Liberalism and the Limits of Justice (1982), S. 179.<br />

125 M. Sandel, Liberalism and the Limits of Justice (1982), S. 177 ff. (179 f.).<br />

126 Vgl. M. Sandel, Liberalism and the Limits of Justice (1982), S. 180 f.<br />

127 So heißt es am Anfang bei M. Sandel, Liberalism and the Limits of Justice (1982), S. 1.<br />

128 Beispielsweise M. Sandel, Liberalism and the Limits of Justice (1982), S. 175 ff.<br />

160


Werte in dieser Stadt verstoßen 129 . Es kommt also ni<strong>ch</strong>t mehr darauf an, ob eine Bes<strong>ch</strong>ränkung<br />

individueller Re<strong>ch</strong>te aufgrund universeller Erwägungen überall zur Zulässigkeit<br />

von Verboten führen müßte. Die konkreten Sitten bilden einen eigenständigen<br />

und unter Umständen den einzigen Grund für die Legitimität eines Verbotes.<br />

Verallgemeinert man diesen Beispielsfall, so kann man sagen, daß Kommunitaristen<br />

eher bereit sind, Individualre<strong>ch</strong>te zur Wahrung traditioneller Lebensweisen und<br />

überkommener Wertvorstellungen <strong>der</strong> Gemeins<strong>ch</strong>aft zu bes<strong>ch</strong>ränken. Bei dieser<br />

Si<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Dinge wird au<strong>ch</strong> deutli<strong>ch</strong>, warum kommunitaristis<strong>ch</strong>es Gedankengut so<br />

aktuell in die politis<strong>ch</strong>e Diskussion Amerikas paßt, in <strong>der</strong> <strong>der</strong> Verfall von Sitten (moral<br />

community) und nationaler Identität (patriotism) beklagt wird. Abgesehen von sol<strong>ch</strong>en<br />

Tendenzaussagen lassen si<strong>ch</strong> die kommunitaristis<strong>ch</strong>en Strömungen aber ni<strong>ch</strong>t<br />

als Einheit verstehen, son<strong>der</strong>n müssen je für si<strong>ch</strong> untersu<strong>ch</strong>t werden.<br />

2. Neoaristotelis<strong>ch</strong>er Kommunitarismus (A. MacIntyre)<br />

Na<strong>ch</strong> dem neoaristotelis<strong>ch</strong>en Kommunitarismus MacIntyres liegt die praktis<strong>ch</strong>e Vernunft<br />

allein darin, einen persönli<strong>ch</strong>en Standpunkt gegen Einwände dur<strong>ch</strong> immer<br />

bessere Gründe abzusi<strong>ch</strong>ern, bis Unstimmigkeiten, Auslassungen und Erklärungslücken<br />

mit <strong>der</strong> Zeit vers<strong>ch</strong>winden 130 . Die Bindung an einen persönli<strong>ch</strong>en Standpunkt<br />

wirkt si<strong>ch</strong> gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> als Bindung an eine bestimmte Traditionsgemeins<strong>ch</strong>aft<br />

aus 131 . Nur innerhalb einer sol<strong>ch</strong>en Traditionsgemeins<strong>ch</strong>aft sei überhaupt praktis<strong>ch</strong>e<br />

Erkenntnis mögli<strong>ch</strong> 132 . Wie an<strong>der</strong>e Standpunkttheorien, insbeson<strong>der</strong>e die s<strong>ch</strong>on erwähnten<br />

Beoba<strong>ch</strong>tertheorien, grenzt si<strong>ch</strong> diese Konzeption von Vertrags- und Diskursrationalität<br />

ab. Sie erklärt jede Aussage über das ri<strong>ch</strong>tige Handeln für persönli<strong>ch</strong><br />

befangen und kommt konsequenterweise zu dem Ergebnis, daß die Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> Universalität<br />

glei<strong>ch</strong> wel<strong>ch</strong>er Art fru<strong>ch</strong>tlos sei. MacIntyre hält deshalb den Liberalismus<br />

mit seinem Programm, universelle Vernunftprinzipien zu begründen, für ges<strong>ch</strong>eitert<br />

133 . Die vom Liberalismus geltend gema<strong>ch</strong>te Neutralität habe si<strong>ch</strong> ungewollt<br />

selbst zu einer Tradition entwickelt, sei also ni<strong>ch</strong>t traditionsneutral. Da <strong>der</strong> Liberalismus<br />

ni<strong>ch</strong>t begründbar sei, bleibe nur die Rückbesinnung auf die politis<strong>ch</strong>e Philosophie<br />

<strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition 134 .<br />

129 So das Beispiel bei A. Gutman, Die kommunitaristis<strong>ch</strong>en Kritiker des Liberalismus (1993), S. 79,<br />

die es einer mündli<strong>ch</strong>en Äußerung von Sandel zuweist.<br />

130 A. MacIntyre, Whose Justice? (1988), S. 144 f. (in Anknüpfung an das Verständnis praktis<strong>ch</strong>er Rationalität<br />

bei Aristoteles), 355 f. (für Entwicklungsstufen in <strong>der</strong> Gemeins<strong>ch</strong>aft).<br />

131 MacIntyre unters<strong>ch</strong>eidet beispielhaft die aristotelis<strong>ch</strong>e, die augustinis<strong>ch</strong>e und die calvinistis<strong>ch</strong>e<br />

Tradition und spri<strong>ch</strong>t von einer »Rationalität <strong>der</strong> Traditionen«: A. MacIntyre, Whose Justice?<br />

(1988), S. 349 ff.<br />

132 So ausdrückli<strong>ch</strong> A. MacIntyre, Whose Justice? (1988), S. 350: »[T]here is no other way to engage in<br />

the formulation, elaboration, rational justification, and criticism of accounts of practical rationality<br />

and justice except from within some one particular tradition in conversation, cooperation, and<br />

conflict with those who inhabit the same tradition.«<br />

133 A. MacIntyre, Verlust <strong>der</strong> Tugend (1984), S. 57 ff. (74). Deutli<strong>ch</strong> die Worte zu Begründbarkeit und<br />

Existenz von Natur- und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>ten, ebd., S. 98: »[D]ie Wahrheit ist einfa<strong>ch</strong>: es gibt keine<br />

sol<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>te, und <strong>der</strong> Glaube daran entspri<strong>ch</strong>t dem Glauben an Hexen und Einhörner.«<br />

134 Vgl. A. MacIntyre, Verlust <strong>der</strong> Tugend (1984), S. 345: »Meine eigene S<strong>ch</strong>lußfolgerung ist absolut<br />

klar. Auf <strong>der</strong> einen Seite fehlt uns trotz <strong>der</strong> Bemühungen von drei Jahrhun<strong>der</strong>ten Moralphiloso-<br />

161


In den Konsequenzen <strong>der</strong> Rationalitätskritik grenzt si<strong>ch</strong> MacIntyre von <strong>Theorien</strong><br />

<strong>der</strong> nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>en Tradition ab 135 . Die traditionsgebundene Rationalität bedeute<br />

no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t Relativismus in dem Sinne, daß zwis<strong>ch</strong>en rivalisierenden Traditionen keine<br />

Argumentation mögli<strong>ch</strong> sei und deshalb überhaupt keine rationale Begründbarkeit<br />

mehr bestehe, und au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t Perspektivismus in dem Sinne, daß man aus einer Tradition<br />

heraus keine allgemeinen Ri<strong>ch</strong>tigkeitsansprü<strong>ch</strong>e erheben könne 136 . Denn die<br />

größtdenkbare Ri<strong>ch</strong>tigkeit und Wahrheit liege ni<strong>ch</strong>t in <strong>der</strong> immerwährenden Korrespondenz<br />

einer Vorstellung zu Tatsa<strong>ch</strong>en (Korrespondenztheorie <strong>der</strong> Wahrheit),<br />

son<strong>der</strong>n allein in <strong>der</strong> gegenwärtigen und dialektis<strong>ch</strong> so weit wie mögli<strong>ch</strong> gegen Einwände<br />

abgesi<strong>ch</strong>erten Behauptung 137 . Ri<strong>ch</strong>tigkeit und Wahrheit unterliegen damit<br />

einer ständigen Entwicklung, werden innerhalb einer Tradition immer aufs Neue getestet,<br />

und können sogar dazu führen, daß eine Tradition, die si<strong>ch</strong> in einer Erkenntniskrise<br />

(epistemological crisis) befindet, Erklärungsmodelle einer konkurrierenden<br />

Tradition übernimmt 138 . Standpunkte innerhalb einer Tradition wie au<strong>ch</strong> die Traditionen<br />

selbst sind also falsifizierbar 139 . Es gibt Forts<strong>ch</strong>ritt in <strong>der</strong> Erkenntnis. Einzelne<br />

Behauptungen sind we<strong>der</strong> (relativistis<strong>ch</strong>) alle glei<strong>ch</strong> unbegründet no<strong>ch</strong> (perspektivistis<strong>ch</strong>)<br />

auf die Mitglie<strong>der</strong> einer Traditionsgemeins<strong>ch</strong>aft bes<strong>ch</strong>ränkt 140 .<br />

MacIntyre vertritt damit einen 'lebendigen' Traditionsbegriff, <strong>der</strong> Traditionstreue<br />

we<strong>der</strong> als Gegensatz zum Konfikt no<strong>ch</strong> als sol<strong>ch</strong>en zur Vernunft sieht 141 . Traditionen<br />

verkörpern historis<strong>ch</strong> erweiterte Argumentation und kontinuierli<strong>ch</strong>e Konflikte. Sie<br />

leben von <strong>der</strong> Ausübung <strong>der</strong> in ihnen relevanten Tugenden. Der anspru<strong>ch</strong>svolle Tugendbegriff<br />

läßt bereits erkennen, daß na<strong>ch</strong> MacIntyre »mo<strong>der</strong>ne Politik keine Sa<strong>ch</strong>e<br />

mit wirkli<strong>ch</strong>em moralis<strong>ch</strong>em Konsens sein kann« 142 . Zwar könne es eine traditionsgere<strong>ch</strong>te<br />

und damit legitime Regierungsform geben, weil die Dur<strong>ch</strong>setzung <strong>der</strong> Gesetze,<br />

die Si<strong>ch</strong>erung von Großzügigkeit und Freiheit sowie die Beseitigung von Ungere<strong>ch</strong>tigkeiten<br />

eine regierungsförmige Organisation erfor<strong>der</strong>e. Mo<strong>der</strong>ne Staaten –<br />

glei<strong>ch</strong> ob liberal, kon<strong>servat</strong>iv, radikal o<strong>der</strong> sozialistis<strong>ch</strong> – drückten aber in ihren institutionellen<br />

Formen – beson<strong>der</strong>s in <strong>der</strong> Billigung von Individualismus und Habsu<strong>ch</strong>t<br />

phie und einem Jahrhun<strong>der</strong>t Soziologie no<strong>ch</strong> immer jede einheitli<strong>ch</strong>e, rational vertretbare Darlegung<br />

eines liberalen, individualistis<strong>ch</strong>en Standpunktes; und an<strong>der</strong>erseits kann die aristotelis<strong>ch</strong>e<br />

Tradition auf eine Weise neu formuliert werden, die die Verständli<strong>ch</strong>keit und Rationalität unserer<br />

moralis<strong>ch</strong>en und sozialen Haltungen und Verpfli<strong>ch</strong>tungen wie<strong>der</strong>herstellt.«<br />

135 A. MacIntyre, Whose Justice? (1988), S. 353, 368.<br />

136 Vgl. A. MacIntyre, Whose Justice? (1988), S. 352 f.<br />

137 A. MacIntyre, Whose Justice? (1988), S. 358. Hier zeigt si<strong>ch</strong> eine auffällige Übereinstimmung zum<br />

Wahrheits- und Ri<strong>ch</strong>tigkeitsbegriff <strong>der</strong> Diskurstheorie, auf den no<strong>ch</strong> einzugehen sein wird (unten<br />

S. 291 ff. – Kritik am Ri<strong>ch</strong>tigkeitsanspru<strong>ch</strong>). MacIntyre spri<strong>ch</strong>t indes ni<strong>ch</strong>t von diskursiver o<strong>der</strong><br />

kommunikativer, son<strong>der</strong>n von traditionsbegründeter Erkenntnis (tradition-constituted enquiry,<br />

S. 360). Sie folgt dem Gedanken einer letztendli<strong>ch</strong>en Wahrheit, über <strong>der</strong>en Erkennen si<strong>ch</strong> <strong>der</strong><br />

Geist nie gewiß sein kann (S. 360 f.). Vgl. unten S. 291 ff. (Kritik des Ri<strong>ch</strong>tigkeitsanspru<strong>ch</strong>s in Diskurstheorien;<br />

Korrespondenz- und Konsensustheorien).<br />

138 A. MacIntyre, Whose Justice? (1988), S. 358 ff. (364 f.).<br />

139 Zum hier verwendeten Falsifikationsbegriff unten S. 264, Fn. 20.<br />

140 Vgl. A. MacIntyre, Whose Justice? (1988), S. 366 ff.<br />

141 Ausführli<strong>ch</strong>e Abgrenzung vom Traditionsbegriffs Burkes in A. MacIntyre, Verlust <strong>der</strong> Tugend<br />

(1984), S. 296 f.<br />

142 A. MacIntyre, Verlust <strong>der</strong> Tugend (1984), S. 337.<br />

162


sowie in <strong>der</strong> Erhebung des Marktes zu einer zentralen sozialen Institution – eine systematis<strong>ch</strong>e<br />

Ablehnung von Traditionen aus und müßten deshalb »einfa<strong>ch</strong> verworfen<br />

werden« 143 .<br />

3. Multikultureller Kommunitarismus (C. Taylor)<br />

Der Kommunitarismus Charles Taylors 144 , <strong>der</strong> in seinem Verständnis mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er<br />

Identität au<strong>ch</strong> 'romantis<strong>ch</strong>' genannt werden könnte 145 , verdient das Attribut 'multikulturell'<br />

vor allem, weil Taylor zu diesem Thema, soweit ersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>, das detaillierteste<br />

Anwendungsbeispiel formuliert hat 146 . Die Liberalismuskritik Taylors ri<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong><br />

gegen die 'desengagierte Vernunft', d.h. gegen die Unterwerfung aller Gefühle und<br />

Leidens<strong>ch</strong>aften unter die Vernunft, die dadur<strong>ch</strong> zur alleinigen Quelle <strong>der</strong> Moral<br />

wird 147 . Desengagierte Vernunft bedeutet na<strong>ch</strong> Taylor au<strong>ch</strong> eine Ans<strong>ch</strong>auung des<br />

Subjekts als unsituiertes, punktförmiges Selbst. Eine sol<strong>ch</strong>e Grundhaltung verortet er<br />

beispielsweise in den Darstellungs- und Denkfiguren <strong>der</strong> körperlosen Seele bei Descartes,<br />

<strong>der</strong> punktförmigen Kraft <strong>der</strong> Selbstwie<strong>der</strong>herstellung bei Locke und dem reinen<br />

Vernunftwesen bei Kant 148 . Mit <strong>der</strong> Kritik an <strong>der</strong> desengagierten Vernunft verbindet<br />

si<strong>ch</strong> bei Taylor die ents<strong>ch</strong>iedene Ablehnung sowohl des Utilitarismus 149 als<br />

au<strong>ch</strong> aller prozeduralen <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft 150 .<br />

Taylor zeigt am Beispiel des Multikulturalismus, zu wel<strong>ch</strong>en Unters<strong>ch</strong>ieden die<br />

kommunitaristis<strong>ch</strong>e Si<strong>ch</strong>tweise gegenüber dem herrs<strong>ch</strong>enden Liberalismus in konkreten<br />

Fragen <strong>der</strong> sozialen Ordnung führen kann. So birgt das Eintreten für kollektive<br />

Ziele, d.h. insbeson<strong>der</strong>e au<strong>ch</strong> für gemeinsame Traditionen, immer die Gefahr in<br />

si<strong>ch</strong>, daß Grundre<strong>ch</strong>te an<strong>der</strong>er beeinträ<strong>ch</strong>tigt werden 151 . Das vorherrs<strong>ch</strong>ende Verständnis<br />

des Liberalismus ('Liberalismus 1' 152 ) geht deshalb davon aus, daß die Individualre<strong>ch</strong>te<br />

zusammen mit Diskriminierungsverboten stets Vorrang vor kollektiven<br />

143 A. MacIntyre, Verlust <strong>der</strong> Tugend (1984), S. 339.<br />

144 Der hier dargestellte Kommunitarismus Charles Taylors sollte ni<strong>ch</strong>t verwe<strong>ch</strong>selt werden mit demjenigen<br />

Mi<strong>ch</strong>ael Taylors, dessen For<strong>der</strong>ung na<strong>ch</strong> einem Erstarken <strong>der</strong> small communities si<strong>ch</strong> vor allem<br />

aus einer grundsätzli<strong>ch</strong>en Ablehnung <strong>der</strong> Staatli<strong>ch</strong>keit speist (anar<strong>ch</strong>istis<strong>ch</strong>er Kommunitarismus);<br />

vgl. M. Taylor, Anar<strong>ch</strong>y and Cooperation (1976), S. 132 ff. (destruction of small communities);<br />

<strong>der</strong>s., Community, Anar<strong>ch</strong>y, and Liberty (1982). Dazu unten S. 333 ff. (Institutionalisierung<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> und die Thesen von M. Taylor).<br />

145 Vgl. nur die zahlrei<strong>ch</strong>en Bezugnahmen auf das Identitätsverständnis <strong>der</strong> Romantik in C. Taylor,<br />

Quellen des Selbst (1994), S. 729 ff., 869, 875; kritis<strong>ch</strong> gegenüber bestimmten neoromantis<strong>ch</strong>en<br />

Auffassungen aber S. 79.<br />

146 C. Taylor, Multikulturalismus (1992), S. 13 ff.<br />

147 C. Taylor, Quellen des Selbst (1994), S. 262 ff. (275 f.), 869.<br />

148 C. Taylor, Quellen des Selbst (1994), S. 887 f.<br />

149 C. Taylor, Quellen des Selbst (1994), S. 871.<br />

150 Die »prozedurale Auffassung des Ri<strong>ch</strong>tigen« sei ein »Übel«: C. Taylor, Quellen des Selbst (1994),<br />

S. 867 f.<br />

151 C. Taylor, Multikulturalismus (1992), S. 47 f.<br />

152 Diese vereinfa<strong>ch</strong>ende Referenzierung als Liberalismus 1 und 2 wird hier übernommen von<br />

M. Walzer, Kommentar zum Multikulturalismus (1992), S. 109 f.<br />

163


Zielen haben sollen 153 . Traditionalismus hat in einer sol<strong>ch</strong>en Welt nur Raum, wo Individualre<strong>ch</strong>te<br />

an<strong>der</strong>er ni<strong>ch</strong>t gemin<strong>der</strong>t werden, im Ergebnis also nur als folkloristis<strong>ch</strong>e<br />

Färbung <strong>der</strong> re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t geregelten Gemeins<strong>ch</strong>aftsberei<strong>ch</strong>e. Am Beispiel <strong>der</strong><br />

französis<strong>ch</strong>en Kultur im kanadis<strong>ch</strong>en Quebec zeigt Taylor, daß eine Gesells<strong>ch</strong>aft, die<br />

ihren kollektiven Zielen ähnli<strong>ch</strong> große Bedeutung wie individuellen Re<strong>ch</strong>ten gibt, zu<br />

einer sol<strong>ch</strong>en 'prozeduralen Republik' in Wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong> geraten muß 154 . Daraus folgert<br />

er, daß das politis<strong>ch</strong>e Gemeinwesen des Liberalismus si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t neutral gegenüber<br />

allen in ihm vereinten kulturellen Min<strong>der</strong>heiten verhält 155 . Geboten sei darum<br />

ein an<strong>der</strong>es, mit dem ersten ni<strong>ch</strong>t vereinbares 156 Modell des Liberalismus ('Liberalismus<br />

2'), bei dem si<strong>ch</strong> das Gemeinwesen um eine kollektive Konzeption des guten<br />

Lebens herum organisiere, glei<strong>ch</strong>zeitig aber – und das ist <strong>der</strong> liberale Gehalt – die<br />

wi<strong>ch</strong>tigsten Grundre<strong>ch</strong>te <strong>der</strong>er a<strong>ch</strong>te, die si<strong>ch</strong> diese Konzeption selbst ni<strong>ch</strong>t zueigen<br />

ma<strong>ch</strong>en 157 . Damit drängt Taylor die von ihm kritisierte 'desengagierte Vernunft' zurück<br />

und vers<strong>ch</strong>afft den als 'kollektive Ziele' verkleideten Gefühlen und Leidens<strong>ch</strong>aften<br />

<strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>en neuen Raum, wie sie ihn im 'Liberalismus 1' ni<strong>ch</strong>t finden konnten.<br />

Nur so könne eine liberale Ordnung gefunden werden, ohne daß die Beteiligten ihre<br />

(gemeins<strong>ch</strong>afts- und traditionsgeprägte) Identität preisgeben müßten 158 . Ähnli<strong>ch</strong> wie<br />

bei Sandel zeigt si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>e Effekt eher in Nuancen: die neue Si<strong>ch</strong>tweise habe<br />

»fast unvermeidli<strong>ch</strong> gewisse Abwandlungen <strong>der</strong> Gesetze zur Folge« 159 . Die größere<br />

Bedeutung liegt im Grundsätzli<strong>ch</strong>en: Taylor will den 'differenz-blinden' Liberalismus,<br />

<strong>der</strong> kulturelle Neutralität verspri<strong>ch</strong>t, ohne sie einhalten zu können, dur<strong>ch</strong> eine bewußt<br />

kulturbezogene Gesells<strong>ch</strong>aftsordnung ersetzen, die im Wege <strong>der</strong> multikulturellen<br />

Dur<strong>ch</strong>dringung von Gemeins<strong>ch</strong>aften zu einer langsamen Anglei<strong>ch</strong>ung <strong>der</strong> unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en<br />

kollektiven Ziele führen kann, ohne daß auf dem Weg dorthin einzelne<br />

Kulturen und die mit ihnen verbundene Indentität ihrer Mitglie<strong>der</strong> aufgegeben werden<br />

müßten 160 .<br />

4. Lokaler Kommunitarismus (M. Walzer)<br />

Der Kommunitarismus Walzers kann 'lokal' genannt werden, denn er betont – wie die<br />

Fors<strong>ch</strong>ung zu 'local justice' 161 – die Unters<strong>ch</strong>iede, die die Verteilungsgere<strong>ch</strong>tigkeit je<br />

153 C. Taylor, Multikulturalismus (1992), S. 49. Taylor nennt ausdrückli<strong>ch</strong> John Rawls, Ronald Dworkin<br />

und Bruce Ackerman als prominente Vertreter dieser Auffassung im angloamerikanis<strong>ch</strong>en Raum.<br />

Die These stimmt als politis<strong>ch</strong>e Folgerung darüber hinaus für alle an<strong>der</strong>en <strong>Theorien</strong>, die einen<br />

Vorrang des Re<strong>ch</strong>ten vor dem Guten einräumen, d.h. für alle deontologis<strong>ch</strong>en im Gegensatz zu teleologis<strong>ch</strong>en<br />

<strong>Theorien</strong>. Taylor selbst betont (ebd., S. 49), daß diese Trennlinie <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

zwis<strong>ch</strong>en prozeduralen und substantiellen <strong>Theorien</strong> entspri<strong>ch</strong>t.<br />

154 C. Taylor, Multikulturalismus (1992), S. 51 ff.<br />

155 C. Taylor, Multikulturalismus (1992), S. 52.<br />

156 C. Taylor, Multikulturalismus (1992), S. 54.<br />

157 Taylor zählt hierzu das Re<strong>ch</strong>t auf Leben und persönli<strong>ch</strong>e Freiheit, das Re<strong>ch</strong>t auf fairen Prozeß, Redefreiheit,<br />

Religionsfreiheit und ähnli<strong>ch</strong> elementare Re<strong>ch</strong>te; C. Taylor, Multikulturalismus (1992),<br />

S. 52 f.<br />

158 C. Taylor, Multikulturalismus (1992), S. 55.<br />

159 C. Taylor, Multikulturalismus (1992), S. 55.<br />

160 C. Taylor, Multikulturalismus (1992), S. 56 ff.<br />

161 Dazu oben S. 108, Fn. 340 (Mesotheorien und local justice).<br />

164


na<strong>ch</strong> ihrem Sa<strong>ch</strong>berei<strong>ch</strong> annimmt. Walzers <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie liegt dabei eine<br />

Konzeption zugrunde, die er 'komplexe Glei<strong>ch</strong>heit' nennt. »In allen mo<strong>der</strong>nen Gesells<strong>ch</strong>aften«<br />

soll diese »ein gültiger Standard« sein 162 und glei<strong>ch</strong>zeitig ein Garant<br />

gegen Totalitarismus 163 . Komplexe Glei<strong>ch</strong>heit ist eine Konzeption <strong>der</strong> Verteilungsgere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

innerhalb einer politis<strong>ch</strong>en Gemeins<strong>ch</strong>aft 164 . Sie grenzt si<strong>ch</strong> vom 'System<br />

<strong>der</strong> einfa<strong>ch</strong>en Glei<strong>ch</strong>heit' ab, die dem Idealbild folgt, daß alles käufli<strong>ch</strong> ist und alle<br />

glei<strong>ch</strong> viel Geld haben 165 . Selbst wenn eine sol<strong>ch</strong>e einfa<strong>ch</strong>e Glei<strong>ch</strong>heit jemals bestehen<br />

sollte, sei sie als Verteilungssystem instabil, weil dur<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Begabungen<br />

und damit unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Erfolge im Warentaus<strong>ch</strong> sehr s<strong>ch</strong>nell Monopole<br />

bei den drei dominanten Gütern Rei<strong>ch</strong>tum, Ma<strong>ch</strong>t und Bildung entstehen würden.<br />

Funktionsfähig wäre das System <strong>der</strong> einfa<strong>ch</strong>en Glei<strong>ch</strong>heit nur dur<strong>ch</strong> fortgesetzte<br />

staatli<strong>ch</strong>e Intervention bei glei<strong>ch</strong>zeitiger politis<strong>ch</strong>er Ma<strong>ch</strong>tkontrolle. Die universellen<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien, die in liberalen <strong>Theorien</strong> wie <strong>der</strong> von Rawls begründet<br />

werden, stellten si<strong>ch</strong> in diesem Zusammenhang als Interventionsregeln für eine Monopolkontrolle<br />

dur<strong>ch</strong> den Staat dar.<br />

Walzer vertritt demgegenüber die These, daß es keine einheitli<strong>ch</strong>en Verteilungsprinzipien<br />

für alle Gemeins<strong>ch</strong>aften und alle Güter geben kann. Vers<strong>ch</strong>iedene Verteilungssphären<br />

seien ni<strong>ch</strong>t kongruent zueinan<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n jeweils autonom 166 . Erstens<br />

re<strong>ch</strong>tfertigen unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e politis<strong>ch</strong>e Ordnungen und Ideologien unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e<br />

Verteilungen 167 . Vor allem aber gelte zweitens, daß »vers<strong>ch</strong>iedene Güter vers<strong>ch</strong>iedene<br />

Verteilungsregeln innerhalb ein und <strong>der</strong>selben Gesells<strong>ch</strong>aft verlangen.« 168 Statt<br />

eines singulären Distributionskriteriums kommen im System <strong>der</strong> komplexen Glei<strong>ch</strong>heit<br />

vielmehr je na<strong>ch</strong> Distributionssphäre 169 drei unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Distributionsprinzipien<br />

zur Anwendung: freier Austaus<strong>ch</strong>, Verdienst und Bedürfnis 170 . Walzer belegt<br />

mit zahlrei<strong>ch</strong>en Beispielen, wie unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> die Verteilungsprinzipien in Daseinsvorsorge,<br />

Warenhandel, Ämterverteilung, Arbeit, Freizeit, Bildung, Verwands<strong>ch</strong>aft,<br />

Religion, sozialer Anerkennung und Politik ausfallen können und wel<strong>ch</strong>e Varianzen<br />

dabei dur<strong>ch</strong> Kulturunters<strong>ch</strong>iede und zeitli<strong>ch</strong>en Wandel eintreten 171 . Angesi<strong>ch</strong>ts<br />

<strong>der</strong> unendli<strong>ch</strong>en Zahl mögli<strong>ch</strong>er Lebensweisen folgert er, daß eine bestehende<br />

Gesells<strong>ch</strong>aft dann gere<strong>ch</strong>t sei, wenn sie ihr konkretes Leben in einer Weise bestimme,<br />

die den Vorstellungen ihrer Mitglie<strong>der</strong> entspre<strong>ch</strong>e 172 . Was in einer Gemeins<strong>ch</strong>aft un-<br />

162 M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 11.<br />

163 M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 445.<br />

164 Vgl. M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 61 ff., 65 ff.<br />

165 Hierzu und zum folgenden M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 41 ff.<br />

166 M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 448.<br />

167 M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 26 ff.<br />

168 M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 12.<br />

169 Vgl. M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 448 f. – Die Unters<strong>ch</strong>eidung na<strong>ch</strong> Distributionssphären<br />

bedeute wandelbare soziale Sinngebung für Güter je na<strong>ch</strong> Sa<strong>ch</strong>berei<strong>ch</strong>.<br />

170 M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 51 ff.<br />

171 M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 108 ff., insbeson<strong>der</strong>e S. 203 ff. (209 ff.) zur Meritokratie<br />

in Gestalt des <strong>ch</strong>inesis<strong>ch</strong>en Examenssystems für Ämter im kaiserli<strong>ch</strong>en Dienst und S. 336 ff.<br />

(338 ff.) zum Bürgerball als organisiertem Heiratsmarkt.<br />

172 M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 441.<br />

165


gere<strong>ch</strong>t ist, kann in einer an<strong>der</strong>en gere<strong>ch</strong>t sein 173 . Damit stellt si<strong>ch</strong> für die Theorie<br />

Walzers die Frage, was überhaupt no<strong>ch</strong> als ungere<strong>ch</strong>t gelten soll. Ungere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

identifiziert er mit <strong>der</strong> Dominanz einzelner Personen gegenüber an<strong>der</strong>en 174 . Verteilung<br />

muß einen 'geziemenden Respekt' (due respect) vor den Ansi<strong>ch</strong>ten und Meinungen<br />

<strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>en ausdrücken, statt dur<strong>ch</strong> Vorherrs<strong>ch</strong>aft einen Dur<strong>ch</strong>griff auf das<br />

Verteilungsergebnis zu erzwingen 175 . Die oberste <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm in einem System<br />

<strong>der</strong> komplexen Glei<strong>ch</strong>heit ist darum, daß ni<strong>ch</strong>t alles käufli<strong>ch</strong> sein darf 176 . Im<br />

Wege <strong>der</strong> Abstraktion dieser Grundregel formuliert Walzer zur Charakterisierung<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>skonzeption <strong>der</strong> komplexen Glei<strong>ch</strong>heit ein 'offenes Distributionsprinzip'<br />

177 :<br />

N oD :<br />

»Kein soziales Gut X sollte ungea<strong>ch</strong>tet seiner Bedeutung<br />

an Männer und Frauen, die im Besitz eines an<strong>der</strong>en Gutes<br />

Y sind, einzig und allein deshalb verteilt werden,<br />

weil sie dieses Y besitzen.«<br />

Was Tyrannei und mo<strong>der</strong>nen Totalitarismus <strong>ch</strong>arakterisiert, ist na<strong>ch</strong> diesem Distributionsprinzip<br />

ni<strong>ch</strong>t die absolute Ma<strong>ch</strong>tfülle, son<strong>der</strong>n vielmehr <strong>der</strong> Umstand, daß<br />

die Ma<strong>ch</strong>t dazu eingesetzt wird, willkürli<strong>ch</strong> o<strong>der</strong> glei<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>altend in Distributionssphären<br />

einzugreifen, um Dinge zu erlangen, die si<strong>ch</strong> sonst ni<strong>ch</strong>t von selbst<br />

einstellen würden – »ein ni<strong>ch</strong>t enden<strong>der</strong> Kampf um die Herrs<strong>ch</strong>aft außerhalb <strong>der</strong> eigenen<br />

Lebenssphäre« 178 . Das System <strong>der</strong> komplexen Glei<strong>ch</strong>heit stelle si<strong>ch</strong> als das<br />

Gegenteil des Totalitarismus dar, denn es setze maximale Differenzierung an die<br />

Stelle maximaler Glei<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>altung 179 . Erst dur<strong>ch</strong> die Garantenstellung gegenüber<br />

dem Totalitarismus könne (komplexe) Glei<strong>ch</strong>heit überhaupt zum Ziel in einem freiheitli<strong>ch</strong>en<br />

Staat werden und als ein Argument au<strong>ch</strong> gegen die 'Tyrannei des Geldes'<br />

im nordamerikanis<strong>ch</strong>en Kapitalismus gelten 180 . S<strong>ch</strong>lagwortigartig faßt Walzer zusammen:<br />

»Gute Zäune garantieren gere<strong>ch</strong>te Gesells<strong>ch</strong>aften.« 181<br />

173 Vgl. das Beispiel zur Unglei<strong>ch</strong>verteilung von Korn in einer na<strong>ch</strong> Kastensystem organisierten indis<strong>ch</strong>en<br />

Dorfgemeins<strong>ch</strong>aft: M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 441 f. Walzer spri<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong><br />

in an<strong>der</strong>em Zusammenhang dafür aus, daß ein kulturorientierter Liberalismus ('Liberalismus 2')<br />

in vielen Nationalstaaten angemessen, ein re<strong>ch</strong>teorientierter Liberalismus ('Liberalismus 1') dagegen<br />

in Einwan<strong>der</strong>ergesells<strong>ch</strong>aften wie den Vereinigten Staaten o<strong>der</strong> dem kanadis<strong>ch</strong>en Bundesstaat<br />

geboten sei; M. Walzer, Kommentar zum Multikulturalismus (1992), S. 111 ff. (114 ff.).<br />

174 M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 46 ff., 451. Hier ergeben si<strong>ch</strong> Parallelen zum neueren<br />

verfassungsdogmatis<strong>ch</strong>en Verständnis des Glei<strong>ch</strong>heitsgebots als gruppenbezogenes Dominierungsverbot;<br />

U. Sacksofsky, Grundre<strong>ch</strong>t auf Glei<strong>ch</strong>behandlung (1991), S. 312 ff. Entspre<strong>ch</strong>end für<br />

die Interpretation als Hierar<strong>ch</strong>isierungsverbot S. Baer, Würde o<strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heit? (1996), S. 235 ff.<br />

(240).<br />

175 M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 451.<br />

176 M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 12.<br />

177 M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 50.<br />

178 M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 444.<br />

179 M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 445.<br />

180 M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 440 ff. (445 ff.).<br />

181 M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 449.<br />

166


V. Ergebnisse<br />

Die <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition halten eine bestimmte Konzeption<br />

des guten Lebens für allgemeinverbindli<strong>ch</strong>; <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> beurteilt si<strong>ch</strong> in Abhängigkeit<br />

von dem als wertvoll erkannten 'Guten'.<br />

Die vers<strong>ch</strong>iedenen Spielarten des Kommunitarismus führen im Ergebnis zu sehr<br />

unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien. Der Kommunitarismus von Sandel, Taylor<br />

und Walzer zeigt si<strong>ch</strong> dabei ni<strong>ch</strong>t ents<strong>ch</strong>ieden genug antiliberalistis<strong>ch</strong>, um einen<br />

wirkli<strong>ch</strong>en Kontrast zum individualistis<strong>ch</strong>en Grundtenor westli<strong>ch</strong>er Demokratien<br />

bilden zu können 182 . Diese Uns<strong>ch</strong>ärfe beweist si<strong>ch</strong> beson<strong>der</strong>s bei so zurückhaltenden<br />

Vors<strong>ch</strong>lägen wie dem 'Liberalismus 2' Taylors 183 . Einzig MacIntyre sorgt mit seinen<br />

ents<strong>ch</strong>lossenen Thesen über das S<strong>ch</strong>eitern <strong>der</strong> Aufklärung für eine griffige Position:<br />

Wer wie MacIntyre die Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te als eine Frage des Glaubens, ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en<br />

Vernunft ansieht, setzt den hobbesianis<strong>ch</strong>en und kantis<strong>ch</strong>en <strong>Theorien</strong>, die<br />

dur<strong>ch</strong>weg Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te für rational begründbar halten, tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> eine grundsätzli<strong>ch</strong><br />

an<strong>der</strong>e Konzeption <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> entgegen. Die Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

mit dem Kommunitarismus spitzt si<strong>ch</strong> deshalb mit einiger Bere<strong>ch</strong>tigung<br />

immer mehr auf eine Auseinan<strong>der</strong>setzung mit den Thesen MacIntyres zu 184 .<br />

Die materiellen Konzeptionen des Guten in Naturre<strong>ch</strong>tslehren und im Kommunitarismus<br />

stimmen mit <strong>der</strong> formellen Konzeption des Guten im Utilitarismus darin<br />

überein, daß ihre Ziele selbst ni<strong>ch</strong>t mehr dur<strong>ch</strong> Verfahren überprüft, son<strong>der</strong>n nur<br />

no<strong>ch</strong> gesetzt werden. Insoweit kann man von einem partiellen Begründungsverzi<strong>ch</strong>t<br />

spre<strong>ch</strong>en. Bei Naturre<strong>ch</strong>tslehren wird <strong>der</strong> materielle Begründungsmaßstab für <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

('göttli<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>'), beim Utilitarismus das formelle <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzip<br />

('größtes Glück <strong>der</strong> größten Zahl') und beim Kommunitarismus die Bindung<br />

an eine kollektive Konzeption des Guten ('Traditionsgemeins<strong>ch</strong>aft') ni<strong>ch</strong>t mehr hinterfragt.<br />

Insoweit sind die <strong>Theorien</strong> nur bekenntnis-, ni<strong>ch</strong>t erkenntnisfähig.<br />

C. <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en Grundposition (Ents<strong>ch</strong>eidungsrationalität)<br />

I. Charakteristika (T RC D 1RC D 4RC )<br />

Den <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en Grundposition ist eigentümli<strong>ch</strong>, daß sie – im<br />

Gegensatz zu <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>en Grundposition – die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des<br />

Handelns für begründbar halten, dabei aber – im Gegensatz zur aristotelis<strong>ch</strong>en<br />

Grundposition – ni<strong>ch</strong>t eine bestimmte Konzeption des guten Lebens verfolgen. Vielmehr<br />

werden Handlungen ungea<strong>ch</strong>tet <strong>der</strong> sozialen Ordnung, die si<strong>ch</strong> aus ihnen<br />

ergibt, für si<strong>ch</strong> betra<strong>ch</strong>tet als (deontologis<strong>ch</strong>) ri<strong>ch</strong>tig o<strong>der</strong> fals<strong>ch</strong> beurteilt. Sie sind<br />

182 Zur Kritik dieser relativen Unents<strong>ch</strong>lossenheit <strong>der</strong> Kommunitaristen S. Tönnies, Kommunitarismus<br />

– diesseits und jenseits des Ozeans (1986) S. 14: »... eine moralis<strong>ch</strong>e Aufrüstung, die nützli<strong>ch</strong><br />

ist, aber in <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Theorie ni<strong>ch</strong>ts zu su<strong>ch</strong>en hat.«<br />

183 Dazu oben S. 163 (Multikultureller Kommunitarismus).<br />

184 Ähnli<strong>ch</strong>e Betonung <strong>der</strong> zentralen Bedeutung <strong>der</strong> Theorie MacIntyres au<strong>ch</strong> bei H. Brunkhorst, Demokratie<br />

als Solidarität unter Fremden (1996), S. 21.<br />

167


aus intrinsis<strong>ch</strong>en (<strong>der</strong> Handlungsweise selbst innewohnenden) Gründen ri<strong>ch</strong>tig, ni<strong>ch</strong>t<br />

aus extrinsis<strong>ch</strong>en. Insoweit besteht Übereinstimmung mit den no<strong>ch</strong> zu erörternden<br />

<strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en Tradition 185 , von denen si<strong>ch</strong> die hobbesianis<strong>ch</strong>en aber<br />

dadur<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>eiden, daß sie dezidiert 'unmoralis<strong>ch</strong>' sind 186 . <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en<br />

Grundposition sind alle explizit – o<strong>der</strong> bei älteren Sozialvertragstheorien<br />

implizit – <strong>Theorien</strong> des rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens (rational <strong>ch</strong>oice theories, decision<br />

theories) 187 . Als Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien begründen sie die Ri<strong>ch</strong>tigkeit einer Handlungsweise<br />

allein mit individueller Nutzenmaximierung – diese wird für sie zum<br />

Inbegriff <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft 188 .<br />

Der Rational-Choice-Ansatz wurde in <strong>der</strong> 'außermarktli<strong>ch</strong>en Ökonomie' geprägt<br />

und versteht si<strong>ch</strong> dort als »Anwendung des ökonomis<strong>ch</strong>en Verhaltensmodells auf Fragestellungen,<br />

die übli<strong>ch</strong>erweise an<strong>der</strong>en Verhaltenswissens<strong>ch</strong>aften vorbehalten waren«<br />

189 und damit glei<strong>ch</strong>zeitig als Gegenbegriff zu dem in <strong>der</strong> Soziologie, Politik und<br />

Re<strong>ch</strong>tswissens<strong>ch</strong>aft (mit Ausnahme <strong>der</strong> ökonomis<strong>ch</strong>en Analyse des Re<strong>ch</strong>ts 190 ) verbreiteten<br />

soziologis<strong>ch</strong>en Verhaltensmodell, na<strong>ch</strong> dem mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es Verhalten »als dur<strong>ch</strong><br />

moralis<strong>ch</strong>e Einflüsse und gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Strömungen bestimmt« 191 angesehen<br />

wird. Demgegenüber kann das ökonomis<strong>ch</strong>e Verhaltensmodell 'moralfrei' dur<strong>ch</strong><br />

fünf grundlegende Elemente bes<strong>ch</strong>rieben werden 192 : 1. methodis<strong>ch</strong>en Individualismus<br />

193 , 2. systematis<strong>ch</strong>e Reaktion auf Anreize, 3. Trennung zwis<strong>ch</strong>en Präferenzen<br />

und Eins<strong>ch</strong>ränkungen, 4. Eigennutzorientierung, 5. Mögli<strong>ch</strong>keitsraum und Institutionen.<br />

185 Dazu soglei<strong>ch</strong> S. 198 ff. (<strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en Grundposition).<br />

186 Mit bemerkenswerter Offenheit R.B. McKenzie/G. Tullock, Homo Oeconomicus (1984), S. 27: »Der<br />

ökonomis<strong>ch</strong>e Ansatz ist unmoralis<strong>ch</strong>. Die Wirts<strong>ch</strong>aftswissens<strong>ch</strong>aften bes<strong>ch</strong>äftigt nämli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t,<br />

was sein sollte o<strong>der</strong> wie si<strong>ch</strong> Mens<strong>ch</strong>en verhalten sollen, son<strong>der</strong>n es geht nur darum zu verstehen,<br />

warum si<strong>ch</strong> Mens<strong>ch</strong>en so verhalten.«<br />

187 An<strong>der</strong>e Bezei<strong>ch</strong>nungen sind 'Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien', '<strong>Theorien</strong> rationaler Wahl' bzw. '<strong>Theorien</strong><br />

praktis<strong>ch</strong>er Rationalität', wobei in letzterer Bezei<strong>ch</strong>nung ein Rationalitätsbegriff benutzt wird, <strong>der</strong><br />

enger ist als <strong>der</strong>jenige <strong>der</strong> 'praktis<strong>ch</strong>en Vernunft'. Gelegentli<strong>ch</strong> ist au<strong>ch</strong> von Gesells<strong>ch</strong>aftstheorien<br />

des strategis<strong>ch</strong>en Interaktionismus o<strong>der</strong> kurz von RC-<strong>Theorien</strong> die Rede; B. Peters, Integration<br />

mo<strong>der</strong>ner Gesells<strong>ch</strong>aften (1993), S. 378 ff.<br />

188 J. Dreier, Rational Preference: Decision Theory as a Theory of Practical Rationality (1996), S. 271 f.<br />

189 B.S. Frey, Außermarktli<strong>ch</strong>e Ökonomie (1997), S. 362.<br />

190 Zur Ausnahme B.S. Frey, Außermarktli<strong>ch</strong>e Ökonomie (1997), S. 367. Zur ökonomis<strong>ch</strong>en Analyse<br />

des Re<strong>ch</strong>ts vor allem R.A. Posner, Problems of Jurisprudence (1990), S. 353 ff. m.w.N.; <strong>der</strong>s., Economic<br />

Analysis of Law (1992), S. 21 ff., 261 ff. („The Moral Content of the Common Law“); C. Kir<strong>ch</strong>ner,<br />

Ökonomis<strong>ch</strong>e Theorie des Re<strong>ch</strong>ts (1997), S. 7 ff.<br />

191 B.S. Frey, Außermarktli<strong>ch</strong>e Ökonomie (1997), S. 366. An diesem Befund än<strong>der</strong>t si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts<br />

dadur<strong>ch</strong>, daß über den Moralbezug im Re<strong>ch</strong>tsbegriff zwis<strong>ch</strong>en positivistis<strong>ch</strong>en und ni<strong>ch</strong>tpositivistis<strong>ch</strong>en<br />

Strömungen Streit besteht. Man kann den Re<strong>ch</strong>tsbegriff (mit <strong>der</strong> re<strong>ch</strong>tspositivistis<strong>ch</strong>en<br />

Trennungsthese) moralfrei und glei<strong>ch</strong>wohl das Verhaltensmodell moralbezogen bestimmen – etwa<br />

für die Erklärung von Re<strong>ch</strong>tsgenese und Re<strong>ch</strong>tsbefolgung. Der Re<strong>ch</strong>tspositivismus führt ni<strong>ch</strong>t<br />

zwingend zu einer Ents<strong>ch</strong>eidungstheorie.<br />

192 B.S. Frey, Außermarktli<strong>ch</strong>e Ökonomie (1997), S. 362 ff. Ähnli<strong>ch</strong> C. Kir<strong>ch</strong>ner, Ökonomis<strong>ch</strong>e Theorie<br />

des Re<strong>ch</strong>ts (1997), S. 12 ff.<br />

193 Zur Abgrenzung des methodis<strong>ch</strong>en vom normativen Individualismus C. Kir<strong>ch</strong>ner, Ökonomis<strong>ch</strong>e<br />

Theorie des Re<strong>ch</strong>ts (1997), S. 20 f.<br />

168


Im hier interessierenden Zusammenhang <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie geht es zentral<br />

um das vierte Element, die Eigennutzorientierung 194 . Zwar spielen au<strong>ch</strong> Methodenindividualismus,<br />

Präferenzisolation und Mögli<strong>ch</strong>keitsraum eine mittelbare Rolle<br />

in ents<strong>ch</strong>eidungstheoretis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien, weil sie si<strong>ch</strong> gewissermaßen<br />

dur<strong>ch</strong> die Hintertür des Rationalitätskalküls eins<strong>ch</strong>lei<strong>ch</strong>en. Do<strong>ch</strong> geht es im Kern allein<br />

um rational <strong>ch</strong>oice theories als Begründungstheorien des rationalen Verhaltens, ni<strong>ch</strong>t<br />

dagegen um die (no<strong>ch</strong> stärker divergierenden) rational <strong>ch</strong>oice theories, die als Anwendungstheorien<br />

in <strong>der</strong> Ökonomie Verwendung finden. Die Verknüpfung zwis<strong>ch</strong>en<br />

Grundlagenfors<strong>ch</strong>ung und ökonomis<strong>ch</strong>er Anwendungstheorie ist naturgemäß eng,<br />

do<strong>ch</strong> läßt si<strong>ch</strong> die Unters<strong>ch</strong>eidung trenns<strong>ch</strong>arf dana<strong>ch</strong> vornehmen, ob eine Theorie<br />

si<strong>ch</strong> die Rahmenbedingungen <strong>der</strong> Wirts<strong>ch</strong>aft, insbeson<strong>der</strong>e die Marktwirkungen, zur<br />

Voraussetzung ma<strong>ch</strong>t (ökonomis<strong>ch</strong>e Anwendungstheorie) o<strong>der</strong> ob sie die Analyse<br />

<strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidungsstrategien unter grundsätzli<strong>ch</strong> beliebigen Voraussetzungen betreibt<br />

(Begründungstheorie <strong>der</strong> rationalen Ents<strong>ch</strong>eidung).<br />

Das Eigennutz-Axiom, wie es für die Konzeption <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft in allen<br />

Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien gilt, läßt si<strong>ch</strong> in folgendem Theorem ausdrücken:<br />

T RC :<br />

Die Handlung X einer Person P ist genau dann ri<strong>ch</strong>tig,<br />

wenn sie si<strong>ch</strong> bei Abwägung aller Vor- und Na<strong>ch</strong>teile für<br />

P als die vorteilhafteste darstellt.<br />

Der Ri<strong>ch</strong>tigkeitsbegriff, <strong>der</strong> mit T RC definiert ist, bes<strong>ch</strong>reibt nur eine Ri<strong>ch</strong>tigkeit aus<br />

Si<strong>ch</strong>t des egoistis<strong>ch</strong>en Nutzenmaximierers. Das bedeutet mehr als nur einen irgendwie<br />

gearteten Rückgriff auf ein Vorteilskalkül. Rawls hat gezeigt, daß man auf<br />

Erkenntnisse <strong>der</strong> Spieltheorie 195 zurückgreifen kann, ohne das Vorteilskalkül als<br />

ents<strong>ch</strong>eidend für überindividuelle Ri<strong>ch</strong>tigkeit anzusehen 196 . Die <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en<br />

Grundposition gehen indes von einem Glei<strong>ch</strong>klang zwis<strong>ch</strong>en egostis<strong>ch</strong>er Nutzenmaximierung<br />

und überindividueller Ri<strong>ch</strong>tigkeit aus. Begründbar sind dana<strong>ch</strong><br />

auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>e Handlungsweisen, die si<strong>ch</strong> als Ausdruck individueller Nutzenmaximierung<br />

verstehen lassen. Das Darstellungsmittel für diese Verknüpfung ist<br />

<strong>der</strong> Sozialvertrag: Mit dem Übergang von <strong>der</strong> Begründung individueller Einzelents<strong>ch</strong>eidungen<br />

zur Begründung <strong>der</strong> Regeln sozialer Ordnung wird die Ents<strong>ch</strong>eidungstheorie<br />

zur hobbesianis<strong>ch</strong>en Sozialvertragstheorie 197 . Dabei überwindet sie bestimmte<br />

Defizite <strong>der</strong> individuenbezogenen Legitimation, wie sie si<strong>ch</strong> im Gefangenendilemma<br />

und Trittbrettfahrerproblem ausdrücken 198 , dur<strong>ch</strong> einen unter allen erzwingbaren<br />

Gesells<strong>ch</strong>aftsvertrag – es entsteht eine 'Vertragstheorie rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens'<br />

194 G. Kir<strong>ch</strong>gässner, Homo oeconomicus (1991), S. 45 ff. – eigener Vorteil als Charakteristikum.<br />

195 Dazu unten S. 270 ff. (spieltheoretis<strong>ch</strong>e Grundlegung).<br />

196 Dazu unten S. 180 (Theorie <strong>der</strong> Maximin-Wahl). Einen ähnli<strong>ch</strong>en Zusammenhang hat Barry am<br />

Beispiel <strong>der</strong> Theorie Harsanyis belegt, <strong>der</strong> einerseits Verfe<strong>ch</strong>ter einer Vernunftkonzeption <strong>der</strong> rationalen<br />

Ents<strong>ch</strong>eidung ist, an<strong>der</strong>erseits dieser Konzeption aber keine Verbindli<strong>ch</strong>keit als ethis<strong>ch</strong>es<br />

Kriterium zuerkennt, son<strong>der</strong>n eine utilitaristis<strong>ch</strong>e Position daraus begründet; B. Barry, Theories of<br />

Justice (1989), S. 76 m.w.N. Dazu oben S. 154 ff. (utilitaristis<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> am Beispiel Harsanyis),<br />

unten S. 174 (Harsanyis Theorie <strong>der</strong> Verhandlungsführung).<br />

197 Dazu unten S. 180 ff. (neohobbesianis<strong>ch</strong>er Sozialvertrag).<br />

198 Dazu unten S. 276 ff. (Gefangenendilemma), S. 333 ff. (Trittbrettfahrerproblem).<br />

169


('rational <strong>ch</strong>oice contractarianism' 199 ). Die Treue zum (hypothetis<strong>ch</strong>en) Gesells<strong>ch</strong>aftsvertrag<br />

s<strong>ch</strong>ulden die Beteiligten genau dann, wenn si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Vertrag aus <strong>der</strong> Si<strong>ch</strong>t jedes<br />

einzelnen als vorteilhaft und deshalb als rational, vernünftig und ri<strong>ch</strong>tig erweist<br />

200 . Ri<strong>ch</strong>tigkeit und Pfli<strong>ch</strong>tigkeit eines Handelns folgen also aus <strong>der</strong> Vorteilhaftigkeit<br />

für jeden Einzelnen. Verbindet man T RC mit <strong>der</strong> allgemeinen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sdefinition<br />

in D 1 , so ist <strong>der</strong> spezifis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien<br />

und <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> rationalen Ents<strong>ch</strong>eidungstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> errei<strong>ch</strong>t:<br />

D 1RC :<br />

D 4RC :<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Sinne <strong>der</strong> <strong>Theorien</strong> rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens<br />

ist die Ri<strong>ch</strong>tigkeit und Pfli<strong>ch</strong>tigkeit desjenigen<br />

sozial- und glei<strong>ch</strong>heitsbezogenen Handelns, auf das si<strong>ch</strong><br />

egoistis<strong>ch</strong>e Nutzenmaximierer einigen (würden).<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien des rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens sind<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien, na<strong>ch</strong> denen eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm<br />

N genau dann ri<strong>ch</strong>tig ist, wenn sie das Ergebnis<br />

einer Prozedur P des rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens sein kann.<br />

Beim Übergang von <strong>der</strong> Einzelents<strong>ch</strong>eidung zum Sozialvertrag muß es einen individuellen<br />

Vorteil geben, um dessentwillen si<strong>ch</strong> die Beteiligten überhaupt auf ein Miteinan<strong>der</strong><br />

einlassen, statt si<strong>ch</strong> in einem fortwährenden Gegeneinan<strong>der</strong> immer wie<strong>der</strong><br />

aufs neue na<strong>ch</strong> den je eigenen Vorteilen in <strong>der</strong> Einzelsituation zu ri<strong>ch</strong>ten. Der<br />

Übergang vom (ni<strong>ch</strong>tkooperativen) Krieg aller gegen alle (T. Hobbes) in die<br />

(kooperative) Zivilgesells<strong>ch</strong>aft ges<strong>ch</strong>ieht um <strong>der</strong> Kooperationsvorteile willen, die für<br />

jeden einzelnen damit verbunden sind. Hier wird anar<strong>ch</strong>istis<strong>ch</strong>e Freiheit gegen<br />

staatli<strong>ch</strong> organisierte Si<strong>ch</strong>erheit getaus<strong>ch</strong>t, weil für jeden Einzelnen damit ein Vorteil<br />

verbunden ist. Dabei bleibt es im Prinzip glei<strong>ch</strong>gültig, ob <strong>der</strong> Kooperationsvorteil in<br />

<strong>der</strong> Si<strong>ch</strong>erung s<strong>ch</strong>on bestehen<strong>der</strong> Güter, insbeson<strong>der</strong>e des Lebens und <strong>der</strong><br />

körperli<strong>ch</strong>en Integrität, o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>affung neuer Güter dur<strong>ch</strong> Produktion besteht.<br />

In jedem Fall stellen si<strong>ch</strong> zwei Fragen, die eine Theorie rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens<br />

beantworten muß: erstens die Frage, wel<strong>ch</strong>er Grad von Kooperation begründet ist,<br />

und zweitens die Frage, wie die Kooperationsgewinne ri<strong>ch</strong>tigerweise verteilt werden<br />

sollen – sei es dur<strong>ch</strong> gere<strong>ch</strong>te Zuordnung von Re<strong>ch</strong>ten (Anspru<strong>ch</strong> auf Lohn, Eigentum<br />

an Frü<strong>ch</strong>ten und an<strong>der</strong>en Produkten), sei es dur<strong>ch</strong> gere<strong>ch</strong>te Zuordnung von<br />

Pfli<strong>ch</strong>ten (Steuern und an<strong>der</strong>e Abgaben, Wehrpfli<strong>ch</strong>t). Für diese Fragen beim<br />

Übergang von Konflikt zu Kooperation ist innerhalb <strong>der</strong> Grundlagendiskussionen<br />

zur rationalen Ents<strong>ch</strong>eidung die Spieltheorie zuständig, die versu<strong>ch</strong>t, »das rationale<br />

Ents<strong>ch</strong>eidungsverhalten in sozialen Konfliktsituationen abzuleiten, in denen <strong>der</strong><br />

199 So <strong>der</strong> treffende Begriff bei J.L. Coleman, Risks and Wrongs (1992), S. 3. Coleman (S. 3) definiert<br />

diese Form als eine Vertragstheorie mit <strong>der</strong> zentralen Annahme, daß legitime politis<strong>ch</strong>e Autorität<br />

eine beson<strong>der</strong>e Lösung für das Problem des Marktversagens ist, wie es in den Verteilungsstrukturen<br />

des Gefangenendilemmas für viele mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Interaktionen in einem Naturzustand auftritt.<br />

200 Zur Glei<strong>ch</strong>setzung von Vorteilhaftigkeit, Rationalität (rationality), Vernunft (reason) und Ri<strong>ch</strong>tigkeit,<br />

wie sie in allen <strong>Theorien</strong> rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens vorgenommen wird, siehe beispielhaft<br />

D. Gauthier, Morals by Agreement (1986), S. 150.<br />

170


Erfolg des einzelnen ni<strong>ch</strong>t nur vom eigenen Handeln, son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong> von den<br />

Aktionen an<strong>der</strong>er abhängt.« 201<br />

Die Antwort auf die erste Frage wird im Grundsatz einheitli<strong>ch</strong> beantwortet, denn<br />

sie kann direkt aus <strong>der</strong> ents<strong>ch</strong>eidungstheoretis<strong>ch</strong>en Konzeption <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft<br />

(T RC ) abgeleitet werden. Die Grenze für weitergehende Kooperation und damit<br />

glei<strong>ch</strong>zeitig <strong>der</strong> ri<strong>ch</strong>tige Grad von Kooperation ist dann errei<strong>ch</strong>t, wenn jede weitergehende<br />

Kooperation, die einen Vorteil für mindestens einen Beteiligten bedeutet,<br />

glei<strong>ch</strong>zeitig für mindestens einen an<strong>der</strong>en Beteiligten na<strong>ch</strong>teilig wäre. Das Kriterium<br />

für die Ri<strong>ch</strong>tigkeit eines We<strong>ch</strong>sels von einem Weniger zu einem Mehr an Kooperation<br />

ist also dasjenige <strong>der</strong> Pareto-Optimalität 202 . Damit wird indes nur <strong>der</strong> Grad, ni<strong>ch</strong>t<br />

hingegen die konkrete Art <strong>der</strong> Kooperation bestimmt, denn es gibt eine Vielzahl von<br />

Kooperationskonstellationen, die alle Pareto-optimal sind, bei denen also niemand<br />

etwas gewinnen kann, ohne daß glei<strong>ch</strong>zeitig ein an<strong>der</strong>er etwas verliert. Das Kriterium<br />

ist denno<strong>ch</strong> wi<strong>ch</strong>tig, denn es bildet in Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien den Ausgangspunkt<br />

für die Kritik an wohlfahrtsstaatli<strong>ch</strong>en Umverteilungstendenzen: Die Solidarität<br />

<strong>der</strong> 'Starken' mit den 'S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en' ist na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> ents<strong>ch</strong>eidungstheoretis<strong>ch</strong>en<br />

Konzeption praktis<strong>ch</strong>er Vernunft nur in denjenigen Fällen gere<strong>ch</strong>tfertigt, in denen sie<br />

für jeden Beteiligten (d.h. au<strong>ch</strong> für die leistungsfähigen 'Starken') vorteilhaft ist.<br />

Die Antwort auf die zweite Frage wird von den einzelnen <strong>Theorien</strong> rationalen<br />

Ents<strong>ch</strong>eidens unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> beantwortet. Es gibt vom Standpunkt <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en<br />

Grundposition mehrere Mögli<strong>ch</strong>keiten, eine ri<strong>ch</strong>tige (gere<strong>ch</strong>te) Verteilung <strong>der</strong><br />

Kooperationsgewinne zu begründen. Die Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> den Kriterien für diese Verteilung<br />

von Kooperationsgewinnen entwickelt si<strong>ch</strong> zur Zentralfrage aller Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien.<br />

Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en Tradition werden<br />

im folgenden daraufhin untersu<strong>ch</strong>t und dana<strong>ch</strong> eingeteilt, wel<strong>ch</strong>e Antwort sie auf<br />

diese Frage geben.<br />

II.<br />

<strong>Theorien</strong> zur Optimierung relativer Nutzenfaktoren<br />

Ältere Sozialvertragstheorien haben zur Begründung sozialer Ordnung regelmäßig<br />

das Bild des Naturzustands bemüht, um einen vorpolitis<strong>ch</strong>en Ausgangspunkt zu<br />

gewinnen, von dem aus si<strong>ch</strong> die Ents<strong>ch</strong>eidung für eine staatli<strong>ch</strong>e Ordnung als rational<br />

erweist 203 . Je s<strong>ch</strong>limmer dieser Naturzustand ges<strong>ch</strong>il<strong>der</strong>t werden konnte, je<br />

glaubwürdiger er si<strong>ch</strong> als »Krieg aller gegen alle« 204 erwies, <strong>der</strong> das Leben <strong>der</strong> Men-<br />

201 W. Güth, Spieltheorie (1997), S. 3512. Dazu im einzelnen unten S. 270 ff. (Kritik spieltheoretis<strong>ch</strong>er<br />

Grundlegung).<br />

202 Dazu unten S. 273 (zwei Bedingungen rationaler Verhandlung).<br />

203 Zur aktuellen Bedeutung des Naturzustands in <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung siehe R. Nozick,<br />

Anar<strong>ch</strong>y, State, and Utopia (1974), S. 6 ff.<br />

204 Ein 'bellum omnia contra omnes' findet si<strong>ch</strong> erstmals bei T. Hobbes, Vom Bürger (1642), Vorwort:<br />

»Darauf zeige i<strong>ch</strong> nun, daß <strong>der</strong> Zustand <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>en außerhalb <strong>der</strong> bürgerli<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aft<br />

(den i<strong>ch</strong> den Naturzustand zu nennen mir erlaube) nur <strong>der</strong> Krieg aller gegen alle ist, und daß in<br />

diesem Kriege alle ein Re<strong>ch</strong>t auf alles haben.« Der Gedanke wird wie<strong>der</strong> aufgegriffen in <strong>der</strong>s., Leviathan<br />

(1651), Kapitel 13: »Hereby it is manifest, that during the time men live without a common<br />

Power to keep them all in awe, they are in that condition whi<strong>ch</strong> is called Warre; and su<strong>ch</strong> a<br />

warre, as is of every man, against every man. ... Whatsoever therefore is consequent to a time of<br />

171


s<strong>ch</strong>en »einsam, arm, unangenehm, brutal und kurz« 205 ma<strong>ch</strong>t, desto eher konnte das<br />

Argument überzeugen, daß <strong>der</strong> Übergang von <strong>der</strong> Anar<strong>ch</strong>ie in die Staatli<strong>ch</strong>keit für<br />

jeden einzelnen, au<strong>ch</strong> den 'Starken', vorteilhaft sei 206 . Mit dieser Gesamtents<strong>ch</strong>eidung<br />

für o<strong>der</strong> gegen Staatli<strong>ch</strong>keit war aber no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts über die ri<strong>ch</strong>tige Verteilung<br />

von Re<strong>ch</strong>ten und Pfli<strong>ch</strong>ten innerhalb eines Staatswesens gesagt. So konnte einerseits<br />

Hobbes den Sozialvertrag zur Re<strong>ch</strong>tfertigung au<strong>ch</strong> <strong>der</strong> absolutistis<strong>ch</strong>en Herrs<strong>ch</strong>aft heranziehen<br />

207 , während etwa Nozick ihn für die Begründung eines Minimalstaates anführt<br />

208 . Diese unbefriedigende Beliebigkeit rührt letztli<strong>ch</strong> daher, daß jede Staatli<strong>ch</strong>keit<br />

den Vorteil eines höheren Niveaus si<strong>ch</strong>er genießbarer Güter für alle bietet, ohne<br />

daß si<strong>ch</strong> ausma<strong>ch</strong>en ließe, wel<strong>ch</strong>e unter den vorteilhaften Organisationsformen für<br />

die Beteiligten optimal ist.<br />

Dur<strong>ch</strong> die Spieltheorie 209 ist in diesem Jahrhun<strong>der</strong>t etwas klarer geworden, in<br />

wel<strong>ch</strong>en Fällen eine ni<strong>ch</strong>t nur irgendwie vorteilhafte, son<strong>der</strong>n insgesamt optimale<br />

Ents<strong>ch</strong>eidung vorliegt. Die <strong>Theorien</strong> zur Optimierung relativer Nutzenfaktoren, die<br />

letztli<strong>ch</strong> alle auf Nash zurückgehen, geben den Rahmen vor, innerhalb dessen si<strong>ch</strong> eine<br />

no<strong>ch</strong> zu erörternde Varianz von Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien entwickelt hat. Na<strong>ch</strong> den<br />

<strong>Theorien</strong> zur Optimierung relativer Nutzenfaktoren wird jeweils die unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e<br />

Verhandlungsma<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Parteien zum Kriterium für die Ents<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en<br />

vers<strong>ch</strong>iedenen Pareto-optimalen Ergebnissen gema<strong>ch</strong>t. Übersetzt in die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>ssemantik<br />

lautet die prozedurale Bedingung: Gere<strong>ch</strong>t ist dasjenige Pareto-optimale<br />

Verteilungsergebnis, das deshalb Ausdruck einer rationalen Ents<strong>ch</strong>eidung ist,<br />

weil es dur<strong>ch</strong> Ausübung von Verhandlungsma<strong>ch</strong>t zustandegekommen ist (Ma<strong>ch</strong>tproporzbedingung)<br />

210 . Die Theorie zur Optimierung relativer Nutzenfaktoren ist<br />

Warre, where every man is Enemy to every man; the same is consequent to the time, wherein men<br />

live without other security, than what their own strength, and their own invention shall furnish<br />

them withall.« Au<strong>ch</strong> das 'homo homini lupus' stammt aus <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>rift 'Vom Bürger' (1642): ebd.,<br />

Widmung: »Nun sind si<strong>ch</strong>er beide Sätze wahr: Der Mens<strong>ch</strong> ist ein Gott für den Mens<strong>ch</strong>en, und: Der<br />

Mens<strong>ch</strong> ist ein Wolf für den Mens<strong>ch</strong>en; jener, wenn man die Bürger untereinan<strong>der</strong>, dieser, wenn man<br />

die Staaten untereinan<strong>der</strong> verglei<strong>ch</strong>t.«<br />

205 T. Hobbes, Leviathan (1651), Kapitel 13: »Nature has made men so equall, in the faculties of body,<br />

and mind; ... the weakest has strength enough to kill the strongest, either by secret ma<strong>ch</strong>ination,<br />

or by confe<strong>der</strong>acy with others, that are in the same danger with himselfe. ... And the life of man,<br />

[is] solitary, poore, nasty, brutish, and short.«<br />

206 T. Hobbes, Leviathan (1651), Kapitel 17: »The finall Cause, End, or Designe of men ... is the foresight<br />

of their own pre<strong>servat</strong>ion, and of a more contented life thereby«. Zu dem Zusammenhang<br />

zwis<strong>ch</strong>en negativem Naturzustandsbild und Überzeugungskraft des Staatsbildungsarguments<br />

R. Nozick, Anar<strong>ch</strong>y, State, and Utopia (1974), S. 3 ff.<br />

207 T. Hobbes, Leviathan (1651), Kapitel 30: »Of the Office of the Soveraign Representative«.<br />

208 Dazu unten S. 183 ff. (Theorie des libertären Minimalstaates).<br />

209 Dazu unten S. 270 ff. (Kritik spieltheoretis<strong>ch</strong>er Grundlegung).<br />

210 Die Ma<strong>ch</strong>tproporzbedingung wird von Nash auf drei Unterbedingungen rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens<br />

zurückgeführt. (1) Die zugrundegelegten Nutzenfaktoren sollen einheitsunabhängig sein, eine<br />

Verzehnfa<strong>ch</strong>ung aller Einzelnutzenfaktoren einer Partei also immer no<strong>ch</strong> zum glei<strong>ch</strong>en Ergebnis<br />

führen. Dem wird dur<strong>ch</strong> die Multiplikation entspro<strong>ch</strong>en. (2) Die Nutzenfaktoren sollen symmetris<strong>ch</strong><br />

sein, so daß identis<strong>ch</strong>e Nutzenfaktoren <strong>der</strong> Parteien zu einer Glei<strong>ch</strong>verteilung führen. Dem<br />

wird dur<strong>ch</strong> eine Normalisierung <strong>der</strong> Faktoren im Berei<strong>ch</strong> 0.0 bis 1.0 Re<strong>ch</strong>nung getragen. (3) Die<br />

Ents<strong>ch</strong>eidung muß unabhängig von irrelevanten (d.h. unerrei<strong>ch</strong>baren) Alternativen sein. Diese<br />

Bedingung betrifft den Fall, daß si<strong>ch</strong> bei bestimmten Konstellationen <strong>der</strong> Gesamtumfang des Gewinns<br />

und damit mögli<strong>ch</strong>erweise alle Nutzenfaktoren <strong>der</strong> Parteien vers<strong>ch</strong>ieben. Dann dürfen in<br />

172


von J.F. Nash, J.C. Harsanyi und R. Selten in Stufen zu einem allgemeinen Analyseinstrument<br />

<strong>der</strong> Sozialwissens<strong>ch</strong>aften entwickelt worden 211 . Als Werkzeuge <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidungsanalyse<br />

sind die Ergebnisse au<strong>ch</strong> für Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

(rational <strong>ch</strong>oice theories) zentral.<br />

1. Theorie <strong>der</strong> unglei<strong>ch</strong>en Verhandlungsma<strong>ch</strong>t (J.F. Nash)<br />

Nash hat die Ents<strong>ch</strong>eidungsprozedur als Optimierung <strong>der</strong> relativen Nutzenfaktoren konkretisiert<br />

und damit das Phänomen unglei<strong>ch</strong>er Verhandlungsma<strong>ch</strong>t (bargaining power)<br />

zum formalen Bestandteil seiner <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie gema<strong>ch</strong>t 212 . Die relativen<br />

Nutzenfaktoren <strong>der</strong> Parteien sind repräsentiert dur<strong>ch</strong> Werte zwis<strong>ch</strong>en 0 (dem Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt)<br />

und 1 (dem Maximalnutzen bei <strong>der</strong> jeweiligen Wuns<strong>ch</strong>vereinbarung).<br />

Sol<strong>ch</strong>e relativen Nutzenfaktoren haben bereits von Neumann/Morgenstern im<br />

Zusammenhang mit <strong>der</strong> hypothetis<strong>ch</strong>en Wahl zwis<strong>ch</strong>en vers<strong>ch</strong>iedenen Lotterien<br />

eingeführt 213 . Die Optimierung relativer Nutzenfaktoren läßt si<strong>ch</strong> anhand eines Beispiels<br />

zur Verteilung des Kooperationsgewinns verdeutli<strong>ch</strong>en: Angenommen A und<br />

B haben die Mögli<strong>ch</strong>keit, dur<strong>ch</strong> Zusammenarbeit bei <strong>der</strong> Produktion einen Kooperationsgewinn<br />

zu erzielen, also gemeinsam mehr zu erhalten, als wenn je<strong>der</strong> für si<strong>ch</strong><br />

arbeitete. B benötigt dringend einen kleinen Geldbetrag, um eine lästige S<strong>ch</strong>uld zu<br />

beglei<strong>ch</strong>en, während A s<strong>ch</strong>uldenfrei und sorglos ist. Dann hat A eine größere Verhandlungsma<strong>ch</strong>t.<br />

Für ihn ist <strong>der</strong> persönli<strong>ch</strong>e Nutzen aus <strong>der</strong> Kooperation in etwa<br />

proportional zum Gewinnanteil, also Nutzenfaktor 0 für keinen und 1 für 100%-igen<br />

Gewinnanteil. B dagegen ist mit einem kleinen Gewinnanteil bereits überproportional<br />

geholfen, er hat also zum Beispiel bereits Nutzenfaktor 0,5 bei nur 20%-<br />

igem Gewinnanteil 214 . Je na<strong>ch</strong>dem wie groß dieser Unters<strong>ch</strong>ied in <strong>der</strong> Verhandlungsma<strong>ch</strong>t<br />

ist, bildet die Multiplikation <strong>der</strong> Nutzenfaktoren von A und B ein Optimum<br />

bereits bei weniger als 50%-igem Gewinnanteil für B, zum Beispiel bei 30% für B und<br />

70% für A. Eine sol<strong>ch</strong>e Unglei<strong>ch</strong>verteilung ist na<strong>ch</strong> Nash eine rational begründete<br />

Ents<strong>ch</strong>eidung und damit gere<strong>ch</strong>t, weil sie den größten relativen Gesamtnutzen für<br />

die Parteien realisiert.<br />

Die relativen Nutzenfaktoren ma<strong>ch</strong>en für die Spieler einen Verglei<strong>ch</strong> und Abglei<strong>ch</strong><br />

ihrer jeweiligen Spielstrategien mögli<strong>ch</strong>. Nash konnte 1950 zeigen, daß in bestimmten<br />

Spielen ein Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>tszustand eintritt, das sogenante Nasheiner<br />

Art Intervalls<strong>ch</strong>a<strong>ch</strong>telung <strong>der</strong> Parametrisierung nur no<strong>ch</strong> die neuen Nutzenfaktoren zur Grundlage<br />

<strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidung gema<strong>ch</strong>t werden.<br />

211 Der Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en den Einzeltheorien wird au<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> deutli<strong>ch</strong>, daß diese drei<br />

Wissens<strong>ch</strong>aftler im Jahre 1994 gemeinsam mit dem Nobelpreis für Ökonomie ausgezei<strong>ch</strong>net wurden;<br />

vgl. Königli<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>wedis<strong>ch</strong>e Akademie <strong>der</strong> Wissens<strong>ch</strong>aften, Bank of Sweden Prize in Economic<br />

Sciences in Memory of Alfred Nobel, 1994, Pressemitteilung vom 11. Oktober 1994: John<br />

C. Harsanyi (Berkeley, USA); John F. Nash (Princeton, USA); Reinhard Selten (Bonn, Germany) »for<br />

their pioneering analysis of equilibria in the theory of non-cooperative games.«<br />

212 Vgl. J.F. Nash, The Bargaining Problem (1950), S. 158: »Now since our solution should consist of<br />

rational expectations of gain by the two bargainers, ... [it should give] ea<strong>ch</strong> the amount of satisfaction<br />

he should expect to get.«<br />

213 J. v. Neumann/O. Morgenstern, The Theory of Games (1944).<br />

214 Zur Erläuterung: Nutzenfaktor 0,5 bei 20%-igem Gewinnanteil bedeutet, daß es B glei<strong>ch</strong>gültig ist,<br />

ob er 20% si<strong>ch</strong>er (d.h. mit 100%-iger Chance) o<strong>der</strong> 100% mit 50%-iger Chance bekommt.<br />

173


Equilibrium 215 . Na<strong>ch</strong> seiner Beweisführung, die no<strong>ch</strong> heute die Grundlage fast aller<br />

spieltheoretis<strong>ch</strong>er Modelle bildet, gibt es in jedem Spiel mit einer endli<strong>ch</strong>en Anzahl<br />

von Spielern, die beliebige Strategien verfolgen, mindestens einen Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>tszustand,<br />

bei dem alle Spieler eine für sie optimale Strategie gefunden haben. Dies folge<br />

daraus, daß die Spieler vollständiges Wissen über die Struktur des Spiels und die jeweiligen<br />

Präferenzen ihrer Mitspieler haben; sie können dann für jeden Mitspieler<br />

dessen optimale Gegenstrategie zu den eigenen Verhaltensalternativen erre<strong>ch</strong>nen<br />

und dadur<strong>ch</strong> die eigenen Erwartungen so lange anpassen, bis si<strong>ch</strong> ein Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>tszustand<br />

einstellt, bei dem niemand mehr ein Interesse daran hat, die eigene<br />

Strategie zu verän<strong>der</strong>n.<br />

Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß na<strong>ch</strong> Nash in Verhandlungssituationen<br />

mit vollständiger gegenseitiger Informiertheit die Verfolgung egoistis<strong>ch</strong>er<br />

Strategien zu einem Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>tszustand führt, in dem si<strong>ch</strong> die unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e<br />

Verhandlungsma<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Beteiligten nie<strong>der</strong>s<strong>ch</strong>lägt.<br />

2. Theorie <strong>der</strong> Verhandlungsführung (J.C. Harsanyi)<br />

Nash ging von Voraussetzungen aus, wie sie in <strong>der</strong> sozialen Realität nur selten vorkommen,<br />

nämli<strong>ch</strong> von einer vollständigen gegenseitigen Informiertheit aller Spielteilnehmer.<br />

Erst diese vollständige Informiertheit sollte die rationalistis<strong>ch</strong>e Interpretation<br />

des Nash-Equilibriums mögli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en. Demgegenüber konnte Harsanyi im<br />

Jahr 1967 zeigen, daß jede unvollständige Information spieltheoretis<strong>ch</strong> als eine unsi<strong>ch</strong>ere<br />

Information behandelt werden kann. Ents<strong>ch</strong>eidungen unter Unsi<strong>ch</strong>erheit waren<br />

aber bereits spieltheoretis<strong>ch</strong> erfaßbar. Dur<strong>ch</strong> Harsanyis Erweiterung galt folgli<strong>ch</strong><br />

nunmehr die erweiterte These, daß es bei jedem Spiel mindestens ein Nash-<br />

Equilibrium gibt.<br />

Für Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist ni<strong>ch</strong>t nur diese allgemeine<br />

Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>tsthese, son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong> Harsanyis Verfahrensdeutung <strong>der</strong> Nutzenoptimierung<br />

ein Gewinn. Harsanyi hat die Optimierung relativer Nutzenfaktoren in einer<br />

Prozedur <strong>der</strong> Verhandlungsführung formuliert 216 . Im Ergebnis entspri<strong>ch</strong>t seine<br />

Lösung <strong>der</strong> von Nash 217 . Die Prozedur ist als Pfli<strong>ch</strong>t zum nä<strong>ch</strong>sten Zugeständnis in<br />

einer Reihe von Angeboten und Gegenangeboten definiert. Wenn im obigen Beispiel<br />

A eine Glei<strong>ch</strong>verteilung in den Raum stellt (ohne sie verbindli<strong>ch</strong> anzubieten), dann<br />

ist B <strong>der</strong>jenige, wel<strong>ch</strong>er beim Ni<strong>ch</strong>tzustandekommen am meisten zu verlieren hätte,<br />

weil er auf die Kooperation dringen<strong>der</strong> angewiesen ist. Er muß darum das nä<strong>ch</strong>ste<br />

Zugeständnis ma<strong>ch</strong>en, beispielsweise 95% Gewinnanteil für A. Bei einem sol<strong>ch</strong>en<br />

Angebot hätte nunmehr A beim hypothetis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>eitern <strong>der</strong> Verhandlung am meisten<br />

zu verlieren. Ihn trifft darum die Pfli<strong>ch</strong>t zum nä<strong>ch</strong>sten Zugeständnis. Die Prozedur<br />

wird solange angewandt, bis als Ergebnis des Näherungsprozesses eine Lösung<br />

im Raum steht, bei <strong>der</strong>en Ni<strong>ch</strong>tzustandekommen beide Parteien glei<strong>ch</strong>viel zu<br />

verlieren hätten.<br />

215 J.F. Nash, Non-cooperative Games (1951), S. 286 ff.<br />

216 Vgl. J.C. Harsanyi, Rational Behavior and Bargaining Equilibrium (1982).<br />

217 Zu dem Unters<strong>ch</strong>ied, daß Harsanyi als Utilitarist ni<strong>ch</strong>t den S<strong>ch</strong>ritt von rationaler Wahl zu moralis<strong>ch</strong>er<br />

Ri<strong>ch</strong>tigkeit ma<strong>ch</strong>t, siehe bereits oben S. 154 (utilitaristis<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong>).<br />

174


3. Theorie <strong>der</strong> relevanten Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>tszustände (R. Selten)<br />

Ein na<strong>ch</strong> wie vor ni<strong>ch</strong>t vollständig gelöstes Problem <strong>der</strong> Theorie von Nash und Harsanyi<br />

liegt darin, daß mehrere Nash-Equilibria vorkommen können. Insbeson<strong>der</strong>e<br />

läßt si<strong>ch</strong> zeigen, daß unter mehreren mögli<strong>ch</strong>en Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>tszuständen au<strong>ch</strong> <strong>der</strong><br />

Eintritt eines sol<strong>ch</strong>en Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts am wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>sten sein kann, das ni<strong>ch</strong>t den<br />

Gesamtnutzen optimiert 218 . Das Problem multipler Equilibria wurde von Selten in<br />

einem Konzept <strong>der</strong> Perfektion von Nash-Equilibria behandelt 219 . Die Theorie von Selten<br />

enthält die – in Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> umstrittene 220 – These,<br />

daß Drohungen in <strong>der</strong> Kalkulation relativer Nutzenfaktoren nur dann berücksi<strong>ch</strong>tigt<br />

werden dürfen, wenn sie au<strong>ch</strong> glaubhaft sind 221 . Es geht also ni<strong>ch</strong>t mehr nur um die<br />

unglei<strong>ch</strong>e Verhandlungsma<strong>ch</strong>t, son<strong>der</strong>n zusätzli<strong>ch</strong> um die tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Bereits<strong>ch</strong>aft,<br />

diese Ma<strong>ch</strong>t nötigenfalls au<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>ädigend einzusetzen. Für die Eins<strong>ch</strong>ätzung <strong>der</strong><br />

Theorie kommt es ni<strong>ch</strong>t auf die Einzelheiten zu den perfekten Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>tszuständen<br />

an, son<strong>der</strong>n nur auf den Umstand, daß Selten die Bedingung <strong>der</strong> realistis<strong>ch</strong>en<br />

Drohung ni<strong>ch</strong>t etwa aus einem rationalistis<strong>ch</strong>en Kalkül ableitet, son<strong>der</strong>n als Voraussetzung<br />

selbst setzt 222 . Es handelt si<strong>ch</strong> ledigli<strong>ch</strong> um eine Annahme, die für den Beweis<br />

perfekter Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>tszustände nützli<strong>ch</strong> ist, selbst aber in <strong>der</strong> Theorie ni<strong>ch</strong>t begründet<br />

wird.<br />

4. Ergebnisse<br />

Die spieltheoretis<strong>ch</strong>en Konstrukte <strong>der</strong> 'relativen Nutzenfaktoren' und 'Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>tspunkte'<br />

führen zu einem Modell für rationale Ents<strong>ch</strong>eidungsfindung, das den<br />

simplen Darstellungsmitteln <strong>der</strong> Sozialvertragstheorien überlegen ist. Das Kalkül<br />

kann aber die Verhaltenspräferenzen, auf denen es aufbaut, selbst ni<strong>ch</strong>t begründen.<br />

Das gilt insbeson<strong>der</strong>e für die Frage <strong>der</strong> Risikobereits<strong>ch</strong>aft und die Mögli<strong>ch</strong>keit und<br />

Wirkung von Drohungen.<br />

218 J.C. Harsanyi, Rule-Utilitarianism, Rights, Obligations and the Theory of Rational Behavior (1980),<br />

S. 117 ff.<br />

219 R. Selten, Spieltheoretis<strong>ch</strong>e Behandlung eines Oligopolmodells (1965), S. 306 ff., 309 ff.<br />

220 Dieses spieltheoretis<strong>ch</strong>e Element von Selten findet si<strong>ch</strong> in den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien von Lucas<br />

und Gauthier in unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er Gestalt, wird an<strong>der</strong>erseits von Bu<strong>ch</strong>anan und Braithwaite gerade<br />

ni<strong>ch</strong>t berücksi<strong>ch</strong>tigt. Zu <strong>der</strong>en <strong>Theorien</strong> soglei<strong>ch</strong> S. 176 ff. (<strong>Theorien</strong> zum Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt).<br />

221 Vgl. R. Selten, Spieltheoretis<strong>ch</strong>e Behandlung eines Oligopolmodells (1965), S. 308: »Diese Drohung<br />

muß aber wirkungslos bleiben, wenn Spieler 2 si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t im voraus bindend auf ihre Dur<strong>ch</strong>führung<br />

festlegen kann.«<br />

222 Vgl. R. Selten, Spieltheoretis<strong>ch</strong>e Behandlung eines Oligopolmodells (1965), S. 306: »Eine weitere<br />

Annahme, von <strong>der</strong> wir ausgehen werden, besteht darin, daß wir ein 'wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>es' Verhalten<br />

unterstellen. Damit ist gemeint, daß je<strong>der</strong> <strong>der</strong> Oligopolisten davor zurücks<strong>ch</strong>reckt, einen seiner<br />

Konkurrenten aus dem Markt zu verdrängen. Diese Annahme hat viel für si<strong>ch</strong>, denn je<strong>der</strong> Verdrängungskampf<br />

birgt s<strong>ch</strong>wer kalkulierbare Risiken.« Sowie S. 323: »Allzu aggressive Strategien<br />

wurden von vornherein von <strong>der</strong> Betra<strong>ch</strong>tung ausges<strong>ch</strong>lossen.«<br />

175


III. <strong>Theorien</strong> zum Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt (nonagreement basepoint)<br />

Die ges<strong>ch</strong>il<strong>der</strong>ten <strong>Theorien</strong> zur Optimierung relativer Nutzenfaktoren begründen,<br />

wel<strong>ch</strong>e Verteilung bei vorgegebenem Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt (nonagreement basepoint)<br />

rational ist 223 . Die geringere Verhandlungsma<strong>ch</strong>t (bargaining power) einer Partei führt<br />

dazu, daß es für diese rational ist, bei vorgegebenem Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt s<strong>ch</strong>on mit<br />

einem geringeren Anteil am Kooperationsgewinn zufrieden zu sein. Von den <strong>Theorien</strong><br />

wird ni<strong>ch</strong>ts darüber gesagt, wel<strong>ch</strong>en Einfluß die Beteiligten auf den Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt<br />

nehmen können, an dem das Rationalitätskalkül ansetzt 224 . <strong>Theorien</strong><br />

über Szenarien maximaler Drohung gehen an<strong>der</strong>s vor. Na<strong>ch</strong> ihnen ist grundsätzli<strong>ch</strong><br />

eine Glei<strong>ch</strong>verteilung des Kooperationsgewinns rational. Allerdings soll si<strong>ch</strong> diese<br />

Glei<strong>ch</strong>verteilung dana<strong>ch</strong> bemessen, was die Beteiligten im Verglei<strong>ch</strong> zu einer (hypothetis<strong>ch</strong>en)<br />

Situation maximaler Drohung erhalten würden. Der Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt<br />

besteht also ni<strong>ch</strong>t in bloßem Kooperationsverzi<strong>ch</strong>t, son<strong>der</strong>n in einer<br />

geda<strong>ch</strong>ten Gegners<strong>ch</strong>aft.<br />

1. Theorie des hypothetis<strong>ch</strong>en Drohspiels (R.B. Braithwaite)<br />

Na<strong>ch</strong> Braithwaite ergibt si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt aus einem hypothetis<strong>ch</strong>en<br />

Drohspiel 225 . Zur Verdeutli<strong>ch</strong>ung seines Ansatzes greift Braithwaite auf ein inzwis<strong>ch</strong>en<br />

klassis<strong>ch</strong>es Beispiel zurück: Pianist P und Trompeter T leben in bena<strong>ch</strong>barten<br />

Räumen und haben jeden Tag glei<strong>ch</strong>zeitig Gelegenheit für Übungen. Ihre Verhandlung<br />

geht darüber, wer an wievielen Tagen des Monats spielen darf. Die<br />

Wuns<strong>ch</strong>vereinbarung lautet für jeden, daß er selbst immer und <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e nie musiziert.<br />

Der Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt wird ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> bei<strong>der</strong>seitigen Spielverzi<strong>ch</strong>t, son<strong>der</strong>n<br />

dur<strong>ch</strong> die jeweils größte Drohung gegenüber dem Na<strong>ch</strong>barn definiert, bezei<strong>ch</strong>-<br />

223 Gelegentli<strong>ch</strong> wird statt von basepoint au<strong>ch</strong> von baseline gespro<strong>ch</strong>en; R. Nozick, Anar<strong>ch</strong>y, State, and<br />

Utopia (1974), S. 177; B. Barry, Theories of Justice (1989), S. 56-95; W.A. Edmundson, Is Law Coercive?<br />

(1995), S. 83 ff. Der von Braithwaite benutzte Begriff des basepoints ist vorzugswürdig, denn er<br />

drückt treffend aus, daß es um eine ganz bestimmte ni<strong>ch</strong>tkooperative Verglei<strong>ch</strong>ssituation geht,<br />

von <strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Kooperationsgewinn glei<strong>ch</strong>mäßig zu verteilen ist. Ein an<strong>der</strong>er, mit basepoint inhaltsglei<strong>ch</strong>er<br />

Begriff ist die initial bargaining position; dazu D. Gauthier, Morals by Agreement<br />

(1986), S. 190 ff. Zu diversen mögli<strong>ch</strong>en Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkten als Basis für die rationale Ents<strong>ch</strong>eidung<br />

siehe B. Barry, ebd., S. 56 ff.<br />

224 Es gehört zu den s<strong>ch</strong>wierigsten Problemen <strong>der</strong> <strong>Theorien</strong> rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens und Sozialvertragstheorien,<br />

die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> einer Ausgangsposition <strong>der</strong> Unglei<strong>ch</strong>heit zu begründen. Von präsumptiver<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> eines (d.h. jedes) status quo bis hin zur notwendigen Ableitung aus einem<br />

Zustand ursprüngli<strong>ch</strong>er (hypothetis<strong>ch</strong>-historis<strong>ch</strong>er) Glei<strong>ch</strong>heit wird hier alles vertreten. Einzelne<br />

Ents<strong>ch</strong>eidungstheoretiker erklären die Ausgangsposition <strong>der</strong> Parteien zum integralen Bestandteil<br />

<strong>der</strong> Theorie; D. Gauthier, Morals by Agreement, S. 191 f.: »Rationale Prozeduren führen<br />

nur dann zu rational akzeptablen Ergebnissen, wenn sie ihrerseits von einer rational akzeptablen<br />

Ausgangspositions ausgehen.« Zur zentralen Bedeutung <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidung über den Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt<br />

für die Verteilungsre<strong>ch</strong>tfertigung R. Nozick, Anar<strong>ch</strong>y, State, and Utopia (1974),<br />

S. 177.<br />

225 Vgl. zum Übergang von einer antagonistis<strong>ch</strong>en 'unklugen' zu einer 'klugen' Strategie R.B. Braithwaite,<br />

Theory of Games as a Tool for the Moral Philosopher (1955), S. 45: »[T]here being no other<br />

satisfactory criterion for interpersonal fairness, ea<strong>ch</strong> collaborator should be regarded as benefiting<br />

equally by a <strong>ch</strong>ange from a prudential to a counter-prudential when his colleague is holding to his<br />

prudential strategy.«<br />

176


net also die Situation, in <strong>der</strong> P und T ständig gegeneinan<strong>der</strong> anspielen (Drohspielbedingung).<br />

Nun ist aber Pianist P empfindli<strong>ch</strong>er gegenüber dem glei<strong>ch</strong>zeitigen<br />

Spielen. Die gegenseitige Drohung belastet P folgli<strong>ch</strong> stärker als T. Entspre<strong>ch</strong>end<br />

hat P einen größeren Nutzen von je<strong>der</strong> wie au<strong>ch</strong> immer gearteten Kooperation. Relativ<br />

zum dur<strong>ch</strong> Drohung gekennzei<strong>ch</strong>neten Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt muß eine Glei<strong>ch</strong>verteilung<br />

<strong>der</strong> Nutzengewinne also in einer Unglei<strong>ch</strong>verteilung <strong>der</strong> Spielzeiten resultieren.<br />

Ohne daß es hier auf eine genaue Beispielre<strong>ch</strong>nung ankäme 226 , wäre P soviel<br />

weniger Spielzeit als T einzuräumen, daß beide den glei<strong>ch</strong>en Nutzengewinn aus <strong>der</strong><br />

Gesamtkooperation ziehen. Gere<strong>ch</strong>t ist dana<strong>ch</strong> das Ergebnis, das deshalb Ausdruck<br />

einer rationalen Ents<strong>ch</strong>eidung ist, weil es den relativ zu einer Grundposition gegenseitiger<br />

S<strong>ch</strong>ädigungsdrohung (Drohspielbedingung) entstehenden Nutzengewinn<br />

glei<strong>ch</strong>mäßig auf die Parteien verteilt.<br />

2. Theorie <strong>der</strong> öffentli<strong>ch</strong>en Wahl (J.M. Bu<strong>ch</strong>anan)<br />

a) Das Ideal einer geordneten Anar<strong>ch</strong>ie<br />

Bu<strong>ch</strong>anan gilt als einer <strong>der</strong> ersten Theoretiker, <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>e Ents<strong>ch</strong>eidungsfindung<br />

na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> neueren ökonomis<strong>ch</strong>en Theorie modelliert hat 227 . Die von ihm gemeinsam<br />

mit Tullock begründete Theorie <strong>der</strong> öffentli<strong>ch</strong>en Wahl (public <strong>ch</strong>oice theory 228 ) fragt dana<strong>ch</strong>,<br />

wel<strong>ch</strong>e politis<strong>ch</strong>e Ordnung entstehen müßte, wenn die Beteiligten in einer Art<br />

Marktordnung <strong>der</strong> Sozialmodelle auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> ihrem Eigeninteresse folgten 229 . Als<br />

Antwort präsentiert Bu<strong>ch</strong>anan eine Sozialvertragstheorie, in <strong>der</strong> ein Szenario maximaler<br />

Drohung zur Grundlage gema<strong>ch</strong>t wird 230 . Die stark am Effizienzdenken orientierte<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie kann im Spektrum <strong>der</strong> Sozialvertragstheorien als ökonomis<strong>ch</strong>e<br />

Konzeption bezei<strong>ch</strong>net werden. Sie geht davon aus, daß <strong>der</strong> ideale Sozialzustand<br />

in einer 'geordneten Anar<strong>ch</strong>ie' bestünde 231 . In <strong>der</strong> ungeordneten Anar<strong>ch</strong>ie als einem<br />

Zustand unbes<strong>ch</strong>ränkter Handlungsfreiheiten ergibt si<strong>ch</strong> die natürli<strong>ch</strong>e Güterverteilung<br />

daraus, daß si<strong>ch</strong> Grenznutzen und Grenzkosten für zusätzli<strong>ch</strong>en Aufwand die<br />

Waage halten. Diese natürli<strong>ch</strong>e Verteilung ist aber wegen <strong>der</strong> hohen Verteidigungskosten<br />

auf einem niedrigen Niveau angesiedelt. Denn im Naturzustand fehle es an<br />

226 Dazu R.B. Braithwaite, Theory of Games as a Tool for the Moral Philosopher (1955), S. 26 ff.<br />

227 Diese beson<strong>der</strong>e Bedeutung zeigt si<strong>ch</strong> darin, daß Bu<strong>ch</strong>anan im Jahre 1986 mit dem Nobelpreis für<br />

Ökonomie ausgezei<strong>ch</strong>net wurden; vgl. Königli<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>wedis<strong>ch</strong>e Akademie <strong>der</strong> Wissens<strong>ch</strong>aften,<br />

Bank of Sweden Prize in Economic Sciences in Memory of Alfred Nobel, 1995, Pressemitteilung<br />

vom 16. Oktober 1986: James McGill Bu<strong>ch</strong>anan (Virginia, USA) »for his development of the contractual<br />

and constitutional bases for the theory of economic and political decision-making.«<br />

228 J.M. Bu<strong>ch</strong>anan/G. Tullock, The Calculus of Consent (1962); G.J. Stigler, The Citizen and the State<br />

(1975); J.M. Bu<strong>ch</strong>anan, Limits of Liberty (1975). Die Theorie wird heute überwiegend dur<strong>ch</strong> Beiträge<br />

in <strong>der</strong> Zeits<strong>ch</strong>rift 'Public Choice' vorangetrieben.<br />

229 Vgl. B. Ackerman, We The People (1991), S. 308 ff. (311) – Charakterisierung und Kritik <strong>der</strong> public<br />

<strong>ch</strong>oice theory; C. Kir<strong>ch</strong>ner, Ökonomis<strong>ch</strong>e Theorie des Re<strong>ch</strong>ts (1997), S. 23 ff. – public <strong>ch</strong>oice als »Ökonomis<strong>ch</strong>e<br />

Theorie <strong>der</strong> Verfassung«.<br />

230 J.M. Bu<strong>ch</strong>anan, Limits of Liberty (1975), S. 60 ff.<br />

231 Zum Idealzustand einer 'geordneten Anar<strong>ch</strong>ie' und seiner Unmögli<strong>ch</strong>keit siehe J.M. Bu<strong>ch</strong>anan,<br />

Limits of Liberty (1975), S. 189.<br />

177


einer anerkannten Trennungslinie zwis<strong>ch</strong>en mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Interessensphären 232 .<br />

Daraus entstehen zwangsläufig Konflikte: Gibt es beispielsweise in einer geda<strong>ch</strong>ten<br />

Welt mit zwei Mens<strong>ch</strong>en nur einen einzigen Obstbaum, so fehlt jedes Kriterium dafür,<br />

wer wann wel<strong>ch</strong>e Frü<strong>ch</strong>te beanspru<strong>ch</strong>en darf. Ni<strong>ch</strong>t zwangsläufig gewinnt immer<br />

<strong>der</strong> Stärkere. Au<strong>ch</strong> wer in körperli<strong>ch</strong>er Auseinan<strong>der</strong>setzung <strong>ch</strong>ancenrei<strong>ch</strong> ist,<br />

könnte mangels Ausdauer o<strong>der</strong> Wa<strong>ch</strong>samkeit unterliegen 233 . In einer geda<strong>ch</strong>ten<br />

Zweipersonenwelt vers<strong>ch</strong>wenden die Beteiligten ihre Energie. Sie sind so sehr mit<br />

<strong>der</strong> Organisation und Verteidigung ihres Vorteils bes<strong>ch</strong>äftigt, daß die Zeit unbeeinträ<strong>ch</strong>tigten<br />

Genusses gering bleibt. Bu<strong>ch</strong>anan argumentiert deshalb, daß s<strong>ch</strong>on in einer<br />

geda<strong>ch</strong>ten Welt mit zwei Personen die vertragli<strong>ch</strong>e Abgrenzung <strong>der</strong> individuellen<br />

Handlungsberei<strong>ch</strong>e für alle besser ist als eine natürli<strong>ch</strong>e Verteilung 234 . Zur Konfliktvermeidung<br />

seien darum Eigentumsre<strong>ch</strong>te und Vertragsfreiheit festzulegen und<br />

von einer staatli<strong>ch</strong>en Zwangsgewalt zu si<strong>ch</strong>ern. Erst dur<strong>ch</strong> Eigentumsre<strong>ch</strong>te und<br />

Vertragsfreiheit wird die Begründung ökonomis<strong>ch</strong>er Austaus<strong>ch</strong>beziehungen mögli<strong>ch</strong>,<br />

die ihrerseits dem unerrei<strong>ch</strong>baren Ideal einer geordneten Anar<strong>ch</strong>ie am nä<strong>ch</strong>sten<br />

kommen und darum die Grundlage einer optimalen sozialen Ordnung bilden. Insoweit<br />

besteht die rationale Notwendigkeit für einen im übrigen neutralen, protektiven<br />

Staat.<br />

b) Das Drohspiel als Sozialvertrag<br />

Bu<strong>ch</strong>anan entwirft einen zweistufigen Sozialvertrag: Der konstitutionelle Vertrag <strong>der</strong><br />

ersten Stufe verteilt einen Gütergrundbestand und regelt die Re<strong>ch</strong>te <strong>der</strong> Beteiligten<br />

daran. Der postkonstitutionelle Vertrag <strong>der</strong> zweiten Stufe regelt den Austaus<strong>ch</strong> privater<br />

und die Bereitstellung öffentli<strong>ch</strong>er Güter (public goods).<br />

Für den konstitutionellen Vertrag sind na<strong>ch</strong> Bu<strong>ch</strong>anan die unglei<strong>ch</strong>en Neigungen<br />

und Fähigkeiten <strong>der</strong> Beteiligten zu berücksi<strong>ch</strong>tigen. Jedem Individuum kommen eigene<br />

Präferenz- und Produktionsfunktionen zu. Läßt man diese Funktionen in einer<br />

Welt knapper Ressourcen zunä<strong>ch</strong>st ohne Bes<strong>ch</strong>ränkung in einer vorvertragli<strong>ch</strong>en<br />

Phase aufeinan<strong>der</strong>prallen, so stellt si<strong>ch</strong> ein Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>tszustand ein, bei dem keine<br />

Person einen Anreiz hat, ihr Verhalten zu än<strong>der</strong>n. Dieser Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>tszustand<br />

enthält die natürli<strong>ch</strong>e Güterverteilung in <strong>der</strong> Anar<strong>ch</strong>ie. Das Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t kann au<strong>ch</strong><br />

darin bestehen, daß einzelne Mens<strong>ch</strong>en getötet o<strong>der</strong>, gewissermaßen als mil<strong>der</strong>es<br />

Mittel zu ihrer Verni<strong>ch</strong>tung, dur<strong>ch</strong> einen Sklavereivertrag verpfli<strong>ch</strong>tet werden, für<br />

die Herrs<strong>ch</strong>enden Dienste zu leisten 235 . Der Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>tszustand bildet einen<br />

Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt, <strong>der</strong> dur<strong>ch</strong> die Entwaffnung im Rahmen <strong>der</strong> konstitutionellen<br />

232 J.M. Bu<strong>ch</strong>anan, Limits of Liberty (1975), S. 198 wendet si<strong>ch</strong> insbeson<strong>der</strong>e gegen den von Locke behaupteten<br />

Anspru<strong>ch</strong> auf natürli<strong>ch</strong>e Produkte und die Frü<strong>ch</strong>te <strong>der</strong> eigenen Arbeit.<br />

233 Vgl. das Argument bei T. Hobbes, Leviathan (1651), Kapitel 13: »Nature has made men so equall, ...<br />

the weakest has strength enough to kill the strongest, either by secret ma<strong>ch</strong>ination, or by confe<strong>der</strong>acy<br />

with others«. Die spätere Bedeutung des Arguments folgte vor allem daraus, daß sie als<br />

Grundlage für das Konsensgebot galt; vgl. D. Hume, On the Original Contract (1741), S. 357:<br />

»When we consi<strong>der</strong> how nearly equal all men are in their bodily force, and even in their mental<br />

powers and faculties, till cultivated by education, we must necessarily allow that nothing but their<br />

own consent could at first associate them together and subject them to any authority.«<br />

234 J.M. Bu<strong>ch</strong>anan, Limits of Liberty (1975), S. 192.<br />

235 J.M. Bu<strong>ch</strong>anan, Limits of Liberty (1975), S. 60 ff.<br />

178


Vereinbarung festges<strong>ch</strong>rieben wird. Mit <strong>der</strong> Entwaffnung sind glei<strong>ch</strong>zeitig die Grenzen<br />

<strong>der</strong> Handlungsfreiheit (limits of liberty) und die korrespondierenden Eigentumsre<strong>ch</strong>te<br />

festgelegt. Insgesamt enthält <strong>der</strong> konstitutionelle Vertrag also drei Elemente,<br />

die zusammen die protektive Funktion des Staates bestimmen: den Entwaffnungsvertrag,<br />

die Definition von Eigentumsre<strong>ch</strong>ten und die Bedingungen für die Ausübung<br />

von Zwangsgewalt. Er enthält darüberhinaus als viertes Element die Grenzen für<br />

die produktive Funktion des Staates, also die Bestimmungen darüber, wann das Kollektiv<br />

Ents<strong>ch</strong>eidungen über Bereitstellung und Finanzierung öffentli<strong>ch</strong>er Güter treffen<br />

darf.<br />

Der postkonstitutionelle Vertrag baut auf diesem vierten Element des konstitutionellen<br />

Vertrags auf. Die spontan entstehenden Marktbeziehungen zwis<strong>ch</strong>en Beteiligten<br />

des konstitutionellen Vertrags sind wegen hoher Transaktionskosten im Mehrpersonenverhältnis<br />

und wegen des Free-Ri<strong>der</strong>-Problems 236 ni<strong>ch</strong>t geeignet, effiziente<br />

Ergebnisse zu liefern. Für eine effiziente Bereitstellung öffentli<strong>ch</strong>er Güter müssen<br />

Regeln über eine kollektive Ents<strong>ch</strong>eidung <strong>der</strong> Gemeins<strong>ch</strong>aft in einem weiteren Sozialvertrag<br />

festgelegt werden. Dieser postkonstitutionelle Vertrag unterliegt den Bes<strong>ch</strong>ränkungen<br />

des vorausgehenden konstitutionellen Vertrags.<br />

Insgesamt kann man Bu<strong>ch</strong>anans Theorie als prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie<br />

verstehen, die darlegt, daß selbst krasseste Unglei<strong>ch</strong>behandlungen (Sklaverei) aus<br />

<strong>der</strong> Perspektive hobbesianis<strong>ch</strong>er Sozialvertragstheorien 'gere<strong>ch</strong>t' ers<strong>ch</strong>einen können,<br />

wenn man die individuelle Nutzenmaximierung mit dem gedankli<strong>ch</strong>en Modell des<br />

hypothetis<strong>ch</strong>en Drohspiels kombiniert.<br />

3. Theorie <strong>der</strong> realistis<strong>ch</strong>en Verhaltenshypothesen (J.R. Lucas)<br />

Lucas, <strong>der</strong> die Erkenntnisse von Nash, Harsanyi und Selten in grundlegen<strong>der</strong> Weise<br />

um eine Theorie <strong>der</strong> rationalen Erwartungen (rational expectations) erweitert hat, lehnt<br />

die von Braithwaite und Bu<strong>ch</strong>anan verwendete Drohspielbedingung als für rationales<br />

Verhalten ni<strong>ch</strong>t relevant ab 237 . Wer seine eigene kluge Strategie wähle, also diejenige,<br />

die die eigenen Interessen am besten för<strong>der</strong>t o<strong>der</strong> si<strong>ch</strong>ert, <strong>der</strong> würde ni<strong>ch</strong>t von ihr<br />

abwei<strong>ch</strong>en, nur um Vergeltung an <strong>der</strong> Gegenpartei zu üben 238 . Wenn maximal effektive<br />

Drohstrategien angewandt werden sollen, so müßten diese, um glaubwürdig zu<br />

sein, au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> eine realistis<strong>ch</strong>e Bindung an das angedrohte Verhalten gestützt<br />

sein 239 . Das sei aber real ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Fall, da si<strong>ch</strong> keine Partei von <strong>der</strong> bei<strong>der</strong>seitigen<br />

Vers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terung irgendwel<strong>ch</strong>e Vorteile erhoffen könne. Der realistis<strong>ch</strong>e und damit<br />

ri<strong>ch</strong>tige Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt liege also ni<strong>ch</strong>t in einem Szenario maximaler Drohung,<br />

son<strong>der</strong>n die Beteiligten seien wie gegenseitig desinteressierte Mitarbeiter einer Uni-<br />

236 Als Free-Ri<strong>der</strong>-, Trittbrettfahrer- o<strong>der</strong> S<strong>ch</strong>warzfahrer-Problem wird die Tendenz einzelner Individuen<br />

bezei<strong>ch</strong>net, si<strong>ch</strong> unerkannt an den Frü<strong>ch</strong>ten <strong>der</strong> Massenkooperation zu beteiligen, ohne einen<br />

eigenen Beitrag zu leisten. Dazu unten S. 333 (Trittbrettfahrerproblem).<br />

237 J.R. Lucas, Moralists and Gamesmen (1959), S. 1 ff. (9). Ebenso, wenn au<strong>ch</strong> ohne Begründung, Selten;<br />

dazu oben S. 175 (Theorie <strong>der</strong> relevanten Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>tspunkte).<br />

238 Vgl. J.R. Lucas, Moralists and Gamesmen (1959), S. 9 f.<br />

239 Vgl. J.R. Lucas, Moralists and Gamesmen (1959), S. 9 f.<br />

179


versität anzusehen: Sie sind we<strong>der</strong> Freunde no<strong>ch</strong> Feinde und behandeln einan<strong>der</strong> distanziert,<br />

wenn au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t unhöfli<strong>ch</strong> 240 .<br />

4. Ergebnisse<br />

<strong>Theorien</strong> zum Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt modellieren rationales Ents<strong>ch</strong>eiden etwas an<strong>der</strong>s<br />

als die spieltheoretis<strong>ch</strong>en Kalküle zu relativen Nutzenfaktoren. Bei ihnen geht<br />

es im Kern um die Frage, ob ein Drohspiel in die Bere<strong>ch</strong>nung <strong>der</strong> Ausgangsposition<br />

einbezogen werden muß und zu wel<strong>ch</strong>en Ergebnissen das führen würde. Diese Frage<br />

muß na<strong>ch</strong> wie vor als unbeantwortet angesehen werden 241 .<br />

IV. <strong>Theorien</strong> des neohobbesianis<strong>ch</strong>en Sozialvertrags<br />

Neohobbesianis<strong>ch</strong>e Sozialvertragstheorien sind diejenigen <strong>Theorien</strong> rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens,<br />

die als Prozedur des rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens im Sinne von D 4RC eine<br />

hypothetis<strong>ch</strong>e Vereinbarung egoistis<strong>ch</strong>er Nutzenmaximierer über die soziale Ordnung<br />

(Sozialvertrag) annehmen. Von den bislang behandelten <strong>Theorien</strong> unters<strong>ch</strong>eiden<br />

sie si<strong>ch</strong> in ihrem Gegenstandsberei<strong>ch</strong>: Sozialvertragstheorien sind Makrotheorien,<br />

Nutzenkalkültheorien hingegen Mikrotheorien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 242 ; die Verglei<strong>ch</strong>barkeit<br />

innerhalb dieser Theoriegruppe wird methodis<strong>ch</strong> erst dur<strong>ch</strong> die Skalierbarkeitsthese<br />

belegt 243 . Im Einzelfall können zu den neohobbesianis<strong>ch</strong>en Sozialvertragstheorien<br />

au<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> zählen, die als ihr historis<strong>ch</strong>es Vorbild ni<strong>ch</strong>t<br />

Hobbes, son<strong>der</strong>n Locke wählen.<br />

1. Theorie <strong>der</strong> Maximin-Wahl? (J. Rawls)<br />

In <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie von Rawls lassen si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Art <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung<br />

drei vers<strong>ch</strong>iedene Elemente unters<strong>ch</strong>eiden. Das erste ist die ents<strong>ch</strong>eidungstheoretis<strong>ch</strong>e<br />

Begründung von Prinzipien mit Hilfe <strong>der</strong> Maximin-Regel. Das<br />

zweite ist die Bes<strong>ch</strong>reibung einer sozialvertragli<strong>ch</strong>en Ursprungssituation <strong>der</strong> Fairneß<br />

(original position). Das dritte ist die Stabilisierung des Ergebnisses mit Hilfe des Überlegungsglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts<br />

(reflective equilibrium). Die letzten beiden Elemente sind methodis<strong>ch</strong>,<br />

inhaltli<strong>ch</strong> und entwicklungszeitli<strong>ch</strong> in <strong>der</strong> Rawlss<strong>ch</strong>en Philosophie so deutli<strong>ch</strong><br />

getrennt, daß sie in dieser Untersu<strong>ch</strong>ung an späterer Stelle als zwei unters<strong>ch</strong>eidbare<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien behandelt werden, die mit '<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Fairneß'<br />

und 'Politis<strong>ch</strong>er Liberalismus' tituliert werden 244 . Hier soll zunä<strong>ch</strong>st nur das erste<br />

Element interessieren, denn mit <strong>der</strong> ents<strong>ch</strong>eidungstheoretis<strong>ch</strong>en Komponente ist<br />

letztli<strong>ch</strong> die Perspektive des egoistis<strong>ch</strong>en Nutzenmaximierers eingenommen, was<br />

240 J.R. Lucas, Moralists and Gamesmen (1959), S. 10: »There is no vindictiveness, only indifference.«<br />

241 Dazu unten S. 274 ff. (Grenzen <strong>der</strong> Spieltheorie als <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie).<br />

242 Dazu oben S. 110 (Mikro-, Meso- und Makrotheorien).<br />

243 Dazu oben S. 111 (Skalierbarkeitsthese).<br />

244 Dazu unten S. 199 ff. (kantis<strong>ch</strong>e Sozialvertragstheorien).<br />

180


we<strong>der</strong> <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en no<strong>ch</strong> <strong>der</strong> utilitaristis<strong>ch</strong>en Si<strong>ch</strong>tweise entspri<strong>ch</strong>t 245 . Die Wurzeln<br />

dieser Komponente lassen si<strong>ch</strong> bis zum philosophis<strong>ch</strong>en Frühwerk von Rawls<br />

zurückverfolgen 246 . Dur<strong>ch</strong> die Benutzung des Maximin-Prinzips kombiniert Rawls in<br />

seiner Theorie Elemente rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens mit eigentli<strong>ch</strong> rationalitätsfremden,<br />

weil ni<strong>ch</strong>t vorteilsorientierten, moralis<strong>ch</strong>en Elementen. Deshalb eignet si<strong>ch</strong> die Theorie,<br />

um zu zeigen, in wel<strong>ch</strong>en Fällen eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie trotz rationalistis<strong>ch</strong>er<br />

Rhetorik keine Ents<strong>ch</strong>eidungstheorie <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en Grundposition ist.<br />

In <strong>der</strong> ursprüngli<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie von Rawls war mit <strong>der</strong> Maximin-<br />

Regel an prominenter Stelle, nämli<strong>ch</strong> bei <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidung über den Inhalt <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien<br />

und ihr Verhältnis zueinan<strong>der</strong> 247 , ein Baustein aus <strong>der</strong> Theorie<br />

rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens enthalten 248 . Die Maximin-Regel ist eine Ents<strong>ch</strong>eidungsregel,<br />

die nur für Ents<strong>ch</strong>eidungen bei völliger Unsi<strong>ch</strong>erheit gilt, d.h. wenn Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keitsmaße<br />

überhaupt ni<strong>ch</strong>t bekannt sind 249 . Die Regel spiegelt die pessimistis<strong>ch</strong>e<br />

Grundhaltung bzw. das Verhalten eines risikos<strong>ch</strong>euen Ents<strong>ch</strong>eidungsträgers wi<strong>der</strong>,<br />

verglei<strong>ch</strong>bar etwa <strong>der</strong> Perspektive eines Versi<strong>ch</strong>erungsnehmers 250 . Gewählt wird<br />

diejenige Lösung, bei <strong>der</strong> <strong>der</strong> minimale (Kooperations-)Gewinnanteil, <strong>der</strong> in jedem<br />

Fall gesi<strong>ch</strong>ert bleibt, si<strong>ch</strong> auf mögli<strong>ch</strong>st hohem Niveau befindet und in diesem Sinne<br />

maximal ist 251 . Rawls definiert die Bedingungen seines Urzustands (original position)<br />

dur<strong>ch</strong> Einführung von Unkenntnis <strong>der</strong> eigenen natürli<strong>ch</strong>en Eigens<strong>ch</strong>aften und Dispositionen<br />

(veil of ignorance) bewußt so, daß die Maximin-Regel Anwendung findet<br />

252 . Aus <strong>der</strong> Anwendung <strong>der</strong> Regel leitet Rawls seine beiden <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien<br />

ab – er stellt die Wahl <strong>der</strong> Prinzipien als eine rationale Ents<strong>ch</strong>eidung dar 253<br />

245 Kantis<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> knüpfen ni<strong>ch</strong>t an die Konsequenzen des Handelns an, also au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t an die<br />

Vorteilhaftigkeit im Handlungsergebnis, son<strong>der</strong>n sie fragen na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit <strong>der</strong> Handlung<br />

selbst; utilitaristis<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> fragen ni<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> egoistis<strong>ch</strong>er, son<strong>der</strong>n allenfalls na<strong>ch</strong> kollektiver<br />

Nutzenmaximierung.<br />

246 J. Rawls, Outline of a Decision Procedure for Ethics (1951), S. 177 ff.<br />

247 Dazu unten S. 203 ff. (Zwei Prinzipien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

248 J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 26, S. 152 ff.<br />

249 Selbst dort ist sie no<strong>ch</strong> umstritten; J.C. Harsanyi, Maximin Principle (1975), S. 595 ff.; O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 422. Einigermaßen si<strong>ch</strong>er belegt ist sie nur für sogenannte Zweipersonen-Nullsummenspiele;<br />

vgl. J.v. Neumann/O. Morgenstern, Theory of Games (1944).<br />

250 Dieser Verglei<strong>ch</strong> stammt von O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 422.<br />

251 Vgl. bei <strong>der</strong> Theorie Gauthiers die Aussagen zum maximin relative benefit, S. 189 ff. (<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

als minimax relative Konzession). Das Differenzprinzip <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> spiegelt diese Regel<br />

unmittelbar wi<strong>der</strong>; J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 46, S. 302: »Social and economic inequalities<br />

are to be arranged so that they are ... to the greatest benefit of the least advantaged.« Dazu unten<br />

S. 203 (Zwei Prinzipien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

252 Ausdrückli<strong>ch</strong> J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 26, S. 155 f.: »Now, as I have suggested, the original<br />

position has been defined so that it is a situation in whi<strong>ch</strong> the maximin rule applies. ... The<br />

parties have no basis for determining the probable nature of their society, or their place in it. ...<br />

Those deciding are mu<strong>ch</strong> more in the dark than the illustration by a numerical table suggests. It is<br />

for this reason that I have spoken of an analogy with the maximin rule.«<br />

253 J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 26, S. 156 f.: »The minimum assured by the two principles in<br />

lexical or<strong>der</strong> is not one that the parties wish to jeopardize for the sake of greater economic and social<br />

advantages. ... These remarks about the maximin rule are intended only to clarify the structure<br />

of the <strong>ch</strong>oice problem in the original position.«<br />

181


und identifiziert seine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie sogar ausdrückli<strong>ch</strong> mit <strong>Theorien</strong> rationalen<br />

Ents<strong>ch</strong>eidens 254 .<br />

Obwohl Rawls mit <strong>der</strong> Maximin-Regel auf die Ents<strong>ch</strong>eidungstheorie zurückgreift,<br />

wird seine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie do<strong>ch</strong> keine Ents<strong>ch</strong>eidungstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>.<br />

Als sol<strong>ch</strong>e müßte sie <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen genau dann für ri<strong>ch</strong>tig halten, wenn diese<br />

das Ergebnis eines rationalen Ents<strong>ch</strong>eidungsverfahrens sein können (D 4RC ). Do<strong>ch</strong><br />

bei aller Betonung des rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens 255 handelt es si<strong>ch</strong> bei Rawls Prinzipienfindung<br />

eben ni<strong>ch</strong>t um eine rationale Wahl. Denn das in <strong>der</strong> Maximin-Regel liegende<br />

Ents<strong>ch</strong>eidungselement verliert bei näherer Betra<strong>ch</strong>tung seine Radikalität als<br />

individuelle Nutzenmaximierung dadur<strong>ch</strong>, daß Rawls die Wahl bewußt in eine<br />

(hypothetis<strong>ch</strong>e und kontrafaktis<strong>ch</strong>e) Situation verlagert, in <strong>der</strong> dur<strong>ch</strong> gemeinsame<br />

Unkenntnis <strong>der</strong> Parteien ein Zustand von Freiheit und Glei<strong>ch</strong>heit bereits vorgezei<strong>ch</strong>net<br />

ist 256 . Rawls setzt, an<strong>der</strong>s als Gauthier, gerade ni<strong>ch</strong>t praktis<strong>ch</strong>e Vernunft<br />

mit rationaler Ents<strong>ch</strong>eidung glei<strong>ch</strong> 257 . Seine Vernunftkonzeption ist diejenige <strong>der</strong><br />

kantis<strong>ch</strong>en Tradition, ni<strong>ch</strong>t die des Ents<strong>ch</strong>eidungsrationalismus 258 . Ganz unabhängig<br />

von <strong>der</strong> Tatsa<strong>ch</strong>e, daß die Anwendbarkeit <strong>der</strong> Maximin-Regel überzeugend wi<strong>der</strong>legt<br />

259 und au<strong>ch</strong> von Rawls na<strong>ch</strong> anfängli<strong>ch</strong>en Rettungsversu<strong>ch</strong>en 260 aufgegeben<br />

254 J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 3, S. 16: »[W]e have to ascertain whi<strong>ch</strong> principles it would be<br />

rational to adopt given the contractual situation. This connects the theory of justice with the theory<br />

of rational <strong>ch</strong>oice.« Zum Wi<strong>der</strong>ruf dieses 'Fehlers' siehe <strong>der</strong>s., Political Liberalism (1993), S. 53<br />

mit Fn. 7: »[T]his is simply incorrect. What should have been said is that the account of the parties,<br />

and of their reasoning, uses the theory of rational decision, though only in an intuitive way.«<br />

255 Vgl. etwa J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 3, S. 13: »One feature of justice as fairness is to think<br />

of the parties in the initial situation as rational and mutually disinterested. This does not mean<br />

that the parties are [only interested] in wealth, prestige, and domination. But they are conceived<br />

as not taking an interest in one another's interests.«<br />

256 Dieser Effekt des 'S<strong>ch</strong>leiers des Ni<strong>ch</strong>twissens' (veil of ignorance) ist beabsi<strong>ch</strong>tigt; J. Rawls, Theory of<br />

Justice (1971), § 3, S. 11: »Rather, the guiding idea is that the principles of justice for the basic<br />

structure of society are the object of the original agreement. They are principles that free and rational<br />

persons concerned to further their own interests would accept in an initial position of equality<br />

as defining the fundamental terms of their association.«<br />

257 J. Rawls, Political Liberalism (1993), S. 51 f.: »They [Gauthier and others] think that if the reasonable<br />

can be <strong>der</strong>ived from the rational, that is, if some definite principles of justice can be <strong>der</strong>ived from<br />

the preferences, or decisions, or agreements of merely rational agents in suitably specified circumstances,<br />

then the reasonable is at last put on a firm basis. ... Justice as fairness rejects this idea.«<br />

258 So letztli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> J. Rawls, Political Liberalism (1993), S. 53 mit Fn. 7: »This theory ... tries to give<br />

account of reasonable principles of justice. There is no thought of <strong>der</strong>iving those principles from<br />

the concept of rationality as the sole normative concept. I believe that the text of Theory as a whole<br />

supports this interpretation.« (Hervorhebung bei Rawls).<br />

259 Maßgebli<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> J.C. Harsanyi, Maximin Principle (1975), S. 595 ff. (595): »If you took the maximin<br />

principle seriously then you could not ever cross a street (after all, you might be hit by a car)<br />

... If anybody really acted this way he would soon end up in a mental institution...«. Grundlegende<br />

Kritik an <strong>der</strong> Anwendbarkeit <strong>der</strong> Maximin-Regel au<strong>ch</strong> bei J. Fishkin, Justice and Rationality<br />

(1975), S. 618, 627 f.; zusammenfassend P. Koller, Neue <strong>Theorien</strong> des Sozialkontrakts (1987), S. 93<br />

ff.<br />

260 J. Rawls, Some Reasons for the Maximin Criterion (1974), S. 142: »[T]he maximin criterion is not<br />

meant to apply to small-scale situations ... Maximin is a macro not a micro principle.« Zur Wi<strong>der</strong>legung<br />

dieses Einwandes siehe J.C. Harsanyi, Maximin Principle (1975), S. 605.<br />

182


wurde 261 , ist die Rawlss<strong>ch</strong>e Vertragstheorie jedenfalls keine neohobbesianis<strong>ch</strong>e Sozialvertragstheorie.<br />

2. Theorie des libertären Minimalstaats (R. Nozick)<br />

Nozick entwirft eine Sozialvertragstheorie des libertären Minimalstaats 262 , die als<br />

Theorie rationaler Ents<strong>ch</strong>eidung angelegt ist 263 und wie diejenige Bu<strong>ch</strong>anans von einem<br />

Szenario maximaler Drohung ausgeht 264 . Nozick bejaht indes, in Anlehnung an<br />

Locke 265 und damit an<strong>der</strong>s als Bu<strong>ch</strong>anan, vorpolitis<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te auf Leben, Gesundheit,<br />

Freiheit und Eigentum – sein Naturzustand ist unpolitis<strong>ch</strong>, aber ni<strong>ch</strong>t unmoralis<strong>ch</strong> 266 .<br />

Die soziale Anerkennung <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>te läßt si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Nozick dur<strong>ch</strong> mehrstufige Sozialverträge<br />

im Wege eines Gedankenexperiments zeigen 267 . Die Theorie unters<strong>ch</strong>eidet<br />

zwei Begründungss<strong>ch</strong>ritte, <strong>der</strong>en erster die notwendige Entwicklung eines Staates<br />

aus dem Naturzustand und seine Legitimation als Minimalstaat darstellt. Im zweiten<br />

S<strong>ch</strong>ritt begründet Nozick, warum aus seiner Si<strong>ch</strong>t kein weitergehen<strong>der</strong> Staat als<br />

<strong>der</strong> Minimalstaat, also insbeson<strong>der</strong>e kein Staat mit redistributiven Elementen, gere<strong>ch</strong>tfertigt<br />

werden kann 268 .<br />

261 Der Ansatz einer rationalen Ents<strong>ch</strong>eidungstheorie, dem au<strong>ch</strong> die Maximin-Ausführungen in <strong>der</strong><br />

ursprüngli<strong>ch</strong>en Theorie zuzure<strong>ch</strong>nen sind, wird von Rawls inzwis<strong>ch</strong>en nur no<strong>ch</strong> im Sinne eines<br />

»intiutive way« für anwendbar gehalten; J. Rawls, Political Liberalism (1993), S. 53 mit Fn. 7. Der<br />

Sa<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> wird damit die Maximin-Regel als <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>skriterium aufgegeben.<br />

262 Vgl. R. Nozick, Anar<strong>ch</strong>y, State, and Utopia (1974), S. 149: »The minimal state is the most extensive<br />

state that can be justified. Any state more extensive violates people's rights.«; S. 297: »No state<br />

more extensive than the minimal state can be justified.«; S. 333: »The framework for Utopia that<br />

we have described is equivalent to the minimal state.« J.R. Lucas, Principles of Politics (1966),<br />

S. 287 ff. hat bereits vor Nozick darauf hingewiesen, daß es vernünftige Gründe geben kann, einen<br />

Minimalstaat zu verlangen. Allerdings argumentiert er vor allem mit Totalitarismusresistenz und<br />

hält letztli<strong>ch</strong> die Gründe, die gegen einen Minimalstaat spre<strong>ch</strong>en, für gewi<strong>ch</strong>tiger (S. 292 ff.). Lucas<br />

definiert (S. 369): »A Minimum State is an unselective, coercive community with no functions,<br />

purposes, or ideals, other than the maintenance of law and or<strong>der</strong>.« (Hervorhebung bei Lucas).<br />

263 Zur Verwendung <strong>der</strong> Theorie rationaler Ents<strong>ch</strong>eidung als normativer Theorie vgl. R. Nozick, Nature<br />

of Rationality (1993), S. 41: »An elaborate theory of rational decision has been developed by<br />

economists and statisticians, ... it stands as the dominant view of the conditions that a rational decision<br />

should satisfy: it is the dominant normative view.«<br />

264 Vgl. R. Nozick, Anar<strong>ch</strong>y, State, and Utopia (1974), S. 12 ff. – S<strong>ch</strong>utzvereinigungen. Gerade in <strong>der</strong><br />

Verteidigung gegen latente Bedrohung besteht <strong>der</strong> Sinn von S<strong>ch</strong>utzvereinigungen.<br />

265 R. Nozick, Anar<strong>ch</strong>y, State, and Utopia (1974), S. 9 ff.<br />

266 R. Nozick, Anar<strong>ch</strong>y, State, and Utopia (1974), S. 6: »Our starting point then, though nonpolitical, is<br />

by intention far from nonmoral.«<br />

267 R. Nozick, Anar<strong>ch</strong>y, State, and Utopia (1974), S. 10 ff.<br />

268 R. Nozick, Anar<strong>ch</strong>y, State, and Utopia (1974), S. 147 ff. In <strong>der</strong> philosophis<strong>ch</strong>en Diskussion hat nur<br />

diese ursprüngli<strong>ch</strong>e, radikalliberale Konzeption Bedeutung erlangt; zu den späteren Bedenken<br />

und Relativierungen vgl. R. Nozick, The Examined Life (1989), S. 286 ff.<br />

183


a) Anerkennung persönli<strong>ch</strong>er Integrität (S<strong>ch</strong>utzvereinigungen)<br />

Der erste Begründungss<strong>ch</strong>ritt beginnt mit <strong>der</strong> Hypothese, daß Mens<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> im Naturzustand<br />

zu einfa<strong>ch</strong>en Gemeins<strong>ch</strong>aften zum S<strong>ch</strong>utz ihrer Re<strong>ch</strong>te vor Verletzungen<br />

dur<strong>ch</strong> Dritte zusammens<strong>ch</strong>ließen würden 269 . Diese S<strong>ch</strong>utzvereinigungen können nur<br />

dann einigermaßen effektiv funktionieren, wenn ihre Mitglie<strong>der</strong> auf Privatvergeltung<br />

verzi<strong>ch</strong>ten und au<strong>ch</strong> untereinan<strong>der</strong> keine Selbstjustiz üben 270 . Unter mehreren<br />

S<strong>ch</strong>utzgemeins<strong>ch</strong>aften innerhalb eines geographis<strong>ch</strong>en Berei<strong>ch</strong>s wird si<strong>ch</strong> eine vorherrs<strong>ch</strong>ende<br />

S<strong>ch</strong>utzgemeins<strong>ch</strong>aft herausbilden, <strong>der</strong> zum Territorialstaat allerdings no<strong>ch</strong><br />

das territoriale Gewaltmonopol fehlt, weil die Mitglieds<strong>ch</strong>aft freiwillig bleibt und jede<br />

S<strong>ch</strong>utzleistung von Gegenleistungen des Mitglieds abhängt 271 . Gegenüber Außenseitern<br />

entwickelt si<strong>ch</strong> aber ein faktis<strong>ch</strong>es Gewaltmonopol dadur<strong>ch</strong>, daß die S<strong>ch</strong>utzvereinigung<br />

abwei<strong>ch</strong>endes Verhalten im Interesse eines umfassenden S<strong>ch</strong>utzes für<br />

ihre Mitglie<strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>t zulassen kann 272 . Wegen des allgemeinen Ents<strong>ch</strong>ädigungsgrundsatzes<br />

bei Re<strong>ch</strong>tsbeeinträ<strong>ch</strong>tigung muß sie darum im Gegenzug den Außenseitern unabhängig<br />

von ihrer Mitglieds<strong>ch</strong>aft au<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>utz gewähren, um als Institution weiterhin<br />

moralis<strong>ch</strong> gere<strong>ch</strong>tfertigt (d.h. au<strong>ch</strong>: 'gere<strong>ch</strong>t') zu sein 273 . Damit entsteht <strong>der</strong> legitime<br />

Ultraminimalstaat 274 . Er wird zum Minimalstaat, indem aus entspre<strong>ch</strong>enden Erwägungen<br />

au<strong>ch</strong> die ni<strong>ch</strong>t Beitragsfähigen (z.B. Kleinkin<strong>der</strong>, bestimmte Behin<strong>der</strong>te,<br />

mittellose Alte) als Mitglie<strong>der</strong> aufgenommen und in den S<strong>ch</strong>utz einbezogen werden,<br />

wodur<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong>zeitig eine dur<strong>ch</strong> das gemeinsame S<strong>ch</strong>utzinteresse begrenzte minimale<br />

Umverteilung stattfindet 275 .<br />

b) Anerkennung <strong>der</strong> Güterzuordnung (Anspru<strong>ch</strong>stheorie)<br />

Der zweite Begründungss<strong>ch</strong>ritt knüpft an eine historis<strong>ch</strong>e Vorstellung legitimen<br />

Erwerbs an 276 . Mit Ausnahme <strong>der</strong> erwähnten minimalen Umverteilung im Rahmen<br />

des für umfassenden Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utz Notwendigen gibt es keine legitime Umverteilung<br />

von Besitz. Na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> von Nozick so bezei<strong>ch</strong>neten Anspru<strong>ch</strong>stheorie (entitlement theory) ist<br />

<strong>der</strong> Besitz eines Mens<strong>ch</strong>en genau dann gere<strong>ch</strong>t, wenn für ihn na<strong>ch</strong> den drei Grundsät-<br />

269 R. Nozick, Anar<strong>ch</strong>y, State, and Utopia (1974), S. 12: »How might one deal with these troubles<br />

within a state of nature? ... Groups of individuals may form mutual-protection associations«.<br />

270 R. Nozick, Anar<strong>ch</strong>y, State, and Utopia (1974), S. 15: »The agency need only refuse a client C, who<br />

privately enfoces his rights against other clients, any protection against counterretaliation upon<br />

him by these other clients. ... This reduces intra-agency private enforcement of rights to minuscule<br />

levels.«<br />

271 R. Nozick, Anar<strong>ch</strong>y, State, and Utopia (1974), S. 22 ff.<br />

272 R. Nozick, Anar<strong>ch</strong>y, State, and Utopia (1974), S. 108 ff. (de facto monopoly), sowie bereits S. 101: »[A]<br />

dominant protective association ... may announce, and act on the announcement, that it will punish<br />

anyone who uses on one of its clients a procedure that it finds to be unreliable or unfair.«<br />

273 R. Nozick, Anar<strong>ch</strong>y, State, and Utopia (1974), S. 112: »Thus the dominant protective agency must<br />

supply the independents ... with protective services against its clients«.<br />

274 R. Nozick, Anar<strong>ch</strong>y, State, and Utopia (1974), S. 113: »The protective agency dominant in a territory<br />

does satisfy the two crucial necessary conditions for being a state.«<br />

275 So bereits die Ansätze zur Re<strong>ch</strong>tfertigung einer minimalen Umverteilung bei R. Nozick, Anar<strong>ch</strong>y,<br />

State, and Utopia (1974), S. 26 ff. (minimal vs. ultraminimal state).<br />

276 R. Nozick, Anar<strong>ch</strong>y, State, and Utopia (1974), S. 153 ff. (155): »The entitlement principles of justice<br />

in holdings that we have sket<strong>ch</strong>ed are historical principles of justice.«<br />

184


zen <strong>der</strong> gere<strong>ch</strong>ten Aneignung, Übertragung und Beri<strong>ch</strong>tigung ein Anspru<strong>ch</strong> besteht.<br />

Beri<strong>ch</strong>tigung in diesem Sinne erfaßt aber nur den Ausglei<strong>ch</strong> historis<strong>ch</strong>er Ungere<strong>ch</strong>tigkeiten<br />

bei Aneignung und Übertragung, ni<strong>ch</strong>t aber allgemeine Umverteilung na<strong>ch</strong><br />

Ergebnisvorstellungen (end-state principles), da eine sol<strong>ch</strong>e Umverteilung Re<strong>ch</strong>te verletze,<br />

ohne selbst gere<strong>ch</strong>tfertigt zu sein. In Abgrenzung zu Rawls konkretisiert Nozick seine<br />

Theorie des Besitzes dur<strong>ch</strong> eine Argumentationskette, die beim Anspru<strong>ch</strong> aller Mens<strong>ch</strong>en<br />

auf ihre natürli<strong>ch</strong>en Gaben beginnt, dann folgert, daß si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Anspru<strong>ch</strong> auf alle<br />

aus den Begabungen si<strong>ch</strong> ergebenden Ansprü<strong>ch</strong>e erstrecken muß und hierunter s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong><br />

die Aneignung und <strong>der</strong> Erwerb von Besitz fällt 277 . Demzufolge ist jegli<strong>ch</strong>er Besitz,<br />

mag er au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> so unglei<strong>ch</strong> sein und auf no<strong>ch</strong> so unglei<strong>ch</strong>en Erwerbsfähigkeiten <strong>der</strong><br />

Beteiligten beruhen, gere<strong>ch</strong>t, wenn er nur die Regeln gere<strong>ch</strong>ter Aneignung und Übertragung<br />

ni<strong>ch</strong>t verletzt.<br />

c) Moralis<strong>ch</strong>er Gehalt <strong>der</strong> Theorie<br />

Eine Reihe von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien, die praktis<strong>ch</strong>e Ri<strong>ch</strong>tigkeit mit rationaler Ents<strong>ch</strong>eidung<br />

identifizieren und insofern Kandidaten für 'Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien <strong>der</strong><br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' im Sinne <strong>der</strong> Definition D 4RC sind, fallen dadur<strong>ch</strong> auf, daß sie außer<br />

den Vorteilserwägungen au<strong>ch</strong> moralis<strong>ch</strong>e Gehalte aufweisen, weil sie ni<strong>ch</strong>t vollständig<br />

an <strong>der</strong> Perspektive des egoistis<strong>ch</strong>en Nutzenmaximierers orientiert sind. Zu diesen<br />

gehört au<strong>ch</strong> die Theorie Nozicks. Denn in den Ents<strong>ch</strong>eidungserwägungen greift<br />

die Theorie unter an<strong>der</strong>em auf die Konzeption vorpositver Re<strong>ch</strong>te bei Locke zurück.<br />

Damit stellt si<strong>ch</strong> die Frage, ob die Theorie trotz dieses moralis<strong>ch</strong>en Gehalts no<strong>ch</strong> als<br />

Ents<strong>ch</strong>eidungstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Sinne von D 4RC qualifiziert werden kann.<br />

Die Antwort hängt davon ab, ob Nozick <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen genau dann für ri<strong>ch</strong>tig<br />

hält, wenn sie das Ergebnis eines rationalen Ents<strong>ch</strong>eidungsverfahrens sein können,<br />

o<strong>der</strong> ob na<strong>ch</strong> seiner Theorie no<strong>ch</strong> an<strong>der</strong>e (moralis<strong>ch</strong>e) Kriterien eine Rolle spielen.<br />

Da Nozick si<strong>ch</strong> selbst ni<strong>ch</strong>t ausdrückli<strong>ch</strong> zu dieser Frage äußert, kommt es auf eine Interpretation<br />

seiner Theorie an, die bezügli<strong>ch</strong> des Verhältnisses von moralis<strong>ch</strong>en zu<br />

rationalistis<strong>ch</strong>en Elementen innerhalb des Begründungskonzeptes mehrere Deutungen<br />

zuläßt.<br />

Der moralis<strong>ch</strong>e Gehalt liegt in <strong>der</strong> Bezugnahme auf die Lockes<strong>ch</strong>e Provisio und <strong>der</strong><br />

damit verbundenen Annahme vorpositiver Re<strong>ch</strong>te 278 . Die Lockes<strong>ch</strong>e Provisio besagt,<br />

daß bei je<strong>der</strong> originären Aneignung no<strong>ch</strong> »genug und genauso Gutes für an<strong>der</strong>e übrig<br />

sein muß« 279 , was von Nozick als allgemeines S<strong>ch</strong>ädigungsverbot interpretiert<br />

wird 280 . Von <strong>der</strong> Pfli<strong>ch</strong>t, an<strong>der</strong>e ni<strong>ch</strong>t zu s<strong>ch</strong>ädigen, bis zu dem Re<strong>ch</strong>t an<strong>der</strong>er, ni<strong>ch</strong>t<br />

ges<strong>ch</strong>ädigt zu werden, ist es dann nur no<strong>ch</strong> ein kleiner S<strong>ch</strong>ritt, in dem Nozick si<strong>ch</strong><br />

Locke ans<strong>ch</strong>ließt, wodur<strong>ch</strong> er letztli<strong>ch</strong> zu seiner Anspru<strong>ch</strong>stheorie gelangt.<br />

Die Lockes<strong>ch</strong>e Provisio wird von Nozick in zwei Auslegungsvarianten präsentiert,<br />

einer strengen und einer abges<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>ten 281 . In <strong>der</strong> strengen Interpretation bezieht<br />

277 R. Nozick, Anar<strong>ch</strong>y, State, and Utopia (1974), S. 206 ff.<br />

278 R. Nozick, Anar<strong>ch</strong>y, State, and Utopia (1974), S. 174 ff.<br />

279 J. Locke, Two Treatises of Government (1698), II § 33: »enough, and as good left«.<br />

280 R. Nozick, Anar<strong>ch</strong>y, State, and Utopia (1974), S. 175.<br />

281 Nozick spri<strong>ch</strong>t von einer Interpretation als 'stringent requirement' und einer sol<strong>ch</strong>en als 'weak requirement';<br />

R. Nozick, Anar<strong>ch</strong>y, State, and Utopia (1974), S. 176.<br />

185


si<strong>ch</strong> das Beeinträ<strong>ch</strong>tigungsverbot sowohl auf die gegenwärtige als au<strong>ch</strong> auf mögli<strong>ch</strong>e<br />

zukünftige Güternutzungen dur<strong>ch</strong> an<strong>der</strong>e. Eine Aneignung verletzt Re<strong>ch</strong>te an<strong>der</strong>er<br />

s<strong>ch</strong>on dann, wenn ni<strong>ch</strong>t eine unbegrenzte Fülle an Gütern jedem von ihnen au<strong>ch</strong> zukünftig<br />

glei<strong>ch</strong>e Aneignungsmögli<strong>ch</strong>keiten offenhält. In <strong>der</strong> abges<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>ten Interpretation<br />

bezieht si<strong>ch</strong> das Beeinträ<strong>ch</strong>tigungsverbot dagegen nur auf die reale Güternutzung.<br />

Eine Aneignung verletzt die Re<strong>ch</strong>te an<strong>der</strong>er nur, wenn diesen dadur<strong>ch</strong> Güter,<br />

die sie bisher bereits genutzt haben, ni<strong>ch</strong>t mehr zur Verfügung stehen. Nur in<br />

dem abges<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>ten Sinn läßt Nozick die Lockes<strong>ch</strong>e Provisio gelten 282 . Sein S<strong>ch</strong>ädigungsverbot<br />

ist also nur ein Ingerenzverbot, das die Integrität <strong>der</strong> real bestehenden<br />

Güter an<strong>der</strong>er s<strong>ch</strong>ützt, ni<strong>ch</strong>t dagegen ein Verbot mittelbarer Beeinträ<strong>ch</strong>tigungen<br />

dur<strong>ch</strong> die allgegenwärtige Konkurrenz um begrenzte Ressourcen.<br />

In diesem abges<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>ten Sinn kommen au<strong>ch</strong> die 'Re<strong>ch</strong>te' in Nozicks Anspru<strong>ch</strong>stheorie<br />

zur Geltung. Re<strong>ch</strong>te, die bei strenger Interpretation au<strong>ch</strong> positiv als Re<strong>ch</strong>te<br />

auf etwas bestehen könnten (z.B. eine neue, an<strong>der</strong>e Güterverteilung), sind bei Nozicks<br />

s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>er Interpretation des S<strong>ch</strong>ädigungsverbots ledigli<strong>ch</strong> Re<strong>ch</strong>te gegen Eingriffe in<br />

den Bestand. Nozick überträgt also nur den Integritätss<strong>ch</strong>utz, <strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Integrität<br />

<strong>der</strong> Person (Leib, Leben) dur<strong>ch</strong> den Minimalstaat gesi<strong>ch</strong>ert wird, auf die Integrität<br />

von Sa<strong>ch</strong>gütern im Rahmen <strong>der</strong> Anspru<strong>ch</strong>stheorie. Damit bleibt die Lockes<strong>ch</strong>e Provisio<br />

bei Nozick bloßes Darstellungsmittel, ist aber für die Begründung funktionslos:<br />

Begründet sind Sa<strong>ch</strong>ansprü<strong>ch</strong>e nämli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on deshalb, weil die Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

S<strong>ch</strong>utzgemeins<strong>ch</strong>aft die Sa<strong>ch</strong>güter einbringen, so daß diese automatis<strong>ch</strong> zur Gesamtheit<br />

<strong>der</strong> Güter gehören, <strong>der</strong>en Integrität dur<strong>ch</strong> den Minimalstaat ges<strong>ch</strong>ützt wird. Das<br />

ist eine reine Vorteilsüberlegung egoistis<strong>ch</strong>er Nutzenmaximierer, bei <strong>der</strong> es für jeden<br />

einzelnen besser ist, das zu si<strong>ch</strong>ern, was er hat, als in <strong>der</strong> ständigen Unsi<strong>ch</strong>erheit einer<br />

s<strong>ch</strong>utzlosen Güterzuordnung zu leben. Der Minimalstaat ist kein Umverteilungsorganisator,<br />

<strong>der</strong> kritis<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit <strong>der</strong> Zuordnung fragt, son<strong>der</strong>n ein<br />

bloßer S<strong>ch</strong>utzstaat, in dem jeweils das ges<strong>ch</strong>ützt ist, was seine Mitglie<strong>der</strong> als Güterbestand<br />

eingebra<strong>ch</strong>t haben. Für die S<strong>ch</strong>utzgemeins<strong>ch</strong>aftsargumentation muß Nozick<br />

die Lockes<strong>ch</strong>e Provisio und ihren moralis<strong>ch</strong>en Gehalt vorpositiver Re<strong>ch</strong>te also überhaupt<br />

ni<strong>ch</strong>t aktivieren. Es sind ni<strong>ch</strong>t die Re<strong>ch</strong>te, die den Staat gebieten, son<strong>der</strong>n die<br />

Vorteilhaftigkeit des Staates, <strong>der</strong> im Ergebnis zur Anerkennung von Re<strong>ch</strong>ten führt.<br />

Daß die sol<strong>ch</strong>ermaßen anerkannten Re<strong>ch</strong>te na<strong>ch</strong> Nozicks Auffassung s<strong>ch</strong>on als vorpositive<br />

angelegt sind, ist keine notwendige Voraussetzung für ihre rationale Begründung.<br />

Bei <strong>der</strong> Qualifizierung <strong>der</strong> Theorie Nozicks als Ents<strong>ch</strong>eidungstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

ist deshalb folgende Interpretation am naheliegendsten: Der Minimalstaat<br />

eins<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> in ihm ges<strong>ch</strong>ützten Güterzuordnung ist allein auf Vorteilserwägungen<br />

gegründet. Die Lockes<strong>ch</strong>e Provisio, die Nozick zur Orientierung heranzieht,<br />

wirkt si<strong>ch</strong> in seinem Sozialvertragsmodell ni<strong>ch</strong>t als Begründungselement aus.<br />

Es handelt si<strong>ch</strong> um eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens.<br />

3. Theorie <strong>der</strong> Moral dur<strong>ch</strong> Vereinbarung (D.P. Gauthier)<br />

Gauthiers <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie geht in <strong>der</strong> Einbeziehung moralis<strong>ch</strong>er Elemente weiter<br />

als diejenige Nozicks. Sie enthält den wohl umfassendsten Entwurf einer argu-<br />

282 R. Nozick, Anar<strong>ch</strong>y, State, and Utopia (1974), S. 178 ff.<br />

186


mentativen Erstreckung <strong>der</strong> (analytis<strong>ch</strong>en 283 ) Theorie rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens auf eine<br />

(normative) <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie in <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie 284 . Ihre Grundthese<br />

lautet, daß Moralität vollständig als rationale Ents<strong>ch</strong>eidung darstellbar ist 285 .<br />

Die wi<strong>ch</strong>tigsten Instrumente <strong>der</strong> Theorie sind die 'Lockes<strong>ch</strong>e Provisio' (a) und das<br />

Konzept <strong>der</strong> 'minimax relativen Konzession' (b).<br />

a) Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt und Lockes<strong>ch</strong>e Provisio<br />

In Gauthiers Theorie gestaltet si<strong>ch</strong> gegenseitige Drohung – wie bei Lucas und Selten 286<br />

– als rein hypothetis<strong>ch</strong> und hat keinerlei Einfluß auf den Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt 287 .<br />

Diese Aussage ri<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> vor allem gegen Bu<strong>ch</strong>anans Theorie, na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> die natürli<strong>ch</strong>e<br />

Güterverteilung ni<strong>ch</strong>t nur darin besteht, was je<strong>der</strong> ohne Einfluß <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en haben<br />

würde, son<strong>der</strong>n vielmehr korrigiert wird um dasjenige, was si<strong>ch</strong> die Parteien gegenseitig<br />

dur<strong>ch</strong> Drohung abpressen könnten: Der S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>ere wird gezwungen, willentli<strong>ch</strong><br />

etwas von seinen Gütern abzugeben, nur weil er s<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>er ist 288 . Demgegenüber<br />

soll <strong>der</strong> Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt laut Gauthier dur<strong>ch</strong> das Bestreben <strong>der</strong> Parteien<br />

definiert sein, unabhängig voneinan<strong>der</strong> so gut wie mögli<strong>ch</strong> abzus<strong>ch</strong>neiden, ohne aber<br />

dem jeweils an<strong>der</strong>en zu drohen. Diese Position wird au<strong>ch</strong> als Si<strong>ch</strong>erheitsstufe (security<br />

level) bezei<strong>ch</strong>net 289 . Relativ zur Si<strong>ch</strong>erheitsstufe sind dann Kooperationsgewinne<br />

glei<strong>ch</strong>mäßig zwis<strong>ch</strong>en den Parteien zu verteilen. Gere<strong>ch</strong>t ist dana<strong>ch</strong> das Ergebnis, das<br />

deshalb Ausdruck einer rationalen Ents<strong>ch</strong>eidung ist, weil es den relativ zu einer<br />

Grundposition <strong>der</strong> Ni<strong>ch</strong>tkooperation (Si<strong>ch</strong>erheitsstufe) entstehenden Gewinn glei<strong>ch</strong>mäßig<br />

auf die Parteien verteilt.<br />

Gauthier entwickelt seine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie zu einer Sozialvertragstheorie<br />

weiter, in <strong>der</strong> die Re<strong>ch</strong>tfertigung des Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkts deutli<strong>ch</strong>er wird. Ausgangspunkt<br />

<strong>der</strong> Theorie ist die oben als Si<strong>ch</strong>erheitsstufe bezei<strong>ch</strong>nete Situation <strong>der</strong><br />

Ni<strong>ch</strong>tdrohung. Gauthier argumentiert, daß es für Beteiligte an Kooperationen und<br />

Vertragss<strong>ch</strong>lüssen nur dann rational ist, si<strong>ch</strong> an die Vereinbarungen zu halten, wenn<br />

283 <strong>Theorien</strong> rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens sind zunä<strong>ch</strong>st analytis<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong>, d.h. sie betreffen die logis<strong>ch</strong>e<br />

Wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong>sfreiheit von Ents<strong>ch</strong>eidungen gemessen an den Parametern, die <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidung<br />

zugrundegelegt werden. Der gedankli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>ritt, mit dem diese (analytis<strong>ch</strong>) als rational erkannten<br />

Ents<strong>ch</strong>eidungen dann au<strong>ch</strong> (normativ) als gesollt angesehen werden, ist davon zu unters<strong>ch</strong>eiden.<br />

Dieser Unters<strong>ch</strong>ied wird indes nur selten ausdrückli<strong>ch</strong> betont. Erwähnung findet die<br />

Folge <strong>der</strong> Normativität etwa bei R. Nozick, Nature of Rationality (1993), S. 41: »[The] theory of rational<br />

decision ... stands as the dominant view of the conditions that a rational decision should satisfy:<br />

it is the dominant normative view.«<br />

284 Zur Normativität <strong>der</strong> entstehenden Theorie siehe D. Gauthier, Morals by Agreement (1986), S. 2:<br />

»We shall develop a theory of morals. Our concern is to provide a justificatory framework for moral<br />

behaviour and principles, not an explanatory framework. Thus we shall develop a normative<br />

theory.«<br />

285 D. Gauthier, Morals by Agreement (1986), S. 2 ff. (4): »To <strong>ch</strong>oose rationally, one must <strong>ch</strong>oose morally.«<br />

286 Dazu oben S. 175 (Selten) sowie S. 179 (Lucas).<br />

287 D. Gauthier, Morals by Agreement (1986), S. 200.<br />

288 Ausführli<strong>ch</strong> zur Kritik D. Gauthier, Morals by Agreement (1986), S. 196.<br />

289 B. Barry, Theories of Justice, S. 67 ff.<br />

187


die Ausgangsposition ni<strong>ch</strong>t erzwungen war 290 . S<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>te Ni<strong>ch</strong>tkooperation drückt<br />

si<strong>ch</strong>, ähnli<strong>ch</strong> wie bei Nozick, in <strong>der</strong> Lockes<strong>ch</strong>en Provisio (Lockean provisio) aus, na<strong>ch</strong><br />

<strong>der</strong> bei je<strong>der</strong> Verteilung »genug und genauso Gutes für an<strong>der</strong>e übrig sein muß« 291 .<br />

Na<strong>ch</strong> Gauthier bedeutet dies, wie<strong>der</strong>um ähnli<strong>ch</strong> wie bei Nozick, daß es verboten ist,<br />

die eigene Situation dur<strong>ch</strong> eine Interaktion zu verbessern, dur<strong>ch</strong> die si<strong>ch</strong> die Situation<br />

an<strong>der</strong>er vers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tert 292 . Verbesserung und Vers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terung beurteilt si<strong>ch</strong> dana<strong>ch</strong>,<br />

ob das Handeln conditio sine qua non des Ergebnisses ist, also na<strong>ch</strong> einer s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>ten<br />

Äquivalenzformel 293 . So ist es etwa verboten, die Frü<strong>ch</strong>te <strong>der</strong> Arbeit eines an<strong>der</strong>en<br />

wegzunehmen, außer dieser wollte sie ohnehin ni<strong>ch</strong>t nutzen o<strong>der</strong> wird voll ents<strong>ch</strong>ädigt<br />

294 . Natürli<strong>ch</strong>e Gaben (körperli<strong>ch</strong>e und geistige Fähigkeiten) 295 sollen dadur<strong>ch</strong><br />

genauso ges<strong>ch</strong>ützt sein wie Errungens<strong>ch</strong>aften, so daß si<strong>ch</strong> die Bestimmung als<br />

Grundlage eines Systems individueller Re<strong>ch</strong>te und Pfli<strong>ch</strong>ten (Freiheit und Eigentum)<br />

versteht 296 . Allerdings betont Gauthier, insoweit an<strong>der</strong>s als Nozick, daß diese Re<strong>ch</strong>te<br />

ni<strong>ch</strong>t das Ergebnis einer (sozialvertragli<strong>ch</strong>en) Vereinbarung sind, son<strong>der</strong>n vielmehr<br />

die Voraussetzung dafür, daß überhaupt rationale Vereinbarungen getroffen werden<br />

können 297 . Dur<strong>ch</strong> die Lockes<strong>ch</strong>e Provisio und die in ihr vorgegebenen Re<strong>ch</strong>te soll ein<br />

mögli<strong>ch</strong>es Szenario maximaler Drohung, wie es Braithwaite und Bu<strong>ch</strong>anan benutzen,<br />

bei Gauthier für die Bestimmung des Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkts ausges<strong>ch</strong>lossen sein. Die<br />

Lockes<strong>ch</strong>e Provisio markiert dabei ni<strong>ch</strong>t nur die minimal gefor<strong>der</strong>te, son<strong>der</strong>n glei<strong>ch</strong>zeitig<br />

die maximal zu for<strong>der</strong>nde Freiheitsbes<strong>ch</strong>ränkung, da alle weitergehenden, auf<br />

Glei<strong>ch</strong>heit o<strong>der</strong> Kooperationspfli<strong>ch</strong>ten beda<strong>ch</strong>ten Handlungsanweisungen (insbe-<br />

290 Vgl. D. Gauthier, Morals by Agreement (1986), S. 192.<br />

291 Mit dem Ausdruck 'Lockean provisio' (»enough, and as good left« for others) knüpft Gauthier an<br />

Locke und an die Interpretation von Locke bei Nozick an; siehe D. Gauthier, Morals by Agreement<br />

(1986), S. 192, Fn. 1; dazu R. Nozick, Anar<strong>ch</strong>y, State, and Utopia (1974), S. 178-182; zum Ganzen bereits<br />

oben S. 84 ff. (abs<strong>ch</strong>ließendes S<strong>ch</strong>ema <strong>der</strong> Grundpositionen und die Frage na<strong>ch</strong> einer 'lockeanis<strong>ch</strong>en<br />

Grundposition').<br />

292 D. Gauthier, Morals by Agreement (1986), S. 205.<br />

293 D. Gauthier, Morals by Agreement (1986), S. 204.<br />

294 D. Gauthier, Morals by Agreement (1986), S. 207, 211.<br />

295 'Basic endowments', vgl. D. Gauthier, Morals by Agreement (1986), S. 210.<br />

296 D. Gauthier, Morals by Agreement (1986), S. 227: »As we have seen, interaction constrained by the<br />

provisio generates a set of rights for ea<strong>ch</strong> person, whi<strong>ch</strong> he brings to the bargaining table of society<br />

as his initial endowment.«<br />

297 Vgl. zu diesem zentralen Punkt <strong>der</strong> Theorie D. Gauthier, Morals by Agreement (1986), S. 221 ff.<br />

(222): »[T]he emergence of either co-operative or market interaction ... demands an initial definition<br />

of the actors in terms of their factor endowments, and we have identified individual rights<br />

with these endowments. Rights provide the starting point for, and not the outcome of, agreement.<br />

... We must however recognize that these rights are not inherent in human nature. In defining persons<br />

for market competition and for co-operation, they assert the moral priority of the individual<br />

to society and its institutions. ... It is only [the] prospect of mutual advantage that brings rights<br />

into play, as constraints on ea<strong>ch</strong> person's behaviour. It is that prospect whi<strong>ch</strong> enables rights to coexist<br />

with the assumption of mutual unconcern. The moral claims that ea<strong>ch</strong> of us makes on others,<br />

and that are expressed in our rights, depend, neither on our affections for ea<strong>ch</strong> other, nor on our<br />

rational or purposive capacities, as if these commanded inherent respect, but on our actual or potential<br />

partnership in activities that bring mutual benefit.«<br />

188


son<strong>der</strong>e die Umverteilung von Gütern 298 ) für eine unparteiis<strong>ch</strong>e und faire Bes<strong>ch</strong>ränkung<br />

von Interaktion unnötig und deshalb rational ni<strong>ch</strong>t begründbar seien 299 .<br />

b) <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als minimax relative Konzession (D 1G )<br />

Wenn mit <strong>der</strong> Lockes<strong>ch</strong>en Provisio die Freiheit und das Eigentum als individuelle<br />

Re<strong>ch</strong>te begründet werden, so ist damit na<strong>ch</strong> Gauthier zwar eine notwendige, ni<strong>ch</strong>t<br />

aber eine hinrei<strong>ch</strong>ende Bedingung moralis<strong>ch</strong>en Verhaltens errei<strong>ch</strong>t 300 . Will man das<br />

Gemeinwesen moralis<strong>ch</strong> gestalten, so müssen alle Beteiligte in ihren kooperativen<br />

Praktiken zusätzli<strong>ch</strong> auf ein 'vollständig kooperatives' (fully co-operative) Verhalten<br />

bes<strong>ch</strong>ränkt werden. Vollständig kooperativ geht es aber erst zu, wenn alle verhaltensbedingten<br />

Kosten internalisiert sind, statt als unkompensierte Kosten an<strong>der</strong>en<br />

aufgebürdet zu werden. Gauthier illustriert das am Beispiel <strong>der</strong> Abfallentsorgung,<br />

die au<strong>ch</strong> dann unmoralis<strong>ch</strong> sein könne, wenn sie Freiheit und Eigentum an<strong>der</strong>er<br />

ni<strong>ch</strong>t verletze 301 . Vollständige Kooperation ist also mehr als die Anerkennung von<br />

Freiheit und Eigentum. Sie führt ein grundlegendes Element materieller Glei<strong>ch</strong>verteilung<br />

von Lasten und Gütern ein. Na<strong>ch</strong> Gauthier folgt die rationale Notwendigkeit<br />

einer sol<strong>ch</strong>en Selbstbes<strong>ch</strong>ränkung daraus, daß die vollständig kooperative Gesells<strong>ch</strong>aft<br />

insgesamt vorteilhaft ist und ihre Mitglie<strong>der</strong> glei<strong>ch</strong> vernünftig sind (Bedingung<br />

glei<strong>ch</strong>er Rationalität), so daß sie glei<strong>ch</strong>ermaßen von dem Kooperationsvorteil<br />

profitieren müssen 302 . Vollständige Kooperation sei außerdem mens<strong>ch</strong>engere<strong>ch</strong>t,<br />

denn sie führe zur vollständigen Integration des Individuums in die Gesells<strong>ch</strong>aft 303 .<br />

Die dafür rational notwendige Selbstbes<strong>ch</strong>ränkung identifiziert Gauthier mit <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

304 und mit <strong>der</strong> Moral insgesamt 305 . Will man dieses Rationalitätsgebot <strong>der</strong> Ge-<br />

298 Ausdrückli<strong>ch</strong> gegen Umverteilungselemente D. Gauthier, Morals by Agreement (1986), S. 225: »Interactions<br />

based on displaced costs would be redistributive, and redistribution cannot be part of a<br />

rational system of co-operation.«<br />

299 Vgl. dazu die Aussagen über 'free rides' und 'parasitism' bei D. Gauthier, Morals by Agreement<br />

(1986), S. 217 ff. (219).<br />

300 Vgl. D. Gauthier, Morals by Agreement (1986), S. 222 f.<br />

301 Vgl. D. Gauthier, Morals by Agreement (1986), S. 225: »Disposal of wastes ... ignoring all effects on<br />

others ... violates the requirement, fundamental to rational co-operation, of mutual benefit proportionate<br />

to contribution. If interaction is to be fully co-operative, it must proceed from an initial position<br />

in whi<strong>ch</strong> costs are internalized, and so in whi<strong>ch</strong> no person has the right to impose uncompensated<br />

costs on another.«<br />

302 Vgl. D. Gauthier, Morals by Agreement (1986), S. 225 ff. – die Pfli<strong>ch</strong>t zur Einlassung auf eine vollständig<br />

kooperative Gesells<strong>ch</strong>aft wird so behandelt, wie die (von Trittbrettfahrern verletzte)<br />

Pfli<strong>ch</strong>t, selbst die Regeln einzuhalten, <strong>der</strong>en Einhaltung von allen an<strong>der</strong>en erwartet wird. Außerdem<br />

ebd., S. 143: »Condition (iii) [Willingness to concede] expresses the equal rationality of the<br />

bargainers.«<br />

303 D. Gauthier, Morals by Agreement (1986), S. 225.<br />

304 D. Gauthier, Morals by Agreement (1986), S. 232: »Justice has been silent throught our long discussion<br />

of the internal rationality of co-operation. But as we shall now show, justice and reason coincide<br />

in a single ideal of co-operative interaction. The principle of minimax relative concession<br />

serves not only as the basis for rational agreement, but also as the ground of an impartial constraint<br />

on ea<strong>ch</strong> person's behaviour. And justice is the disposition to abide by this constraint.«<br />

189


e<strong>ch</strong>tigkeit in eine Regel kleiden, so gilt, daß je<strong>der</strong> Einzelne in seinem Handeln na<strong>ch</strong><br />

dem Erfor<strong>der</strong>nis minimax relativer Konzession (minimax relative concession) bes<strong>ch</strong>ränkt<br />

ist 306 . Diese Regel bezieht si<strong>ch</strong> auf das Verhandlungsmodell, bei dem die<br />

Parteien – an<strong>der</strong>s als bei Harsanyi 307 – von jeweils einer einzigen anfängli<strong>ch</strong>en Maximalfor<strong>der</strong>ungen<br />

ausgehen und dann dur<strong>ch</strong> forts<strong>ch</strong>reitende we<strong>ch</strong>selseitige Zugeständnisse<br />

zu einem Einigungspunkt gelangen 308 . Minimax relative Konzession ist in<br />

<strong>der</strong> Welt rational mögli<strong>ch</strong>er Ents<strong>ch</strong>eidungen (outcome-space 309 ) dasjenige Zugeständnis,<br />

das beide Seiten innerhalb einer maximierten Zugeständnisbereits<strong>ch</strong>aft (willingness<br />

to concede, maximum concession) mindestens gewähren müssen (minimax 310 ), weil<br />

es angesi<strong>ch</strong>ts seines Gewi<strong>ch</strong>ts im Verhältnis zum anteiligen Kooperationsgewinn (relative<br />

magnitude of a concession 311 ) no<strong>ch</strong> von rationalen Personen erwartet werden<br />

darf 312 . Die minimax relative Konzession stellt umgekehrt glei<strong>ch</strong>zeitig einen maximin<br />

relativen Gewinn (maximin relative benefit) dar, glei<strong>ch</strong>sam als positives Gegenstück<br />

<strong>der</strong> negativ formulierten Selbstbes<strong>ch</strong>ränkung 313 . Diese – no<strong>ch</strong> am Beispiel zu<br />

erläuternde – Verteilungsregel <strong>der</strong> rationalen Ents<strong>ch</strong>eidung führt zu einem spezifis<strong>ch</strong>en<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff <strong>der</strong> Theorie Gauthiers:<br />

305 D. Gauthier, Morals by Agreement (1986), S. 232: »We do claim that justice, the disposition not to<br />

take advantage of one's fellows, is the virtue appropriate to co-operation, voluntarily accepted by<br />

equally rational persons. Morals arise in and from the rational agreement of equals.«<br />

306 D. Gauthier, Morals by Agreement (1986), S. 223-227 (223): »[E]a<strong>ch</strong> is constrained by the requirement<br />

of minimax relative concession, within co-operative institutions and practices.«<br />

307 Zum materiellen Unters<strong>ch</strong>ied dieser Zugeständnisannäherung, die mit je einer einzigen Maximalfor<strong>der</strong>ung<br />

beginnt, von dem Modell Harsanyis, das mit einer Serie von immer neuen For<strong>der</strong>ungen<br />

und Zugeständnissen arbeitet, siehe ausführli<strong>ch</strong> D. Gauthier, Morals by Agreement (1986), S. 146<br />

ff. (149 f.).<br />

308 D. Gauthier, Morals by Agreement (1986), S. 133.<br />

309 Bes<strong>ch</strong>ränkungen <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidungswelt kommen beispielsweise dadur<strong>ch</strong> zustande, daß niemand<br />

rational erwarten kann, am alleinigen kooperativen Gewinn an<strong>der</strong>er teilzuhaben o<strong>der</strong> mehr zu<br />

bekommen, als insgesamt dur<strong>ch</strong> Kooperation erzielt wird; D. Gauthier, Morals by Agreement<br />

(1986), S. 133 f.<br />

310 Das Minimaxprinzip besagt minimum-maximum (minimum maximorum), d.h. Minimierung innerhalb<br />

einer Maximierung (das Kleinste unter den Großen); das Maximinprinzip besagt maximum-minimum<br />

(maximum minimorum), o<strong>der</strong>: Maximierung innerhalb einer Minimierung (das<br />

Größte unter den Kleinen). Vgl. dazu J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 26, S. 154; D. Gauthier,<br />

Morals by Agreement (1986), S. 155.<br />

311 Gauthier arbeitet mit relativen Gewi<strong>ch</strong>ten <strong>der</strong> Zugeständnisse, weil sie sonst inkommensurabel wären.<br />

Solange si<strong>ch</strong> das Gewi<strong>ch</strong>t eines Zugeständnisses als Verhältnis seiner absoluten Größe zur<br />

absoluten Größe des Kooperationsanteils ausdrückt, also als Wert zwis<strong>ch</strong>en 0 (kein Zugeständnis)<br />

und 1 (volles Zugeständnis: Verzi<strong>ch</strong>t auf den gesamten Kooperationsgewinn), sind die Zugeständnisse<br />

unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er Personen verglei<strong>ch</strong>bar. Dazu D. Gauthier, Morals by Agreement<br />

(1986), S. 142 und insbeson<strong>der</strong>e S. 136: »Relative concession is independent of the <strong>ch</strong>oice of utility<br />

scale. Ea<strong>ch</strong> person's relative concessions are fixed no matter how we <strong>ch</strong>oose to measure his utilities.<br />

[N]o concession is always 0, ... full concession is always 1. ... Thus we have a measure of relative<br />

concession ... without introducing any interpersonal comparison of utility«.<br />

312 Vgl. D. Gauthier, Morals by Agreement (1986), S. 139 f.: »[T]he principle of minimax relative concession<br />

is in fact a principle of minimum equal relative concessions ... it [generally] requires the<br />

smallest equal concession, measured relatively, from the bargainers.«<br />

313 D. Gauthier, Morals by Agreement (1986), S. 155.<br />

190


D 1G :<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Sinne des Prinzips minimax relativer<br />

Konzession ist die Ri<strong>ch</strong>tigkeit und Pfli<strong>ch</strong>tigkeit desjenigen<br />

sozial- und glei<strong>ch</strong>heitsbezogenen Handelns, auf das<br />

si<strong>ch</strong> egoistis<strong>ch</strong>e Nutzenmaximierer einigen würden,<br />

wenn sie si<strong>ch</strong> gegenseitig die mindestens erfor<strong>der</strong>li<strong>ch</strong>en<br />

relativen Zugeständnisse ma<strong>ch</strong>ten.<br />

Anhand eines von Gauthier selbst benutzten Beispiels zur Verteilung von Kooperationsgewinnen<br />

wird deutli<strong>ch</strong>, was mit dem Prinzip <strong>der</strong> minimax relativen Konzession<br />

gemeint ist 314 : A und E haben die Gelegenheit, dur<strong>ch</strong> Kooperation einen Gewinn zu<br />

realisieren, den sie ohne Zusammenarbeit in Ermangelung von Kooperationsalternativen<br />

ni<strong>ch</strong>t hätten (Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt; bei Gauthier: 'initial bargaining position').<br />

Aus <strong>der</strong> Kooperation würde die A na<strong>ch</strong> Abzug sämtli<strong>ch</strong>er Kosten des E netto $500<br />

erwirts<strong>ch</strong>aften. E würde na<strong>ch</strong> Abzug sämtli<strong>ch</strong>er Kosten <strong>der</strong> A dagegen nur $50 erhalten.<br />

Beide For<strong>der</strong>ungen zusammen ($550) sind ni<strong>ch</strong>t erfüllbar (claim point). Setzt<br />

man voraus, daß <strong>der</strong> Nutzen von A und E proportional zu den Geldbeträgen wä<strong>ch</strong>st<br />

und außerdem eine glei<strong>ch</strong>mäßige Kurve von mögli<strong>ch</strong>en optimalen Ergebnissen besteht<br />

(optimal outcomes curve), so läßt si<strong>ch</strong> zeigen, daß bei minimax relativer Konzession<br />

A und E jeweils auf knapp 30% ihrer Maximalfor<strong>der</strong>ung verzi<strong>ch</strong>ten müßten, um<br />

dann eine Gewinnteilung von $353 für A und $35 für E zu vereinbaren (outcome of<br />

bargaining; $353+$35=$388 liegt auf <strong>der</strong> optimal outcomes curve 315 ). Jedes an<strong>der</strong>e Ergebnis<br />

wäre ni<strong>ch</strong>t optimal o<strong>der</strong> würde entwe<strong>der</strong> von A o<strong>der</strong> von E eine größere als<br />

die relative Konzession verlangen.<br />

c) Moralis<strong>ch</strong>er Gehalt <strong>der</strong> Theorie<br />

Die Theorie Gauthiers nimmt, ähnli<strong>ch</strong> <strong>der</strong>jenigen Nozicks, ihre Ents<strong>ch</strong>eidungserwägungen<br />

auf <strong>der</strong> Grundlage vorausgesetzter Re<strong>ch</strong>te vor (Lockes<strong>ch</strong>e Provisio). Das unters<strong>ch</strong>eidet<br />

sie von 'reinen' Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien wie <strong>der</strong> Bu<strong>ch</strong>anans und führt zu<br />

<strong>der</strong> Frage, ob si<strong>ch</strong> Gauthiers Theorie trotz ihres moralis<strong>ch</strong>en Gehalts überhaupt no<strong>ch</strong><br />

als Ents<strong>ch</strong>eidungstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> qualifizieren läßt.<br />

Mit <strong>der</strong> Voraussetzung <strong>der</strong> Lockes<strong>ch</strong>en Provisio, die zu einer vorpolitis<strong>ch</strong>en Ausstattung<br />

mit Re<strong>ch</strong>ten führt 316 , gerät ein moralis<strong>ch</strong>es Element in die Theorie. Dieses<br />

müßte in einer reinen Theorie rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens selbst wie<strong>der</strong> dur<strong>ch</strong> Erwägungen<br />

rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens begründet werden. Zwar stellt Gauthier heraus, es<br />

handle si<strong>ch</strong> um eine notwendige Voraussetzung für rationales Ents<strong>ch</strong>eiden – führt mithin<br />

ein transzendental-rationales Argument an 317 . Do<strong>ch</strong> ist dies zunä<strong>ch</strong>st nur eine<br />

unbelegte Gegenthese zu <strong>der</strong> ebenso plausiblen Aussage Bu<strong>ch</strong>anans, daß erst in einem<br />

re<strong>ch</strong>tsfreien hypothetis<strong>ch</strong>en Drohspiel ein natürli<strong>ch</strong>er Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>tszustand gefunden<br />

werden könne, <strong>der</strong> als Ausgangspunkt für eine rationale Bere<strong>ch</strong>nung <strong>der</strong> jeweiligen<br />

Kooperationsvorteile erfor<strong>der</strong>li<strong>ch</strong> sei. Denn warum sollte ni<strong>ch</strong>t (mit Bu<strong>ch</strong>a-<br />

314 Vgl. das entspre<strong>ch</strong>ende Beispiel bei D. Gauthier, Morals by Agreement (1986), S. 137 ff.<br />

315 Dur<strong>ch</strong> eine Grafik näher erläutert bei D. Gauthier, Morals by Agreement (1986), S. 139.<br />

316 Dazu oben S. 84 ff. (abs<strong>ch</strong>ließendes S<strong>ch</strong>ema <strong>der</strong> Grundpositionen und die Frage na<strong>ch</strong> einer 'lockeanis<strong>ch</strong>en<br />

Grundposition').<br />

317 Vgl. unten S. 225 ff. (transzendentale Argumente).<br />

191


nan) eine Gruppe von 'Starken' ein rationales Interesse daran haben können, eine<br />

Gruppe von 'S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en' als gänzli<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>tlos zu behandeln, indem sie sie als Sklaven<br />

ausbeutet? Letztli<strong>ch</strong> kommt es innerhalb <strong>der</strong> <strong>Theorien</strong> rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens<br />

zur Re<strong>ch</strong>tfertigung allein darauf an, ob die Handlungsweise für die Handelnden selbst<br />

vorteilhaft ist.<br />

Gauthier versu<strong>ch</strong>t eine sol<strong>ch</strong>e Begründung <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>te allein aus ihrer Vorteilhaftigkeit<br />

heraus. Seine Begründungskette enthält erstens das Argument, daß Kooperation<br />

genau dann rational begründet ist, wenn sie den zu erwartenden Nutzen jedes einzelnen<br />

Kooperationsteilnehmers maximiert 318 . Sie geht zweitens davon aus, daß die<br />

Anerkennung von Re<strong>ch</strong>ten (im Sinne gegenseitiger Ansprü<strong>ch</strong>e auf Rücksi<strong>ch</strong>tnahme;<br />

constraints) ni<strong>ch</strong>t erst aus gutem Willen o<strong>der</strong> Zuneigung, son<strong>der</strong>n bereits dur<strong>ch</strong> die<br />

tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e o<strong>der</strong> potentielle Partners<strong>ch</strong>aft in einer Kooperation entsteht 319 . Darin<br />

liegt eine Argumentationskette: 'Wenn individuelle Nutzenmaximierung, dann Kooperation,<br />

dann Re<strong>ch</strong>te' – insgesamt also eine moralfreie Begründung von Re<strong>ch</strong>ten.<br />

Die Problematik dieser Begründung wird deutli<strong>ch</strong>, wenn man si<strong>ch</strong> den begrenzten<br />

Geltungsanspru<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>er 'Re<strong>ch</strong>te' vor Augen führt. Es handelt si<strong>ch</strong> um gegenseitige<br />

Re<strong>ch</strong>te innerhalb einer Kooperation, ni<strong>ch</strong>t um Re<strong>ch</strong>te kraft Personseins. Zwar mag es<br />

zutreffen, daß <strong>der</strong>jenige, <strong>der</strong> aus eigenem Vorteil eine Kooperation eingeht, dabei<br />

notwendig diejenigen 'Re<strong>ch</strong>te' anerkennt, die für das Funktionieren partners<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />

Zusammenwirkens vorausgesetzt werden müssen. Do<strong>ch</strong> ist dur<strong>ch</strong> dieses Vorteilskalkül<br />

niemand gehin<strong>der</strong>t, an<strong>der</strong>e Mens<strong>ch</strong>en außerhalb <strong>der</strong> Kooperation zum bloßen<br />

Objekt seiner Handlungswillkür zu ma<strong>ch</strong>en und sie dadur<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>tlos zu stellen.<br />

Eine sol<strong>ch</strong>e Handlungsweise kann ni<strong>ch</strong>t innerhalb <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidungstheorie selbst<br />

als 'fals<strong>ch</strong>' wi<strong>der</strong>legt werden, es sei denn, man führt empiris<strong>ch</strong>e Annahmen ein (z.B.<br />

Instabilität dur<strong>ch</strong> Revolutionsneigung), die an <strong>der</strong> Vorteilhaftigkeit rütteln. Die Begründung<br />

von Re<strong>ch</strong>ten innerhalb einer Kooperation kann deshalb das allgemeine S<strong>ch</strong>ädigungsverbot,<br />

das mit <strong>der</strong> Lockes<strong>ch</strong>en Provisio postuliert wird, ni<strong>ch</strong>t vollständig leisten.<br />

Für die Theorie Gauthiers bedeutet das: Aus si<strong>ch</strong> selbst heraus kann sie einen moralis<strong>ch</strong>en<br />

Ausgangspunkt des Rationalitätskalküls ni<strong>ch</strong>t begründen 320 . Die Lockes<strong>ch</strong>e<br />

Provisio ist ein sol<strong>ch</strong>er moralis<strong>ch</strong>er Ausgangspunkt. Sie bleibt in Gauthiers Theorie<br />

ein Fremdkörper, denn die Provisio ist ni<strong>ch</strong>t selbst ents<strong>ch</strong>eidungstheoretis<strong>ch</strong> begründet.<br />

Gauthier wendet si<strong>ch</strong> zwar gegen die substantielle Begründung vorpositiver Re<strong>ch</strong>te<br />

bei Locke 321 , gegen substantielle Unparteili<strong>ch</strong>keitskritik im Marxismus 322 sowie gegen<br />

utilitaristis<strong>ch</strong>e Begründungen <strong>der</strong> Provisio 323 , bietet mit seiner Begründungskette<br />

318 D. Gauthier, Morals by Agreement (1986), S. 224: »[C]ooperation has, as its sole and sufficient rationale,<br />

the maximization of expected utility.«<br />

319 D. Gauthier, Morals by Agreement (1986), S. 222: »The moral claims ... that are expressed in our<br />

rights, depend ... on our actual or potential partnership in activities that bring mutual benefit.«<br />

320 Dem entspri<strong>ch</strong>t das Ergebnis bei H.-P. Weikard, Contractarian Approa<strong>ch</strong>es to Intergenerational Justice<br />

(1998), S. 391 – Zirkularität <strong>der</strong> Begründung bei Gauthier.<br />

321 D. Gauthier, Morals by Agreement (1986), S. 222: »Locke, ... his moral theory, unlike Hobbes's, is<br />

overtly theistic.«<br />

322 D. Gauthier, Morals by Agreement (1986), S. 110 ff.<br />

323 Gegen die utilitaristis<strong>ch</strong>e Begründung von Re<strong>ch</strong>ten D. Gauthier, Morals by Agreement (1986),<br />

S. 104 ff., 221. Au<strong>ch</strong> von Vertragstheorien grenzt er si<strong>ch</strong> insoweit ab: ebd., S. 222 f.<br />

192


aber keinen Ausweg aus dem damit umrissenen ents<strong>ch</strong>eidungstheoretis<strong>ch</strong>en Dilemma.<br />

Mit dem ges<strong>ch</strong>il<strong>der</strong>ten Begründungsmangel erfüllt Gauthiers Theorie ni<strong>ch</strong>t die<br />

Voraussetzungen, die na<strong>ch</strong> D 4RC <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien des rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens<br />

kennzei<strong>ch</strong>nen. Denn na<strong>ch</strong> diesen ist eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm N genau dann (d.h.<br />

'dann und nur dann') ri<strong>ch</strong>tig, wenn sie das Ergebnis <strong>der</strong> Prozedur des rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens<br />

sein kann. In Gauthiers Theorie ist aber eine Handlungsweise ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>on<br />

dadur<strong>ch</strong> rational, daß sie dem prozeduralen Kriterium <strong>der</strong> minimax relativen Konzession<br />

genügt, son<strong>der</strong>n sie muß außerdem die Lockes<strong>ch</strong>e Provisio und die mit ihr<br />

verbundenen vorpositiven Re<strong>ch</strong>te eins<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> 'vollständigen Kooperation' (Kosteninternalisierung)<br />

an<strong>der</strong>er a<strong>ch</strong>ten. An<strong>der</strong>s als bei Nozick bleibt die Lockes<strong>ch</strong>e Provisio<br />

hier also ni<strong>ch</strong>t funktionslos. Geht es darum, ob jemand die Umwelt vers<strong>ch</strong>mutzen<br />

darf, so entwickeln die Re<strong>ch</strong>te an<strong>der</strong>er – entwe<strong>der</strong> als direkte Eigentumsre<strong>ch</strong>te<br />

(Vers<strong>ch</strong>mutzung eines Grundstücks) o<strong>der</strong> über das Gebot vollständiger Kooperation<br />

(Vers<strong>ch</strong>mutzung eines öffentli<strong>ch</strong>en Gewässers) – eine Sperrwirkung innerhalb des Rationalitätskalküls<br />

<strong>der</strong> minimax relativen Konzession 324 . Im Ergebnis fehlt <strong>der</strong> Theorie<br />

Gauthiers darum das Element <strong>der</strong> vollständig rationalen Begründung, das die<br />

Qualifikation als Ents<strong>ch</strong>eidungstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ausma<strong>ch</strong>t 325 . Sie ist zwar<br />

eine Theorie rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens, aber keine sol<strong>ch</strong>e, die allein mit rationaler Ents<strong>ch</strong>eidung<br />

die Frage na<strong>ch</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> beantwortet.<br />

4. Theorie des transzendentalen Taus<strong>ch</strong>es (O. Höffe)<br />

Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie Höffes folgt in ihrer Vernunftkonzeption dem Beispiel Hobbes,<br />

indem sie praktis<strong>ch</strong>e Ri<strong>ch</strong>tigkeit mit <strong>der</strong> Vorteilhaftigkeit für jeden einzelnen<br />

identifiziert. Sie geht dabei den neuen Weg, das Modell des Taus<strong>ch</strong>es als Darstellungsmittel<br />

zu nutzen.<br />

a) Natürli<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

Im ersten Teil seiner <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie geht Höffe <strong>der</strong> Frage na<strong>ch</strong>, was als natürli<strong>ch</strong>e<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> Bestand hat – als <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, die vor je<strong>der</strong> institutionalisierten Sozialordnung<br />

geda<strong>ch</strong>t werden muß, also vorpositiv 326 . Dabei bezei<strong>ch</strong>net er als primären<br />

Naturzustand die latent kriegeris<strong>ch</strong>e Herrs<strong>ch</strong>aft, die dur<strong>ch</strong> das Zusammenleben<br />

vers<strong>ch</strong>iedener Mens<strong>ch</strong>en in einer Welt zwangsläufig entstehen müßte, also einen<br />

hobbesianis<strong>ch</strong>en Naturzustand. Der Übergang zu einem für jeden einzelnen vorteilhaften<br />

sekundären Naturzustand stellt si<strong>ch</strong> als negativer Taus<strong>ch</strong> dar. Je<strong>der</strong> verzi<strong>ch</strong>tet<br />

gegenüber allen an<strong>der</strong>en auf eine Gesamtheit von Tötungs- und Verletzungshandlungen.<br />

Resultat des Freiheitsverzi<strong>ch</strong>ts ist <strong>der</strong> Vorteil einer Integrität von Leib, Leben,<br />

Eigentum, Ehre und Religion.<br />

324 Vgl. zum Beispiel <strong>der</strong> Sperrwirkung bei Vers<strong>ch</strong>mutzung eines öffentli<strong>ch</strong>en Gewässers D. Gauthier,<br />

Morals by Agreement (1986), S. 225: »The particular interaction [dumping wastes in the river]<br />

cannot be defended by relating it to a practice that satisfies minimax relative concession.«<br />

325 Ähnli<strong>ch</strong> die Kritik bei R. Alexy, Eine diskurstheoretis<strong>ch</strong>e Konzeption <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft<br />

(1993), S. 13 f. mit Fn. 19.<br />

326 Hierzu und zum folgenden O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 382 ff. Kritis<strong>ch</strong>e Analysen<br />

zu Höffes Theorie vor allem in den Beiträgen von M. Kettner, P. Koller u.a. in W. Kersting (Hrsg.),<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Taus<strong>ch</strong>? (1997).<br />

193


An<strong>der</strong>s als bei Hobbes, <strong>der</strong> nur Tötungsverzi<strong>ch</strong>t und Lebensre<strong>ch</strong>t in den negativen<br />

Taus<strong>ch</strong> einbezieht, ist na<strong>ch</strong> Höffe unbedingt ein Paketges<strong>ch</strong>äft notwendig, in dem diejenigen<br />

Integritäts- und Freiheitsinteressen, die natürli<strong>ch</strong>erweise allen Mens<strong>ch</strong>en gemeinsam<br />

sind, gebündelt werden 327 . Dafür sind na<strong>ch</strong> Höffe zwei Gründe auss<strong>ch</strong>laggebend.<br />

Erstens gibt es Mens<strong>ch</strong>en, die bereit sind, für Ehre o<strong>der</strong> Religion zu sterben,<br />

denen also das Leben ni<strong>ch</strong>t über alles an<strong>der</strong>e geht. Für sol<strong>ch</strong>e Mens<strong>ch</strong>en wäre <strong>der</strong><br />

Taus<strong>ch</strong> 'Tötungsverzi<strong>ch</strong>t gegen Lebensre<strong>ch</strong>t' für si<strong>ch</strong> allein genommen unvorteilhaft;<br />

lieber würden sie unter Todesgefahr den Angreifer töten, als si<strong>ch</strong> ihre Ehre o<strong>der</strong> Religion<br />

nehmen zu lassen. Zweitens ist die Bündelung des Taus<strong>ch</strong>pakets au<strong>ch</strong> deshalb<br />

nötig, weil sonst den Mens<strong>ch</strong>en, denen an einzelnen Re<strong>ch</strong>ten überhaupt ni<strong>ch</strong>ts liegt,<br />

die A<strong>ch</strong>tung dieses Re<strong>ch</strong>ts bei an<strong>der</strong>en ni<strong>ch</strong>t abgetaus<strong>ch</strong>t werden könnte (Asymmetrie<br />

von Opfer und Täter). Der Agnostiker kann auf seine Religionsfreiheit verzi<strong>ch</strong>ten.<br />

Warum sollte er dann die Religionsfreiheit an<strong>der</strong>er a<strong>ch</strong>ten? Ein Paketges<strong>ch</strong>äft<br />

wird er dagegen beson<strong>der</strong>s bereitwillig eingehen, weil es ihn wegen seines Desinteresses<br />

an <strong>der</strong> Religion ni<strong>ch</strong>t viel kostet, die Religion an<strong>der</strong>er zu respektieren, während<br />

die übrigen Güter (Ehre, Eigentum, Leib und Leben) ihm gerade deshalb beson<strong>der</strong>s<br />

wi<strong>ch</strong>tig sein müssen, weil sie na<strong>ch</strong> seinen Wertvorstellungen das einzige sind, das<br />

zählt. Höffe bezei<strong>ch</strong>net diese zusätzli<strong>ch</strong>e individuelle Vorteilhaftigkeit, die dur<strong>ch</strong><br />

Wertungsunters<strong>ch</strong>iede entsteht, als Ringtaus<strong>ch</strong> 328 .<br />

Gegenüber Kin<strong>der</strong>n und Alten, <strong>der</strong>en Handlung für an<strong>der</strong>e keine Bedrohung<br />

darstellt und <strong>der</strong>en Gewaltverzi<strong>ch</strong>t im Taus<strong>ch</strong> darum eigentli<strong>ch</strong> wertlos ist, führt<br />

Höffe das Argument eines asyn<strong>ch</strong>ronen Taus<strong>ch</strong>es ein 329 . Erwa<strong>ch</strong>sene verzi<strong>ch</strong>ten auf<br />

Gewalt gegen Kin<strong>der</strong>, damit sie au<strong>ch</strong> im Alter <strong>der</strong>en Respekt ihrer Integrität und<br />

Freiheit genießen.<br />

Dur<strong>ch</strong> die Vorteilhaftigkeit für jeden einzelnen wird <strong>der</strong> Freiheitsverzi<strong>ch</strong>t zu einem<br />

zwangsfreien Zwang; er ist ein Klugheitsgebot. Dadur<strong>ch</strong>, daß mit dem Freiheitsverzi<strong>ch</strong>t<br />

eine Leistung erbra<strong>ch</strong>t wird, erstarkt die bloße Vorteilhaftigkeit zu einem Anspru<strong>ch</strong><br />

auf Gegenleistung. Es gibt keine Handlungsalternativen mehr; <strong>der</strong> Freiheitsverzi<strong>ch</strong>t<br />

gilt als absolutes Klugheitsgebot. Der Anspru<strong>ch</strong>, also die Befugnis, den Freiheits-<br />

und Integritätsbestand au<strong>ch</strong> einzufor<strong>der</strong>n, bedeutet, daß die natürli<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

in <strong>der</strong> Form vorpositiver Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te auftritt. Mit dem Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>t<br />

verbunden ist ein moralis<strong>ch</strong>es Selbstverteidigungsre<strong>ch</strong>t, das jedem Mens<strong>ch</strong>en<br />

kraft seines Mens<strong>ch</strong>seins zukommt. Je<strong>der</strong> darf si<strong>ch</strong> gegen das Töten, Beleidigen o<strong>der</strong><br />

Bestehlen an<strong>der</strong>er verteidigen (Zwangsbefugnis). An<strong>der</strong>s als die spontane Selbstregulierung<br />

des primären Naturzustandes bildet <strong>der</strong> so umrissene sekundäre Naturzustand<br />

eine vorpolitis<strong>ch</strong>e und vorinstitutionelle natürli<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>tsgemeins<strong>ch</strong>aft.<br />

327 Vgl. die überras<strong>ch</strong>ende Abgrenzung des Interessenbündels bei O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

(1987), S. 394: »These von natürli<strong>ch</strong>en, allen Mens<strong>ch</strong>en gemeinsamen Interessen«. Hier liegt ein<br />

gewisser Wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong> zu <strong>der</strong> Aussage auf S. 389, daß einige Mens<strong>ch</strong>en an Religion überhaupt<br />

kein Interesse haben.<br />

328 O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 382 ff.; zur Struktur des Ringtaus<strong>ch</strong>es als do ut des ut det<br />

siehe P.W. Heermann, Ringtaus<strong>ch</strong>, Taus<strong>ch</strong>ringe und multilaterales Bartering (1999), S. 183 f.<br />

329 O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 393 spri<strong>ch</strong>t von einem 'dia<strong>ch</strong>ronen Freiheitstaus<strong>ch</strong>'.<br />

Die hier bevorzugte Entgegensetzung von syn<strong>ch</strong>ron mit asyn<strong>ch</strong>ron ist demgegenüber ni<strong>ch</strong>t ri<strong>ch</strong>tiger,<br />

son<strong>der</strong>n übli<strong>ch</strong>er.<br />

194


) Institutionalisierte <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

Im zweiten Teil seiner Theorie verteidigt Höffe die Institutionalisierung in einer<br />

staatsförmigen Re<strong>ch</strong>tsgemeins<strong>ch</strong>aft gegen die These eines Restanar<strong>ch</strong>ismus 330 . Er<br />

führt drei Gründe an, aus denen si<strong>ch</strong> die in <strong>der</strong> natürli<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>tsgemeins<strong>ch</strong>aft begründeten<br />

Vorteile ni<strong>ch</strong>t in individueller Verantwortung realisieren lassen. Erstens<br />

entstehen Interpretationskonflikte bei <strong>der</strong> Konkretisierung <strong>der</strong> Freiheitsansprü<strong>ch</strong>e. Innerhalb<br />

dieser Konflikte ist je<strong>der</strong> ein Betroffener und keiner ein s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>thin unparteiis<strong>ch</strong>er<br />

Dritter. Zweitens entsteht ein Anerkennungsdilemma, weil für Trittbrettfahrer<br />

<strong>der</strong> eigene Re<strong>ch</strong>tsungehorsam vorteilhafter ist als <strong>der</strong> Gehorsam, solange eine genügende<br />

Zahl an<strong>der</strong>er si<strong>ch</strong> an die Regeln halten 331 . Drittens gibt es ein <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sdilemma<br />

zwis<strong>ch</strong>en Generationen; au<strong>ch</strong> hier fährt am besten, wer si<strong>ch</strong> dem asyn<strong>ch</strong>ronen<br />

Generationentaus<strong>ch</strong>ges<strong>ch</strong>äft entzieht. Die Interpretations- und Dur<strong>ch</strong>setzungskonflikte<br />

können erst in einer Gemeinsamkeit überwunden werden, in <strong>der</strong> ein unparteiis<strong>ch</strong>er<br />

Dritter institutionalisiert wird. Dieser Dritte muß öffentli<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>tsma<strong>ch</strong>t im<br />

Sinne eines Gewaltmonopols etablieren, ein Zwangssystem, in dem die individuellen<br />

Zwangsbefugnisse weitestgehend aufgehen. Dur<strong>ch</strong> die Institutionalisierung wird<br />

die 'Genossens<strong>ch</strong>aft' zu einem 'Verband' – es entsteht ein Staat im unte<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en Sinne<br />

332 . So wandelt si<strong>ch</strong> das Diktum Kants bei Höffe: »Den Staat brau<strong>ch</strong>t selbst ein Volk<br />

von Teufeln – wenn sie nur Verstand haben, das heißt ihrem Vorteil folgen.« 333<br />

c) Subsidiäre Legitimität des Staates<br />

Eine positive Re<strong>ch</strong>ts- und Staatsordnung ist na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Theorie Höffes nur subsidiär legitim<br />

334 . Sie ist notwendig, um Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te zu gewährleisten, aber sie kann diese<br />

ni<strong>ch</strong>t gewähren, son<strong>der</strong>n steht gänzli<strong>ch</strong> im Dienste <strong>der</strong> bereits vorpositiv begründeten<br />

Re<strong>ch</strong>te. Glei<strong>ch</strong>zeitig birgt sie die Gefahr des Ma<strong>ch</strong>tmißbrau<strong>ch</strong>s, <strong>der</strong> mit Strategien politis<strong>ch</strong>er<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> begegnet werden muß, soll ni<strong>ch</strong>t das Leitziel des Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utzes<br />

verfehlt werden. Die Demokratie als Staatsform garantiert allein no<strong>ch</strong><br />

keinen ausrei<strong>ch</strong>enden S<strong>ch</strong>utz. Positivierungsstrategien müssen zur konkreten Anerkennung<br />

von Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>ten als Grundre<strong>ch</strong>ten führen und eine wirksam kontrollierte<br />

Gewaltenbindung konstituieren – etwa dur<strong>ch</strong> Gewaltenteilung und Verfassungsgeri<strong>ch</strong>tsbarkeit.<br />

Die Positivierung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> vollendet si<strong>ch</strong> dabei ni<strong>ch</strong>t<br />

s<strong>ch</strong>on im Minimalstaat, son<strong>der</strong>n erst in <strong>der</strong>jenigen Sozialstaatli<strong>ch</strong>keit, die Voraussetzung<br />

für die Wahrnehmung demokratis<strong>ch</strong>er Mitwirkungsre<strong>ch</strong>te ist 335 . Der zu in-<br />

330 Dazu und zum folgenden O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 407 ff.<br />

331 Vgl. unten S. 333 ff. (Trittbrettfahrerproblem).<br />

332 Die Abgrenzung vom völker- und verfassungsre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Staatsbegriff ist wi<strong>ch</strong>tig. Vgl. dazu<br />

O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 432: »Die institutionalisierte öffentli<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>tsma<strong>ch</strong>t,<br />

die für die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> unentbehrli<strong>ch</strong> ist, brau<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t die Züge des mo<strong>der</strong>nen Staates anzunehmen:<br />

etwa die Territorialherrs<strong>ch</strong>aft und die Zentralisierung sowie Bürokratisierung <strong>der</strong><br />

Staatsgewalten.«<br />

333 O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 433.<br />

334 Dazu und zum folgenden O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 433 ff.<br />

335 Neben dieser demokratiefunktionale Legitimation spri<strong>ch</strong>t Höffe au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> eine re<strong>ch</strong>tsstaatsfunktionale<br />

und institutionstheoretis<strong>ch</strong>e an; siehe dazu O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987),<br />

S. 471 f.<br />

195


stitutionalisierende Verband muß deshalb ein demokratis<strong>ch</strong>er und sozialer Verfassungsstaat<br />

sein. Jenseits dieser Positivierung will Höffe als weitere notwendige Bedingungen<br />

gere<strong>ch</strong>ter Staatli<strong>ch</strong>keit Beurteilungsstrategien ansehen. Die Positivierung<br />

von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als unabges<strong>ch</strong>lossener Prozeß erfor<strong>der</strong>t prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien<br />

in Geri<strong>ch</strong>tsverfahren, sittli<strong>ch</strong>-politis<strong>ch</strong>en Diskursen und wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er<br />

Politikberatung.<br />

d) Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>t aus Eigennutz<br />

Höffes <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie versu<strong>ch</strong>t eine transzendentale 336 Re<strong>ch</strong>tfertigung kategoris<strong>ch</strong>er<br />

Re<strong>ch</strong>tsprinzipien aus Interessen: Leben, Gesundheit, Eigentum, Ehre und Religion<br />

könnten ohne we<strong>ch</strong>selseitige Anerkennung ni<strong>ch</strong>t als realisierbar geda<strong>ch</strong>t werden;<br />

s<strong>ch</strong>on <strong>der</strong> bloße Fortbestand von Mens<strong>ch</strong>en setzt also notwendig einen negativen<br />

Taus<strong>ch</strong> voraus. Bei den Grundfreiheiten »geht es definitionsgemäß um die Bedingungen<br />

<strong>der</strong> Mögli<strong>ch</strong>keit je<strong>der</strong> Handlungsfreiheit« 337 . Darin liegt eine erfahrungsfreie,<br />

ni<strong>ch</strong>t relativierbare und zeitenthobene Begründung <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te, ihres<br />

»Anspru<strong>ch</strong>s auf Weltgeltung« 338 , und <strong>der</strong> darauf gestützten Legitimation des staatli<strong>ch</strong><br />

monopolisierten Re<strong>ch</strong>tszwangs, in diesem Sinne eine Letztbegründung, die treffend<br />

als »Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>tsfundamentalismus« bezei<strong>ch</strong>net worden ist 339 .<br />

Höffe will zeigen, daß vorpositive Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> die Brille des transzendentalen<br />

Taus<strong>ch</strong>es allein als Gebote <strong>der</strong> Klugheit darstellen lassen, ohne daß eine<br />

darüber hinausgehende Moralität vorausgesetzt werden müßte 340 . Die Zugehörigkeit<br />

zur hobbesianis<strong>ch</strong>en Tradition individueller Nutzenmaximierung zeigt si<strong>ch</strong> vor<br />

allem im dezidiert ni<strong>ch</strong>t-utilitaristis<strong>ch</strong>en Programm: Ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> 'kollektive' Vorteil<br />

zählt in <strong>der</strong> Nutzenkalkulation; ni<strong>ch</strong>t das größte Glück <strong>der</strong> größten Zahl ist Legitimationsgrund.<br />

Vielmehr geht es um den 'distributiven' Vorteil; es soll je<strong>der</strong> einzelne die<br />

Vorteilhaftigkeit sozialer Ordnung genießen können. Höffes Taus<strong>ch</strong>gere<strong>ch</strong>tigkeit orientiert<br />

si<strong>ch</strong> damit am Kriterium <strong>der</strong> Pareto-Optimalität 341 . Das utilitaristis<strong>ch</strong>e Kalkül,<br />

bei dem im Interesse eines größeren Gesamtnutzens <strong>der</strong> Einzelne Einbußen erleiden<br />

kann, akzeptiert Höffe s<strong>ch</strong>on im begriffli<strong>ch</strong>en Ansatz ni<strong>ch</strong>t als legitim und gere<strong>ch</strong>t.<br />

Allein diejenige Sozialordnung gilt als gere<strong>ch</strong>t, die si<strong>ch</strong> für jedes ihrer Mitglie<strong>der</strong> als Ergebnis<br />

einer rationalen Ents<strong>ch</strong>eidung (transzendentaler Taus<strong>ch</strong>) darstellen läßt. Damit erfüllt Höffes<br />

Theorie die Voraussetzungen, die na<strong>ch</strong> D 4RC <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien des rationalen<br />

Ents<strong>ch</strong>eidens kennzei<strong>ch</strong>nen.<br />

336 Vgl. unten S. 225 ff. (transzendentale Argumente).<br />

337 O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 415.<br />

338 M. Kettner, Otfried Höffes transzendental-kontraktualistis<strong>ch</strong>e Begründung <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te<br />

(1997), S. 248.<br />

339 H. Brunkhorst, Die Kontingenz des Staates (1997), S. 225 f.<br />

340 So ausdrückli<strong>ch</strong> O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 402.<br />

341 W. Kersting, Herrs<strong>ch</strong>aftslegitimation (1997), S. 30, 38, 55. Dazu oben S. 167 ff. (Charakteristika <strong>der</strong><br />

hobbesianis<strong>ch</strong>en Grundposition; Pareto-Optimalität) sowie unten S. 273 (zwei Bedingungen rationaler<br />

Verhandlung).<br />

196


V. Ergebnisse<br />

Mit Ausnahme <strong>der</strong> <strong>Theorien</strong> Nozicks und Höffes, die si<strong>ch</strong> nur mit <strong>der</strong> sozialvertragli<strong>ch</strong>en<br />

Konstruktion bes<strong>ch</strong>äftigen, enthalten alle dargestellen <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en<br />

Grundposition ein Nutzenkalkül. Die Unters<strong>ch</strong>iede zwis<strong>ch</strong>en den <strong>Theorien</strong>,<br />

die für die Kritik an <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en Grundposition wi<strong>ch</strong>tig werden 342 , können<br />

im Ergebnis dur<strong>ch</strong> ein Beispiel zur Verteilungsgere<strong>ch</strong>tigkeit zusammengefaßt werden:<br />

Zwei Unternehmen A und B wollen Öl för<strong>der</strong>n, können dieses Ziel aber nur gemeinsam<br />

errei<strong>ch</strong>en. Sie überlegen, wel<strong>ch</strong>e Verteilung des Ertrags gere<strong>ch</strong>t wäre,<br />

wenn beide glei<strong>ch</strong> viel in die Kooperation investieren. A hat eine gesunde Bilanz<br />

und große Marktma<strong>ch</strong>t, B dagegen ist in einer Finanzkrise und hat eine s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>e<br />

Marktposition.<br />

Na<strong>ch</strong> Nash und Harsanyi kommt es darauf an, daß dem Unternehmen B dur<strong>ch</strong><br />

seine Finanzkrise s<strong>ch</strong>on an einem kleinen Gewinn sehr viel gelegen ist; es könnte beispielsweise<br />

bei einem 25%-igen För<strong>der</strong>anteil bereits einen überproportionalen Nutzenfaktor<br />

von 0,5 haben. Die bei diesem Anteil auf A entfallenden 75% des Ertrags<br />

entspre<strong>ch</strong>en bei diesem Unternehmen einem proportional wa<strong>ch</strong>senden Nutzenfaktor<br />

von 0,75. Angenommen, das Produkt <strong>der</strong> Nutzenfaktoren bildet ein Maximum genau<br />

bei dieser Gewinnteilung von 25% zu 75% zugunsten des A, so ist diese Unglei<strong>ch</strong>verteilung<br />

gere<strong>ch</strong>t, denn in ihr drückt si<strong>ch</strong> die unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Verhandlungsma<strong>ch</strong>t<br />

<strong>der</strong> Parteien aus.<br />

Na<strong>ch</strong> Braithwaite und Bu<strong>ch</strong>anan ist zwar glei<strong>ch</strong> zu verteilen, aber unter Berücksi<strong>ch</strong>tigung<br />

des gegenseitigen Drohpotentials. Das marktmä<strong>ch</strong>tige Unternehmen A<br />

könnte versu<strong>ch</strong>en, B dur<strong>ch</strong> Drohung mit einem Preiskampf zur Kooperation zu<br />

zwingen. Es würde dur<strong>ch</strong> die Gegenwehr des s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en Unternehmens B zwar<br />

selbst S<strong>ch</strong>aden nehmen, aber sehr viel weniger als dieses. Angenommen, <strong>der</strong> potentielle<br />

Preiskampfs<strong>ch</strong>aden des Unternehmens B beträgt Nutzenwert 343 -3, <strong>der</strong> des Unternehmens<br />

A nur -1 und <strong>der</strong> positive Nutzenwert aus 100% <strong>der</strong> Gesamtför<strong>der</strong>ung<br />

+4. Dann müßte A 75% bekommen, um relativ zur Drohposition den glei<strong>ch</strong>en Vorteil<br />

aus <strong>der</strong> Kooperation zu erlangen wie B (A: -1 bis +3 = 4; B: -3 bis +1 = 4). Die Unglei<strong>ch</strong>verteilung<br />

ist wie<strong>der</strong>um gere<strong>ch</strong>t, allerdings diesmal wegen <strong>der</strong> Berücksi<strong>ch</strong>tigung<br />

unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er Drohpotentiale.<br />

S<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> bleibt die Lösung von Lucas und Gauthier. Hier ist <strong>der</strong> Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt<br />

dur<strong>ch</strong> desinteressiertes eigennütziges Verhalten definiert. We<strong>der</strong> Unternehmen<br />

A no<strong>ch</strong> Unternehmen B könnte allein Öl för<strong>der</strong>n. Sie haben also beide<br />

den glei<strong>ch</strong>en Nullnutzen im Falle s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>ter Ni<strong>ch</strong>tkooperation. Entspre<strong>ch</strong>end müssen<br />

sie den Ertrag zu je 50% teilen, um ein gere<strong>ch</strong>tes Ergebnis zu erzielen. Diese Lösung<br />

s<strong>ch</strong>ließt sowohl unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Verhandlungsma<strong>ch</strong>t als au<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>es<br />

Drohpotential als für eine rationale Begründung des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteils<br />

irrelevant aus.<br />

342 Dazu unten S. 270 ff. (Kritik spieltheoretis<strong>ch</strong>er Grundlegung).<br />

343 Die hier verwendeten Nutzeneinheiten unters<strong>ch</strong>eiden si<strong>ch</strong> von Nutzenfaktoren vor allem dadur<strong>ch</strong>,<br />

daß sie ni<strong>ch</strong>t multipliziert werden müssen und folgli<strong>ch</strong> beliebige Werte au<strong>ch</strong> außerhalb des präferierten<br />

Faktorberei<strong>ch</strong>s 0 bis 1 annehmen können. Allein ents<strong>ch</strong>eidend ist das Verhältnis <strong>der</strong> Nutzeneinheiten<br />

zueinan<strong>der</strong>.<br />

197


Im Ergebnis bleibt festzuhalten: Die <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en Grundposition<br />

sind explizit – o<strong>der</strong> bei älteren Sozialvertragstheorien implizit – <strong>Theorien</strong> des rationalen<br />

Ents<strong>ch</strong>eidens (rational <strong>ch</strong>oice theories, decision theories). Als Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien<br />

beurteilen sie die Ri<strong>ch</strong>tigkeit einer Handlungsweise allein mit individueller<br />

Nutzenmaximierung. Trotz des gemeinsamen methodis<strong>ch</strong>en Ausgangspunktes begründen<br />

diese <strong>Theorien</strong> sehr unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Ergebnisse als gere<strong>ch</strong>t o<strong>der</strong> ungere<strong>ch</strong>t,<br />

je na<strong>ch</strong>dem, wel<strong>ch</strong>es Nutzenkalkül bei <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidung zugrundegelegt wird.<br />

D. <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en Grundposition (Universalität)<br />

I. Charakteristika (T K D 1K D 4K )<br />

Den <strong>Theorien</strong> mit kantis<strong>ch</strong>er Grundposition ist eigentümli<strong>ch</strong>, daß sie, glei<strong>ch</strong> den<br />

<strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en Tradition, Handlungen ungea<strong>ch</strong>tet <strong>der</strong> (axiologis<strong>ch</strong>en)<br />

Werthaftigkeit <strong>der</strong> sozialen Ordnung, die si<strong>ch</strong> aus ihnen ergibt, für si<strong>ch</strong> betra<strong>ch</strong>tet als<br />

(deontologis<strong>ch</strong>) ri<strong>ch</strong>tig o<strong>der</strong> fals<strong>ch</strong> beurteilen. Im Gegensatz zur hobbesianis<strong>ch</strong>en<br />

Begründung <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit einer Handlungsweise ist aber ni<strong>ch</strong>t die individuelle Nutzenmaximierung<br />

das Ri<strong>ch</strong>tigkeitskriterium. Der kantis<strong>ch</strong>en Grundposition ist vielmehr<br />

das Prinzip <strong>der</strong> Universalität eigentümli<strong>ch</strong>, verstanden als Geltung für alle 344 .<br />

Die Idee <strong>der</strong> Universalisierbarkeit wird dabei sehr unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> gedeutet. Auf die<br />

wi<strong>ch</strong>tigsten Unters<strong>ch</strong>iede zwis<strong>ch</strong>en Sozialvertrags-, Beoba<strong>ch</strong>ter- und Diskurstheorien<br />

wird no<strong>ch</strong> einzugehen sein. Für Kant selbst ist die enge Verbindung <strong>der</strong> Universalität<br />

mit dem Begriff <strong>der</strong> Autonomie kennzei<strong>ch</strong>nend 345 . Die Autonomie ist dabei einerseits<br />

eine private, na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> je<strong>der</strong> individuell eine Konzeption des Ri<strong>ch</strong>tigen und Gere<strong>ch</strong>ten<br />

wählt und realisiert. Sie ist an<strong>der</strong>erseits eine öffentli<strong>ch</strong>e, na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> je<strong>der</strong> mit<br />

an<strong>der</strong>en eine politis<strong>ch</strong>e Konzeption des Ri<strong>ch</strong>tigen und Gere<strong>ch</strong>ten wählt und realisiert<br />

346 .<br />

Im Gegensatz zum Eigennutz-Axiom <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en Grundposition läßt<br />

si<strong>ch</strong> das Universalitäts-Axiom <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en Grundposition in folgendem Theorem<br />

ausdrücken:<br />

T K :<br />

Die Handlung X einer Person P ist genau dann ri<strong>ch</strong>tig,<br />

wenn sie si<strong>ch</strong> für alle als ri<strong>ch</strong>tig erweist.<br />

Der Ri<strong>ch</strong>tigkeitsbegriff, <strong>der</strong> mit T K bes<strong>ch</strong>rieben ist, knüpft an die Anerkennung dur<strong>ch</strong><br />

alle an. Damit ist eine neue Grundkonstante angespro<strong>ch</strong>en, die in allen <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong><br />

kantis<strong>ch</strong>en Grundposition auftritt: die <strong>der</strong> Unparteili<strong>ch</strong>keit (impartiality). Die Unparteili<strong>ch</strong>keit<br />

eines Ergebnisses verbürgt entwe<strong>der</strong> <strong>der</strong> Konsens (Sozialvertrags-, Dis-<br />

344 Vgl. den kategoris<strong>ch</strong>en Imperativ bei I. Kant, KpV (1788), A 54: »Handle so, daß die Maxime deines<br />

Willens je<strong>der</strong>zeit zuglei<strong>ch</strong> als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.«<br />

345 Vgl. I. Kant, KpV (1788), A 58: »Die Autonomie des Willens ist das alleinige Prinzip aller moralis<strong>ch</strong>en<br />

Gesetze und <strong>der</strong> ihnen gemäßen Pfli<strong>ch</strong>ten; alle Heteronomie <strong>der</strong> Willkür gründet dagegen<br />

ni<strong>ch</strong>t allein gar keine Verbindli<strong>ch</strong>keit, son<strong>der</strong>n ist vielmehr dem Prinzip <strong>der</strong>selben und <strong>der</strong> Sittli<strong>ch</strong>keit<br />

des Willens entgegen.«<br />

346 Zur öffentli<strong>ch</strong>en Autonomie siehe R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 127.<br />

198


kurstheorien) o<strong>der</strong> <strong>der</strong> überindividuelle moralis<strong>ch</strong>e Standpunkt (Beoba<strong>ch</strong>tertheorie).<br />

Mit <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sdefinition in D 1 läßt si<strong>ch</strong> T K zu folgendem <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff<br />

<strong>der</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en Grundposition verbinden:<br />

D 1K :<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Sinne <strong>der</strong> <strong>Theorien</strong> mit kantis<strong>ch</strong>er<br />

Grundposition ist die Ri<strong>ch</strong>tigkeit und Pfli<strong>ch</strong>tigkeit desjenigen<br />

sozial- und glei<strong>ch</strong>heitsbezogenen Handelns, auf<br />

das si<strong>ch</strong> alle in einer Situation <strong>der</strong> Freiheit und Glei<strong>ch</strong>heit<br />

einigen (würden).<br />

Der <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en Grundposition setzt also bereits Freiheit<br />

und Glei<strong>ch</strong>heit voraus. Erst dur<strong>ch</strong> sie kann Unparteili<strong>ch</strong>keit errei<strong>ch</strong>t werden.<br />

Glei<strong>ch</strong>zeitig verkörpern Freiheit und Glei<strong>ch</strong>heit den kantis<strong>ch</strong>en Autonomiebegriff.<br />

Denn ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> externe Zwänge (Neigungen, Interessen, Fremdbestimmung), son<strong>der</strong>n<br />

als Selbstgesetzgeber müssen die Mens<strong>ch</strong>en ihr S<strong>ch</strong>icksal bestimmen, um autonom<br />

und damit moralis<strong>ch</strong> ri<strong>ch</strong>tig zu handeln. Dieser Zusammenhang läßt si<strong>ch</strong> (verkürzt)<br />

in einen Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie gießen, wie er <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en<br />

Grundposition eigen ist:<br />

D 4K :<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en Grundposition<br />

sind sol<strong>ch</strong>e, na<strong>ch</strong> denen eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm N genau<br />

dann ri<strong>ch</strong>tig ist, wenn sie das Ergebnis einer autonomiewahrenden<br />

Prozedur P sein kann.<br />

II.<br />

Sozialvertragstheorien<br />

Na<strong>ch</strong> den Sozialvertragstheorien <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en Grundposition ist eine gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e<br />

Verteilung von Gütern und Lasten genau dann gere<strong>ch</strong>t, wenn sie Ausdruck einer<br />

Vereinbarung aller Betroffenen in einer geda<strong>ch</strong>ten Ausgangsposition <strong>der</strong> Freiheit<br />

und Glei<strong>ch</strong>heit sein könnte (hypothetis<strong>ch</strong>er Sozialvertrag). Wie diese Ausgangsposition<br />

bes<strong>ch</strong>affen ist und wel<strong>ch</strong>e Überlegungen zum hypothetis<strong>ch</strong>en Abs<strong>ch</strong>luß des Sozialvertrags<br />

führen würden, ist im einzelnen umstritten.<br />

1. Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Fairneß (J. Rawls 1971)<br />

Unter den neueren <strong>Theorien</strong> ist vor allem diejenige von Rawls für die Renaissance<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sdiskussion paradigmatis<strong>ch</strong>. Die 'Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' findet<br />

si<strong>ch</strong> in <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie so häufig und ausführli<strong>ch</strong> behandelt, daß die Darstellung<br />

hier auf Kerngehalte und einige Verweise bes<strong>ch</strong>ränkt bleiben kann. Zu unters<strong>ch</strong>eiden<br />

vom neueren Werk ist dabei die ältere Theorie, die Rawls seit 1958 347 vorangetrieben<br />

und im Jahre 1971 mit seinem Hauptwerk 'A Theory of Justice' zu einem<br />

vorläufigen Referenzpunkt entwickelt hat 348 . Die Fortentwicklungen <strong>der</strong> Theorie<br />

347 J. Rawls, Justice as Fairness (1958), S. 653 ff.<br />

348 J. Rawls, Theory of Justice (1971).<br />

199


fanden ihre Konsolidierung 1993 in dem Werk 'Political Liberalism' 349 , das im wesentli<strong>ch</strong>en<br />

eine Reihe von weiterführenden Aufsätzen zusammenstellt 350 .<br />

Sowohl die neue methodis<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>werpunktsetzung als au<strong>ch</strong> die eher zögerli<strong>ch</strong>e<br />

Rezeption unters<strong>ch</strong>eiden das neuere Werk deutli<strong>ch</strong> von <strong>der</strong> ursprüngli<strong>ch</strong>en Theorie<br />

351 . Die ältere Theorie von 1971 gilt in <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie na<strong>ch</strong> wie vor als<br />

die Referenz. Man sollte sie von <strong>der</strong> neueren Theorie und ihrer Konsolidierung im<br />

Jahr 1993 getrennt beurteilen 352 . Unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> sind zunä<strong>ch</strong>st die Mittel, die zur Begründung<br />

herangezogen werden. In <strong>der</strong> älteren Theorie steht no<strong>ch</strong> die Gestaltung<br />

einer fairen Ursprungssituation (original position) dur<strong>ch</strong> einen S<strong>ch</strong>leier des Ni<strong>ch</strong>twissens<br />

(veil of ignorance) im Vor<strong>der</strong>grund, während an<strong>der</strong>e Elemente (consi<strong>der</strong>ed moral<br />

judgments, reflective equilibrium, overlapping consensus) nur als zusätzli<strong>ch</strong>e Überlegungen<br />

erwähnt werden. Demgegenüber zei<strong>ch</strong>net si<strong>ch</strong> die neue Theorie gerade dadur<strong>ch</strong><br />

aus, daß sie die realpolitis<strong>ch</strong>e Überzeugungskraft von Rawls Konzeption <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> betont (political conception, overlapping consensus, public reason,<br />

freestanding view) 353 . Es ist deshalb sa<strong>ch</strong>gere<strong>ch</strong>t, die einzelnen Begründungselemente<br />

jeweils demjenigen Teil des Rawlss<strong>ch</strong>en Werks zuzuordnen, dessen Intention sie am<br />

ehesten entspre<strong>ch</strong>en.<br />

a) Der faire Urzustand (original position)<br />

In <strong>der</strong> älteren Theorie nennt Rawls '<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Fairneß' (justice as fairness) diejenige<br />

politis<strong>ch</strong>e Konzeption <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, die si<strong>ch</strong> maßgebli<strong>ch</strong> damit begründen<br />

läßt, daß Mens<strong>ch</strong>en ihr in einer ursprüngli<strong>ch</strong>en Situation <strong>der</strong> Fairneß zustimmen<br />

würden 354 . Er gestaltet die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie als eine Übereinkunft über die für<br />

alle ri<strong>ch</strong>tigen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien, also als kantis<strong>ch</strong>e Sozialvertragstheorie 355 .<br />

349 J. Rawls, Political Liberalism (1993); dort vor allem die konsolidierenden Ausführungen zu den älteren<br />

Publikationen auf S. xiii ff. und 3 ff.<br />

350 Eine Sammlung mit nahezu demselben Inhalt wurde bereits ein Jahr zuvor in deuts<strong>ch</strong>er Übersetzung<br />

von Hins<strong>ch</strong> herausgegeben: J. Rawls, Die Idee des politis<strong>ch</strong>en Liberalismus (1992). Wegen<br />

<strong>der</strong> systematis<strong>ch</strong> neuen Glie<strong>der</strong>ung, <strong>der</strong> geringfügigen inhaltli<strong>ch</strong>en Überarbeitung und <strong>der</strong> neu<br />

ergänzten Bestandteile bietet die englis<strong>ch</strong>e Ausgabe indes den präziseren Überblick über die<br />

s<strong>ch</strong>rittweisen Verän<strong>der</strong>ungen; vgl. die glei<strong>ch</strong>e Eins<strong>ch</strong>ätzung bei P. S<strong>ch</strong>nepel, Liberalismus als<br />

Theorie <strong>der</strong> amerikanis<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aft (1995), S. 151.<br />

351 Zum grundlegenden methodis<strong>ch</strong>en Ri<strong>ch</strong>tungswe<strong>ch</strong>sel vgl. J. Rawls, Political Liberalism (1993),<br />

S. xvii: »The ambiguity of Theory is now removed and justice as fairness is presented from the outset<br />

as a political conception of justice (I:2). Surprisingly, this <strong>ch</strong>ange in turn forces many other<br />

<strong>ch</strong>anges and calls for a family of idas not needed before.« (Hervorhebung bei Rawls).<br />

352 Für eine Unters<strong>ch</strong>eidung von alter und neuer Theorie au<strong>ch</strong> B. Barry, Justice as Impartiality (1995),<br />

S. 7; O. Höffe, Ragione puubblica o ragione politica? A proposito di Rawls II (1995), S. 43 ff.:<br />

»Rawls I« und »Rawls II«; P. S<strong>ch</strong>nepel, Liberalismus als Theorie <strong>der</strong> amerikani<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aft<br />

(1995), S. 151 ff.; deutli<strong>ch</strong> C.F. Rosenkrantz, Der neue Rawls (1996), S. 191: »radikale Abkehr ... und<br />

... außerdem ein Fehler«.<br />

353 Zum Ri<strong>ch</strong>tungswe<strong>ch</strong>sel vor allem J. Rawls, Political Liberalism (1993), S. xvii.<br />

354 Vgl. J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 3, S. 12: »'justice as fairness' ... conveys the idea that the<br />

principles of justice are agreed to in an initial situation that is fair«.<br />

355 Rawls selbst läßt diesen Begriff für seine Theorie allerdings neuerdings ni<strong>ch</strong>t mehr gelten;<br />

J. Rawls, Political Liberalism, S. 23: »Justice as fairness recasts the doctrine of the social contract«.<br />

Er grenzt si<strong>ch</strong> damit von Sozialvertragstheorien in einem engeren, hobbesianis<strong>ch</strong>en Sinne ab,<br />

200


Die Übereinkunft ist als ein mehrstufiger Einigungsprozeß konzipiert 356 , auf dessen<br />

erster Stufe oberste <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgrundsätze gewählt werden 357 . Der wie bei allen<br />

Sozialvertragstheorien hypothetis<strong>ch</strong>e und ni<strong>ch</strong>t-historis<strong>ch</strong>e Ausgangszustand 358 , <strong>der</strong><br />

sonst übli<strong>ch</strong>erweise 'Naturzustand' heißt, wird bei Rawls in deutli<strong>ch</strong>er Abgrenzung<br />

zu historis<strong>ch</strong>en Vorbil<strong>der</strong>n als 'Urzustand' benannt (original position) 359 . Bei diesem<br />

wird ni<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Natur des Mens<strong>ch</strong>en und <strong>der</strong> Welt gefors<strong>ch</strong>t, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Urzustand<br />

soll so bes<strong>ch</strong>affen sein, daß eine faire Vereinbarung daraus resultieren muß 360 .<br />

Ganz im Sinne <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en Grundposition soll dafür Unparteili<strong>ch</strong>keit erfor<strong>der</strong>li<strong>ch</strong><br />

sein. Um die Unvoreingenommenheit <strong>der</strong> hypothetis<strong>ch</strong> Beteiligten – <strong>der</strong> 'Parteien'<br />

(parties) – zu garantieren, nimmt Rawls ihnen dur<strong>ch</strong> einen 'S<strong>ch</strong>leier des Ni<strong>ch</strong>twissens'<br />

(veil of ignorance) die Kenntnis ihrer eigenen natürli<strong>ch</strong>en Eigens<strong>ch</strong>aften und Dispositionen<br />

sowie ihrer Stellung in <strong>der</strong> Gesells<strong>ch</strong>aft 361 .<br />

Auf dieser Grundlage konkretisiert Rawls sein Modell einer prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie<br />

<strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en Grundposition 362 . Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgrundsätze<br />

seiner Theorie sind genau deshalb ri<strong>ch</strong>tig, weil sie das Ergebnis einer autonomiewahrenden<br />

Prozedur sind. Denn die Parteien des Urzustandes wählen die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien<br />

in einer geda<strong>ch</strong>ten Situation, in <strong>der</strong> sie unparteiis<strong>ch</strong>, frei und glei<strong>ch</strong><br />

sind. Zwar kennen sie die Bedeutung bestimmter gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Grundgüter<br />

(primary social goods: politis<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te und Freiheiten, Lebens<strong>ch</strong>ancen, Einkommen,<br />

Vermögen und Selbsta<strong>ch</strong>tung 363 ), wissen um die Lebensbedingungen mo<strong>der</strong>ater<br />

nämli<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>en, die Verhandlungsma<strong>ch</strong>t, Drohung, Gewalt, Zwang, Täus<strong>ch</strong>ung o<strong>der</strong> Betrug im<br />

Rahmen <strong>der</strong> Ausgangspostition des Vertragss<strong>ch</strong>lusses zulassen. Siehe im einzelnen ebd., S. 23.<br />

Vgl. im Gegensatz dazu die ursprüngli<strong>ch</strong>e Stellungnahme: J. Rawls, Theory of Justice (1971), Preface,<br />

S. viii: »What I have attempted to do is to generalize and carry to a higher or<strong>der</strong> of abstraction<br />

the traditional theory of the social contract as represented by Locke, Rousseau, and Kant.«<br />

356 Zur 'four-stage sequence' siehe J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 31, S. 195 ff.; nur die erste Stufe<br />

wird von Rawls ausführli<strong>ch</strong> inhaltli<strong>ch</strong> behandelt, die an<strong>der</strong>en finden si<strong>ch</strong> nur angedeutet.<br />

357 Zu den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien J. Rawls, Theory of Justice (1971), §§ 10 ff., S. 54 ff.<br />

358 J. Rawls, Political Liberalism (1993), S. 24: »[I]t is clear that the original position is to be seen as a<br />

device of representation and hence any agreement rea<strong>ch</strong>ed by the parties must be regarded as<br />

both hypothetical and nonhistorical.«<br />

359 J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 4, S. 18; §§ 20 ff., S. 118 ff.; <strong>der</strong>s., Political Liberlism (1993), S. 23:<br />

»Here we face a difficulty for any political conception of justice that uses the idea of contract,<br />

whether social or otherwise. The difficulty is this: we must find some point of view ... The original<br />

position ... is this point of view.« Außerdem: ebd., S. 26: »The original position serves as a mediating<br />

idea by whi<strong>ch</strong> all our consi<strong>der</strong>ed convictions, whatever their level of generality ... can be<br />

brought to bear on one another.«<br />

360 J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 3, S. 12; <strong>der</strong>s., Political Liberalism (1993), S. 22 f.<br />

361 J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 24, S. 136 ff.; <strong>der</strong>s., Political Liberalism (1993), S. 23: »[T]he veil<br />

of ignorance ... must eliminate the bargaining advantages that inevitably arise within the background<br />

institutions of any society from cumulative social, historical, and natural tendencies. These<br />

contingent advantages and accidental influences from the past should not affect an agreement<br />

on the principles that are to regulate the institutions of the basic structure itself from the present<br />

into the future.« Außerdem: ebd., S. 27: »We can, as it were, enter this position at any time simply<br />

by reasoning for principles of justice in accordance with the enumerated restrictions on information.«<br />

362 Dazu oben S. 199 (D 4K ).<br />

363 J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 15, S. 90 ff.<br />

201


Knappheit (circumstances of justice 364 ) und um mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e wie gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e<br />

Grunddaten (Psy<strong>ch</strong>ologie, Politik, Ökonomie 365 ), können Optimierungsstrategien zu<br />

ihrer Erlangung verfolgen 366 und verfügen über einen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>ssinn 367 sowie die<br />

Fähigkeit, eine individuelle Konzeption des guten Lebens zu entwerfen (conception of<br />

the good 368 ). Personen im Urzustand sind aber deshalb unparteiis<strong>ch</strong>, frei und glei<strong>ch</strong>,<br />

weil ihnen dur<strong>ch</strong> den S<strong>ch</strong>leier des Ni<strong>ch</strong>twissens ihre eigenen Fähigkeiten und Neigungen<br />

verborgen bleiben. Sie kennen we<strong>der</strong> ihren Platz in <strong>der</strong> Gesells<strong>ch</strong>aft, ihre<br />

Klasse o<strong>der</strong> ihren sozialen Status, no<strong>ch</strong> ihre persönli<strong>ch</strong>en Fähigkeiten (Talente, Intelligenz),<br />

Lebensziele o<strong>der</strong> Charaktereigens<strong>ch</strong>aften, ja ni<strong>ch</strong>t einmal die Generation, in<br />

die sie hineingeboren werden 369 . Die mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Eigens<strong>ch</strong>aften, von denen sie<br />

Kenntnis haben, also <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>ssinn, die Vernunftbegabung und die Fähigkeit,<br />

eine Konzeption des Guten zu entwerfen, sind allesamt sol<strong>ch</strong>e, die bei den Parteien<br />

im nötigen Umfang glei<strong>ch</strong>ermaßen vorhanden sind 370 . Sie können also nur eine<br />

Ents<strong>ch</strong>eidung treffen, die frei von persönli<strong>ch</strong>en Neigungen und in diesem Sinne 'autonom'<br />

ist. Autonom im Sinne des freien Willens bei Kant sind die Parteien im Urzustand<br />

au<strong>ch</strong> deshalb, weil Rawls sie als gegenseitig desinteressiert konzipiert, so daß<br />

niemand aus bloßem Neid o<strong>der</strong> bloßer Mißgunst eine Regelung ablehnt die Unglei<strong>ch</strong>heiten<br />

ermögli<strong>ch</strong>t und damit unter Umständen eine Besserstellung <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

371 . So bleibt den Parteien ni<strong>ch</strong>ts an<strong>der</strong>es übrig, als die mögli<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien<br />

auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> auf <strong>der</strong> Grundlage allgemeiner Überlegungen (general consi<strong>der</strong>ations)<br />

zu würdigen 372 . Die geda<strong>ch</strong>ten Parteien im Urzustand sind dur<strong>ch</strong> den<br />

S<strong>ch</strong>leier des Ni<strong>ch</strong>twissens alle <strong>der</strong>art glei<strong>ch</strong> definiert, daß ein interesseorientiertes<br />

'Verhandeln' (bargaining) wie bei einem realen Vertragss<strong>ch</strong>luß o<strong>der</strong> bei hobbesianis<strong>ch</strong>en<br />

Sozialvertragstheorien überhaupt ni<strong>ch</strong>t mehr mögli<strong>ch</strong> ist 373 .<br />

364 Insoweit stützt si<strong>ch</strong> Rawls vollständig auf Hume; siehe J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 22,<br />

S. 126 ff. Dazu oben S. 79 (Umstände <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

365 J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 24, S. 137.<br />

366 J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 25, S. 142 ff.<br />

367 J. Ralws, Political Liberalism (1993), S. 19: »A sense of justice is the capacity to un<strong>der</strong>stand, to apply,<br />

and to act from the public conception of justice whi<strong>ch</strong> <strong>ch</strong>aracterizes the fair terms of social<br />

cooperation.«<br />

368 J. Ralws, Political Liberalism (1993), S. 19 f.: »[P]ersons also have at any given time a determinate<br />

conception of the good that they try to a<strong>ch</strong>ieve. Su<strong>ch</strong> a conception must not be un<strong>der</strong>stood narrowly<br />

but rather as including a conception of what is valuable in human life [... including] a view<br />

of our relation to the world – religious, philosophical, and moral – by reference to whi<strong>ch</strong> the value<br />

and significance of our ends and atta<strong>ch</strong>ments are un<strong>der</strong>stood.«<br />

369 Mit dieser Aufzählung J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 24, S. 137.<br />

370 Vgl. J. Rawls, Political Liberalism (1993), S. 19: »The basic idea is that in virtue of their two moral<br />

powers (a capacity for a sense of justice and for a conception of the good) and the powers of reason<br />

(of judgment, thought, and inference connected with these powers), persons are free. Their<br />

having these powers to the requisite minimum degree to be fully cooperating members of society<br />

makes persons equal.«<br />

371 J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 24, S. 143 f.<br />

372 So ausdrückli<strong>ch</strong> J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 24, S. 136 f.<br />

373 Vgl. J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 24, S. 139: »[S]ince the differences among the parties are<br />

unknown to them, and everyone is equally rational and similarly situated, ea<strong>ch</strong> is convinced by<br />

the same arguments. ... Thus there follows the very important consequence that the parties have<br />

no basis for bargaining in the usual sense.«<br />

202


) Zwei Prinzipien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (N 1 N 2 )<br />

Auf <strong>der</strong> Basis des so definierten Urzustandes nimmt Rawls die Wahl zweier Grundsätze<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> an, die er zunä<strong>ch</strong>st in einer vorläufigen und dann in <strong>der</strong> folgenden<br />

endgültigen Fassung formuliert 374 :<br />

N 1 :<br />

N 2 :<br />

Jede Person hat das glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>t auf das umfangrei<strong>ch</strong>ste<br />

Gesamtsystem glei<strong>ch</strong>er Grundfreiheiten, das mit einem<br />

entspre<strong>ch</strong>enden Freiheitssystem für alle vereinbar<br />

ist.<br />

Soziale und wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Unglei<strong>ch</strong>heiten müssen so<br />

bes<strong>ch</strong>affen sein, daß sie sowohl<br />

(a) den am wenigsten Begünstigten zum größten Vorteil<br />

gerei<strong>ch</strong>en, vereinbar mit dem gere<strong>ch</strong>ten Spargrundsatz,<br />

als au<strong>ch</strong><br />

(b) mit Ämtern und Positionen verbunden sind, die allen<br />

unter den Bedingungen fairer Chancenglei<strong>ch</strong>heit offenstehen.<br />

Zwis<strong>ch</strong>en den Grundsätzen besteht eine Vorrangregel (lexical or<strong>der</strong>), die eine Unglei<strong>ch</strong>heit<br />

im Sinne des zweiten Grundsatzes erst zuläßt, wenn Glei<strong>ch</strong>heit im Sinne<br />

des ersten Grundsatzes hergestellt ist 375 . Die Überlegungen, die na<strong>ch</strong> Rawls notwendig<br />

zur Wahl dieser Prinzipien führen, orientieren si<strong>ch</strong> an <strong>der</strong> bereits erwähnten Maximin-Regel<br />

376 . Der Urzustand ist absi<strong>ch</strong>tsvoll so gestaltet, daß den Parteien dur<strong>ch</strong><br />

den S<strong>ch</strong>leier des Ni<strong>ch</strong>twissens alle wi<strong>ch</strong>tigen Informationen über ihre Eigens<strong>ch</strong>aften,<br />

Fähigkeiten und Güter in <strong>der</strong> realen Welt entzogen sind. Sie befinden si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong><br />

in einer Situation weitgehen<strong>der</strong> Unsi<strong>ch</strong>erheit, in <strong>der</strong> sie mit einer existentiell wi<strong>ch</strong>tigen<br />

Ents<strong>ch</strong>eidung über die Rahmenbedingungen ihres Lebens konfrontiert werden.<br />

Das sind die Bedingungen, unter denen na<strong>ch</strong> Rawls eine risikos<strong>ch</strong>eue Wahl na<strong>ch</strong> <strong>der</strong><br />

Maximin-Regel als ri<strong>ch</strong>tige Ents<strong>ch</strong>eidungsstrategie ers<strong>ch</strong>einen soll. Bestimmte<br />

Grundfreiheiten (N 1 ) sollen den Parteien dabei so wi<strong>ch</strong>tig sein, daß sie sie au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

für einen größeren Güterbestand opfern würden 377 . Im übrigen wären die Parteien –<br />

laut Rawls – nur dann bereit, Unglei<strong>ch</strong>heiten in Kauf zu nehmen, wenn sie selbst im<br />

ungünstigsten Fall davon profitieren. Dies drückt das sogenannte Differenzprinzip<br />

374 Zur vorläufigen Fassung J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 11, S. 60; endgültige Fassung ebd.,<br />

§ 46, S. 302. Die hier vorgenommene Übersetzung ist strikt am Wortlaut des englis<strong>ch</strong>en Originals<br />

orientiert und deshalb ni<strong>ch</strong>t identis<strong>ch</strong> mit <strong>der</strong> – zwar von Rawls autorisierten aber teilweise lei<strong>ch</strong>t<br />

vom Original abwei<strong>ch</strong>enden – deuts<strong>ch</strong>en Ausgabe: J. Rawls, Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1979), § 46,<br />

S. 336.<br />

375 J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 8, S. 42 ff.; § 47, S. 302 f.; <strong>der</strong>s., Political Liberalism (1993), S. 6:<br />

»The two principles together, with the first given priority over the second, regulate the basic institutions«.<br />

376 J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 26, S. 150 ff. Dazu oben S. 180 ff. (Theorie <strong>der</strong> Maximin-Wahl).<br />

377 J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 26, S. 156.<br />

203


(N 2a ) aus 378 , das dadur<strong>ch</strong> zum umstrittensten Element <strong>der</strong> Theorie wurde.<br />

c) Das Vierstufenmodell<br />

Aus <strong>der</strong> Si<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie ist es von beson<strong>der</strong>em Interesse, daß Rawls<br />

in <strong>der</strong> Wahl <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgrundsätze nur eine von mehreren Stufen <strong>der</strong> Konkretisierung<br />

von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in <strong>der</strong> sozialen Ordnung sieht 379 . Rawls arbeitet mit einem<br />

vierstufigen Modell. Auf <strong>der</strong> ersten Stufe stecken die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgrundsätze<br />

den Rahmen für alle na<strong>ch</strong>folgenden Stufen ab. Auf <strong>der</strong> zweiten Stufe wählen die<br />

Parteien eine gere<strong>ch</strong>te Verfassung. Dazu wird <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>leier des Ni<strong>ch</strong>twissens teilweise<br />

gelüftet, so daß ihnen zusätzli<strong>ch</strong>e Kenntnisse über allgemeine Eigens<strong>ch</strong>aften <strong>der</strong><br />

Gesells<strong>ch</strong>aft und ihrer Ressourcen eröffnet sind. Auf <strong>der</strong> dritten Stufe erarbeiten die<br />

Beteiligten im Rahmen <strong>der</strong> Verfassungsvorgaben und bei weiterer Enthüllung ihres<br />

zunä<strong>ch</strong>st vers<strong>ch</strong>leierten Wissens die Gesetze, die für sie gere<strong>ch</strong>t sind. Die vierte Stufe<br />

s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> betrifft die Re<strong>ch</strong>tsanwendung im Einzelfall, also die gere<strong>ch</strong>te staatli<strong>ch</strong>e<br />

Administration und Adjudikation. Zwis<strong>ch</strong>en den Einzelstufen besteht na<strong>ch</strong> Rawls eine<br />

We<strong>ch</strong>selwirkung, die es etwa erlaubt, bereits bei <strong>der</strong> Verfassunggebung auf gesetzgeberis<strong>ch</strong>e<br />

Bedürfnisse Rücksi<strong>ch</strong>t zu nehmen.<br />

d) Die Funktion prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

Rawls nutzt reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Grundlage seiner Theorie 380 . Die 'faire<br />

Prozedur', die hier zur Anwendung kommt, ist die sozialvertragli<strong>ch</strong>e Überlegung<br />

hinter dem S<strong>ch</strong>leier des Ni<strong>ch</strong>twissens: Was immer die Parteien wählen ist qua definitionem<br />

gere<strong>ch</strong>t. Rawls bezei<strong>ch</strong>net die reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> au<strong>ch</strong> als das<br />

Konzept, das <strong>der</strong> Güterverteilung im zweiten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzip zugrunde<br />

liegt 381 . Statt auf relative Positionen von Individuen und ihre Beteiligung bei <strong>der</strong> Güterverteilung<br />

einzugehen, nimmt das zweite <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzip einen prozeduralen<br />

Standpunkt ein. Der Status eines Individuums muß ni<strong>ch</strong>t für si<strong>ch</strong> betra<strong>ch</strong>tet<br />

(substantiell) als gere<strong>ch</strong>t begründet werden 382 . Solange die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgrundsätze<br />

bea<strong>ch</strong>tet werden, ist jedes dadur<strong>ch</strong> bewirkte Ergebnis (prozedural) gere<strong>ch</strong>t.<br />

Neben reiner Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit nutzt Rawls au<strong>ch</strong> quasi-reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

in seinem Vierstufenmodell 383 . Die aufeinan<strong>der</strong>folgenden Stufen <strong>der</strong> Ver-<br />

378 In <strong>der</strong> Neuformulierung <strong>der</strong> Theorie hat Rawls unter an<strong>der</strong>em au<strong>ch</strong> die Rangfolge <strong>der</strong> Prinzipien<br />

geän<strong>der</strong>t, so daß das Differenzprinzip zu N 2b ' wird; siehe S. 209 (neue <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien).<br />

379 Zur 'four-stage sequence' siehe J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 31, S. 195 ff.; zustimmend P. Koller,<br />

Mo<strong>der</strong>ne Vertragstheorie und Grundgesetz (1996), S. 380 ff. (382).<br />

380 J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 24, S. 136: »The idea of the original position is to set up a fair<br />

procedure so that any principles agreed to will be just. The aim is to use the notion of pure procedural<br />

justice as a basis of theory.«<br />

381 J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 14, S. 84 f.<br />

382 Die Formulierung bei Rawls ('in itself just') ma<strong>ch</strong>t den Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en prozedural definierter<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> und material determinierter Ergebnisgere<strong>ch</strong>tigkeit deutli<strong>ch</strong>. Siehe J. Rawls, Theory<br />

of Justice (1971), § 14, S. 87 f.<br />

383 J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 31, S. 195 ff. (201).<br />

204


fassunggebung, Gesetzgebung und Gesetzesanwendung sind – an<strong>der</strong>s als die erste<br />

Stufe – inhaltli<strong>ch</strong> ausfüllungsbedürftig; nur die obersten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien<br />

werden in Rawls Theorie mit Bestimmtheit gewählt, im übrigen ist die Auswahl einer<br />

Verfassung, die Verabs<strong>ch</strong>iedung von Gesetzen und ihre Anwendung ungewiß. Mit<br />

dieser Indeterminanz <strong>der</strong> Stufen geht eine Indeterminanz <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> einher 384 .<br />

Der Berei<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Indeterminanz bietet Raum für quasi-reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>:<br />

Verfassung, Gesetze und Gesetzesanwendung sind gere<strong>ch</strong>t, solange sie den<br />

dur<strong>ch</strong> die vorausliegende Stufe abgesteckten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>srahmen einhalten 385 .<br />

e) Ergebnisse<br />

Zusammenfassend kann Rawls 'Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' als eine Sozialvertragstheorie<br />

gekennzei<strong>ch</strong>net werden, die bei sehr genauer Bes<strong>ch</strong>reibung <strong>der</strong> Grundposition<br />

unter Anwendung ents<strong>ch</strong>eidungstheoretis<strong>ch</strong>er und intuitiver Überlegungen zu<br />

abstrakten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgrundsätzen führt, die ans<strong>ch</strong>ließend in einem weiterhin am<br />

Sozialvertrag orientierten Konkretisierungsverfahren zu einer gere<strong>ch</strong>ten Sozialordnung<br />

ausgebaut werden. Im Spektrum <strong>der</strong> Sozialvertragstheorien ist dieser Ansatz<br />

wegen des Differenzprinzips als wohlfahrtsstaatli<strong>ch</strong> o<strong>der</strong> sozialliberal zu kennzei<strong>ch</strong>nen.<br />

2. Theorie des politis<strong>ch</strong>en Liberalismus (J. Rawls 1993)<br />

Mit <strong>der</strong> neueren <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie knüpft Rawls an die Ergebnisse seiner älteren<br />

Theorie an, die ihn im Spektrum <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophien zu einer egalitären Variante<br />

des Liberalismus geführt hatten 386 . Er widmet si<strong>ch</strong> aber ni<strong>ch</strong>t mehr den Feinheiten<br />

<strong>der</strong> Wahl von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien im Urzustand, son<strong>der</strong>n greift das Element<br />

des übergreifenden Konsenses (overlapping consensus) auf, das in <strong>der</strong> älteren<br />

Theorie ein S<strong>ch</strong>attendasein geführt hatte, um es nun zu einem S<strong>ch</strong>lüsselelement <strong>der</strong><br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung auszubauen. Letztli<strong>ch</strong> geht es ihm darum, die politis<strong>ch</strong>e<br />

Mögli<strong>ch</strong>keit und die Sinnhaftigkeit des egalitären Liberalismus zu zeigen, wie er ihn<br />

mit '<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Fairneß' skizziert hatte 387 . An die Stelle des primär normativen<br />

Anspru<strong>ch</strong>s, gestützt dur<strong>ch</strong> das Gedankenexperiment des Urzustands (original position)<br />

und <strong>der</strong> Wissensvers<strong>ch</strong>leierung (veil of ignorance), tritt die re<strong>ch</strong>tfertigende Bes<strong>ch</strong>reibung<br />

dessen, was in einer pluralistis<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aft stabilitätsbildend sein<br />

kann 388 .<br />

384 J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 31, S. 201: »[I]t is not always clear whi<strong>ch</strong> of several constitutions,<br />

or economic and social arrangements, would be <strong>ch</strong>osen. But when this is so, justice is to that<br />

extent likewise indeterminate.«<br />

385 Dazu oben S. 128 ff. (quasi-reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

386 J. Rawls, Political Liberalism (1993), S. 6 f.: »[T]here are many variant liberalisms ... the two principles<br />

express an egalitarian form of liberalism ... I presuppose throughout these lectures the same<br />

egalitarian conception of justice as before«.<br />

387 Dazu das Kapitel 'How is Political Liberalism Possible?' in J. Rawls, Political Liberalism (1993), S. 134<br />

ff.<br />

388 So au<strong>ch</strong> P. S<strong>ch</strong>nepel, Liberalismus als Theorie <strong>der</strong> amerikanis<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aft (1992), S. 151.<br />

205


a) Die Bausteine <strong>der</strong> Theorie<br />

Der Politis<strong>ch</strong>e Liberalismus ist na<strong>ch</strong> Rawls ein Modell dafür, wie eine Gesells<strong>ch</strong>aft ein<br />

faires und stabiles System <strong>der</strong> Kooperation zwis<strong>ch</strong>en freien und glei<strong>ch</strong>en Bürgern<br />

sein kann, obwohl diese Bürger über die sinnvollen, umfassenden Doktrinen (reasonable<br />

comprehensive doctrines), die sie jeweils unterstützen, zutiefst uneinig sind 389 und<br />

immer sein werden 390 . Drei Bedingungen sollen dafür genügen. Erstens muß eine<br />

politis<strong>ch</strong>e Konzeption <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> die Grundstruktur (basic structure) <strong>der</strong> Gesells<strong>ch</strong>aft<br />

regeln 391 – d.h. <strong>der</strong>en wi<strong>ch</strong>tigsten politis<strong>ch</strong>en, sozialen und ökonomis<strong>ch</strong>en<br />

Institutionen sowie das Zusammenspiel dieser Institutionen in einem einheitli<strong>ch</strong>en<br />

System sozialer Kooperation von einer Generation zur nä<strong>ch</strong>sten 392 . Zweitens muß<br />

diese politis<strong>ch</strong>e Konzeption <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> dem übergreifenden Konsens (overlapping<br />

consensus) entspre<strong>ch</strong>en 393 , <strong>der</strong> als S<strong>ch</strong>nittmenge aus allen sinnvollen, umfassenden<br />

Doktrinen gebildet wird 394 . Drittens s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> muß die öffentli<strong>ch</strong>e Diskussion<br />

(public discussion) na<strong>ch</strong> den Regeln einer politis<strong>ch</strong>en Konzeption <strong>der</strong> Gere<strong>ch</strong>tig-<br />

389 J. Rawls, Political Liberalism (1993), S. 43 f.: »I recall the combined question that political liberalism<br />

addrsses and say: three conditions seem to be sufficient for society to be a fair and stable system<br />

of cooperation between free and equal citizens who are deeply divided by the reasonable comprehensive<br />

doctrines they affirm.« Zu den 'combined questions' siehe S. 3 f.: »what is the most<br />

appropriate conception of justice for specifying the fair terms of social cooperation between citizens<br />

regarded as free and equal, and as fully cooperating members of society over a complete life,<br />

from one generation to the next? ... what are the grounds of toleration so un<strong>der</strong>stood and given<br />

the fact of reasonable pluralism as the inevitable outcome of free institutions?«<br />

390 J. Rawls, Overlapping Consensus, S. 136: »[W]e also view the diversity of reasonable religious,<br />

philosophical, and moral doctrines found in democratic societies as a permanent feature of their<br />

public culture.«; <strong>der</strong>s., Political Liberalism (1993), S. 3: »[T]he fact of reasonable pluralism as the<br />

inevitable outcome of free institutions«.<br />

391 J. Rawls, Political Liberalism (1993), S. 44: »First, the basic structure of society is regulated by a political<br />

conception of justice«.<br />

392 J. Rawls, Political Liberalism (1993), S. 11 f.: »By basic structure I mean a society's main political,<br />

social, and economic institutions, and how they fit together into one unified system of social cooperation<br />

from one generation to the next. ... I assume that the basic structure is that of a closed society:<br />

that is, we are to regard it as self-contained and as having no relations with other societies.«<br />

Dieses Element <strong>der</strong> basic structure ist ni<strong>ch</strong>t neu; vgl. J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 1, S. 4 f.<br />

(well-or<strong>der</strong>ed society); § 2, S. 7: »For us the primary subject of justice is the basic structure of society,<br />

or more exactly, the way in whi<strong>ch</strong> the major social institutions distribute fundamental rights and<br />

duties and determine the division of advantages from social cooperation.«<br />

393 J. Rawls, Political Liberalism (1993), S. 44: »[S]econd, this political conception is the focus of an<br />

overlapping consensus of reasonable comprehensive doctrines«. – Rawls frühere Grundidee einer<br />

wohlgeordneten Gesells<strong>ch</strong>aft geht in <strong>der</strong> Idee des übergreifenden Konsenses auf: vgl. J. Rawls, Political<br />

Liberalism (1993), S. 35-40.<br />

394 Eine umfassende Doktrin kann religiös, philosophis<strong>ch</strong> o<strong>der</strong> moralis<strong>ch</strong> sein. Vgl. J. Rawls, Political<br />

Liberalism (1993), S. 14, 136. Au<strong>ch</strong> dieses Element des overlapping consensus ist ni<strong>ch</strong>t neu; vgl.<br />

J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 59, S. 387 f.: »There can, in fact, be consi<strong>der</strong>able differences in<br />

citizens' conceptions of justice provided that these conceptions lead to similar political judgments.<br />

And this is possible, since different premises can yield the same conclusion. In this case there<br />

exists what we may refer to as overlapping rather than strict consensus.« Es gewinnt aber jetzt eine<br />

inhaltli<strong>ch</strong> an<strong>der</strong>e und methodis<strong>ch</strong> zentrale Bedeutung; J. Rawls, Political Liberalism (1993),<br />

S. xvii mit Fn. 5.<br />

206


keit geführt werden, soweit die Diskussion konstitutionelle Kernpunkte und Fragen<br />

grundlegen<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> betrifft 395 .<br />

Jede politis<strong>ch</strong>e Konzeption <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, die geeignet sein soll, alle drei Bedingungen<br />

des politis<strong>ch</strong>en Liberalismus zu erfüllen, muß na<strong>ch</strong> Rawls drei <strong>ch</strong>arakteristis<strong>ch</strong>e<br />

Eigens<strong>ch</strong>aften aufweisen 396 . Erstens ist sie eine moralis<strong>ch</strong>e Konzeption (moral<br />

conception) für die Grundstruktur einer Gesells<strong>ch</strong>aft, d.h. eine sol<strong>ch</strong>e, die die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

von politis<strong>ch</strong>en, sozialen und ökonomis<strong>ch</strong>en Institutionen zum Gegenstand<br />

hat 397 . Zweitens ist sie eine freistehende Konzeption (freestanding view), d.h. sie ist unabhängig<br />

von umfassenden Doktrinen (z.B. Religionen, Weltans<strong>ch</strong>auungen, Lebenspläne)<br />

398 und in ihrem Anwendungsberei<strong>ch</strong> auf die Grundstruktur (basic structure)<br />

bes<strong>ch</strong>ränkt 399 . Drittens s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> werden ihre Inhalte in den Ausdrucksformen <strong>der</strong><br />

Hintergrundkultur (public political culture) einer demokratis<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aft bes<strong>ch</strong>rieben<br />

400 .<br />

b) Die S<strong>ch</strong>lüsselstellung des übergreifenden Konsenses<br />

In <strong>der</strong> Vielzahl neuer und alter Theoriebausteine nimmt <strong>der</strong> übergreifende Konsens<br />

(overlapping consensus), verbunden mit <strong>der</strong> Idee <strong>der</strong> freistehenden Konzeption (freestanding<br />

view), eine methodis<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>lüsselstellung ein, die si<strong>ch</strong> wie eine kopernikani-<br />

395 J. Rawls, Political Liberalism (1993), S. 44: »[T]hird, public discussion, when constitutional essentials<br />

and questions of basic justice are at stake, is conducted in terms of the political conception of<br />

justice.«<br />

396 J. Rawls, Political Liberalism (1993), S. 11: »[A] political conception of justice has three <strong>ch</strong>aracteristic<br />

features, ea<strong>ch</strong> of whi<strong>ch</strong> is exemplified by justice as fairness«.<br />

397 J. Rawls, Political Liberalism (1993), S. 11: »The first concerns the subject of a political conception.<br />

While su<strong>ch</strong> a conception is, of course, a moral conception, it is a moral conception worked out for<br />

a specific kind of subject, namely, for political, social, and economic institutions.«<br />

398 Vgl. die Definition <strong>der</strong> umfassenden Doktrin bei J. Rawls, Political Liberalism (1993), S. 13: »A moral<br />

conception ... is comprehensive when it includes conceptions of what is of value in human life,<br />

and ideals of personal <strong>ch</strong>aracter, as well as ideals of friendship and of familial and associational<br />

relationships, and mu<strong>ch</strong> else that is to inform our conduct, and in the limit to our life as a whole.<br />

... a conception is partly comprehensive when it comprises a number of, but by no means all, nonpolitical<br />

values and virtues«.<br />

399 J. Rawls, Political Liberalism (1993), S. 10: »Political liberalism, then, aims for a political conception<br />

of justice as a freestanding view. It offers no specific metaphysical or epistemological doctrine<br />

beyond what is implied by the political conception itself. As an account of political values, a freestanding<br />

political conception does not deny there being other values that apply, say, to the personal,<br />

the familial, and the associational; nor does it say that political values are separate from, or<br />

discontinuous with, other values.«; S. 13: »the distinction between a political conception of justice<br />

and other moral conceptions is a matter of scope: that is, the range of subjects to whi<strong>ch</strong> a conception<br />

applies ... [it] is general if it applies to a wide range of subjects ... It is comprehensive when it<br />

includes conceptions of what is of value in human life ... [it] is fully comprehensive if it covers all<br />

recognized values and virtues within one rather precisely articulated system«. Vgl. au<strong>ch</strong> S. 30:<br />

»Citizens usually have both political and nonpolitical aims and commitments.« Zum Metaphysikbegriff<br />

siehe oben S. 42, Fn. 84.<br />

400 J. Rawls, Political Liberalism (1993), S. 13 f.: »The third feature of a political conception of justice is<br />

that its content is expressed in terms of certain fundamental ideas seen as implicit in the public<br />

political culture of a democratic society. ... what we may call the 'background culture' of civil society.«<br />

207


s<strong>ch</strong>e Wende in Rawls <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie auswirkt und dadur<strong>ch</strong> zum eigentli<strong>ch</strong>en<br />

Charakteristikum <strong>der</strong> neueren Theorie wird. Um das zu zeigen, sei zunä<strong>ch</strong>st hervorgehoben,<br />

inwiefern die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung in <strong>der</strong> ursprüngli<strong>ch</strong>en Theorie unbefriedigend<br />

war, um dann darzustellen, wel<strong>ch</strong>e Antwort <strong>der</strong> übergreifende Konsens<br />

in <strong>der</strong> neuen Theorie auf dieses Begründungsdefizit gibt.<br />

Inwieweit war die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung in <strong>der</strong> ursprüngli<strong>ch</strong>en Theorie unbefriedigend?<br />

Die Begründung stützte si<strong>ch</strong> im Kern auf die oben ges<strong>ch</strong>il<strong>der</strong>te Herleitung<br />

von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgrundsätzen aus einem als 'fair' konzipierten Urzustand. Die<br />

Wahl <strong>der</strong> Grundsätze beruhte dabei nur formal auf ents<strong>ch</strong>eidungstheoretis<strong>ch</strong>en<br />

Überlegungen in Anwendung <strong>der</strong> Maximin-Regel; inhaltli<strong>ch</strong> hing alles davon ab, wie<br />

<strong>der</strong> Urzustand definiert wurde 401 . Methodis<strong>ch</strong> ist daran unbefriedigend, daß letztli<strong>ch</strong><br />

genau das als Ergebnis herauskommt, was dur<strong>ch</strong> die Konstruktion eines S<strong>ch</strong>leiers<br />

des Ni<strong>ch</strong>twissens zuvor angelegt wurde. Deshalb hat Rawls s<strong>ch</strong>on in <strong>der</strong> ursprüngli<strong>ch</strong>en<br />

Theorie zusätzli<strong>ch</strong> eine intuitive Plausibilisierung <strong>der</strong> Bedingungen des<br />

Urzustandes im Rahmes des Überlegungsglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts (reflective equilibrium) eingeführt,<br />

die das theoretis<strong>ch</strong>e Ergebnis absi<strong>ch</strong>ern sollte 402 . Dana<strong>ch</strong> sind die Bedingungen<br />

zu modifizieren, falls sie zu Ergebnissen führen würden, die mit den aus<br />

mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>em <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>ssinn entspringenden wohlüberlegten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteilen<br />

(consi<strong>der</strong>ed moral judgments) ni<strong>ch</strong>t mehr im Einklang stehen. Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien<br />

sind dana<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr nur deshalb ri<strong>ch</strong>tig, weil sie in einem fairen<br />

Urzustand gewählt würden, son<strong>der</strong>n sie sind au<strong>ch</strong> deshalb ri<strong>ch</strong>tig, weil sie mit den<br />

reflektierten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>svorstellungen übereinstimmen. Methodis<strong>ch</strong> unbefriedigend<br />

ist dabei, daß für die eigentli<strong>ch</strong>e Begründungleistung auf Überzeugungen verwiesen<br />

wird, die außerhalb <strong>der</strong> Theorie liegen. Inhaltli<strong>ch</strong> unbefriedigend ist, daß die<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>svorstellungen je na<strong>ch</strong> sozialer Gruppe so fundamental unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong><br />

ausfallen können, daß ein für alle begründbares Überlegungsglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t unerrei<strong>ch</strong>bar<br />

ers<strong>ch</strong>eint. Au<strong>ch</strong> mit den Ausführungen zur politis<strong>ch</strong>en Stabilität seiner <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>skonzeption<br />

konnte Rawls diese Argumentationslücke ni<strong>ch</strong>t ausfüllen,<br />

weil Stabilitätsgesi<strong>ch</strong>tspunkte allein na<strong>ch</strong> seiner eigenen Auffassung ni<strong>ch</strong>ts zur Begründung<br />

beitragen 403 .<br />

Wel<strong>ch</strong>e Antwort gibt nun <strong>der</strong> übergreifende Konsens auf dieses Begründungsdefizit?<br />

Zunä<strong>ch</strong>st wird von Rawls zugestanden, daß die konfligierenden umfassenden<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>svorstellungen (comprehensive doctrines) au<strong>ch</strong> in Zukunft immer unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong><br />

bleiben werden. Als Konsequenz bes<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> die neue Theorie mit einer<br />

Rolle als freistehende Konzeption <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (freestanding<br />

401 Dazu oben S. 180 ff. (Theorie <strong>der</strong> Maximin-Wahl).<br />

402 J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 9, S. 48 ff. (49 f.): »[J]ustice as fairness can be un<strong>der</strong>stood as<br />

saying that the two principles ... give a better mat<strong>ch</strong> with our consi<strong>der</strong>ed judgments on reflection<br />

than these recognized alternatives [of utility and perfection]«; <strong>der</strong>s., Political Liberalism (1993),<br />

S. 8: »We collect su<strong>ch</strong> settled convictions as the belief in religious toleration and the rejection of<br />

slavery ... These convictions are provisional fixed points that it seems any reasonable conception<br />

must account for. ... We express this by saying that a political conception of justice, to be acceptable,<br />

must accord with our consi<strong>der</strong>ed convictions, at all levels of generality, on due reflection, or<br />

in what I have called elsewhere 'reflective equilibrium'.«<br />

403 J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 69, S. 455: »To be sure, the criterion of stability is not decisive.«<br />

208


view), die für unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e umfassende Wertvorstellungen offen sein soll 404 . Diese<br />

Aufgabe einer Selbstbes<strong>ch</strong>eidung sei dann erfüllt, wenn die freistehende Konzeption<br />

zum Gegenstand eines übergreifenden Konsenses (overlapping consensus) wird 405 .<br />

Dadur<strong>ch</strong> also, daß die Ergebnisse <strong>der</strong> Theorie nur no<strong>ch</strong> einen kleinsten gemeinsamen<br />

Nenner enthalten, <strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Si<strong>ch</strong>t unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>ster religiöser, philosophis<strong>ch</strong>er<br />

und moralis<strong>ch</strong>er Ans<strong>ch</strong>auungen unterstützt werden kann, sollen die Mängel <strong>der</strong> älteren<br />

Theorie überwunden werden. Während früher <strong>der</strong> Einwand bere<strong>ch</strong>tigt war,<br />

daß nur diejenigen, die ohnehin egalitär-liberalen Moralvorstellungen anhingen,<br />

au<strong>ch</strong> eine Bestätigung in den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien finden konnten (reflective equilibrium),<br />

gilt na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> neuen Theorie, daß sehr unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Moraltraditionen jeweils<br />

aus ihrer Perspektive den politis<strong>ch</strong>en Minimalkonsens <strong>der</strong> Rawlss<strong>ch</strong>en Theorie<br />

mitzutragen vermögen. Die ursprüngli<strong>ch</strong> nordamerikanis<strong>ch</strong> geprägte Theorie gibt<br />

si<strong>ch</strong> multikulturell.<br />

c) Die neuen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien (N 1 ' N 2 ')<br />

Seit <strong>der</strong> Publikation <strong>der</strong> ursprüngli<strong>ch</strong>en Theorie im Jahr 1971 hat Rawls ni<strong>ch</strong>t nur den<br />

S<strong>ch</strong>werpunkt <strong>der</strong> Begründung na<strong>ch</strong>haltig vers<strong>ch</strong>oben, son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong> das greifbare<br />

Ergebnis seiner Theorie, die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgrundsätze, mehrfa<strong>ch</strong> verän<strong>der</strong>t. Beginnend<br />

mit den Tanner-Lectures im Jahre 1981 wurden die Teilgrundsätze des zweiten<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzips in ihrer Reihenfolge vertaus<strong>ch</strong>t, so daß das umstrittene Differenzprinzip<br />

ganz an den S<strong>ch</strong>luß rückt, was vor allem unter dem Gesi<strong>ch</strong>tspunkt des<br />

'Vorrangs <strong>der</strong> Grundfreiheiten' bedeutsam ist 406 . In <strong>der</strong> konsolidierten Fassung betont<br />

Rawls seit 1993, daß es au<strong>ch</strong> bei den Grundfreiheiten des ersten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgrundsatzes<br />

ni<strong>ch</strong>t nur auf die formale Glei<strong>ch</strong>heit, son<strong>der</strong>n auf einen 'fairen Wert' im<br />

Sinne eines substantiellen Mindestgehalts ankommt 407 . Auffällig ist s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong>, daß<br />

im ersten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgrundsatz ni<strong>ch</strong>t länger von dem 'umfangrei<strong>ch</strong>sten', son<strong>der</strong>n<br />

nunmehr von einem 'vollständig angemessenen' System von Freiheiten die Rede<br />

ist 408 . Die vollständige Neuformulierung lautet in wörtli<strong>ch</strong>er Übersetzung 409 :<br />

404 J. Rawls, Political Liberalism (1993), S. 10 f.: »Political liberalism, then, aims for a political conception<br />

of justice as a freestanding view. It offers no specific metaphysical or epistemological doctrine<br />

beyond what is implied by the political conception itself.«<br />

405 J. Rawls, Political Liberalism (1993), S. 133-172, 10: »Thus, political liberalism looks for a political<br />

conception of justice that we hope can gain the support of an overlapping consensus of reasonable<br />

religious, philosophical, and moral doctrines in a society regulated by it.« Zustimmend N. Jansen,<br />

Validity of Public Morality (1998), S. 5 ff.; <strong>der</strong>s., Struktur <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1998), S. 33 f., 267 ff.<br />

406 J. Rawls, Vorrang <strong>der</strong> Grundfreiheiten (1982), S. 160; dazu ausführli<strong>ch</strong> R. Alexy, John Rawls' Theorie<br />

<strong>der</strong> Grundfreiheiten (1997), S. 272 ff.<br />

407 J. Rawls, Political Liberalism (1993), S. 6; ausführli<strong>ch</strong>er <strong>der</strong>s., Vorrang <strong>der</strong> Grundfreiheiten (1982),<br />

S. 161 ff., 207 ff.<br />

408 Zu <strong>der</strong> mit dieser Umstellung und ihrer Illustration verbundenen Zuwendung zu einem spezifis<strong>ch</strong><br />

amerikanis<strong>ch</strong>en Verständnis von Freiheitsre<strong>ch</strong>ten siehe P. S<strong>ch</strong>nepel, Liberalismus als Theorie<br />

<strong>der</strong> amerikanis<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aft (1995), S. 155.<br />

409 Vgl. das Original bei J. Rawls, Political Liberalism (1993), S. 5 f.: »a. Ea<strong>ch</strong> person has an equal claim<br />

to a fully adequate s<strong>ch</strong>eme of equal basic rights and liberties, whi<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>eme is compatible with the<br />

same s<strong>ch</strong>eme for all; and in this s<strong>ch</strong>eme the equal political liberties, and only those liberties, are to<br />

be guaranteed their fair value. | b. Social and economic inequalities are to satisfy two conditions:<br />

209


N 1 ':<br />

N 2 ':<br />

Jede Person hat einen glei<strong>ch</strong>en Anspru<strong>ch</strong> auf ein vollständig<br />

angemessenes System glei<strong>ch</strong>er Grundre<strong>ch</strong>te und<br />

Freiheiten, das mit dem glei<strong>ch</strong>en System für alle verträgli<strong>ch</strong><br />

ist; und in diesem System muß den glei<strong>ch</strong>en politis<strong>ch</strong>en<br />

Freiheiten, und nur diesen Freiheiten, ihr fairer<br />

Wert garantiert werden.<br />

Soziale und wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Unglei<strong>ch</strong>heiten müssen zwei<br />

Bedingungen erfüllen:<br />

(a) erstens müssen sie mit Positionen und Ämtern verbunden<br />

sein, die unter den Bedingungen fairer Chancenglei<strong>ch</strong>heit<br />

allen offen stehen;<br />

(b) und zweitens müssen sie den am wenigsten begünstigten<br />

Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Gesells<strong>ch</strong>aft zum größten Vorteil<br />

gerei<strong>ch</strong>en.<br />

Zwis<strong>ch</strong>en den Grundsätzen besteht na<strong>ch</strong> wie vor eine Vorrangregel (lexical or<strong>der</strong>), die<br />

eine 'soziale und wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Unglei<strong>ch</strong>heit' im Sinne von N 2 ' erst zuläßt, wenn<br />

Grundfreiheiten im Sinne von N 1 ' allen garantiert sind 410 . Als weitere materielle Ergänzung<br />

ist das erste <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzip nunmehr so zu verstehen, als ginge ihm<br />

ein übergeordnetes Prinzip sozialer Mindeststandards voraus. Na<strong>ch</strong> diesem Kriterium<br />

des Existenzminimums müssen die Grundbedürfnisse <strong>der</strong> Bürger jedenfalls insoweit<br />

befriedigt sein, als dies notwendige Voraussetzung dafür ist, daß sie ihre<br />

Re<strong>ch</strong>te und Freiheiten verstehen und fru<strong>ch</strong>tbar ausüben können 411 .<br />

d) Ergebnisse<br />

Im 'politis<strong>ch</strong>en Liberalismus' hat Rawls einen methodis<strong>ch</strong>en Ri<strong>ch</strong>tungswe<strong>ch</strong>sel bei<br />

<strong>der</strong> Begründung seines na<strong>ch</strong> wie vor egalitären Liberalismus vorgenommen. An die<br />

Stelle des deduktiven kantis<strong>ch</strong>en Vertragsmodells tritt die Überzeugungskraft einer<br />

auf universellen Konsens gebauten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>skonzeption. Die zunehmende Differenzierung<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien ers<strong>ch</strong>wert dabei die Überprüfung ihrer Begründung.<br />

first, they are to be atta<strong>ch</strong>ed to positions and offices open to all un<strong>der</strong> conditions of fair equality of<br />

opportunity; and second, they are to be to the greatest benefit of the least advantaged members of<br />

society.«<br />

410 J. Rawls, Political Liberalism (1993), S. 6.<br />

411 J. Rawls, Political Liberalism (1993), S. 7: »[I]mportant aspects of the principles are left out in the<br />

brief statement as given. In particular, the first principle covering the equal basic rights and liberties<br />

may easily be preceded by a lexically prior principle requiring that citizens' basic needs be<br />

met, at least insofar as their being met is necessary for citizens to un<strong>der</strong>stand and to be able fuitfully<br />

to exercise those rights and liberties.«<br />

210


3. Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Unabweisbarkeit (T.M. Scanlon)<br />

a) Das Scanlon-Kriterium (T S )<br />

Einen an<strong>der</strong>en Ansatz des kantis<strong>ch</strong>en Kontraktualismus vertritt Scanlon. Im Gegensatz<br />

zum Rawlss<strong>ch</strong>en Urzustand geht er von wohlinformierten Personen in einer Situation<br />

glei<strong>ch</strong>er Ma<strong>ch</strong>t, garantiert dur<strong>ch</strong> ein Vetore<strong>ch</strong>t, aus. Ihr geda<strong>ch</strong>ter Sozialvertrag<br />

bezieht si<strong>ch</strong> auf diejenigen Vereinbarungen, die si<strong>ch</strong> vernünftigerweise ni<strong>ch</strong>t zurückweisen<br />

lassen. Scanlon formuliert hierfür ein allgemeines Theorem über die<br />

Fals<strong>ch</strong>heit sozialbezogenen Handelns (Ungere<strong>ch</strong>tigkeit). Im Umkehrs<strong>ch</strong>luß läßt si<strong>ch</strong><br />

daraus ableiten, wann sozialbezogenes Handeln ri<strong>ch</strong>tig ist (<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>). Das<br />

Theorem lautet in wörtli<strong>ch</strong>er Übersetzung 412 :<br />

T S :<br />

Eine Handlung ist fals<strong>ch</strong>, wenn ihre Ausführung unter<br />

den Umständen von jedem Regelsystem zur Verhaltensregelung<br />

verboten würde, das niemand vernünftigerweise<br />

als Grundlage einer informierten, unerzwungenen,<br />

allgemeinen Vereinbarung zurückweisen könnte.<br />

b) Die Voraussetzung <strong>der</strong> Unerzwungenheit<br />

Scanlon sieht den hypothetis<strong>ch</strong>en Vertrag (die 'allgemeine Vereinbarung') als 'unerzwungen'<br />

(unforced) an. Das entspri<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> kontraktualistis<strong>ch</strong>en Vorstellung, daß nur<br />

eine freiwillige Ents<strong>ch</strong>eidung binden kann 413 . Es s<strong>ch</strong>ließt jedenfalls aus, einen Teilnehmer<br />

zur Zustimmung zu zwingen. Do<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Scanlon verbirgt si<strong>ch</strong> in dem Kriterium<br />

<strong>der</strong> Unerzwungenheit no<strong>ch</strong> mehr. Es soll außerdem auss<strong>ch</strong>ließen, daß si<strong>ch</strong> jemand<br />

in einer s<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>eren Verhandlungsposition (weak bargaining position) befindet,<br />

weil dann an<strong>der</strong>e auf besseren Vertragsbedingungen bestehen könnten 414 . Das Scanlon-Kriterium<br />

enthält damit, ohne daß dies aus seiner Formulierung sofort deutli<strong>ch</strong><br />

würde, bereits das Element substantieller Glei<strong>ch</strong>heit <strong>der</strong> Beteiligten als Voraussetzung.<br />

Man kann sagen, daß insoweit eine Annäherung an Rawls Modell eines egalitär<br />

definierten Urzustandes besteht.<br />

III. Beoba<strong>ch</strong>ter- und an<strong>der</strong>e Standpunkttheorien<br />

Das Darstellungsmittel des Beoba<strong>ch</strong>ters präsentiert eine als Person geda<strong>ch</strong>te Beurteilungseinheit<br />

in <strong>der</strong> Außenperspektive 415 . Die Unparteili<strong>ch</strong>keit, die für <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong><br />

412 Im englis<strong>ch</strong>en Original bei T.M. Scanlon, Contractualism and Utilitarianism (1982), S. 110 lautet<br />

das Theorem: »An act is wrong if its performance un<strong>der</strong> the circumstances would be disallowed<br />

by any system of rules for the regulation of behaviour whi<strong>ch</strong> no one could reasonably reject as a<br />

basis for informed, unforced general agreement.«<br />

413 Vgl. oben S. 98 (Rationalitätskonzept des Vertrags).<br />

414 T.M. Scanlon, Contractualism and Utilitarianism (1982), S. 111.<br />

415 Beispielsweise K. Baier, Standpunkt <strong>der</strong> Moral (1958), S. 191: »Regeln ... sind dem Vorteil von je<strong>der</strong>mann<br />

ohne Unters<strong>ch</strong>ied dienli<strong>ch</strong> ... , wenn wir diese Regeln vom Standpunkt <strong>der</strong> Moral aus<br />

betra<strong>ch</strong>ten, d.h. vom Standpunkt eines unabhängigen, vorurteilslosen, unparteili<strong>ch</strong>en, objektiven,<br />

211


kantis<strong>ch</strong>en Grundposition kennzei<strong>ch</strong>nend ist, wird dabei dur<strong>ch</strong> die Distanzierung<br />

von den Interessen <strong>der</strong> eigenen Person errei<strong>ch</strong>t. Der Beoba<strong>ch</strong>ter sieht ni<strong>ch</strong>t auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong><br />

o<strong>der</strong> in erster Linie si<strong>ch</strong> allein, son<strong>der</strong>n glei<strong>ch</strong>zeitig immer alle an<strong>der</strong>en.<br />

Er kann darum idealerweise nur sol<strong>ch</strong>e Urteile abgeben, die für alle ri<strong>ch</strong>tig sind. Das<br />

Darstellungsmittel des Beoba<strong>ch</strong>ters ist klassis<strong>ch</strong> für <strong>Theorien</strong> des Utilitarismus, kann<br />

aber au<strong>ch</strong> für <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en Grundposition fru<strong>ch</strong>tbar gema<strong>ch</strong>t werden.<br />

Als typis<strong>ch</strong>es Beispiel einer sol<strong>ch</strong>en Theorie kann die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie Nagels<br />

herangezogen werden 416 .<br />

Im übrigen gibt es eine Reihe von Standpunkttheorien, die im Gegensatz zu Konsenstheorien<br />

monologis<strong>ch</strong> arbeiten, also we<strong>der</strong> den Sozialvertrag, no<strong>ch</strong> den Diskurs<br />

als Darstellungsmittel nutzen 417 . An<strong>der</strong>erseits kennen diese <strong>Theorien</strong> aber au<strong>ch</strong> keine<br />

Beoba<strong>ch</strong>terperspektive. Sie sind reine Moraltheorien im engeren Sinne und verzi<strong>ch</strong>ten<br />

ganz auf ein klassis<strong>ch</strong>es Darstellungsmittel, son<strong>der</strong>n fragen direkt na<strong>ch</strong><br />

Gründen für die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Handelns. Denno<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong>en sie den Beoba<strong>ch</strong>tertheorien,<br />

weil sie <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>süberlegungen monologis<strong>ch</strong> anstellen, statt dialogis<strong>ch</strong><br />

auf Konsens zu setzen. Ein neuerer Ansatz ist insoweit von Barry bes<strong>ch</strong>ritten worden<br />

418 .<br />

1. Theorie des unparteiis<strong>ch</strong>en Beoba<strong>ch</strong>ters (T. Nagel)<br />

a) Der interne und <strong>der</strong> externe Standpunkt<br />

Nagel knüpft seine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie insgesamt an die Frage, wie die Perspektive<br />

einer einzelnen Person in <strong>der</strong> realen Welt mit einer objektiven Betra<strong>ch</strong>tung <strong>der</strong>selben<br />

Welt in Einklang zu bringen ist 419 . Damit sind zwei Standpunkte angespro<strong>ch</strong>en, die<br />

ein Individuum einnehmen kann: <strong>der</strong> subjektive, interne, parteiis<strong>ch</strong>e und <strong>der</strong> objektive,<br />

externe, unparteiis<strong>ch</strong>e 420 . Der externe Standpunkt begründet notwendig einen<br />

hypothetis<strong>ch</strong>en Zustand <strong>der</strong> Unvoreingenommenheit und Unparteili<strong>ch</strong>keit des Beoba<strong>ch</strong>ters<br />

421 . Diese objektivierende Perspektive spielt bei <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tfertigung von<br />

Handlungsweisen, also für Fragen <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft, laut Nagel eine wi<strong>ch</strong>tileidens<strong>ch</strong>aftslosen,<br />

neutralen Beoba<strong>ch</strong>ters. Wenn wir von einem sol<strong>ch</strong>en Standpunkt gewissermaßen<br />

mit Gottes Augen beoba<strong>ch</strong>ten, dann können wir sehen, 'Du sollst ni<strong>ch</strong>t töten' hält.« Ähnli<strong>ch</strong><br />

T. Nagel, View From Nowhere (1986), S. 185 ff. Zu klassis<strong>ch</strong>en Vorbil<strong>der</strong>n (etwa Hume; dazu oben<br />

S. 100, Fn. 280) vgl. K.G. Ballestrem, Methodologis<strong>ch</strong>e Probleme in Rawls' Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

(1977), S. 120.<br />

416 Dies zeigt si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on im Titel des Werks: 'The View From Nowhere'.<br />

417 Etwa das fiktive Gedankenspiel bei E. Brunner, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1943), S. 29 f.<br />

418 B. Barry, Justice as Impartiality (1995). Dazu unten S. 215 ff. (<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Unparteili<strong>ch</strong>keit).<br />

419 T. Nagel, View From Nowhere (1986), S. 3: »This book is about a single problem: how to combine<br />

the perspective of a particular person inside the world with an objective view of that same world,<br />

the person and his viewpoint included.« Diese Konzeption hat Nagel in 'Equality and Impartiality'<br />

(1991) konkretisiert.<br />

420 T. Nagel, View From Nowhere (1986), S. 3; zur Glei<strong>ch</strong>setzung des 'objektiven' mit dem 'externen'<br />

Standpunkt vgl. ebd., S. 110. Au<strong>ch</strong> Hume berücksi<strong>ch</strong>tigte beide Standpunkte; dazu oben S. 101,<br />

Fn. 285.<br />

421 T. Nagel, Equality and Impartiality (1991), S. 10 ff. Vgl. oben S. 100 (Beoba<strong>ch</strong>ter).<br />

212


ge, wenn au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t die alleinige Rolle 422 . Das ri<strong>ch</strong>tigkeitsverbürgende Element liegt<br />

in <strong>der</strong> geda<strong>ch</strong>ten Überpersönli<strong>ch</strong>keit, die sogar das Ideal <strong>der</strong> Allwissenheit eins<strong>ch</strong>ließen<br />

kann 423 und jedenfalls die Befangenheit des Einzelnen in seiner neigungs- und<br />

interessengebundenen Identität dur<strong>ch</strong> ein Element <strong>der</strong> Universalisierung des Standpunkts<br />

erweitert. Der Handelnde ist, ganz im Sinne Kants, ni<strong>ch</strong>t länger seiner neigungsbefangenen<br />

Willkür ausgeliefert, son<strong>der</strong>n findet in <strong>der</strong> objektivierten Selbstgesetzgebung<br />

einen freien Willen und damit Autonomie 424 .<br />

b) Das Nagel-Kriterium (T N )<br />

Statt unmittelbar auf Kants Konzept des freien Willens und <strong>der</strong> privaten Autonomie<br />

zurückzugreifen 425 , vertritt Nagel die These, daß si<strong>ch</strong> die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Handelns als<br />

ein angemessener Ausglei<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en dem parteiis<strong>ch</strong>en und dem unparteiis<strong>ch</strong>en<br />

Standpunkt darstellen läßt 426 . Grundsätze, die glei<strong>ch</strong>zeitig beiden Standpunkten<br />

vollständig gere<strong>ch</strong>t werden, gibt es na<strong>ch</strong> Nagel ni<strong>ch</strong>t 427 . Au<strong>ch</strong> könne <strong>der</strong> parteiis<strong>ch</strong>e<br />

Standpunkt des Individuums nie ganz zugunsten eines unparteiis<strong>ch</strong>en Standpunktes<br />

aufgegeben werden, weil er bestimmte bere<strong>ch</strong>tigte Ansprü<strong>ch</strong>e des Einzelnen stelle<br />

(z.B. den Anspru<strong>ch</strong> auf Überleben und auf familiäre und gemeins<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Solidarität<br />

428 ). Mit dieser vermittelnden Position zwis<strong>ch</strong>en den Standpunkten grenzt Nagel<br />

si<strong>ch</strong> einerseits vom Konsequentialismus ab, <strong>der</strong> auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> agenten-neutrale<br />

Gründe anerkennt (aristotelis<strong>ch</strong>e Grundposition) 429 , und an<strong>der</strong>erseits von 'reinen individualistis<strong>ch</strong>en<br />

Re<strong>ch</strong>tstheorien', die auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> auf den Ausglei<strong>ch</strong> kollidieren<strong>der</strong><br />

Einzelinteressen und damit auf agenten-relative Gründe abstellen (hobbesianis<strong>ch</strong>e<br />

Grundposition) 430 . Das Ri<strong>ch</strong>tigkeitskriterium läßt si<strong>ch</strong> in folgendem Theorem<br />

ausdrücken 431 :<br />

422 Zur Kombination des persönli<strong>ch</strong>en und des überpersönli<strong>ch</strong>en (Beoba<strong>ch</strong>ter-)Standpunkts siehe vor<br />

allem T. Nagel, Equality and Impartiality (1991), S. 10 ff.<br />

423 Beispielsweise K. Baier, Standpunkt <strong>der</strong> Moral (1958), S. 191: »Standpunkt eines ... Beoba<strong>ch</strong>ters ...<br />

gewissermaßen mit Gottes Augen«. Illustrativ aus <strong>der</strong> Literatur insoweit F. Dürrenmatt, Monstervortrag<br />

über <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1969), S. 12 ff.<br />

424 Vgl. I. Kant, KpV (1788), A 58 zu Autonomie des Willens und Heteronomie <strong>der</strong> Willkür.<br />

425 Zu den S<strong>ch</strong>wierigkeiten ausführli<strong>ch</strong> T. Nagel, View from Nowhere (1986), S. 110 ff.<br />

426 T. Nagel, Equality and Impartiality (1991), S. 40: »The conception of morality whi<strong>ch</strong> I would defend<br />

includes general principles for both agent-neutral and agent-relative reasons, and for the<br />

proper relation between them.«<br />

427 T. Nagel, Equality and Impartiality (1991), S. 49.<br />

428 Vgl. zu den Beispielen T. Nagel, Equality and Impartiality (1991), S. 11, 14; zur Unaufgebbarkeit<br />

des parteiis<strong>ch</strong>en Standpunkts ebd., S. 15, 40.<br />

429 Zum Begriff des Konsequentialismus (consequentialism) siehe oben S. 152 (Charakteristika <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en<br />

Grundposition). Agenten-neutrale Gründe sind diejenigen, die ni<strong>ch</strong>t aus Si<strong>ch</strong>t eines<br />

bestimmten Handelnden, son<strong>der</strong>n aus Si<strong>ch</strong>t eines unparteiis<strong>ch</strong>en Beoba<strong>ch</strong>ters zählen.<br />

430 T. Nagel, Equality and Impartiality (1991), S. 49.<br />

431 Das Kriterium ist in wörtli<strong>ch</strong>er Übersetzung Nagels Definition eines gere<strong>ch</strong>ten Systems entnommen;<br />

T. Nagel, Equality and Impartiality (1991), S. 38: »A legitimate system is one whi<strong>ch</strong> reconciles<br />

the two universal principles of impartiality and reasonable partiality so that no one can object that<br />

his interests are not being accorded sufficient weight or that the demands made on him are excessive.«<br />

213


T N :<br />

Eine Handlung ist ri<strong>ch</strong>tig, wenn sie die beiden universellen<br />

Prinzipien <strong>der</strong> Unparteili<strong>ch</strong>keit und <strong>der</strong> vernünftigen<br />

Parteili<strong>ch</strong>keit so zum Ausglei<strong>ch</strong> bringt, daß niemand<br />

einwenden kann, seine Interessen seien ni<strong>ch</strong>t mit hinrei<strong>ch</strong>endem<br />

Gewi<strong>ch</strong>t berücksi<strong>ch</strong>tigt o<strong>der</strong> es würden übermäßige<br />

Opfer von ihm verlangt.<br />

Na<strong>ch</strong> Nagel liegt in dieser Abwägung <strong>der</strong> als Prinzipien formulierten Standpunkte<br />

eine praktikable Kombination (livable combination), die si<strong>ch</strong> zudem als eine Form kantis<strong>ch</strong>er<br />

Universalität verstehen lasse 432 .<br />

c) Zur 'vernünftigen' Parteili<strong>ch</strong>keit<br />

Die Konkretisierung von T N ges<strong>ch</strong>ieht vor allem dadur<strong>ch</strong>, daß die 'vernünftige' Parteili<strong>ch</strong>keit<br />

bes<strong>ch</strong>ränkt wird. Na<strong>ch</strong> Nagel kann si<strong>ch</strong> niemand auf seine größere Verhandlungsma<strong>ch</strong>t<br />

(bargaining power) berufen, weil dieser ni<strong>ch</strong>t selbst moralis<strong>ch</strong>es Gewi<strong>ch</strong>t<br />

zukomme, son<strong>der</strong>n sie allenfalls im Rahmen eines an<strong>der</strong>weitig gere<strong>ch</strong>tfertigten<br />

Systems (z.B. einer Marktordnung) eine Rolle spielen könne 433 . Au<strong>ch</strong> auf die eigenen<br />

Talente und Fähigkeiten soll man si<strong>ch</strong> vom Standpunkt <strong>der</strong> 'vernünftigen' Parteili<strong>ch</strong>keit<br />

aus ni<strong>ch</strong>t berufen dürfen, weil diese ni<strong>ch</strong>t selbst verdient seien 434 . Im Ergebnis<br />

vertritt Nagel deshalb eine politis<strong>ch</strong>e Philosophie, die in ihrer Egalität <strong>der</strong>jenigen von<br />

Rawls ähnelt, viellei<strong>ch</strong>t sogar no<strong>ch</strong> über diese hinausgeht 435 . Seine Interpretation <strong>der</strong><br />

'vernünftigen' Parteili<strong>ch</strong>keit for<strong>der</strong>t weitgehenden Verzi<strong>ch</strong>t vom Individuum und<br />

bildet eine radikale Stärkung des Standpunktes eines externen Beoba<strong>ch</strong>ters 436 . Letztli<strong>ch</strong><br />

läuft Nagels Ausglei<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Standpunkte auf eine massive Umverteilung hinaus,<br />

wo immer eine soziale Unglei<strong>ch</strong>heit ni<strong>ch</strong>t auf individuelles Vers<strong>ch</strong>ulden <strong>der</strong> Bena<strong>ch</strong>teiligten<br />

zurückzuführen ist 437 .<br />

432 T. Nagel, Equality and Impartiality (1991), S. 15, 40.<br />

433 T. Nagel, Equality and Impartiality (1991), S. 39.<br />

434 T. Nagel, Equality and Impartiality (1991), S. 121.<br />

435 So au<strong>ch</strong> Nagel selbst; T. Nagel, Equality and Impartiality (1991), S. 121: »I share Rawls's egalitarian<br />

sentiments, and might even defend something more egalitarian than priority to the worse off, given<br />

the factor of social causation.«; S. 3: »My belief is not just that all social and political arrangements<br />

so far devised are unsatisfactory. ... We do not yet possess an acceptable political ideal, for<br />

reasons whi<strong>ch</strong> belong to moral and political philosophy.«<br />

436 Vgl. T. Nagel, Equality and Impartiality (1991), S. 16: »What the impersonal standpoint generates<br />

... is a massive impartial addition to ea<strong>ch</strong> individual's values without any indication of how this is<br />

to be combined with the personal values that were already there.«<br />

437 So s<strong>ch</strong>on T. Nagel, Was bedeutet das alles? (1987), S. 72: »I<strong>ch</strong> für meinen Teil glaube, daß ... es mit<br />

Si<strong>ch</strong>erheit ungere<strong>ch</strong>t ist, wenn ein sozioökonomis<strong>ch</strong>es System zur Folge hat, daß einige Mens<strong>ch</strong>en<br />

unter bedeutenden materiellen und sozialen Na<strong>ch</strong>teilen leiden, an wel<strong>ch</strong>en sie keine S<strong>ch</strong>uld haben,<br />

wenn si<strong>ch</strong> dies dur<strong>ch</strong> ein System redistributiver Besteuerung und sozialer Hilfsmaßnahmen<br />

verhin<strong>der</strong>n ließe.«<br />

214


2. Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Unparteili<strong>ch</strong>keit (B. Barry)<br />

a) Die Unparteili<strong>ch</strong>keit zweiter Ordnung<br />

Barry nennt seine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie die »Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Unparteili<strong>ch</strong>keit«<br />

438 . Die Theorie su<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> Prinzipien und Regeln, die als Grundlage für eine<br />

freie Einigung zwis<strong>ch</strong>en sol<strong>ch</strong>en Personen dienen können, die eine Einigung unter<br />

vernünftigen Bedingungen wollen (Unparteili<strong>ch</strong>keit <strong>der</strong> zweiten Ordnung) 439 . Sie ist<br />

trotz ihrer Bezugnahme auf eine 'Einigung' keine Sozialvertragstheorie, da sie auf<br />

das Darstellungsmittel des Vertrags verzi<strong>ch</strong>tet. Die Theorie grenzt si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> von Beoba<strong>ch</strong>tertheorien<br />

wie <strong>der</strong>jenigen Nagels ab, denn ihre Unparteili<strong>ch</strong>keit ist ni<strong>ch</strong>t diejenige<br />

eines unparteiis<strong>ch</strong>en Beoba<strong>ch</strong>ters 440 . Die gemeinte Unparteili<strong>ch</strong>keit ist ferner<br />

ni<strong>ch</strong>t die universelle Unparteili<strong>ch</strong>keit 'erster Ordnung', die Barry in simplizistis<strong>ch</strong>en<br />

Versionen des Utilitarismus und Kantianismus verortet 441 . Unparteili<strong>ch</strong>keit 'zweiter<br />

Ordnung' will vielmehr Prinzipien und Regeln bestimmen, die als Metakriterien für<br />

die Vermittlung zwis<strong>ch</strong>en konfligierenden Konzeptionen des Guten taugen. Eine<br />

Unparteili<strong>ch</strong>keit erster Ordnung, verstanden als umfassen<strong>der</strong> Altruismus, könnte<br />

das ni<strong>ch</strong>t leisten, da sol<strong>ch</strong>er Altruismus mindestens so viele konfligierende Standpunkte<br />

erzeugt, wie es Konzeptionen des Guten gibt 442 .<br />

b) Die Notwendigkeit von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sregeln<br />

Zunä<strong>ch</strong>st stellt Barry fest, daß jede Gesells<strong>ch</strong>aft, selbst wenn sie je eine einheitli<strong>ch</strong>e<br />

Konzeption des Guten befürwortet (etwa diejenige des Utilitarismus o<strong>der</strong> des Thomismus),<br />

immer no<strong>ch</strong> bestimmte Regeln benötige: Verfassungsregeln, die Quelle und<br />

Anwendungsberei<strong>ch</strong> <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Autorität definieren, Regeln des Gesetzesre<strong>ch</strong>ts<br />

und Regeln außerhalb des positiven Re<strong>ch</strong>ts, die bestimmte Verhaltensweisen als<br />

fals<strong>ch</strong> kennzei<strong>ch</strong>nen 443 . Sol<strong>ch</strong>e Regeln, die jede Gesells<strong>ch</strong>aft benötigt, um Konflikte<br />

zu vermeiden, nennt er '<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sregeln' (rules of justice). An<strong>der</strong>s als bei <strong>Theorien</strong><br />

<strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition will Barry die Regeln indes dur<strong>ch</strong> eine freistehende<br />

Konzeption <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ausfüllen, also eine sol<strong>ch</strong>e, die ni<strong>ch</strong>t von einer übereinstimmenden<br />

Konzeption des Guten getragen wird, son<strong>der</strong>n ein an<strong>der</strong>es Motiv für<br />

ihre Befolgung aktiviert. Dieses Motiv sieht Barry in <strong>der</strong> unparteiis<strong>ch</strong>en Ents<strong>ch</strong>eidung<br />

zwis<strong>ch</strong>en konfligierenden Ansprü<strong>ch</strong>en, die si<strong>ch</strong> aus den unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Interessen,<br />

Perspektiven und Konzeptionen des Guten ergeben. Auf eine sol<strong>ch</strong>e Unparteili<strong>ch</strong>keit<br />

<strong>der</strong> zweiten Ordnung sollen si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> die Anhänger wi<strong>der</strong>streiten<strong>der</strong><br />

Konzeptionen des Guten einigen können.<br />

438 B. Barry, Justice as Impartiality (1995), S. 11, 52 ff. (72 ff.).<br />

439 So ausdrückli<strong>ch</strong> B. Barry, Justice as Impartiality (1995), S. 11.<br />

440 Vgl. B. Barry, Justice as Impartiality (1995), S. 255: »I denied that justice as impartiality is a 'view<br />

from nowhere'«.<br />

441 B. Barry, Justice as Impartiality (1995), S. 12, 217 ff., 234 ff.<br />

442 Barry beruft si<strong>ch</strong> insoweit auf eine Einsi<strong>ch</strong>t, die bereits Nagel formuliert hat; B. Barry, Justice as<br />

Impartiality (1995), S. 28.<br />

443 Hierzu und zum folgenden B. Barry, Justice as Impartiality (1995), S. 73 ff. (75).<br />

215


c) Zur Anwendbarkeit des Scanlon-Kriteriums (T S )<br />

Um die gemeinte Unparteili<strong>ch</strong>keit inhaltli<strong>ch</strong> zu konkretisieren, greift Barry auf das<br />

Kriterium von Scanlon in T S zurück. Bestimmte Grundfreiheiten, etwa die in Rawls<br />

erstem <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzip N 1 (z.B. Meinungsäußerungsfreiheit, Religionsfreiheit),<br />

ließen si<strong>ch</strong> damit als <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sregeln <strong>der</strong> Unparteili<strong>ch</strong>keit begründen 444 . Denn<br />

eine auf eine Mehrheitsreligion bes<strong>ch</strong>ränkte Freiheit könne ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>lüssig als Grundlage<br />

für eine allgemeine Einigung angeboten werden, da au<strong>ch</strong> für die ausges<strong>ch</strong>lossene<br />

Min<strong>der</strong>heit die Religionsfreiheit so wi<strong>ch</strong>tig sei, daß sie eine Auss<strong>ch</strong>lußregelung<br />

vernünftigerweise zurückweisen müßte. Allgemein muß eine Sa<strong>ch</strong>frage, die wi<strong>ch</strong>tig<br />

für jeden ist, so dur<strong>ch</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sregeln bestimmt sein, daß je<strong>der</strong> ihr zustimmen<br />

könnte. Neben <strong>der</strong> religiösen sei deshalb beispielsweise au<strong>ch</strong> die sexuelle Toleranz<br />

als <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sregel geboten; Gesetze, die konsensualen homosexuellen Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tsverkehr<br />

verbieten, sind dana<strong>ch</strong> ungere<strong>ch</strong>t. Die '<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Unparteili<strong>ch</strong>keit'<br />

appelliert an die inhärente Fairneß sol<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sregeln, ni<strong>ch</strong>t an die<br />

mögli<strong>ch</strong>erweise dur<strong>ch</strong> sie för<strong>der</strong>baren Konzeptionen des Guten 445 . Na<strong>ch</strong> Barry gibt<br />

es keine Konzeption des Guten, die mit hinrei<strong>ch</strong>en<strong>der</strong> Gewißheit begründen könnte,<br />

warum ihre Glaubenssätze au<strong>ch</strong> für diejenigen verbindli<strong>ch</strong> sein sollen, die sie ablehnen<br />

446 .<br />

d) <strong>Prozedurale</strong> und substantielle Verfassungsregeln<br />

Zu den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sregeln, die in eine Verfassung aufzunehmen sind, zählt Barry<br />

neben den s<strong>ch</strong>on genannten Freiheiten <strong>der</strong> Religion und des konsensuellen Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tsverkehrs<br />

au<strong>ch</strong> die persönli<strong>ch</strong>e Freiheit, das Gebot des fairen Verfahrens, das<br />

Verbot <strong>der</strong> Folter, Grundregeln des politis<strong>ch</strong>en Systems zur Si<strong>ch</strong>erung gegen Mißbrau<strong>ch</strong><br />

dur<strong>ch</strong> die Regierung o<strong>der</strong> Parlamentsmehrheiten, die Meinungsäußerungsfreiheit<br />

und die Freiheit zur politis<strong>ch</strong>en Organisation 447 . Do<strong>ch</strong> führt das Kriterium in<br />

T S ni<strong>ch</strong>t in jedem Fall zu Freiheitsre<strong>ch</strong>ten. Au<strong>ch</strong> bestimmte Freiheitsbes<strong>ch</strong>ränkungen<br />

müßten als S<strong>ch</strong>utzansprü<strong>ch</strong>e aufgenommen und als Verbotstatbestand in den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sregeln<br />

berücksi<strong>ch</strong>tigt werden, etwa <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>utz gegen Räuberbanden, Kindesmißhandlung,<br />

Witwenverbrennung und Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tsverstümmelung 448 .<br />

Ni<strong>ch</strong>t alle dieser <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sregeln sollen si<strong>ch</strong> als prozedurale Garantien formulieren<br />

lassen 449 . Man<strong>ch</strong>mal sei es notwendig, ein bestimmtes Ergebnis verfassungskräftig<br />

festzus<strong>ch</strong>reiben, weil prozedurale Regeln keinen hinrei<strong>ch</strong>enden S<strong>ch</strong>utz<br />

444 Hierzu und zum folgenden B. Barry, Justice as Impartiality (1995), S. 70, 82 ff.<br />

445 Bestimmte (intolerante) Konzeptionen des Guten werden selten dur<strong>ch</strong> diese Art <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sregeln<br />

geför<strong>der</strong>t werden, finden si<strong>ch</strong> also häufiger dur<strong>ch</strong> Barrys <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie bes<strong>ch</strong>ränkt<br />

als an<strong>der</strong>e (tolerantere) Konzeptionen. Das ist na<strong>ch</strong> Barry dur<strong>ch</strong>aus gewollt; B. Barry, Justice<br />

as Impartiality (1995), S. 77; sowie S. 114: »We often find an elaborate rationalization of the<br />

indefensible. Slavery, for example, ... Since justice as impartiality requires the parties not to have<br />

false beliefs, it is hardly surprising that there should be people to whom it is not accessible, given<br />

their esxisting beliefs.«<br />

446 B. Barry, Justice as Impartiality (1995), S. 169.<br />

447 B. Barry, Justice as Impartiality (1995), S. 85.<br />

448 B. Barry, Justice as Impartiality (1995), S. 90 f.<br />

449 B. Barry, Justice as Impartiality (1995), S. 93.<br />

216


gewähren könnten. Wenn beispielsweise eine Gesells<strong>ch</strong>aft so deutli<strong>ch</strong> entlang ethnis<strong>ch</strong>er<br />

Linien gespalten sei, daß keine prozeduralen Mitbestimmungsre<strong>ch</strong>te <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>heit<br />

(z.B. Zigeuner o<strong>der</strong> Slumbewohner) einen si<strong>ch</strong>eren S<strong>ch</strong>utz gegen die zur Diskriminierung<br />

ents<strong>ch</strong>lossene Mehrheit bieten, dann müssten substantielle <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sregeln<br />

in <strong>der</strong> Verfassung diesen S<strong>ch</strong>utz erzwingen 450 . In <strong>der</strong> Regel hingegen seien<br />

prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sregeln gefor<strong>der</strong>t 451 , insbeson<strong>der</strong>e diejenigen, die eine öffentli<strong>ch</strong>e<br />

Diskussion <strong>der</strong> Regierungsents<strong>ch</strong>eidungen si<strong>ch</strong>erstellen 452 , etwa dur<strong>ch</strong> Meinungsäußerungs-<br />

und Informationsfreiheit, aber au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> strikte Bes<strong>ch</strong>ränkungen<br />

<strong>der</strong> privaten Parteienfinanzierung 453 .<br />

Zusammenfassend kann man Barrys neuere Theorie als eine Begründung verfassungskräftiger<br />

Mens<strong>ch</strong>en- und Demokratiere<strong>ch</strong>te verstehen, die vollständig auf dem<br />

Scanlon-Kriterium T S aufbaut.<br />

IV. Diskurstheorien<br />

1. Charakteristika<br />

Na<strong>ch</strong> den <strong>Theorien</strong> des rationalen praktis<strong>ch</strong>en Diskurses ist die Antwort auf eine<br />

praktis<strong>ch</strong>e Frage genau dann ri<strong>ch</strong>tig, wenn sie das Ergebnis einer bestimmten Prozedur,<br />

<strong>der</strong> des rationalen praktis<strong>ch</strong>en Diskurses, sein kann 454 . In bezug auf <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen<br />

sind Diskurstheorien dadur<strong>ch</strong> prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien im<br />

Sinne von D 4 . Diskurstheorien bringen in Diskursregeln die Ideen <strong>der</strong> Universalität<br />

und Autonomie zum Ausdruck und stellen die Diskurstheorie dadur<strong>ch</strong> in die kantis<strong>ch</strong>e<br />

Tradition. Autonomie liegt darin, daß die Diskursteilnehmer als freie und glei<strong>ch</strong>e<br />

Individuen angesehen werden. Universalität ist glei<strong>ch</strong> in mehrfa<strong>ch</strong>er Hinsi<strong>ch</strong>t<br />

enthalten. Sie kommt zum Ausdruck in <strong>der</strong> persönli<strong>ch</strong>en Teilnahmefreiheit (universelle<br />

Teilnahme) und dadur<strong>ch</strong>, daß eine Begründung von <strong>der</strong> Zustimmung aller abhängt<br />

(universelle Zustimmung).<br />

Diskurstheorien treten als prozedurale <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Ri<strong>ch</strong>tigkeit in<br />

vers<strong>ch</strong>iedenen Spielarten auf, die vor allem auf Habermas, Apel sowie, beson<strong>der</strong>s im<br />

Berei<strong>ch</strong> juristis<strong>ch</strong>er Argumentation, auf Alexy und Günther zurückgehen. Unters<strong>ch</strong>iede<br />

zwis<strong>ch</strong>en den einzelnen diskurstheoretis<strong>ch</strong>en Entwürfen zeigen si<strong>ch</strong> in zahlrei<strong>ch</strong>en<br />

Details 455 . Bei allen Unters<strong>ch</strong>ieden im einzelnen gibt es aber einige Theorie-<br />

450 B. Barry, Justice as Impartiality (1995), S. 100 f.<br />

451 B. Barry, Justice as Impartiality (1995), S. 109 f.: »Generalizing the point, we may say that, where<br />

substantive justice falls short, the sear<strong>ch</strong> for agreement has to be pushed up to the procedural level.<br />

... [N]obody could reasonably object to this proposition: that, in cases where justice is not determinative,<br />

the constitutional rules, plus the relevant educational institutions, the organization of<br />

the mass media of communication, and so on, should provide for the decision to be made in conditions<br />

that instantiate the circumstances of impartiality.«<br />

452 B. Barry, Justice as Impartiality (1995), S. 103.<br />

453 B. Barry, Justice as Impartiality (1995), S. 108.<br />

454 Vgl. R. Alexy, Idee und Struktur eines vernünftigen Re<strong>ch</strong>tssystems (1991), S. 30.<br />

455 Dazu etwa T. Baus<strong>ch</strong>, Unglei<strong>ch</strong>heit und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1993), S. 155 ff. – Unters<strong>ch</strong>iede zwis<strong>ch</strong>en<br />

<strong>der</strong> universal- o<strong>der</strong> formalpragmatis<strong>ch</strong>en Begründung bei Habermas einerseits und <strong>der</strong> transzendentalpragmatis<strong>ch</strong>en<br />

Begründung bei Apel an<strong>der</strong>erseits; ähnli<strong>ch</strong> H. Gronke, Apel versus Habermas<br />

217


elemente, die si<strong>ch</strong> in je<strong>der</strong> Diskurstheorie in ähnli<strong>ch</strong>er Form aufzeigen lassen und die<br />

selbst von Gegnern des diskurstheoretis<strong>ch</strong>en Ansatzes ni<strong>ch</strong>t bestritten werden – etwa<br />

die Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en idealen und realen Diskursen und die Bezugnahme<br />

auf Diskursregeln 456 . Im Interesse einer übers<strong>ch</strong>aubar kurzen Darstellung soll darum<br />

zunä<strong>ch</strong>st von den Unters<strong>ch</strong>ieden im Detail abgesehen werden, um allgemeine<br />

Grundlagen <strong>der</strong> Diskurstheorien zu bes<strong>ch</strong>reiben. Dabei wird auf die Diskursregeln<br />

zurückgegriffen, die Alexy formuliert hat 457 .<br />

a) Die Diskursarten<br />

aa) Die Definitionen des Diskurses (D Di D Dr )<br />

Der inflationäre Gebrau<strong>ch</strong>, den das Wort 'Diskurs' in <strong>der</strong> Umgangsspra<strong>ch</strong>e und man<strong>ch</strong>er<br />

Fa<strong>ch</strong>spra<strong>ch</strong>e in jüngerer Zeit erfährt, ma<strong>ch</strong>t zunä<strong>ch</strong>st eine Klarstellung nötig:<br />

Diskurs im Sinne <strong>der</strong> Diskurstheorie ist ni<strong>ch</strong>t jede Unterhaltung o<strong>der</strong> jedes Zwiegesprä<strong>ch</strong>.<br />

Wer si<strong>ch</strong> mit einem Verkäufer über den Preis unterhält, führt ni<strong>ch</strong>t etwa einen<br />

'wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Diskurs', son<strong>der</strong>n eine Verhandlung; wer gemeinsam mit an<strong>der</strong>en<br />

zu Gott betet, befindet si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in einem 'religiösen Diskurs', son<strong>der</strong>n bemüht<br />

si<strong>ch</strong> um ein Zwiegesprä<strong>ch</strong> (Dialog); und wer an einer bewaffneten Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

teilnimmt, ist ni<strong>ch</strong>t in einem 'militäris<strong>ch</strong>en Diskurs', son<strong>der</strong>n im Krieg. Eine<br />

Diskussion, verstanden als themenorientierte Unterhaltung, verliert den Charakter<br />

eines Diskurses spätestens dann, wenn die Diskussionsteilnehmer ihre Standpunkte<br />

mit Gewalt o<strong>der</strong> Drohung untermauern 458 . Diskurs im Sinne <strong>der</strong> Diskurstheorie ist<br />

nur ein bestimmtes Ideal <strong>der</strong> Verständigung (idealer Diskurs) und die na<strong>ch</strong> den Umständen<br />

angemessene Annäherung an dieses Ideal (realer Diskurs).<br />

Diskurstheorien sind Argumentationstheorien und dadur<strong>ch</strong> von Verhandlungsund<br />

Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien abzugrenzen. Für den Diskurs ist es deshalb <strong>ch</strong>arakteristis<strong>ch</strong>,<br />

daß die Teilnehmer um das beste Argument ringen (Verständigungsorientierung,<br />

arguing), ni<strong>ch</strong>t um den besten Weg zur Dur<strong>ch</strong>setzung <strong>der</strong> je eigenen Interessen<br />

(Erfolgsorientierung, bargaining) 459 . Es gibt theoretis<strong>ch</strong>e Diskurse über empiris<strong>ch</strong>e<br />

Wahrheit und praktis<strong>ch</strong>e Diskurse über die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Handelns. Hier geht<br />

es allein um <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sdiskurse, also um eine beson<strong>der</strong>e Gruppe unter den praktis<strong>ch</strong>en<br />

Diskursen. Innerhalb <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Diskurse ist, wie überhaupt immer bei<br />

(1993), S. 273 ff.; P. Gril, Alexys Version einer transzendentalpragmatis<strong>ch</strong>en Begründung <strong>der</strong> Diskursregeln<br />

im Unters<strong>ch</strong>ied zu Habermas (1997), S. 206 ff.; <strong>der</strong>s., Mögli<strong>ch</strong>keit praktis<strong>ch</strong>er Erkenntnis<br />

(1998), S. 130 f.; R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1978), S. 161 ff. – Abgrenzung<br />

von <strong>der</strong> Habermass<strong>ch</strong>en Theorie.<br />

456 Vgl. etwa A. Kaufmann, <strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1989), S. 17: »Chancenglei<strong>ch</strong>heit<br />

für alle Diskursteilnehmer, Redefreiheit, keine Privilegierung, Wahrhaftigkeit, Freiheit von<br />

Zwang. In <strong>der</strong> Tat dürften hierin die wesentli<strong>ch</strong>en formalen Bedingungen eines rationalen Diskurses<br />

liegen.«<br />

457 Dazu R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1978), S. 234 ff.<br />

458 W. Reese-S<strong>ch</strong>äfer, Das Begründungsprogramm Diskursethik (1990), S. 16: »Die Voraussetzung <strong>der</strong><br />

Diskurse ist, an<strong>der</strong>s als beim Überlebenskampf, die Anerkennung des an<strong>der</strong>en; zumindest also<br />

seines Lebensre<strong>ch</strong>ts, und die Bereits<strong>ch</strong>aft, Dissens gewaltfrei zu klären.«<br />

459 Dazu unten S. 232 (<strong>ch</strong>arakteristis<strong>ch</strong>er Gegensatz von Argumentation und Verhandlung).<br />

218


Diskursen, zwis<strong>ch</strong>en idealen und realen zu unters<strong>ch</strong>eiden. Der Unters<strong>ch</strong>ied läßt si<strong>ch</strong><br />

in den folgenden Definitionen ausdrücken:<br />

D Di :<br />

D Dr :<br />

Ein idealer praktis<strong>ch</strong>er Diskurs ist ein Diskurs, bei dem<br />

»unter den Bedingungen unbegrenzter Zeit, unbegrenzter<br />

Teilnehmers<strong>ch</strong>aft und vollkommener Zwanglosigkeit<br />

im Wege <strong>der</strong> Herstellung vollkommener spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>begriffli<strong>ch</strong>er<br />

Klarheit, vollkommener empiris<strong>ch</strong>er Informiertheit,<br />

vollkommener Fähigkeit und Bereits<strong>ch</strong>aft zum<br />

Rollentaus<strong>ch</strong> und vollkommener Vorurteilsfreiheit die<br />

Antwort auf eine praktis<strong>ch</strong>e Frage gesu<strong>ch</strong>t wird.« 460<br />

Ein realer praktis<strong>ch</strong>er Diskurs ist ein Diskurs, bei dem<br />

unter Bedingungen, die so weit, wie es na<strong>ch</strong> den Umständen<br />

angemessen ist, denen des idealen Diskurses<br />

angenähert sind, mindestens aber den Verzi<strong>ch</strong>t aller Beteiligten<br />

auf die absi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Ausübung von Zwang<br />

dur<strong>ch</strong> Gewalt und Drohung beinhalten, die Antwort auf<br />

eine praktis<strong>ch</strong>e Frage gesu<strong>ch</strong>t wird.<br />

bb) Der innere Diskurs<br />

In D Di sind die idealen Rahmenbedingungen einer Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> den besten Gründen,<br />

die Diskursregeln 461 , vollständig verwirkli<strong>ch</strong>t 462 . Der ideale Diskurs ist dadur<strong>ch</strong><br />

zwangsläufig ein reines Gedankenexperiment, das in <strong>der</strong> Realität s<strong>ch</strong>on wegen <strong>der</strong><br />

zeitli<strong>ch</strong>en Unbegrenztheit ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong>führbar ist. Selbst <strong>der</strong> innere Diskurs, wie er<br />

(monologis<strong>ch</strong>) im Kopf einer Person real geführt wird, kann das Ideal nur annäherungsweise<br />

verwirkli<strong>ch</strong>en 463 . Die Vorgehensweise entpri<strong>ch</strong>t in etwa <strong>der</strong>jenigen eines<br />

unparteiis<strong>ch</strong>en Ri<strong>ch</strong>ters, <strong>der</strong> versu<strong>ch</strong>t, si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong>einan<strong>der</strong> in die Lage aller Beteiligten<br />

zu versetzen und für jede <strong>der</strong> Perspektiven Argumente zu finden 464 . Ein sol<strong>ch</strong>er innerer<br />

Diskurs des Ri<strong>ch</strong>ters ist mit erhebli<strong>ch</strong>en Unsi<strong>ch</strong>erheiten befra<strong>ch</strong>tet, gerade<br />

wenn es um die Antizipierung <strong>der</strong> wi<strong>der</strong>streitenden Argumente idealer Diskursteilnehmer<br />

geht. Es liegt darum nahe, die von <strong>der</strong> geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Ents<strong>ch</strong>eidung Betroffe-<br />

460 R. Alexy, Probleme <strong>der</strong> Diskurstheorie (1989), S. 113; <strong>der</strong>s., Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation<br />

(1991), S. 412; ähli<strong>ch</strong> <strong>der</strong>s., Idee und Struktur eines vernünftigen Re<strong>ch</strong>tssystems (1991), S. 35.<br />

461 Dazu unten S. 222 ff. (Diskursregeln).<br />

462 Zum folgenden siehe R. Alexy, Probleme <strong>der</strong> Diskurstheorie (1989), S. 109 ff., 114 ff.<br />

463 Vgl. R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1978), S. 224 mit Fn. 11: »Innere Diskurse<br />

sind Überlegungen einer Person, in denen die mögli<strong>ch</strong>en Gegenargumente geda<strong>ch</strong>ter Opponenten<br />

erwogen werden.« Der (reale) innere Diskurs ist vom (virtuellen) hypothetis<strong>ch</strong>en Diskurs zu<br />

unters<strong>ch</strong>eiden. Vgl. zu letzterem unten S. 312 ff. (unmittelbare Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

als 'diskursiv notwendig').<br />

464 Zu weitgehend U. Neumann, Zur Interpretation des forensis<strong>ch</strong>en Diskurses (1996), S. 417 f., <strong>der</strong><br />

den 'forensis<strong>ch</strong>en Disput', so wie er heute geführt wird, insgesamt als monologis<strong>ch</strong> ansehen will<br />

und die Prozeßparteien auf die Rolle von Informationsquellen reduziert, »s<strong>ch</strong>limmstenfalls die<br />

von Störfaktoren, die das Ziel <strong>der</strong> Erarbeitung <strong>der</strong> 'ri<strong>ch</strong>tigen' Ents<strong>ch</strong>eidung gefährden.«<br />

219


nen ihre Argumente in einem realen Diskurs selbst vortragen zu lassen, etwa dur<strong>ch</strong><br />

s<strong>ch</strong>riftsätzli<strong>ch</strong>e Stellungnahmen o<strong>der</strong> in einer mündli<strong>ch</strong>en Verhandlung. Ob es si<strong>ch</strong><br />

dann beim Geri<strong>ch</strong>tsverfahren no<strong>ch</strong> um einen Diskurs handelt (Son<strong>der</strong>fallthese), o<strong>der</strong><br />

ob die Erfolgsorientierung des Parteihandelns und die re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Rahmenbedingungen<br />

für zulässige Argumentation ni<strong>ch</strong>t bereits so viele diskursfremde Bes<strong>ch</strong>ränkungen<br />

einführen, daß <strong>der</strong> Diskursberei<strong>ch</strong> verlassen ist, soll hier zunä<strong>ch</strong>st dahingestellt<br />

bleiben 465 . Na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> weiten Definition in D Dr liegt jedenfalls dann ein realer<br />

praktis<strong>ch</strong>er Diskurs vor, wenn si<strong>ch</strong> die Argumentation 'so weit, wie es na<strong>ch</strong> den Umständen<br />

angemessen ist,' an den idealen Diskurs anlehnt und jedenfalls Gewalt und<br />

Drohung auss<strong>ch</strong>ließt.<br />

cc) Der handlungsentlastete Diskurs<br />

Eine Situation, die unstreitig einen realen praktis<strong>ch</strong>en Diskurs darstellt – gewissermaßen<br />

<strong>der</strong> Prototyp des realen praktis<strong>ch</strong>en Diskurses – ist die Diskussion unter<br />

Freunden über eine Frage <strong>der</strong> Moral, <strong>der</strong>en Ents<strong>ch</strong>eidung we<strong>der</strong> zeitli<strong>ch</strong> drängt no<strong>ch</strong><br />

pragmatis<strong>ch</strong> für die Beteiligten wi<strong>ch</strong>tig ist 466 . Eine sol<strong>ch</strong>e Diskussionssituation ist<br />

gemeint, wenn im folgenden ohne nähere Bestimmung von realen Diskursen die Rede<br />

ist. Man kann bei diesem Prototyp des realen Diskurses au<strong>ch</strong> von einem handlungsentlasteten<br />

Diskurs spre<strong>ch</strong>en.<br />

dd) Der reale Diskurs als diskursive Kontrolle<br />

Die ideale Voraussetzung, die bei realen Diskursen niemals vollständig verwirkli<strong>ch</strong>t<br />

werden kann, ist die Unendli<strong>ch</strong>keit des Diskurses ('unter den Bedingungen unbegrenzter<br />

Zeit') 467 . Im idealen Diskurs argumentieren die Teilnehmenden selbst dann<br />

weiter, wenn sie bereits einen Konsens erzielt haben, denn es ist nie ausges<strong>ch</strong>lossen,<br />

daß neue Argumente entdeckt werden, die den Konsens zusätzli<strong>ch</strong> stützen o<strong>der</strong> ihn<br />

beseitigen. Will man diese Unendli<strong>ch</strong>keit so weit wie mögli<strong>ch</strong> real verwirkli<strong>ch</strong>en, so<br />

muß man sie als eine potentielle Unendli<strong>ch</strong>keit des Diskurses verstehen. Es muß je<strong>der</strong>zeit<br />

mögli<strong>ch</strong> sein, daß die Teilnehmer, die zunä<strong>ch</strong>st den Diskurs mit einem Konsens<br />

beenden, ihn beim Auffinden neuer Argumente wie<strong>der</strong> aufnehmen. Potentielle<br />

Unendli<strong>ch</strong>keit bedeutet also beim realen Diskurs, daß die Ents<strong>ch</strong>eidung je<strong>der</strong>zeit diskursiv<br />

kontrolliert bleibt. Bei einem so weit wie mögli<strong>ch</strong> idealisierten Diskurs ist ein<br />

Konsens darum nie endgültig o<strong>der</strong> definitiv.<br />

Sol<strong>ch</strong>e Diskurse sind indes nur selten mögli<strong>ch</strong>. Meist wird es darum gehen, innerhalb<br />

angemessener Zeit eine Ents<strong>ch</strong>eidung zu errei<strong>ch</strong>en, die entwe<strong>der</strong> dur<strong>ch</strong> Ab-<br />

465 Zur Son<strong>der</strong>fallthese, d.h. zu <strong>der</strong> These, daß juristis<strong>ch</strong>e Diskurse ein Son<strong>der</strong>fall des allgemeinen<br />

praktis<strong>ch</strong>en Diskurses sind, ausführli<strong>ch</strong> R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1991),<br />

S. 426 ff. m.w.N.; dazu unten S. 255 (Begründung von Re<strong>ch</strong>tsnormen).<br />

466 Die Diskussion unter Freunden ist ein besseres Beispiel als die Diskussion unter 'Fa<strong>ch</strong>leuten', also<br />

insbeson<strong>der</strong>e unter Moralphilosophen, weil letztere unter Umständen ein fa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es Interesse am<br />

Ausgang haben, es für sie also pragmatis<strong>ch</strong> wi<strong>ch</strong>tig sein könnte, ob sie si<strong>ch</strong> persönli<strong>ch</strong> mit ihrer<br />

Ansi<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong>setzen können. Vgl. aber K.-O. Apel, Diskursethik vor <strong>der</strong> Problematik von Re<strong>ch</strong>t<br />

und Politik (1992), S. 45, <strong>der</strong> als Beispiel den Fa<strong>ch</strong>kongreß unter Philosophen vors<strong>ch</strong>lägt.<br />

467 J.P. Müller, Demokratis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1993), S. 148 f.<br />

220


stimmung o<strong>der</strong> als autoritative Ents<strong>ch</strong>eidung ergeht, o<strong>der</strong> in einem Konsens besteht,<br />

<strong>der</strong> für die Zukunft Bindungswirkung entfaltet, ni<strong>ch</strong>t je<strong>der</strong>zeit revisibel ist und deshalb<br />

nur no<strong>ch</strong> als bedingt diskursiv kontrolliert angesehen werden kann. Sieht man<br />

etwa das Verfahren <strong>der</strong> parlamentaris<strong>ch</strong>en Gesetzgebung als Diskurs 468 und entsteht<br />

in diesem Verfahren (ausnahmsweise) ein Konsens, <strong>der</strong> zur einstimmigen Verabs<strong>ch</strong>iedung<br />

eines Gesetzes führt, dann bleibt dieses Gesetz zwar diskursiv kontrolliert,<br />

weil eine Meinungsän<strong>der</strong>ung unter den Parlamentsmitglie<strong>der</strong>n gesetzli<strong>ch</strong>e Korrekturen<br />

bewirken könnte, do<strong>ch</strong> ist die diskursive Kontrolle 'bedingt' in dem Sinne,<br />

daß ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>on die Meinungsän<strong>der</strong>ung einer einzigen Person den realen Diskurs<br />

wie<strong>der</strong> aufleben läßt. Die Bindungswirkung einer Ents<strong>ch</strong>eidung gehört – wie au<strong>ch</strong><br />

<strong>der</strong>en an<strong>der</strong>e Charakteristika (Zeitlimit, Mehrheitsprinzip o<strong>der</strong> autoritative Setzung)<br />

– zu den ni<strong>ch</strong>t-idealen Elementen, die typis<strong>ch</strong>erweise mit realen Diskursen verbunden<br />

sind.<br />

ee) Der ideale Diskurs als regulative Idee (T Dr )<br />

Mit <strong>der</strong> Bedeutung des Konsenses für reale Diskurse ist eine Frage verbunden, die<br />

bereits in idealen Diskursen angelegt ist: die Frage <strong>der</strong> Konvergenz 469 . Es ist nämli<strong>ch</strong><br />

mögli<strong>ch</strong>, daß ein Konsens selbst unter idealen Diskursbedingungen in bestimmten<br />

praktis<strong>ch</strong>en Fragen nie eintritt. Zumindest läßt si<strong>ch</strong> die Konsensfähigkeit für Fragen<br />

des ri<strong>ch</strong>tigen Handelns ni<strong>ch</strong>t beweisen. Es gibt keinen Konvergenzbeweis dahingehend,<br />

daß si<strong>ch</strong> die vers<strong>ch</strong>iedenen Standpunkte <strong>der</strong> Diskursteilnehmer im Laufe des<br />

unendli<strong>ch</strong> geda<strong>ch</strong>ten Diskurses einan<strong>der</strong> annähern, bis sie s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> in einen Konsens<br />

münden. Wenn also selbst <strong>der</strong> ideale Diskurs mögli<strong>ch</strong>erweise ergebnislos, jedenfalls<br />

nie definitiv und außerdem nur näherungsweise dur<strong>ch</strong>führbar ist, worin besteht<br />

dann sein Wert? Er besteht in <strong>der</strong> Leitbildfunktion für den realen Diskurs: Im<br />

realen Diskurs gelten die Diskursregeln als regulative Idee. Je mehr si<strong>ch</strong> die Bedingungen<br />

des realen Diskurses den Bedingungen eines idealen Diskurses annähern,<br />

desto besser begründet ist die Ents<strong>ch</strong>eidung, die in einem sol<strong>ch</strong>en Diskurs getroffen<br />

wird.<br />

Verbindet man D Dr mit diesen Überlegungen zur regulativen Idee, dann gilt ein<br />

Satz, auf den im letzten Teil dieser Untersu<strong>ch</strong>ung mehrfa<strong>ch</strong> zurückgegriffen wird<br />

und <strong>der</strong> bereits hier formuliert werden kann:<br />

T Dr :<br />

Die Anwendungsbedingungen und Verfahrensregeln<br />

eines realen Diskurses müssen so weit, wie na<strong>ch</strong> den<br />

Umständen angemessen, <strong>der</strong> regulativen Idee eines Diskurses<br />

unter idealen Bedingungen angegli<strong>ch</strong>en werden.<br />

468 Dazu unten S. 345 (parlamentaris<strong>ch</strong>e Gesetzgebung als realer Diskurs).<br />

469 Sie ist Anknüpfungspunkt für die Kritik, die Kaufmann aus Si<strong>ch</strong>t seiner 'Konvergenztheorie <strong>der</strong><br />

Wahrheit' anführt; vgl. A. Kaufmann, Über die Wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>keit <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tswissens<strong>ch</strong>aft (1986),<br />

S. 440 ff.<br />

221


ff)<br />

Ein Anwendungsdiskurs? (K. Günther)<br />

Günther hat die These aufgestellt, daß zwar »die Anwendung von Normen auf Situationen<br />

als Diskurs mögli<strong>ch</strong> ist«, es si<strong>ch</strong> dabei aber um spezielle 'Anwendungsdiskurse'<br />

handelt, die von allgemeinen praktis<strong>ch</strong>en Diskursen, insbeson<strong>der</strong>e den Begründungsdiskursen<br />

zur Normbegründung, zu unters<strong>ch</strong>eiden sein sollen 470 . Den Einzelheiten<br />

dieser These kann hier ni<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong>gegangen werden. Do<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>eint die Trennung<br />

von Anwendungs- und Begründungsdiskursen wenig plausibel, wenn man das<br />

erwähnte 'Primat <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung' berücksi<strong>ch</strong>tigt, na<strong>ch</strong> dem jede reale<br />

Erzeugung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> dur<strong>ch</strong> Verfahren davon abhängig ist, daß die Verfahren<br />

selbst als gere<strong>ch</strong>t begründet sind 471 . Soll also dur<strong>ch</strong> eine Normanwendung <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

erzeugt werden, dann ist das Verfahren <strong>der</strong> Normanwendung letztli<strong>ch</strong><br />

auf eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung angewiesen. Entspre<strong>ch</strong>end hat Esser für die<br />

Re<strong>ch</strong>tsanwendung festgestellt, daß sie ni<strong>ch</strong>t bei einer re<strong>ch</strong>tsinternen Konsistenzprüfung<br />

stehen bleiben könne, son<strong>der</strong>n si<strong>ch</strong> auf eine re<strong>ch</strong>tsexterne Kohärenzprüfung erstrecken<br />

müsse, wenn überhaupt eine Ri<strong>ch</strong>tigkeitskontrolle stattfinden soll 472 . Sie<br />

bleibt damit immer auf eine Begründung angewiesen. Dur<strong>ch</strong> dieses Angewiesensein<br />

auf Begründung erweisen si<strong>ch</strong> Anwendungsdiskurse ni<strong>ch</strong>t als eine von Begründungsdiskursen<br />

zu trennende Diskursform 473 .<br />

b) Die Diskursregeln<br />

Eine Diskurstheorie muß als Argumentationstheorie Regeln dafür formulieren, wann<br />

ein Argument im Diskurs gültig sein soll – die Diskursregeln. Diskursregeln definieren<br />

die Rahmenbedingungen eines idealen Diskurses, <strong>der</strong> glei<strong>ch</strong>zeitig die regulative<br />

Idee aller realen Diskurse ist. Die Diskursregeln sind an an<strong>der</strong>er Stelle bereits ausführli<strong>ch</strong><br />

formuliert, klassifiziert und begründet worden 474 . Hier soll es nur darum<br />

470 K. Günther, Sinn für Angemessenheit (1988), S. 25 ff., 50, 65 ff.; zustimmend J. Habermas,<br />

Erläuterungen zur Diskursethik (1991), S. 138 ff.<br />

471 Dazu oben S. 133 f. (<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungstheorien).<br />

472 Vgl. J. Esser, Vorverständnis und Methodenwahl (1970), S. 139 ff. – Notwendigkeit einer Ri<strong>ch</strong>tigkeitskontrolle<br />

au<strong>ch</strong> jenseits einer internen Re<strong>ch</strong>tfertigung. Sa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> übereinstimmen R. Alexy,<br />

Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1991), S. 433: »In dem mit geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Ents<strong>ch</strong>eidungen<br />

erhobenen Anspru<strong>ch</strong> auf Ri<strong>ch</strong>tigkeit sind beide Aspekte [Ri<strong>ch</strong>tigkeit im Rahmen <strong>der</strong> geltenden<br />

Re<strong>ch</strong>tsordnung sowie Vernünftigkeit und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> des Re<strong>ch</strong>ts selbst] enthalten. Eine geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e<br />

Ents<strong>ch</strong>eidung, die ein unvernünftiges o<strong>der</strong> ungere<strong>ch</strong>tes Gesetz korrekt anwendet, erfüllt<br />

deshalb den mit ihr erhobenen Anspru<strong>ch</strong> auf Ri<strong>ch</strong>tigkeit ni<strong>ch</strong>t in je<strong>der</strong> Hinsi<strong>ch</strong>t.«<br />

473 R. Alexy, Normbegründung und Normanwendung (1993), S. 52 ff.<br />

474 R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1978), S. 233 ff.; zustimmend W. Reese-S<strong>ch</strong>äfer,<br />

Das Begründungsprogramm Diskursethik (1990), S. 24 f. Vgl. außerdem R. Alexy, Diskurstheorie<br />

und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 130. Zu den vier universalen Geltungsansprü<strong>ch</strong>en (Sinnanspru<strong>ch</strong>,<br />

Wahrheitsanspru<strong>ch</strong>, Wahrhaftigkeitsanspru<strong>ch</strong>, Ri<strong>ch</strong>tigkeitsanspru<strong>ch</strong>) bei Habermas und Apel, die<br />

<strong>der</strong> Sa<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> weitgehend ähnli<strong>ch</strong>e Anfor<strong>der</strong>ungen an den idealen Diskurs ausdrücken, sowie<br />

den Gewißheitsansprü<strong>ch</strong>en (Wissen um die Bedeutung eines Behauptens, Bestreitens, Fragens;<br />

Bewußtsein des Wahrheitsanspru<strong>ch</strong>s) siehe K.-O. Apel, Die Vernunftfunktion <strong>der</strong> kommunikativen<br />

Rationalität (1996), S. 22 f., 24 m.w.N. Zum Regelkatalog Alexys sind bisher, soweit ersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>,<br />

keine konkreten Alternativen formuliert worden, obwohl diese Regeln selbst teils Kritik erfahren<br />

haben, etwa bei E. Hilgendorf, Argumentation in <strong>der</strong> Jurisprudenz (1991), S. 186 ff., 203 ff.<br />

222


gehen, sie s<strong>ch</strong>lagwortartig und na<strong>ch</strong> ihren Regelungsgehalten gruppiert zusammenzufassen,<br />

um das Spektrum <strong>der</strong> Diskursanfor<strong>der</strong>ungen deutli<strong>ch</strong> zu ma<strong>ch</strong>en.<br />

aa) Regeln <strong>der</strong> Konsistenz und Kohärenz<br />

Zunä<strong>ch</strong>st definieren die Diskursregeln allgemeine Anfor<strong>der</strong>ungen, wie sie au<strong>ch</strong> für<br />

ni<strong>ch</strong>tdiskursive <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft gelten. Zu diesen allgemeinen<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen an <strong>Theorien</strong> gehört <strong>der</strong>en Konsistenz, verstanden als innere Wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong>sfreiheit<br />

475 , und Kohärenz, verstanden als äußere Wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong>sfreiheit im Sinne<br />

einer Vereinbarkeit mit empiris<strong>ch</strong>en Tatsa<strong>ch</strong>en und an<strong>der</strong>en diskursexternen<br />

Rahmenbedingungen (z.B. Spra<strong>ch</strong>konventionen) 476 .<br />

Zu den Diskursregeln <strong>der</strong> Konsistenz gehört, daß kein Spre<strong>ch</strong>er si<strong>ch</strong> selbst wi<strong>der</strong>spre<strong>ch</strong>en<br />

darf (Individualkonsistenz). Vers<strong>ch</strong>iedene Spre<strong>ch</strong>er dürfen den glei<strong>ch</strong>en<br />

Ausdruck ni<strong>ch</strong>t mit vers<strong>ch</strong>iedenen Bedeutungen benutzen (Terminologiekonsistenz).<br />

Je<strong>der</strong> Spre<strong>ch</strong>er darf nur das behaupten, was er selbst meint (Ernsthaftigkeit, 'Persönli<strong>ch</strong>keitskonsistenz').<br />

Je<strong>der</strong> Spre<strong>ch</strong>er muß seine objekt- und subjektbezogenen Behauptungen<br />

au<strong>ch</strong> für alle an<strong>der</strong>en Objekte und Subjekte aufre<strong>ch</strong>terhalten, die in je<strong>der</strong><br />

relevanten Hinsi<strong>ch</strong>t glei<strong>ch</strong> sind (Vollständigkeit, 'Standpunktkonsistenz').<br />

Zu den Diskursregeln <strong>der</strong> Kohärenz gehört, daß je<strong>der</strong> Spre<strong>ch</strong>er das Gebot spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>-begriffli<strong>ch</strong>er<br />

Klarheit bea<strong>ch</strong>ten muß (Terminologiekohärenz). Je<strong>der</strong> Spre<strong>ch</strong>er<br />

darf nur das behaupten, was mit empiris<strong>ch</strong>en Tatsa<strong>ch</strong>en vereinbar ist (Wahrheitsgebot,<br />

'Umweltkohärenz'). Je<strong>der</strong> Spre<strong>ch</strong>er darf nur for<strong>der</strong>n, was innerhalb gegebener<br />

Grenzen <strong>der</strong> Realisierbarkeit mögli<strong>ch</strong> ist (Realisierbarkeitsgebot, 'Mögli<strong>ch</strong>keitskohärenz').<br />

Je<strong>der</strong> Spre<strong>ch</strong>er darf nur sol<strong>ch</strong>e Behauptungen erheben, <strong>der</strong>en Konsequenzen<br />

er akzeptiert (Folgenberücksi<strong>ch</strong>tigungsgebot, 'Standpunktkohärenz').<br />

Die Regeln, die hier s<strong>ch</strong>lagwortartig als Standpunktkonsistenz und Standpunktkohärenz<br />

bezei<strong>ch</strong>net sind, können (genau wie die folgenden Glei<strong>ch</strong>heitsregeln) dur<strong>ch</strong><br />

ein Rollentaus<strong>ch</strong>prinzip verdeutli<strong>ch</strong>t werden: Je<strong>der</strong> muß bereit sein, die Rolle jedes<br />

an<strong>der</strong>en Diskursteilnehmers zu übernehmen 477 .<br />

475 Vgl. R. Alexy, Juristis<strong>ch</strong>e Begründung, System und Kohärenz (1989), S. 96: »Eine Theorie ist konsistent,<br />

wenn sie keinen logis<strong>ch</strong>en Wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong> aufweist.« Ebenso D. Bu<strong>ch</strong>wald, Der Begriff <strong>der</strong> rationalen<br />

juristis<strong>ch</strong>en Begründung (1990), S. 151.<br />

476 Zu diesem Außenbezug <strong>der</strong> (graduellen, optimierungsbedürftigen) Kohärenz im Gegensatz zum<br />

Innenbezug <strong>der</strong> (logis<strong>ch</strong>-absoluten) Konsistenz vgl. R. Alexy, Juristis<strong>ch</strong>e Begründung, System und<br />

Kohärenz (1989), S. 97: »Je besser die Begründungsstruktur einer Klasse von Aussagen ist, desto<br />

kohärenter ist diese Klasse von Aussagen.«; sowie ebd., S. 102: »Je mehr we<strong>ch</strong>selseitige empiris<strong>ch</strong>e<br />

Begründungen ein System enthält, desto kohärenter ist es.« Die Einbettung juristis<strong>ch</strong>er Begründung<br />

in ein mögli<strong>ch</strong>st kohärentes System ist eine elementare For<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, wie<br />

au<strong>ch</strong> <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft insgesamt: ebd., S. 106 f. Zur Kohärenz gehört außerdem, daß die<br />

Folgen des in <strong>der</strong> Theorie gere<strong>ch</strong>tfertigten Handelns berücksi<strong>ch</strong>tigt werden; vgl. R. Alexy, Diskurstheorie<br />

und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 130 sowie D. Bu<strong>ch</strong>wald, Der Begriff <strong>der</strong> rationalen juristis<strong>ch</strong>en<br />

Begründung (1990), S. 151 f., 253 ff.<br />

477 Vgl. R. Alexy, Probleme <strong>der</strong> Diskurstheorie (1989), S. 113; dazu oben S. 218 (D Di ). Ähnli<strong>ch</strong> bereits<br />

<strong>der</strong>s., Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1978), S. 251: »(5.1.1) Je<strong>der</strong> muß die Konsequenzen<br />

<strong>der</strong> in einer von ihm behaupteten normativen Aussage vorausgesetzten Regel für die Befriedigung<br />

<strong>der</strong> Interessen einer jeden einzelnen Person au<strong>ch</strong> für den hypothetis<strong>ch</strong>en Fall akzeptieren<br />

223


) Regeln <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heit und Freiheit<br />

Neben diesen Diskursregeln, die allgemeine Gebote <strong>der</strong> Vernunft implementieren,<br />

gelten an<strong>der</strong>e spezifis<strong>ch</strong> für eine diskursive Konzeption praktis<strong>ch</strong>er Vernunft. Hierzu<br />

gehören zunä<strong>ch</strong>st Regeln über die glei<strong>ch</strong>en Diskursfreiheiten und die Informiertheit:<br />

Je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> spre<strong>ch</strong>en kann, darf an Diskursen teilnehmen (Teilnahmefreiheit). Je<strong>der</strong><br />

darf jede Behauptung in den Diskurs einführen (Thematisierungsfreiheit). Je<strong>der</strong> darf<br />

jede Behauptung problematisieren (Kritisierungsfreiheit). Je<strong>der</strong> darf si<strong>ch</strong> über alle<br />

verfügbaren empiris<strong>ch</strong>en Daten unterri<strong>ch</strong>ten (Informationsfreiheit). Niemand darf<br />

dur<strong>ch</strong> innerhalb o<strong>der</strong> außerhalb des Diskurses herrs<strong>ch</strong>enden Zwang daran gehin<strong>der</strong>t<br />

werden, seine Diskursfreiheiten wahrzunehmen (Zwangsfreiheit, insbeson<strong>der</strong>e Herrs<strong>ch</strong>aftsfreiheit).<br />

Die Zwangsfreiheit des Diskurses ist das wohl anspru<strong>ch</strong>svollste ideale Element,<br />

weil es in realen Diskursen nie vollständig verwirkli<strong>ch</strong>t werden kann 478 . Zur<br />

Zwangsfreiheit gehört nämli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> die Freiheit von Ents<strong>ch</strong>eidungszwang. Eine sol<strong>ch</strong>e<br />

Freiheit läßt si<strong>ch</strong> aber nur herstellen, wenn <strong>der</strong> Diskurs potentiell unendli<strong>ch</strong> fortzusetzen<br />

ist. Bei realen Ents<strong>ch</strong>eidungen über Fragen des Handelns gibt es dagegen<br />

den Zwang, irgendwann zu einem Ergebnis zu gelangen (z.B.: Budget verabs<strong>ch</strong>ieden,<br />

Korn säen). An<strong>der</strong>nfalls würde das Ni<strong>ch</strong>thandeln selbst ganz unabhängig vom<br />

Diskurs ein Ergebnis faktis<strong>ch</strong> setzen (z.B.: budgetlose Regierung, ertragloser Acker).<br />

Au<strong>ch</strong> die Herrs<strong>ch</strong>aftsfreiheit ist real kaum vollständig zu verwirkli<strong>ch</strong>en. Zwar kann<br />

und muß Gewalt und Drohung im Diskurs verboten werden; ein Arbeitgeber kann<br />

also in einem Diskurs ni<strong>ch</strong>t mit Kündigung drohen. Do<strong>ch</strong> lassen si<strong>ch</strong> Ma<strong>ch</strong>tunters<strong>ch</strong>iede<br />

in <strong>der</strong> Realität nie ganz ausblenden, leben sie do<strong>ch</strong> in typisiertem Rollenverhalten<br />

(arm/rei<strong>ch</strong>, Frau/Mann) fort.<br />

cc) Regeln <strong>der</strong> Argumentationslast<br />

Die Argumentation kann, wenn sie die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Ergebnisses verbürgen soll,<br />

ni<strong>ch</strong>t vollständig in das Belieben <strong>der</strong> Beteiligten gestellt bleiben. Neben den Regeln<br />

über glei<strong>ch</strong>e Diskursfreiheiten muß im Diskurs au<strong>ch</strong> geregelt sein, wer wann ein Argument<br />

anzuführen hat. Zu den Regeln über Argumentationslasten gehört die, daß<br />

je<strong>der</strong> seine Behauptungen auf Verlangen begründen muß, es sei denn, eine Begründungsverweigerung<br />

ist ausnahmsweise gere<strong>ch</strong>tfertigt (Begründungslast). Je<strong>der</strong> muß<br />

auf Verlangen begründen, warum er objekt- und subjektbezogenen Behauptungen<br />

für bestimmte an<strong>der</strong>e Objekte und Subjekte ni<strong>ch</strong>t aufre<strong>ch</strong>terhält (Differenzierungslast).<br />

Wer ein Argument angeführt hat, ist nur bei einem Gegenargument zu weiteren<br />

Argumenten verpfli<strong>ch</strong>tet (Entgegnungslast). Je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> eine Äußerung ma<strong>ch</strong>t,<br />

die ni<strong>ch</strong>t auf den bisherigen Gegenstand und die bisherigen Argumente des Diskurses<br />

bezogen ist, muß auf Verlangen begründen, weshalb er diese Äußerung ma<strong>ch</strong>t<br />

(Thematisierungslast).<br />

können, daß er si<strong>ch</strong> in <strong>der</strong> Situation dieser Person befindet.« Ebenso R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

(1991), S. 116.<br />

478 Ausdrückli<strong>ch</strong> K.-O. Apel, Diskursethik vor <strong>der</strong> Problematik von Re<strong>ch</strong>t und Politik (1992), S. 45:<br />

»Genau besehen, kann ni<strong>ch</strong>t einmal ein realer philosophis<strong>ch</strong>er Diskurs völlig herrs<strong>ch</strong>aftsfrei abgewickelt<br />

werden, sofern er als realer Diskurs ja au<strong>ch</strong> niemals völlig handlungs- und zeitentlastet<br />

abgewickelt werden kann.«<br />

224


c) Die Begründung <strong>der</strong> Diskursregeln<br />

Die Begründung <strong>der</strong> Diskursregeln erfolgt in den einzelnen Diskurstheorien unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong><br />

479 . In allen <strong>Theorien</strong>, seien sie universal- o<strong>der</strong> transzendentalpragmatis<strong>ch</strong>,<br />

wird dabei na<strong>ch</strong> den notwendigen Voraussetzungen von Kommunikation gefors<strong>ch</strong>t<br />

(Präsuppositionsanalyse). Das kann mit <strong>der</strong> Argumentform des transzendentalen<br />

Arguments beispielhaft gezeigt werden. Ein gemeinsames Element <strong>der</strong> <strong>Theorien</strong><br />

liegt sodann in dem Hinweis auf den je<strong>der</strong> Argumentation immanenten Ri<strong>ch</strong>tigkeitsanspru<strong>ch</strong><br />

sowie dessen Unauswei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>keit zur Vermeidung eines performativen<br />

Wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong>es. Damit läßt si<strong>ch</strong> ein gemeinsamer Begründungskern <strong>der</strong> Diskurstheorien<br />

skizzieren 480 .<br />

aa) Das transzendentale Argument<br />

Als 'transzendental' bezei<strong>ch</strong>net Kant die Bedingungen <strong>der</strong> Mögli<strong>ch</strong>keit 481 . Von einem<br />

transzendentalen Argument spri<strong>ch</strong>t man demgemäß bei je<strong>der</strong> Analyse notwendiger<br />

Voraussetzungen (Präsuppositionsanalyse). Dabei wird zunä<strong>ch</strong>st ein Ausgangspunkt<br />

in irgendeiner Hinsi<strong>ch</strong>t als notwendig behauptet o<strong>der</strong> erkannt (praemissa maior).<br />

Diese Notwendigkeit muß sodann auf weiteren Voraussetzungen beruhen, die selbst<br />

notwendig für ihren Bestand sind (praemissa minor). Daraus folgt, daß die Voraussetzungen<br />

in <strong>der</strong>selben Hinsi<strong>ch</strong>t als notwendig angesehen werden müssen, wie <strong>der</strong><br />

Ausgangspunkt (conclusio). Wird beispielsweise <strong>der</strong> Stoffwe<strong>ch</strong>sel (Ausgangspunkt)<br />

als notwendig für das Weiterleben (relevante Hinsi<strong>ch</strong>t) eines Lebewesens erkannt<br />

(praemissa maior) und weiter gezeigt, daß die Nahrungsaufnahme notwendige Voraussetzung<br />

für einen kontinuierli<strong>ch</strong>en Stoffwe<strong>ch</strong>sel ist (praemissa minor), so folgt<br />

daraus, daß die Nahrungsaufnahme in <strong>der</strong>selben Hinsi<strong>ch</strong>t, also bezügli<strong>ch</strong> des Weiterlebens,<br />

für ein Lebewesen notwendig ist (conclusio).<br />

Wie wird nun diese Argumentform des tranzendentalen Arguments für die Diskurstheorie<br />

konkretisiert? Regelmäßig werden Spra<strong>ch</strong>philosophie und Linguistik<br />

aktiviert, um die Notwendigkeit bestimmter Kommunikationseigens<strong>ch</strong>aften aufzuzeigen<br />

482 . Dabei ist es angesi<strong>ch</strong>ts <strong>der</strong> Vielfalt unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er Spre<strong>ch</strong>akte (Verspre-<br />

479 Dazu unten S. 233 ff. (einzelne Diskurstheorien).<br />

480 Die folgende Darstellung <strong>der</strong> transzendentalen Begründung <strong>der</strong> Diskursregeln folgt im wesentli<strong>ch</strong>en<br />

<strong>der</strong> Vorgehensweise bei R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 135 ff., soweit<br />

diese Begründungselemente illustriert, die au<strong>ch</strong> mit den Aussagen an<strong>der</strong>er Diskurstheorien<br />

vereinbar sind.<br />

481 Vgl. I. Kant, KrV (1787), B 25 f.: »I<strong>ch</strong> nenne alle Erkenntnis transzendental, die si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t so wohl<br />

mit Gegenständen, son<strong>der</strong>n mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen, so fern diese a priori<br />

mögli<strong>ch</strong> sein soll, überhaupt bes<strong>ch</strong>äftigt. Ein System sol<strong>ch</strong>er Begriffe würde Transzendental-<br />

Philosophie heißen.« (Hervorhebungen bei Kant); <strong>der</strong>s., KrV (1781), B80/A56: »transzendental (d.i.<br />

die Mögli<strong>ch</strong>keit <strong>der</strong> Erkenntnis o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gebrau<strong>ch</strong> <strong>der</strong>selben a priori)«.<br />

482 Die wohl wi<strong>ch</strong>tigste Grundlage bildet insoweit die Theorie des illokutionären Aktes von Austin.<br />

Austin unters<strong>ch</strong>eidet den Akt <strong>der</strong> Äußerung selbst (lokutionärer Akt) von dem Akt, <strong>der</strong> mit <strong>der</strong><br />

Äußerung vorgenommen wird (illokutionärer Akt) und demjenigen, <strong>der</strong> si<strong>ch</strong> aus <strong>der</strong> Äußerung<br />

ergibt (perlokutionärer Akt); J.L. Austin, Zur Theorie <strong>der</strong> Spre<strong>ch</strong>akte (1962), S. 110 ff. (a<strong>ch</strong>te Vorlesung);<br />

vgl. dazu J.R. Searle, Spee<strong>ch</strong> Acts (1969), S. 30 – illocutionary force indicators; D. Van<strong>der</strong>veken,<br />

Les actes de discours (1988), S. 107 ff. – La forme logique des actes illocutoires. Die folgende Präsuppositionsanalyse<br />

des Spre<strong>ch</strong>aktes <strong>der</strong> Behauptung ist eine Analyse des illokutionären Aktes, also<br />

225


<strong>ch</strong>en, Fragen, Emotionsäußerungen, Stellungnahmen, Absi<strong>ch</strong>tserklärungen, Befehle,<br />

Begründungen, Behauptungen u.v.m. 483 ) wenig aussi<strong>ch</strong>tsrei<strong>ch</strong>, gemeinsame Elemente<br />

je<strong>der</strong> Kommunikation als notwendig darzulegen; allenfalls über abstrakte Strukturelemente<br />

von Spre<strong>ch</strong>akten ließen si<strong>ch</strong> Aussagen treffen 484 . Für den Zweck <strong>der</strong> Begründung<br />

von Diskursregeln genügt es, wenn für einzelne Spre<strong>ch</strong>akte notwendige<br />

Voraussetzungen herausgearbeitet werden, um dann zu zeigen, daß diese Spre<strong>ch</strong>akte<br />

selbst in irgendeiner Hinsi<strong>ch</strong>t notwendig sind. Der Spre<strong>ch</strong>akt, für den das am aussi<strong>ch</strong>tsrei<strong>ch</strong>sten<br />

ist, ist <strong>der</strong>jenige des Behauptens in einem starken, d.h. voraussetzungsvollen<br />

Sinn. Behaupten in einem starken Sinne ist mehr als eine bloße Stellungnahme.<br />

Wer etwas behauptet, erhebt damit glei<strong>ch</strong>zeitig – zumindest implizit –<br />

einen Anspru<strong>ch</strong> auf Wahrheit o<strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit 485 . Täte er es ni<strong>ch</strong>t, würde <strong>der</strong> Spre<strong>ch</strong>er<br />

si<strong>ch</strong> mit dem Vollzug des Spre<strong>ch</strong>aktes in Wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong> zu dessen Inhalt setzen<br />

(performativer Wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong>), würde also als Behaupten<strong>der</strong> für etwas auftreten, das er<br />

für fals<strong>ch</strong> o<strong>der</strong> für unbegründet hält 486 .<br />

Wenn jemand einen Anspru<strong>ch</strong> auf Wahrheit o<strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit erhebt, so behauptet<br />

er glei<strong>ch</strong>zeitig, daß dieser Anspru<strong>ch</strong> einlösbar ist. Ansprü<strong>ch</strong>e auf Wahrheit o<strong>der</strong><br />

Ri<strong>ch</strong>tigkeit werden dur<strong>ch</strong> Begründungen eingelöst. Man kann folgli<strong>ch</strong> sagen: »Der<br />

Anspru<strong>ch</strong> auf Wahrheit o<strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>igkeit impliziert einen Anspru<strong>ch</strong> auf Begründbarkeit.«<br />

487 Der Spre<strong>ch</strong>er verpfli<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> implizit, auf Verlangen Gründe für seine Be<strong>der</strong><br />

Frage, was damit gesagt ist, wenn jemand etwas behauptet. Zur Unters<strong>ch</strong>eidung dessen, was<br />

gesagt ist, von dem, was damit gesagt wird vgl. E. v. Savigny, Analytis<strong>ch</strong>e Philosophie (1970), S. 90;<br />

<strong>der</strong>s., J.L. Austins Theorie <strong>der</strong> Spre<strong>ch</strong>akte (1972), S. 8; E. Braun, Paradigmenwe<strong>ch</strong>sel in <strong>der</strong> Spra<strong>ch</strong>philosophie<br />

(1996), S. 41.<br />

483 J.R. Searle, Spee<strong>ch</strong> Acts (1969), S. 22 ff. (23).<br />

484 Immerhin hat J.R. Searle, Spee<strong>ch</strong> Acts (1969), S. 54 ff. (64 f.) zur Struktur illokutionärer Spre<strong>ch</strong>akte<br />

die These aufgestellt, daß mit <strong>der</strong> Vornahme jedes illokutionären Aktes glei<strong>ch</strong>zeitig impliziert<br />

wird, die 'vorbereitenden Bedingungen' (preparationary conditions) dieses Aktes bestünden – bei<br />

einer 'Behauptung' etwa die Bedingung, daß <strong>der</strong> Spre<strong>ch</strong>er je<strong>der</strong>zeit eine Begründung na<strong>ch</strong>tragen<br />

kann, bei einem 'Verspre<strong>ch</strong>en', daß <strong>der</strong> Verspre<strong>ch</strong>ensempfänger ein Interesse am Verspro<strong>ch</strong>enen<br />

hat; bei einer 'Danksagung', daß das Empfangene dem Spre<strong>ch</strong>er gefallen hat u.s.w.<br />

485 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 135; vgl. dazu die These von den preparationary<br />

conditions bei J.R. Searle, Spee<strong>ch</strong> Acts (1969), S. 64 f.; im Ergebnis ebenso W. Reese-S<strong>ch</strong>äfer,<br />

Das Begründungsprogramm Diskursethik (1990), . 17. Von diesem starken Begriff des Behauptens<br />

kann ein s<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>erer Begriff im Sinne bloßer Emotionsäußerungen, Stellungnahmen o<strong>der</strong><br />

unpersönli<strong>ch</strong>er Äußerungen unters<strong>ch</strong>ieden werden, <strong>der</strong> keinerlei Ri<strong>ch</strong>tigkeitsbehauptung eins<strong>ch</strong>ließt.<br />

Wer angesi<strong>ch</strong>ts eines Sonnenuntergangs spontan 's<strong>ch</strong>ön' sagt, ist unter Umständen we<strong>der</strong><br />

gewillt no<strong>ch</strong> in <strong>der</strong> Lage, dafür Gründe anzuführen. Er hat glei<strong>ch</strong>wohl – in einem s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en<br />

Sinne – eine Behauptung aufgestellt: 'Dieser Sonnenuntergang ist s<strong>ch</strong>ön!' Sol<strong>ch</strong>es s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>e Behaupten<br />

soll hier weiter ni<strong>ch</strong>t interessieren. Für das hier dargelegte Argument genügt es, daß es<br />

überhaupt eine Klasse von Spre<strong>ch</strong>akten gibt, die im starken Sinne ein Behaupten darstellt.<br />

486 Vgl. dazu K.-O. Apel, Die Vernunftfunktion <strong>der</strong> kommunikativen Rationalität (1996), S. 22: »Unter<br />

letzterem [dem transzendentalpragmatis<strong>ch</strong>en Selbstwi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong>] verstehe i<strong>ch</strong> einen performativen Wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong><br />

zwis<strong>ch</strong>en dem Inhalt einer Proposition und dem selbstbezügli<strong>ch</strong>en – impliziten o<strong>der</strong> performativ<br />

expliziten – intentionalen Inhalt des Aktes des Vorbringens <strong>der</strong> Proposition im Rahmen eines<br />

argumentativen Diskurses.« (Hervorhebungen bei Apel). Zu vers<strong>ch</strong>iedenen Verwendungsweisen<br />

des Begriffes 'performativer Selbstwi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong>' vgl. M. Kettner, Ansatz zu einer Taxonomie performativer<br />

Selbstwi<strong>der</strong>sprü<strong>ch</strong>e (1993), S. 187 ff.<br />

487 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 136.<br />

226


hauptung na<strong>ch</strong>zuliefern 488 . Das s<strong>ch</strong>ließt ni<strong>ch</strong>t aus, daß im Einzelfall – etwa aus Zeitnot<br />

– eine ausführli<strong>ch</strong>e Begründung unmögli<strong>ch</strong> ist. Anspru<strong>ch</strong> auf Begründbarkeit<br />

bedeutet au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, daß immer dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>lagende Gründe für das Behauptete vorhanden<br />

sein müssen. Aber jedenfalls ist jedes Behaupten im starken Sinne, also ein<br />

sol<strong>ch</strong>es, das Wahrheit o<strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit impliziert, glei<strong>ch</strong>zeitig eine konkludente Bereiterklärung,<br />

unter normalen Umständen überhaupt Gründe für das Behauptete zu<br />

geben (Prima-facie-Pfli<strong>ch</strong>t zur Begründung 489 ). Häufig wird das Behaupten im starken<br />

Sinn zusammen mit <strong>der</strong> Begründung, dur<strong>ch</strong> die <strong>der</strong> implizite Ri<strong>ch</strong>tigkeitsanspru<strong>ch</strong><br />

eingelöst wird, zum Begriff des Argumentierens zusammengefaßt. Jede Diskurstheorie<br />

ist in diesem Sinne glei<strong>ch</strong>zeitig Argumentationstheorie.<br />

bb) Die Begründungspfli<strong>ch</strong>t<br />

Nun ist es ni<strong>ch</strong>t glei<strong>ch</strong>gültig, wie si<strong>ch</strong> Spre<strong>ch</strong>er und Behauptungsempfänger gegenübertreten.<br />

Denn wenn <strong>der</strong> Behauptungsempfänger seinen Anspru<strong>ch</strong> auf Begründung<br />

einfor<strong>der</strong>t, indem er auf das Behaupten die Frage 'Warum?' stellt, dann kann<br />

ein Spre<strong>ch</strong>er ni<strong>ch</strong>t mit je<strong>der</strong> beliebigen Antwort seiner implizit übernommenen Begründungspfli<strong>ch</strong>t<br />

genügen. Wahrheit o<strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit lassen si<strong>ch</strong> nur darlegen,<br />

wenn gute Gründe angeführt werden 490 . Au<strong>ch</strong> das unters<strong>ch</strong>eidet ein Behaupten im<br />

starken Sinn von an<strong>der</strong>en (s<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>eren) Begriffen des Behauptens 491 .<br />

Was aber sind gute Gründe? Es müssen na<strong>ch</strong> dem Gang <strong>der</strong> hier verfolgten Argumentation<br />

sol<strong>ch</strong>e sein, die eine Wahrheits- o<strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeitsgewähr bieten. Denn<br />

sonst könnte <strong>der</strong> mit einem starken Behaupten implizierte Anspru<strong>ch</strong> auf Wahrheit<br />

o<strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit ni<strong>ch</strong>t eingelöst werden. Sowohl die Wahrheit, also <strong>der</strong> Inbegriff des<br />

gelungenen Beweises einer dem Beweis zugängli<strong>ch</strong>en Tatsa<strong>ch</strong>e, als au<strong>ch</strong> die Ri<strong>ch</strong>tig-<br />

488 Vgl. J.R. Searle, Spee<strong>ch</strong> Acts (1969), S. 65: »To put it generally, in the performance of any illocutionary<br />

act, the speaker implies that the preparatory conditions of the act are satisfied. Thus, for example,<br />

when I make a statement I imply that I can back it up«.<br />

489 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 137.<br />

490 Ausführli<strong>ch</strong> zu Diskurs und guten Gründen R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation<br />

(1991), S. 399 ff.<br />

491 Ni<strong>ch</strong>t jedes Behaupten mit impliziter Begründungsbereits<strong>ch</strong>aft stellt au<strong>ch</strong> beson<strong>der</strong>e Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

an die Begründung. Es können Begriffe eines s<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>eren Behauptens gebildet werden, bei<br />

denen <strong>der</strong> Spre<strong>ch</strong>er zwar einerseits impliziert, daß er irgendwel<strong>ch</strong>e Gründe für seine Äußerung anzuführen<br />

gewillt ist, er aber an<strong>der</strong>erseits ni<strong>ch</strong>t die Verpfli<strong>ch</strong>tung übernimmt, daß diese Gründe<br />

bestimmten Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Wahrheits- o<strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeitsverbürgung genügen. Die zwei wi<strong>ch</strong>tigsten<br />

Fallkonstellationen <strong>der</strong>art s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en Behauptens mit unqualifizierter Begründung sind diejenige,<br />

bei <strong>der</strong> <strong>der</strong> Spre<strong>ch</strong>er zwar gewillt, aber na<strong>ch</strong> eigener Si<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t fähig ist, gute Gründe zu<br />

präsentieren, und diejenige, bei <strong>der</strong> er na<strong>ch</strong> eigener Si<strong>ch</strong>t zwar fähig, aber ni<strong>ch</strong>t gewillt ist, gute<br />

Gründe zu präsentieren. So beispielsweise in folgendem Dialog: 'Der Fis<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>meckt wun<strong>der</strong>voll!<br />

– Warum? – Er s<strong>ch</strong>meckt einfa<strong>ch</strong> gut.' Hier ist <strong>der</strong> Feins<strong>ch</strong>mecker dur<strong>ch</strong>aus bereit, einen guten<br />

Grund zu nennen, weiß aber, daß er wegen <strong>der</strong> Vers<strong>ch</strong>iedenheit <strong>der</strong> Ges<strong>ch</strong>mäcker einen Ri<strong>ch</strong>tigkeitsanspru<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t erheben kann: er ist ni<strong>ch</strong>t fähig, gute Gründe zu nennen. Umgekehrt in folgendem<br />

Dialog: 'Es ist besser für Sie, wenn Sie dieser Anordnung Folge leisten! – Warum? – Weil<br />

i<strong>ch</strong> Sie sonst entlasse.' Hier mag <strong>der</strong> Arbeitgeber dur<strong>ch</strong>aus gute Gründe für seine Anordnung haben,<br />

vermeidet aber mit <strong>der</strong> Drohung, si<strong>ch</strong> auf eine Diskussion einzulassen: er ist ni<strong>ch</strong>t gewillt gute<br />

Gründe zu nennen. Die im Zusammenhang mit sol<strong>ch</strong>en s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en Behauptungen implizierten<br />

Begründungen umfassen ni<strong>ch</strong>t notwendig gute Gründe.<br />

227


keit, verstanden als Inbegriff des gelungenen Begründens einer ni<strong>ch</strong>t dem Beweis<br />

zugängli<strong>ch</strong>en Aussage, beanspru<strong>ch</strong>en kategoris<strong>ch</strong>e Geltung. Sie beziehen si<strong>ch</strong> auf Eigens<strong>ch</strong>aften,<br />

die unabhängig von Zeit und Raum den als wahr o<strong>der</strong> ri<strong>ch</strong>tig erkannten<br />

Gegenständen zukommen müssen. Eine beweisbare Tatsa<strong>ch</strong>e ist nur wahr, wenn sie<br />

immer und überall wahr ist; eine ni<strong>ch</strong>t beweisbare Aussage ist nur ri<strong>ch</strong>tig, wenn sie<br />

immer und überall ri<strong>ch</strong>tig ist 492 .<br />

Der kategoris<strong>ch</strong>e Geltungsanspru<strong>ch</strong> von Wahrheit und Ri<strong>ch</strong>tigkeit führt zu<br />

s<strong>ch</strong>wer erfüllbaren Anfor<strong>der</strong>ungen an gute Gründe. Sol<strong>ch</strong>e Gründe dürfen ni<strong>ch</strong>t von<br />

dem Kreis <strong>der</strong> Spre<strong>ch</strong>er abhängen, in dem sie geäußert werden. Sie müssen Gründe<br />

für alle und jeden sein, unabhängig von unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Kenntnissen und Fähigkeiten<br />

<strong>der</strong> einzelnen Spre<strong>ch</strong>er. Ein Grund ist also ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>on dadur<strong>ch</strong> ein guter<br />

Grund, daß er gerade ausrei<strong>ch</strong>t, den einzelnen Behauptungsempfänger zu überzeugen.<br />

Er wird au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t dadur<strong>ch</strong> gut, daß er si<strong>ch</strong> eine Zwangssituation zunutze<br />

ma<strong>ch</strong>t, um als ausrei<strong>ch</strong>en<strong>der</strong> Grund akzeptiert zu werden. Und er kann kein guter<br />

Grund sein, wenn er bei Anwesenheit und glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigter Gesprä<strong>ch</strong>steilnahme<br />

von kritis<strong>ch</strong>en Behauptungsempfängern als ni<strong>ch</strong>t überzeugend entlarvt würde. Denn<br />

in allen diesen Fällen fehlt es an <strong>der</strong> zeitli<strong>ch</strong>en und räumli<strong>ch</strong>en Unbedingtheit <strong>der</strong><br />

Geltung. Der Behauptungsempfänger kann klüger werden, die Situation kann ihre<br />

Zwanghaftigkeit verlieren o<strong>der</strong> die abwesenden o<strong>der</strong> zunä<strong>ch</strong>st ni<strong>ch</strong>t glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigten<br />

Kritiker können ers<strong>ch</strong>einen und eine glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigte Teilnahme dur<strong>ch</strong>setzen<br />

und s<strong>ch</strong>on än<strong>der</strong>t si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Überzeugungserfolg eines Grundes, wenn es ni<strong>ch</strong>t von<br />

Anfang an ein guter Grund ist. Die so skizzierten Anfor<strong>der</strong>ungen an gute Gründe<br />

lassen si<strong>ch</strong> wie folgt zusammenfassen: Gute Gründe verlangen erstens die Zwanglosigkeit<br />

<strong>der</strong> Argumentation. Sie verlangen zweitens, daß je<strong>der</strong> an <strong>der</strong> Argumentation<br />

teilnehmen kann, ohne daß die Gründe ihre Überzeugungskraft verlieren. Sie verlangen<br />

drittens, daß eine Teilnahme an <strong>der</strong> Argumentation glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigt erfolgt.<br />

cc) Der Einwand <strong>der</strong> Zirkularität<br />

An dieser Stelle wird einigermaßen offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>, daß die Anfor<strong>der</strong>ungen, die in <strong>der</strong><br />

Argumentation einen guten Grund identifizieren, si<strong>ch</strong> mit denjenigen Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

decken, die oben bereits in etwas gründli<strong>ch</strong>erer Differenzierung als Diskursregeln<br />

eingeführt wurden 493 . Deshalb setzt si<strong>ch</strong> dieser Gedankens<strong>ch</strong>ritt dem Verda<strong>ch</strong>t <strong>der</strong><br />

Zirkularität aus. Wird mit den Diskursregeln gewissermaßen das Kanin<strong>ch</strong>en aus<br />

dem Hut gezaubert, das in <strong>der</strong> Ums<strong>ch</strong>reibung eines guten Grundes vorher hineingesteckt<br />

wurde?<br />

Der Einwand <strong>der</strong> Zirkularität läßt si<strong>ch</strong> auf vers<strong>ch</strong>iedene Weise wi<strong>der</strong>legen, am<br />

einfa<strong>ch</strong>sten aber mit dem Argument, daß Zwanglosigkeit, Glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigung und<br />

Universalität <strong>der</strong> Teilnahme keine beliebig austaus<strong>ch</strong>baren Kriterien sind, um einen<br />

Grund als 'guten' zu identifizieren. Den Ansatzpunkt des (ni<strong>ch</strong>t normativen, son<strong>der</strong>n<br />

analytis<strong>ch</strong>en) Arguments bietet das Begründungsziel, das mit dem guten Grund<br />

errei<strong>ch</strong>t werden soll: die Darlegung von Wahrheit o<strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit. Deren katego-<br />

492 Die kategoris<strong>ch</strong>e Geltung s<strong>ch</strong>ließt ni<strong>ch</strong>t aus, daß Erkenntnisse revisibel sind, es also eine (ni<strong>ch</strong>tabsolute)<br />

Wahrheit o<strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit relativ zum jeweiligen Erkenntnisstand geben kann; zum relativen<br />

Begriff <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit ausführli<strong>ch</strong>er unten S. 291 ff. (Kritik am Ri<strong>ch</strong>tigkeitsanspru<strong>ch</strong>).<br />

228


is<strong>ch</strong>e Geltung verlangt zeitli<strong>ch</strong>-räumli<strong>ch</strong>e Unabhängigkeit. Warum soll, um mit<br />

dem ersten Kriterium zu beginnen, ausgere<strong>ch</strong>net Zwanglosigkeit ein Garant für zeitli<strong>ch</strong>-räumli<strong>ch</strong>e<br />

Unabhängkeit sein? Es könnte ja au<strong>ch</strong> die Zwanghaftigkeit den guten<br />

Grund identifizieren. Gute Gründe wären dann diejenigen, die <strong>der</strong> jeweils Stärkere<br />

in Ausnutzung seiner Ma<strong>ch</strong>tstellung dur<strong>ch</strong>zusetzen weiß. Das Problem eines sol<strong>ch</strong>en<br />

Kriteriums liegt in seiner Unbestimmtheit. Ma<strong>ch</strong>t – also die Fähigkeit, Zwang<br />

auszuüben, und dadur<strong>ch</strong> die eigene Position au<strong>ch</strong> gegen Wi<strong>der</strong>stand dur<strong>ch</strong>zusetzen<br />

494 – unterliegt zeitli<strong>ch</strong>-räumli<strong>ch</strong>em Wandel. Der Zwang kann also mal dem einen,<br />

mal dem an<strong>der</strong>en Grund zur Seite stehen. Zwanghaftigkeit ist folgli<strong>ch</strong> undefiniert.<br />

Demgegenüber ist <strong>der</strong> Zustand <strong>der</strong> Zwanglosigkeit stets definiert. Zwanglosigkeit<br />

unterliegt keinem räumli<strong>ch</strong>-zeitli<strong>ch</strong>en Wandel. Will man räumli<strong>ch</strong>-zeitli<strong>ch</strong>e<br />

Unabhängigkeit si<strong>ch</strong>ern, wie dies für Wahrheit und Ri<strong>ch</strong>tigkeit erfor<strong>der</strong>li<strong>ch</strong> ist, so<br />

kann darum nur auf die Zwanglosigkeit abgestellt werden. Entspre<strong>ch</strong>end lassen si<strong>ch</strong><br />

die an<strong>der</strong>en Kriterien begründen. Eine personell bes<strong>ch</strong>ränkte Teilnahme ist stets unbestimmt,<br />

denn sie könnte mal den einen, mal den an<strong>der</strong>en Personenkreis berücksi<strong>ch</strong>tigen;<br />

nur eine universelle Teilnahme, also eine Teilnahme aller, ist stets definiert.<br />

Eine Teilnahme mit unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>ten ist stets unbestimmt, denn es könnte<br />

mal die eine, mal die an<strong>der</strong>e Gruppe von Personen Son<strong>der</strong>re<strong>ch</strong>te erhalten; nur die<br />

glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigte Teilnahme ist stets definiert. Bereits mit diesem Argument kann<br />

begründet werden, warum ausgere<strong>ch</strong>net Zwanglosigkeit, Glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigung und<br />

Universalität <strong>der</strong> Teilnahme die Kriterien sein müssen, die in einer Argumentation<br />

die guten Gründe identifizieren.<br />

dd) Die Letztbegründung als Variante<br />

Im Rahmen des transzendentalen Arguments ist damit bisher nur die zweite Prämisse<br />

(praemissa minor) dargelegt: Wenn jemand etwas behauptet im Sinne eines starken<br />

Begriffs des Behauptens, so übernimmt er damit notwendig glei<strong>ch</strong>zeitig die Primafacie-Pfli<strong>ch</strong>t,<br />

das Behauptete auf Verlangen in einer Art und Weise zu begründen, die<br />

dur<strong>ch</strong> Zwanglosigkeit, Glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigung und Universalität <strong>der</strong> Teilnahme gekennzei<strong>ch</strong>net<br />

ist – er argumentiert. Wie aber ist die erste Prämisse des transzendentalen<br />

Arguments (praemissa maior) zu begründen, die besagt, daß Mens<strong>ch</strong>en notwendig<br />

etwas behaupten im Sinne eines starken Begriffs des Behauptens. Mit an<strong>der</strong>en Worten:<br />

Warum soll es überhaupt notwendig sein, daß Mens<strong>ch</strong>en argumentieren?<br />

Die Frage hat in den vers<strong>ch</strong>iedenen Diskurstheorien unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Antworten<br />

gefunden 495 . Je na<strong>ch</strong>dem, ob von einer unbedingten und nur von einer bedingten<br />

Notwendigkeit dieser Prämisse im mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Leben ausgegangen wird, enthält<br />

das transzendentale Argument einen Letztbegründungsanspru<strong>ch</strong> o<strong>der</strong> verzi<strong>ch</strong>tet auf<br />

diesen. Die Letztbegründung ist folgli<strong>ch</strong> nur eine von mehreren Varianten des transzendentalen<br />

Arguments in Diskurstheorien.<br />

493 Dazu unten S. 222 ff. (Diskursregeln).<br />

494 Vgl. die Ma<strong>ch</strong>tdefinition bei M. Weber, Wirts<strong>ch</strong>aft und Gesells<strong>ch</strong>aft (1976), Bd. I, S. 28: »Ma<strong>ch</strong>t bedeutet<br />

jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen au<strong>ch</strong> gegen Wi<strong>der</strong>streben<br />

dur<strong>ch</strong>zusetzen, glei<strong>ch</strong>viel worauf diese Chance beruht.« (Hervorhebung bei Weber).<br />

495 Dazu unten S. 233 ff. (einzelne Diskurstheorien).<br />

229


ee)<br />

Ergebnisse<br />

An dieser Stelle läßt si<strong>ch</strong> das transzendentale Argument zusammenfassen: Es ist<br />

(bedingt o<strong>der</strong> unbedingt) für alle Mens<strong>ch</strong>en notwendig, daß sie gelegentli<strong>ch</strong> etwas<br />

behaupten im Sinne eines starken Begriffs des Behauptens (praemissa maior). Wer etwas<br />

in diesem Sinne behauptet, erhebt damit einen Anspru<strong>ch</strong> auf Wahrheit o<strong>der</strong><br />

Ri<strong>ch</strong>tigkeit und erklärt, diesen einlösen zu können. Die Einlösung muß notwendigerweise<br />

dur<strong>ch</strong> eine Argumentation erfolgen, die dur<strong>ch</strong> Zwanglosigkeit,<br />

Glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigung und Universalität <strong>der</strong> Teilnahme geprägt ist, also dur<strong>ch</strong> einen<br />

Diskurs unter Einhaltung <strong>der</strong> Diskursregeln (praemissa minor). Folgli<strong>ch</strong> gilt (conclusio):<br />

Je<strong>der</strong> muß bereit sein, die Diskursregeln zur Verbürgung <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit in <strong>der</strong><br />

Argumentation zu akzeptieren.<br />

d) Der Konsens und das Diskursprinzip (T Ko D)<br />

Mit <strong>der</strong> Begründung <strong>der</strong> Diskursregeln ist we<strong>der</strong> gesagt, daß Freiheit und Glei<strong>ch</strong>heit<br />

allgemein im Handeln akzeptiert werden müßten, no<strong>ch</strong>, daß jedes Handeln notwendig<br />

einer Ri<strong>ch</strong>tigkeitskontrolle dur<strong>ch</strong> Diskurse unterliegt. Die Diskursregeln allein<br />

sagen no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts darüber aus, wie <strong>der</strong> Diskurs zur Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

genutzt werden kann. Dazu sind weitere Überlegungen zu Konsens und Normbegründung<br />

erfor<strong>der</strong>li<strong>ch</strong>.<br />

Als allgemeine Regel, wann eine Behauptung als diskursiv begründet angesehen<br />

werden kann, läßt si<strong>ch</strong> vorläufig ein Theorem über den Konsens formulieren:<br />

T Ko :<br />

Im Diskurs begründet ist eine Behauptung genau dann,<br />

wenn sie von allen Diskursteilnehmern als ri<strong>ch</strong>tig beurteilt<br />

wird (Konsens).<br />

Bezügli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Brau<strong>ch</strong>barkeit eines sol<strong>ch</strong>en Theorems müssen von vornherein einige<br />

Vorbehalte berücksi<strong>ch</strong>tigt werden. Es ist nämli<strong>ch</strong> gerade fragli<strong>ch</strong>, wann – wenn<br />

überhaupt – <strong>der</strong> Diskurs mit dem Konsens ein Ergebnis errei<strong>ch</strong>en kann. Diese Frage<br />

na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Beendigung des Diskurses entzieht si<strong>ch</strong>, wie bereits erwähnt 496 , einer allgemeinen<br />

Beantwortbarkeit. Das gilt ni<strong>ch</strong>t nur für reale Diskurse, die zwangsläufig<br />

enden, ohne daß in ihnen bis zum Zeitablauf ein Konsens gesi<strong>ch</strong>ert wäre. Es gilt<br />

au<strong>ch</strong> für ideale Diskurse, die nie enden, bei denen die Mögli<strong>ch</strong>keit eines Konsenses<br />

aber ni<strong>ch</strong>t beweisbar ist. Es kann keine Aussage darüber getroffen werden, ob und<br />

gegebenfalls wann in einem Diskurs ein Konsens <strong>der</strong> Beteiligten über den Gegenstand<br />

errei<strong>ch</strong>bar ist. S<strong>ch</strong>wieriger no<strong>ch</strong>: Ein sol<strong>ch</strong>er Konsens könnte, würde er errei<strong>ch</strong>t,<br />

nie als endgültig angesehen werden, denn au<strong>ch</strong> die je<strong>der</strong>zeitige erneute Infragestellung<br />

muß als eine Konsequenz <strong>der</strong> Zwangsfreiheit angesehen werden. Diese<br />

Vorbehalte müssen hier zunä<strong>ch</strong>st zurückgestellt werden, weil die einzelnen Diskurstheorien<br />

jeweils eigenständige Lösungswege verfolgen 497 .<br />

496 Vgl. oben S. 220 (diskursive Kontrolle und potentielle Unendli<strong>ch</strong>keit des Diskurses).<br />

497 Dazu unten S. 291 ff. (Kritik am Ri<strong>ch</strong>tigkeitsanspru<strong>ch</strong> in Diskurstheorien).<br />

230


Eine gemeinsame Behauptung <strong>der</strong> Diskurstheorien liegt darin, daß ein notwendiger<br />

Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en <strong>der</strong> universellen Zustimmung unter idealisierten<br />

Bedingungen <strong>der</strong> Freiheit und Glei<strong>ch</strong>heit und <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit von Geltungsansprü<strong>ch</strong>en<br />

<strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Philosophie, also von Handlungsnormen, besteht. Dieser notwendige<br />

Zusammenhang kann in einem Theorem ausgedrückt werden, das gemeinhin<br />

'Diskursprinzip' genannt wird und in unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er Formulierung je<strong>der</strong><br />

Spielart <strong>der</strong> Diskurstheorie zugrundeliegt. Es sei hier in <strong>der</strong> Formulierung von Alexy<br />

wie<strong>der</strong>gegeben:<br />

D: »Ri<strong>ch</strong>tig und damit gültig sind genau die Normen, die in<br />

einem idealen Diskurs von jedem als ri<strong>ch</strong>tig beurteilt<br />

werden würden.« 498<br />

Wie anspru<strong>ch</strong>svoll dieses Diskursprinzip ist, zeigt si<strong>ch</strong> vor allem an einem Element<br />

<strong>der</strong> Diskursregeln: an <strong>der</strong> Herrs<strong>ch</strong>aftsfreiheit des Diskurses. Denn Herrs<strong>ch</strong>aftsfreiheit<br />

in Verbindung mit dem Diskursprinzip führt dazu, daß bei jedem Ergebnis, das<br />

auf <strong>der</strong> Ausübung von Zwang innerhalb o<strong>der</strong> außerhalb des Diskurses beruht, die<br />

Ri<strong>ch</strong>tigkeit ni<strong>ch</strong>t begründet werden kann. Es gibt na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> diskurstheoretis<strong>ch</strong>em Verständnis<br />

keine anerkennungswürdige Begründung außer <strong>der</strong>jenigen, die in einem<br />

herrs<strong>ch</strong>aftsfreien Diskurs bestehen könnte. Das ist um so erstaunli<strong>ch</strong>er, als Herrs<strong>ch</strong>aftsfreiheit<br />

im Sinne <strong>der</strong> Diskurstheorie in <strong>der</strong> Realität nirgends vorzufinden ist.<br />

Kommunikation ist regelmäßig von sozialen Unters<strong>ch</strong>ieden beeinflußt, die Kommunikationsteilnehmer<br />

sind unentrinnbar in ihren jeweiligen Rollen befangen, sie finden<br />

si<strong>ch</strong> in Situationen <strong>der</strong> Verhandlung (bargaining), ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Verständigung (arguing),<br />

werden an freier und glei<strong>ch</strong>er Teilhabe teils aus Absi<strong>ch</strong>t, teils aus faktis<strong>ch</strong>er Unglei<strong>ch</strong>heit<br />

gehin<strong>der</strong>t. Selbst wenn es einmal das Ziel aller sein sollte, die herrs<strong>ch</strong>aftsfreie<br />

Teilhabe zu si<strong>ch</strong>ern, so bleiben zumindest äußere Sa<strong>ch</strong>zwänge: es besteht Ents<strong>ch</strong>eidungs-<br />

o<strong>der</strong> Handlungsdruck, jedenfalls aber ni<strong>ch</strong>t die Mögli<strong>ch</strong>keit, einen gefundenen<br />

Konsens, sofern er eintritt, je<strong>der</strong>zeit wie<strong>der</strong> in Frage zu stellen. Denn sol<strong>ch</strong>e<br />

Bindungslosigkeit würde die reale Verwertbarkeit von Diskursergebnissen<br />

grundlegend in Frage stellen. Es kann sie darum nur in akademis<strong>ch</strong>en Ausnahmesitutationen<br />

eines Diskurses als Selbstzweck geben. Angesi<strong>ch</strong>ts <strong>der</strong> geradezu 'diskursfeindli<strong>ch</strong>en'<br />

Rahmenbedingungen <strong>der</strong> sozialen Realität ist ein bloßer Hinweis darauf, daß<br />

die Bedeutung des Diskurses als Mittel <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeitsfindung si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on aus <strong>der</strong><br />

faktis<strong>ch</strong>en Teilnahme <strong>der</strong> Individuen s<strong>ch</strong>ließen ließe, ni<strong>ch</strong>t ausrei<strong>ch</strong>end 499 . Es bedarf<br />

einer grundlegen<strong>der</strong>en Begründung dafür, daß <strong>der</strong> Diskurs – und nur <strong>der</strong> Diskurs –<br />

das geeignete Mittel zur Begründung von Handlungsnormen als ri<strong>ch</strong>tig und damit<br />

gültig ist.<br />

498 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 131. Fast inhaltsglei<strong>ch</strong> die Formulierung<br />

bei J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 138: »Gültig sind genau die Handlungsnormen,<br />

denen alle mögli<strong>ch</strong>erweise Betroffenen als Teilnehmer an rationalen Diskursen zustimmen können.«<br />

Ähnli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> W. Reese-S<strong>ch</strong>äfer, Das Begründungsprogramm Diskursethik (1990), S. 25: »Gere<strong>ch</strong>t<br />

ist das, was in einem freien und glei<strong>ch</strong>en Diskurs aller mögli<strong>ch</strong>erweise Betroffenen akzeptiert<br />

werden konnte.« Dem entspri<strong>ch</strong>t die Auffassung Perelmans, daß <strong>der</strong>jenige, <strong>der</strong> ein universales<br />

Autitorium überzeugen will, nur sol<strong>ch</strong>e Normen vors<strong>ch</strong>lagen darf, die je<strong>der</strong>mann akzeptieren<br />

kann; C. Perelman, Fünf Vorlesungen über die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1965), S. 153.<br />

499 So aber C.S. Nino, The Ethics of Human Rights (1991), S. 112 ff.<br />

231


e) Die Argumentation als Gegensatz zur Verhandlung (arguing vs. bargaining)<br />

Ein beson<strong>der</strong>es Charakteristikum <strong>der</strong> Diskurstheorien ist ihre gemeinsame Frontenstellung<br />

gegenüber <strong>Theorien</strong> rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens. Als einzige Gemeinsamkeit<br />

weisen die beiden Theoriegruppen ihre Zugehörigkeit zu den prozeduralen <strong>Theorien</strong><br />

auf 500 . Abgesehen davon unters<strong>ch</strong>eiden sie si<strong>ch</strong> in fast je<strong>der</strong> Hinsi<strong>ch</strong>t. Am wi<strong>ch</strong>tigsten<br />

sind die Di<strong>ch</strong>otomien <strong>der</strong> Erfolgs- versus Verständigungsorientierung und des<br />

strategis<strong>ch</strong>en versus ni<strong>ch</strong>tstrategis<strong>ch</strong>en Handelns.<br />

Die Grundhaltung <strong>der</strong> Aktoren in praktis<strong>ch</strong>en Diskursen ist ni<strong>ch</strong>t erfolgsorientiert,<br />

sie ist verständigungsorientiert 501 . Während das Instrument <strong>der</strong> Verhandlung<br />

bloß die gemeinsame Willensbildung, also eine tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Opportunitätsents<strong>ch</strong>eidung,<br />

erstrebt, ri<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> die Argumentation auf gemeinsame Urteilsbildung, also eine<br />

praktis<strong>ch</strong>e Ri<strong>ch</strong>tigkeitsents<strong>ch</strong>eidung 502 . Entspre<strong>ch</strong>end erfolgt die dur<strong>ch</strong> Kooperation<br />

ausgelöste gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Integration intentional (als Audruck einer gemeinsamen<br />

Absi<strong>ch</strong>t) und ni<strong>ch</strong>t bloß objektiv (als bloßer Nebeneffekt <strong>der</strong> Einigung) wie bei rationalem,<br />

interessenoptimierendem Ents<strong>ch</strong>eidungsverhalten und – beson<strong>der</strong>s deutli<strong>ch</strong> –<br />

bei allen Marktme<strong>ch</strong>anismen 503 . Der grundlegende Unters<strong>ch</strong>ied besteht zwis<strong>ch</strong>en<br />

dem Argumentieren (arguing) einerseits und dem Verhandeln (bargaining) an<strong>der</strong>erseits<br />

504 . Das diskursfremde Zwangselement wird bei <strong>Theorien</strong> rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens<br />

darin unmittelbar deutli<strong>ch</strong>, daß sie eine stärkere Verhandlungsma<strong>ch</strong>t o<strong>der</strong> ein<br />

größeres Drohpotential in die Ents<strong>ch</strong>eidung einbeziehen. Selbst <strong>der</strong> von Lucas und<br />

Gauthier gewählte Ausgangspunkt einer s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>ten Ni<strong>ch</strong>tkooperation ohne Drohung<br />

enthält diskursantagonistis<strong>ch</strong>e Elemente. Au<strong>ch</strong> diese Theorie geht von einem erfolgsorientierten,<br />

weil interessengeleiteten und nutzenmaximierenden Handeln <strong>der</strong><br />

Beteiligten als Teilnehmer einer Verhandlung (individual rational bargainers) statt als<br />

Teilnehmer eines Diskurses aus 505 .<br />

Diskurstheorien gehen außerdem von einem ni<strong>ch</strong>tstrategis<strong>ch</strong>en Handeln <strong>der</strong> Beteiligten<br />

aus. 'Strategis<strong>ch</strong>' ist ein Handeln, mit dem ein Handeln<strong>der</strong> (teleologis<strong>ch</strong>) ein<br />

Ziel verfolgt und dabei die Ents<strong>ch</strong>eidungen mindestens eines weiteren zielgeri<strong>ch</strong>tet<br />

Handelnden in sein Erfolgskalkül einbezieht 506 . <strong>Theorien</strong> rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens<br />

entwickeln für das strategis<strong>ch</strong>e Handeln (pragmatis<strong>ch</strong>e) Zweck-Mittel- o<strong>der</strong> Präferenz-Mögli<strong>ch</strong>keits-Modelle<br />

praktis<strong>ch</strong>er Rationalität 507 . Das kommunikative Handeln<br />

in Diskursen ist demgegenüber ni<strong>ch</strong>tstrategis<strong>ch</strong>, weil es si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t am Erfolg des<br />

500 Dazu oben S. 132 ff. (prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien).<br />

501 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 44. Der Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en Erfolgs- und Verständigungsorientierung<br />

zeigt si<strong>ch</strong> bis hin zur diskursiven Interpretation gesetzgeberis<strong>ch</strong>en Selbstverständnisses.<br />

Vgl. dazu J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 50.<br />

502 Vgl. R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1991), S. 407.<br />

503 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 58 f. mit Hinweis auf Adam Smiths Konzept <strong>der</strong> 'unsi<strong>ch</strong>tbaren<br />

Hand'. Treffend darum <strong>der</strong> Titel des von L. Kern/H.-P. Müller herausgegebenen Werkes<br />

'<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, Diskurs o<strong>der</strong> Markt?'.<br />

504 Vgl. J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 205.<br />

505 D. Gauthier, Bargaining and Justice (1985), S. 206.<br />

506 J. Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 1 (1981), S. 127.<br />

507 J.C. Harsanyi, Advances in Un<strong>der</strong>standing Rational Behavior, S. 90 ff. – 'means-ends concept of rational<br />

behavior' bzw. 'preferences-opportunities model'.<br />

232


Handelnden, son<strong>der</strong>n an <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Handelns orientiert 508 . Strategis<strong>ch</strong>es<br />

versus ni<strong>ch</strong>tstrategis<strong>ch</strong>es Handeln bildet damit ein signifikantes Kriterium zur Abgrenzung<br />

zwis<strong>ch</strong>en realen Diskursen und realen Situationen rationaler Ents<strong>ch</strong>eidung<br />

509 . Die Bes<strong>ch</strong>reibung <strong>der</strong> handlungsleitenden Motive beteiligter Aktoren trägt<br />

glei<strong>ch</strong>zeitig zur Abgrenzung zwis<strong>ch</strong>en den <strong>Theorien</strong> bei. Dies hat Auswirkungen auf<br />

die Skalierbarkeitsthese 510 : S<strong>ch</strong>on wegen <strong>der</strong> grundlegend unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Aussage<br />

darüber, wel<strong>ch</strong>e Art realen o<strong>der</strong> hypothetis<strong>ch</strong>en Verhaltens praktis<strong>ch</strong>e Vernunft<br />

konstituiert, können <strong>Theorien</strong> rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens ni<strong>ch</strong>t mit Diskurstheorien in<br />

ein Entspre<strong>ch</strong>ungsverhältnis gebra<strong>ch</strong>t werden. Ihre unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Konzeptionen<br />

praktis<strong>ch</strong>er Vernunft s<strong>ch</strong>ließen si<strong>ch</strong> we<strong>ch</strong>selseitig aus; sie sind über das Spektrum<br />

<strong>der</strong> Anwendungsberei<strong>ch</strong>e von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteilen hinweg inkompatibel.<br />

f) Ergebnisse<br />

Die Diskurstheorien enthalten eine prozedurale Konzeption <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft<br />

und gehören damit zu den prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien. Sie unters<strong>ch</strong>eiden<br />

zwis<strong>ch</strong>en idealen und realen Diskursen. Ideal ist nur ein Diskurs, in dem<br />

alle Diskursregeln eingehalten werden, was real allenfalls näherungsweise zu verwirkli<strong>ch</strong>en<br />

ist. Die Diskursregeln lassen si<strong>ch</strong> in einer Präsuppositionsanalyse <strong>der</strong><br />

Kommunikation begründen, insbeson<strong>der</strong>e in <strong>der</strong> Form des tranzendentalen Arguments.<br />

Normen, also au<strong>ch</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen, sind na<strong>ch</strong> diskurstheoretis<strong>ch</strong>em<br />

Verständnis begründet, wenn in einem idealen Diskurs ein Konsens über sie hergestellt<br />

werden könnte (Konsenstheorie). Die auf gemeinsame Urteilsbildung und<br />

Konsens abstellende 'Argumentation' im Diskurs unters<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> deshalb grundlegend<br />

von <strong>der</strong> auf gemeinsame Willensbildung zielenden 'Verhandlung'; kommunikatives<br />

Handeln ist ni<strong>ch</strong>tstrategis<strong>ch</strong>.<br />

2. Theorie <strong>der</strong> Transzendentalpragmatik (K.-O. Apel)<br />

a) Die transzendentalpragmatis<strong>ch</strong>e Letztbegründung<br />

Der Ri<strong>ch</strong>tigkeitsanspru<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Diskursethik, <strong>der</strong> in T D seinen Ausdruck findet, wird<br />

unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> begründet. Apel wählt eine an Kant angelehnte transzendentalpragmatis<strong>ch</strong>e<br />

Begründung. Diese hat bei ihm glei<strong>ch</strong>zeitig den Status einer Letztbegründung<br />

511 . Na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Natur des Mens<strong>ch</strong>en müsse eine Argumentationsverweigerung in<br />

Selbstzerstörung o<strong>der</strong> S<strong>ch</strong>izophrenie münden 512 .<br />

508 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 38, 44.<br />

509 Dazu unten S. 347 ff. (Diskursivität <strong>der</strong> Politik).<br />

510 Dazu oben S. 111 (Skalierbarkeitsthese).<br />

511 K.-O. Apel, Transformation <strong>der</strong> Philosophie, Bd. 2 (1973), S. 222: »In einer mo<strong>der</strong>nen Transzendentalphilosophie<br />

geht es m.E. primär um die Reflexion auf den Sinn ... des Argumentierens überhaupt.<br />

Dies allerdings ist für den, <strong>der</strong> argumentiert ... offenbar das Letzte, Ni<strong>ch</strong>thintergehbare.«<br />

(Hervorhebung bei Apel). Bestätigung des Letztbegründungsanspru<strong>ch</strong>s etwa bei K.-O. Apel, Postkantis<strong>ch</strong>er<br />

Standpunkt <strong>der</strong> Moralität (1986), S. 223.<br />

512 K.-O. Apel, Transformation <strong>der</strong> Philosophie, Bd. 2 (1973), S. 414 mit Fn. 87 – die Mögli<strong>ch</strong>keit des<br />

Selbstverständnisses und <strong>der</strong> Selbstidentifikation gehe in einem Maße verloren, das den Tatbe-<br />

233


Die transzendentalpragmatis<strong>ch</strong>e Begründung besteht darin zu zeigen, daß die<br />

Diskursregeln zu den notwendigen Voraussetzungen je<strong>der</strong> Kommunikation gehören.<br />

Transzendental ist ein sol<strong>ch</strong>es Argument, weil es na<strong>ch</strong> den Bedingungen <strong>der</strong> Mögli<strong>ch</strong>keit<br />

fragt (Präsuppositionsanalyse 513 ). In spra<strong>ch</strong>pragmatis<strong>ch</strong>er Fassung formuliert<br />

Apel: »Wer argumentiert, <strong>der</strong> anerkennt implizit alle mögli<strong>ch</strong>en Ansprü<strong>ch</strong>e aller<br />

Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Kommunikationsgemeins<strong>ch</strong>aft, die dur<strong>ch</strong> vernünftige Argumente gere<strong>ch</strong>tfertigt<br />

werden können ... und er verpfli<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> zuglei<strong>ch</strong>, alle eigenen Ansprü<strong>ch</strong>e<br />

an an<strong>der</strong>e dur<strong>ch</strong> Argumente zu re<strong>ch</strong>tfertigen.« 514 Diese 'Grundnorm' soll unabhängig<br />

davon gelten, ob die Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Kommunikationsgemeins<strong>ch</strong>aft sie im<br />

Einzelfall faktis<strong>ch</strong> anerkennen 515 . Es gilt ein Apriori sowohl <strong>der</strong> realen wie <strong>der</strong> idealen<br />

Kommunikationsgemeins<strong>ch</strong>aft 516 , wobei die ideale Kommunikationsgemeins<strong>ch</strong>aft<br />

zum regulativen Prinzip je<strong>der</strong> ethis<strong>ch</strong>-normativen Begründung von Werturteilen<br />

gerät 517 . Die Anerkennung <strong>der</strong> Kommunikationsgemeins<strong>ch</strong>aft, die dur<strong>ch</strong> die<br />

Diskursregeln konkretisiert wird, ist dana<strong>ch</strong> eine notwendige Voraussetzung dafür,<br />

überhaupt zu argumentieren. Wer also argumentiert, dabei aber die Gültigkeit <strong>der</strong><br />

Diskursregeln bestreitet, begeht einen performativen Selbstwi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong>: Sein Handeln<br />

ist mit dem dur<strong>ch</strong> das Handeln implizit Gesagten logis<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t vereinbar 518 . Die Diskursregeln<br />

werden dadur<strong>ch</strong> zu denjenigen in Freiheit anerkannten formal-prozeduralen<br />

Normen, wel<strong>ch</strong>e in <strong>der</strong> Ethik implizit enthalten sind (Normen erster Stufe); sie<br />

sind von den dur<strong>ch</strong> praktis<strong>ch</strong>e Diskurse erst no<strong>ch</strong> zu begründenden materialen (situationsbezogenen)<br />

Normen zu unters<strong>ch</strong>eiden (Normen zweiter Stufe) 519 .<br />

stand (klinis<strong>ch</strong>-empiris<strong>ch</strong> belegbarer) Psy<strong>ch</strong>opathologie erfülle. Aussagen über die psy<strong>ch</strong>opathologis<strong>ch</strong>en<br />

Folgen einer Argumentationsverweigerung bilden allerdings selbst wie<strong>der</strong> empiris<strong>ch</strong>e<br />

Annahmen, die bestritten werden können, also keine Letztbegründung stützen; G. Patzig, 'Principium<br />

diiudicationis' und 'Principium executionis' (1986), S. 213.<br />

513 Dazu oben S. 225 (transzendentales Argument).<br />

514 K.-O. Apel, Transformation <strong>der</strong> Philosophie, Bd. 2 (1973), S. 424 f.<br />

515 K.-O. Apel, Transformation <strong>der</strong> Philosophie, Bd. 2 (1973), S. 426.<br />

516 K.-O. Apel, Transformation <strong>der</strong> Philosophie, Bd. 2 (1973), S. 429: »Wer nämli<strong>ch</strong> argumentiert, <strong>der</strong><br />

setzt immer s<strong>ch</strong>on zwei Dinge glei<strong>ch</strong>zeitig voraus: Erstens eine reale Kommunikationsgemeins<strong>ch</strong>aft,<br />

<strong>der</strong>en Mitglied er selbst dur<strong>ch</strong> einen Sozialisationsprozeß geworden ist, und zweitens eine ideale<br />

Kommunikationsgemeins<strong>ch</strong>aft, die prinzipiell imstande sein würde, den Sinn seiner Argumente adäquat<br />

zu verstehen und ihre Wahrheit definitiv zu beurteilen.«<br />

517 K.-O. Apel, Transformation <strong>der</strong> Philosophie, Bd. 2 (1973), S. 434.<br />

518 Vgl. K.-O. Apel, Diskursethik vor <strong>der</strong> Problematik von Re<strong>ch</strong>t und Politik (1992), S. 54. Inhaltsglei<strong>ch</strong><br />

die Definition bei K.-O. Apel, Die Vernunftfunktion <strong>der</strong> kommunikativen Rationalität<br />

(1996), S. 22: »Unter letzterem [transzendentalpragmatis<strong>ch</strong>en Selbstwi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong>] verstehe i<strong>ch</strong> einen<br />

performativen Wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en dem Inhalt einer Proposition und dem selbstbezügli<strong>ch</strong>en – impliziten<br />

o<strong>der</strong> performativ expliziten – intentionalen Inhalt des Aktes des Vorbringens <strong>der</strong> Proposition<br />

im Rahmen eines argumentativen Diskurses.« (Hervorhebungen bei Apel).<br />

519 Zu dieser Zweistufigkeit <strong>der</strong> Diskursethik, bei <strong>der</strong> zwis<strong>ch</strong>en formal-prozeduraler Letztbegründung<br />

und konsensual-kommunikativer Begründung <strong>der</strong> inhaltli<strong>ch</strong>en Normen unters<strong>ch</strong>ieden wird:<br />

K.-O. Apel, Diskurs und Verantwortung (1988), S. 120; <strong>der</strong>s., Diskursethik vor <strong>der</strong> Problematik von<br />

Re<strong>ch</strong>t und Politik (1992), S. 55.<br />

234


) Das Handlungsprinzip (U h )<br />

In 'Teil A' 520 <strong>der</strong> Begründung seiner Diskurstheorie formuliert Apel in Anknüpfung<br />

an das von Habermas rein formal bestimmte Universalisierungsprinzip 521 eine dem<br />

kategoris<strong>ch</strong>en Imperativ von Kant ähnli<strong>ch</strong>e Handlungsmaxime:<br />

U h :<br />

»Handle nur na<strong>ch</strong> einer Maxime, von <strong>der</strong> du, aufgrund<br />

realer Verständigung mit den Betroffenen bzw. ihren<br />

Anwälten o<strong>der</strong> – ersatzweise – aufgrund eines entspre<strong>ch</strong>enden<br />

Gedankenexperiments, unterstellen kannst, daß<br />

die Folgen und Nebenwirkungen, die si<strong>ch</strong> aus ihrer allgemeinen<br />

Befolgung für die Befriedigung <strong>der</strong> Interessen<br />

jedes einzelnen Betroffenen voraussi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ergeben, in<br />

einem realen Diskurs von allen Betroffenen zwanglos<br />

akzeptiert werden können.« 522<br />

Dieses Universalisierungsprinzip kann gemäß Apel dur<strong>ch</strong> reflexiven Rückgang auf<br />

das, was im ernsthaften Argumentieren notwendigerweise anerkannt wird (Präsuppositionsanalyse),<br />

gewonnen werden 523 . Als allgemeines Handlungsprinzip enthält<br />

U h glei<strong>ch</strong>zeitig ein Theorem über die praktis<strong>ch</strong>e Ri<strong>ch</strong>tigkeit und damit ein Kriterium<br />

für die Gültigkeit von Handlungsnormen: Eine Norm ist genau dann gültig, wenn<br />

ihre Wirkungen von allen Betroffenen in einem Diskurs zwanglos akzeptiert werden<br />

könnten 524 . Obwohl Apel von einem 'realen Diskurs' spri<strong>ch</strong>t, ist dem Inhalt na<strong>ch</strong> ein<br />

Diskurs unter idealen Bedingungen gemeint 525 . Dies zeigt si<strong>ch</strong> sowohl in <strong>der</strong> Gestaltung<br />

als hypothetis<strong>ch</strong>er Diskurs ('Gedankenexperiment', 'wenn er ... geführt werden<br />

könnte') als au<strong>ch</strong> im tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> nie vollständig realisierbaren Element <strong>der</strong> Zwanglosigkeit.<br />

In späteren Formulierungen hat Apel dem gemeinten Diskurs zudem die reale<br />

Verständigung mit den Betroffenen gegenübergestellt 526 und s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> einer Vereinfa<strong>ch</strong>ung<br />

zugestimmt:<br />

520 Vgl. zur Einteilung K.-O. Apel, Diskursethik vor <strong>der</strong> Problematik von Re<strong>ch</strong>t und Politik (1992),<br />

S. 60 f.: »Teil A behandelt die Begründung des idealen prozeduralen Prinzips <strong>der</strong> Lösung aller<br />

moralis<strong>ch</strong>-normativen Probleme im Sinne <strong>der</strong> diskursiven (d.h. rein argumentativen und ni<strong>ch</strong>tstrategis<strong>ch</strong>en,<br />

son<strong>der</strong>n gewaltfreien) Konsensbildung.« (Hervorhebung bei Apel).<br />

521 Dazu soglei<strong>ch</strong> S. 239 (universalpragmatis<strong>ch</strong>e Begründung).<br />

522 K.-O. Apel, Diskurs und Verantwortung (1988), S. 123.<br />

523 K.-O. Apel, Postkantis<strong>ch</strong>er Standpunkt <strong>der</strong> Moralität (1986), S. 247 f.<br />

524 Vgl. K.-O. Apel, Postkantis<strong>ch</strong>er Standpunkt <strong>der</strong> Moralität (1986), S. 238. Diese Gültigkeitsregel ist<br />

na<strong>ch</strong> Apel au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> die kulturabhängigen, kontextgebundenen Normen <strong>der</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong><br />

aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition, also insbeson<strong>der</strong>e des Kommunitarismus, hintergehbar (vgl. ebd.,<br />

S. 238, 251 ff.), no<strong>ch</strong> könne sie dur<strong>ch</strong> strategis<strong>ch</strong>es Handeln im Sinne <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en Grundposition<br />

vollständig ausgefüllt werden (vgl. ebd., S. 248).<br />

525 Ebenso T. Baus<strong>ch</strong>, Unglei<strong>ch</strong>heit und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1993), S. 152.<br />

526 K.-O. Apel, Postkantis<strong>ch</strong>er Standpunkt <strong>der</strong> Moralität (1986), S. 231.<br />

235


U h ':<br />

»Handle (stets) so, als ob du Mitglied einer idealen Kommunikationsgemeins<strong>ch</strong>aft<br />

wärest!« 527<br />

c) Das Ergänzungsprinzip (E)<br />

In 'Teil B' <strong>der</strong> Begründung seiner Diskurstheorie rekurriert Apel auf ein Ergänzungsprinzip,<br />

das die Brücke von einer kantis<strong>ch</strong>en Prinzipienethik, die im Webers<strong>ch</strong>en Sinne<br />

reine (folgenneutrale) Gesinnungsethik sei 528 , hin zu einer (folgensensiblen) Verantwortungsethik<br />

bilden soll 529 . Bei diesem Begründungsteil geht es um die Bewältigung<br />

des Problems, daß »die ideale Kommunikationsgemeins<strong>ch</strong>aft, auf die das<br />

Universalisierungsprinzip <strong>der</strong> Diskursethik kontrafaktis<strong>ch</strong> bezogen ist, in <strong>der</strong> Wirkli<strong>ch</strong>keit<br />

immer no<strong>ch</strong> erst zu realisieren ist.« 530 Insoweit spri<strong>ch</strong>t Apel von einer prinzipiellen<br />

Differenz (D) zwis<strong>ch</strong>en <strong>der</strong> mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Interaktion in handlungsentlasteten<br />

Diskursen, also sol<strong>ch</strong>en, die weitgehend frei von Zwängen sind 531 , und den lebensweltli<strong>ch</strong>en<br />

Interessenkonflikten 532 . Apel führt als Beispiel die internationale Politik<br />

an, in <strong>der</strong> na<strong>ch</strong> wie vor ein re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>es Sanktionssystem zur Konfliktbeilegung fehlt:<br />

Würde man hier, etwa in Abrüstungsverhandlungen, das S<strong>ch</strong>icksal <strong>der</strong> Welt einem<br />

'moralis<strong>ch</strong>en Politiker' im Sinne Kants anvertrauen, so käme das <strong>der</strong> Selbstaufgabe im<br />

Namen <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> glei<strong>ch</strong> (fiat justitia, pereat mundus) 533 . Eine bloße Prinzipien-<br />

Moralität ist den Betroffenen im wirkli<strong>ch</strong>en Leben deshalb we<strong>der</strong> zumutbar, no<strong>ch</strong><br />

würde sie genügen, um <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Verantwortung gere<strong>ch</strong>t zu werden 534 . Vielmehr<br />

muß ein Ergänzungsprinzip die Verantwortungsethik dadur<strong>ch</strong> formulieren,<br />

daß es die (wenn au<strong>ch</strong> niemals vollständige, so do<strong>ch</strong> progressive) Realisierung <strong>der</strong><br />

(kommunikativen) Rahmen-Bedingungen eines glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigten und glei<strong>ch</strong>verantwortli<strong>ch</strong>en<br />

Miteinan<strong>der</strong>s för<strong>der</strong>t 535 .<br />

E: »Erstens muß es in allem Tun und Lassen darum gehen,<br />

das Überleben <strong>der</strong> mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Gattung als <strong>der</strong> realen<br />

Kommunikationsgemeins<strong>ch</strong>aft si<strong>ch</strong>erzustellen, zweitens<br />

darum, in <strong>der</strong> realen die ideale Kommunikationsgemeins<strong>ch</strong>aft<br />

zu verwirkli<strong>ch</strong>en. Das erste Ziel ist die<br />

527 Die Formulierung stammt ursprüngli<strong>ch</strong> von Annemarie Pieper und wurde von Apel übernommen;<br />

K.-O. Apel, Diskursethik vor <strong>der</strong> Problematik von Re<strong>ch</strong>t und Politik (1992), S. 36.<br />

528 Dieser These Apels von <strong>der</strong> Folgenneutralität <strong>der</strong> Gesinnungsethik wi<strong>der</strong>spre<strong>ch</strong>en allerdings Webers<br />

Ausführungen zur Gesinnung als unter Umständen re<strong>ch</strong>tsnormativ Gebotenem; M. Weber,<br />

Wirts<strong>ch</strong>aft und Gesells<strong>ch</strong>aft (1976), Bd. I, S. 191.<br />

529 K.-O. Apel, Postkantis<strong>ch</strong>er Standpunkt <strong>der</strong> Moralität (1986), S. 246 ff.; <strong>der</strong>s., Diskurs und Verantwortung<br />

(1988), S. 270 ff.; <strong>der</strong>s., Diskursethik vor <strong>der</strong> Problematik von Re<strong>ch</strong>t und Politik (1992),<br />

S. 34 f.<br />

530 K.-O. Apel, Diskursethik vor <strong>der</strong> Problematik von Re<strong>ch</strong>t und Politik (1992), S. 36 f.<br />

531 Dazu oben S. 220 (handlungsentlastete Diskurse).<br />

532 K.-O. Apel, Diskurs und Verantwortung (1988), S. 144.<br />

533 K.-O. Apel, Die Vernunftfunktion <strong>der</strong> kommunikativen Rationalität (1996), S. 40.<br />

534 K.-O. Apel, Diskurs und Verantwortung (1988), S. 144; <strong>der</strong>s., Die Vernunftfunktion <strong>der</strong> kommunikativen<br />

Rationalität (1996), S. 40.<br />

535 K.-O. Apel, Diskursethik vor <strong>der</strong> Problematik von Re<strong>ch</strong>t und Politik (1992), S. 37.<br />

236


notwendige Bedingung des zweiten Ziels; und das zweite<br />

Ziel gibt dem ersten seinen Sinn, – den Sinn, <strong>der</strong> mit<br />

jedem Argument s<strong>ch</strong>on antizipiert ist.« 536<br />

Das Konsenspostulat des idealen Universalisierungsprinzips U h wird dadur<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

außer Kraft gesetzt, son<strong>der</strong>n ergänzt 537 . Die Diskursethik kann ohne diese Ergänzung<br />

ni<strong>ch</strong>t die Funktion einer politis<strong>ch</strong>en Verantwortungsethik übernehmen 538 .<br />

Letztli<strong>ch</strong> bleibt aber das Universalisierungsprinzip U h bei Apel glei<strong>ch</strong> zweifa<strong>ch</strong> regierend:<br />

Erstens soll über die Zulässigkeit (eines begrenzten Gebrau<strong>ch</strong>s) von strategis<strong>ch</strong>er<br />

Rationalität selbst wie<strong>der</strong> ein Konsens <strong>der</strong> Betroffenen hergestellt werden können.<br />

Und zweitens müsse das langfristige Ziel immer die Annäherung <strong>der</strong> realen<br />

Bedingungen an die regulative Idee <strong>der</strong> idealen Kommunikationsgemeins<strong>ch</strong>aft bleiben,<br />

so wie die weltbürgerli<strong>ch</strong>e Ordnung in Kants Abhandlung 'Zum ewigen Frieden'<br />

immer no<strong>ch</strong> eine regulative Idee <strong>der</strong> internationalen Politik sei 539 .<br />

Was kann Apel mit dem Ergänzungsprinzip E zeigen? Er erklärt einen Wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong>,<br />

<strong>der</strong> s<strong>ch</strong>einbar zwis<strong>ch</strong>en dem Universalitätsprinzip U h und den Vorstellungen<br />

über ri<strong>ch</strong>tiges Handeln im Gemeinwesen besteht: Während in <strong>der</strong> idealen Kommunikationsgemeins<strong>ch</strong>aft<br />

eine ergebnisoffene Diskussion gefor<strong>der</strong>t wird, in <strong>der</strong> die Beteiligten<br />

die Argumente aller an<strong>der</strong>en ernst nehmen, ist das reale politis<strong>ch</strong>e Leben<br />

vom strategis<strong>ch</strong>en Kampf um die Verwirkli<strong>ch</strong>ung einer bestimmten (individuellen<br />

o<strong>der</strong> kollektiven) Konzeption des Guten gekennzei<strong>ch</strong>net 540 . Selbst wenn diese strategis<strong>ch</strong>e<br />

Kommunikation ganz offen ges<strong>ch</strong>ieht, etwa bei politis<strong>ch</strong>en Verhandlungen,<br />

än<strong>der</strong>t das ni<strong>ch</strong>ts daran, daß <strong>der</strong> Grund <strong>der</strong> Einigung in opportunistis<strong>ch</strong>en Interessen<br />

statt in <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tfertigung von Geltungsansprü<strong>ch</strong>en liegt 541 . Das Ergänzungsprinzip<br />

E zeigt, warum es denno<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> aus Si<strong>ch</strong>t des (verantwortungsethis<strong>ch</strong> interpretierten)<br />

Universalitätsprinzips U h ri<strong>ch</strong>tig sein kann, strategis<strong>ch</strong> die eigenen politis<strong>ch</strong>en<br />

Ziele zu verfolgen. Apel weist diese Einsi<strong>ch</strong>t neuerdings einem 'Teil B 2' seines Begründungsprogramms<br />

zu; dabei gehe es um »die moralis<strong>ch</strong>e (spezifis<strong>ch</strong> verantwortungsethis<strong>ch</strong>e)<br />

Vermittlung von Moralität im engeren Sinn (im Sinne von Teil A) mit<br />

strategis<strong>ch</strong>em Handeln im weitesten Sinne dessen, was wir verantwortli<strong>ch</strong>e Politik<br />

nennen können.« 542 Ganz entspre<strong>ch</strong>end läßt si<strong>ch</strong> dies für das strategis<strong>ch</strong>e Handeln in<br />

<strong>der</strong> Wirts<strong>ch</strong>aft zeigen 543 .<br />

536 Die Formulierung dieses Doppelprinzips stammt aus K.-O. Apel, Transformation <strong>der</strong> Philosophie,<br />

Bd. 2 (1973), S. 431. Apel nennt sie dort »zwei grundlegende regulative Prinzipien für die langfristige<br />

moralis<strong>ch</strong>e Handlungsstrategie jedes Mens<strong>ch</strong>en« (Hervorhebungen bei Apel). Zum Status dieses<br />

Doppelprinzips als eines Ergänzungsprinzips (E) <strong>der</strong> Verantwortungsethik siehe <strong>der</strong>s., Diskurs<br />

und Verantwortung (1988), S. 144 ff.<br />

537 K.-O. Apel, Diskursethik vor <strong>der</strong> Problematik von Re<strong>ch</strong>t und Politik (1992), S. 60; <strong>der</strong>s., Die Vernunftfunktion<br />

<strong>der</strong> kommunikativen Rationalität (1996), S. 25: Die Rationalität mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er<br />

Kommunikation läßt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t auf strategis<strong>ch</strong>e Rationalität reduzieren.<br />

538 K.-O. Apel, Diskursethik vor <strong>der</strong> Problematik von Re<strong>ch</strong>t und Politik (1992), S. 56.<br />

539 K.-O. Apel, Die Vernunftfunktion <strong>der</strong> kommunikativen Rationalität (1996), S. 40 f.<br />

540 Dazu unten S. 348 (strategis<strong>ch</strong>er Charakter <strong>der</strong> Politik).<br />

541 K.-O. Apel, Die Vernunftfunktion <strong>der</strong> kommunikativen Rationalität (1996), S. 31.<br />

542 K.-O. Apel, Diskursethik vor <strong>der</strong> Problematik von Re<strong>ch</strong>t und Politik (1992), S. 61.<br />

543 Vgl. K.-O. Apel, Die Vernunftfunktion <strong>der</strong> kommunikativen Rationalität (1996), S. 31, 40 f.<br />

237


d) Die Legitimation <strong>der</strong> re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Zwangsbefugnisse<br />

In jüngerer Zeit hat Apel seine Theorie <strong>der</strong> Verantwortungsethik weiter verfeinert.<br />

Ein 'Teil B 1 ' <strong>der</strong> Begründung seiner Diskurstheorie »behandelt die moralis<strong>ch</strong>e Begründung<br />

(bzw. Legitimation) <strong>der</strong> Zwangsbefugnisse des Re<strong>ch</strong>tsstaats und insofern<br />

<strong>der</strong> au<strong>ch</strong> auf Zwang beruhenden Geltung re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er Normen.« 544 Das Re<strong>ch</strong>t verortet<br />

Apel dabei »zwis<strong>ch</strong>en Moral und Politik« 545 . Für die Begründung von Re<strong>ch</strong>tsnormen<br />

stellt si<strong>ch</strong> die Frage, ob man die Zwangsordnung <strong>der</strong> staatli<strong>ch</strong> monopolisierten Gewalt<br />

dur<strong>ch</strong> ein Handlungsprinzip U h begründen kann, obwohl dieses selbst gerade die<br />

Zwanglosigkeit in einem hers<strong>ch</strong>aftsfreien Diskurs for<strong>der</strong>e 546 . Wie bereits beim Ergänzungsprinzip<br />

E sagt Apel au<strong>ch</strong> hier, daß <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en realen Bedingungen<br />

und idealer Kommunikationsgemeins<strong>ch</strong>aft es moralis<strong>ch</strong> gebieten könne, »Strategiekonterstrategien<br />

bzw. Anti-Gewalt-Gewaltausübung zu praktizieren« 547 . Eigentli<strong>ch</strong><br />

verpfli<strong>ch</strong>tet das Universalisierungsprinzip U h zwar alle Diskursteilnehmer zu einer<br />

strategiefreien Konsensbildung, also insbeson<strong>der</strong>e einer sol<strong>ch</strong>en, die herrs<strong>ch</strong>aftsfrei<br />

ohne Ausnutzung realer Ma<strong>ch</strong>tvorteile dur<strong>ch</strong> Gewaltanwendung o<strong>der</strong> Drohung erfolgt.<br />

Wenn aber die realen Bedingungen von den idealen Bedingungen eines Diskurses<br />

no<strong>ch</strong> so weit entfernt sind, daß eine Strategie- und Gewaltfreiheit ni<strong>ch</strong>t zumutbar<br />

und ni<strong>ch</strong>t verantwortbar ers<strong>ch</strong>eint, dann und solange dürfen (ausnahmsweise)<br />

Zwangsmittel eingesetzt werden, um die diskursverzerrende Gewalt zurückzudrängen.<br />

Es ist deshalb na<strong>ch</strong> Apel nur s<strong>ch</strong>einbar paradox, wenn die Diskursethik für<br />

die Begründung des Zwangs in <strong>der</strong> Geltung re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er Normen herangezogen wird,<br />

denn es gehe ledigli<strong>ch</strong> um »Konsensbildung mit strategiekonterstrategis<strong>ch</strong>em<br />

Zwang«: Das Gewaltmonopol eines Re<strong>ch</strong>tsstaates ermögli<strong>ch</strong>e erst, daß die einzelnen<br />

Bürger es si<strong>ch</strong> weitgehend ohne Risiko leisten können, moralis<strong>ch</strong> zu handeln 548 .<br />

3. Theorie <strong>der</strong> diskursiven Rekonstruktion des Re<strong>ch</strong>ts (J. Habermas)<br />

Die Diskurstheorien von Habermas und Apel sind zeitli<strong>ch</strong> und inhaltli<strong>ch</strong> weitgehend<br />

parallel entwickelt worden. Habermas hat seine Diskursethik indes universal- statt<br />

transzendentalpragmatis<strong>ch</strong> begründet. Außerdem entwickelte er sie zu einer diskurstheoretis<strong>ch</strong>en<br />

Begründung eines Systems <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>te weiter 549 und erläutert mit<br />

ihr ein prozedurales Paradigma im Re<strong>ch</strong>t 550 . Eine Rekonstruktion des Re<strong>ch</strong>ts aus diskurstheoretis<strong>ch</strong>er<br />

Si<strong>ch</strong>t bedeutet die Anwendung prozeduraler Rationalität bei <strong>der</strong><br />

544 K.-O. Apel, Diskursethik vor <strong>der</strong> Problematik von Re<strong>ch</strong>t und Politik (1992), S. 61.<br />

545 K.-O. Apel, Diskursethik vor <strong>der</strong> Problematik von Re<strong>ch</strong>t und Politik (1992), S. 37.<br />

546 Zur Frage ausführli<strong>ch</strong> K.-O. Apel, Diskursethik vor <strong>der</strong> Problematik von Re<strong>ch</strong>t und Politik (1992),<br />

S. 40 ff.<br />

547 K.-O. Apel, Diskursethik vor <strong>der</strong> Problematik von Re<strong>ch</strong>t und Politik (1992), S. 57. (Hervorhebungen<br />

bei Apel).<br />

548 K.-O. Apel, Diskursethik vor <strong>der</strong> Problematik von Re<strong>ch</strong>t und Politik (1992), S. 57 f.<br />

549 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 151 ff.<br />

550 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 468 ff., 493 ff., 516 ff.; dazu unten S. 245 ff. (prozedurales<br />

Re<strong>ch</strong>tsparadigma).<br />

238


Begründung sozialer Ordnung und ist damit – obwohl von Habermas selbst ni<strong>ch</strong>t<br />

ausdrückli<strong>ch</strong> so bezei<strong>ch</strong>net – eine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie 551 .<br />

a) Die universalpragmatis<strong>ch</strong>e Begründung (U)<br />

Habermas formulierte das Universalisierungsprinzip U, das zu einer Vorlage für das<br />

Prinzip U h bei Apel wurde:<br />

U: »Jede gültige Norm muß <strong>der</strong> Bedingung genügen, daß<br />

die Folgen und Nebenwirkungen, die si<strong>ch</strong> aus ihrer allgemeinen<br />

Befolgung für die Befriedigung <strong>der</strong> Interessen<br />

jedes einzelnen voraussi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ergeben, von allen Betroffenen<br />

zwanglos akzeptiert werden können.« 552<br />

In <strong>der</strong> Begründung von U lehnt Habermas die transzendentalpragmatis<strong>ch</strong>e Letztbegründung<br />

von Apel ab: Eine Letztbegründung sei we<strong>der</strong> mögli<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> nötig 553 . Bei<br />

seiner universal- bzw. formalpragmatis<strong>ch</strong> genannten Begründung geht es ihm allein<br />

um die tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Alternativlosigkeit <strong>der</strong> die Argumentationspraxis begründenden<br />

Regeln 554 . Habermas rekonstruiert universale Spre<strong>ch</strong>aktvoraussetzungen als Grundbedingungen<br />

praktis<strong>ch</strong>er Diskurse. Trotz des Verzi<strong>ch</strong>ts auf Letztbegründung bleibt<br />

die Begründung 'universell' in dem Sinne, daß die in U ausgedrückte Normbegründungsregel<br />

unauswei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ist: Wer überhaupt über ri<strong>ch</strong>tiges Handeln argumentieren<br />

will, <strong>der</strong> muß si<strong>ch</strong> auf die anspru<strong>ch</strong>svollen Voraussetzungen des praktis<strong>ch</strong>en Diskurses<br />

einlassen; eine Alternative gibt es ni<strong>ch</strong>t 555 . Die Begründung gilt daher – vorbehaltli<strong>ch</strong><br />

<strong>der</strong> grundlegenden Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Lebensform (und Spra<strong>ch</strong>konvention<br />

556 ) – für alle spra<strong>ch</strong>- und handlungsfähigen Subjekte, d.h. die Mens<strong>ch</strong>en,<br />

so wie wir sie gegenwärtig kennen.<br />

b) Das Paradoxon <strong>der</strong> Legitimation dur<strong>ch</strong> Legalität (D H )<br />

Die Übertragung von Ergebnissen <strong>der</strong> Diskursethik auf das Re<strong>ch</strong>t stößt laut Habermas<br />

auf das zentrale Problem, daß das Re<strong>ch</strong>t für politis<strong>ch</strong>e Direktion instrumentalisiert<br />

551 Zur Definition oben S. 132 (D 4 ). Weitere Indikatoren für den Charakter des Werks als prozedurale<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie sind <strong>der</strong> Umstand, daß Habermas das erste <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzip aus Rawls<br />

Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> heranzieht, um die Idee <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heit zu demonstrieren; J. Habermas,<br />

Faktizität und Geltung (1992), S. 110. Er stellt ausdrückli<strong>ch</strong> die Beziehung zwis<strong>ch</strong>en diskurstheoretis<strong>ch</strong><br />

rekonstruiertem Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> her: »Diese Rekonstruktion zeigt jedo<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong>,<br />

daß das Re<strong>ch</strong>t nur solange legitimierende Kraft behält, wie es als eine Ressource von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

fungieren kann.« – ebd., S. 180.<br />

552 J. Habermas, Über Moralität und Sittli<strong>ch</strong>keit (1984), S. 219; ebenso bereits <strong>der</strong>s., Moralbewußtsein<br />

und kommunikatives Handeln (1983), S. 103.<br />

553 J. Habermas, Erläuterungen zur Diskursethik (1991), S. 185 ff. (195).<br />

554 So s<strong>ch</strong>on J. Habermas, Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln (1983), S. 105.<br />

555 J. Habermas, Erläuterungen zur Diskursethik (1991), S. 194.<br />

556 Vgl. R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1978), S. 74 – Lebensform und Spra<strong>ch</strong>spiel.<br />

239


ist, diese Politik si<strong>ch</strong> aber gerade an Interessendur<strong>ch</strong>setzung statt an moralis<strong>ch</strong>er<br />

Ri<strong>ch</strong>tigkeit orientiert und so dem Medium 'Re<strong>ch</strong>t' die Legitimation entzieht 557 . Legitimation<br />

dur<strong>ch</strong> Legalität sei ein Paradoxon, das ni<strong>ch</strong>t gelöst werden könne, außer<br />

wenn bestimmte Re<strong>ch</strong>te, d.h. sol<strong>ch</strong>e, die die politis<strong>ch</strong>e Autonomie <strong>der</strong> Bürger s<strong>ch</strong>ützen,<br />

als (prozedurale) Generatoren von Legitimation angesehen würden 558 . Um das<br />

Paradoxon zu überwinden, überträgt Habermas sein Diskursprinzip auf die Form des<br />

Re<strong>ch</strong>ts. Er will dur<strong>ch</strong> ein Zusammenwirken von Diskursprinzip und Re<strong>ch</strong>tsform das<br />

Prinzip <strong>der</strong> Demokratie begründen 559 , das selbst wie<strong>der</strong>um re<strong>ch</strong>tserzeugend wirkt –<br />

ein zirkulärer Prozess für die Begründung von Re<strong>ch</strong>t 560 o<strong>der</strong>, in Habermas Worten: ein<br />

»selbstbezügli<strong>ch</strong>er Akt <strong>der</strong> re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Institutionalisierung staatsbürgerli<strong>ch</strong>er Autonomie«<br />

561 . Das Diskursprinzip formuliert Habermas deshalb offen für re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e wie<br />

moralis<strong>ch</strong>e Gültigkeit von Normen:<br />

D H :<br />

»Gültig sind genau die Handlungsnormen, denen alle<br />

mögli<strong>ch</strong>erweise Betroffenen als Teilnehmer an rationalen<br />

Diskursen zustimmen könnten.« 562<br />

557 Vgl. J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 528: »Als zentrales Problem gilt jene Instrumentalisierung<br />

des Re<strong>ch</strong>ts für Zwecke <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Steuerung, die die Struktur des Re<strong>ch</strong>tsmediums<br />

überfor<strong>der</strong>t und die Bindung <strong>der</strong> Politik an die Verwirkli<strong>ch</strong>ung unverfügbarer Re<strong>ch</strong>te auflöst.«<br />

558 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 110 f. Habermas verbindet dies mit <strong>der</strong> Idee des<br />

Selbstregierens, wenn je<strong>der</strong> Adressat des Re<strong>ch</strong>ts glei<strong>ch</strong>zeitig au<strong>ch</strong> Autor des Re<strong>ch</strong>ts sein kann;<br />

ebd., S. 153.<br />

559 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 154.<br />

560 'Zirkulär' ist hier ni<strong>ch</strong>t im Sinne eines logis<strong>ch</strong>en Zirkels, also einer petitio prinzipii, son<strong>der</strong>n im Sinne<br />

eines hermeneutis<strong>ch</strong>en Zirkels gemeint. Es bewegt si<strong>ch</strong> in ihm ni<strong>ch</strong>t beliebige Erkenntnis im<br />

Kreis, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Zirkel drückt eine existentiale Vorstruktur des Daseins aus; vgl. M. Heidegger,<br />

Sein und Zeit (1927), S. 152: »Strukturen des Daseins, die mit dem In-<strong>der</strong>-Welt-sein glei<strong>ch</strong> ursprüngli<strong>ch</strong><br />

sind: das Mitsein und das Mitdasein« (Hervorhebungen bei Heidegger). So erklärt si<strong>ch</strong>,<br />

daß Habermas von einer 'glei<strong>ch</strong>ursprüngli<strong>ch</strong>en' Begründung des Re<strong>ch</strong>ts und <strong>der</strong> Methode seiner<br />

Erzeugung spre<strong>ch</strong>en kann, ohne eine petitio prinzipii zu konstruieren. Vgl. J. Habermas, Faktizität<br />

und Geltung (1992), S. 154 f.: »Die logis<strong>ch</strong>e Genese dieser Re<strong>ch</strong>te bildet einen Kreisprozeß, in dem<br />

si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Kode des Re<strong>ch</strong>ts und <strong>der</strong> Me<strong>ch</strong>anismus für die Erzeugung des Re<strong>ch</strong>ts, also das Demokratieprinzip,<br />

glei<strong>ch</strong>ursprüngli<strong>ch</strong> konstituieren.« Indem er si<strong>ch</strong> auf die Vorstruktur des Verstehens<br />

bei Heidegger bezieht, rekonstruiert Habermas mit seinem 'Kreisprozeß' ledigli<strong>ch</strong> einen Son<strong>der</strong>fall<br />

des hermeneutis<strong>ch</strong>en Zirkels, freili<strong>ch</strong> ohne si<strong>ch</strong> insoweit auf die maßgebli<strong>ch</strong>en Passagen bei Gadamer<br />

zu berufen, die Heideggers Ansatz erst methodis<strong>ch</strong> fru<strong>ch</strong>tbar gema<strong>ch</strong>t haben; vgl. dazu<br />

H.-G. Gadamer, Wahrheit und Methode (1960), S. 250 ff. – ausdrückli<strong>ch</strong>e Bezugnahme auf Heidegger,<br />

insbeson<strong>der</strong>e S. 277: »Der Zirkel des Verstehens ist also überhaupt ni<strong>ch</strong>t ein 'methodis<strong>ch</strong>er'<br />

Zirkel, son<strong>der</strong>n bes<strong>ch</strong>reibt ein ontologis<strong>ch</strong>es Strukturmoment des Verstehens.« Zu grundlegenden<br />

Unters<strong>ch</strong>ieden zwis<strong>ch</strong>en <strong>der</strong> Epistemologie Habermas' und <strong>der</strong>jenigen Gadamers vgl. die Auseinan<strong>der</strong>setzung:<br />

H.-G. Gadamer, Rhetorik, Hermeneutik und Ideologiekritik (1967), S. 68 ff. (Aneignung<br />

von Traditionen); J. Habermas, Der Universalitätsanspru<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Hermeneutik (1970), S. 133<br />

ff. (Grenze hermeneutis<strong>ch</strong>en Verstehens); <strong>der</strong>s., Zu Gadamers 'Wahrheit und Methode' (1971),<br />

S. 47 ff. (gegen Rehabilitation von Tradition und Vorurteil); H.-G. Gadamer, Replik (1971), S. 287 ff.<br />

(kritis<strong>ch</strong>e Reflexion dur<strong>ch</strong> philosophis<strong>ch</strong>e Hermeneutik).<br />

561 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 166.<br />

562 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 138. Gegenüber <strong>der</strong> früheren Formulierungen von<br />

D H , etwa in J. Habermas, Über Moralität und Sittli<strong>ch</strong>keit (1984), S. 219 (»Jede gültige Norm müßte<br />

die Zustimmung aller Betroffenen, wenn diese nur an einem praktis<strong>ch</strong>en Diskurs teilnehmen<br />

240


c) Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien in Re<strong>ch</strong>tsform<br />

Gesu<strong>ch</strong>t ist na<strong>ch</strong> einem System <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>te, das die Gültigkeitsregel von D H erfüllen<br />

kann. Ein sol<strong>ch</strong>es System muß na<strong>ch</strong> Habermas »genau die Grundre<strong>ch</strong>te enthalten, die<br />

si<strong>ch</strong> Bürger gegenseitig einräumen müssen, wenn sie ihr Zusammenleben mit Mitteln<br />

des positiven Re<strong>ch</strong>ts legitim regeln wollen.« 563 Die Anwendung von D H auf das<br />

Medium 'Re<strong>ch</strong>t' führt laut Habermas zu drei Gruppen von Grundre<strong>ch</strong>ten zwis<strong>ch</strong>en<br />

Personen (größtes System glei<strong>ch</strong>er Freiheiten, freiwillige Assoziation als Mitglie<strong>der</strong>,<br />

individueller Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utz), findet eine vierte Grundre<strong>ch</strong>tsgruppe in <strong>der</strong> Notwendigkeit,<br />

daß (autonome) Personen au<strong>ch</strong> als Autoren ihrer Re<strong>ch</strong>tsetzung agieren, und leitet<br />

fünftens materielle Grundbedarfssi<strong>ch</strong>erungen aus den ersten vier Gruppen ab<br />

(minimale soziale, te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e und ökologis<strong>ch</strong>e Si<strong>ch</strong>erung <strong>der</strong> Lebensbedingungen) 564 .<br />

Die (re<strong>ch</strong>tsförmigen) Grundre<strong>ch</strong>te, die laut Habermas gefor<strong>der</strong>t sind, weisen eine<br />

kaum übersehbare Inhaltsähnli<strong>ch</strong>keit zu den (ni<strong>ch</strong>tre<strong>ch</strong>tsförmigen) <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien<br />

bei Rawls auf 565 . Sie sind <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien in Re<strong>ch</strong>tsform 566 . Gefor<strong>der</strong>t<br />

sind im einzelnen:<br />

»(1) Grundre<strong>ch</strong>te, die si<strong>ch</strong> aus <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong> autonomen Ausgestaltung<br />

des Re<strong>ch</strong>ts auf das größtmögli<strong>ch</strong>e Maß glei<strong>ch</strong>er<br />

subjektiver Handlungsfreiheiten ergeben. ...<br />

(2) Grundre<strong>ch</strong>te, die si<strong>ch</strong> aus <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong> autonomen Ausgestaltung<br />

des Status eines Mitgliedes in einer freiwilligen<br />

Assoziation von Re<strong>ch</strong>tsgenossen ergeben;<br />

(3) Grundre<strong>ch</strong>te, die si<strong>ch</strong> unmittelbar aus <strong>der</strong> Einklagbarkeit<br />

von Re<strong>ch</strong>ten und <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong> autonomen Ausgestaltung<br />

des individuellen Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utzes ergeben. ...<br />

(4) Grundre<strong>ch</strong>te auf die <strong>ch</strong>ancenglei<strong>ch</strong>e Teilnahme an Prozessen<br />

<strong>der</strong> Meinungs- und Willensbildung, worin Bürger<br />

ihre politis<strong>ch</strong>e Autonomie ausüben und wodur<strong>ch</strong> sie<br />

legitimes Re<strong>ch</strong>t setzen. ...<br />

würden, finden können.«) ist die neue Definition dur<strong>ch</strong> den Begriff <strong>der</strong> Handlungsnorm geprägt.<br />

Handlungsnormen sind bei Habermas alle generalisierten 'Verhaltenserwartungen', glei<strong>ch</strong> ob sie<br />

re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>-normative o<strong>der</strong> moralis<strong>ch</strong>-normative 'Gültigkeit' beanspru<strong>ch</strong>en; J. Habermas, Faktizität<br />

und Geltung (1992), S. 138. Vgl. dagegen oben S. 71 (Begriff <strong>der</strong> Norm).<br />

563 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 151.<br />

564 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 155 ff.<br />

565 Vgl. J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 160: die Kategorien von Re<strong>ch</strong>ten seien »ungesättigte<br />

Platzhalter für die Spezifizierung einzelner Grundre<strong>ch</strong>te, also eher Re<strong>ch</strong>tsprinzipien, an denen<br />

si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Verfassungsgesetzgeber orientiert.«<br />

566 Vgl. J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 155: »Mit dem Begriff <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsform, die die<br />

sozialen Verhaltenserwartungen in <strong>der</strong> angegebenen Weise stabilisiert, und dem Diskursprinzip,<br />

in dessen Li<strong>ch</strong>t die Legitimität von Handlungsnormen überhaupt geprüft werden kann, verfügen<br />

wir über die Mittel, die ausrei<strong>ch</strong>en, um jene Kategorien von Re<strong>ch</strong>ten in abstracto einzuführen, die<br />

den Re<strong>ch</strong>tskode selber hervorbringen«.<br />

241


(5) Grundre<strong>ch</strong>te auf die Gewährung von Lebensbedingungen,<br />

die in dem Maße sozial, te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong> und ökologis<strong>ch</strong><br />

gesi<strong>ch</strong>ert sind, wie dies für eine <strong>ch</strong>ancenglei<strong>ch</strong>e Nutzung<br />

<strong>der</strong> (1) bis (4) genannten bürgerli<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>te unter gegebenen<br />

Verhältnissen jeweils notwendig ist.« 567<br />

Der prozedurale Charaker wird dadur<strong>ch</strong> offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>, daß nur das Diskursprinzip,<br />

aber keine vorpositiven (natürli<strong>ch</strong>en o<strong>der</strong> moralis<strong>ch</strong>en) Re<strong>ch</strong>te die Generierung neuen<br />

Re<strong>ch</strong>ts begrenzen 568 . Einfa<strong>ch</strong>er formuliert: Legitimes Re<strong>ch</strong>t benötigt ni<strong>ch</strong>ts außer<br />

<strong>der</strong> Mobilisierung <strong>der</strong> kommunikativen Kräfte <strong>der</strong> Staatsbürger 569 .<br />

d) Die deliberative Politik<br />

Habermas s<strong>ch</strong>lägt in seiner Theorie die Brücke vom Re<strong>ch</strong>t zur Politik. Das Re<strong>ch</strong>t als<br />

soziale Teilordnung 570 soll im Sinne des Diskursprinzips D H an <strong>der</strong> prozeduralen Rationalität<br />

<strong>der</strong> Diskursethik teilhaben. Die Bürde <strong>der</strong> Legitimation des Re<strong>ch</strong>ts wird<br />

dabei na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>skonzeption von Habermas allein dur<strong>ch</strong><br />

die demokratis<strong>ch</strong>e Genese des Re<strong>ch</strong>ts getragen 571 . Denn angesi<strong>ch</strong>ts wi<strong>der</strong>streiten<strong>der</strong><br />

Konzeptionen des Guten werden materiale Maßstäbe kontingent 572 , so daß nur no<strong>ch</strong><br />

demokratis<strong>ch</strong>e Verfahren als Generatoren legitimen Re<strong>ch</strong>ts verbleiben 573 . Um die<br />

Legitimation zu qualifizieren, führt Habermas das Konzept <strong>der</strong> 'deliberativen Politik'<br />

als 'Verfahrensbegriff <strong>der</strong> Demokratie' ein 574 .<br />

Ausgangspunkt <strong>der</strong> 'deliberativen Politik' ist <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> 'deliberativen Demokratie'<br />

von Cohen, <strong>der</strong> als ents<strong>ch</strong>eidendes Kriterium für das demokratis<strong>ch</strong>e Ideal<br />

for<strong>der</strong>t, daß si<strong>ch</strong> die Bedingungen <strong>der</strong> sozialen Ordnung na<strong>ch</strong> einer vernünftigen öffentli<strong>ch</strong>en<br />

Argumentation unter glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigten Bürgern ri<strong>ch</strong>ten 575 , womit er über<br />

567 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 155 ff. (Hervorhebungen bei Habermas).<br />

568 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 161 f.<br />

569 Vgl. J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 182.<br />

570 Habermas unters<strong>ch</strong>eidet drei soziale Ordnungen: die Lebenswelt, naturwü<strong>ch</strong>sige Institutionen und<br />

das Re<strong>ch</strong>t. J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 23.<br />

571 Vgl. J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 516 f.: »Mit dem Wa<strong>ch</strong>stum und dem qualitativen<br />

Wandel <strong>der</strong> Staatsaufgaben verän<strong>der</strong>t si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Legitimationsbedarf; je mehr das Re<strong>ch</strong>t als<br />

Mittel politis<strong>ch</strong>er Steuerung und sozialer Gestaltung in Anspru<strong>ch</strong> genommen wird, um so größer<br />

ist die Bürde <strong>der</strong> Legitimation, die die demokratis<strong>ch</strong>e Genese des Re<strong>ch</strong>ts tragen muß.« (Hervorhebung<br />

bei Habermas.)<br />

572 Z.B. J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 518; W. Kersting, Die politis<strong>ch</strong>e Philosophie des<br />

Gesells<strong>ch</strong>aftsvertrags (1994), S. 23. Zum Metaphysikbegriff siehe oben S. 42, Fn. 84.<br />

573 Vgl. J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 527: »Die Diskurstheorie des Re<strong>ch</strong>ts begreift einerseits<br />

den demokratis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>tsstaat als die über legitimes Re<strong>ch</strong>t laufende (und insofern private<br />

Autonomie gewährleistende) Institutionalisierung von Verfahren und Kommunikationsvoraussetzungen<br />

für eine diskursive Meinungs- und Willensbildung, die wie<strong>der</strong>um (die Ausübung<br />

politis<strong>ch</strong>er Autonomie und) legitime Re<strong>ch</strong>tsetzung ermögli<strong>ch</strong>t.«<br />

574 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 349 ff. (349).<br />

575 J. Cohen, Deliberation and Democratic Legitimacy (1989), S. 21: »The notion of a deliberative democracy<br />

is rooted in the intuitive ideal of a democratic association in whi<strong>ch</strong> the justification of the<br />

terms and conditions of association proceeds through public argument and reasoning among<br />

equal citizens.« Die Vernünftigkeit <strong>der</strong> Deliberation ist hier im Sinne <strong>der</strong> gefor<strong>der</strong>ten Begründet-<br />

242


ältere Begriffsbestimmungen <strong>der</strong> 'deliberative democracy' hinausführt 576 . Die Bürger<br />

müssen si<strong>ch</strong> einig darüber sein, daß ihre Institutionen in legitimer Weise die Rahmenbedingungen<br />

für eine freie Ents<strong>ch</strong>eidungsfindung in öffentli<strong>ch</strong>er Argumentation<br />

etablieren 577 . Damit verlagert si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Legitimationsgrund <strong>der</strong> Demokratie weg von<br />

eher formalen Kriterien (Mehrheitsprinzip, Volkssouveränität, Wahlre<strong>ch</strong>tsgrundsätze)<br />

hin zu inhaltli<strong>ch</strong>en Anfor<strong>der</strong>ungen an die öffentli<strong>ch</strong>e Argumentation. Daß ein<br />

Gesetz o<strong>der</strong> ein Kandidat die Mehrheit <strong>der</strong> Stimmen auf si<strong>ch</strong> vereinigt, ist ledigli<strong>ch</strong><br />

ein Indiz für eine vorausgegangene freie Ents<strong>ch</strong>eidungsfindung in öffentli<strong>ch</strong>er Argumentation,<br />

die den eigentli<strong>ch</strong>en Legitimationsgrund <strong>der</strong> Sa<strong>ch</strong>- o<strong>der</strong> Personalents<strong>ch</strong>eidung<br />

bildet 578 . Legitimationsbegründend ist ni<strong>ch</strong>t die Form <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidung<br />

o<strong>der</strong> das Verfahren <strong>der</strong> Mehrheitsbildung, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Umstand, daß sie in ihrem<br />

Inhalt diskursiv kontrolliert ist und – soweit den Umständen na<strong>ch</strong> angemessen 579 – in<br />

Zukunft bleibt (periodis<strong>ch</strong>e Neuwahl, Gesetzesän<strong>der</strong>ung) 580 .<br />

Laut Habermas fehlen dem Bild <strong>der</strong> deliberativen Demokratie bei Cohen »Aussagen<br />

zum Verhältnis zwis<strong>ch</strong>en den ents<strong>ch</strong>eidungsorientierten Beratungen, die dur<strong>ch</strong><br />

demokratis<strong>ch</strong>e Verfahren reguliert sind, und den informellen Meinungsbildungsprozessen<br />

in <strong>der</strong> Öffentli<strong>ch</strong>keit.« 581 Die Ents<strong>ch</strong>eidungsfindung in <strong>der</strong> Demokratie verlaufe<br />

ni<strong>ch</strong>t selbstgenügsam in den Bahnen einer dur<strong>ch</strong> Verfahren geregelten Beratung<br />

und Bes<strong>ch</strong>lußfassung, son<strong>der</strong>n zehre von <strong>der</strong> verfahrensexternen, informellen<br />

heit gemeint; ebd., S. 22: »Deliberation is reasoned in that the parties to it are required to state their<br />

reasons for advancing proposals, supporting them or criticizing them.« (Hervorhebung bei Cohen).<br />

Ähnli<strong>ch</strong> J.S. Fishkin, Democracy and Deliberation (1991), S. 35 ff. unter Bezugnahme auf Habermas<br />

(S. 36).<br />

576 Ein älteres Verständnis meint mit 'deliberative democracy' bloß beratende Politik, insbeson<strong>der</strong>e<br />

jede repräsentativ-parlamentaris<strong>ch</strong>e Ents<strong>ch</strong>eidungsfindung; J.-F. Lyotard, Der Wi<strong>der</strong>streit (1983),<br />

S. 245; C. Sunstein, Interest Groups in American Public Law (1985), S. 45 f. (46): »Above all, their<br />

[the legislator's] task was deliberative.« Die An<strong>der</strong>sartigkeit dieses alten Verständnisses wird<br />

deutli<strong>ch</strong>, wenn man dessen Begriffsbildung zurückverfolgt: Sunstein (S. 45, Fn. 72) beruft si<strong>ch</strong> bei<br />

'deliberative democracy' auf J.M. Bessette, The Majority Principle in Republican Government<br />

(1980); Bessette (S. 112 ff.) meint aber nur eine Deliberation in Repräsentativorganen, während er<br />

direktdemokratis<strong>ch</strong>e Ents<strong>ch</strong>eidungsfindung als »greatest threat« für eine gemeinwohlorientierte<br />

Politik ansieht. Sowohl Sunstein als au<strong>ch</strong> Bessette beziehen si<strong>ch</strong> insoweit auf die Fe<strong>der</strong>alist Papers,<br />

in denen die gebotene Deliberation ebenfalls mit gemeinwohlorientierter Repräsentation als Gegenbegriff<br />

zu partikularen Gruppeninteressen identifiziert wird; vgl. insbeson<strong>der</strong>e J. Madison, Fe<strong>der</strong>alist<br />

No. 10 (1787), S. 57 ff. Die neuerdings von Cohen und Habermas gemeinte öffentli<strong>ch</strong>e Argumentation<br />

außerhalb von Parlamenten geht darüber hinaus.<br />

577 J. Cohen, Deliberation and Democratic Legitimacy (1989), S. 21: »Citizens in su<strong>ch</strong> an or<strong>der</strong> share a<br />

commitment to the resolution of problems of collective <strong>ch</strong>oice through public reasoning and regard<br />

their basic institutions as legitimate as far as they establish the framework for free public deliberation.«<br />

578 Vgl. J. Cohen, Deliberation and Democratic Legitimacy (1989), S. 23: »Even un<strong>der</strong> ideal conditions<br />

there is no promise that consensual reasons will be forthcoming. If they are not, then deliberation<br />

concludes with voting, subject to some form of majority rule. The fact that it may so conclude<br />

does not, however, eliminate the distinction between deliberative forms of collective <strong>ch</strong>oice and<br />

form that aggregate by non-deliberative preferences.« (ohne die Fn. 16 bei Cohen).<br />

579 Vgl. oben S. 221 (T Dr ).<br />

580 Vgl. G. Jo<strong>ch</strong>um, Materielle Anfor<strong>der</strong>ungen an das Ents<strong>ch</strong>eidungsverfahren in <strong>der</strong> Demokratie<br />

(1997), S. 67 m.w.N. – die Mehrheitsents<strong>ch</strong>eidung beziehe ihre legitimierende Kraft daraus, daß<br />

sie am Ende eines Diskussionprozesses stehe.<br />

581 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 372 f. (ohne die Hervorhebung bei Habermas).<br />

243


Meinungsbildung 582 . Das Re<strong>ch</strong>t als ein Mittel zur Reduktion unvermeidli<strong>ch</strong>er gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er<br />

Komplexität sei zur Legitimation auf die re<strong>ch</strong>tsexterne Kommunikation<br />

in <strong>der</strong> Politik angewiesen, die als eine 'komplexitätserhaltende Gegensteuerung' funktioniere<br />

583 . Deshalb erweitert Habermas die deliberative Demokratie zur deliberativen<br />

Politik, die er mit den Begriffen <strong>der</strong> 'politis<strong>ch</strong>en Öffentli<strong>ch</strong>keit' und <strong>der</strong> 'Zivilgesells<strong>ch</strong>aft'<br />

erläutert.<br />

Als politis<strong>ch</strong>e Öffentli<strong>ch</strong>keit bezei<strong>ch</strong>net Habermas das Kommunikationsnetzwerk,<br />

das Meinungen (Inhalte und Stellungnahmen) dur<strong>ch</strong> Filterung und Synthetisierung<br />

zu themenspezifis<strong>ch</strong> gebündelten öffentli<strong>ch</strong>en Meinungen verdi<strong>ch</strong>tet 584 . Diese Öffentli<strong>ch</strong>keit<br />

ist spezialisiert, etwa in populärwissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e, literaris<strong>ch</strong>e, kir<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e,<br />

künstleris<strong>ch</strong>e, feministis<strong>ch</strong>e, ökologis<strong>ch</strong>e Öffentli<strong>ch</strong>keit; und sie ist organisatoris<strong>ch</strong><br />

differenziert, etwa als episodis<strong>ch</strong>e (Kneipen-, Straßen-) o<strong>der</strong> als veranstaltete (Theater-,<br />

Rockkonzert-, Parteitversammlungs-, Kir<strong>ch</strong>entags-) Öffentli<strong>ch</strong>keit 585 . Die Zivilgesells<strong>ch</strong>aft<br />

ist demgegenüber die Gesamtheit <strong>der</strong> Vereinigungen, Organisationen und<br />

Bewegungen, die Probleme aus privaten Lebensberei<strong>ch</strong>en aufgreifen und verstärkt<br />

an die politis<strong>ch</strong>e Öffentli<strong>ch</strong>keit weiterleiten 586 , beispielsweise soziale Bewegungen,<br />

Bürgerinitiativen, politis<strong>ch</strong>e Vereinigungen o<strong>der</strong> Berufsverbände 587 . Teile <strong>der</strong> Zivilgesells<strong>ch</strong>aft<br />

sind im allgemeinen zu s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>, um selbst Ents<strong>ch</strong>eidungsprozesse umzusteuern,<br />

sie können aber unter bestimmten Umständen über die öffentli<strong>ch</strong>e Meinung<br />

auf Ents<strong>ch</strong>eidungsträger des Re<strong>ch</strong>tsstaats (Parlamente, Geri<strong>ch</strong>te, Behörden)<br />

Einfluß gewinnen 588 . Der Motor dieser Einflußnahme liegt in den Massenmedien, die<br />

regelmäßig eine Differenzierung zwis<strong>ch</strong>en Akteuren in <strong>der</strong> Arena und Zus<strong>ch</strong>auern<br />

im Publikum einführen.<br />

Die Wirkungszusammenhänge zwis<strong>ch</strong>en Zivilgesells<strong>ch</strong>aft, politis<strong>ch</strong>er Öffentli<strong>ch</strong>keit<br />

und Massenmedien können auf vers<strong>ch</strong>iedene Weise für die Legitimation von<br />

Re<strong>ch</strong>t angeführt werden. Habermas wendet si<strong>ch</strong> gegen <strong>Theorien</strong> rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens,<br />

die (als Pluralismus- und Elitentheorien) die kluge Personenwahl innerhalb <strong>der</strong><br />

Zivilgesells<strong>ch</strong>aft o<strong>der</strong> (als social <strong>ch</strong>oice o<strong>der</strong> public <strong>ch</strong>oice <strong>Theorien</strong>) die kluge Sa<strong>ch</strong>ents<strong>ch</strong>eidung<br />

innerhalb <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Öffentli<strong>ch</strong>keit in den Vor<strong>der</strong>grund stellen 589 .<br />

Vielmehr sei »ein Perspektivenwe<strong>ch</strong>sel von <strong>der</strong> Theorie rationaler Wahl zur Diskurstheorie«<br />

geboten, na<strong>ch</strong> dem ni<strong>ch</strong>t länger das Handeln einzelner Aktoren, son<strong>der</strong>n<br />

»das diskursive Niveau beoba<strong>ch</strong>tbarer politis<strong>ch</strong>er Kommunikation ein Maßstab für<br />

die Wirksamkeit einer ... prozeduralisierten Vernunft ist.« 590 Je höher also das diskursive<br />

Niveau, desto höher ist die legitimierende Kraft innerhalb <strong>der</strong> deliberativen Politik.<br />

Für Massenmedien als <strong>der</strong> 'vierten Gewalt' folgt daraus das Gebot einer normati-<br />

582 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 374. Ähnli<strong>ch</strong> G. Jo<strong>ch</strong>um, Materielle Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

an das Ents<strong>ch</strong>eidungsverfahren in <strong>der</strong> Demokratie (1997), 68 ff. (84) – Notwendigkeit eines öffentli<strong>ch</strong>en<br />

Diskurses zur Legitimierung politis<strong>ch</strong>er Ents<strong>ch</strong>eidungen.<br />

583 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 397.<br />

584 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 436.<br />

585 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 452.<br />

586 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 443.<br />

587 Vgl. J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 451.<br />

588 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 451.<br />

589 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 401 ff.<br />

590 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 414 f.<br />

244


ven Einhegung mittels Berufskodex, Standesethik und nötigenfalls Medienre<strong>ch</strong>t, so<br />

daß die Medien an die regulative Idee gebunden werden, als 'Mandatar eines aufgeklärten<br />

Publikums' die öffentli<strong>ch</strong>en Meinungen einer verstärkten Kritik und einem<br />

Legitimationszwang auszusetzen 591 . Indikator für eine funktionierende deliberative<br />

Politik und damit ein hohes 'diskursives Niveau' ist es, wenn Themen ni<strong>ch</strong>t von zentralen<br />

Informationsproduzenten ausgehen, son<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> Peripherie <strong>der</strong> Zivilgesells<strong>ch</strong>aft<br />

aufgegriffen, in die politis<strong>ch</strong>e Öffentli<strong>ch</strong>keit transportiert und erst dann<br />

dur<strong>ch</strong> die Massenmedien verstärkt werden 592 . Nur solange die Ressourcen <strong>der</strong> Lebenswelt<br />

für spontane öffentli<strong>ch</strong>e Kommunikation ausrei<strong>ch</strong>en, um eine ungezwungene<br />

Artikulation gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Interessen trotz Administrations- und Medienma<strong>ch</strong>t<br />

zu gewährleisten, kann laut Habermas legitimes Re<strong>ch</strong>t entstehen und bestehen<br />

593 . Die Kommunikationsvoraussetzungen müssen demokratis<strong>ch</strong>e Verfahren ergänzen;<br />

erst dann gilt <strong>der</strong> programmatis<strong>ch</strong>e Satz: »Die Diskurstheorie erklärt die Legitimität<br />

des Re<strong>ch</strong>ts mit Hilfe von – ihrerseits re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> institutionalisierten – Verfahren<br />

und Kommunikationsvoraussetzungen, wel<strong>ch</strong>e die Vermutung begründen, daß<br />

die Prozesse <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsetzung und <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsanwendung zu rationalen Ergebnissen<br />

führen.« 594<br />

e) Das prozedurale Re<strong>ch</strong>tsparadigma<br />

Als letzte Auswirkung einer diskurstheoretis<strong>ch</strong>en Rekonstruktion des Re<strong>ch</strong>ts betont<br />

Habermas das prozedurale Re<strong>ch</strong>tsparadigma 595 . Es sei das gebotene Mittel, um die<br />

Verfahrensbedingungen des demokratis<strong>ch</strong>en Prozesses zu s<strong>ch</strong>ützen 596 . Darüberhinaus<br />

resultiere dieses Paradigma in prozeduralen Definitionen re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er Instrumente,<br />

z.B. 'Souveränität' 597 o<strong>der</strong> 'Verfassung' 598 . Im Rahmen <strong>der</strong> soziologis<strong>ch</strong>en Theorie<br />

<strong>der</strong> Paradigmenwe<strong>ch</strong>sel – d.h. einer Folge von Ereignissen, die zu grundlegenden Än<strong>der</strong>ungen<br />

wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Kenntnis führt (wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Revolution) – bezei<strong>ch</strong>net<br />

<strong>der</strong> Begriff des Paradigmas den Rahmen (framework) zur Bes<strong>ch</strong>reibung und<br />

Analyse von Weltsi<strong>ch</strong>ten sowie die Auswirkung dieses Rahmens auf die Konzeptualisierung<br />

und Informationsverarbeitung dur<strong>ch</strong> Mens<strong>ch</strong>en 599 . Ein Re<strong>ch</strong>tsparadigma<br />

kennzei<strong>ch</strong>net dementspre<strong>ch</strong>end den Blickwinkel unter dem wir die re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Ord-<br />

591 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 455 ff. (455, 457).<br />

592 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 459 f.<br />

593 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 466.<br />

594 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 499.<br />

595 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 468 ff.; glei<strong>ch</strong>falls von einem neuen 'prozeduralen<br />

Re<strong>ch</strong>tsparadigma' spri<strong>ch</strong>t J. Lenoble, Droit et communication (1994), S. 7 ff., 20 ff. Aus <strong>der</strong> (ansonsten<br />

eher zurückhaltenden) Rezeption zur These eines neuen prozeduralen Re<strong>ch</strong>tsparadigmas<br />

vgl. K.-H. Ladeur, Re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Ordnungsbildung unter Ungewißheitsbedingungen und intersubjektive<br />

Rationalität (1996), S. 385 ff.<br />

596 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 529 f.<br />

597 Souveränität eines Volkes in diskursiver Perspektive bedeutet, daß Ma<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> kommunikativen<br />

Kraft <strong>der</strong> Bürger entspringt. Siehe J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 209, 532 ff.; <strong>der</strong>s.,<br />

Volkssouveränität als Verfahren (1989), S. 626.<br />

598 Eine Gesells<strong>ch</strong>aft ist verfassungsmäßig, wenn sie si<strong>ch</strong> selbst mit si<strong>ch</strong> selbst in angemessenen Formen<br />

und prozedural geleiteten Prozessen <strong>der</strong> Assimilation, des Wi<strong>der</strong>standes und <strong>der</strong> Selbstkorrektur<br />

konfrontiert. Siehe J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 536.<br />

599 T.S. Kuhn, The Structure of Scientific Revolutions (1970), S. 111 ff.<br />

245


nungen betra<strong>ch</strong>ten, also unsere re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Weltsi<strong>ch</strong>t unter Eins<strong>ch</strong>luß von Vorverständnis<br />

und intuitivem Hintergrundwissen 600 . Habermas identifiziert zeitli<strong>ch</strong> gestaffelt<br />

zunä<strong>ch</strong>st ein liberales Re<strong>ch</strong>tsparadigma, das die klassis<strong>ch</strong>en Gesetzbü<strong>ch</strong>ern<br />

des Privatre<strong>ch</strong>ts beherrs<strong>ch</strong>t habe, dann ein sozialstaatli<strong>ch</strong>es Re<strong>ch</strong>tsparadigma, das<br />

dur<strong>ch</strong> Materialisierung des Re<strong>ch</strong>ts dem Problem des Marktversagens im reinen Liberalismus<br />

Re<strong>ch</strong>nung tragen wollte, und neuerdings ein prozeduralistis<strong>ch</strong>es Re<strong>ch</strong>tsparadigma,<br />

das auf die ni<strong>ch</strong>t-intendierten, privatautonomiebes<strong>ch</strong>ränkenden Folgen <strong>der</strong><br />

sozialstaatli<strong>ch</strong>en Verre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>ung eine Antwort finden soll 601 . An<strong>der</strong>s als beim liberal-<br />

und sozialstaatli<strong>ch</strong>en Paradigma, die entwe<strong>der</strong> formales o<strong>der</strong> materiales Re<strong>ch</strong>t<br />

favorisiert haben, soll das prozedurale Paradigma ni<strong>ch</strong>t eine bestimmte Re<strong>ch</strong>tsform<br />

(etwa das prozedurale o<strong>der</strong> das 'reflexive' Re<strong>ch</strong>t 602 ) bevorzugen, son<strong>der</strong>n vielmehr<br />

unabhängig von <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsform private und öffentli<strong>ch</strong>e Autonomie dur<strong>ch</strong> einen auf<br />

Dauer angelegten verfassunggebenden Prozeß si<strong>ch</strong>ern 603 . Die Grundre<strong>ch</strong>te <strong>der</strong> privaten<br />

Autonomie (vereinfa<strong>ch</strong>t: Freiheit, Glei<strong>ch</strong>heit, Eigentum) und <strong>der</strong> öffentli<strong>ch</strong>en Autonomie<br />

(vereinfa<strong>ch</strong>t: Aktivbürgers<strong>ch</strong>aft, Kommunikationsgrundre<strong>ch</strong>te) entstehen und<br />

bestehen na<strong>ch</strong> dem prozeduralen Re<strong>ch</strong>tsparadigma erst dur<strong>ch</strong> einen fortwährenden<br />

Prozeß <strong>der</strong> staatsbürgerli<strong>ch</strong>en Aktivität 604 . Legitime Re<strong>ch</strong>tssetzung beruht auf <strong>der</strong><br />

Einri<strong>ch</strong>tung von Verfahren und Kommunikationsvoraussetzungen (z.B. Wahlen, Abstimmungen,<br />

Medien, Ma<strong>ch</strong>tbegrenzungen, Äußerungsmögli<strong>ch</strong>keiten) für eine diskursive<br />

Meinungs- und Willensbildung 605 . Die deliberative Politik dur<strong>ch</strong> Zivilgesells<strong>ch</strong>aft<br />

und politis<strong>ch</strong>e Öffentli<strong>ch</strong>keit bildet den materiellen Gehalt dieses prozeduralen<br />

Re<strong>ch</strong>tsparadigmas 606 . Re<strong>ch</strong>t ist also ni<strong>ch</strong>t mehr primär Freiheitsgarant (liberales<br />

Paradigma) o<strong>der</strong> Instrument <strong>der</strong> materiellen Glei<strong>ch</strong>stellung (sozialstaatli<strong>ch</strong>es Paradigma),<br />

son<strong>der</strong>n in erster Linie Garant für die Bedingungen, unter denen ein spontane<br />

öffentli<strong>ch</strong>e Kommunikation bestehen und die Re<strong>ch</strong>tsordnung fortwährend legitimieren<br />

kann.<br />

f) Ergebnisse<br />

Habermas Katalog <strong>der</strong> Grundre<strong>ch</strong>tsgruppen bietet gegenüber Rawls <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien<br />

wenig Neues. Gerade deshalb kommt dem Gedanken <strong>der</strong> deliberativen<br />

600 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 468 ff.<br />

601 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 469 ff. (493): »das prozeduralistis<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>tsparadigma,<br />

das aus <strong>der</strong> Sackgasse des Sozialstaatsmodells herausführen soll«. Zur Begründung des<br />

Paradigmenwe<strong>ch</strong>sels ebd., S. 504 f.: »Das sozialstaatli<strong>ch</strong>e Paradigma des Re<strong>ch</strong>ts orientiert si<strong>ch</strong><br />

auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> am Problem <strong>der</strong> gere<strong>ch</strong>ten Verteilung <strong>der</strong> gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> produzierten Lebens<strong>ch</strong>ancen.<br />

Indem es <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> auf distributive <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> reduziert, verfehlt es den freiheitsverbürgenden<br />

Sinn legitimer Re<strong>ch</strong>te ... Der komplementäre Fehler des liberalen Re<strong>ch</strong>tsparadigmas<br />

liegt darin, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> auf eine glei<strong>ch</strong>e Distribution von Re<strong>ch</strong>ten zu reduzieren, d.h. Re<strong>ch</strong>te<br />

auf Güter zu assimilieren, die man aufteilen und besitzen kann.« (Hervorhebung bei Habermas).<br />

602 Zu ersterem als Alternative zu formalem und materialem Re<strong>ch</strong>t J. Habermas, Faktizität und Geltung<br />

(1992), S. 528; zu letzterem: ebd., S. 494 m.w.N.<br />

603 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 494.<br />

604 Vgl. J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 515.<br />

605 Vgl. J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 527. Als Beispiel nennt Habermas, ebd., S. 533<br />

die Versu<strong>ch</strong>e zu einer stärkeren Konstitutionalisierung <strong>der</strong> Medienma<strong>ch</strong>t.<br />

606 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 536.<br />

246


Politik eine zentrale Bedeutung in Habermas prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie zu.<br />

Hier wird aufgezeigt, wie Anwendungsbedingungen und Verfahrensregeln außerre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er<br />

Verfahren die Legitimationskraft <strong>der</strong> innerre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Verfahren stützen<br />

o<strong>der</strong> sogar erst begründen können.<br />

4. Theorie des analytis<strong>ch</strong>en Liberalismus (R. Alexy)<br />

Die auffälligste Beson<strong>der</strong>heit von Alexys Diskurstheorie zeigt si<strong>ch</strong> dort, wo sie im<br />

Rahmen eines Gesamtprojekts des 'analytis<strong>ch</strong>en Liberalismus' 607 zu einer Theorie des<br />

Re<strong>ch</strong>ts und damit zu einer Basistheorie <strong>der</strong> auf Diskussion angelegten Institutionen<br />

des demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaates ausgebaut wird 608 . Als Begründungslehre<br />

für die Ri<strong>ch</strong>tigkeit von Re<strong>ch</strong>t und Staat ist sie <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie 609 . In Alexys Modell<br />

ist juristis<strong>ch</strong>e Argumentation eine beson<strong>der</strong>e Form des allgemeinen rationalen<br />

praktis<strong>ch</strong>en Diskurses (Son<strong>der</strong>fallthese 610 ). Systematis<strong>ch</strong> vor diesen Überlegungen<br />

zur allgemeinen Diskursivität des Re<strong>ch</strong>ts steht indes die Begründung <strong>der</strong>jenigen<br />

obersten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen, die re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> positiviert als Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (Glei<strong>ch</strong>heit,<br />

Freiheit) und Demokratieprinzip staatli<strong>ch</strong> in Geltung gesetzt werden müssen (bd).<br />

Im Zusammenhang damit hat Alexy die Begründung <strong>der</strong> Diskursregeln um neue<br />

Argumente erweitert (a).<br />

a) Die Begründung <strong>der</strong> Diskursregeln<br />

Die bereits skizzierte Begründung <strong>der</strong> Diskursregeln mit Hilfe eines transzendentalen<br />

Arguments 611 wird bei Alexy dur<strong>ch</strong> zwei weitere Teile zu einer Trias erweitert –<br />

dur<strong>ch</strong> »ein auf individuelle Nutzenmaximierung abstellendes Argument« sowie »eine<br />

empiris<strong>ch</strong>e Prämisse über die Ausstattung von Mens<strong>ch</strong>en mit einem Interesse an<br />

Ri<strong>ch</strong>tigkeit« 612 (bb). Das transzendentale Argument zei<strong>ch</strong>net si<strong>ch</strong> zudem bei Alexy<br />

607 So die selbstgewählte Bezei<strong>ch</strong>nung bei R. Alexy, Re<strong>ch</strong>t, Vernunft, Diskurs (1995), S. 10.<br />

608 Zur Diskurstheorie als Basistheorie des demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaates R. Alexy, Theorie <strong>der</strong><br />

juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1991), S. 417: »Der praktis<strong>ch</strong>e Wert <strong>der</strong> Diskurstheorie zeigt si<strong>ch</strong> in<br />

vollem Umfang erst, wenn sie zu einer Basistheorie <strong>der</strong> auf Diskussion angelegten Institutionen<br />

des demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaates gema<strong>ch</strong>t wird, also im Rahmen einer Theorie des Staates<br />

und des Re<strong>ch</strong>ts.« Außerdem <strong>der</strong>s., Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 164; <strong>der</strong>s., Grundgesetz<br />

und Diskurstheorie (1996), S. 343 ff. Zustimmend P. Ts<strong>ch</strong>annen, Stimmre<strong>ch</strong>t und politis<strong>ch</strong>e<br />

Verständigung (1995), S. 388, 391 ff.<br />

609 Vor allem die jüngeren Begründungen zur diskurstheoretis<strong>ch</strong>en Notwendigkeit von Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>ten<br />

und Demokratie; R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 127 ff.; <strong>der</strong>s., Discourse<br />

Theory and Human Rights (1996), S. 209 ff. Zum hier gemeinten Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie<br />

vgl. oben S. 76 (D 2 ) sowie die kurze aber treffende Charakterisierung von Barry, na<strong>ch</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien <strong>Theorien</strong> darüber sind, wel<strong>ch</strong>e sozialen Arrangements verteidigt werden<br />

können; B. Barry, Theories of Justice (1989), S. 3.<br />

610 Dazu unten S. 255 ff. (Begründung von Re<strong>ch</strong>tsnormen). Vgl. R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en<br />

Argumentation (1978), S. 261 ff.; <strong>der</strong>s., Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1991), S. 426 ff.<br />

611 Dazu oben S. 225 (transzendentales Argument).<br />

612 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 133 ff. (133).<br />

247


dur<strong>ch</strong> eine Beson<strong>der</strong>heit aus; es wird »radikal abges<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>t«, indem es auf die Teilnahme<br />

»an <strong>der</strong> allgemeinsten Lebensform des Mens<strong>ch</strong>en« 613 bes<strong>ch</strong>ränkt wird (aa).<br />

aa) Teilnahme an <strong>der</strong> allgemeinsten Lebensform des Mens<strong>ch</strong>en (T L )<br />

Das transzendentale Argument besagt nur, daß jede Person, die einen Ri<strong>ch</strong>tigkeitsanspru<strong>ch</strong><br />

einlösen will, dazu die Geltung <strong>der</strong> Diskursregeln anerkennen muß – sie<br />

muß argumentieren. Das transzendentale Argument selbst kann hingegen keine Interessen<br />

o<strong>der</strong> Motivationen erzeugen, aus denen heraus Mens<strong>ch</strong>en überhaupt beginnen,<br />

si<strong>ch</strong> auf Argumentation einzulassen 614 . Zur Ausfüllung <strong>der</strong> praemissa maior des<br />

transzendentalen Arguments 615 führt Alexy die empiris<strong>ch</strong>e Prämisse ein, daß Mens<strong>ch</strong>en<br />

in aller Regel argumentieren, weil es ihrer allgemeinsten Lebensform entspri<strong>ch</strong>t<br />

616 :<br />

T L :<br />

»Wer sein ganzes Leben lang keine Behauptung [im<br />

starken Sinne] aufstellt und keine Begründung [unter<br />

Anerkennung von Glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigung, Zwanglosigkeit<br />

und Universalität] gibt, nimmt ni<strong>ch</strong>t an <strong>der</strong> allgemeinsten<br />

Lebensform des Mens<strong>ch</strong>en teil.«<br />

Dur<strong>ch</strong> die nur bedingte Notwendigkeit dieser Prämisse wird auf die Letztbegründung<br />

verzi<strong>ch</strong>tet und das transzendentale Argument »radikal abges<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>t« 617 . Die Prämisse<br />

lautet ni<strong>ch</strong>t: 'Je<strong>der</strong> wird notwendig etwas behaupten im Sinne eines starken<br />

Begriffs des Behauptens', son<strong>der</strong>n sie lautet 'Je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> an <strong>der</strong> allgemeinsten Lebensform<br />

des Mens<strong>ch</strong>en teilnimmt, wird notwendig etwas behaupten im Sinne eines starken Begriffs<br />

des Behauptens'. Damit ist gesagt, daß abgesehen von exotis<strong>ch</strong>en Personen, die<br />

si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> allgemeinsten mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Lebensform wirksam entziehen (<strong>der</strong> Eremit in<br />

<strong>der</strong> Einsamkeit einer Wüste, <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>iffbrü<strong>ch</strong>ige auf einer Insel, <strong>der</strong> Tyrann ohne Angehörige<br />

und Freunde), je<strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong> an <strong>der</strong> Lebensform (und damit Spra<strong>ch</strong>konvention<br />

618 ) teilnimmt, die in dem Sinne 'allgemein' genannt werden kann, daß jedenfalls<br />

in <strong>der</strong> Beziehung zu einzelnen Mitmens<strong>ch</strong>en das eigene Handeln dur<strong>ch</strong> Argumentation<br />

begründet wird. Ein absolutistis<strong>ch</strong>er Herrs<strong>ch</strong>er mag sein Handeln ganz überwiegend<br />

dur<strong>ch</strong> Befehl und Gehorsam gestalten, ohne si<strong>ch</strong> dafür je zu re<strong>ch</strong>tfertigen; aber<br />

wenn er nur gegenüber einem einzigen Mitmens<strong>ch</strong>en, etwa einem Familienangehörigen<br />

o<strong>der</strong> Freund, das eigene Handeln dur<strong>ch</strong> Argumentation re<strong>ch</strong>tfertigt,<br />

nimmt er s<strong>ch</strong>on an <strong>der</strong> allgemeinsten Lebensform des Mens<strong>ch</strong>en teil. Mit an<strong>der</strong>en<br />

613 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 139.<br />

614 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 142.<br />

615 Dazu oben S. 225 (transzendentales Argument).<br />

616 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 139. Zum Begriff <strong>der</strong> 'Lebensform' bei<br />

Wittgenstein vgl. R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1978), S. 74: »die den einzelnen<br />

Spra<strong>ch</strong>spielen zugrunde liegende, dur<strong>ch</strong> bestimmte Grundüberzeugungen und Regeln geprägte<br />

gemeinsame Lebenspraxis.« Wi<strong>ch</strong>tige Konsequenz: ein rationaler Diskurs ist nur innerhalb <strong>der</strong><br />

dur<strong>ch</strong> eine bestimmte Lebensform gesetzten Grenzen mögli<strong>ch</strong>; A. Aarnio/R. Alexy/A. Peczenik,<br />

Grundlagen <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1983), S. 81.<br />

617 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 139.<br />

618 Vgl. R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1978), S. 74 – Lebensform und Spra<strong>ch</strong>spiel.<br />

248


Worten: Wer ni<strong>ch</strong>t als 'einsamer Wolf' lebt, wird irgendeiner nahestehenden Person<br />

gegenüber irgendwann einmal irgendein eigenes Handeln re<strong>ch</strong>tfertigen. Re<strong>ch</strong>tfertigung<br />

aber ist Ausdruck dafür, daß implizit die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Handelns behauptet<br />

wird, und zwar im Sinne eines starken Begriffs des Behauptens, <strong>der</strong> dann in diesen Situationen<br />

unauswei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> zur Argumentation und damit zur Anerkennung <strong>der</strong> Diskursregeln<br />

führt.<br />

bb) Nutzenmaximierung und Interesse an Ri<strong>ch</strong>tigkeit<br />

Mit <strong>der</strong> empiris<strong>ch</strong>en Prämisse sind <strong>der</strong> Anerkennungsgeltung <strong>der</strong> Diskursregeln aber<br />

no<strong>ch</strong> enge Grenzen gesetzt. Erstens vermag sie für die wenigen Mens<strong>ch</strong>en, die si<strong>ch</strong><br />

dur<strong>ch</strong> völlige Isolation o<strong>der</strong> ungewöhnli<strong>ch</strong>e mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Distanz <strong>der</strong> allgemeinsten<br />

Lebensform des Mens<strong>ch</strong>en eben ni<strong>ch</strong>t einfügen, keine Geltung <strong>der</strong> Diskursregeln zu<br />

begründen. Einem Tyrannen, <strong>der</strong> ungehemmt dur<strong>ch</strong> Freunde o<strong>der</strong> Familie sein Leben<br />

allein als Ausdruck ni<strong>ch</strong>t begründungsbedürftiger Ma<strong>ch</strong>tausübung versteht, ist<br />

mit <strong>der</strong> bisherigen Begründung ni<strong>ch</strong>ts entgegenzuhalten. Nur wer in wenigstens einer<br />

Hinsi<strong>ch</strong>t das eigene Handeln gegenüber an<strong>der</strong>en für begründungsbedürftig hält,<br />

setzt si<strong>ch</strong> damit notwendig den normativen Ansprü<strong>ch</strong>en <strong>der</strong> Diskurstheorie aus: Er<br />

kann die akzeptierte Begründungsbedürftigkeit nur einlösen, wenn er au<strong>ch</strong> die Diskursregeln<br />

anerkennt. Zweitens gilt die viel gewi<strong>ch</strong>tigere Eins<strong>ch</strong>ränkung, daß Mens<strong>ch</strong>en<br />

ni<strong>ch</strong>t verpfli<strong>ch</strong>tet sind, in jedem Interessenkonflikt die Diskursregeln anzuerkennen.<br />

Denn daraus, daß jemand die grundsätzli<strong>ch</strong>e Fähigkeit und au<strong>ch</strong> eine tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e,<br />

wenn au<strong>ch</strong> viellei<strong>ch</strong>t nur rudimentäre praktis<strong>ch</strong>e Erfahrung damit hat, den Ri<strong>ch</strong>tigkeitsanspru<strong>ch</strong><br />

seiner Behauptungen dur<strong>ch</strong> Argumentation zu stützen, folgt no<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t, daß er von dieser Fähigkeit in jedem Fall Gebrau<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en muß 619 . Man kann<br />

sehr wohl, ohne si<strong>ch</strong> selbst zu wi<strong>der</strong>spre<strong>ch</strong>en, das eigene Handeln gegenüber Freunden<br />

und Familie argumentativ begründen, gegenüber Dritten aber allein auf Interesse<br />

und Ma<strong>ch</strong>t setzen, statt die Ri<strong>ch</strong>tigkeit zu su<strong>ch</strong>en. Mit an<strong>der</strong>en Worten: Wer im<br />

Familienkreis moralis<strong>ch</strong> handelt, kann dur<strong>ch</strong>aus in jedem an<strong>der</strong>en Zusammenhang<br />

auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> pragmatis<strong>ch</strong> handeln. Die bloße Mögli<strong>ch</strong>keit moralis<strong>ch</strong>en Handelns<br />

trägt no<strong>ch</strong> keine Notwendigkeit in si<strong>ch</strong>.<br />

Alexy führt darum ergänzend an, daß alle Mens<strong>ch</strong>en, selbst Tyrannen, Diktatoren<br />

und Despoten, ein objektives Interesse an Ri<strong>ch</strong>tigkeit haben, weil ihnen <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeitsanspru<strong>ch</strong><br />

nützt: Eine allein auf Gewalt gegründete Ordnung ist instabil, riskant<br />

und teuer, so daß es si<strong>ch</strong> in jedem Fall lohnt, für die Ri<strong>ch</strong>tigkeit <strong>der</strong> Ordnung Gründe<br />

anzuführen, selbst wenn dies nur die vorges<strong>ch</strong>obenen Gründe einer Terrorpropaganda<br />

sein sollten 620 . Auf die Motive des Ri<strong>ch</strong>tigkeitsanspru<strong>ch</strong>s komme es dabei<br />

619 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 141. Das übersieht P. Gril, Mögli<strong>ch</strong>keit<br />

praktis<strong>ch</strong>er Erkenntnis (1998), S. 140 ff., bei seinem originellen Versu<strong>ch</strong>, die Argumentation Alexys<br />

dadur<strong>ch</strong> ad absurdum zu führen, daß er ni<strong>ch</strong>t-verständigungsorientierte Spre<strong>ch</strong>akte (Manipulation,<br />

Täus<strong>ch</strong>ung und Lügen) in <strong>der</strong> allgemeinsten Lebensform des Mens<strong>ch</strong>en betont. Alexys Begründungsmodell<br />

leugnet sol<strong>ch</strong>e Formen <strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>t-verständigungsorientierten Kommunikation keinesfalls.<br />

Der ents<strong>ch</strong>eidende Unters<strong>ch</strong>ied besteht jedo<strong>ch</strong> darin, daß sie von den Kommunikationsteilnehmern<br />

selbst ni<strong>ch</strong>t als Begründungsakte angesehen werden.<br />

620 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 142 f.<br />

249


ni<strong>ch</strong>t an, son<strong>der</strong>n nur auf <strong>der</strong>en objektive Geltendma<strong>ch</strong>ung, weil eine sol<strong>ch</strong>e für die<br />

objektive institutionelle Geltung <strong>der</strong> Diskursregeln genüge 621 .<br />

cc) Ergebnisse (T R )<br />

Die transzendentalpragmatis<strong>ch</strong>e Begründung Alexys betont den Umstand, daß Mens<strong>ch</strong>en<br />

in aller Regel die Diskursregeln faktis<strong>ch</strong> anerkennen. Die Begründung besagt<br />

indes ni<strong>ch</strong>t, daß alles Handeln (subjektiv) mit Ri<strong>ch</strong>tigkeitsansprü<strong>ch</strong>en verbunden wäre<br />

o<strong>der</strong> (objektiv) <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tfertigung dur<strong>ch</strong> gute Gründe bedürfte. Sie besagt nur (aber<br />

au<strong>ch</strong> immerhin), daß wenn jemand dur<strong>ch</strong> sein kommunikatives Handeln, insbeson<strong>der</strong>e<br />

dur<strong>ch</strong> einen Spre<strong>ch</strong>akt des Behauptens im starken Sinne, einen Ri<strong>ch</strong>tigkeitsanspru<strong>ch</strong><br />

erhebt, er diesen nur dadur<strong>ch</strong> einlösen kann, daß er ihn einer Bewährung im<br />

Diskurs aussetzt (»faktis<strong>ch</strong> begrenzte Geltung« 622 ). Ergänzt man diesen Gedanken<br />

um die Überlegungen, daß die Diskurstheorie eine Vernunftkonzeption des kantis<strong>ch</strong>en<br />

Universalismus verfolgt 623 und in einem Diskurs alle Arten von Gründen angeführt<br />

werden können 624 , so kann folgendes Theorem <strong>der</strong> Diskurstheorie als Theorie<br />

<strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Ri<strong>ch</strong>tigkeit formuliert werden:<br />

T R :<br />

Der Ri<strong>ch</strong>tigkeit – verstanden als universelle Ri<strong>ch</strong>tigkeit<br />

für alle unter Eins<strong>ch</strong>luß sämtli<strong>ch</strong>er pragmatis<strong>ch</strong>en, ethis<strong>ch</strong>en<br />

und moralis<strong>ch</strong>en Gründe – kann man si<strong>ch</strong> nur in<br />

Diskursen vergewissern.<br />

Auf eine Kurzformel gebra<strong>ch</strong>t, die im folgenden für T R stehen soll:<br />

T R' :<br />

Man kann si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit nur im Diskurs vergewissern.<br />

b) Die Begründung <strong>der</strong> Freiheit<br />

aa) Das Autonomieprinzip (A)<br />

Von <strong>der</strong> Begründung <strong>der</strong> Diskursregeln als Garanten <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit hin zu einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie<br />

sind weitere gedankli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>ritte nötig. Zunä<strong>ch</strong>st stellt si<strong>ch</strong> die<br />

Frage, ob aus den Diskursregeln Freiheitsre<strong>ch</strong>te abgeleitet werden können. Na<strong>ch</strong> <strong>der</strong><br />

skizzierten Begründung Alexys sind die Diskursregeln und damit au<strong>ch</strong> die Freiheit<br />

aller Diskursbeteiligten subjektiv (motivational) anerkannt bei Personen, denen gegenüber<br />

Handeln tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> diskursiv gere<strong>ch</strong>tfertigt wird (z.B. Familienangehörige,<br />

621 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 143.<br />

622 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 142.<br />

623 Dazu oben S. 198 (T K ).<br />

624 Vgl. dazu R. Alexy, Jürgen Habermas' Theorie des juristis<strong>ch</strong>en Diskurses (1995), S. 173: Im allgemeinen<br />

praktis<strong>ch</strong>en Diskurs werden »moralis<strong>ch</strong>e, ethis<strong>ch</strong>e und pragmatis<strong>ch</strong>e Fragen und Gründe<br />

miteinan<strong>der</strong> verbunden«.<br />

250


Freunde). Die Anerkennung gilt außerdem zumindest objektiv (institutionell) für alle<br />

Regierenden, weil diese s<strong>ch</strong>on aus Gründen <strong>der</strong> Klugheit die Ri<strong>ch</strong>tigkeit ihrer Herrs<strong>ch</strong>aft<br />

behaupten müssen und das (praktis<strong>ch</strong> ausnahmslos) au<strong>ch</strong> tun. Wo immer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen<br />

erörtert werden, also die Ri<strong>ch</strong>tigkeit und Pfli<strong>ch</strong>tigkeit sozial- und<br />

glei<strong>ch</strong>heitsbezogenen Handelns zum Thema gema<strong>ch</strong>t wird, besteht zumindest diese<br />

objektive Anerkennung. Also gilt allgemein: Im Diskurs über <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist die<br />

Freiheit anerkannt.<br />

Freiheitsre<strong>ch</strong>te verlangen aber mehr als die Freiheit im Diskurs. Sie sollen au<strong>ch</strong><br />

Freiheit im Handeln si<strong>ch</strong>ern. Für die Begründung knüpft Alexy an ein Autonomieprinzip<br />

an, das von Nino als 'Grundnorm des moralis<strong>ch</strong>en Diskurses' (basic norm of<br />

moral discourse) formuliert wurde. Bei Nino lautet dieses Theorem 625 :<br />

A: »Es ist wüns<strong>ch</strong>enswert, daß Mens<strong>ch</strong>en ihr Verhalten nur<br />

na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> freien Annahme von Prinzipien ri<strong>ch</strong>ten, die sie,<br />

na<strong>ch</strong> genügen<strong>der</strong> Reflexion und Beratung, als gültig beurteilen.«<br />

Dieses Autonomieprinzip A ähnelt dem Diskursprinzip D 626 , do<strong>ch</strong> kann es ni<strong>ch</strong>t als<br />

direkte Folgerung aus den Diskursregeln angesehen werden, weil es zusätzli<strong>ch</strong> gebietet,<br />

die Freiheit <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en ni<strong>ch</strong>t nur im Diskurs, son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong> im Handeln zu akzeptieren.<br />

Das ist ni<strong>ch</strong>t zwingend. Es ist vorstellbar, daß jemand seinen Mitmens<strong>ch</strong>en<br />

in einem Diskurs über die Ri<strong>ch</strong>tigkeit sozialer Ordnung unter Anerkennung<br />

ihrer Freiheit gegenübertritt, sie dann aber na<strong>ch</strong> Beendigung des Diskurses unter<br />

Mißa<strong>ch</strong>tung ihrer Freiheit <strong>der</strong> eigenen Ma<strong>ch</strong>t unterwirft. Ein sol<strong>ch</strong>er Zwiespalt ist<br />

keinesfalls ungewöhnli<strong>ch</strong>. Man kann von <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit einer Handlungsnorm<br />

überzeugt und denno<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t bereit sein, sie selbst (immer) zu befolgen. Zwis<strong>ch</strong>en<br />

praktis<strong>ch</strong>er Erkenntnis und praktis<strong>ch</strong>er Verbindli<strong>ch</strong>keit besteht eine Differenz. Es ist<br />

geradezu typis<strong>ch</strong> für soziale Ordnungen, daß si<strong>ch</strong> die einzelnen Beteiligten ni<strong>ch</strong>t ohne<br />

Zwang an die eigentli<strong>ch</strong> von ihnen bejahten Normen halten. Trittbrettfahrer 627<br />

und alle an<strong>der</strong>en, die ganz im Sinne Ma<strong>ch</strong>iavellis<strong>ch</strong>er Klugheit 628 die Zustimmung<br />

zu Sozialregeln nur heu<strong>ch</strong>eln, aber glei<strong>ch</strong>zeitig unsozial handeln, müssen dur<strong>ch</strong><br />

Zwang gebunden werden – in <strong>der</strong> hier interessierenden Form also dur<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en<br />

Zwang und dessen effektive Dur<strong>ch</strong>setzung 629 .<br />

Wie also läßt si<strong>ch</strong> das Autonomieprinzip A und das in ihm enthaltene Freiheitsre<strong>ch</strong>t<br />

diskurstheoretis<strong>ch</strong> begründen? Alexy unters<strong>ch</strong>eidet zwei Typen <strong>der</strong> diskurstheoretis<strong>ch</strong>en<br />

Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen: die mittelbare und die unmit-<br />

625 C.S. Nino, The Ethics of Human Rights (1991), S. 138: »The basic norm of moral discourse, the minimum<br />

tacit agreement to whi<strong>ch</strong> we subscribe when we participate sincerely in it, is this: 'It is desirable<br />

that people determine their behaviour only by the free adoption of principles that, after<br />

sufficient reflection and deliberation, they judge valid.'«<br />

626 Dazu oben S. 230 (Konsens und Diskursprinzip).<br />

627 Dazu unten S. 333 ff. (Trittbrettfahrerproblem).<br />

628 Vgl. N. Ma<strong>ch</strong>iavelli, Der Fürst (1532), S. 72 f.: »Ein Herrs<strong>ch</strong>er brau<strong>ch</strong>t also alle die vorgenannten<br />

guten Eigens<strong>ch</strong>aften ni<strong>ch</strong>t in Wirkli<strong>ch</strong>keit zu besitzen; do<strong>ch</strong> muß er si<strong>ch</strong> den Ans<strong>ch</strong>ein geben, als<br />

ob er sie besäße.«<br />

629 Daneben gibt es Formen ni<strong>ch</strong>tre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en sozialen Zwanges, die hier ni<strong>ch</strong>t weiter verfolgt werden<br />

können. Vgl. unten S. 333 ff. (Institutionalisierung und Trittbrettfahrerproblem).<br />

251


telbare 630 . Um eine mittelbare diskurstheoretis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung handelt<br />

es si<strong>ch</strong>, wenn die Anwendungsbedingungen und Verfahrensregeln formuliert werden,<br />

unter denen die praktis<strong>ch</strong>e Ri<strong>ch</strong>tigkeit <strong>der</strong> Norm in einem tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> stattfindenden<br />

Verfahren begründet werden kann – also in einem realen Diskurs im Sinne<br />

von D Dr<br />

631. Eine unmittelbare diskurstheoretis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung besteht<br />

hingegen dann, wenn <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen »unabhängig von <strong>der</strong> tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />

Dur<strong>ch</strong>führung einzelner Diskurse allein aufgrund <strong>der</strong> Diskurstheorie gelten.« 632<br />

Will man <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> unmittelbar begründen, muß man folgli<strong>ch</strong> von <strong>der</strong> tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />

Dur<strong>ch</strong>führung einzelner Diskurse abstrahieren. Für diese unmittelbare<br />

Begründung gibt es wie<strong>der</strong>um zwei Mögli<strong>ch</strong>keiten. Erstens kann man mit einer<br />

transzendentalen Argumentation zeigen, daß es bestimmte <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

gibt, <strong>der</strong>en Geltung eine notwendige Voraussetzung des Diskurses ist. Zweitens kann<br />

man auf einen hypothetis<strong>ch</strong>en Konsens abstellen, den reale Personen unter idealen<br />

Bedingungen errei<strong>ch</strong>en würden, und damit zeigen, daß bestimmte <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

eine notwendige Folge des Diskurses sind 633 . Den ersten Weg bes<strong>ch</strong>reitet<br />

Alexy für die Begründung von Freiheit und Demokratie (Autonomieargument, Demokratieargument),<br />

den zweiten für die Begründung <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heit (Konsensargument).<br />

bb) Die diskurstheoretis<strong>ch</strong>e Notwendigkeit <strong>der</strong> Autonomie<br />

Für die Frage, warum die Anerkennung von Freiheit au<strong>ch</strong> im Handeln verbindli<strong>ch</strong><br />

sein soll, können na<strong>ch</strong> Alexy zwei Formen <strong>der</strong> Verbindli<strong>ch</strong>keit unters<strong>ch</strong>ieden werden:<br />

die subjektive und die objektive. Subjektiv verbindli<strong>ch</strong> ist eine im Diskurs begründete<br />

Handlungsnorm, wenn <strong>der</strong> Einzelne tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> bereit ist, si<strong>ch</strong> freiwillig an sie zu<br />

halten. Die Aussi<strong>ch</strong>t, sol<strong>ch</strong>e Verbindli<strong>ch</strong>keit bei allen Mens<strong>ch</strong>en zu errei<strong>ch</strong>en, ist gering.<br />

Objektiv verbindli<strong>ch</strong> ist eine Handlungsnorm, wenn es für jeden irgendwel<strong>ch</strong>e<br />

Gründe gibt, si<strong>ch</strong> entwe<strong>der</strong> äußerli<strong>ch</strong> an sie zu halten (Befolgung) o<strong>der</strong> wenigstens<br />

so zu tun, als täte man dies (Heu<strong>ch</strong>eln).<br />

Dreh- und Angelpunkt für Alexys Autonomieargument ist die Überlegung, wel<strong>ch</strong>e<br />

Situation einträte, wenn die Anerkennung von Autonomie nur im Diskurs, ni<strong>ch</strong>t<br />

aber im Handeln verbindli<strong>ch</strong> wäre. Was passiert, wenn na<strong>ch</strong> Abs<strong>ch</strong>luß des Diskurses<br />

die Freiheit <strong>der</strong> Mitmens<strong>ch</strong>en im Berei<strong>ch</strong> des Handelns ni<strong>ch</strong>t anerkannt wird?<br />

Das ist beispielsweise <strong>der</strong> Fall, wenn jemand zunä<strong>ch</strong>st in einem realen Diskurs argumentiert,<br />

dann aber ohne Rücksi<strong>ch</strong>t auf einen mögli<strong>ch</strong>en Konsens den eigenen<br />

Willen mit Zwang dur<strong>ch</strong>setzt. Der vorausgegangene Diskurs wird, so Alexys Begründung,<br />

dur<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>es Verhalten vollständig entwertet 634 . Denn wenn Familien-<br />

630 Vgl. hierzu und zum folgenden R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 146 ff., wo<br />

statt allgemein auf <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen bereits speziell auf die (als Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te) re<strong>ch</strong>tsförmigen<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen abgestellt wird. Zustimmend zur Unters<strong>ch</strong>eidung dieser Begründungsformen<br />

H. Koriath, Diskurs und Strafre<strong>ch</strong>t (1999), S. 188, 199.<br />

631 Dazu oben S. 218 (D Dr ).<br />

632 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 146.<br />

633 R. Alexy, Probleme <strong>der</strong> Diskurstheorie (1989), S. 113 ff.<br />

634 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 152: »[Es] sinkt das Interesse [<strong>der</strong>] Diskurspartner<br />

am Diskurs ... auf Null o<strong>der</strong> fast auf Null.«<br />

252


angehörige o<strong>der</strong> Freunde wissen, daß es auf das Ergebnis eines Diskurses unter keinem<br />

Gesi<strong>ch</strong>tspunkt ankommt, weil eine Verbindli<strong>ch</strong>keit für das na<strong>ch</strong>folgende Handeln<br />

ni<strong>ch</strong>t besteht, werden sie ni<strong>ch</strong>t wie<strong>der</strong>holt bereit sein, an sol<strong>ch</strong>en Diskursen<br />

freiwillig teilzunehmen. Auf die Dauer kann also nur <strong>der</strong>jenige Diskurse führen, <strong>der</strong><br />

eine von zwei Voraussetzungen erfüllt: Entwe<strong>der</strong> muß er tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> bereit sein, das<br />

eigene Handeln na<strong>ch</strong> den Ergebnissen des Diskurses auszuri<strong>ch</strong>ten, in diesem Sinne<br />

also ernsthaft am Diskurs teilnehmen 635 ('genuine Diskursteilnahme' 636 ). O<strong>der</strong> er muß<br />

diese Bereits<strong>ch</strong>aft wenigstens erfolgrei<strong>ch</strong> vortäus<strong>ch</strong>en (geheu<strong>ch</strong>elte genuine Diskursteilnahme<br />

637 ). Damit ist na<strong>ch</strong> Alexy zumindest eine objektive Geltung <strong>der</strong> Diskursregeln<br />

verbunden; wer an Diskursen teilnimmt setzt das Autonomieprinzip notwendig voraus.<br />

cc) Die diskurstheoretis<strong>ch</strong>e Notwendigkeit konkreter Freiheitsre<strong>ch</strong>te (R F )<br />

In Alexys Begründung folgt aus dem Autonomieprinzip zusammen mit <strong>der</strong> Notwendigkeit,<br />

die soziale Ordnung dur<strong>ch</strong> Re<strong>ch</strong>t zu regeln, ein allgemeines Re<strong>ch</strong>t auf Autonomie,<br />

das das allgemeinste Mens<strong>ch</strong>en- und Grundre<strong>ch</strong>t darstellt und au<strong>ch</strong> als 'allgemeines<br />

Freiheitsre<strong>ch</strong>t' bezei<strong>ch</strong>net werden kann:<br />

R F :<br />

»Je<strong>der</strong> hat das Re<strong>ch</strong>t, frei zu beurteilen, was geboten und<br />

was gut ist, und entspre<strong>ch</strong>end zu handeln.« 638<br />

Dabei ist bereits aus dem Inhalt des Re<strong>ch</strong>ts deutli<strong>ch</strong>, daß seine Geltung keine absolute,<br />

regelhafte sein kann, son<strong>der</strong>n daß das Re<strong>ch</strong>t im Konflikt <strong>der</strong> Autonomieansprü<strong>ch</strong>e<br />

vers<strong>ch</strong>iedener Mens<strong>ch</strong>en und mit kollektiven Gütern (Naturs<strong>ch</strong>utz) Geltung als ein<br />

Prinzip hat, also so weit wie mögli<strong>ch</strong> realisiert werden muß (Optimierungsgebot 639 ).<br />

Trotz dieser immanenten Bes<strong>ch</strong>ränkung läßt si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Alexy die in dieser Weise als<br />

umfassend verstandene Autonomie weiter ausdifferenzieren zu einem »Katalog<br />

konkreter o<strong>der</strong> spezieller Grund- und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te« 640 . Dies soll dur<strong>ch</strong> zwei<br />

Operationen ges<strong>ch</strong>ehen. Erstens könne R F auf alle Re<strong>ch</strong>te ausgedehnt werden, die<br />

si<strong>ch</strong> als Spezialfall des allgemeinen Freiheitsre<strong>ch</strong>ts darstellen. Und zweitens seien<br />

au<strong>ch</strong> diejenigen Re<strong>ch</strong>te gewährleistet, <strong>der</strong>en Geltung eine notwendige Voraussetzung<br />

für die Realisierung von R F bilde. Dur<strong>ch</strong> beide Operationen zusammen ergebe<br />

si<strong>ch</strong> ein Katalog von Re<strong>ch</strong>ten, die den öffentli<strong>ch</strong>en Autonomiegebrau<strong>ch</strong> (z.B. Meinungs-,<br />

Versammlungs-, Vereinigungsfreiheit, Wahlre<strong>ch</strong>t) ebenso enthalten wie die<br />

635 Zum Kriterium <strong>der</strong> ernsthaften Teilnahme R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te, S. 149.<br />

636 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 151.<br />

637 Vgl. R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 152: »Wer dur<strong>ch</strong> einen Diskurs Legitimation<br />

erzielen will, muß in diesem Diskurs wenigstens so tun, als ober <strong>der</strong> die Autonomie seiner<br />

Diskurspartner akzeptiert. Er muß ... eine genuine Diskursteilnahme wenigstens heu<strong>ch</strong>eln.«<br />

638 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te, S. 153. Die Glei<strong>ch</strong>heitskomponente wird na<strong>ch</strong> <strong>der</strong><br />

oben ges<strong>ch</strong>il<strong>der</strong>ten Begründung bei Alexy dur<strong>ch</strong> das Konsensargument vervollständigt; vgl. ebd.,<br />

S. 155 ff.<br />

639 R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> Grundre<strong>ch</strong>te (1985), S. 71 ff. Dazu oben S. 36, Fn. 49 (Prinzipien).<br />

640 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 154.<br />

253


private Autonomie (z.B. Vertragsfreiheit) und alle Re<strong>ch</strong>te, die zur Verwirkli<strong>ch</strong>ung<br />

von Freiheit notwendig sind (z.B. subjektive Re<strong>ch</strong>te auf S<strong>ch</strong>utz dur<strong>ch</strong> den Staat, soziale<br />

Grundre<strong>ch</strong>te, Re<strong>ch</strong>t auf ein Existenzminimum) 641 .<br />

c) Die Begründung <strong>der</strong> Demokratie<br />

Ähnli<strong>ch</strong> wie beim Autonomieargument stellt Alexy au<strong>ch</strong> beim Demokratieargument<br />

darauf ab, daß es notwendig ist, für die Anerkennung <strong>der</strong> Freiheit im Diskurs au<strong>ch</strong><br />

eine (Kommunikations- und Mitbestimmungs-)Freiheit im Handeln anzuerkennen.<br />

Das Diskursprinzip lasse si<strong>ch</strong> (annäherungsweise) nur dadur<strong>ch</strong> realisieren, daß demokratis<strong>ch</strong>e<br />

Prozeduren <strong>der</strong> Meinungs- und Willensbildung re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> institutionalisiert<br />

werden 642 . Es gelte <strong>der</strong> Satz: »Wer an Ri<strong>ch</strong>tigkeit und Legitimität interessiert ist,<br />

muß au<strong>ch</strong> an <strong>der</strong> Demokratie interessiert sein« 643 . Die Idee des Diskurses könne nur<br />

in einem demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaat realisiert werden, so daß die Diskurstheorie<br />

si<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong>zeitig als 'Basistheorie des demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaates' erweise<br />

644 .<br />

d) Die Begründung <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heit<br />

Für die Begründung <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heit wählt Alexy den zweiten Weg <strong>der</strong> unmittelbaren<br />

diskurstheoretis<strong>ch</strong>en Begründung, zeigt also, daß die Anerkennung von Glei<strong>ch</strong>heit<br />

im Handeln eine notwendige Folge des Diskurses ist. Bei diesem Begründungsweg<br />

muß man auf einen hypothetis<strong>ch</strong>en Konsens abstellen, den reale Personen unter<br />

idealen Bedingungen errei<strong>ch</strong>en würden (Konsensargument). In vielen Fällen sind<br />

Aussagen über einen sol<strong>ch</strong>en Konsens ni<strong>ch</strong>ts als Spekulation. Do<strong>ch</strong> in einigen elementaren<br />

Fällen läßt si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Alexy mit hinrei<strong>ch</strong>en<strong>der</strong> Si<strong>ch</strong>erheit unabhängig von<br />

<strong>der</strong> realen Dur<strong>ch</strong>führung einzelner Diskurse sagen, was diskursiv notwendige o<strong>der</strong><br />

unmögli<strong>ch</strong>e Ergebnisse sind 645 . Die Glei<strong>ch</strong>heit <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te soll einer dieser<br />

elementaren Fälle sein. Denn jedenfalls in einem idealen Diskurs könne es keine<br />

Gründe geben, aus denen eine unglei<strong>ch</strong>e Verteilung <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te zu re<strong>ch</strong>tfertigen<br />

wäre. Denn <strong>der</strong> ideale Diskurs ist als Inbegriff von Klarheit, Informiertheit und<br />

Unparteili<strong>ch</strong>keit gestaltet, so daß etwa eine rassistis<strong>ch</strong>e Argumentation für die Unglei<strong>ch</strong>heit<br />

<strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te bereits an den elementaren Anfor<strong>der</strong>ungen empiris<strong>ch</strong>er<br />

Wahrheit und begriffli<strong>ch</strong>er Klarheit s<strong>ch</strong>eitert o<strong>der</strong>, bei religiösen o<strong>der</strong> sonst metaphysis<strong>ch</strong>en<br />

Behauptungen, jedenfalls an <strong>der</strong> fehlenden Überprüfbarkeit 646 . Um<br />

au<strong>ch</strong> eine elitäre Argumentation für die Unglei<strong>ch</strong>heit <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te auszus<strong>ch</strong>ließen,<br />

führt Alexy unter an<strong>der</strong>em die empiris<strong>ch</strong>e Prämisse an, daß die Diskursteilnehmer<br />

als reale Personen eine historis<strong>ch</strong>e Kenntnis von <strong>der</strong> Gefahr des Ma<strong>ch</strong>tmißbrau<strong>ch</strong>s<br />

haben. Dadur<strong>ch</strong> lasse si<strong>ch</strong> mit hinrei<strong>ch</strong>en<strong>der</strong> Si<strong>ch</strong>erheit sagen, daß sie,<br />

641 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 154 f.<br />

642 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 163.<br />

643 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 163.<br />

644 Dazu oben S. 247, Fn. 608.<br />

645 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 157.<br />

646 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 158 f.<br />

254


um ni<strong>ch</strong>t zu Opfern zu werden, auf die Glei<strong>ch</strong>heit <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>te in keinem Fall verzi<strong>ch</strong>ten<br />

würden 647 .<br />

e) Die Begründung von Re<strong>ch</strong>tsnormen (S)<br />

Die Theorie Alexys unters<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> von den übrigen Diskurstheorien vor allem dadur<strong>ch</strong>,<br />

daß sie eine enge Verbindung zwis<strong>ch</strong>en Diskurs und Re<strong>ch</strong>t begründet, die<br />

si<strong>ch</strong> im Theorem <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>fallthese zuspitzt:<br />

S: »Der juristis<strong>ch</strong>e Diskurs ist ein Son<strong>der</strong>fall des allgemeinen<br />

praktis<strong>ch</strong>en Diskurses.« 648<br />

Damit ist die weitgehende Aussage verbunden, daß es in allen Arten juristis<strong>ch</strong>er<br />

Diskussion – sei sie wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> (theoretis<strong>ch</strong>, dogmatis<strong>ch</strong>), ri<strong>ch</strong>terli<strong>ch</strong>, legislativ<br />

o<strong>der</strong> administrativ – »notwendig ist, die juristis<strong>ch</strong>e Rationalität diskurstheoretis<strong>ch</strong> zu<br />

deuten.« 649 Konkretisiert zur 'Integrationsthese' besagt S, daß »die Verwendung<br />

spezifis<strong>ch</strong> juristis<strong>ch</strong>er Argumente auf allen Stufen mit <strong>der</strong> allgemeiner praktis<strong>ch</strong>er<br />

Argumente zu verbinden ist.« 650 Dieser Teil <strong>der</strong> Theorie Alexys stellt si<strong>ch</strong> gegen die<br />

Auffassung, daß es einen beson<strong>der</strong>en Anwendungsdiskurs für Re<strong>ch</strong>tsnormen gibt,<br />

<strong>der</strong> vom Begründungsdiskurs losgelöst ist 651 . Mit dem allgemeinen praktis<strong>ch</strong>en<br />

Diskurs haben juristis<strong>ch</strong>e Diskurse das Streben na<strong>ch</strong> praktis<strong>ch</strong>er Ri<strong>ch</strong>tigkeit<br />

gemeinsam. Sie unters<strong>ch</strong>eiden si<strong>ch</strong> von allgemeinen Diskursen vor allem deshalb,<br />

weil juristis<strong>ch</strong>e Argumentation immer an das geltende Re<strong>ch</strong>t gebunden bleibt 652 .<br />

Aus dieser Bindung resultieren unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> intensive Argumentationsbes<strong>ch</strong>ränkungen<br />

je na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Art des juristis<strong>ch</strong>en Diskurses: Ein Re<strong>ch</strong>tswissens<strong>ch</strong>aftler<br />

ist in einem re<strong>ch</strong>tsdogmatis<strong>ch</strong>en (und erst re<strong>ch</strong>t in einem re<strong>ch</strong>tstheoretis<strong>ch</strong>en)<br />

Diskurs freier als <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>ter, <strong>der</strong> in aller Regel dur<strong>ch</strong> die Verfassung explizit an das<br />

positive Re<strong>ch</strong>t gebunden ist, institutionell seine Funktion wahren muß und zu<br />

alledem einem engen Korsett prozessualer Vors<strong>ch</strong>riften unterworfen ist, die<br />

insbeson<strong>der</strong>e eine Ents<strong>ch</strong>eidung in angemessener Zeit und mit vertretbarem<br />

Aufwand von ihm for<strong>der</strong>n. Die Re<strong>ch</strong>tsbindung führt außerdem zu einem<br />

beson<strong>der</strong>en Ri<strong>ch</strong>tigkeitsbegriff des juristis<strong>ch</strong>en Diskurses: Ein Ergebnis ist ri<strong>ch</strong>tig »im<br />

Rahmen <strong>der</strong> geltenden Re<strong>ch</strong>tsordnung« 653 . Damit ist <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>e Ri<strong>ch</strong>tigkeitsbegriff<br />

aber no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t ers<strong>ch</strong>öpft, denn wenn eine geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Ents<strong>ch</strong>eidung ein ungere<strong>ch</strong>tes<br />

Gesetz korrekt anwendet, dann leidet sie na<strong>ch</strong> Alexy do<strong>ch</strong> an einem Fehler. Der<br />

Spielraum im juristis<strong>ch</strong>en Diskurs mag zwar ni<strong>ch</strong>t genügen, um <strong>der</strong> Anwendung des<br />

ungere<strong>ch</strong>ten Gesetzes auszuwei<strong>ch</strong>en, do<strong>ch</strong> es überlebt <strong>der</strong> Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en<br />

diskursiver Rationalität und Re<strong>ch</strong>t: »Die diskursive Rationalität kann zwar ni<strong>ch</strong>t mehr<br />

647 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 160.<br />

648 R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1978), S. 32, 38, 261 ff. (32).<br />

649 R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1991), S. 426 ff. (428).<br />

650 R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1978), S. 32, 38, 261 ff. (38).<br />

651 Dazu oben S. 222 (Anwendungsdiskurs).<br />

652 R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1978), S. 262.<br />

653 R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1991), S. 432 f.<br />

255


den Inhalt <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidung bestimmen, sie bildet aber den Grund für ihre<br />

Fehlerhaftigkeit und den Maßstab für ihre Kritik.« 654<br />

Trotz <strong>der</strong> gewollten (weil komplexitätsreduzierenden) Bes<strong>ch</strong>ränkungen des juristis<strong>ch</strong>en<br />

gegenüber dem allgemeinen praktis<strong>ch</strong>en Diskurs eröffnet die diskurstheoretis<strong>ch</strong>e<br />

Deutung juristis<strong>ch</strong>er Rationalität neue Mögli<strong>ch</strong>keiten, implizite <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgehalte<br />

im Re<strong>ch</strong>t aufzudecken. Wie bei <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, so geht es au<strong>ch</strong> im<br />

Re<strong>ch</strong>t um die Begründung von Normen – genauer: um die Re<strong>ch</strong>tfertigung normativer<br />

Aussagen in Form juristis<strong>ch</strong>er Urteile 655 . Alexy unters<strong>ch</strong>eidet zwis<strong>ch</strong>en interner<br />

und externer Re<strong>ch</strong>tfertigung. In <strong>der</strong> (analytis<strong>ch</strong>en) internen Re<strong>ch</strong>tfertigung geht es<br />

um die innere Wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong>sfreiheit des Urteils. Hier gilt unter an<strong>der</strong>em das Universalisierbarkeitsprinzip<br />

im Sinne <strong>der</strong> Perelmanns<strong>ch</strong>en Bestimmung <strong>der</strong> formalen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>,<br />

das for<strong>der</strong>t: »gere<strong>ch</strong>t sein heißt eine Regel zu bea<strong>ch</strong>ten, wel<strong>ch</strong>e die Verpfli<strong>ch</strong>tung<br />

formuliert, alle Wesen einer bestimmten Kategorie auf eine bestimmte Weise zu<br />

behandeln.« 656 In <strong>der</strong> (empiris<strong>ch</strong>en und normativen) externen Re<strong>ch</strong>tfertigung werden<br />

die Prämissen des Urteils untersu<strong>ch</strong>t. Hierbei sind Regeln <strong>der</strong> Auslegung und Sätze<br />

<strong>der</strong> Dogmatik wegen ihrer 'Entlastungsfunktion' 657 unentbehrli<strong>ch</strong>: »Sie erhöhen ...<br />

das Maß <strong>der</strong> Wirksamkeit des Universalisierbarkeitsprinzips und dienen insofern<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>.« 658<br />

f) Ergebnisse<br />

Konsequenz <strong>der</strong> unmittelbaren diskurstheoretis<strong>ch</strong>en Begründung Alexys ist die diskursiv<br />

notwendige Geltung von Freiheit, Glei<strong>ch</strong>heit und Demokratie: Diese Gebote<br />

gelten als allgemeine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen so wie die ihnen zugrunde liegenden<br />

Diskursregeln zeitli<strong>ch</strong> und räumli<strong>ch</strong> universell, also in je<strong>der</strong> Epo<strong>ch</strong>e und in je<strong>der</strong> sozialen<br />

Ordnung, in China genauso wie in Amerika, in islamis<strong>ch</strong>en Staaten genau wie<br />

in religiös neutralen 659 . Da au<strong>ch</strong> die Transformation <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen in positives<br />

Re<strong>ch</strong>t geboten ist 660 , könnte eine Re<strong>ch</strong>tsordnung, die ni<strong>ch</strong>t Freiheit, Glei<strong>ch</strong>heit<br />

und Demokratie dur<strong>ch</strong> die Institutionalisierung eines demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaates<br />

si<strong>ch</strong>ert, konsequenterweise ni<strong>ch</strong>t gere<strong>ch</strong>t sein.<br />

654 R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1991), S. 433.<br />

655 R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1978), S. 273.<br />

656 C. Perelman, Eine Studie über die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1945), S. 58. Zum Zusammenhang mit <strong>der</strong> internen<br />

Re<strong>ch</strong>tfertigung R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1978), S. 274, 279 mit Fn. 40,<br />

sowie S. 283: »Die Angabe universeller Regeln s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> erlei<strong>ch</strong>tert die Konsistenz des Ents<strong>ch</strong>eidens<br />

und trägt damit zur <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> und Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit bei.«<br />

657 R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1978), S. 329.<br />

658 R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1978), S. 332.<br />

659 A.A. z.B. S.P. Sinha, Non-Universality of Law (1995), S. 193 ff. (China), 200 ff. (Indien), 205 ff.<br />

(Afrika).<br />

660 Vgl. R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 144 ff., wo dies für die Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te<br />

begründet ist.<br />

256


5. Theorie des neutralen Dialogs (B. Ackerman)<br />

a) Die Gesprä<strong>ch</strong>sbes<strong>ch</strong>ränkungen im neutralen Dialog<br />

Die Theorie Ackermans ist weitgehend unabhängig von den deuts<strong>ch</strong>en Diskurstheorien<br />

entstanden 661 . Ackerman bezei<strong>ch</strong>net sein Verständigungsideal dur<strong>ch</strong>weg als<br />

'neutralen Dialog' und nur ausnahmsweise au<strong>ch</strong> als 'neutralen Diskurs' 662 . Jedenfalls<br />

handelt es si<strong>ch</strong> um eine Argumentationstheorie 663 , die dur<strong>ch</strong> das erklärte Ziel <strong>der</strong> Begründung<br />

legitimer Herrs<strong>ch</strong>aft zu einer Theorie <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> wird.<br />

Ackerman formuliert drei Prinzipien <strong>der</strong> Legitimität von Herrs<strong>ch</strong>aft (principles of legitimacy),<br />

die in wörtli<strong>ch</strong>er Übersetzung lauten:<br />

(1) »Rationalität: Wann immer irgend jemand die Legitimität<br />

<strong>der</strong> Ma<strong>ch</strong>t eines an<strong>der</strong>en in Frage stellt, darf <strong>der</strong> Inhaber<br />

<strong>der</strong> Ma<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> Unterdrückung des Fragestellers<br />

antworten, son<strong>der</strong>n dadur<strong>ch</strong>, daß er Gründe angibt, die<br />

erklären, warum er einen stärkeren Anspru<strong>ch</strong> auf die<br />

Ressource hat als <strong>der</strong> Fragesteller.« 664<br />

(2) »Konsistenz. Der Grund, den ein Inhaber von Ma<strong>ch</strong>t bei<br />

einer Gelegenheit vorbringt, darf ni<strong>ch</strong>t inkonsistent sein<br />

mit denjenigen Gründen, die er zur Begründung seiner<br />

übrigen Ma<strong>ch</strong>tansprü<strong>ch</strong>e geltend ma<strong>ch</strong>t.« 665<br />

(3) »Neutralität. Kein Grund ist ein guter Grund, wenn er<br />

erfor<strong>der</strong>t, daß <strong>der</strong> Inhaber von Ma<strong>ch</strong>t geltend ma<strong>ch</strong>t:<br />

(a) daß seine Konzeption des Guten besser ist als diejenige,<br />

die von irgendeinem seiner Mitbürger geltend gema<strong>ch</strong>t<br />

wird o<strong>der</strong><br />

661 Vgl. allein B. Ackerman, Social Justice in the Liberal State (1980), S. 10 mit Fn. 7, wo Ackerman auf<br />

die »ermutigende Betonung <strong>der</strong> Legitimation dur<strong>ch</strong> Konversation« (conversational legitimation) bei<br />

Habermas verweist, den er im übrigen aber inhaltli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t berücksi<strong>ch</strong>tigt.<br />

662 Zu dem 'Dialog' insbeson<strong>der</strong>e B. Ackerman, Social Justice in the Liberal State (1980), S. 349 ff.; 'Diskurs'<br />

etwa auf S. 14: »Neutral discourse ... substantive discourse ...«. Ackerman verwendet an sol<strong>ch</strong>en<br />

Stellen den Diskursbegriff in einem unte<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en Sinn.<br />

663 Vgl. zur deutli<strong>ch</strong>en Abgrenzung von Utilitarismus und Sozialvertragstheorien B. Ackerman, Social<br />

Justice in the Liberal State (1980), S. 313 ff., 327 ff. Ackermans Konzept einer Neutralität könnte allenfalls<br />

no<strong>ch</strong> als Beoba<strong>ch</strong>tertheorie klassifiziert werden, dafür fehlt es aber an <strong>der</strong> typis<strong>ch</strong>en monologis<strong>ch</strong>en<br />

Komponente; ebd., S. 355 ff. ('Beyond Monologue'). Als 'Dialogtheorie' bildet <strong>der</strong><br />

Ansatz folgli<strong>ch</strong> eine beson<strong>der</strong>e Form <strong>der</strong> Argumentationstheorie.<br />

664 B. Ackerman, Social Justice in the Liberal State (1980), S. 4: »Rationality: Whenever anybody questions<br />

the legitimacy of another's power, the power hol<strong>der</strong> must respond not by suppressing the<br />

questioner but by giving a reson that explains why he is more entitled to the resource than the<br />

questioner is.« (Hervorhebung bei Ackerman).<br />

665 B. Ackerman, Social Justice in the Liberal State (1980), S. 7: »Consistency. The reason advanced by a<br />

power wiel<strong>der</strong> on one occasion must not be inconsistent with the reasons he advances to justify<br />

his other claims to power.« (Hervorhebung bei Ackerman).<br />

257


(b) daß, unabhängig von seiner Konzeption des Guten,<br />

er selbst intrinsis<strong>ch</strong> überlegen gegenüber einem o<strong>der</strong><br />

mehreren seiner Mitbürger ist.« 666<br />

Ackerman bezei<strong>ch</strong>net die Funktion dieser Prinzipien in seiner Argumentationstheorie<br />

als diejenige <strong>der</strong> Gesprä<strong>ch</strong>sbes<strong>ch</strong>ränkung (conversational constraints). Das s<strong>ch</strong>eint im<br />

Gegensatz zur Diskurstheorie zu stehen, <strong>der</strong>en Verständigungsideal ja gerade keine<br />

Gesprä<strong>ch</strong>sbes<strong>ch</strong>ränkungen kennt 667 . Do<strong>ch</strong> stellen si<strong>ch</strong> die Prinzipien bei genauerer<br />

Betra<strong>ch</strong>tung ni<strong>ch</strong>t als Inhaltsbes<strong>ch</strong>ränkung des Diskurses, son<strong>der</strong>n ledigli<strong>ch</strong> als dessen<br />

Verfahrensregeln dar – sie sind 'neutrale Bes<strong>ch</strong>ränkungen' 668 . Wie die Diskursregeln<br />

gebieten sie Herrs<strong>ch</strong>aftsfreiheit, Konsistenz, Argumentationslastregeln 669<br />

und diejenigen Regeln, die dur<strong>ch</strong> ein Rollentaus<strong>ch</strong>prinzip 670 gesi<strong>ch</strong>ert werden können.<br />

Die Theorie Ackermans ist damit eine Diskurstheorie.<br />

Analog zum Diskursprinzip D 671 formuliert Ackerman, daß genau diejenige Herrs<strong>ch</strong>aft<br />

legitim ist, die den »Test des neutralen Dialogs« besteht 672 . Diese Begründung<br />

sieht er nur für einen politis<strong>ch</strong>en Liberalismus als erfüllt an, in dem Bedingungen einer<br />

'undominierten Glei<strong>ch</strong>heit' (undominated equality) bestehen 673 , dur<strong>ch</strong> die Mens<strong>ch</strong>en<br />

frei und Ma<strong>ch</strong>tstrukturen gere<strong>ch</strong>t werden 674 .<br />

b) Die Idee <strong>der</strong> dualistis<strong>ch</strong>en Demokratie<br />

Am Beispiel <strong>der</strong> U.S.-Verfassung entwickelt Ackerman in seinem neueren Werk die<br />

Idee <strong>der</strong> dualistis<strong>ch</strong>en Demokratie als eines Anwendungsfalls <strong>der</strong> 'guten Konversation'<br />

675 . Dabei wendet er si<strong>ch</strong> einerseits gegen amerikanis<strong>ch</strong>e Vertreter einer 'monistis<strong>ch</strong>en'<br />

Demokratie, die Volksherrs<strong>ch</strong>aft allein in periodis<strong>ch</strong>en Wahlen vermittelt se-<br />

666 B. Ackerman, Social Justice in the Liberal State (1980), S. 11: »Neutrality. No reason is a good reason<br />

if it requires the power hol<strong>der</strong> to assert: (a) that his conception of the good is better than that asserted<br />

by any of his fellow citizens, or (b) that, regardless of his conception of the good, he is intrinsically<br />

superior to one or more of his fellow citizens.« (Hervorhebung bei Ackerman).<br />

667 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 159; vgl. zur Kritik <strong>der</strong> conversational restraints:<br />

J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 375 f.<br />

668 'Neutral constraints'; B. Ackerman, Social Justice in the Liberal State (1980), S. 15. Entspre<strong>ch</strong>endes<br />

gilt für die (psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>en) Gesprä<strong>ch</strong>svoraussetzungen (conversational presuppositions), von denen<br />

Ackerman an an<strong>der</strong>er Stelle spri<strong>ch</strong>t; ebd., S. 59 ff.<br />

669 Dazu genauer B. Ackerman, Social Justice in the Liberal State (1980), S. 372 f.<br />

670 Dazu oben S. 223 (Regeln <strong>der</strong> Konsistenz und Kohärenz).<br />

671 Dazu oben S. 230 (Konsens und Diskursprinzip).<br />

672 B. Ackerman, Social Justice in the Liberal State (1980), S. 14.<br />

673 Zu den Anfor<strong>der</strong>ungen im einzelnen B. Ackerman, Social Justice in the Liberal State (1980), S. 28.<br />

Unter an<strong>der</strong>em muß eine 'genetis<strong>ch</strong>e Dominanz' einzelner Bürger ausges<strong>ch</strong>lossen werden, je<strong>der</strong><br />

eine liberale Erziehung erhalten und das Erwa<strong>ch</strong>senendasein hat generell unter Bedingungen materieller<br />

Glei<strong>ch</strong>heit zu beginnen.<br />

674 B. Ackerman, Social Justice in the Liberal State (1980), S. 376; bestätigend <strong>der</strong>s., We The People<br />

(1991), S. 317 f.<br />

675 B. Ackerman, We The People (1991), S. 3 ff., 295 ff. (23): »In elaborating the constitutional will of the<br />

People, the dualist begins neither with the will of the present legislature nor the reason of some<br />

utopian assembly. Her aim is the kind of situated un<strong>der</strong>standing one might rea<strong>ch</strong> after a good<br />

conversation.«<br />

258


hen und konsequenterweise alle institutionellen Bes<strong>ch</strong>ränkungen, die dem Wahlgewinner<br />

auferlegt werden, als antidemokratis<strong>ch</strong> einordnen müssen (monistic democrats)<br />

676 . An<strong>der</strong>erseits grenzt er si<strong>ch</strong> gegenüber den 'Re<strong>ch</strong>te-Fundamentalisten' (rights<br />

foundationalists) ab, die das Primat vorpositiver (Freiheits-)Re<strong>ch</strong>te gegenüber <strong>der</strong><br />

Demokratie vertreten 677 . Na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Idee <strong>der</strong> dualistis<strong>ch</strong>en Demokratie kann je<strong>der</strong> beliebige<br />

Inhalt zum Gegenstand <strong>der</strong> Verfassungsnormsetzung (higher lawmaking track)<br />

gema<strong>ch</strong>t werden 678 . Individuelle Re<strong>ch</strong>te sind dann (aber au<strong>ch</strong> nur dann) Trümpfe<br />

gegenüber einfa<strong>ch</strong>er Gesetzgebung und Regierungspolitik (normal demokratic politics),<br />

wenn sie auf diesem Wege Verfassungsrang erhalten 679 . Damit soll die Idee <strong>der</strong> dualistis<strong>ch</strong>en<br />

Demokratie einen Mittelweg zwis<strong>ch</strong>en dem absoluten, vorpositiv begründeten<br />

Vorrang <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>te einerseits (Re<strong>ch</strong>te-Fundamentalismus) und ihrer völligen<br />

Relativierung dur<strong>ch</strong> das Primat <strong>der</strong> Demokratie an<strong>der</strong>erseits (monistis<strong>ch</strong>e Demokratie)<br />

eins<strong>ch</strong>lagen 680 . Die Unters<strong>ch</strong>eidung von einfa<strong>ch</strong>er und verfassungsän<strong>der</strong>n<strong>der</strong><br />

Normsetzung ist das 'Mediationsinstrument' zwis<strong>ch</strong>en den <strong>Theorien</strong> 681 .<br />

Konkreten Nie<strong>der</strong>s<strong>ch</strong>lag findet die Idee <strong>der</strong> dualistis<strong>ch</strong>en Demokratie in <strong>der</strong><br />

(Re-)Aktivierung <strong>der</strong> verfassunggebenden und <strong>der</strong> verfassungsän<strong>der</strong>nden Gewalten<br />

682 . Neben <strong>der</strong> 'klassis<strong>ch</strong>en' Verfassungsän<strong>der</strong>ung im rigiden System des Artikels<br />

V <strong>der</strong> U.S.-amerikanis<strong>ch</strong>en Verfassung will Ackerman eine 'mo<strong>der</strong>ne' Verfassungsän<strong>der</strong>ung<br />

dur<strong>ch</strong> 'mobilisierte Deliberation' des Verfassungsgeri<strong>ch</strong>ts ausma<strong>ch</strong>en 683 . Eine<br />

Parlamentsmehrheit, die mit ihren Gesetzen am Verfassungsre<strong>ch</strong>t gelten<strong>der</strong> Doktrin<br />

s<strong>ch</strong>eitert, könne mit Beharrungsvermögen und deutli<strong>ch</strong>er Bestätigung in <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>wahl<br />

errei<strong>ch</strong>en, daß das Verfassungsgeri<strong>ch</strong>t einen Interpretationswandel vornimmt,<br />

<strong>der</strong> einer formalen Verfassungsän<strong>der</strong>ung glei<strong>ch</strong>kommt 684 . Die nur bes<strong>ch</strong>ränkte<br />

Übertragbarkeit <strong>der</strong> Idee einer dualistis<strong>ch</strong>en Demokratie auf an<strong>der</strong>e Verfassungsordnungen<br />

gesteht Ackerman zu 685 . Immerhin skizziert er mit diesem Ent-<br />

676 B. Ackerman, We The People (1991), S. 7 f.: Oliver Wendell Holmes, Alexan<strong>der</strong> Bickel, John Ely u.a.<br />

677 B. Ackerman, We The People (1991), S. 10 ff., 33: John Rawls, Robert Nozick u.a., vor allem au<strong>ch</strong> in<br />

Kontinentaleuropa.<br />

678 Vgl. B. Ackerman, We The People (1991), S. 12 ff. (14 f.). Am Beispiel <strong>der</strong> hypothetis<strong>ch</strong>en Verfassungsnorm:<br />

»Christianity is established as the state religion of the American people, and the public<br />

worship of other gods is hereby forbidden.« und Ackermans Beurteilung: »While I hope that I<br />

would stick to my conviction that this Christianity amendment was terribly wrong, I would<br />

uphold it as a fundamental part of the American Constitution«.<br />

679 Zur Idee von 'Re<strong>ch</strong>ten als Trümpfen' vgl. R. Dworkin, Rights as Trumps (1981), S. 153: »Rights are<br />

best un<strong>der</strong>stood as trumps over some background justification for political decisions that states a<br />

goal for the community as a whole.«<br />

680 Vgl. B. Ackerman, We The People (1991), S. 12 f., 32; vgl. S. 171 (third way); 193 (Bezugnahme auf<br />

Hamilton).<br />

681 B. Ackerman, We The People (1991), S. 12: »The basic mediating device is the dualist's two-track<br />

system of democratic lawmaking.«<br />

682 Vgl. unten S. 340 ff. (Verfassungsnormsetzung als realer Diskurs).<br />

683 B. Ackerman, We The People (1991), S. 266 ff. (268) – mobilized deliberation.<br />

684 B. Ackerman, We The People (1991), S. 268: »[T]he Court executes a 'swit<strong>ch</strong> in time' without awaiting<br />

a formal constitutional amendment.«<br />

685 Vgl. B. Ackerman, We The People (1991), S. 320 f. – Deuts<strong>ch</strong>land als Beispiel für eine Verfassungsordnung,<br />

in <strong>der</strong> die Grundre<strong>ch</strong>tsordnung zum unverän<strong>der</strong>li<strong>ch</strong>en Bestandteil erklärt wird (entren<strong>ch</strong>ment).<br />

259


wurf, in wel<strong>ch</strong>er Weise eine mehrstufige diskursive Kontrolle im demokratis<strong>ch</strong>en<br />

Verfassungsstaat Wirkli<strong>ch</strong>keit werden kann 686 .<br />

c) Ergebnisse<br />

Ackermans Katalog <strong>der</strong> Legitimationsprinzipien bietet gegenüber den europäis<strong>ch</strong>en<br />

Diskurstheorien inhaltli<strong>ch</strong> keinen Gewinn und hat zudem den Na<strong>ch</strong>teil, ein Katalog<br />

eklektis<strong>ch</strong>er Klugheitsregeln zu sein, weil die Stringenz einer transzendentalen Begründung<br />

fehlt. Die Idee <strong>der</strong> dualistis<strong>ch</strong>en Demokratie ist auf die Verfassung <strong>der</strong><br />

U.S.A. abgestimmt und kann nur insofern theoretis<strong>ch</strong> fru<strong>ch</strong>tbar gema<strong>ch</strong>t werden, als<br />

sie ein Anwendungsbeispiel für die mehrstufig diskursive Kontrolle dur<strong>ch</strong> Normenebenen<br />

im demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaat bildet.<br />

Insgesamt kann zusammenfassend festgehalten werden: Die <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en<br />

Grundposition fragen na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit eines Handelns für alle Betroffenen.<br />

Sie kommen in den Darstellungsformen <strong>der</strong> Sozialvertrags-, Beoba<strong>ch</strong>ter- und Diskurstheorien<br />

vor. Trotz vielfa<strong>ch</strong>er Ähnli<strong>ch</strong>keiten im Ergebnis unters<strong>ch</strong>eiden sie si<strong>ch</strong><br />

grundlegend in <strong>der</strong> Methodik <strong>der</strong> Begründung.<br />

686 Dazu unten S. 334 ff. (mittelbare Begründung gere<strong>ch</strong>ten Re<strong>ch</strong>ts).<br />

260


Vierter Teil:<br />

Analyse und Kritik von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

A. <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>en Grundposition<br />

I. Zur Analyse <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskepsis ('Mün<strong>ch</strong>hausen-Trilemma',<br />

H. Albert)<br />

Die Grundthese <strong>der</strong> 'Antitheorien' <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> besagt, daß si<strong>ch</strong> Normen <strong>der</strong><br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> – wie überhaupt alle Aussagen über die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Handelns – einer<br />

positiven Begründung entziehen. Diese Skepsis, die inhaltli<strong>ch</strong> mit ganz unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en<br />

Argumenten gegen Konzeptionen <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft begründet<br />

wird, ist analytis<strong>ch</strong>-epistemologis<strong>ch</strong> vom kritis<strong>ch</strong>en Rationalismus im sogenannten<br />

Mün<strong>ch</strong>hausen-Trilemma aufgearbeitet worden 1 . Das von Albert wirkmä<strong>ch</strong>tig formulierte<br />

Trilemma bildet eine geeignete Grundlage für die Auseinan<strong>der</strong>setzung mit <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskepsis:<br />

»Wenn man für alles eine Begründung verlangt, muß man au<strong>ch</strong><br />

für die Erkenntnisse, auf die man jeweils die zu begründende Auffassung ... zurückgeführt<br />

hat, wie<strong>der</strong> eine Begründung verlangen. Das führt zu einer Situation mit drei<br />

Alternativen, die alle drei unakzeptabel ers<strong>ch</strong>einen, also: zu einem Trilemma, das i<strong>ch</strong><br />

... das Mün<strong>ch</strong>hausen-Trilemma nennen mö<strong>ch</strong>te. Man hat hier offenbar nämli<strong>ch</strong> nur die<br />

Wahl zwis<strong>ch</strong>en: 1. einem infiniten Regreß, ... 2. einem logis<strong>ch</strong>en Zirkel ... und s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong>:<br />

3. einem Abbru<strong>ch</strong> des Verfahrens ... dur<strong>ch</strong> Rekurs auf ein Dogma.« 2<br />

Das Trilemma erstreckt si<strong>ch</strong> auf die Normbegründung im allgemeinen. Eine<br />

Norm 3 kann nur dadur<strong>ch</strong> begründet werden, daß mindestens ein weiterer normativer<br />

Satz benutzt wird (z.B.: 'Es ist verboten, A zum Tode zu verurteilen, weil die Todesstrafe<br />

verboten ist.'), denn wenn man eine auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>tnormative Begründung<br />

versu<strong>ch</strong>t, so entsteht entwe<strong>der</strong> eine analytis<strong>ch</strong>e Aussage, die allein die Norm inhaltli<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t begründen kann ('Verbote sollen bea<strong>ch</strong>tet werden.') 4 , o<strong>der</strong> es liegt eine empiris<strong>ch</strong>e<br />

Aussage zugrunde, die zusammen mit <strong>der</strong> normativen Konklusion einen realistis<strong>ch</strong>en<br />

Fehls<strong>ch</strong>luß bildet ('Die Todesstrafe ist verboten, weil niemand gern<br />

stirbt.') 5 . Da also für jeden normativen Satz wie<strong>der</strong>um mindestens ein normativer<br />

1 Vgl. dazu H. Albert, Die Wissens<strong>ch</strong>aft und die Fehlbarkeit <strong>der</strong> Vernunft (1982), S. 58 ff.; <strong>der</strong>s., Traktat<br />

über kritis<strong>ch</strong>e Vernunft (1991), S. 13 ff.; in <strong>der</strong> Sa<strong>ch</strong>e ebenso K.R. Popper, Logik <strong>der</strong> Fors<strong>ch</strong>ung<br />

(1989), S. 60 – Trilemma (Dogmatismus, unendli<strong>ch</strong>er Regreß, psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>e Basis).<br />

2 H. Albert, Traktat über kritis<strong>ch</strong>e Vernunft (1991), S. 1 (Hervorhebungen bei Albert).<br />

3 Vgl. oben S. 71 (D N – die Verbindung eines deontis<strong>ch</strong>en Operators mit einer Handlungsweise; Gebot,<br />

Verbot, Erlaubnis).<br />

4 Vgl. dazu H. Albert, Traktat über kritis<strong>ch</strong>e Vernunft (1991), S. 13 f.: »Dur<strong>ch</strong> logis<strong>ch</strong>e Folgerung<br />

kann niemals Gehalt gewonnen werden. ... [Sie] dient ... ni<strong>ch</strong>t dazu, neue Informationen zu erzeugen.<br />

Das bedeutet unter an<strong>der</strong>em, daß aus analytis<strong>ch</strong>en Aussagen keine gehaltvollen Aussagen<br />

deduzierbar sind.«<br />

5 Der 'realistis<strong>ch</strong>e' o<strong>der</strong> 'naturalistis<strong>ch</strong>e Fehls<strong>ch</strong>luß' (naturalistic fallacy) besagt, daß eine evaluative<br />

o<strong>der</strong> normative Aussage (Werturteil, Norm) ni<strong>ch</strong>t logis<strong>ch</strong> fehlerfrei allein auf deskriptive Aussagen<br />

(Tatsa<strong>ch</strong>enbehauptungen) gestützt werden kann. Der Grundsatz wird au<strong>ch</strong> Sein-Sollens-<br />

Fehls<strong>ch</strong>luß genannt, da er die strikte Trennung von Sein (is) und Sollen (ought) verlangt; vgl.<br />

261


Satz zur Begründung erfor<strong>der</strong>li<strong>ch</strong> ist ('Die Todesstrafe ist verboten, weil kein Mens<strong>ch</strong><br />

über das Lebensre<strong>ch</strong>t eines an<strong>der</strong>en urteilen darf.' u.s.w.) entsteht das Mün<strong>ch</strong>hausen-<br />

Trilemma bei <strong>der</strong> Begründung je<strong>der</strong> Norm, insbeson<strong>der</strong>e au<strong>ch</strong> bei <strong>der</strong> von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

6 . <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskeptiker ma<strong>ch</strong>en deshalb geltend, daß es niemals<br />

mögli<strong>ch</strong> ist, eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm zu begründen, indem man ihre praktis<strong>ch</strong>e Ri<strong>ch</strong>tigkeit<br />

zeigt 7 . Für sol<strong>ch</strong>e 'Ri<strong>ch</strong>tigkeit', wie für jede Erkenntnis, gelte: »Alle Si<strong>ch</strong>erheiten<br />

in <strong>der</strong> Erkenntnis sind selbstfabriziert und damit für die Erfassung <strong>der</strong> Wirkli<strong>ch</strong>keit<br />

wertlos.« 8<br />

Was ist nun gegen dieses Grundargument des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskeptizismus einzuwenden?<br />

Ein naheliegen<strong>der</strong> Ausweg aus dem Trilemma besteht darin, auf eine<br />

prozedurale statt auf eine materiale Begründung zu setzen, also die Regeln einer rationalen<br />

Begründung von Normen zu formulieren statt konkrete Gründe für einzelne<br />

Normen anzugeben 9 . Bei <strong>der</strong> Begründung sol<strong>ch</strong>er Regeln stellt si<strong>ch</strong> das Trilemma<br />

indes auf einer übergeordneten Ebene erneut, denn au<strong>ch</strong> Regeln für rationale Argumentation<br />

sind Normen 10 . Es sind vers<strong>ch</strong>iedene Argumentationswege vorges<strong>ch</strong>lagen<br />

worden, die aus diesem Trilemma auf <strong>der</strong> Metaebene herausführen sollen 11 .<br />

Hier soll ein an<strong>der</strong>er Einwand gegen das Mün<strong>ch</strong>hausen-Trilemma erhoben werden,<br />

<strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>t die epistemologis<strong>ch</strong>e Ri<strong>ch</strong>tigkeit, son<strong>der</strong>n die argumentative Rei<strong>ch</strong>weite<br />

des Trilemmas in Frage stellt. Das Trilemma gilt, so <strong>der</strong> Einwand, nur für<br />

Letztbegründung. Diese wird aber ni<strong>ch</strong>t von allen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien bean-<br />

G.E. Moore, Principia Ethica (1903), S. 10 ff. – naturalistic fallacy; J.R. Searle, Spee<strong>ch</strong> Acts (1969),<br />

S. 132 ff., 175 ff. – zur Relativierung des Grundsatzes (naturalistic fallacy fallacy). Polemis<strong>ch</strong> wird<br />

gelegentli<strong>ch</strong> von 'Verblendung' o<strong>der</strong> 'transzendentaler Illusion' gespro<strong>ch</strong>en; J.-F. Lyotard, Der Wi<strong>der</strong>streit<br />

(1983), S. 185. Die Di<strong>ch</strong>otomie von Tatsa<strong>ch</strong>enbehauptungen und Werturteilen findet ihren<br />

philosophis<strong>ch</strong>en Nie<strong>der</strong>s<strong>ch</strong>lag in <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung von theoretis<strong>ch</strong>er und praktis<strong>ch</strong>er Philosophie;<br />

vgl. oben S. 27 (<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> und praktis<strong>ch</strong>e Vernunft). Sie hat re<strong>ch</strong>tsdogmatis<strong>ch</strong>e Bedeutung<br />

etwa für die Konkretisierung <strong>der</strong> Meinungsäußerungsfreiheit und bei bestimmten Äußerungs-<br />

und Täus<strong>ch</strong>ungsdelikten; vgl. aus <strong>der</strong> neueren Literatur B. Timm, Tatsa<strong>ch</strong>enbehauptungen<br />

und Meinungsäußerungen (1996), S. 29 ff.; E. Hilgendorf, Tatsa<strong>ch</strong>enaussagen und Werturteile<br />

(1998), S. 13 ff., 43 ff.<br />

6 Dazu oben S. 72 (D NG – die Verbindung eines deontis<strong>ch</strong>en Operators mit einer sozialbezogenen<br />

Handlungsweise; Gebot, Verbot, Erlaubnis).<br />

7 Vgl. etwa die auf Albert gestützte Kritik an Diskurstheorien bei H. Keuth, Erkenntnis o<strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidung<br />

(1993), S. 203 ff., 260 ff., 351: »[D]as diskurstheoretis<strong>ch</strong>e Verfahren taugt ni<strong>ch</strong>t dazu,<br />

Normen und Gebote auf eine Weise zu begründen, die sie als in einem wahrheitsanalogen Sinne<br />

ri<strong>ch</strong>tig auswiese.«<br />

8 H. Albert, Traktat über kritis<strong>ch</strong>e Vernunft (1991), S. 36 (bei Albert hervorgehoben).<br />

9 Vgl. dazu R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1978), S. 223 ff.<br />

10 R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1978), S. 225.<br />

11 Alexy s<strong>ch</strong>lägt (ni<strong>ch</strong>t abs<strong>ch</strong>ließend) vier Begründungsweisen vor (te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>, empiris<strong>ch</strong>, definitoris<strong>ch</strong>,<br />

universalpragmatis<strong>ch</strong>), die in einem 'diskurstheoretis<strong>ch</strong>en Diskurs' über die Begründung<br />

<strong>der</strong> Diskursregeln kombiniert werden könnten; R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation<br />

(1978), S. 225 ff. (233). Jansen weist die unerfüllbaren epistemologis<strong>ch</strong>en Anfor<strong>der</strong>ungen des kritis<strong>ch</strong>en<br />

Rationalismus mit einem 'Inakzeptabilitätsargument' zurück; N. Jansen, Struktur <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

(1998), S. 193 f. Strangas versu<strong>ch</strong>t die logis<strong>ch</strong>e Wi<strong>der</strong>legung des Trilemmas; J. Strangas,<br />

Bemerkungen zum Problem <strong>der</strong> Letztbegründung (1984), S. 476 ff.<br />

262


spru<strong>ch</strong>t und muß au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t beanspru<strong>ch</strong>t werden 12 . Letztbegründung in Form eines<br />

transzendentalen Arguments <strong>der</strong> Diskursethik findet si<strong>ch</strong> beispielsweise bei Apel<br />

und Kuhlmann 13 . Das Argument besagt, daß ohne die Geltung <strong>der</strong> Diskursregeln (also<br />

Normen!) keine Kommunikation stattfinden könnte, Kommunikation aber notwendig<br />

stattfindet, die Diskursregeln also notwendig gelten müssen 14 . Au<strong>ch</strong> in hobbesianis<strong>ch</strong>en<br />

<strong>Theorien</strong> wird vereinzelt eine Letztbegründung versu<strong>ch</strong>t. Ein Beispiel<br />

dafür ist <strong>der</strong> bekennende 'Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>tsfundamentalismus' in <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie<br />

Höffes 15 . Im übrigen aber bes<strong>ch</strong>ränken si<strong>ch</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien auf einen<br />

Geltungsanspru<strong>ch</strong> im Rahmen ihrer empiris<strong>ch</strong>en und normativen Prämissen. Die<br />

Überzeugungskraft dieser Prämissen ist auss<strong>ch</strong>laggebend für die Theorie insgesamt.<br />

Gerade deshalb versu<strong>ch</strong>en prozedurale <strong>Theorien</strong>, si<strong>ch</strong> auf mögli<strong>ch</strong>st starke prozedurale<br />

Elemente und mögli<strong>ch</strong>st s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>e materiale Prämissen zu stützen 16 .<br />

Die Letztbegründung von Normen erweist si<strong>ch</strong> jedenfalls für die Aufgabenstellung<br />

von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien als entbehrli<strong>ch</strong> 17 . Wenn beispielsweise eine Theorie<br />

von <strong>der</strong> s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en materialen Prämisse ausgeht, daß Mens<strong>ch</strong>en kommunizieren und<br />

dabei die Geltung von Diskursregeln voraussetzen, dann muß ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> eine<br />

Letztbegründung geführt werden, daß die mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Kommunikation notwendig<br />

in alle Ewigkeit zu den mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Aktivitäten gehört 18 . Der Sa<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> ist das ein<br />

Abbru<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Begründung im Sinne Alberts – aber kein unakzeptabler. Zwar kann bei<br />

einem 'Abbru<strong>ch</strong>' <strong>der</strong> Begründung nur no<strong>ch</strong> in einem einges<strong>ch</strong>ränkten Sinn von Ri<strong>ch</strong>tigkeit<br />

gespro<strong>ch</strong>en werden 19 . Eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie wäre s<strong>ch</strong>on dann falsifiziert,<br />

12 Ausdrückli<strong>ch</strong> J. Habermas, Erläuterungen zur Diskursethik (1991), S. 194 f.: »Der im s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en<br />

Sinne transzendentale Na<strong>ch</strong>weis ... genügt freili<strong>ch</strong>, um den universalistis<strong>ch</strong>en, nämli<strong>ch</strong> für alle<br />

spra<strong>ch</strong>- und handlungsfähigen Subjekte verbindli<strong>ch</strong>en Geltungsanspru<strong>ch</strong> eines prozedural gefaßten<br />

Moralprinzips zu begründen. ... Eine Letztbegründung <strong>der</strong> Ethik ist we<strong>der</strong> mögli<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> nötig.«<br />

Vgl. P. Gril, Alexys Version einer transzendentalpragmatis<strong>ch</strong>en Begründung <strong>der</strong> Diskursregeln<br />

im Unters<strong>ch</strong>ied zu Habermas (1997), S. 215 f.; <strong>der</strong>s., Mögli<strong>ch</strong>keit praktis<strong>ch</strong>er Erkenntnis<br />

(1998), S. 149 f. – Gril meint indes, die Theorie Alexys könne an<strong>der</strong>s als diejenige von Habermas das<br />

Mün<strong>ch</strong>hausen-Trilemma ni<strong>ch</strong>t vermeiden. Das ist s<strong>ch</strong>on deshalb wenig plausibel, weil Alexy ausdrückli<strong>ch</strong><br />

eine im Verglei<strong>ch</strong> zu Habermas »s<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>ere Variante« <strong>der</strong> Begründung von Diskursregeln<br />

vertritt; R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1978), S. 231. Vgl. zum relativen<br />

Ri<strong>ch</strong>tigkeitsanspru<strong>ch</strong> gegenüber einem absoluten Wahrheitsanspru<strong>ch</strong> ebd., S. 223 f.<br />

13 Zur Letztbegründung bei Apel bereits oben S. 233.<br />

14 Zur Analyse <strong>der</strong> logis<strong>ch</strong>en Struktur dieses tranzendentalen Arguments N. Jansen, Struktur <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

(1998), S. 191 f. Dazu oben S. 225 (transzendentales Argument), S. 229 (Letztbegründung<br />

als Variante <strong>der</strong> Diskurstheorie), S. 233 (Letztbegründung bei Apel).<br />

15 Dazu oben S. 193 ff. (Theorie des transzendentalen Taus<strong>ch</strong>es).<br />

16 Dazu oben S. 139 ff. (Grenzziehung zwis<strong>ch</strong>en prozeduralen und materialen <strong>Theorien</strong>).<br />

17 Ablehnend zur Letztbegründung als Aufgabe <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsphilosophie au<strong>ch</strong> J. Habermas, Erläuterungen<br />

zur Diskursethik (1991), S. 195.<br />

18 Als Beispiel für eine sol<strong>ch</strong>e, ni<strong>ch</strong>t die Letztbegründung implizierende Begründung siehe die<br />

Theorie Alexys oben S. 247 ff. An<strong>der</strong>e Eins<strong>ch</strong>ätzung (Alexy meine Letztbegründung, s<strong>ch</strong>eitere aber<br />

an diesem Anspru<strong>ch</strong>) bei E. Hilgendorf, Zur transzendentalpragmatis<strong>ch</strong>en Begründung von Diskursregeln<br />

(1995), S. 199 f.; ansatzweise bereits <strong>der</strong>s., Argumentation in <strong>der</strong> Jurisprudenz (1991),<br />

S. 187.<br />

19 Zu dieser Folge einer 'Ri<strong>ch</strong>tigkeit' in einem einges<strong>ch</strong>ränkten Sinne R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en<br />

Argumentation (1978), S. 223.<br />

263


wenn ihre Prämissen wi<strong>der</strong>legt werden könnten 20 . Ein relativer Ri<strong>ch</strong>tigkeitsanspru<strong>ch</strong><br />

kann indes genügen, solange si<strong>ch</strong>ergestellt ist, daß die Prämissen s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong><br />

genug gewählt sind, um eine Begründung jetzt und in absehbarer Zukunft zu tragen.<br />

S<strong>ch</strong>on eine 'Jetztbegründung' <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> für die allgemeinste Lebensform<br />

(und Spra<strong>ch</strong>konvention 21 ) <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>en, wie sie in <strong>der</strong> Gegenwart gepflegt wird,<br />

kann eine befriedigende Antwort auf die Frage na<strong>ch</strong> dem ri<strong>ch</strong>tigen Handeln und<br />

dem ri<strong>ch</strong>tigen Re<strong>ch</strong>t geben. Wer außerdem no<strong>ch</strong> Letztbegründung bieten will, versu<strong>ch</strong>t<br />

mehr zu leisten, als von einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie erwartet werden muß 22 .<br />

Im Ergebnis geht <strong>der</strong> gere<strong>ch</strong>tigkeitsskeptis<strong>ch</strong>e Einwand des Mün<strong>ch</strong>hausen-Trilemmas<br />

also ins Leere. Er kann zwar einer Letztbegründung entgegengehalten werden.<br />

Do<strong>ch</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien sind auf sol<strong>ch</strong>e Letztbegründung ni<strong>ch</strong>t angewiesen.<br />

Ein Abbru<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Begründung ist keinesfalls immer unakzeptabel 23 . Bereits mit<br />

<strong>der</strong> Rückführung auf s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>e Prämissen ist ein erhebli<strong>ch</strong>er Gewinn an Rationalität<br />

verbunden – jedenfalls vergli<strong>ch</strong>en mit einem völligen Begründungsverzi<strong>ch</strong>t (<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskeptizismus).<br />

S<strong>ch</strong>on wenn gezeigt wird, daß eine normative Aussage mehr<br />

o<strong>der</strong> weniger gut begründet sein kann 24 , ist <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskeptizismus <strong>der</strong><br />

nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>en Grundposition wi<strong>der</strong>legt.<br />

20 Vgl. K.R. Popper, Logik <strong>der</strong> Fors<strong>ch</strong>ung (1989), S. 26 – Falsifizierbarkeit als Kriterium <strong>der</strong> Wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>keit.<br />

Man kann es geradezu als Merkmal wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Lauterkeit begreifen, wenn<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien die Prämissen, unter denen ihre Ergebnisse gelten, deutli<strong>ch</strong> ausweisen.<br />

Ni<strong>ch</strong>t zuzustimmen ist allerdings Poppers Setzung, daß es Falsifizierbarkeit nur bei empiris<strong>ch</strong>en<br />

Satzsystemen und Falsifikation nur bezügli<strong>ch</strong> (empiris<strong>ch</strong>er) Basissätze geben könne; K.R. Popper,<br />

Logik <strong>der</strong> Fors<strong>ch</strong>ung (1989), S. 54 f. Im Gegensatz dazu wird hier als Falsifikation jede Wi<strong>der</strong>legung<br />

eines notwendigen Begründungselementes einer Theorie angesehen, glei<strong>ch</strong> ob das Element ein<br />

empiris<strong>ch</strong>er, analytis<strong>ch</strong>er o<strong>der</strong> normativer Satz ist und glei<strong>ch</strong> ob die Wi<strong>der</strong>legung dur<strong>ch</strong> Tatsa<strong>ch</strong>enermittlung<br />

o<strong>der</strong> dur<strong>ch</strong> an<strong>der</strong>e Entkräftung, etwa in einem realen praktis<strong>ch</strong>en Diskurs, erfolgt.<br />

Erkennbarkeit und Ausweis sol<strong>ch</strong>er notwendigen Begründungselemente, gewissermaßen <strong>der</strong><br />

'Sollbru<strong>ch</strong>stellen' einer Theorie, dienen folgli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>keit einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie.<br />

Zur falsifikatoris<strong>ch</strong>en Methode in <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie U. Steinvorth, Glei<strong>ch</strong>e Freiheit<br />

(1999), S. 38 ff.<br />

21 Vgl. R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1978), S. 74 – Lebensform und Spra<strong>ch</strong>spiel.<br />

22 Der vieldiskutierten Mögli<strong>ch</strong>keit einer sol<strong>ch</strong>en Letztbegründung kann und muß hier ni<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong>gegangen<br />

werden; vgl. zum Diskussionsstand K.-O. Apel, Diskurs und Verantwortung (1988),<br />

S. 271 ff.; W. Kuhlmann, Bemerkungen zum Problem <strong>der</strong> Letztbegründung (1993), S. 212 ff.; beide<br />

m.w.N.<br />

23 Vgl. die Parallele zu Kelsens Idee einer Grundnorm; H. Kelsen, Das Problem <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

(1960), S. 364: »Das Verfahren <strong>der</strong> normativen Geltungsbegründung führt aber notwendigerweise<br />

zu einem Endpunkt, zu einer allerhö<strong>ch</strong>sten, allgemeinsten, ni<strong>ch</strong>t weiter begründbaren Norm, zu<br />

<strong>der</strong> sogenannten Grundnorm, <strong>der</strong>en objektive Geltung vorausgesetzt wird, wenn das Sollen, das<br />

<strong>der</strong> subjektive Sinn irgendwel<strong>ch</strong>er Akte ist, als <strong>der</strong>en objektiver Sinn legitimiert wird. Wäre dem<br />

an<strong>der</strong>s, wäre das Verfahren <strong>der</strong> normativen Geltungsbegründung so wie das Verfahren <strong>der</strong> kausalen<br />

Erklärung, das, dem Begriff <strong>der</strong> Kausalität gemäß, zu keinem Ende, zu keiner letzten Ursa<strong>ch</strong>e<br />

führen kann, endlos, bliebe die Frage, wie wir handeln sollen, unbeantwortbar.«<br />

24 So das vorsi<strong>ch</strong>tige Fazit bei R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 126: »unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e<br />

Grade <strong>der</strong> Relativität von Werturteilen«.<br />

264


II.<br />

Zur Kritik an <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskepsis<br />

Gegen die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskepsis in <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>en Grundposition<br />

läßt si<strong>ch</strong> erstens einwenden, daß sie die weitgehende Übereinstimmung in einzelnen<br />

Fragen des ri<strong>ch</strong>tigen Handelns ni<strong>ch</strong>t zu erklären vermag, und zweitens, daß au<strong>ch</strong><br />

Skeptiker si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in Beliebigkeit flü<strong>ch</strong>ten können, son<strong>der</strong>n für die realen Gestaltungsaufgaben<br />

<strong>der</strong> sozialen Ordnung eine Antwort finden müssen, die wie<strong>der</strong>um<br />

ni<strong>ch</strong>t ohne normative Vorgaben auskommt. Der erste Einwand läßt si<strong>ch</strong> am Skeptizismus<br />

Kelsens, <strong>der</strong> zweite an demjenigen Hayeks illustrieren. Die Einwände gelten<br />

aber allgemein für alle 'Antitheorien' <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in <strong>der</strong> nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>en<br />

Grundposition.<br />

Zum ersten Einwand: Der re<strong>ch</strong>tsethis<strong>ch</strong>e Relativismus Kelsens kann ni<strong>ch</strong>t erklären,<br />

warum zumindest im Berei<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>tsstaatli<strong>ch</strong>er Verfahrensgrundsätze weitgehende,<br />

au<strong>ch</strong> international und über lange historis<strong>ch</strong>e Zeiträume festzustellende Einigkeit<br />

darüber besteht, was gere<strong>ch</strong>t und was ungere<strong>ch</strong>t ist. Der Grundsatz, im Streit au<strong>ch</strong><br />

die an<strong>der</strong>e Seite anzuhören (audiatur et altera pars), und das Verbot, in eigener Sa<strong>ch</strong>e<br />

zu ri<strong>ch</strong>ten (nemo iudex in sua causa), sind Beispiele für unstreitige <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien<br />

im Verfahrensre<strong>ch</strong>t 25 . In auffälliger Weise bes<strong>ch</strong>ränkt Kelsen seine Kritik auf<br />

die Unbestimmtheit formaler Klugheitsregeln über die ri<strong>ch</strong>tige Verteilung 26 – eine<br />

Unbestimmtheit, die von neueren <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien überhaupt ni<strong>ch</strong>t bestritten<br />

wird. Die 'Globalwi<strong>der</strong>legung' <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, die Kelsen dur<strong>ch</strong> einen Angriff auf<br />

die inhaltli<strong>ch</strong>e Beliebigkeit von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sformeln versu<strong>ch</strong>t, geht fehlt, weil die<br />

Formelhaftigkeit nur eine Selbstverständli<strong>ch</strong>keit ausdrückt 27 . Der Relativismus Kelsens<br />

abstrahiert ni<strong>ch</strong>t nur von inhaltli<strong>ch</strong>en Bestimmungsversu<strong>ch</strong>en, son<strong>der</strong>n übersieht<br />

vor allem das Phänomen <strong>der</strong> prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 28 und kann infolgedessen<br />

die inhaltsunabhängige Ri<strong>ch</strong>tigkeit bestimmter Verfahrensnormen ni<strong>ch</strong>t adäquat<br />

berücksi<strong>ch</strong>tigen. Das ist um so erstaunli<strong>ch</strong>er, als Kelsen selbst in seiner Demokratietheorie<br />

ein ausgefeiltes System ri<strong>ch</strong>tigkeitsverbürgen<strong>der</strong> Verfahrensgarantien<br />

vors<strong>ch</strong>lägt 29 , die allerdings bei ihm in die wertrelativistis<strong>ch</strong>e Prämisse einbezogen<br />

sind und deshalb keinen höheren Anspru<strong>ch</strong> auf Ri<strong>ch</strong>tigkeit erheben können als Regeln<br />

autokratis<strong>ch</strong>er Systeme 30 . Wenn Verfahrensregeln aber bloß als neutrale Rückzugsposition<br />

angesi<strong>ch</strong>ts <strong>der</strong> Unents<strong>ch</strong>eidbarkeit von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen fungieren,<br />

dann verfehlt das ihre Bedeutung in realen Verfahren: dort sollen sie ni<strong>ch</strong>t nur Neutralitäts-,<br />

son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeitsgarantien sein. Der Ri<strong>ch</strong>ter hört ni<strong>ch</strong>t nur deshalb<br />

beide Seiten an, weil er damit seine institutionelle Unparteili<strong>ch</strong>keit beweisen<br />

kann, son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong>, weil das einer im Ergebnis ri<strong>ch</strong>tigen Ents<strong>ch</strong>eidung, mithin <strong>der</strong><br />

25 O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 43. Zum umfangrei<strong>ch</strong>en Bestand sol<strong>ch</strong>er Prinzipien<br />

vgl. oben S. 118 (prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> und natural justice).<br />

26 Dazu oben S. 145 (Theorie des re<strong>ch</strong>tsethis<strong>ch</strong>en Relativismus).<br />

27 F. Bydlinski, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als re<strong>ch</strong>tspraktis<strong>ch</strong>er Maßstab (1996), S. 108 f.<br />

28 Dazu oben S. 121 (D 3 ' – diejenige För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Ergebnisgere<strong>ch</strong>tigkeit, die unter den Anwendungsbedingungen<br />

eines als gere<strong>ch</strong>tigkeitsför<strong>der</strong>nd begründeten Verfahrens dur<strong>ch</strong> die korrekte<br />

Einhaltung <strong>der</strong> Verfahrensregeln errei<strong>ch</strong>t wird).<br />

29 Vgl. zur Demokratietheorie Kelsens insbeson<strong>der</strong>e H. Dreier, Re<strong>ch</strong>tslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie<br />

bei Hans Kelsen (1990), S. 249 ff. m.w.N.<br />

30 H. Dreier, Re<strong>ch</strong>tslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie bei Hans Kelsen (1990), S. 278 f.<br />

265


substantiellen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, för<strong>der</strong>li<strong>ch</strong> ist 31 . Sol<strong>ch</strong>e Bedeutungsgehalte können im<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskeptizismus ni<strong>ch</strong>t erklärt werden.<br />

Zum zweiten Einwand, <strong>der</strong> si<strong>ch</strong> an <strong>der</strong> Theorie Hayeks illustrieren läßt: Au<strong>ch</strong><br />

Skeptiker müssen für die reale Sozialordnung normative Vorgaben treffen; eine völlige<br />

Neutralität ist real ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong> und als epistemologis<strong>ch</strong>e Anfor<strong>der</strong>ung deshalb<br />

inakzeptabel 32 . Dieser Einwand gegen den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskeptizismus betrifft die<br />

Adäquatheit seiner Ergebnisse. Wer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> für unbegründbar hält, <strong>der</strong> müßte<br />

si<strong>ch</strong> eigentli<strong>ch</strong> je<strong>der</strong> Aussage über die ri<strong>ch</strong>tige Gestaltung <strong>der</strong> Sozialordnung enthalten.<br />

Denn wer eine Handlungsweise im Ergebnis ni<strong>ch</strong>t akzeptieren will, glei<strong>ch</strong>zeitig<br />

aber behauptet, es gebe keinen Weg, die Ri<strong>ch</strong>tigkeit o<strong>der</strong> Unri<strong>ch</strong>tigkeit eines Handelns<br />

zu begründen, <strong>der</strong> wi<strong>der</strong>spri<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> selbst. Wenn man <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ni<strong>ch</strong>t begründen<br />

kann, dann kann man si<strong>ch</strong> über Ungere<strong>ch</strong>tigkeit au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t beklagen 33 . Das<br />

Beispiel kann zwar die in si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>lüssige Theorie eines <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskeptikers ni<strong>ch</strong>t<br />

wi<strong>der</strong>legen, aber do<strong>ch</strong> illustrieren, wie inadäquat ihre Ergebnisse sind.<br />

Eine den Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> realen Welt adäquate Theorie muß eine Aussage<br />

über die ri<strong>ch</strong>tige Sozialordnung treffen. Denn bei allem Streit über die ri<strong>ch</strong>tigen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>smaßstäbe<br />

herrs<strong>ch</strong>t do<strong>ch</strong> Übereinstimmung darin, daß <strong>der</strong> Staat für Unglei<strong>ch</strong>behandlungen<br />

prüfbare und diskussionsfähige Gründe angeben muß 34 . Daß<br />

mit sol<strong>ch</strong>en Aussagen, selbst wenn sie auf vermeintli<strong>ch</strong> neutrale Verfahren wie das<br />

des Marktes zurückgreifen, immer au<strong>ch</strong> normative Festlegungen verbunden sind,<br />

läßt si<strong>ch</strong> an <strong>der</strong> Theorie Hayeks zeigen. Dem Marktmodell Hayeks ist mit Re<strong>ch</strong>t entgegengehalten<br />

worden, daß au<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Markt kein natürli<strong>ch</strong>es, vorpositives Faktum<br />

bildet, angesi<strong>ch</strong>ts dessen die Frage distributiver <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> überflüssig würde 35 .<br />

Regeln zur systembildenden Etablierung und kontrollierenden Absi<strong>ch</strong>erung des<br />

Marktes sind Mens<strong>ch</strong>enwerk 36 . Damit ist das Argument wi<strong>der</strong>legt, die dur<strong>ch</strong> den<br />

Markt bewirkte Verteilung sei gere<strong>ch</strong>t, weil <strong>der</strong> unpersönli<strong>ch</strong>e Verteilungsprozeß<br />

von niemandem verantwortet wird und in diesem Sinne neutral bleibt. Das marktgenerierte<br />

Verteilungsergebnis hängt von bewußten politis<strong>ch</strong>en Gestaltungsents<strong>ch</strong>eidungen<br />

ab 37 . Dieser politis<strong>ch</strong>en Verantwortung trägt letztli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> Hayek Re<strong>ch</strong>nung,<br />

wenn er ein Minimaleinkommen für mögli<strong>ch</strong>erweise geboten hält 38 . Aber selbst<br />

31 Vgl. aus <strong>der</strong> deuts<strong>ch</strong>en Verfassungsjudikatur BVerfGE 42, 64 (65) – Zwangsversteigerung: »Die<br />

ri<strong>ch</strong>terli<strong>ch</strong>e Unparteili<strong>ch</strong>keit ist kein wertfreies Prinzip, son<strong>der</strong>n an den Grundwerten <strong>der</strong> Verfassung<br />

orientiert, insbeson<strong>der</strong>e ... materialer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>.«<br />

32 Vgl. zu diesem 'Inakzeptabilitätsargument' N. Jansen, Struktur <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1998), S. 193 f.;<br />

ähnli<strong>ch</strong> W. Reese-S<strong>ch</strong>äfer, Was bleibt na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Dekonstruktion? (1998), S. 143 f., 157 ff. – Kritik an<br />

<strong>der</strong> Unfähigkeit postmo<strong>der</strong>ner Politiktheorie, Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te und Demokratie zu begründen.<br />

33 J.-R. Sieckmann, Justice and Rights (1995), S. 117.<br />

34 R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 104. Vgl. allgemein zur 'Legitimitätserwartung' J. Habermas,<br />

Faktizität und Geltung (1992), S. 51: »Mit <strong>der</strong> Positivität des Re<strong>ch</strong>ts ist die Erwartung verbunden,<br />

daß das demokratis<strong>ch</strong>e Verfahren <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsetzung die Vermutung <strong>der</strong> rationalen Akzeptabilität<br />

<strong>der</strong> gesatzten Normen begründet.«<br />

35 C. Kukathas, Hayek and Mo<strong>der</strong>n Liberalism (1989), S. 166 ff. (172). Ähnli<strong>ch</strong> R. Kley, Hayek's Social<br />

and Political Thought (1994), S. 202; S. Brittan, Role and Limits of Government (1983), S. 53.<br />

36 R. Kley, Hayek's Social and Political Thought (1994), S. 203.<br />

37 R. Kley, Hayek's Social and Political Thought (1994), S. 203.<br />

38 F.A. Hayek, Liberalism (1973), S. 145: »[E]ven a minimum income assured to all might have been<br />

created within a liberal framework«.<br />

266


ganz ohne das regelhafte Rahmenwerk des Marktes läge in ihm die bewußte Ents<strong>ch</strong>eidung<br />

für ein <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzip <strong>der</strong> Form 'Jedem na<strong>ch</strong> seinem Marktwert.' 39<br />

Entspre<strong>ch</strong>endes läßt si<strong>ch</strong> für jede an<strong>der</strong>e Form des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskeptizismus zeigen.<br />

Wenn eine Aussage über die ri<strong>ch</strong>tige Sozialordnung mit dem Skeptizismus verbunden<br />

wird, liegt ein innerer Wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong> vor; wird aber eine sol<strong>ch</strong>e Aussage vermieden,<br />

ist die Theorie inadäquat gegenüber den Gestaltungsaufgaben in <strong>der</strong> realen<br />

Welt.<br />

III. Ergebnisse<br />

Damit sind zwei Einwände erhoben, die entspre<strong>ch</strong>end au<strong>ch</strong> für systemtheoretis<strong>ch</strong>e<br />

und postmo<strong>der</strong>ne <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskepsis gelten. Gegen den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskeptizismus<br />

<strong>der</strong> nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>en 'Antitheorien' <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> spri<strong>ch</strong>t erstens,<br />

daß sie die Rationalitätspotentiale prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ni<strong>ch</strong>t realisieren<br />

(Inadäquatheitsargument), und zweitens, daß sie zur Ri<strong>ch</strong>tigkeit sozialer Ordnung<br />

Aussagen treffen, die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Handelns aber glei<strong>ch</strong>zeitig für positiv ni<strong>ch</strong>t begründbar<br />

erklären (Inakzeptabilitätsargument). Die Kraft <strong>der</strong> Rationalitätspostulate<br />

prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien, in <strong>der</strong> si<strong>ch</strong> die Begründungsfähigkeit praktis<strong>ch</strong>er<br />

Vernunft erweist, wird no<strong>ch</strong> im einzelnen darzulegen sein 40 .<br />

B. <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition<br />

I. Die neoaristotelis<strong>ch</strong>en Konzeptionen des Guten<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Tradition versu<strong>ch</strong>en zwar, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

rational zu begründen, sind aber in diesem Bemühen zum S<strong>ch</strong>eitern verurteilt. Als<br />

substantielle <strong>Theorien</strong> beruhen sie nämli<strong>ch</strong> auf Annahmen, die allenfalls des Bekenntnisses,<br />

ni<strong>ch</strong>t aber <strong>der</strong> rationalen Begründung fähig sind. Dieses »Hauptproblem<br />

<strong>der</strong> materialen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien« 41 gilt für die neoaristotelis<strong>ch</strong>en Vernunftre<strong>ch</strong>tslehren<br />

ebenso wie für ältere Naturre<strong>ch</strong>tslehren, die religiöse Glaubenssätze<br />

zu Wahrheiten erhoben haben. Denn eine Konzeption des Guten mag vor dem<br />

Hintergrund individueller Lebensents<strong>ch</strong>eidungen ri<strong>ch</strong>tig sein. Sie mag au<strong>ch</strong> in einer<br />

homogenen Gruppe auf eine traditionsbedingt einheitli<strong>ch</strong>e, spontane Zustimmung<br />

hoffen, wie dies vor allem von Kommunitaristen geltend gema<strong>ch</strong>t wird. Eine Begründung<br />

jenseits sol<strong>ch</strong>er individuellen o<strong>der</strong> kollektiven Bekenntnisse ist dagegen<br />

ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong>, denn die Begründung mit tradierten Wertvorstellungen findet genau<br />

dort ihre Grenze, wo auf gemeinsame Werte ni<strong>ch</strong>t länger zurückgegriffen werden<br />

kann. Au<strong>ch</strong> eine Wie<strong>der</strong>belebung des einmal verlorenen Wertkonsenses ist innerhalb<br />

<strong>der</strong> <strong>Theorien</strong> aristotelis<strong>ch</strong>er Tradition ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong>. Denn es müßte ein Grund<br />

angegeben werden, warum si<strong>ch</strong> jemand, <strong>der</strong> die alten Wertvorstellungen ni<strong>ch</strong>t teilt,<br />

im Interesse einer Wie<strong>der</strong>herstellung von Einigkeit in ein ihm ni<strong>ch</strong>t ri<strong>ch</strong>tig ers<strong>ch</strong>einendes<br />

Wertesystem zwängen sollte. Gelegentli<strong>ch</strong> wird argumentiert, daß kommu-<br />

39 R. Kley, Hayek's Social and Political Thought (1994), S. 204.<br />

40 Dazu unten S. 309 ff. (Grundzüge einer Diskurstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

41 R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 109 ff. (110); vgl. au<strong>ch</strong> N. Luhmann, Gibt es in unserer<br />

Gesells<strong>ch</strong>aft no<strong>ch</strong> unverzi<strong>ch</strong>tbare Normen? (1992), S. 18 f. (Werte als prinzipbedingt unbegründbarer<br />

'Reflexionsstop').<br />

267


nitaristis<strong>ch</strong>e Ideale Vorrang genießen müßten, weil nur sie ein erfülltes Leben in <strong>der</strong><br />

Gemeins<strong>ch</strong>aft ermögli<strong>ch</strong>ten, das letztli<strong>ch</strong> im Interesse aller liege 42 . Ein sol<strong>ch</strong>es Argument<br />

führt aber aus <strong>der</strong> materialen Konzeption des Guten, wie sie für die aristotelis<strong>ch</strong>e<br />

Tradition typis<strong>ch</strong> ist, hinaus. Denn das Argument re<strong>ch</strong>tfertigt die Konzeption<br />

des Guten dur<strong>ch</strong> einen Verweis auf Interessen. Das wie<strong>der</strong>um ist <strong>ch</strong>arakteristis<strong>ch</strong> für<br />

<strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en Tradition. Somit läßt si<strong>ch</strong> festhalten: Das substantielle<br />

Bekenntnis zu einer Konzeption des Guten, das für die <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en<br />

Tradition <strong>ch</strong>arakteristis<strong>ch</strong> ist, s<strong>ch</strong>ließt eine rationale Begründung aus. Wird eine Begründung<br />

<strong>der</strong> für ri<strong>ch</strong>tig gehaltenen Werte versu<strong>ch</strong>t, so muß sie, um au<strong>ch</strong> jenseits<br />

des Bekenntnisses einer homogenen Gruppe gültig und in diesem Sinne rational zu<br />

sein, auf Kriterien außerhalb <strong>der</strong> Konzeption des Guten verweisen und verliert dadur<strong>ch</strong><br />

ihren aristotelis<strong>ch</strong>en Charakter. Daß jenseits <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en <strong>Theorien</strong> Begründungspotentiale<br />

in prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien ers<strong>ch</strong>lossen werden<br />

können, wird si<strong>ch</strong> im letzten Teil <strong>der</strong> Untersu<strong>ch</strong>ung erweisen 43 .<br />

II.<br />

Zur Kritik des Kommunitarismus<br />

Abgesehen davon, daß <strong>der</strong> Kommunitarismus zumindest teilweise auf eine Begründung<br />

seiner <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>skonzeption verzi<strong>ch</strong>tet 44 , birgt er die Gefahr <strong>der</strong> Intoleranz<br />

gegenüber Außenseitern. Indem ein partikularistis<strong>ch</strong>er und kontextualistis<strong>ch</strong>er Traditionalismus<br />

gepflegt wird, abstrahiert <strong>der</strong> Kommunitarismus von Beson<strong>der</strong>heiten<br />

des Individuums. Wer si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Tradition einfügt, kann so einen besseren S<strong>ch</strong>utz als<br />

diejenigen genießen, die si<strong>ch</strong> den Gemeins<strong>ch</strong>aftswerten weniger verbunden fühlen.<br />

Dem halten die Kommunitaristen entgegen, daß aus ihrer Si<strong>ch</strong>t eine Ignoranz gegenüber<br />

Traditionen, wie sie de facto dur<strong>ch</strong> den liberalen Individualismus bewirkt<br />

werde, glei<strong>ch</strong>falls eine Form <strong>der</strong> Intoleranz darstelle. Das ist die These von <strong>der</strong> unauswei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />

Wertbezogenheit politis<strong>ch</strong>er Ordnung, na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> jede Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

notwendig wertbezogen ist und damit an<strong>der</strong>e Werte verdrängt. Au<strong>ch</strong> prozedurale<br />

<strong>Theorien</strong>, die verbindende Werte einer Traditionsgemeins<strong>ch</strong>aft ausblendeten, träfen<br />

allein mit dieser Festlegung eine substantielle Ents<strong>ch</strong>eidung über das gute Leben 45 .<br />

Dem kann mit Cohen erstens entgegnet werden, daß prozedurale <strong>Theorien</strong> nur eine<br />

vorgängige Bes<strong>ch</strong>ränkung <strong>der</strong> Ordnungsmodelle auf wertkonforme Lösungen ablehnen,<br />

ni<strong>ch</strong>t aber die Berücksi<strong>ch</strong>tigung tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> vorhandener o<strong>der</strong> potentiell nützli<strong>ch</strong>er<br />

Gemeins<strong>ch</strong>aftsbildung dur<strong>ch</strong> Werte 46 . Denn au<strong>ch</strong> bei einer wertneutralen Ents<strong>ch</strong>eidung<br />

über Fragen des ri<strong>ch</strong>tigen Handelns in <strong>der</strong> Gemeins<strong>ch</strong>aft (d.h. über Ge-<br />

42 Dazu oben S. 157 ff. (Kommunitarismus, insbeson<strong>der</strong>e Sandel).<br />

43 Dazu unten S. 309 ff. (Grundzüge einer Diskurstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

44 Dazu oben S. 167 (Ergebnis zu den <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition).<br />

45 Dieser Einwand wird im anglo-amerikanis<strong>ch</strong>en als objection of sectarianism bezei<strong>ch</strong>net; siehe J. Cohen,<br />

Deliberation and Democratic Legitimacy (1989), S. 27.<br />

46 J. Cohen, Deliberation and Democratic Legitimacy (1989), S. 27: »A political conception is objectionably<br />

sectarian only if its justification depends on a particular view of the human good, and not<br />

simply because its stability is contingent on widespread agreement on the value of certain activities<br />

and aspirations. For this reason the democratic conception is not sectarian.«<br />

268


e<strong>ch</strong>tigkeit 47 ) muß zumindest die stabilitätsför<strong>der</strong>nde Wirkung gemeinsamer Werte<br />

berücksi<strong>ch</strong>tigt werden 48 . Zweitens bedeutet es einen Unters<strong>ch</strong>ied, ob – wie bei substantiellen<br />

<strong>Theorien</strong> – bereits die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung von einem bestimmten<br />

Konzept des guten Lebens ausgeht, o<strong>der</strong> ob – wie bei prozeduralen <strong>Theorien</strong> – erst<br />

die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugung zu substantiellen Aussagen darüber kommt, was eine<br />

gute politis<strong>ch</strong>e Ordnung ausma<strong>ch</strong>t 49 . Nur im ersten Fall obliegt <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie<br />

eine Argumentationslast, die sie mangels Begründbarkeit substantieller Vorgaben<br />

ni<strong>ch</strong>t tragen kann.<br />

III. Zur Kritik des Utilitarismus<br />

Die Vielfalt <strong>der</strong> utilitaristis<strong>ch</strong>en <strong>Theorien</strong> ma<strong>ch</strong>t paus<strong>ch</strong>ale Kritik nahezu unmögli<strong>ch</strong>.<br />

Immerhin können die oben dargestellten Theoriebeispiele zeigen, wel<strong>ch</strong>e Probleme<br />

si<strong>ch</strong> bei Formen des ni<strong>ch</strong>t-klassis<strong>ch</strong>en Utilitarismus stellen 50 . Gegen einen '<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sutilitarismus',<br />

wie ihn Trapp entworfen hat, muß eingewandt werden, daß<br />

si<strong>ch</strong> die dafür nötigen normativen Bes<strong>ch</strong>ränkungen <strong>der</strong> einkalkulierten Präferenzen,<br />

also beispielsweise die Illegitimität von sadistis<strong>ch</strong>en Neigungen, ni<strong>ch</strong>t auf <strong>der</strong><br />

Grundlage des Utilitarismus selbst begründen lassen 51 . Damit verliert die Theorie<br />

eine beson<strong>der</strong>e Qualität des klassis<strong>ch</strong>en Handlungsutilitarismus, die darin bestand,<br />

daß alle Einzelinteressen ganz ohne vorgängige Bewertung ihrer 'Ri<strong>ch</strong>tigkeit' in ein<br />

kollektives Nutzenkalkül eingebunden sind. Das 'größte Glück <strong>der</strong> größten Zahl'<br />

stellte si<strong>ch</strong> dabei als eine bloße Re<strong>ch</strong>nung dar, in <strong>der</strong> das Gewi<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Interessen<br />

ni<strong>ch</strong>t in einer theoretis<strong>ch</strong>en Außenperspektive, son<strong>der</strong>n dur<strong>ch</strong> die Betroffenen selbst<br />

bestimmt wird. Demgegenüber überführen mo<strong>der</strong>ne Formen des ni<strong>ch</strong>t-klassis<strong>ch</strong>en<br />

Regelutilitarismus letztli<strong>ch</strong> das Nutzenkalkül in ein prozedural begründetes Regelsystem,<br />

das eine Nähe zu Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien (Harsanyi) o<strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en <strong>Theorien</strong><br />

(Trapp) zeigt und dadur<strong>ch</strong> an eigenständiger Begründungsleistung stark verliert.<br />

Letztli<strong>ch</strong> werden nur no<strong>ch</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>e und kantis<strong>ch</strong>e Begründungsmuster in einen<br />

ausdifferenzierten Konsequentialismus übersetzt 52 . Auf einen Satz gebra<strong>ch</strong>t:<br />

Der Utilitarismus steckt im Dilemma zwis<strong>ch</strong>en <strong>der</strong> Inakzeptabilität <strong>der</strong> klassis<strong>ch</strong>en<br />

und <strong>der</strong> Bedeutungslosigkeit <strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>tklassis<strong>ch</strong>en Formen.<br />

IV. Ergebnisse<br />

Abgesehen vom Utilitarismus, dessen Nutzenmaximierungsideal formal definiert ist,<br />

sind alle <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition einem Bekenntnis zu materiellen<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>svorstellungen verpfli<strong>ch</strong>tet, das sie selbst ni<strong>ch</strong>t positiv begründen<br />

können. Ihre Konzeption des Guten liegt in einem Traditionalismus o<strong>der</strong> in einer re-<br />

47 Zum hier zugrundegelegten Verständnis von politis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> siehe oben S. 78 (politis<strong>ch</strong>e<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> und S<strong>ch</strong>werpunktthese).<br />

48 J. Cohen, Deliberation and Democratic Legitimacy (1989), S. 27.<br />

49 Vgl. J. Cohen, Deliberation and Democratic Legitimacy (1989), S. 27.<br />

50 Zur Darstellung siehe oben S. 154 (<strong>Theorien</strong> des Utilitarismus).<br />

51 So au<strong>ch</strong> J.-R. Sieckmann, Justice and Rights (1995), S. 112.<br />

52 Zum Begriff des Konsequentialismus (consequentialism) siehe oben S. 152 (Charakteristika <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en<br />

Grundposition).<br />

269


ligiösen o<strong>der</strong> sonst materialen Wertvorstellung, die zwar einem Wandel unterworfen<br />

sein kann, aber letztli<strong>ch</strong> immer einen unbegründeten Rest enthält. Mit dieser Begründungsabstinenz<br />

verhält es si<strong>ch</strong> ähnli<strong>ch</strong> wie bei den <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>en<br />

Grundposition: Sie ist angesi<strong>ch</strong>ts <strong>der</strong> prozeduralen Begründungsmögli<strong>ch</strong>keiten<br />

inadäquat und angesi<strong>ch</strong>ts <strong>der</strong> sozialen Aufgabe <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung inakzeptabel.<br />

Das bloße Bekenntnis zu einer kollektiven Konzeption des Guten, sei es material<br />

(Naturre<strong>ch</strong>tslehren, Kommunitarismus) o<strong>der</strong> formal (Utilitarismus), kann die<br />

For<strong>der</strong>ung na<strong>ch</strong> einer Begründung ri<strong>ch</strong>tigen Re<strong>ch</strong>ts ni<strong>ch</strong>t befriedigen.<br />

C. <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en Grundposition<br />

I. Zur Kritik spieltheoris<strong>ch</strong>er Grundlegung<br />

Die implizierte Grundregel <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens lautet:<br />

Gere<strong>ch</strong>t ist eine Verteilung von Gütern und Lasten, die das Ergebnis einer rationalen<br />

Ents<strong>ch</strong>eidung <strong>der</strong> betroffenen Parteien ist o<strong>der</strong> sein könnte, si<strong>ch</strong> also aus einer<br />

vorteilsorientierten Verhandlung ergibt o<strong>der</strong> ergeben könnte 53 . Was allerdings eine<br />

Ents<strong>ch</strong>eidung zu einer rationalen ma<strong>ch</strong>t, bleibt zwis<strong>ch</strong>en den Einzelansätzen umstritten.<br />

Während früher allein das Sozialvertragsmodell als Darstellungsmittel diente<br />

und <strong>der</strong> ausgehandelte Vertrag als zugrundeliegendes Rationalitätskonzept 54 , ist in<br />

neuerer Zeit die Spieltheorie das Werkzeug <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidungstheoretiker. Unter<br />

'Spieltheorie' versteht man, seit ihrer Begründung dur<strong>ch</strong> von Neumann und Morgenstern<br />

55 , eine mathematis<strong>ch</strong>e Methode, um strategis<strong>ch</strong>e Interaktion zu analysieren. Sie<br />

findet ihr Hautanwendungsgebiet na<strong>ch</strong> wie vor in <strong>der</strong> Ökonomie, hat si<strong>ch</strong> aber als<br />

analytis<strong>ch</strong>es Werkzeug au<strong>ch</strong> in <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie etabliert. Die Mögli<strong>ch</strong>keiten<br />

(2) und Grenzen (3) <strong>der</strong> Spieltheorie in <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien des rationalen<br />

Ents<strong>ch</strong>eidens hängen maßgebli<strong>ch</strong> von <strong>der</strong>en Anwendungsbedingungen ab (1).<br />

1. Einige Anwendungsbedingungen <strong>der</strong> Spieltheorie<br />

a) Die Skalierbarkeitsthese in <strong>der</strong> Spieltheorie<br />

Die Spieltheorie als Werkzeug <strong>der</strong> Sozialphilosophie untersu<strong>ch</strong>t das vorteilhafte<br />

Verhalten bei regelgeleiteter Interaktion. Für die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie ist die These<br />

zentral, daß si<strong>ch</strong> die Ergebnisse aus definierten Spielsituationen auf komplexere Situationen<br />

sozialer Interaktion übertragen lassen (Skalierbarkeitsthese) 56 . Die mathematis<strong>ch</strong>e<br />

Theorie wird so zunä<strong>ch</strong>st zur Wirts<strong>ch</strong>aftstheorie und, bei weitergehen<strong>der</strong><br />

Verallgemeinerung, zur umfassenden Theorie rationalen Sozialverhaltens. So wie<br />

Spiele als Zweipersonenspiele o<strong>der</strong> n-Personen-Spiele (Mehrpersonenspiele) vor-<br />

53 Vgl. oben S. 167 (D 1RC ).<br />

54 Zum Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en Vertrag als Darstellungsmittel und Vertrag als Rationalitätskonzept<br />

siehe oben S. 98 ff. (Vertrag).<br />

55 Vgl. J. v. Neumann/O. Morgenstern, The Theory of Games and Economic Behaviour (1944).<br />

56 Dazu oben S. 111 (Skalierbarkeitsthese).<br />

270


kommen, so ist au<strong>ch</strong> soziale Interaktion in Zwei- o<strong>der</strong> Mehrpersonenverhältnissen<br />

verallgemeinerbar. So wie bei Spielen neben Situationen <strong>der</strong> Gewißheit au<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>e<br />

<strong>der</strong> Ungewißheit vorkommen, etwa wenn si<strong>ch</strong> die Mitspieler ni<strong>ch</strong>t in die Karten sehen<br />

lassen, so gibt es au<strong>ch</strong> bei sozialer Interaktion kleinere und größere Risikofaktoren.<br />

Spielallianzen finden ihre Parallele in sozialen Allianzen, Spielziele in Lebenszielen,<br />

Spielregeln in Gesetzen sozialer Ordnung, d.h. Re<strong>ch</strong>t und Sitte. Für die unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong><br />

parametrisierten Spielsituationen (Lebenssituationen) ermittelt die Spieltheorie<br />

die jeweils vorteilhafteste Ents<strong>ch</strong>eidungsstrategie. Im Idealfall kann also jede<br />

Einzelents<strong>ch</strong>eidung auf rationale Überlegungen zurückgeführt werden, die allein<br />

von den eigenen Interessen (Spielgewinn, Lebenserfolg) geleitet sind.<br />

b) Der spieltheoretis<strong>ch</strong>e Fairneßbegriff<br />

In <strong>der</strong> Spieltheorie, wie au<strong>ch</strong> sonst in <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sdiskussion 57 , ist Fairneß<br />

glei<strong>ch</strong>bedeutend mit prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>. Der Fairneßbegriff hat aber hier eine<br />

enge, te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e Bedeutung und unters<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> von demjenigen in<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien. Spieltheoretis<strong>ch</strong>e Fairneß kann in genau zwei Eigens<strong>ch</strong>aften<br />

eines Spiels verwirkli<strong>ch</strong>t sein. Erstens ist ein Spiel fair, wenn es symmetris<strong>ch</strong> ist 58 , weil<br />

die Spieler genau die glei<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>te haben, so daß ein Rollentaus<strong>ch</strong> das Spiel ni<strong>ch</strong>t<br />

verän<strong>der</strong>t 59 . Symmetrie des Spiels bedeutet bei Mehrpersonenspielen wegen <strong>der</strong> Kooperationsmögli<strong>ch</strong>keiten<br />

aber ni<strong>ch</strong>t Symmetrie <strong>der</strong> Gewinn<strong>ch</strong>ancen im Einzelfall. Insoweit<br />

ist Fairneß s<strong>ch</strong>on dadur<strong>ch</strong> errei<strong>ch</strong>t, daß die Gewinn<strong>ch</strong>ancen beliebiger Koalitionen<br />

nur von <strong>der</strong> Anzahl <strong>der</strong> Spieler abhängen 60 . Mehr no<strong>ch</strong>: Die Kooperationsmögli<strong>ch</strong>keit<br />

wird in aller Regel zu unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Gewinn<strong>ch</strong>ancen führen (kooperative<br />

Chancenverzerrung) 61 . Zweitens ist ein Spiel fair, wenn es zwar unsymmetris<strong>ch</strong> ist,<br />

die Vor- und Na<strong>ch</strong>teile <strong>der</strong> Spieler aus dieser Unsymmetrie aber dur<strong>ch</strong> Spielregeln<br />

ausgegli<strong>ch</strong>en werden 62 . Verglei<strong>ch</strong>t man diesen spieltheoretis<strong>ch</strong>en Fairneßbegriff mit<br />

57 Dazu oben S. 121 ff. (Glei<strong>ch</strong>setzung von Fairneß und prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

58 Vgl. J. v. Neumann/O. Morgenstern, Theory of Games and Economic Behaviour (1944), S. 259:<br />

»...games are symmetric and hence fair...«.<br />

59 J. v. Neumann/O. Morgenstern, Theory of Games and Economic Behaviour (1944), S. 165 f.<br />

60 Dies ist dur<strong>ch</strong> eine Funktion des Wertes eines Spiels für Koalitionen auszudrücken. J. v. Neumann/O.<br />

Morgenstern, Theory of Games and Economic Behaviour (1944), S. 238 f., 258 f., 315: »<strong>ch</strong>aracteristic<br />

function«.<br />

61 J. v. Neumann/O. Morgenstern, Theory of Games and Economic Behaviour (1944), S. 225: »It is quite<br />

instructive how the rules of the game are absolutely fair (in this case, symmetric), but the conduct<br />

of the players will necessarily not be.« Sowie Fn. 2: »This is, of course, a very essential feature of<br />

the most familiar forms of social organizations. It is also an argument whi<strong>ch</strong> occurs again and<br />

again in the criticism directed against these institutions, most of all against the hypothetical or<strong>der</strong><br />

based upon 'laisser faire.' It is the argument that even an absolute, formal fairness – symmetry of<br />

the rules of the game – does not guarantee that the use of these rules by the participants will be<br />

fair and symmetrical. Indeed, this 'does not guarantee' is an un<strong>der</strong>statement: it is to be expected<br />

that any exhaustive theory of raional behavior will show that the participants are driven to form<br />

coalitions in unsymmetric arrangements. ... It seems worth emphasizing that this <strong>ch</strong>aracteristically<br />

'social' phenomenon occurs only in the case of three or more participants.«<br />

62 J. v. Neumann/O. Morgenstern, Theory of Games and Economic Behaviour (1944), S. 166 f., Fn. 4.<br />

271


demjenigen <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie 63 , so ist die Regeleinhaltung (Anwendungsfairneß)<br />

stills<strong>ch</strong>weigend vorausgesetzt. Au<strong>ch</strong> minimale Anwendungsbedingungen<br />

des fairen Spiels (Hintergrundfairneß) sind definiert, indem die Re<strong>ch</strong>te symmetris<strong>ch</strong><br />

verteilt o<strong>der</strong> in ihrer Unsymmetrie dur<strong>ch</strong> Spielregeln ausgegli<strong>ch</strong>en sein müssen, was<br />

dur<strong>ch</strong> eine Rollentaus<strong>ch</strong>überlegung kontrolliert werden kann 64 . Do<strong>ch</strong> ist <strong>der</strong> Fairneßbegriff<br />

<strong>der</strong> Spieltheorie frei von je<strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeitsorientierung. Es fehlt eine Begründung<br />

dafür, daß das Spiel selbst in fairer Weise zur Ents<strong>ch</strong>eidungsfindung beiträgt<br />

(Prozedurfairneß). In <strong>der</strong> Terminologie <strong>der</strong> Spieltheorie ist das russis<strong>ch</strong>e Roulett genauso<br />

'fair' wie <strong>der</strong> herrs<strong>ch</strong>aftsfreie Diskurs. <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheoretis<strong>ch</strong> müßte dagegen<br />

zusätzli<strong>ch</strong> begründet werden, warum eine bestimmte Prozedur für eine bestimmte<br />

Ents<strong>ch</strong>eidung ri<strong>ch</strong>tig ist.<br />

c) Die rationale Kooperation<br />

Innerhalb <strong>der</strong> Spieltheorie werden kooperative von ni<strong>ch</strong>tkooperativen Spielen unters<strong>ch</strong>ieden.<br />

Ni<strong>ch</strong>tkooperativ ist beispielsweise ein S<strong>ch</strong>a<strong>ch</strong>spiel: Die beiden Parteien<br />

stehen si<strong>ch</strong> gegenüber, ohne daß Spielergruppen Allianzen bilden könnten. An<strong>der</strong>s<br />

verhält es si<strong>ch</strong> bei den meisten Kartenspielen. Hier liegt <strong>der</strong> Reiz gerade darin, dur<strong>ch</strong><br />

Kooperation die Karten mehrerer Spieler einer gemeinsamen Spielstrategie zu unterwerfen<br />

und dadur<strong>ch</strong> effizienter zu nutzen, als dies bei Einzelstrategien mögli<strong>ch</strong><br />

wäre. Damit ist <strong>der</strong> Spieltheorie eine neue und s<strong>ch</strong>wierige Aufgabe gestellt. Denn<br />

für eine Kooperation kann si<strong>ch</strong> nur <strong>der</strong>jenige rational ents<strong>ch</strong>eiden, <strong>der</strong> rationale Kooperationsbedingungen<br />

vereinbart hat, also insbeson<strong>der</strong>e eine im Hinblick auf die<br />

jeweiligen Kooperationsbeiträge rationale Verteilung des Kooperationsgewinns. Die<br />

hierfür von Nash gefundene Formel (Nash-Equilibrium) bildet im Rahmen <strong>der</strong> <strong>Theorien</strong><br />

rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens na<strong>ch</strong> wie vor einen Fixpunkt. Es ist kein zu weitgehendes<br />

Zugeständnis, wenn man mit <strong>der</strong> Spieltheorie davon ausgeht, daß es in je<strong>der</strong><br />

Verhandlung über Kooperation mindestens einen Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>tspunkt gibt.<br />

Für eine Analyse und Kritik ist es wi<strong>ch</strong>tig zu sehen, was damit ni<strong>ch</strong>t gesagt ist. Es<br />

ist ni<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong>er, ob si<strong>ch</strong> das Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> wi<strong>der</strong>streitenden Interessen für o<strong>der</strong><br />

gegen eine Kooperation bildet. Es ist ni<strong>ch</strong>t notwendig nur genau ein Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>tspunkt<br />

vorhanden. Der am wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>sten eintretende Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>tszustand ist<br />

ni<strong>ch</strong>t notwendig <strong>der</strong>, <strong>der</strong> insgesamt die größten Kooperationsvorteile bringt. Vor allem<br />

aber ist in <strong>der</strong> Spieltheorie selbst ni<strong>ch</strong>t begründet, wel<strong>ch</strong>e Handlungsstrategien<br />

die Parteien in das Spiel einbringen: ob sie risikos<strong>ch</strong>eu o<strong>der</strong> risikofreudig sind, ob sie<br />

einan<strong>der</strong> drohen o<strong>der</strong> auf Drohung verzi<strong>ch</strong>ten, ob sie für Drohung empfängli<strong>ch</strong> sind<br />

o<strong>der</strong> diese (weitgehend) ignorieren.<br />

63 Dazu oben S. 121 (D F – <strong>der</strong> Inbegriff <strong>der</strong> Verfahrensri<strong>ch</strong>tigkeit bei sol<strong>ch</strong>en Prozeduren und ihrer<br />

Dur<strong>ch</strong>führung (Prozeß), die selbst ri<strong>ch</strong>tigkeitsorientiert sind). Fairneßelemente sind dort Hintergrundfairneß<br />

(background fairness), Anwendungsfairneß (procedural fairness) und Prozedurfairneß<br />

(fairness as su<strong>ch</strong>, fairness of the procedure).<br />

64 Vgl. oben S. 223 (Regeln <strong>der</strong> Konsistenz und Kohärenz).<br />

272


d) Zwei Bedingungen rationalen Verhandelns<br />

Bei aller Unbestimmtheit <strong>der</strong> Anwendungsbedingungen im Detail formuliert die<br />

Spieltheorie immerhin zwei Bedingungen, die für jedes rationale Verhalten in Verhandlungssituationen<br />

gelten: Erstens wird keine Partei eine Vereinbarung akzeptieren,<br />

die ihr weniger bietet als sie ohne Vereinbarung hätte (Freiwilligkeitsbedingung).<br />

Und zweitens werden die Parteien eine Vereinbarung treffen, bei <strong>der</strong> es<br />

ni<strong>ch</strong>t mehr mögli<strong>ch</strong> ist, die Situation einer Partei zu verbessern, ohne glei<strong>ch</strong>zeitig die<br />

<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en zu vers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tern (Optimalitätsbedingung). Diese zweite Handlungsbedingung<br />

entspri<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Erkenntnis, daß Verhandlungsergebnisse zumindest Pareto-optimal<br />

sein müssen. Pareto-Optimalität ist definiert als ein Ergebnis, bei dem die<br />

Besserstellung einer Partei ohne eine Vers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terung für die an<strong>der</strong>e Partei ni<strong>ch</strong>t<br />

mehr mögli<strong>ch</strong> ist. Vereinfa<strong>ch</strong>end kann man von einer 100%-Verteilung bei maximaler<br />

Güterproduktion spre<strong>ch</strong>en.<br />

Das Kriterium <strong>der</strong> Pareto-Optimalität ist indifferent gegenüber einer Vielzahl unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er<br />

Verteilungen. Das kann anhand eines Beispiels verdeutli<strong>ch</strong>t werden:<br />

A und B wollen ein Bebauungsprojekt dur<strong>ch</strong> Kooperation realisieren. Sie treffen die<br />

Vereinbarung, daß A 99% und B 1% des Gewinns erhalten soll. Die zwei Bedingungen<br />

rationalen Verhandelns werden dur<strong>ch</strong> eine 99 zu 1 Verteilung genauso erfüllt<br />

wie dur<strong>ch</strong> jede an<strong>der</strong>e 100%-Verteilung (98 zu 2, 97 zu 3 u.s.w.), denn beide Parteien<br />

sind besser gestellt als ohne Vereinbarung (Freiwilligkeitsbedingung) und keine Partei<br />

kann mehr erhalten, ohne daß dies zu Lasten <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en ginge (Optimalitätsbedingung).<br />

Wegen <strong>der</strong> Vielzahl <strong>der</strong> Pareto-optimalen Verteilungsmögli<strong>ch</strong>keiten (Pareto-Punkte)<br />

spri<strong>ch</strong>t man au<strong>ch</strong> von einer Verteilung auf <strong>der</strong> Pareto-Linie 65 .<br />

Die rationale Kooperation kann unter Umständen au<strong>ch</strong> jenseits <strong>der</strong> Pareto-Linie<br />

liegen. So etwa, wenn mit dem Kaldor-Hicks-Kriterium <strong>der</strong> Nutzen einzelner so lange<br />

zu Lasten an<strong>der</strong>er vergrößert wird, bis si<strong>ch</strong> die Ents<strong>ch</strong>ädigung <strong>der</strong> Bena<strong>ch</strong>teiligten<br />

dur<strong>ch</strong> die Begünstigten ni<strong>ch</strong>t mehr lohnt. Insoweit handelt es si<strong>ch</strong> um notwendige,<br />

aber ni<strong>ch</strong>t hinrei<strong>ch</strong>ende Bedingungen rationalen Verhandelns 66 .<br />

2. Die Mögli<strong>ch</strong>keiten <strong>der</strong> Spieltheorie als <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie<br />

Die Spieltheorie ist die Grundform einer prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie. Sie ist<br />

eine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie 67 , weil sie eine Verteilung von Vorteilen und<br />

Lasten als gere<strong>ch</strong>t betra<strong>ch</strong>tet, wenn diese die beiden Bedingungen rationalen Verhandelns<br />

(Freiwilligkeits- und Optimalitätsbedingung) erfüllt, glei<strong>ch</strong> wel<strong>ch</strong>es konkrete<br />

Verteilungsergebnis erzielt wird. Sie ist eine Grundform, weil die spieltheoretis<strong>ch</strong>e<br />

Fairneß gere<strong>ch</strong>tigkeitstheoretis<strong>ch</strong> erst no<strong>ch</strong> ausgefüllt werden muß, um die<br />

65 B. Barry, Theories of Justice (1989), S. 3: »I can explain the notion of the Pareto frontier by saying<br />

that it is the set of Pareto-optimal points«.<br />

66 Kaldor-Hicks-Effizienz hat – an<strong>der</strong>s als Pareto-Effizienz – für si<strong>ch</strong> gesehen keine normative Relevanz,<br />

wenn ni<strong>ch</strong>t gezeigt werden kann, daß auf lange Si<strong>ch</strong>t die Implementierung von Kaldor-<br />

Hicks-Än<strong>der</strong>ungen für jeden vorteilhaft ist; R.J. Arneson, Rational Contractarianism (1992), S. 898.<br />

67 Dazu oben S. 132 (D 4 – eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie, na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm N genau<br />

dann ri<strong>ch</strong>tig ist, wenn sie das Ergebnis einer bestimmten Prozedur P sein kann).<br />

273


Fairneß des Verfahrens selbst (Prozedurfairneß) zu begründen 68 . Die (konkretisierungsbedürftige)<br />

Spieltheorie beurteilt eine unendli<strong>ch</strong>e Anzahl von Verteilungsergebnissen<br />

und Verteilungsverfahren als glei<strong>ch</strong>ermaßen rational und gere<strong>ch</strong>t.<br />

Um zu ents<strong>ch</strong>eiden, wo genau auf <strong>der</strong> Pareto-Linie die gere<strong>ch</strong>te Ents<strong>ch</strong>eidung<br />

liegt, können <strong>Theorien</strong> an zwei vers<strong>ch</strong>iedenen Punkten ansetzen. Bei je<strong>der</strong> Theorie<br />

rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens wird nämli<strong>ch</strong> in einem zweistufigen Verfahren zunä<strong>ch</strong>st ein<br />

Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt (nonagreement basepoint) festgelegt, das ist die Situation <strong>der</strong> Parteien<br />

bei Ni<strong>ch</strong>tzustandekommen einer Kooperation, und dana<strong>ch</strong> die Prozedur eingeführt,<br />

die bestimmt, na<strong>ch</strong> wel<strong>ch</strong>em rationalen Ents<strong>ch</strong>eidungskriterium si<strong>ch</strong> die Parteien<br />

dur<strong>ch</strong> Kooperation vom Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt zur Pareto-Linie hin bewegen.<br />

<strong>Theorien</strong>, die in unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er Weise die Ents<strong>ch</strong>eidungsprozedur ausgestalten<br />

o<strong>der</strong> den Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt festsetzen, wurden oben bereits ges<strong>ch</strong>il<strong>der</strong>t 69 . Für die<br />

Analyse wi<strong>ch</strong>tig ist hier, daß die Spieltheorie für jede dieser Konkretisierungsmögli<strong>ch</strong>keiten<br />

offen ist. Sie steckt nur einen äußersten Rahmen ab, den Ents<strong>ch</strong>eidungsverfahren<br />

einhalten müssen, um als rational angesehen werden zu können. Die<br />

Mögli<strong>ch</strong>keiten <strong>der</strong> Konkretisierung <strong>der</strong> Spieltheorie zu einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie<br />

sind unendli<strong>ch</strong> und lassen eine Vielzahl unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er Prozeduren und Ergebnisse<br />

zu. Au<strong>ch</strong> alle hobbesianis<strong>ch</strong>en Sozialvertragstheorien passen in dieses Modell: Ihr<br />

Naturzustand ist <strong>der</strong> Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt und ihre Vertragsverhandlung bildet die<br />

Prozedur, die zu einem Ergebnis auf <strong>der</strong> Pareto-Linie führt. Die Grenzen <strong>der</strong> Spieltheorie<br />

sind deshalb Grenzen, die für die hobbesianis<strong>ch</strong>e Grundposition insgesamt<br />

gelten.<br />

3. Die Grenzen <strong>der</strong> Spieltheorie als <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie<br />

Der nur begrenzte Nutzen <strong>der</strong> Spieltheorie als Grundlage einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie<br />

kann erstens daran gezeigt werden, daß sie nur unvollständig Kritierien für <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

liefert (a), und zweitens daran, daß das rationalistis<strong>ch</strong>e Nutzenkalkül ein für<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien inadäquates Modell anbietet, weil es sittli<strong>ch</strong>es o<strong>der</strong> moralis<strong>ch</strong>es<br />

Verhalten, auf das die politis<strong>ch</strong>e Gemeins<strong>ch</strong>aft angewiesen ist, ni<strong>ch</strong>t erklären<br />

kann (b-d).<br />

a) Die immanenten Grenzen <strong>der</strong> Spieltheorie<br />

Mit <strong>der</strong> Vielfalt <strong>der</strong> Konkretisierungsmögli<strong>ch</strong>keiten ist glei<strong>ch</strong>zeitig eine Grenze <strong>der</strong><br />

Spieltheorie als Werkzeug in <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien aufgedeckt. Die Spieltheorie<br />

gibt selbst keine Anhaltspunkte dafür, wie eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprozedur ri<strong>ch</strong>tigerweise<br />

zu gestalten ist. Sol<strong>ch</strong>e Prozedurfairneß ist dem Fairneßbegriff <strong>der</strong> Spieltheorie<br />

fremd 70 . Es bleibt ergänzenden normativen Elementen vorbehalten, eine sol<strong>ch</strong>e Konkretisierung<br />

dur<strong>ch</strong>zuführen. Die S<strong>ch</strong>wierigkeiten, die für Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien <strong>der</strong><br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> dabei entstehen, haben si<strong>ch</strong> beim Drohspielproblem gezeigt. Während<br />

Braithwaite und Bu<strong>ch</strong>anan Drohungen als rational ansehen, werden diese von Selten,<br />

68 Vgl. oben S. 271 (spieltheoretis<strong>ch</strong>er Fairneßbegriff).<br />

69 Dazu oben S. 171 ff. (<strong>Theorien</strong> zur Optimierung relativer Nutzenfaktoren).<br />

70 Dazu oben S. 271 (spieltheoretis<strong>ch</strong>er Fairneßbegriff).<br />

274


Lucas und Gauthier als irrational zurückgewiesen. Sol<strong>ch</strong>e grundlegenden Wi<strong>der</strong>sprü<strong>ch</strong>e<br />

in <strong>der</strong> Konkretisierung <strong>der</strong> Verhandlungsprozedur belegen, daß si<strong>ch</strong> aus <strong>der</strong><br />

Spieltheorie selbst keine eindeutige Bere<strong>ch</strong>nungsmögli<strong>ch</strong>keit für Verhandlungen<br />

über soziale Kooperation ergibt. Darin liegt eine theorieimmanente Grenze <strong>der</strong><br />

Spieltheorie 71 .<br />

Innerhalb <strong>der</strong> bestehenden Spieltheorie und Ents<strong>ch</strong>eidungstheorie ist in <strong>der</strong> neueren<br />

Kritik no<strong>ch</strong> eine weitere immantene Grenze aufgezeigt worden 72 . Dabei geht es<br />

um die Art, in <strong>der</strong> die individuellen Präferenzen bere<strong>ch</strong>net werden. Einer <strong>der</strong> größten<br />

Vorzüge <strong>der</strong> Spieltheorie gegenüber älteren utilitaristis<strong>ch</strong>en <strong>Theorien</strong> ist <strong>der</strong>jenige,<br />

daß hier mit relativen Nutzenfaktoren gearbeitet wird 73 . Damit s<strong>ch</strong>eint das Problem<br />

<strong>der</strong> interpersonellen Nutzenverglei<strong>ch</strong>e überwunden, das entsteht, wenn man<br />

den individuellen (subjektiven) Nutzen einer Person mit demjenigen einer an<strong>der</strong>en<br />

Person abwägen will, ohne einen gemeinsamen (objektiven) Maßstab zu haben, auf<br />

den si<strong>ch</strong> alle Individualnutzen glei<strong>ch</strong>maßen beziehen ließen 74 . Relative Nutzenfaktoren<br />

sind das Fundament, auf dem die Spieltheorie ruht 75 . Ihre Bere<strong>ch</strong>nung basiert<br />

letztli<strong>ch</strong> auf <strong>der</strong> Voraussetzung, daß jede Person für si<strong>ch</strong> selbst und unabhängig<br />

von an<strong>der</strong>en sagen kann, wie sehr sie eine Handlungsmögli<strong>ch</strong>keit gegenüber einer<br />

Handlungsalternative bevorzugt 76 . In <strong>der</strong> neueren Kritik wird dem für die Handlungsalternativen<br />

innerhalb sozialer Bindungen entgegengehalten, daß die Präferenzen<br />

selbst wie<strong>der</strong>um von <strong>der</strong> Beziehung zwis<strong>ch</strong>en Personen abhängen, si<strong>ch</strong> also<br />

gerade ni<strong>ch</strong>t für jede Person unabhängig von an<strong>der</strong>en bestimmen lassen 77 . Die Konsequenzen<br />

aus dieser Kritik sind no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t übers<strong>ch</strong>aubar. Es s<strong>ch</strong>einen aber Zweifel<br />

daran bere<strong>ch</strong>tigt, daß si<strong>ch</strong> ökonomis<strong>ch</strong>e Verhaltensmuster auf alle an<strong>der</strong>en Berei<strong>ch</strong>e<br />

sozialen Handelns übertragen lassen. Wer beim Kauf eines Gebrau<strong>ch</strong>twagens und<br />

sogar bei <strong>der</strong> Partnerwahl im 'Heiratsmarkt' 78 seine relativen Nutzenfaktoren ohne<br />

fremde Hilfe 'bere<strong>ch</strong>nen' kann, <strong>der</strong> ist unter Umständen bei <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidung über<br />

Erziehungsfragen o<strong>der</strong> bei politis<strong>ch</strong>en Wahlen dazu überhaupt ni<strong>ch</strong>t imstande, ohne<br />

vorher mit an<strong>der</strong>en Betroffenen über <strong>der</strong>en Präferenzen gespro<strong>ch</strong>en zu haben.<br />

71 Ähnli<strong>ch</strong> P. Ts<strong>ch</strong>annen, Stimmre<strong>ch</strong>t und politis<strong>ch</strong>e Verständigung (1995), S. 364.<br />

72 J. Nida-Rümelin/T. S<strong>ch</strong>midt/A. Munk, Interpersonal Dependency of Preferences (1996), S. 260 ff. –<br />

interpersonally dependent preferences.<br />

73 Vgl. oben S. 171 ff. (<strong>Theorien</strong> zur Optimierung relativer Nutzenfaktoren).<br />

74 Vgl. oben S. 154 (Harsanyis Utilitarismus).<br />

75 Vgl. oben S. 171 ff. (Nash, Harsanyi, Selten).<br />

76 Wenn A die Handlung X zur Verfolgung seine Interessen genauso nützli<strong>ch</strong> empfindet wie die<br />

Verhaltensalternative Y, dann besteht für X ein Nutzenfaktor von 0,5 (Indifferenz); repräsentiert X<br />

für A den größtmögli<strong>ch</strong>en Nutzen, dann ist <strong>der</strong> Nutzenfaktor für ihn 1,0; ist X für A völlig nutzlos,<br />

dann s<strong>ch</strong>milzt <strong>der</strong> Nutzenfaktor auf 0,0. Die beson<strong>der</strong>e Situation <strong>der</strong> Indifferenz wird in den<br />

Wirts<strong>ch</strong>afts- und Sozialwissens<strong>ch</strong>aften gern für die Analyse von Verhaltensalternativen mittels<br />

Indifferenzkurven genutzt; dazu ausführli<strong>ch</strong> N. Jansen, Struktur <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1998), S. 106 ff.<br />

m.w.N.<br />

77 J. Nida-Rümelin/T. S<strong>ch</strong>midt/A. Munk, Interpersonal Dependency of Preferences (1996), S. 260 ff.<br />

78 Vgl. R.B. McKenzie/G. Tullock, Homo Oeconomicus (1984), S. 138 (Wahl des Ehepartners): »Das rationale<br />

Individuum wird bei <strong>der</strong> Wahl des Ehepartners versu<strong>ch</strong>en, seinen Nutzen zu maximieren,<br />

wie bei allen an<strong>der</strong>en Handlungen au<strong>ch</strong>.«<br />

275


) Das Gefangenendilemma<br />

Wird mit <strong>der</strong> Spieltheorie das rationalistis<strong>ch</strong>e Ents<strong>ch</strong>eidungskalkül als einzige<br />

Grundlage sozialer Ordnung betra<strong>ch</strong>tet, dann müßte es genügen, diejenigen Normen<br />

mit staatli<strong>ch</strong>em Zwang dur<strong>ch</strong>zusetzen, die eine Marktordnung für egoistis<strong>ch</strong>e Nutzenmaximierer<br />

s<strong>ch</strong>ützen, also eine Sozialordnung im Sinne des libertären Na<strong>ch</strong>twä<strong>ch</strong>terstaates.<br />

Bereits die Analyse des Gefangenendilemmas zeigt, daß eine <strong>der</strong>artige<br />

Minimalstaatli<strong>ch</strong>keit die mögli<strong>ch</strong>en Kooperationsgewinne in <strong>der</strong> Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

ni<strong>ch</strong>t realisiert und darum ni<strong>ch</strong>t die bestmögli<strong>ch</strong>e soziale Ordnung begründen kann.<br />

Die Einzelheiten des Gefangenendilemmas sind so oft ges<strong>ch</strong>il<strong>der</strong>t worden, daß<br />

sie hier ni<strong>ch</strong>t wie<strong>der</strong>holt werden müssen 79 . Festzuhalten bleibt nur das bemerkenswerte<br />

Ergebnis: In einer ni<strong>ch</strong>tkooperativen Sozialsituation, in <strong>der</strong> die Beteiligten vollständig<br />

rational ihren je eigenen Vorteil verfolgen, kann das Ergebnis für jeden <strong>der</strong><br />

Beteiligten s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter sein als bei einer Kooperation. Die Beteiligten wissen zwar,<br />

daß es eigentli<strong>ch</strong> für alle besser wäre, wenn sie gemeinsam ein Kooperationsziel verwirkli<strong>ch</strong>ten,<br />

do<strong>ch</strong> aufgrund <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidungsgesetze individueller Nutzenmaximierung<br />

bleibt ihnen keine Wahl: sie müssen die Kooperation verweigern. Dadur<strong>ch</strong> entgeht<br />

ihnen ein real mögli<strong>ch</strong>er Kooperationsvorteil. Hätten die Beteiligten ni<strong>ch</strong>t die<br />

Position individueller Nutzenmaximierer eingenommen, son<strong>der</strong>n si<strong>ch</strong> aus Tugendhaftigkeit<br />

(d.h. 'aristotelis<strong>ch</strong>') o<strong>der</strong> aus Moralität (d.h. 'kantis<strong>ch</strong>') nutzenunabhängig<br />

für die Kooperation ents<strong>ch</strong>ieden, dann ginge es ihnen im Ergebnis besser. Eine staatli<strong>ch</strong>e<br />

Ordnung, die au<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>e Kooperationsvorteile no<strong>ch</strong> realisieren will, kann folgli<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t allein dem freien Spiel <strong>der</strong> Kräfte seinen Lauf lassen, son<strong>der</strong>n muß die Rahmenbedingungen<br />

für »unbedingte Kooperation« setzen 80 . Der Staat muß s<strong>ch</strong>on aus<br />

pragmatis<strong>ch</strong>en Gründen jenseits minimalstaatli<strong>ch</strong>en Integritätss<strong>ch</strong>utzes au<strong>ch</strong> die Sittli<strong>ch</strong>keit<br />

o<strong>der</strong> Moralität för<strong>der</strong>n, um zusätzli<strong>ch</strong>e Kooperationsvorteile gegenüber individualistis<strong>ch</strong>er<br />

Nutzenmaximierung zu si<strong>ch</strong>ern.<br />

c) Das Beitragsdilemma bei öffentli<strong>ch</strong>en Gütern (D. Parfit)<br />

Ein weiterer Regelungsberei<strong>ch</strong>, in dem si<strong>ch</strong> die Inadäquatheit <strong>der</strong> Spieltheorie als<br />

Grundlage einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie erweist, ist die Si<strong>ch</strong>erung öffentli<strong>ch</strong>er Güter 81 .<br />

Das hier zu beoba<strong>ch</strong>tende Beitragsdilemma kann als volkswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Son<strong>der</strong>fall<br />

des Gefangenendilemmas angesehen werden.<br />

79 Darstellungen etwa bei R. Axelrod/W.D. Hamilton, Evolution of Cooperation (1981), S. 1391 ff.;<br />

O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 420 ff.; G. Kir<strong>ch</strong>gässner, Homo oeconomicus (1991), S. 50<br />

ff. m.w.N.; L. Kern/J. Nida-Rümelin, Logik kollektiver Ents<strong>ch</strong>eidungen (1994), S. 201 ff. m.w.<br />

Beispielen. Eine weniger bekannte Variante des Gefangenendilemmas hat Hardin für die<br />

Nutzung öffentli<strong>ch</strong>er Güter ges<strong>ch</strong>il<strong>der</strong>t; G.J. Hardin, The Tragedy of the Commons (1968), S. 1243<br />

80 ff. Vgl. L. Kern/J. Nida-Rümelin, Logik kollektiver Ents<strong>ch</strong>eidungen (1994), S. 227 ff. (228).<br />

81 Der Begriff <strong>der</strong> 'öffentli<strong>ch</strong>en Güter' ist umstritten. W. Blümel/R. Pethig/O. v.d.Hagen, Theory of<br />

Public Goods (1986), S. 242 haben im wesentli<strong>ch</strong>en drei Begriffsverwendungen ausgema<strong>ch</strong>t: öffentli<strong>ch</strong>e<br />

Güter als alle Gegenstände, bei <strong>der</strong>en Zurverfügungstellung ein Marktversagen eintreten<br />

kann; öffentli<strong>ch</strong>e Güter als öffentli<strong>ch</strong> vorgehaltene Güter; öffentli<strong>ch</strong>e Güter als alle Gegenstände,<br />

die zur Verfügung aller stehen und gemeins<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> verbrau<strong>ch</strong>t werden. Auf die Feinheiten <strong>der</strong><br />

Abgrenzung (ebd., S. 245 ff.) kann hier verzi<strong>ch</strong>tet werden, da Parfits Beitragsdilemma für alle diese<br />

Fälle gilt.<br />

276


Na<strong>ch</strong> dem von Parfit ges<strong>ch</strong>il<strong>der</strong>te Beitragsdilemma (contributor's dilemma) lassen<br />

si<strong>ch</strong> bestimmte öffentli<strong>ch</strong>e Güter nur realisieren, wenn die Beitragsleistungen auf sittli<strong>ch</strong>en<br />

o<strong>der</strong> moralis<strong>ch</strong>en Motiven beruhen, statt auf reinem Eigeninteresse 82 . Um beispielsweise<br />

eine saubere Stadt für alle zu si<strong>ch</strong>ern, muß i<strong>ch</strong> mein Kaugummi zum<br />

nä<strong>ch</strong>sten Mülleimer bringen, statt es auf den Gehweg zu spucken. Als eifriger Kaugummikauer<br />

könnte i<strong>ch</strong> das aus Eigeninteresse ni<strong>ch</strong>t tun, denn <strong>der</strong> Vorteil, <strong>der</strong> mir<br />

persönli<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> das geringfügig reinli<strong>ch</strong>ere Stadtbild erwä<strong>ch</strong>st, wiegt den Na<strong>ch</strong>teil<br />

des zusätzli<strong>ch</strong>en Weges ni<strong>ch</strong>t auf. Der Beitrag ist für mi<strong>ch</strong> größer, als er für Ni<strong>ch</strong>tkaugummikauer<br />

wäre. Das Beitragsdilemma besteht also darin, daß zwar alle einsehen,<br />

warum in öffentli<strong>ch</strong>e Güter investiert werden muß, einige aber mehr zu leisten<br />

haben als an<strong>der</strong>e, so daß es meist einige gibt, die ni<strong>ch</strong>t aus reinen Vorteilserwägungen<br />

heraus ihren Beitrag leisten könnten. Beginnen aber erst einige, ihre Beitragsleistung<br />

einzustellen, so wirkt si<strong>ch</strong> das auf die Motivation <strong>der</strong> übrigen na<strong>ch</strong>haltig aus<br />

und das öffentli<strong>ch</strong>e Gut (hier: Reinheit <strong>der</strong> Stadt) geht in einer Kettenreaktion des<br />

Beitragsversagens unter.<br />

In vielen Berei<strong>ch</strong>en, etwa beim Steueraufkommen für Wohlfahrtsmaßnahmen, bei<br />

<strong>der</strong> Sozialversi<strong>ch</strong>erung o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Solidargemeins<strong>ch</strong>aften, kann <strong>der</strong> Staat die Beiträge<br />

dur<strong>ch</strong> Re<strong>ch</strong>tszwang effektiv dur<strong>ch</strong>setzen. Au<strong>ch</strong> in den Kernberei<strong>ch</strong>en des Umwelts<strong>ch</strong>utzes<br />

wirkt Re<strong>ch</strong>tszwang no<strong>ch</strong>, da si<strong>ch</strong> die Sanktionierung gravieren<strong>der</strong> Vers<strong>ch</strong>mutzungen<br />

effektiv dur<strong>ch</strong>setzen läßt. In Bagatellberei<strong>ch</strong>en, etwa beim Kaugummibeispiel,<br />

ist <strong>der</strong> Staat hingegen auf die freiwillige und uneigennützige Unterstützung<br />

<strong>der</strong> Bürger angewiesen. Bestimmte Güter lassen si<strong>ch</strong> nur realisieren, wenn die Bürger<br />

zu sittli<strong>ch</strong>em o<strong>der</strong> moralis<strong>ch</strong>em Handeln motiviert werden können. Diese Motivation,<br />

Beiträge zur Erhaltung o<strong>der</strong> S<strong>ch</strong>affung öffentli<strong>ch</strong>er Güter selbst dann zu leisten,<br />

wenn Re<strong>ch</strong>tszwang o<strong>der</strong> Sozialkontrolle sie ni<strong>ch</strong>t effektiv dur<strong>ch</strong>setzen könnten,<br />

ist au<strong>ch</strong> tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> beoba<strong>ch</strong>tbar. Wäre dies ni<strong>ch</strong>t so, dann müßte je<strong>der</strong> unbeoba<strong>ch</strong>tete<br />

Wan<strong>der</strong>er auf dem Gipfel eines Berges seine Picknickabfälle aus Bequemli<strong>ch</strong>keit<br />

liegen lassen. Daß er dies ni<strong>ch</strong>t tut, erklärt si<strong>ch</strong> keinesfalls eigennützig aus <strong>der</strong> Vermeidung<br />

von Sanktionen (d.h. hobbesianis<strong>ch</strong>), son<strong>der</strong>n vielmehr daraus, daß er die<br />

Reinhaltung als individuelles o<strong>der</strong> kollektives Ideal akzeptiert (d.h. aristotelis<strong>ch</strong>),<br />

o<strong>der</strong> dadur<strong>ch</strong>, daß das Ni<strong>ch</strong>tvers<strong>ch</strong>mutzen für ihn eine moralis<strong>ch</strong>e Pfli<strong>ch</strong>t ist (d.h.<br />

kantis<strong>ch</strong>) 83 .<br />

d) Das Wählerparadoxon (Condorcet, K.J. Arrow)<br />

Eine entspre<strong>ch</strong>ende Argumentation für freiwillige und uneigennützige Bürgermitwirkung<br />

läßt si<strong>ch</strong> beim Wählerparadoxon (voter's paradox) zeigen. Das Paradoxon,<br />

das zunä<strong>ch</strong>st für den Einzelfall von Abstimmungen mit mehreren Alternativen<br />

82 D. Parfit, Reasons and Persons (1984), S. 61 f.: »The commonest true Dilemmas are Contributor's<br />

Dilemmas. ... [O]nly a very small portion of the benefit he adds will come back to him. ... It may<br />

thus be better for ea<strong>ch</strong> if he does not contribute. ... Commuters: Ea<strong>ch</strong> goes faster if he drives, but if<br />

all drive ea<strong>ch</strong> goes slower than if all take buses; Soldiers: Ea<strong>ch</strong> will be safer if he turns and runs,<br />

but if all do more will be killed than if none do; Fishermen: When the sea is overfished, it can be<br />

better for ea<strong>ch</strong> if he tries to cat<strong>ch</strong> more, worse for ea<strong>ch</strong> if all do; ...« (Hervorhebungen bei Parfit).<br />

83 Vgl. D. Parfit, Reasons and Persons (1984), S. 64 – einige Lösungsmögli<strong>ch</strong>keiten zum Beitragsdilemma:<br />

»We might become Kantians. ... We might become more altruistic.« (Hervorhebungen bei<br />

Parfit).<br />

277


dur<strong>ch</strong> Condorcet 84 und später als generelles Phänomen von Arrow formuliert wurde 85 ,<br />

besagt, daß si<strong>ch</strong> aus vollständigen und transitiven Präferenzordnungen von Einzelnen<br />

ni<strong>ch</strong>t immer eine vollständige und transitive Präferenzordnung <strong>der</strong> Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

ermitteln läßt – im kollektiven Resultat wird unter Umständen »jede Alternative<br />

gegenüber je<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en bevorzugt« 86 . Das Wählerparadoxon führt dazu, daß es<br />

für jeden einzelnen Wahlbere<strong>ch</strong>tigten irrational ist, überhaupt an <strong>der</strong> Wahl teilzunehmen<br />

87 . Irrational ist außerdem <strong>der</strong> bei einer Wahlteilnahme entstehende Aufwand<br />

im Verglei<strong>ch</strong> zu den verna<strong>ch</strong>lässigbar geringen Chancen einer Wahlbeeinflussung<br />

dur<strong>ch</strong> die einzelne Stimmabgabe 88 . Denno<strong>ch</strong> nehmen die meisten Wahlbere<strong>ch</strong>tigten<br />

jedenfalls gelegentli<strong>ch</strong> an Wahlen teil. In einigen Staaten wird das dur<strong>ch</strong> eine<br />

sanktionsbewehrte Wahlpfli<strong>ch</strong>t errei<strong>ch</strong>t, die aber die wahre Wahlbeteiligung verdeckt<br />

und damit eigene Na<strong>ch</strong>teile hat. In den übrigen Staaten ist die Wahlbeteiligung<br />

hingegen mit einem vorteilsorientierten Verhalten ni<strong>ch</strong>t zu erklären 89 , es sei<br />

denn, man betra<strong>ch</strong>tet Moralität selbst als vorteilhaft 90 . Die politis<strong>ch</strong>e Kooperation ist<br />

vielmehr, wie bei den Beiträgen zu öffentli<strong>ch</strong>en Gütern, dadur<strong>ch</strong> begründet, daß die<br />

Bürger zumindest teilweise aus sittli<strong>ch</strong>en 91 o<strong>der</strong> moralis<strong>ch</strong>en Motiven handeln 92 : Sie<br />

nehmen den Aufwand ni<strong>ch</strong>t aus Eigennutz (d.h. hobbesianis<strong>ch</strong>) auf si<strong>ch</strong>, son<strong>der</strong>n um<br />

gute Bürger zu sein (d.h. aristotelis<strong>ch</strong>) o<strong>der</strong> um ihren Bürgerpfli<strong>ch</strong>ten zu genügen<br />

(d.h. kantis<strong>ch</strong>). Der 'perfekte Privatier' ist ein für die demokratis<strong>ch</strong>e Ordnung inadäquates<br />

Modell 93 .<br />

84 Condorcet, Essai sur l'Application de l'Analyse la Probabilité des Décisions la Pluralité des Voix<br />

(1785); vgl. dazu J.S. Kelly, Social Choice Theory (1988), S. 15 ff.; L. Kern/J. Nida-Rümelin, Logik kollektiver<br />

Ents<strong>ch</strong>eidungen (1994), S. 29 ff.<br />

85 'Impossibility theorem'; K.J. Arrow, Social Choice and Individual Values (1951); vgl. dazu L. Kern/J.<br />

Nida-Rümelin, Logik kollektiver Ents<strong>ch</strong>eidungen (1994), S. 27 ff.; A.R. S<strong>ch</strong>otter, Microeconomics<br />

(1997), S. 604 ff.<br />

86 L. Kern/J. Nida-Rümelin, Logik kollektiver Ents<strong>ch</strong>eidungen (1994), S. 29, mit <strong>der</strong> Eins<strong>ch</strong>ränkung<br />

(S. 39), daß si<strong>ch</strong> in 94% aller mögli<strong>ch</strong>en Präferenzstrukturen ni<strong>ch</strong>t-zyklis<strong>ch</strong>e und damit konsistente<br />

kollektive Resultate ergeben.<br />

87 D.C. Mueller, Public Choice II (1989), S. 361.<br />

88 Ausführli<strong>ch</strong>e Analyse bei J.C. Harsanyi, Rule Utilitarianism, Rights, Obligations and the Theory of<br />

Rational Behavior (1980), S. 115 ff., 129 ff.<br />

89 B. Ackerman, We The People (1991), S. 236 ff. m.w.N., am Beispiel <strong>der</strong> U.S.A. S. 311: »The problem<br />

comes when the 'public <strong>ch</strong>oice' perspective mistakes this part of politics [the pursuit of selfinterest]<br />

for the whole. Perfect privatism is a crucial part of the problem of American politics, not<br />

the keystone of its constitutional solution.«<br />

90 Dazu oben S. 154 (Utilitarismus von Harsanyi).<br />

91 B. Ackerman, We The People (1991), S. 239: »[W]hile a mo<strong>der</strong>n democracy must learn to economize<br />

on public-regarding virtue, there can be no hope of doing without it entirely«; sowie S. 236: »I<br />

shall [insist] against some fashionable economist views, on the absolute necessity of a certain kind<br />

of virtue in the normal operation of the democratic system.« Ausführli<strong>ch</strong> dazu D.C. Mueller, Public<br />

Choice II (1989), S. 361 ff. m.w.N.<br />

92 So im Ergebnis au<strong>ch</strong> J.C. Harsanyi, Rule Utilitarianism, Rights, Obligations and the Theory of Rational<br />

Behavior (1980), S. 129 f., allerdings mit regelutilitaristis<strong>ch</strong>er Rückführung auf ein Nutzenkalkül.<br />

Vgl. oben S. 269 (Kritik am Utilitarismus als <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie).<br />

93 B. Ackerman, We The People (1991), S. 298 – perfect privatist.<br />

278


4. Ergebnisse<br />

Die Spieltheorie als Grundform einer prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie läßt Raum<br />

für eine unendli<strong>ch</strong>e Vielfalt von Prozeduren, mit denen eine Verhandlung über soziale<br />

Kooperation modelliert werden kann. Sie stößt dadur<strong>ch</strong> bei <strong>der</strong> Bestimmung<br />

von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> selbst dann auf immanente Grenzen, wenn man die implizierte<br />

Grundregel <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens akzeptiert, na<strong>ch</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> das ist, was si<strong>ch</strong> aus einer am individuellen Vorteil orientierten Verhandlung<br />

ergibt o<strong>der</strong> ergeben könnte. Ohne zusätzli<strong>ch</strong>e normative Argumente über<br />

das Verhandlungsverfahren kann aus <strong>der</strong> Spieltheorie allein keine S<strong>ch</strong>lußfolgerung<br />

für die Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> gezogen werden.<br />

Abgesehen von diesen immanenten Grenzen ist die Spieltheorie als Erklärungsmodell<br />

für eine gere<strong>ch</strong>te soziale Ordnung au<strong>ch</strong> inadäquat. Die im Gemeinwesen<br />

mögli<strong>ch</strong>en Kooperationsvorteile, <strong>der</strong>en Realisierung im Interesse aller Bürger geboten<br />

ist, können allein dur<strong>ch</strong> Eigennutz ni<strong>ch</strong>t erklärt werden. Für die weitgehende<br />

Kooperation, die in gegenwärtigen Sozialordnungen tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> beoba<strong>ch</strong>tbar ist, gibt<br />

es an<strong>der</strong>e als rationalistis<strong>ch</strong>-vorteilsorientierte Gründe. Sol<strong>ch</strong>e Rationalitätspotentiale<br />

werden im letzten Teil dieser Untersu<strong>ch</strong>ung dargelegt 94 .<br />

II.<br />

Zur Kritik am neohobbesianis<strong>ch</strong>en Nutzenkalkül<br />

Die Analyse zur Spieltheorie hat gezeigt, daß ein normativer Rahmen für das Nutzenkalkül<br />

jeweils separat begründet werden muß, um in <strong>der</strong> unendli<strong>ch</strong>en Vielfalt <strong>der</strong><br />

Konkretisierungsmögli<strong>ch</strong>keiten eine bestimmte Ents<strong>ch</strong>eidung als ri<strong>ch</strong>tig auszei<strong>ch</strong>nen<br />

zu können. Daraus läßt si<strong>ch</strong> eine grundlegende Kritik am Neohobbesianismus ableiten,<br />

die zugespitzt als die Unents<strong>ch</strong>eidbarkeit des normativen Rahmens für relevante<br />

Handlungsalternativen bezei<strong>ch</strong>net werden könnte.<br />

Was ist damit gemeint? Da jede neohobbesianis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie letztli<strong>ch</strong><br />

die individuelle Nutzenmaximierung zuläßt und for<strong>der</strong>t, muß sie au<strong>ch</strong> über die<br />

Mittel ents<strong>ch</strong>eiden, die bei <strong>der</strong> Verfolgung des eigenen Nutzens berücksi<strong>ch</strong>tigt werden<br />

sollen. Sie muß den normativen Rahmen des Nutzenkalküls bestimmen. Wenn<br />

für zwei Personen A und B, die eine Kooperation bei <strong>der</strong> Apfelernte planen, <strong>der</strong> kooperationslose<br />

Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt bere<strong>ch</strong>net wird 95 , dann muß ents<strong>ch</strong>ieden werden,<br />

ob dabei au<strong>ch</strong> Drohungen ins Kalkül eingehen. Immerhin könnte es für A die<br />

beste Handlungsstrategie sein, den B zu einem Ernteeinsatz zu zwingen, bei dem A<br />

die gesamte Ernte und B ni<strong>ch</strong>ts erhält. Sogar eine völlige Versklavung des B dur<strong>ch</strong><br />

den A ist im neohobbesianis<strong>ch</strong>en Gedankenspiel ni<strong>ch</strong>t von vornherein ausges<strong>ch</strong>lossen<br />

96 . Innerhalb des Rationalitätsrahmens <strong>der</strong> individuellen Nutzenmaximierung<br />

gibt es keinen normativen S<strong>ch</strong>utz gegen sol<strong>ch</strong>e Drohspiele 97 . <strong>Theorien</strong>, die einen sol<strong>ch</strong>en<br />

S<strong>ch</strong>utz unterstellen, verlassen damit die Grundlage <strong>der</strong> Vorteilskalkulation 98 .<br />

94 Dazu unten S. 309 ff. (Grundzüge einer Diskurstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

95 Dazu oben S. 176 ff. (<strong>Theorien</strong> zum Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt; nonagreement basepoint).<br />

96 Zu dieser Konsequenz siehe oben S. 178 ff. (Bu<strong>ch</strong>anan: Drohspiel als Sozialvertrag).<br />

97 Das Fehlen eines normativen S<strong>ch</strong>utzes zeigt si<strong>ch</strong> bereits im Re<strong>ch</strong>tsbegriff bei Hobbes, <strong>der</strong> zwar von<br />

'natürli<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>ten' (rights of nature) spri<strong>ch</strong>t, dabei aber ni<strong>ch</strong>t Ansprü<strong>ch</strong>e gegen an<strong>der</strong>e meint, al-<br />

279


Do<strong>ch</strong> selbst wenn man konsequenterweise Drohungen ins Kalkül einbezieht, so<br />

ist no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t geklärt, wel<strong>ch</strong>e Drohungen das sein sollen. Immerhin handelt es si<strong>ch</strong><br />

nur um ein Gedankenspiel: Die Ents<strong>ch</strong>eidungstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> findet ni<strong>ch</strong>t<br />

als realer, son<strong>der</strong>n allenfalls als hypothetis<strong>ch</strong>er Sozialvertrag statt. Als Gedankenspiel<br />

aber bleiben au<strong>ch</strong> alle Drohungen hypothetis<strong>ch</strong> – ob A wirkli<strong>ch</strong> versu<strong>ch</strong>en würde,<br />

den B zu einer Kooperation zu zwingen, selbst wenn er dabei unter Umständen<br />

dur<strong>ch</strong> die Gegenwehr des B verletzt werden könnte, ist eine von psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>en<br />

Faktoren im Einzelfall abhängige Frage, die si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t generell für alle mögli<strong>ch</strong>en<br />

Drohungen beantworten läßt. Damit ist die Unbestimmtheit für diejenigen neohobbesianis<strong>ch</strong>en<br />

<strong>Theorien</strong> belegt, die wie die von Lucas Drohungen unberücksi<strong>ch</strong>tigt lassen<br />

wollen, wenn sie ni<strong>ch</strong>t realistis<strong>ch</strong> sind 99 , denn was eine realistis<strong>ch</strong>e Drohung ist,<br />

läßt si<strong>ch</strong> im hypothetis<strong>ch</strong>en Gedankenspiel <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie ni<strong>ch</strong>t beantworten.<br />

Die Unbestimmtheit erweist si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> bei <strong>Theorien</strong>, die wie diejenige<br />

von Braithwaite und Bu<strong>ch</strong>anan jede Drohung als relevant für das Nutzenkalkül akzeptieren.<br />

Diese an<strong>der</strong>sartige Unbestimmtheit läßt si<strong>ch</strong> am obigen Beispiel zeigen: Angenommen,<br />

A bietet B an: 'Wir teilen die Ernte 51% zu 49%, sonst werde i<strong>ch</strong> di<strong>ch</strong> verprügeln.'<br />

Wenn A tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> kräftiger ist als B und dadur<strong>ch</strong> einen Verhandlungsvorteil<br />

hat, <strong>der</strong> in das Drohspiel eingeht, müßte B si<strong>ch</strong> dann ni<strong>ch</strong>t klugerweise auf<br />

das Angebot einlassen? Immerhin ist <strong>der</strong> Na<strong>ch</strong>teil, den er gegenüber einer Glei<strong>ch</strong>verteilung<br />

<strong>der</strong> Ernte hat, relativ geringfügig vergli<strong>ch</strong>en mit dem körperli<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>aden,<br />

<strong>der</strong> ihm von einem antagonistis<strong>ch</strong>en A droht. Trotz dieser vermeintli<strong>ch</strong> einfa<strong>ch</strong>en<br />

Ents<strong>ch</strong>eidungssituation ist die Frage des Nutzenkalküls ni<strong>ch</strong>t definitiv zu beantworten.<br />

Bei bloß hypothetis<strong>ch</strong>en Drohungen könnte B beispielsweise einwenden:<br />

'Auf einer Glei<strong>ch</strong>verteilung muß i<strong>ch</strong> bestehen, weil i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> mit einer Bena<strong>ch</strong>teiligung<br />

aus Prinzip ni<strong>ch</strong>t abfinden kann und di<strong>ch</strong>, A, ein Leben lang verfolgen würde,<br />

bis dieses Unre<strong>ch</strong>t gerä<strong>ch</strong>t ist.' Eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie, die jede hypothetis<strong>ch</strong>e<br />

Drohung genügen läßt, müßte au<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>e Aussagen des wildents<strong>ch</strong>lossenen B berücksi<strong>ch</strong>tigen.<br />

Dur<strong>ch</strong> die hypothetis<strong>ch</strong>en Drohmögli<strong>ch</strong>keiten werden unter Umständen<br />

die Verhandlungsvorteile, die ohne Drohung bestünden, nivelliert, je na<strong>ch</strong>dem,<br />

wel<strong>ch</strong>e Drohungen konstruiert werden. S<strong>ch</strong>on Hobbes hat den Umstand erkannt, daß<br />

selbst <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>ste eine (hypothetis<strong>ch</strong>e) Bedrohung für den Stärksten werden<br />

kann, und daraus gefolgert, daß alle Mens<strong>ch</strong>en im wesentli<strong>ch</strong>en glei<strong>ch</strong> sind 100 . Darin<br />

liegt eine Nivellierung von Unters<strong>ch</strong>ieden <strong>der</strong> Verhandlungsma<strong>ch</strong>t, die bei allen neohobbesianis<strong>ch</strong>en<br />

<strong>Theorien</strong> zum Unbestimmtheitsproblem führt. Letztli<strong>ch</strong> unterliegt<br />

eine Vorteilskalkulation, die hypothetis<strong>ch</strong>e Drohungen benutzt, einer Beliebigkeit<br />

<strong>der</strong> Ergebnisse.<br />

Man kann diesen Zusammenhang so zu einer Kritik zusammenfassen: Neohobbesianis<strong>ch</strong>e<br />

Nutzenkalkulationen können konsequenterweise hypothetis<strong>ch</strong>e Drohunso<br />

ni<strong>ch</strong>t Re<strong>ch</strong>te, denen die Pfli<strong>ch</strong>ten <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en auf A<strong>ch</strong>tung korrespondieren. Ausführli<strong>ch</strong> zu<br />

dieser Analyse D. Gauthier, The Logic of the Leviathan (1969), S. 30 f.<br />

98 Dazu exemplaris<strong>ch</strong> unten S. 281 ff. (Kritik an <strong>der</strong> Theorie Gauthiers).<br />

99 Zu dieser Konsequenz siehe oben S. 179 (Theorie <strong>der</strong> realistis<strong>ch</strong>en Verhaltenshypothesen).<br />

100 T. Hobbes, Leviathan (1651), Kapitel 13: »Nature has made men so equall, ... the weakest has<br />

strength enough to kill the strongest«.<br />

280


gen ni<strong>ch</strong>t auss<strong>ch</strong>ließen, geraten aber zwangsläufig in die Unbestimmbarkeit, wenn<br />

sie sie zulassen 101 .<br />

III. Zur Kritik an D.P. Gauthiers Moral dur<strong>ch</strong> Vereinbarung<br />

Im Rahmen <strong>der</strong> Darstellung von Gauthiers <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie ist bereits deutli<strong>ch</strong><br />

geworden, daß die Lockes<strong>ch</strong>e Provisio als ein moralis<strong>ch</strong>es Element eingesetzt wird,<br />

das mit den Grundlagen <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien ni<strong>ch</strong>t vereinbar ist 102 . Gauthier<br />

versu<strong>ch</strong>t eine rationalistis<strong>ch</strong>e Begründung für etwas, das es innerhalb des Rationalitätsrahmens<br />

<strong>der</strong> individuellen Nutzenmaximierung gerade ni<strong>ch</strong>t geben kann: den<br />

normativen S<strong>ch</strong>utz gegen Drohung und Gewalt 103 . Die Begründung von Moral läßt<br />

si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t (moralfrei) auf eine rationalistis<strong>ch</strong>e Vereinbarung unter egoistis<strong>ch</strong>en Nutzenmaximierern<br />

zurückführen. Die Gegenüberstellung von Gauthiers Modell mit<br />

Drohspieltheorien, wie sie von Braithwaite und Bu<strong>ch</strong>anan vertreten werden, hat gezeigt,<br />

daß au<strong>ch</strong> mit einem transzendentalen Argument die moralfreie Begründung<br />

von Moralität ni<strong>ch</strong>t gelingen kann: Die Gewaltfreiheit ist ni<strong>ch</strong>t eine denknotwendige<br />

Voraussetzung für rationalistis<strong>ch</strong>e Vereinbarungen, son<strong>der</strong>n steht im Gegenteil einem<br />

freien S<strong>ch</strong>lagabtaus<strong>ch</strong> <strong>der</strong> unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Verhandlungsvorteile entgegen.<br />

Insoweit hat Hobbes mit seinem gewaltgeneigten Naturzustand ein konsequentes und<br />

na<strong>ch</strong> wie vor zutreffendes Bild für die Interaktion zwis<strong>ch</strong>en egoistis<strong>ch</strong>en Nutzenmaximierern<br />

gezei<strong>ch</strong>net, das au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> neohobbesianis<strong>ch</strong>e Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien<br />

ni<strong>ch</strong>t überwunden werden kann. Gauthiers Projekt einer Begründung von Moral<br />

dur<strong>ch</strong> Vereinbarung ist in diesem Punkt ges<strong>ch</strong>eitert.<br />

IV. Zur Kritik an O. Höffes transzendentalem Taus<strong>ch</strong><br />

Das faszinierende Programm <strong>der</strong> Theorie Höffes besteht darin, politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

insgesamt auf ein einziges, relativ unbestrittenes Prinzip zurückzuführen – das<br />

<strong>der</strong> Taus<strong>ch</strong>gere<strong>ch</strong>tigkeit. Der Taus<strong>ch</strong> ist deshalb im hobbesianis<strong>ch</strong>en Sinne gere<strong>ch</strong>t,<br />

weil er für beide Seiten vorteilhaft ist. Um zu taus<strong>ch</strong>en muß man si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zu einer<br />

beson<strong>der</strong>en 'Taus<strong>ch</strong>moral' bekennen, son<strong>der</strong>n kann einfa<strong>ch</strong> den Gesetzen <strong>der</strong> Klugheit<br />

folgen und den individuellen Vorteil su<strong>ch</strong>en. Allerdings kann Höffes Herleitung<br />

politis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> allein aus klugem Taus<strong>ch</strong>verhalten in mindestens drei<br />

Punkten ni<strong>ch</strong>t überzeugen 104 .<br />

101 Ähnli<strong>ch</strong> P. Koller, Neue <strong>Theorien</strong> des Sozialkontrakts (1987), S. 225: Bu<strong>ch</strong>anans Theorie sei unbestimmt<br />

im gesamten Spektrum zwis<strong>ch</strong>en Sklaverei und Wohlfahrtsstaatli<strong>ch</strong>keit.<br />

102 Vgl. oben S. 191 (Moralis<strong>ch</strong>er Gehalt <strong>der</strong> Theorie Gauthiers).<br />

103 Zur Unmögli<strong>ch</strong>keit des normativen S<strong>ch</strong>utzes gegen Drohung soeben S. 279 (Kritik des neohobbesianis<strong>ch</strong>en<br />

Nutzenkalküls).<br />

104 Weitere Kritikpunkte, auf die hier ni<strong>ch</strong>t näher eingegangen werden kann, finden si<strong>ch</strong> bei P. Koller,<br />

Otfried Höffes Begründung <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te und des Staates (1997), S. 301 ff. – Ein Re<strong>ch</strong>tsbegriff,<br />

<strong>der</strong> öffentli<strong>ch</strong>e und monopolisierte Zwangsgewalt voraussetze, sei zu stark, weil ethnologis<strong>ch</strong>e<br />

Verglei<strong>ch</strong>e zeigten, daß re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Ordnung au<strong>ch</strong> in ni<strong>ch</strong>tzentralsierten 'segmentären Gesells<strong>ch</strong>aften'<br />

mögli<strong>ch</strong> sei. Der Staatsbegriff sei hingegen zu weit, als daß er den neuzeitli<strong>ch</strong>en Sinn<br />

erfassen könnte.<br />

281


Erstens führt die Theorie zu einem wenig überzeugenden Verständnis politis<strong>ch</strong>er<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, bei dem die Glei<strong>ch</strong>heit <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te negiert wird. Denn eine<br />

unliebsame Konsequenz des Taus<strong>ch</strong>konzepts von Höffe ist <strong>der</strong> Untergang all jener Interessen,<br />

die ni<strong>ch</strong>t mit Taus<strong>ch</strong>ma<strong>ch</strong>t einhergehen. Bei Kin<strong>der</strong>n und Alten kann das<br />

Problem mit einem asyn<strong>ch</strong>ronen Taus<strong>ch</strong> umgangen werden. Aber we<strong>der</strong> die Interessen<br />

von Mens<strong>ch</strong>en mit angeborener Behin<strong>der</strong>ung no<strong>ch</strong> diejenigen <strong>der</strong> weit in <strong>der</strong> Zukunft<br />

liegenden Generationen kann Höffes Taus<strong>ch</strong> einfangen. In beiden Fällen gibt es<br />

keinerlei Drohpotential, das den Handlungsmä<strong>ch</strong>tigen <strong>der</strong> Jetztgeneration entgegengehalten<br />

werden könnte. Höffe sieht das Problem selbst 105 . Er meint, man könne unter<br />

Umständen die Grundre<strong>ch</strong>te Behin<strong>der</strong>ter statt als eine Leistung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

als eine sol<strong>ch</strong>e <strong>der</strong> Solidarität ansehen. Das ist s<strong>ch</strong>on deshalb unbefriedigend, weil<br />

die Re<strong>ch</strong>te Behin<strong>der</strong>ter dann eine an<strong>der</strong>e Qualität hätten als diejenigen von Ni<strong>ch</strong>tbehin<strong>der</strong>ten.<br />

Sie sind keine vorpositiv begründeten, staatli<strong>ch</strong> 'gewährleisteten' Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te,<br />

son<strong>der</strong>n allein positiv 'gewährte' Grundre<strong>ch</strong>te. Außerdem wi<strong>der</strong>spri<strong>ch</strong>t<br />

diese Lösung <strong>der</strong> Sozialstaatskonzeption Höffes. Wenn Staatli<strong>ch</strong>keit nur dienend ist –<br />

Sozialstaatli<strong>ch</strong>keit also vor allem demokratiefunktional zur Verwirkli<strong>ch</strong>ung <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te<br />

legitimiert werden kann – dann bestünde für den Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utz Behin<strong>der</strong>ter<br />

kein Grund. Erst <strong>der</strong> Bestand von Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>ten re<strong>ch</strong>tfertigt staatli<strong>ch</strong>e Aktivität<br />

zu ihrem S<strong>ch</strong>utz.<br />

Zweitens bildet die Unbestimmtheit des Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>tskanons einen S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>punkt<br />

<strong>der</strong> Theorie. Höffe äußert si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t eindeutig dazu, wel<strong>ch</strong>e Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te in<br />

<strong>der</strong> natürli<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> bestehen. Er spri<strong>ch</strong>t zunä<strong>ch</strong>st nur von Leib, Leben, Eigentum,<br />

Ehre und Religion, führt später aber au<strong>ch</strong> die Meinungsfreiheit an 106 . Diese<br />

Unbestimmtheit hat gerade für Höffes Theorie einiges Gewi<strong>ch</strong>t. Denn davon, was in<br />

dem ursprüngli<strong>ch</strong>en Taus<strong>ch</strong>paket enthalten ist, hängt ab, ob ein späterer Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utz<br />

nur funktional ist und damit unter Umständen zur Disposition des Staates<br />

steht, o<strong>der</strong> ob eine vorpositive Geltung beanspru<strong>ch</strong>t werden kann. Versu<strong>ch</strong>t man<br />

Höffes Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>tspaket zu konkretisieren, so fällt auf, daß bei nahezu allen Kandidaten<br />

für den Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>tskanon die glei<strong>ch</strong>e Argumentation wie bei Ehre und<br />

Religion gilt. Praktis<strong>ch</strong> jedes Re<strong>ch</strong>t ist einigen Mens<strong>ch</strong>en wi<strong>ch</strong>tiger als ihr Leben. Es<br />

gibt immer Einzelne, die für ihre Meinungsfreiheit, ihre Wissens<strong>ch</strong>aftsfreiheit, ihre<br />

Kunstfreiheit, ihr Erziehungsre<strong>ch</strong>t, ihren ungestörten Naturgenuß sogar sterben würden.<br />

Konsequenterweise muß darum eine allgemeine Handlungsfreiheit zum Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>t<br />

erhoben werden 107 . Damit aber gewinnt das Taus<strong>ch</strong>paket einen an<strong>der</strong>en<br />

Charakter. Die Re<strong>ch</strong>te im sekundären Naturzustand haben ni<strong>ch</strong>t mehr nur ein Wirkli<strong>ch</strong>keitsdefizit,<br />

weil sie ohne staatli<strong>ch</strong>e Autorität ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong>setzbar sind, son<strong>der</strong>n<br />

sie haben zusätzli<strong>ch</strong> ein Bestimmtheitsdefizit, weil ohne Abgrenzung <strong>der</strong> Hand-<br />

105 O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 427: »Es soll ni<strong>ch</strong>t vers<strong>ch</strong>wiegen werden, daß bei einer<br />

Legitimation natürli<strong>ch</strong>er Re<strong>ch</strong>te dur<strong>ch</strong> den Taus<strong>ch</strong> von Freiheitsverzi<strong>ch</strong>ten diejenigen aus dem<br />

Kreis <strong>der</strong> Nutznießer ausgenommen bleiben, die aufgrund angeborener Behin<strong>der</strong>ung über keine<br />

Drohpotentiale verfügen und deshalb au<strong>ch</strong> in entwicklungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er Betra<strong>ch</strong>tung zu keinem<br />

(nennenswerten) Taus<strong>ch</strong> auf Gegenseitigkeit fähig sind.«<br />

106 O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 402: »als Lebewesen brau<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong> ... Leib und<br />

Leben, als Spra<strong>ch</strong>- und Denkwesen die Meinungsfreiheit u.s.w.«<br />

107 Etwas unbestimmt insofern O. Höffe, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Taus<strong>ch</strong>? (1991), S. 125: Ein »Interesse zweiter<br />

Stufe besteht in <strong>der</strong> Handlungsfreiheit«.<br />

282


lungssphären niemand mehr sagen kann, auf wel<strong>ch</strong>e Handlungsweisen ein Re<strong>ch</strong>t besteht<br />

und auf wel<strong>ch</strong>e ni<strong>ch</strong>t. Damit aber verliert das Paket seine Taus<strong>ch</strong>fähigkeit.<br />

Denn zum Taus<strong>ch</strong> in Höffes Theorie gehört <strong>der</strong> Freiheitsverzi<strong>ch</strong>t. Man kann zwar darauf<br />

verzi<strong>ch</strong>ten, die eigene Freiheit so zu gebrau<strong>ch</strong>en, daß die Integrität von Leib, Leben,<br />

Eigentum, Ehre o<strong>der</strong> Religion an<strong>der</strong>er beeinträ<strong>ch</strong>tigt wird. Man kann aber ni<strong>ch</strong>t<br />

darauf verzi<strong>ch</strong>ten, die eigene Freiheit so zu gebrau<strong>ch</strong>en, daß die Handlungsfreiheit<br />

an<strong>der</strong>er beeinträ<strong>ch</strong>tigt ist. Denn das ist bei je<strong>der</strong> Handlung mit Sozialbezug <strong>der</strong> Fall.<br />

Wann immer meine Handlungssphäre diejenige einer an<strong>der</strong>en Person berührt, ist <strong>der</strong>en<br />

Handlungsfreiheit betroffen.<br />

Drittens – und dies kann als gewi<strong>ch</strong>tigster Kritikpunkt gelten – gerät Höffe mit seiner<br />

Anwendung <strong>der</strong> Taus<strong>ch</strong>gere<strong>ch</strong>tigkeit in ein unauflösli<strong>ch</strong>es Dilemma. Er will<br />

Taus<strong>ch</strong>gere<strong>ch</strong>tigkeit frei von moralis<strong>ch</strong>em Vorverständnis wirken lassen 108 . Das<br />

kann er nur, wenn er die natürli<strong>ch</strong>en Unters<strong>ch</strong>iede <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>en beim Taus<strong>ch</strong> uneinges<strong>ch</strong>ränkt<br />

berücksi<strong>ch</strong>tigt. Es muß trotz <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>iede gezeigt werden können,<br />

daß alle Mens<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> auf einen Taus<strong>ch</strong> einlassen würden, denn<br />

Taus<strong>ch</strong>gere<strong>ch</strong>tigkeit steht unter <strong>der</strong> Bedingung, daß au<strong>ch</strong> tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> getaus<strong>ch</strong>t<br />

wird 109 . Da es von Natur aus unstreitig 'Starke' und 'S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>e' gibt, gewinnen die<br />

Mens<strong>ch</strong>en im Naturzustand eine vers<strong>ch</strong>iedene Taus<strong>ch</strong>ma<strong>ch</strong>t. Unter diesen Bedingungen<br />

ist es ni<strong>ch</strong>t rational, daß sie si<strong>ch</strong> gegenseitig alle dasselbe Paket von Re<strong>ch</strong>ten<br />

gewähren. Bu<strong>ch</strong>anan hat sehr viel überzeugen<strong>der</strong> dargelegt, wie ein Taus<strong>ch</strong> bei moralis<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t vorgeprägter Ausgangssituation aussehen müßte 110 . Erst na<strong>ch</strong> einem<br />

'Kampf bis aufs Messer' stellt si<strong>ch</strong> eine natürli<strong>ch</strong>e Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>tslage ein, in <strong>der</strong> die<br />

Parteien nur no<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> gegenseitige Abrüstungspakte ihre Lage verbessern können.<br />

Der für beide Seiten vorteilhafte Taus<strong>ch</strong> muß dann keinesfalls glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te zeitigen.<br />

Es kann sogar die Versklavung <strong>der</strong> einen dur<strong>ch</strong> die an<strong>der</strong>en bei<strong>der</strong>seits vorteilhaft<br />

sein, wenn nur die Unters<strong>ch</strong>iede in <strong>der</strong> Verhandlungsma<strong>ch</strong>t groß genug sind 111 .<br />

Dann sieht <strong>der</strong> Abrüstungsvertrag vor, daß Sklaven ein Re<strong>ch</strong>t auf Leib und Leben<br />

erhalten, die Herren aber zusätzli<strong>ch</strong> das Re<strong>ch</strong>t, die Arbeitskraft <strong>der</strong> Sklaven auszubeuten<br />

112 . Dieses Gegenmodell zeigt das Dilemma, in dem si<strong>ch</strong> die Theorie Höffes<br />

befindet. Ohne die von ihr ni<strong>ch</strong>t gewollte Moralisierung des Ausgangszustands<br />

kann sie ni<strong>ch</strong>t begründen, warum <strong>der</strong> Taus<strong>ch</strong> im Naturzustand eine Glei<strong>ch</strong>heit <strong>der</strong><br />

Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te erzeugen soll 113 . Dieses Dilemma wird au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t dadur<strong>ch</strong> auf-<br />

108 O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 402: »Weil die entspre<strong>ch</strong>enden Freiheitsverzi<strong>ch</strong>te für<br />

jeden vorteilhaft sind, bleiben sie Gebote <strong>der</strong> Klugheit und verlangen keine darüber hinausgehende<br />

Moralität.«<br />

109 Zu dieser Bedingtheit M. Kettner, Otfried Höffes transzendental-kontraktualistis<strong>ch</strong>e Begründung<br />

<strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1997).<br />

110 Hierzu und im folgenden J.M. Bu<strong>ch</strong>anan, Limits of Liberty (1975), S. 23 ff., 59 f.<br />

111 Zur Versklavung in <strong>der</strong> Theorie Bu<strong>ch</strong>anans oben S. 178 (Drohspiel als Sozialvertrag).<br />

112 Vgl. J.M. Bu<strong>ch</strong>anan, Limits of Liberty (1975), S. 23 ff., 60: »A contract of slavery would, as other<br />

contracts, define individual rights, and, to the extent that this assignment is mutually accepted,<br />

mutual gains may be secured from the consequent reduction in defense and predation effort.« Zu<br />

dieser Konsequenz P. Koller, Otfried Höffes Begründung <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te und des Staates<br />

(1997), S. 289 f.; J. Nida-Rümelin, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> bei John Rawls und Otfried Höffe (1997), S. 310 f.<br />

113 Ausführli<strong>ch</strong> zu dieser Kritik K. Günther, Kann ein Volk von Teufeln Re<strong>ch</strong>t und Staat moralis<strong>ch</strong> legitimieren?<br />

(1991), S. 199 ff.; P. Koller, Zur ethis<strong>ch</strong>en Begründung von Re<strong>ch</strong>t und Staat (1989),<br />

S. 480 – mit dem Beispiel einer Bu<strong>ch</strong>anan-Situation des Sklavereivertrags; <strong>der</strong>s., Otfried Höffes Be-<br />

283


gelöst, daß Höffe in jüngerer Zeit einen erhebli<strong>ch</strong> umfassen<strong>der</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff<br />

vertritt 114 . Dasselbe gilt für seine Hinweise auf 'entmoralisierte Moral' 115 und<br />

'Bedingungen von Handlungsfähigkeit' 116 .<br />

V. Ergebnisse<br />

Im Hinblick auf das strategis<strong>ch</strong>e Handeln unter egoistis<strong>ch</strong>en Nutzenmaximierern,<br />

das bei den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en Grundposition den Ausgangspunkt<br />

bildet, verfügt die Spieltheorie über einen gegenüber älteren Sozialvertragsmodellen<br />

genaueren Begründungsansatz. Die Spieltheorie kann aber ni<strong>ch</strong>t die<br />

normativen Argumente liefern, die zu einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung no<strong>ch</strong> fehlen.<br />

Die si<strong>ch</strong> we<strong>ch</strong>selseitig wi<strong>der</strong>spre<strong>ch</strong>enden Ansätze <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien zeigen,<br />

daß ein universelles Nutzenkalkül ni<strong>ch</strong>t bestimmbar ist. Dieses Defizit läßt si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t dadur<strong>ch</strong> überbrücken, daß – gewissermaßen dur<strong>ch</strong> die Hintertür – moralis<strong>ch</strong>e<br />

Bes<strong>ch</strong>ränkungen <strong>der</strong> Nutzenmaximierung eingeführt werden, denn damit verliert<br />

die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie ihren Charakter als Ents<strong>ch</strong>eidungstheorie. Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

<strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en Grundposition stellen si<strong>ch</strong> also insgesamt als prozedurale<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien dar, <strong>der</strong>en konkrete <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung mit<br />

so gewi<strong>ch</strong>tigen Unwägbarkeiten belastet ist und zu so inadäquaten Sozialmodellen<br />

führt, daß die <strong>Theorien</strong> im Ergebnis ni<strong>ch</strong>t überzeugen können.<br />

D. <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en Grundposition<br />

I. Zur Kritik <strong>der</strong> Sozialvertragstheorien<br />

Neuere Sozialvertragstheorien orientieren si<strong>ch</strong> meist an <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie<br />

von Rawls. Au<strong>ch</strong> als Referenzpunkt für Gegenmodelle und als Kristallisationspunkt<br />

für grundlegende Kritik dient diese Theorie. Deshalb sollen ihre S<strong>ch</strong>ä<strong>ch</strong>en hier stellvertretend<br />

für viele an<strong>der</strong>e Sozialvertragstheorien untersu<strong>ch</strong>t werden. Analyse und<br />

Kritik können dabei auf die Dreiteilung zurückgreifen, die in <strong>der</strong> Darstellung gewählt<br />

wurde: ents<strong>ch</strong>eidungstheoretis<strong>ch</strong>e Elemente, ältere Fairneßtheorie und neuere<br />

Liberalismustheorie 117 . Die Rawls-Kritik in <strong>der</strong> Sekundärliteratur ist so umfangrei<strong>ch</strong>,<br />

daß sie hier ni<strong>ch</strong>t präsentiert werden kann 118 . Es muß bei einer Auswahl von Kritikpunkten<br />

bleiben.<br />

gründung <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te und des Staates (1997), S. 289 ff.; W. Kersting, Herrs<strong>ch</strong>aftslegitimation<br />

(1997), S. 48 ff.<br />

114 Vgl. O. Höffe, Moral als Preis <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne (1993), S. 172 ff. (ökologis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>), S. 175<br />

(negatives Trittbrettfahren), S. 218 ff. (<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> gegenüber Tieren).<br />

115 O. Höffe, Erwi<strong>der</strong>ung (1997), S. 338.<br />

116 O. Höffe, Erwi<strong>der</strong>ung (1997), S. 347.<br />

117 Dazu oben S. 180 ff. (Theorie <strong>der</strong> Maximin-Wahl), S. 199 ff. (Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Fairneß),<br />

S. 205 ff. (Theorie des politis<strong>ch</strong>en Liberalismus).<br />

118 Die frühe Bibliographie von H.G. Wellbank/D. Snook/D.T. Mason, John Rawls and his Critics (1982),<br />

S. 23 ff. zählt allein 2.512 Sekundärquellen; zum jetzigen Zeitpunkt ist die Sekundärliteratur ni<strong>ch</strong>t<br />

mehr erfaßbar. Ein hier ni<strong>ch</strong>t weiter verfolgter Kritikpunkt ist <strong>der</strong> von B. Barry, The Liberal Theory<br />

of Justice (1973), S. 134 ff. – im Vierstufenmodell bleibe für den Verfassunggeber kaum no<strong>ch</strong><br />

Handlungsspielraum. Sehr ausführli<strong>ch</strong>e Kritik u.a. bei P. Koller, Neue <strong>Theorien</strong> des Sozialkontrakts<br />

(1987), S. 77 ff.<br />

284


1. Zur Kritik an J. Rawls ents<strong>ch</strong>eidungstheoretis<strong>ch</strong>em Ansatz<br />

Das ents<strong>ch</strong>eidungstheoretis<strong>ch</strong>e Element bei Rawls, die Maximin-Regel, ist bereits kritis<strong>ch</strong><br />

gewürdigt worden 119 . Hier bleibt <strong>der</strong> Kritik nur hinzuzufügen, daß die risikos<strong>ch</strong>eue<br />

Grundhaltung <strong>der</strong> Parteien im Rawlss<strong>ch</strong>en Urzustand ein Ergebnis <strong>der</strong> künstli<strong>ch</strong>en<br />

Unwissenheit ist, die Rawls dur<strong>ch</strong> den S<strong>ch</strong>leier des Ni<strong>ch</strong>twissens erzeugt.<br />

Dur<strong>ch</strong> dieses Konstrukt sollen die Parteien eine mögli<strong>ch</strong>st hohe Grundsi<strong>ch</strong>erung begehren,<br />

die sie je<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Güterverteilung vorziehen (Maximin), so daß sogar das<br />

egalitäre Differenzprinzip als Verteilungsprinzip in <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Ordnung akzeptabel<br />

ers<strong>ch</strong>eint. Für eine sol<strong>ch</strong>e Verallgemeinerung <strong>der</strong> Risikos<strong>ch</strong>eu fehlt bei Rawls<br />

indes jede Begründung. Es ist mit Re<strong>ch</strong>t kritisiert worden, daß ein verallgemeinerbares<br />

Interesse an risikoarmen Ents<strong>ch</strong>eidungen ni<strong>ch</strong>t besteht 120 . In bezug auf diese Annahme<br />

kann die Theorie von Rawls nur als unbegründet angesehen werden, was seine<br />

spätere Abwendung von dem ents<strong>ch</strong>eidungstheoretis<strong>ch</strong>en Ansatz verständli<strong>ch</strong><br />

ma<strong>ch</strong>t 121 .<br />

2. Zur Kritik an J. Rawls <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Fairneß<br />

Die ältere Fairneßtheorie zei<strong>ch</strong>net si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> die weitgehenden Wissensbes<strong>ch</strong>ränkungen<br />

<strong>der</strong> Parteien hinter dem S<strong>ch</strong>leier des Ni<strong>ch</strong>twissens aus. Sie führt letztli<strong>ch</strong> dazu,<br />

daß alle persönli<strong>ch</strong>en Fähigkeiten <strong>der</strong> Parteien sozialisiert werden. Niemand<br />

kann für die eigenen Talente Partei ergreifen, wenn er sie ni<strong>ch</strong>t kennt. Wer also tü<strong>ch</strong>tiger,<br />

kräftiger, intelligenter ist als an<strong>der</strong>e, muß das in <strong>der</strong> Fairneßkonzeption von<br />

Rawls ignorieren. Dur<strong>ch</strong> diese glei<strong>ch</strong>ma<strong>ch</strong>eris<strong>ch</strong>en Prämissen nutzt die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie<br />

zwar weiterhin das Darstellungmittel des Vertrags, löst si<strong>ch</strong> aber vom<br />

kontraktualistis<strong>ch</strong>en Rationalitätskonzept 122 , denn die Parteien treten ni<strong>ch</strong>t länger in<br />

eine Verhandlung über den Ausglei<strong>ch</strong> ihrer gegenseitigen Interessen, son<strong>der</strong>n sind<br />

konstruktiv so stark einan<strong>der</strong> angegli<strong>ch</strong>en, daß jede Partei die glei<strong>ch</strong>en Überlegungen<br />

anstellen muß.<br />

Dur<strong>ch</strong> diese Verzerrung des Vertragsmodells bei Rawls wird eine generelle<br />

S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>e <strong>der</strong> Sozialvertragstheorien deutli<strong>ch</strong>: ihre konstruktive Beliebigkeit 123 . Je<br />

na<strong>ch</strong>dem, wie <strong>der</strong> Urzustand o<strong>der</strong> Naturzustand ges<strong>ch</strong>il<strong>der</strong>t wird, können ganz gegensätzli<strong>ch</strong>e<br />

Sozialordnungen als gere<strong>ch</strong>t begründet werden. Dieser Mangel entspri<strong>ch</strong>t<br />

dem altbekannten Problem <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien, daß die Ents<strong>ch</strong>eidung<br />

mit <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidungssituation dur<strong>ch</strong> den Theoretiker bereits präju-<br />

119 Dazu oben S. 180 ff. (Theorie <strong>der</strong> Maximin-Wahl).<br />

120 A. Kaufmann, <strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1989), S. 14; A. Weale, Limits of Democracy<br />

(1989), S. 45; R.A. Posner, Economic Analysis of Law (1992), S. 462 f. Vgl. au<strong>ch</strong> R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 117; M.R. Deckert, Folgenorientierung in <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsanwendung (1995),<br />

S. 200 f. – Zusammenfassung <strong>der</strong> Kritik.<br />

121 Zu diesem Ri<strong>ch</strong>tungswe<strong>ch</strong>sel siehe S. 180 ff. (Theorie <strong>der</strong> Maximin-Wahl).<br />

122 Zur Differenz zwis<strong>ch</strong>en dem Vertrag als Darstellungsmittel und dem Vertrag als Rationalitätskonzept<br />

siehe oben S. 98 ff. (Vertrag).<br />

123 Vgl. W. Kersting, Die politis<strong>ch</strong>e Philosophie des Gesells<strong>ch</strong>aftsvertrags (1994), S. 52: »[D]ie generellen<br />

Gültigkeitsbedingungen des re<strong>ch</strong>tfertigungstheoretis<strong>ch</strong>en Kontraktualismus: seine Begründungsleistungen<br />

sind abhängig von den Bestimmungen <strong>der</strong> Vertragssituation«.<br />

285


diziert ist 124 . Bei Vertragstheorien führt die Natur- o<strong>der</strong> Urzustandskonstruktion in<br />

aller Regel zu einer Zirkularität <strong>der</strong> Begründung 125 . Eindrückli<strong>ch</strong> illustriert wird diese<br />

Beliebigkeit dur<strong>ch</strong> die auffällige Differenz zwis<strong>ch</strong>en <strong>der</strong> als gere<strong>ch</strong>t erkannten egalitären<br />

Sozialordnung bei Rawls und dem libertären Minimalstaat bei Nozick. Der<br />

Verglei<strong>ch</strong> zeigt, wie weit die Ergebnisse von Sozialvertragstheorien auseinan<strong>der</strong>fallen<br />

können. Eine sol<strong>ch</strong>e Ergebnisdifferenz folgt ni<strong>ch</strong>t allein daraus, daß Rawls eine<br />

kantis<strong>ch</strong>e und Nozick eine hobbesianis<strong>ch</strong>e Theorie begründet. Au<strong>ch</strong> innerhalb <strong>der</strong><br />

kantis<strong>ch</strong>en Tradition gibt es erhebli<strong>ch</strong>e Unters<strong>ch</strong>iede je na<strong>ch</strong> Ausgestaltung <strong>der</strong> kontraktuellen<br />

Ausgangsposition 126 . Als grundlegende Kritik kann deshalb festgestellt<br />

werden: Das Modell des Sozialvertrags bietet allein keine überzeugende Grundlage<br />

für die Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>.<br />

3. Zur Kritik an J. Rawls politis<strong>ch</strong>em Liberalismus<br />

Die neuere Liberalismustheorie von Rawls wendet si<strong>ch</strong> weitgehend von dem älteren<br />

Modell ab. Ni<strong>ch</strong>t die Deduktion eines sozialen Ideals aus einem hypothetis<strong>ch</strong>en Sozialvertrag,<br />

son<strong>der</strong>n die Mögli<strong>ch</strong>keit und Notwendigkeit einer freistehenden Konzeption<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, getragen von einem übergreifenden Konsens in <strong>der</strong> realen<br />

Welt, wird zum Ziel <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung. Darin liegt zwar no<strong>ch</strong> keine<br />

Synthese von Kommunitarismus und Liberalismus 127 , do<strong>ch</strong> eine deutli<strong>ch</strong>e Abwendung<br />

von dem ursprüngli<strong>ch</strong>en Sozialvertragsmodell <strong>der</strong> Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

128 . Die neue methodis<strong>ch</strong>e Einbettung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie führt<br />

dazu, daß die ursprüngli<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien (N 1 N 2<br />

129), selbst na<strong>ch</strong> ihrer<br />

inhaltli<strong>ch</strong>en Än<strong>der</strong>ung dur<strong>ch</strong> Rawls (N 1 ' N 2 ' 130 ), kaum no<strong>ch</strong> als realistis<strong>ch</strong>es Ergebnis<br />

<strong>der</strong> Theorie angesehen werden können. Die kritis<strong>ch</strong>e Rezeption <strong>der</strong> Theorie hat si<strong>ch</strong><br />

deshalb verlagert. Sie konzentriert si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t länger auf das problematis<strong>ch</strong>e Differenzprinzip,<br />

das ohnehin kein realistis<strong>ch</strong>er Kandidat für einen übergreifenden Konsens<br />

sein kann 131 , son<strong>der</strong>n fragt, ob es überhaupt mögli<strong>ch</strong> und notwendig ist, einen<br />

sol<strong>ch</strong>en übergreifenden Konsens herzustellen, also eine Konzeption <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>,<br />

die 'freistehend' in dem Sinne ist, daß sie aus <strong>der</strong> Perspektive unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>-<br />

124 P. Ricœur, Soi-même comme un autre (1990), S. 274: »Ma thèse est que cette conception fournit au<br />

mieux la formalisation d'un sens de la justice qui ne cesse d'être présupposé.« R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t<br />

und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 117 kennzei<strong>ch</strong>net diese Zirkularität als das Hauptproblem aller Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien.<br />

125 P. Pre<strong>ch</strong>tl, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> und Individualität (1990), S. 176 f. m.w.N. Zur Zirkularität speziell in<br />

Rawls' Theorie etwa M. Köhler, Iustitia distributiva (1993), S. 474. P. S<strong>ch</strong>nepel, Liberalismus als<br />

Theorie <strong>der</strong> amerikanis<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aft (1995), S. 156 verortet die Zirkularität, die in <strong>der</strong> älteren<br />

Theorie bei <strong>der</strong> Gestaltung des Urzustands lag, außerdem in <strong>der</strong> neueren Theorie bei <strong>der</strong> Idee eines<br />

übergreifenden Konsenses.<br />

126 Vgl. etwa oben S. 211 ff. (Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Unabweisbarkeit; Scanlon).<br />

127 So aber P. S<strong>ch</strong>nepel, Liberalismus als Theorie <strong>der</strong> amerikanis<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aft (1995), S. 156.<br />

128 Zur grundlegenden Bedeutung des Methodenwe<strong>ch</strong>sels bereits oben S. 199 ff. (Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

als Fairneß).<br />

129 Dazu oben S. 203 (Zwei Prinzipien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

130 Dazu oben S. 209 (Neue <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien).<br />

131 Bezei<strong>ch</strong>nen<strong>der</strong>weise hält Rawls das Differenzprinzip selbst ni<strong>ch</strong>t für geeignet, auf die Verteilungsfragen<br />

innerhalb <strong>der</strong> Völkergemeins<strong>ch</strong>aft ausgedehnt zu werden; J. Rawls, Das Völkerre<strong>ch</strong>t (1993),<br />

S. 87.<br />

286


ster Konzeptionen des Guten (Religionen, Moralphilosophien) befürwortet werden<br />

könnte.<br />

Beides, sowohl die Mögli<strong>ch</strong>keit wie die Notwendigkeit einer freistehenden Konzeption<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, ist zweifelhaft. Das gilt jedenfalls für diejenigen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien,<br />

die Rawls vorges<strong>ch</strong>lagen hat. Au<strong>ch</strong> zeigt si<strong>ch</strong>, daß <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>e<br />

Liberalismus nur vor<strong>der</strong>gründig eine moralis<strong>ch</strong> zielneutrale Konzeption ist, da er<br />

tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> alle wi<strong>ch</strong>tigen moralis<strong>ch</strong>en Normen im Interesse <strong>der</strong> Stabilität explizit<br />

festlegt und abwei<strong>ch</strong>ende Konzeptionen als irrational auss<strong>ch</strong>ließt 132 .<br />

Do<strong>ch</strong> mögen sol<strong>ch</strong>e Bedenken überwindbar sein, wenn man wie Jansen den methodis<strong>ch</strong>en<br />

Ansatz <strong>der</strong> freistehenden Konzenption <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> von Rawls neu<br />

ausfüllt 133 . Als Beispiel für eine freistehende Konzeption, die real mögli<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>eint,<br />

führt Jansen die Werkinterpretation unter Kammermusikern an. Diese müssen eine<br />

einheitli<strong>ch</strong>e Interpretation finden, obwohl sie unter Umständen von ganz unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en<br />

Vorstellungen ausgehen. An<strong>der</strong>s als in einem Symphonieor<strong>ch</strong>ester, das<br />

<strong>der</strong> Autorität des Dirigenten gehor<strong>ch</strong>t, müssen die Kammermusiker untereinan<strong>der</strong><br />

selbst eine Lösung finden. Diese gemeinsame Interpretation tritt neben diejenige, die<br />

aus Si<strong>ch</strong>t des einzelnen Musikers ri<strong>ch</strong>tig wäre. Niemand kann seine eigene Interpretationsvorstellung<br />

ganz dur<strong>ch</strong>setzen. Die individuellen Ansi<strong>ch</strong>ten werden glei<strong>ch</strong>wohl<br />

ni<strong>ch</strong>t wi<strong>der</strong>legt, son<strong>der</strong>n ledigli<strong>ch</strong> im Interesse eines gemeinsamen Werkverständnisses<br />

zurückgestellt. Ein Mittel, die so verstandene freistehende Konzeption<br />

in <strong>der</strong> Sozialordnung real mögli<strong>ch</strong> zu ma<strong>ch</strong>en, besteht na<strong>ch</strong> Jansen darin, die Prinzipienstruktur<br />

von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen zu nutzen. Die Prinzipienstruktur erlaubt<br />

dur<strong>ch</strong> das Konzept <strong>der</strong> Abwägung die Berücksi<strong>ch</strong>tigung kollidieren<strong>der</strong> Normen 134 .<br />

Sie ist darum in beson<strong>der</strong>er Weise geeignet, zu einer freistehenden Konzeption <strong>der</strong><br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> beizutragen und wird dann zu einer freistehenden Prinzipienkonzeption<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, die ihren realen Nie<strong>der</strong>s<strong>ch</strong>lag in einem Konsens über eine Grundre<strong>ch</strong>tsordnung<br />

findet, in <strong>der</strong> die wi<strong>der</strong>streitenden Interessen dur<strong>ch</strong> eine Abwägung<br />

zwis<strong>ch</strong>en divergierenden Grundre<strong>ch</strong>tsnormen zu einem fairen Ausglei<strong>ch</strong> gebra<strong>ch</strong>t<br />

werden. Bei alledem wird deutli<strong>ch</strong>, daß freistehende Konzeptionen <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

mit dem ursprüngli<strong>ch</strong>en Sozialvertragsmodell von Rawls ni<strong>ch</strong>ts mehr gemein<br />

haben. Sie bilden einen Neubeginn, <strong>der</strong> am ehesten mit den Darstellungsmitteln <strong>der</strong><br />

Standpunkt- o<strong>der</strong> Diskurstheorien ausgearbeitet werden könnte, was indes no<strong>ch</strong> aussteht.<br />

132 Zu dieser Kritik P. S<strong>ch</strong>nepel, Liberalismus als Theorie <strong>der</strong> amerikanis<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aft (1995),<br />

S. 154.<br />

133 In <strong>der</strong> Rekonstruktion von N. Jansen, Struktur <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1998), S. 271 ff., ist eine freistehende<br />

Konzeption <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> dur<strong>ch</strong> vier Elemente gekennzei<strong>ch</strong>net: Erstens ist sie das Ergebnis<br />

einer moralis<strong>ch</strong>en Einigung, ni<strong>ch</strong>t das einer gemeinsamen Erkenntnis. Zweitens bildet sie<br />

neben individuellen Überzeugungen ein zusätzli<strong>ch</strong>es Element einer gemeinsamen Moral. Drittens<br />

ist eine freistehende Konzeption dabei unabhängig von einzelnen weltans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>en Konzeptionen<br />

<strong>der</strong> Moral begründet. Viertens muß sie sämtli<strong>ch</strong>e als relevant behauptete Argumente berücksi<strong>ch</strong>tigen.<br />

134 N. Jansen, Validity of Public Morality (1988), S. 10; <strong>der</strong>s., Struktur <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1998), S. 267 ff.<br />

Ähnli<strong>ch</strong> zum Potential <strong>der</strong> Abwägung unter Prinzipien, wenn au<strong>ch</strong> an<strong>der</strong>s in <strong>der</strong> Analyse des<br />

Abwägungsvorgangs: J.-R. Sieckmann, Zur Begründung von Abwägungsurteilen (1995), S. 45 ff.<br />

(46 ff.).<br />

287


Zusammenfassend kann am Beispiel <strong>der</strong> Rawlss<strong>ch</strong>en Theorie festgehalten werden:<br />

Das Modell des Sozialvertrags bietet allein keine überzeugende Grundlage für<br />

die Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>. Eine freistehende Prinzipienkonstruktion <strong>der</strong><br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> mag eine überzeugen<strong>der</strong>e Begründung ermögli<strong>ch</strong>en, harrt aber no<strong>ch</strong><br />

einer inhaltli<strong>ch</strong>en Ausarbeitung. Bisher können we<strong>der</strong> Rawls <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie,<br />

no<strong>ch</strong> die Versu<strong>ch</strong>e zu ihrer Rettung überzeugen.<br />

4. Zur Kritik an T.M. Scanlon, B. Barry und T. Nagel<br />

Was bei Rawls '<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Fairneß' stellvertretend für alle Vertragstheorien kritisiert<br />

wurde, daß sie si<strong>ch</strong> nämli<strong>ch</strong> dem Problem konstruktiver Beliebigkeit ausgesetzt<br />

sehen, weil sie in den Ur- o<strong>der</strong> Naturzustand bereits substantielle Annahmen<br />

aufnehmen, die das Ergebnis präjudizieren, kann au<strong>ch</strong> für die <strong>Theorien</strong> von Scanlon,<br />

Barry und Nagel belegt werden. Beim Scanlon-Kriterium (T S ) hat si<strong>ch</strong> gezeigt, daß die<br />

'Unerzwungenheit' in einem (aus <strong>der</strong> Formulierung selbst ni<strong>ch</strong>t ersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en) egalitären<br />

Sinn gemeint ist; eine s<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>ere Verhandlungsposition einzelner Teilnehmer ist<br />

ni<strong>ch</strong>t erlaubt. Scanlon sagt ni<strong>ch</strong>ts darüber, ob eine vernünftigerweise ni<strong>ch</strong>t zurückweisbare<br />

Vereinbarung mögli<strong>ch</strong> ist, wenn die Voraussetzung <strong>der</strong> glei<strong>ch</strong>en Verhandlungsma<strong>ch</strong>t<br />

fehlt. Man wird angesi<strong>ch</strong>ts des Gewi<strong>ch</strong>ts, das dieses egalitäre Element<br />

hat, wohl annehmen müssen, daß T S ni<strong>ch</strong>t länger als hinrei<strong>ch</strong>endes Abgrenzungskriterium<br />

zwis<strong>ch</strong>en Ungere<strong>ch</strong>tigkeit und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> angesehen werden kann, wenn<br />

die Ausgangspositionen unglei<strong>ch</strong> sind. Dadur<strong>ch</strong> aber wird die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung<br />

bei Scanlon ähnli<strong>ch</strong> zirkulär wie bei Rawls: <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ri<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong><br />

Unabweisbarkeit, die wie<strong>der</strong>um nur bei Glei<strong>ch</strong>heit gilt, also unter Bedingungen, die<br />

eines <strong>der</strong> Kernelemente <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> bereits enthalten 135 . Indem Barry auf das<br />

Scanlon-Kriterium zurückgreift, setzt si<strong>ch</strong> seine Theorie <strong>der</strong>selben Kritik aus. Entspre<strong>ch</strong>endes<br />

gilt für Nagels Theorie; hier verbirgt si<strong>ch</strong> die Voraussetzung <strong>der</strong> Egalität<br />

in <strong>der</strong> 'vernünftigen' Parteili<strong>ch</strong>keit 136 .<br />

II.<br />

Zur Kritik <strong>der</strong> Standpunkttheorien<br />

Beoba<strong>ch</strong>ter- und an<strong>der</strong>e Standpunkttheorien unters<strong>ch</strong>eiden si<strong>ch</strong> von Sozialvertragsund<br />

Diskurstheorien zentral dadur<strong>ch</strong>, daß sie bei <strong>der</strong> Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

auf eine dialogis<strong>ch</strong>e Argumentation verzi<strong>ch</strong>ten. Auf die Frage, was eine Handlung<br />

gere<strong>ch</strong>t ma<strong>ch</strong>t, geben sie eine monologis<strong>ch</strong> konzipierte Antwort. Als gere<strong>ch</strong>t ist dana<strong>ch</strong><br />

das anzusehen, was eine einzelne Person na<strong>ch</strong> reifli<strong>ch</strong>er Überlegung als ri<strong>ch</strong>tig<br />

erkennt. Die Analyse und Kritik <strong>der</strong> Standpunkttheorien kann bei <strong>der</strong> Frage ansetzen,<br />

ob gute Gründe besser dur<strong>ch</strong> dialogis<strong>ch</strong> konzipierte o<strong>der</strong> dur<strong>ch</strong> monologis<strong>ch</strong><br />

konzipierte Kriterien identifiziert werden können. Die Antwort auf diese Frage soll<br />

auf den hier interessierenden Berei<strong>ch</strong> <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft bes<strong>ch</strong>ränkt bleiben;<br />

sie kann in zwei S<strong>ch</strong>ritten gegeben werden. In einem ersten S<strong>ch</strong>ritt ist zu zeigen, was<br />

eine monologis<strong>ch</strong>e von einer dialogis<strong>ch</strong>en Konzeption praktis<strong>ch</strong>er Vernunft unters<strong>ch</strong>eidet.<br />

Erst dann kann als Kritik an den Standpunkttheorien begründet werden,<br />

135 Vgl. oben S. 56 ff. (Glei<strong>ch</strong>heitsbezug <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

136 Dazu oben S. 214 ('vernünftige' Parteili<strong>ch</strong>keit).<br />

288


warum die dialogis<strong>ch</strong>e Konzeption zumindest für <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen vorzugswürdig<br />

ist.<br />

Zu den Eigenheiten je<strong>der</strong> monologis<strong>ch</strong>en Konzeption <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft gehört,<br />

daß sie si<strong>ch</strong> den Prozeß <strong>der</strong> Begründung in einer einzigen Person denkt. Das<br />

beste Beispiel für eine sol<strong>ch</strong>e Konzeption ist die Beoba<strong>ch</strong>tertheorie, wie sie vor allem<br />

von Nagel vertreten wird 137 . Eine Beoba<strong>ch</strong>tertheorie glei<strong>ch</strong>t den dialogis<strong>ch</strong>en <strong>Theorien</strong><br />

darin, daß sie ein gewisses Maß an Unparteili<strong>ch</strong>keit voraussetzt, um von guten<br />

Gründen zu spre<strong>ch</strong>en. An<strong>der</strong>s als bei dialogis<strong>ch</strong>en <strong>Theorien</strong> wird aber behauptet,<br />

daß diese Unparteili<strong>ch</strong>keit von einer einzigen Person si<strong>ch</strong>ergestellt werden kann.<br />

Na<strong>ch</strong> Nagel nimmt <strong>der</strong> über ri<strong>ch</strong>tiges Handeln Na<strong>ch</strong>denkende (moral agent) eine innere<br />

Haltung ein, die in einem angemessenen Maße neben den eigenen Interessen au<strong>ch</strong><br />

die Interessen aller an<strong>der</strong>en zur Geltung kommen läßt. Es ist eine Perspektive wohlabgewogenen<br />

Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts zwis<strong>ch</strong>en subjektiven Bedürfnissen und objektiven Erfor<strong>der</strong>nissen.<br />

Der 'moral agent' tritt gewissermaßen aus si<strong>ch</strong> selbst heraus und wird<br />

zum Beoba<strong>ch</strong>ter. Was in dieser selbstentrückten Perspektive des Beoba<strong>ch</strong>tens an<br />

Einsi<strong>ch</strong>t gewonnen werden kann, trägt dann ein Maß an Unparteili<strong>ch</strong>keit in si<strong>ch</strong>, das<br />

es zu einem guten Grund ma<strong>ch</strong>t.<br />

Die Eigenheit dialogis<strong>ch</strong>er Konzeptionen <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft besteht demgegenüber<br />

darin, die Unparteili<strong>ch</strong>keit dur<strong>ch</strong> eine Vielfalt glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigter o<strong>der</strong> glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigt<br />

vertretener Personen si<strong>ch</strong>erzustellen. Wer mehr als eine Person zu Wort<br />

kommen läßt, hat bereits Unparteili<strong>ch</strong>keit errei<strong>ch</strong>t, wenn die Teilnahme <strong>der</strong> einzelnen<br />

Person glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigt und zwangsfrei erfolgt. Die unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Interessen<br />

werden ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> individuelle Entrückung, son<strong>der</strong>n dur<strong>ch</strong> individuelle Repräsentation<br />

geltend gema<strong>ch</strong>t. Diese Repräsentation kann dabei je na<strong>ch</strong> dialogis<strong>ch</strong>er<br />

Konzeption sehr unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> ausfallen. Eine Ents<strong>ch</strong>eidungstheorie wie die von<br />

Gauthier wird die einzelnen Personen immer im Vollbesitz all ihrer tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Fähigkeiten,<br />

Kenntnisse und Unters<strong>ch</strong>iede sehen, eine Theorie wie die von Rawls hingegen<br />

wird dur<strong>ch</strong> einen S<strong>ch</strong>leier des Ni<strong>ch</strong>twissens zusätzli<strong>ch</strong>e Unparteili<strong>ch</strong>keit au<strong>ch</strong><br />

innerhalb <strong>der</strong> einzelnen Person erzeugen und eine Argumentationstheorie s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong><br />

wird weitergehende Anfor<strong>der</strong>ungen an gute Gründe stellen, die über die Vertretung<br />

von Einzelinteressen hinausgehen. Gemeinsam ist allen dialogis<strong>ch</strong>en Konzeptionen<br />

nur, daß sie darauf verzi<strong>ch</strong>ten können, den Einen zu innerer Distanz zu zwingen, indem<br />

sie ihm einen An<strong>der</strong>en gegenüberstellen, so daß si<strong>ch</strong> im Zusammenwirken bei<strong>der</strong><br />

die Unparteili<strong>ch</strong>keit ergibt. Während monologis<strong>ch</strong>e Konzeptionen praktis<strong>ch</strong>er<br />

Vernunft also einen Binnenpluralismus voraussetzen, beruhen dialogis<strong>ch</strong>e Konzeptionen<br />

auf einem Außenpluralismus <strong>der</strong> geltend gema<strong>ch</strong>ten Gründe.<br />

Warum ist nun eine dialogis<strong>ch</strong>e Konzeption praktis<strong>ch</strong>er Vernunft – zumindest<br />

für den hier interessierenden Anwendungsberei<strong>ch</strong> – vorzugswürdig? Es geht hier<br />

darum, bestimmte Gründe als gute Gründe zu identifizieren, also als sol<strong>ch</strong>e, die<br />

Wahrheit o<strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit belegen können. In den betra<strong>ch</strong>teten <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en<br />

Vernunft geht es allein um Ri<strong>ch</strong>tigkeit. Es kann darum dahingestellt bleiben,<br />

ob si<strong>ch</strong> monologis<strong>ch</strong>e Konzeptionen im Berei<strong>ch</strong> des Beweisens (Wahrheit) glei<strong>ch</strong> gut<br />

bewähren wie dialogis<strong>ch</strong>e Konzeptionen. Es genügt s<strong>ch</strong>on zu zeigen, daß sie bei<br />

praktis<strong>ch</strong>en Fragen, also beim 'ni<strong>ch</strong>tbeweisenden' Begründen von Handlungsnor-<br />

137 Dazu oben S. 212 ff. (Theorie des unparteiis<strong>ch</strong>en Beoba<strong>ch</strong>ters).<br />

289


men, weniger geeignet sind, gute Gründe zu identifizieren. Dies indes kann mit folgen<strong>der</strong><br />

Argumentation belegt werden.<br />

Bei praktis<strong>ch</strong>en Fragen ist die persönli<strong>ch</strong>e Voreingenommenheit in aller Regel<br />

größer als bei sol<strong>ch</strong>en über beweisbare Tatsa<strong>ch</strong>en. Wer über Handeln urteilt, tut dies<br />

immer vor dem Hintergrund <strong>der</strong> eigenen vergangenen und geplanten zukünftigen<br />

Aktivität – er ist befangen. Bezogen auf beweisbare Tatsa<strong>ch</strong>en wird si<strong>ch</strong> eine sol<strong>ch</strong>e<br />

Befangenheit nur selten einstellen. Damit kommt in Fragen des Handelns <strong>der</strong> Herstellung<br />

von Unparteili<strong>ch</strong>keit eine größere Bedeutung zu. Es ist folgli<strong>ch</strong> unter vers<strong>ch</strong>iedenen<br />

Konzeptionen <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft diejenige vorzugswürdig, bei<br />

<strong>der</strong> eher zu erwarten ist, daß sie die Unparteili<strong>ch</strong>keit tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> herstellen kann.<br />

Während dialogis<strong>ch</strong>e Konzeptionen dies dur<strong>ch</strong> eine Mehrzahl von frei und glei<strong>ch</strong><br />

agierenden Teilnehmern garantieren, sind monologis<strong>ch</strong>e Konzeptionen auf die innere<br />

Distanzierung von persönli<strong>ch</strong>en Interessen und Meinungen angewiesen. In hypothetis<strong>ch</strong>en<br />

Idealsituationen mag die innere Distanzierung (Binnenpluralismus) glei<strong>ch</strong><br />

gut gelingen wie die äußere Pluralität <strong>der</strong> Ansi<strong>ch</strong>ten. Bei einer Übertragung auf reale<br />

Situationen des praktis<strong>ch</strong>en Vernunftgebrau<strong>ch</strong>s wird dagegen in aller Regel eine<br />

äußere Meinungsvielfalt einfa<strong>ch</strong>er und umfassen<strong>der</strong> herzustellen sein als die psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong><br />

anspru<strong>ch</strong>svolle, tendenziell s<strong>ch</strong>wer kontrollierbare und kaum jemals umfassende<br />

innere Distanzierung von eigenen Überzeugungen. Monologis<strong>ch</strong>e Konzeptionen<br />

<strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft stoßen dadur<strong>ch</strong> auf zusätzli<strong>ch</strong>e Probleme 138 , dialogis<strong>ch</strong>e<br />

Konzeptionen haben zumindest einen heuristis<strong>ch</strong>en Vorteil 139 . Abgesehen von<br />

einigen Son<strong>der</strong>situationen, in denen (friedli<strong>ch</strong>e) Pluralität <strong>der</strong> Meinungen unter vers<strong>ch</strong>iedenen<br />

Personen s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terdings ni<strong>ch</strong>t herzustellen ist, sollten deshalb dialogis<strong>ch</strong>e<br />

Konzeptionen <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft den monologis<strong>ch</strong>en vorgezogen werden.<br />

Dur<strong>ch</strong> die Einbindung <strong>der</strong> Argumente in eine kommunikative – d.h. ni<strong>ch</strong>t bloß<br />

monologis<strong>ch</strong>e – Struktur kann das größtmögli<strong>ch</strong>e Maß an Rationalität realisiert werden<br />

140 .<br />

III. Zur Kritik <strong>der</strong> Diskurstheorien<br />

Am diskurstheoretis<strong>ch</strong>en Ansatz ist vielfältige Kritik geübt worden 141 , die in allen ihren<br />

Facetten und in den unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Ansatzpunkten zu ihrer Wi<strong>der</strong>legung 142<br />

138 Vgl. R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1978), S. 224 mit Fn. 11 – zusätzli<strong>ch</strong>e Probleme<br />

müßten au<strong>ch</strong> bei einer Theorie des 'inneren Diskurses' gelöst werden.<br />

139 Das ist selbst bei diskurskritis<strong>ch</strong>er Betra<strong>ch</strong>tung zuzugestehen: H. Koriath, Diskurs und Strafre<strong>ch</strong>t<br />

(1999), S. 193: »Der Diskurs ist ein heuristis<strong>ch</strong>es Mittel, Begründungen enthält er ni<strong>ch</strong>t.«<br />

140 R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1991), S. 409.<br />

141 Etwa bei E. Tugendhat, Probleme <strong>der</strong> Ethik (1984), S. 108 ff. (monologis<strong>ch</strong>es statt dialogis<strong>ch</strong>es Rationalitätskonzept);<br />

A. Kaufmann, <strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1989), S. 17 ff. (Inhaltsleere);<br />

<strong>der</strong>s., Über <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1993), S. 301 ff., 320 (Rangordnung <strong>der</strong> Argumente); H. Keuth, Erkenntnis<br />

o<strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidung (1993), S. 203 ff., 347 ff. (Beliebigkeit <strong>der</strong> Begründung); O. Weinberger,<br />

Conflicting Views on Practical Rationality (1992), S. 256 ff. (260) (Konsens als 'Pseudo-Argument');<br />

<strong>der</strong>s., Über die Kultur <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Argumentation (1994), S. 150; <strong>der</strong>s., Habermas on Democracy<br />

and Justice (1994), S. 242 (Konvergenzbeweis); <strong>der</strong>s., Diskursive Demokratie ohne Diskursphilosophie<br />

(1996), S. 428 ff. (Diskurs als 's<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>te Idealisierung'); U. Steinhoff, Probleme <strong>der</strong> Legitimation<br />

(1996), S. 449 ff.<br />

290


hier ni<strong>ch</strong>t im einzelnen dargestellt werden kann 143 . Statt dessen konzentriert si<strong>ch</strong> die<br />

Untersu<strong>ch</strong>ung auf einige Punkte, die <strong>der</strong> Klärung bedürfen, bevor im fünften und<br />

letzten Teil die Grundzüge einer Diskurstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> dargelegt werden<br />

können.<br />

1. Zur Kritik des Ri<strong>ch</strong>tigkeitsanspru<strong>ch</strong>s<br />

Begreift man praktis<strong>ch</strong>e Ri<strong>ch</strong>tigkeit diskurstheoretis<strong>ch</strong>, so gilt eine Handlungsnorm<br />

genau dann als ri<strong>ch</strong>tig, wenn sie das Ergebnis <strong>der</strong> Prozedur des rationalen praktis<strong>ch</strong>en<br />

Diskurses sein kann 144 . Dieser Zusammenhang kann als Ri<strong>ch</strong>tigkeitsanspru<strong>ch</strong> in<br />

<strong>der</strong> Diskurstheorie bezei<strong>ch</strong>net werden. Das 'Ergebnis <strong>der</strong> Prozedur' besteht in einem<br />

Konsens. Die Diskurstheorie ist folgli<strong>ch</strong> eine Konsensustheorie <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit. Diese<br />

Verbindung von Ri<strong>ch</strong>tigkeit mit Konsens hat in beson<strong>der</strong>em Maße die Kritik <strong>der</strong>jenigen<br />

herausgefor<strong>der</strong>t, die eine Korrespondenz- o<strong>der</strong> eine Konvergenztheorie <strong>der</strong><br />

Ri<strong>ch</strong>tigkeit vertreten 145 . Im Kern geht es bei <strong>der</strong> Kritik um die Frage, ob eine Einhaltung<br />

von Diskursregeln als Kriterium zur Begründung praktis<strong>ch</strong>er Ri<strong>ch</strong>tigkeit genügt<br />

146 . Dabei können vor allem vier Einzelkritiken unters<strong>ch</strong>ieden werden. Erstens<br />

die Aussage, daß es in Diskursen ni<strong>ch</strong>t notwendig zu einem Konsens kommt. Zweitens<br />

die Feststellung, daß nur ein relativer Begriff <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit gebildet werden<br />

kann. Drittens die Behauptung, die Einhaltung von Diskursregeln habe mit Ri<strong>ch</strong>tigkeit<br />

überhaupt ni<strong>ch</strong>ts zu tun. Und viertens <strong>der</strong> Hinweis, die Diskurstheorie könne<br />

zwar die Ri<strong>ch</strong>tigkeit moralis<strong>ch</strong>en, ni<strong>ch</strong>t aber diejenige pragmatis<strong>ch</strong>en o<strong>der</strong> ethis<strong>ch</strong>en<br />

Handelns begründen.<br />

Zur ersten Kritik: Die Aussage, daß es in Diskursen ni<strong>ch</strong>t notwendig zu einem<br />

Konsens kommt, enthält für diejenigen eine Kritik, die (explizit o<strong>der</strong> implizit) for<strong>der</strong>n,<br />

es müsse ein Kriterium geben, das in jedem Fall eine definitive Ents<strong>ch</strong>eidung<br />

<strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeitsfrage mögli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>t. Anfe<strong>ch</strong>tbar ist daran s<strong>ch</strong>on die Voraussetzung,<br />

142 Ansätze zur Wi<strong>der</strong>legung etwa bei J. Habermas, Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln<br />

(1983), S. 78 ff.; R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1991), S. 399 ff. – 'Antwort auf<br />

einige Kritiker'.<br />

143 Das gilt etwa für die Unters<strong>ch</strong>eidung von Anwendungs- und Begründungsdiskursen; dafür vor<br />

allem K. Günther, Sinn für Angemessenheit (1988), S. 25 ff., 50, 65 ff.; zustimmend J. Habermas,<br />

Erläuterungen zur Diskursethik (1991), S. 138 ff.; dagegen R. Alexy, Normbegründung und Normanwendung<br />

(1993), S. 52 ff. Zum Ganzen oben S. 222 (Anwendungsdiskurs?).<br />

144 R. Alexy, Die Idee einer prozeduralen Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1979), S. 95; vgl.<br />

oben S. 218 (D R ).<br />

145 Etwa P. Gril, Mögli<strong>ch</strong>keit praktis<strong>ch</strong>er Erkenntnis (1998), S. 161 ff. Zu Korrespondenztheorien etwa<br />

L.B. Puntel, Wahrheitstheorien in <strong>der</strong> neueren Philosophie (1978), S. 26 ff. Für eine Konvergenztheorie<br />

insbeson<strong>der</strong>e A. Kaufmann, Über die Wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>keit <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tswissens<strong>ch</strong>aft (1986),<br />

S. 440 ff.; <strong>der</strong>s., <strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1989), S. 19; O. Weinberger, Habermas on<br />

Democracy and Justice. Limits of a Sound Conception (1994), S. 240 ff., 244 m.w.N. Vgl. M.R. Deckert,<br />

Folgenorientierung in <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsanwendung (1995), S. 208 ff. – Zusammenfassung <strong>der</strong> Positionen.<br />

146 Hinzuweisen ist insbeson<strong>der</strong>e auf die Kritik Weinbergers, <strong>der</strong> die Prozedur des rationalen Diskurses<br />

damit kritisiert, daß ein für ihre Plausibilität notwendiger Konvergenzbeweis fehle; O. Weinberger,<br />

Habermas on Democracy and Justice (1994), S. 242; sinngemäß ebenso <strong>der</strong>s., Über die Kultur<br />

<strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Argumentation (1994), S. 150. Vgl. zu unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er Kritik in dieser Ri<strong>ch</strong>tung<br />

R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1991), S. 410 ff.<br />

291


daß eine Theorie <strong>der</strong>art 'ents<strong>ch</strong>eidungsdefinit' sein soll 147 . Die Aussage selbst ist für<br />

reale Diskurse trivial: Kein reales Verfahren kann je si<strong>ch</strong>erstellen, daß alle Beteiligten<br />

si<strong>ch</strong> in je<strong>der</strong> potentiellen Frage auf ein Ergebnis einigen werden (Konsens). Für ideale<br />

Diskurse ist die Aussage ni<strong>ch</strong>t trivial. Es ist ni<strong>ch</strong>t ents<strong>ch</strong>eidbar, ob es in je<strong>der</strong> Sa<strong>ch</strong>frage<br />

zu einem Konsens kommen müßte o<strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>t. Denn die idealen Bedingungen,<br />

insbeson<strong>der</strong>e die unbegrenzte Zeit, lassen si<strong>ch</strong> niemals herstellen 148 und si<strong>ch</strong>ere Prognosen<br />

darüber, wie si<strong>ch</strong> reale Personen als Diskursteilnehmer in einem idealen Diskurs<br />

bezügli<strong>ch</strong> aller denkbaren Gegenstände verhalten würden, können ni<strong>ch</strong>t getroffen<br />

werden 149 . Bei <strong>der</strong> Gewi<strong>ch</strong>tung sol<strong>ch</strong>er Kritik muß berücksi<strong>ch</strong>tigt werden, daß<br />

ein Rest an Ungewißheit unauswei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>eint; selbst für Erkenntnisse <strong>der</strong> Naturwissens<strong>ch</strong>aften<br />

kann von endgültiger Gewißheit kein Rede sein 150 . Daß eine Konsensustheorie<br />

<strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit <strong>der</strong>artige Gewißheit ni<strong>ch</strong>t herstellen kann, ist darum<br />

wenig verwun<strong>der</strong>li<strong>ch</strong> und allein no<strong>ch</strong> kein Mangel.<br />

Zur zweiten Kritik: Ähnli<strong>ch</strong> verhält es si<strong>ch</strong> mit dem relativen Ri<strong>ch</strong>tigkeitsbegriff.<br />

Eine Diskurstheorie muß für reale Diskurse mit einem relativen Ri<strong>ch</strong>tigkeitsbegriff<br />

operieren. Das gilt ni<strong>ch</strong>t nur, wenn man auf einen Letztbegründungsanspru<strong>ch</strong> verzi<strong>ch</strong>tet<br />

151 , son<strong>der</strong>n in je<strong>der</strong> Form <strong>der</strong> Diskurstheorie, weil die Bedingungen des idealen<br />

Diskurses in <strong>der</strong> Realität nur unvollständig verwirkli<strong>ch</strong>t werden können 152 . So,<br />

wie <strong>der</strong> ideale Diskurs für reale Diskurse als eine regulative Idee wirkt 153 , so bildet<br />

au<strong>ch</strong> <strong>der</strong> absolute Ri<strong>ch</strong>tigkeitsbegriff eine regulative Idee für den relativen Ri<strong>ch</strong>tigkeitsbegriff<br />

<strong>der</strong> Diskursrealität 154 : Es muß stets na<strong>ch</strong> nur einem, absolut ri<strong>ch</strong>tigen Ergebnis<br />

gesu<strong>ch</strong>t werden, obwohl real nie mehr als relative Ri<strong>ch</strong>tigkeit im Diskurs zu<br />

errei<strong>ch</strong>en ist. Wenn beispielsweise die Beteiligten eines realen Diskurses si<strong>ch</strong> zu einem<br />

Zeitpunkt T1 auf die Ri<strong>ch</strong>tigkeit <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm N einigen, zu einem<br />

späteren Zeitpunkt T2 aber über das genaue Gegenteil, ¬N, einen Konsens erzielen<br />

können, dann ist N 'ri<strong>ch</strong>tig relativ zu T1' und ¬N 'ri<strong>ch</strong>tig relativ zu T2', do<strong>ch</strong> es läßt<br />

si<strong>ch</strong> we<strong>der</strong> für N no<strong>ch</strong> für ¬N je sagen, die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm sei absolut, also zu je<strong>der</strong><br />

Zeit, ri<strong>ch</strong>tig 155 .<br />

Der relative Ri<strong>ch</strong>tigkeitsbegriff ist allein no<strong>ch</strong> kein Mangel <strong>der</strong> Diskurstheorie. Er<br />

stellt si<strong>ch</strong> als Konsequenz aus <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>legbarkeit praktis<strong>ch</strong>er Erkenntnis dar. Es ist<br />

kein Fehler, son<strong>der</strong>n ein Qualitätsmerkmal, wenn eine Theorie definieren kann, unter<br />

147 Vgl. R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1991), S. 416 – Analyse <strong>der</strong> Kritik.<br />

148 Dazu oben S. 218 ff. (D Di ).<br />

149 R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juritis<strong>ch</strong>en Argumentation (1991), S. 412. Zur Mögli<strong>ch</strong>keit, bezügli<strong>ch</strong> einzelner<br />

Gegenstände praktis<strong>ch</strong>er Diskurse eine unmittelbare Begründung (unabhängig von <strong>der</strong> Dur<strong>ch</strong>führung<br />

einzelner Diskurse) vorzunehmen, vgl. unten S. 310 ff. (Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen).<br />

150 Hierzu und zum Wissens<strong>ch</strong>afts<strong>ch</strong>arakter <strong>der</strong> Jurisprudenz R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation<br />

(1978), S. 356.<br />

151 Vgl. oben S. 233 ff. (Letztbegründung bei Apel), S. 261 ff. (Mün<strong>ch</strong>hausen-Trilemma).<br />

152 Dazu oben S. 218 (D Di ).<br />

153 Dazu oben S. 218 (D Dr ).<br />

154 Vgl. R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1991), S. 414 f. – unter Bezugnahme auf das<br />

'regulative Prinzip <strong>der</strong> Vernunft' und den 'regulativen Gebrau<strong>ch</strong> des Verstandes' bei I. Kant, KrV<br />

(1781), A 509 / B 537, A 644 / B 672.<br />

155 Vgl. R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1991), S. 413 f.<br />

292


wel<strong>ch</strong>en Bedingungen ihre Ergebnisse falsifizierbar sind 156 . Soweit diskurstheoretis<strong>ch</strong><br />

begründete Anfor<strong>der</strong>ungen bestimmt werden können, unter denen reale Diskurse<br />

relativ zu ihren Bedingungen (Zeitpunkt, Teilnehmer, Dauer u.v.m.) ri<strong>ch</strong>tige<br />

und damit gere<strong>ch</strong>te Ergebnisse hervorbringen, ist allein in dieser Bedingungsdefinition<br />

ein Erkenntnisgewinn zu sehen 157 . Diskursive Überprüfung führt zwar ni<strong>ch</strong>t in<br />

den Berei<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Si<strong>ch</strong>erheit, aber immerhin aus dem Berei<strong>ch</strong> des bloßen Meinens hinaus<br />

158 . Außerdem bietet das diskurstheoretis<strong>ch</strong>e Erkenntnismodell die Mögli<strong>ch</strong>keit,<br />

Normen ni<strong>ch</strong>t nur in Diskursen, son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong> unabhängig von konkreten Diskursen zu<br />

begründen 159 . Insoweit kann ni<strong>ch</strong>t nur relative, son<strong>der</strong>n absolute Ri<strong>ch</strong>tigkeit geltend<br />

gema<strong>ch</strong>t werden, was unter an<strong>der</strong>em die diskurstheoretis<strong>ch</strong>e Begründung universeller<br />

Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te mögli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>t 160 .<br />

Zur dritten Kritik: Eine grundlegende Kritik liegt in <strong>der</strong> Behauptung, die Einhaltung<br />

von Diskursregeln habe mit Ri<strong>ch</strong>tigkeit überhaupt ni<strong>ch</strong>ts zu tun, weil ni<strong>ch</strong>t zu<br />

beweisen sei, daß formale Verfahrensregeln eine Annäherung an inhaltli<strong>ch</strong>e Ri<strong>ch</strong>tigkeit<br />

bewirken könnten (Konvergenzbeweis 161 ). Die gefor<strong>der</strong>te Konvergenz ist »die<br />

Ineinssetzung vers<strong>ch</strong>iedener, von vers<strong>ch</strong>iedenen Subjekten herrühren<strong>der</strong> und untereinan<strong>der</strong><br />

unabhängiger Erkenntnisse von demselben Seienden.« 162 Sie soll »ni<strong>ch</strong>t nur<br />

ein Mittel zur Erkenntnis des Konkreten, son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong> ein Kriterium <strong>der</strong> Wahrheit«<br />

sein 163 . Worin eine sol<strong>ch</strong>e Konvergenz zu sehen ist, kann unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> beurteilt<br />

werden. Es sind zwei Formen <strong>der</strong> Annäherung vorstellbar, <strong>der</strong>en eine uneinlösbar<br />

und <strong>der</strong>en an<strong>der</strong>e, entgegen <strong>der</strong> Idee <strong>der</strong> Konvergenztheorie 164 , inhaltsleer ist. Uneinlösbar<br />

ist die For<strong>der</strong>ung, praktis<strong>ch</strong>e Erkenntnis müsse in einem Prozeß stetiger<br />

Annäherung erfolgen, also so, daß jedes neue (Zwis<strong>ch</strong>en-)Ergebnis garantiert näher<br />

an <strong>der</strong> wirkli<strong>ch</strong>en Ri<strong>ch</strong>tigkeit o<strong>der</strong> Wahrheit, dem 'Seienden an si<strong>ch</strong>' 165 , liegt als alle<br />

vorausgegangenen 166 . Mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Fehlbarkeit s<strong>ch</strong>ließt eine sol<strong>ch</strong>e irrtumsfreie Ziel-<br />

156 Dazu oben S. 264, Fn. 20.<br />

157 Dazu unten S. 312 ff. (Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen; mittelbare Begründung).<br />

158 R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1991), S. 416.<br />

159 Dazu unten S. 310 ff. (Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen; unmittelbare Begründung).<br />

160 Dazu unten S. 317 ff. (Begründung von Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>ten und Demokratie).<br />

161 A. Kaufmann, Über die Wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>keit <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tswissens<strong>ch</strong>aft (1986), S. 440 ff.; <strong>der</strong>s., Re<strong>ch</strong>t<br />

und Rationalität (1988), S. 34 ff.<br />

162 A. Kaufmann, Über die Wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>keit <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tswissens<strong>ch</strong>aft (1986), S. 441.<br />

163 A. Kaufmann, Über die Wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>keit <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tswissens<strong>ch</strong>aft (1986), S. 441 (Hervorhebung<br />

bei Kaufmann).<br />

164 Die Konvergenztheorie will si<strong>ch</strong> von prozeduralen <strong>Theorien</strong> ja gerade dadur<strong>ch</strong> abgrenzen, daß ihre<br />

Inhalte ni<strong>ch</strong>t 'ers<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en' sind; vgl. A. Kaufmann, Re<strong>ch</strong>t und Rationalität (1988), S. 34; <strong>der</strong>s., <strong>Prozedurale</strong><br />

<strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1989), S. 11 ff. Mittels <strong>der</strong> Anerkennung <strong>der</strong> Person will sie<br />

den formal definierten Diskurs um einen Gehalt erweitern und so »das Fundament einer sa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />

begründeten prozeduralen Theorie ri<strong>ch</strong>tigen Re<strong>ch</strong>ts« legen; A. Kaufmann, Über die Wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>keit<br />

<strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tswissens<strong>ch</strong>aft (1986), S. 442 (Hervorhebung bei Kaufmann).<br />

165 A. Kaufmann, Über die Wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>keit <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tswissens<strong>ch</strong>aft (1986), S. 441.<br />

166 Von dieser Art <strong>der</strong> stetigen Kovergenz s<strong>ch</strong>eint Kaufmann auszugehen; vgl. A. Kaufmann, Über die<br />

Wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>keit <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tswissens<strong>ch</strong>aft (1986), S. 441: Es gelte, »daß die subjektiven Momente<br />

si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t wie<strong>der</strong> na<strong>ch</strong>trägli<strong>ch</strong> zu einer Einheit zusammens<strong>ch</strong>ließen lassen, son<strong>der</strong>n, gegeneinan<strong>der</strong><br />

gehalten, si<strong>ch</strong> gegenseitig abs<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>en o<strong>der</strong> sogar aufheben. Die objektiven Momente weisen<br />

dagegen alle auf den Einheitspunkt des Seienden an si<strong>ch</strong> hin und bewähren si<strong>ch</strong> so als begründet.«<br />

293


strebigkeit aus 167 . We<strong>der</strong> <strong>der</strong> Diskurs no<strong>ch</strong> irgendein an<strong>der</strong>es Verfahren kann garantieren,<br />

daß Mens<strong>ch</strong>en stets gute Einfälle haben o<strong>der</strong> gute Urteile treffen. Es gibt deshalb<br />

keine Garantie, daß si<strong>ch</strong> subjektive Momente solange gegenseitig abs<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>en,<br />

bis die objektiven Elemente deutli<strong>ch</strong> hervortreten 168 . Ein Konvergenzbeweis in diesem<br />

starken Sinne kann ni<strong>ch</strong>t erbra<strong>ch</strong>t werden. Geht man an<strong>der</strong>sherum davon aus,<br />

die Erkenntnis müsse wenigstens langfristig in einem Prozeß <strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>tstetigen Annäherung<br />

erfolgen, dann wäre für kein einzelnes Ergebnis si<strong>ch</strong>er, daß genau dieser<br />

S<strong>ch</strong>ritt eine Annäherung an die absolute Ri<strong>ch</strong>tigkeit statt eine (vorübergehende) Entfernung<br />

von ihr bedeutet. Ein sol<strong>ch</strong>er s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>er Konvergenzbeweis, wenn er überhaupt<br />

erbra<strong>ch</strong>t werden kann, wäre für die Beurteilung des Erkenntnisgewinns dur<strong>ch</strong><br />

einzelne Ergebnisse ohne inhaltli<strong>ch</strong>e Aussage. Eine Konvergenztheorie <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit<br />

vermag die S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>en einer Konsenstheorie ni<strong>ch</strong>t zu überbrücken.<br />

Zur vierten Kritik: S<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> kann eine Kritik darin bestehen, die Diskurstheorie<br />

sei in Diskursen über die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Re<strong>ch</strong>ts auf moralis<strong>ch</strong>e Argumentation bes<strong>ch</strong>ränkt,<br />

könne hingegen diejenige des pragmatis<strong>ch</strong>en o<strong>der</strong> ethis<strong>ch</strong>en Handelns<br />

ni<strong>ch</strong>t erklären 169 . Au<strong>ch</strong> diese Kritik verfängt ni<strong>ch</strong>t. Wenn die Diskurstheorie davon<br />

ausgeht, man könne si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit nur im Diskurs vergewissern 170 , so folgt<br />

daraus no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, daß pragmatis<strong>ch</strong>e und ethis<strong>ch</strong>e Argumente aus diesem Diskurs<br />

verbannt wären. Elemente rationalen Ents<strong>ch</strong>eidungsverhaltens o<strong>der</strong> konsequentialistis<strong>ch</strong>er<br />

Denkweise sind ni<strong>ch</strong>t ausges<strong>ch</strong>lossen 171 . In einem praktis<strong>ch</strong>en Diskurs<br />

können vielmehr moralis<strong>ch</strong>e, ethis<strong>ch</strong>e und pragmatis<strong>ch</strong>e Fragen und Gründe miteinan<strong>der</strong><br />

verbunden werden 172 . Ein Diskurs kann deshalb sogar begründen, warum<br />

einzelne Ents<strong>ch</strong>eidungen gerade ni<strong>ch</strong>t diskursiv, son<strong>der</strong>n pragmatis<strong>ch</strong> getroffen<br />

werden sollten. Es könnte si<strong>ch</strong> beispielsweise im Diskurs eine marktwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong><br />

kontrollierte Verteilung von Gütern als ri<strong>ch</strong>tig erweisen, in <strong>der</strong> die einzelnen Handlungen<br />

ni<strong>ch</strong>t mehr diskursiv, son<strong>der</strong>n na<strong>ch</strong> Kriterien rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens gefällt<br />

werden. Allerdings bleibt bei allen Fragen letztli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Diskurs kontrollierend. Ein<br />

ni<strong>ch</strong>tdiskursives Handelns ist genau so lange ri<strong>ch</strong>tig, wie es si<strong>ch</strong> in einem Diskurs als<br />

ri<strong>ch</strong>tig begründen ließe.<br />

Im Ergebnis erweisen si<strong>ch</strong> die allgemeinen Bedenken gegen die Diskurstheorie als<br />

prozedurale Theorie <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Ri<strong>ch</strong>tigkeit ni<strong>ch</strong>t als dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>lagend. Zu prüfen<br />

bleibt die Kritik, die an einzelnen Formen <strong>der</strong> Diskurstheorie geltend gema<strong>ch</strong>t<br />

werden kann.<br />

167 Vgl. R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1991), S. 403 – selbst von einem hinrei<strong>ch</strong>enden<br />

Erfindungs- und Urteilsvermögen könne ein mangeln<strong>der</strong> o<strong>der</strong> fehlerhafter Gebrau<strong>ch</strong><br />

gema<strong>ch</strong>t werden.<br />

168 So aber die Vorstellung bei A. Kaufmann, Über die Wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>keit <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tswissens<strong>ch</strong>aft<br />

(1986), S. 441.<br />

169 Vgl. J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 283: »Nun liegt es nahe, die Diskurstheorie des<br />

Re<strong>ch</strong>ts na<strong>ch</strong> dem Modell <strong>der</strong> besser untersu<strong>ch</strong>ten Diskursethik auszuri<strong>ch</strong>ten. ... juristis<strong>ch</strong>e Diskurse<br />

als Teilmenge moralis<strong>ch</strong>er Argumentation ...«. Dagegen R. Alexy, Jürgen Habermas' Theorie<br />

des juristis<strong>ch</strong>en Diskurses (1995), S. 172 f.<br />

170 Dazu oben S. 250 (T R ).<br />

171 Zum Begriff des Konsequentialismus (consequentialism) siehe oben S. 152 (Charakteristika <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en<br />

Grundposition).<br />

172 R. Alexy, Jürgen Habermas' Theorie des juristis<strong>ch</strong>en Diskurses (1995), S. 173. So au<strong>ch</strong> oben S. 250<br />

(T R ).<br />

294


2. Zur Kritik an K.-O. Apels Transzendentalpragmatik<br />

Die Probleme, die si<strong>ch</strong> allgemein mit einer Letztbegründung von Normen verbinden,<br />

sind bereits im Zusammenhang mit dem Mün<strong>ch</strong>hausen-Trilemma ges<strong>ch</strong>il<strong>der</strong>t worden<br />

173 . Ihnen ist au<strong>ch</strong> Apels Transzendentalpragmatik ausgesetzt. Eine Kritik an diesem<br />

Letztbegründungsversu<strong>ch</strong> muß dabei ni<strong>ch</strong>t in seine Wi<strong>der</strong>legung münden, son<strong>der</strong>n<br />

ergibt si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on daraus, daß eine Letztbegründung jedenfalls für Fragen <strong>der</strong><br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ni<strong>ch</strong>t notwendig ers<strong>ch</strong>eint 174 . S<strong>ch</strong>on wenn für die mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Lebensweise,<br />

wie wir sie <strong>der</strong>zeit beoba<strong>ch</strong>ten können, eine überzeugende Konzeption<br />

des ri<strong>ch</strong>tigen Handelns gefunden wird, ist die Begründungsaufgabe einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie<br />

erfüllt.<br />

Abgesehen von <strong>der</strong> Letztbegründung verdient au<strong>ch</strong> Apels Erweiterung <strong>der</strong> Diskursethik<br />

zur Verantwortungsethik Kritik. Das Ergänzungsprinzip führt dazu, daß<br />

si<strong>ch</strong> Kommunikationsteilnehmer in <strong>der</strong> realen Welt von <strong>der</strong> Einhaltung <strong>der</strong> Diskursregeln<br />

s<strong>ch</strong>on dann freima<strong>ch</strong>en dürfen, wenn die Einhaltung dur<strong>ch</strong> alle an<strong>der</strong>en ni<strong>ch</strong>t<br />

si<strong>ch</strong>ergestellt ist. Da Diskursregeln real nie vollständig erfüllbar sind, verbirgt si<strong>ch</strong> in<br />

diesem Doppelprinzip eine mögli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>ung <strong>der</strong> Diskurstheorie, <strong>der</strong>en reales<br />

Ausmaß nur s<strong>ch</strong>wer einzus<strong>ch</strong>ätzen ist. Wer si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong>weg auf den Standpunkt<br />

stellt, daß es angesi<strong>ch</strong>ts <strong>der</strong> realen Umstände unzumutbar ist, si<strong>ch</strong> in Diskursen zu<br />

verständigen, <strong>der</strong> kann dafür auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>der</strong> Apels<strong>ch</strong>en Verantwortungsethik<br />

immer Gründe anführen. Diese Ents<strong>ch</strong>uldigungswirkung führt real zu einer S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Diskurstheorie und kann damit letztli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t einmal das propagierte Ziel<br />

einer Steigerung <strong>der</strong> Verantwortung bewirken.<br />

3. Zur Kritik an J. Habermas Rekonstruktion des Re<strong>ch</strong>ts<br />

Für die Rezeption von Habermas Rekonstruktion des Re<strong>ch</strong>ts in 'Faktizität und Geltung'<br />

gilt ähnli<strong>ch</strong>es wie für Rawls <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie: Die Vielzahl <strong>der</strong> Argumente<br />

für und gegen die Konzeption ist ni<strong>ch</strong>t mehr übers<strong>ch</strong>aubar 175 . Die Analyse und Kritik<br />

muß si<strong>ch</strong> darum hier auf eine S<strong>ch</strong>lüsselstelle <strong>der</strong> Theorie bes<strong>ch</strong>ränken, die im letzten<br />

Teil dieser Untersu<strong>ch</strong>ung erneut aufgegriffen wird 176 .<br />

a) Zur Übertragbarkeit des Diskursprinzips auf das Re<strong>ch</strong>t<br />

Eine S<strong>ch</strong>lüsselstelle in Habermas neuerer Theorie ist die Übertragung des Diskursprinzips<br />

auf das Re<strong>ch</strong>t. Die ersten und grundlegendsten Re<strong>ch</strong>tskategorien stützt Habermas<br />

unmittelbar auf eine sol<strong>ch</strong>e Übertragung: »Diese drei Kategorien von Re<strong>ch</strong>ten<br />

ergeben si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on aus <strong>der</strong> Anwendung des Diskursprinzips auf das Re<strong>ch</strong>tsmedium<br />

als sol<strong>ch</strong>es« 177 . Damit werden oberste Grundre<strong>ch</strong>tsgruppen eingeführt: das größtmö-<br />

173 Dazu oben S. 261 ff. (Mün<strong>ch</strong>hausen-Trilemma).<br />

174 G. Patzig, 'Principium diiudicationis' und 'Principium executionis' (1986), S. 218.<br />

175 Vgl. nur die 26 Symposionsbeiträge zum Thema 'Habermas on Law and Democracy' in: Cardozo<br />

Law Review 17 (1996), S. 767-1684; die 10 Beiträge im 'Habermas-Son<strong>der</strong>heft' Re<strong>ch</strong>tstheorie 26<br />

(1996), S. 271-473; I. Maus, Freiheitsre<strong>ch</strong>te und Volkssouveränität (1995), S. 514 ff. u.v.m.<br />

176 Dazu unten S. 317 ff. (unmittelbare Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen).<br />

177 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 156.<br />

295


gli<strong>ch</strong>e Maß glei<strong>ch</strong>er subjektiver Handlungsfreiheiten, das Mitglieds<strong>ch</strong>aftsre<strong>ch</strong>t in <strong>der</strong><br />

Gemeins<strong>ch</strong>aft, <strong>der</strong> Anspru<strong>ch</strong> auf Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utz 178 . Sie sollen zwar »no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t im<br />

Sinne von liberalen Abwehrre<strong>ch</strong>ten verstanden werden«, aber bereits »die Beziehungen<br />

<strong>der</strong> frei assoziierten Bürger untereinan<strong>der</strong> regeln« 179 , haben also den Status vorpositiver<br />

Re<strong>ch</strong>te. Es soll si<strong>ch</strong> bei ihnen um genau diejenigen Re<strong>ch</strong>te handeln, die Bürger<br />

einan<strong>der</strong> notwendig zuerkennen müssen, um ihr Zusammenleben mit Mitteln<br />

des positiven Re<strong>ch</strong>ts legitim regeln zu können 180 . Habermas stellt fest, seine »logis<strong>ch</strong>e<br />

Genese dieser Re<strong>ch</strong>te« 181 habe das Diskursprinzip »aus <strong>der</strong> Si<strong>ch</strong>t eines Theoretikers<br />

an die Re<strong>ch</strong>tsform glei<strong>ch</strong>sam von außen herangetragen« 182 .<br />

Der genaue Inhalt dieser Begründung bleibt weitgehend offen für Interpretationen.<br />

Immerhin s<strong>ch</strong>eint Habermas bestimmte Si<strong>ch</strong>tweisen explizit auss<strong>ch</strong>ließen zu<br />

wollen. Zunä<strong>ch</strong>st ers<strong>ch</strong>öpft si<strong>ch</strong> seine Begründung <strong>der</strong> Grundre<strong>ch</strong>tsgruppen ni<strong>ch</strong>t<br />

darin, daß diese in realen Prozessen von freien und glei<strong>ch</strong>en Bürgern hervorgebra<strong>ch</strong>t<br />

werden. Vielmehr setzen die Re<strong>ch</strong>tssubjekte sol<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te notwendig voraus und<br />

erlangen erst na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> ersten Begründungsstufe au<strong>ch</strong> »die Rolle von Autoren ihrer<br />

Re<strong>ch</strong>tsordnung« 183 . Vor allem aber bes<strong>ch</strong>ränken si<strong>ch</strong> die Re<strong>ch</strong>te ni<strong>ch</strong>t auf gegenseitige<br />

Ansprü<strong>ch</strong>e innerhalb von Diskursen. Wenn also von einem Re<strong>ch</strong>t »auf das größtmögli<strong>ch</strong>e<br />

Maß glei<strong>ch</strong>er subjektiver Handlungsfreiheiten« die Rede ist 184 , so kommt dieses<br />

Re<strong>ch</strong>t je<strong>der</strong> Person au<strong>ch</strong> außerhalb von Diskursen zu. Ni<strong>ch</strong>t als Diskursteilnehmer,<br />

son<strong>der</strong>n im »Status von Re<strong>ch</strong>tspersonen« 185 sind die Adressaten bere<strong>ch</strong>tigt und verpfli<strong>ch</strong>tet<br />

186 ; die Re<strong>ch</strong>te sind ni<strong>ch</strong>t bloß subjektive Ansprü<strong>ch</strong>e aus objektiven Diskursregeln,<br />

son<strong>der</strong>n universelle Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te. Beispielsweise kommt die Meinungsfreiheit<br />

(als Ausdruck des Re<strong>ch</strong>ts auf weitestgehende subjektive Handlungsfreiheiten)<br />

den Mens<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t deshalb zu, weil sol<strong>ch</strong>e Freiheit für die freie und glei<strong>ch</strong> Teilnahme<br />

an Diskursen notwendig vorausgesetzt werden muß, son<strong>der</strong>n weil je<strong>der</strong> einzelne<br />

als Person einen Anspru<strong>ch</strong> auf sie hat.<br />

Die von Habermas ausges<strong>ch</strong>lossenen Interpretationen ma<strong>ch</strong>en es jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t wesentli<strong>ch</strong><br />

einfa<strong>ch</strong>er, festzulegen, wie die Begründung <strong>der</strong> ersten drei Grundre<strong>ch</strong>tsgruppen<br />

gemeint ist. Es geht konkret um folgende Aussage: »Mit dem Begriff <strong>der</strong><br />

Re<strong>ch</strong>tsform ... und dem Diskursprinzip ... verfügen wir über die Mittel, die ausrei<strong>ch</strong>en,<br />

um ... Kategorien von Re<strong>ch</strong>ten in abstracto einzuführen ... [Die] drei Kategorien<br />

von Re<strong>ch</strong>ten ergeben si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on aus <strong>der</strong> Anwendung des Diskursprinzips auf das<br />

178 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 155 f. Dazu oben S. 241 (<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien in<br />

Re<strong>ch</strong>tsform).<br />

179 Zur Vorpositivität ausdrückli<strong>ch</strong> J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 156.<br />

180 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 151, 155; die Ausführungen S. 157 ff. sind ledigli<strong>ch</strong><br />

eine Inhaltsbestimmung <strong>der</strong> Grundre<strong>ch</strong>tskategorien und enthalten keine weitergehende Begründung.<br />

181 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 155.<br />

182 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 160.<br />

183 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 156 (Hervorhebung bei Habermas).<br />

184 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 155 (Hervorhebung bei Habermas).<br />

185 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 155.<br />

186 Vgl. dazu die Betonung <strong>der</strong> privaten Autonomie bei J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992),<br />

S. 156.<br />

296


Re<strong>ch</strong>tsmedium als sol<strong>ch</strong>es« 187 . Diese Aussage läßt mindestens drei Interpretationen<br />

zu:<br />

(1) Die Re<strong>ch</strong>te sind begründet, weil bereits <strong>der</strong> »Begriff <strong>der</strong><br />

Re<strong>ch</strong>tsform« sie voraussetzt.<br />

(2) Die Re<strong>ch</strong>te sind begründet, weil das Diskursprinzip 188<br />

ihre Gültigkeit als Handlungsnormen im Ergebnis bestimmt.<br />

(3) Die Re<strong>ch</strong>te sind begründet, weil in Anwendung des<br />

Diskursprinzips festgestellt werden muß, daß re<strong>ch</strong>tsförmige<br />

Handlungsnormen diese Re<strong>ch</strong>te immer s<strong>ch</strong>on<br />

voraussetzen.<br />

Für die erste Interpretation, na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> es allein auf das 'Re<strong>ch</strong>t' ankommt, spre<strong>ch</strong>en<br />

Textstellen, in denen Habermas <strong>der</strong> »Re<strong>ch</strong>tsförmigkeit« o<strong>der</strong> dem »System <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>te«<br />

eigenständige Begründungskraft zuordnet 189 . Für die zweite Interpretation, na<strong>ch</strong><br />

<strong>der</strong> es allein auf das 'Diskursprinzip' ankommt, spri<strong>ch</strong>t, daß die ersten drei Grundre<strong>ch</strong>tsgruppen<br />

»vor je<strong>der</strong> objektiv-re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Organisation einer Staatsgewalt« begründet<br />

sein sollen 190 . Für die dritte Interpretation, na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> erst die Kombination<br />

bei<strong>der</strong> Elemente die Begründung trägt, spri<strong>ch</strong>t die Aussage, daß <strong>der</strong> »ents<strong>ch</strong>eidende<br />

Gedanke« darin bestehe, »daß si<strong>ch</strong> das Demokratieprinzip <strong>der</strong> Vers<strong>ch</strong>ränkung von<br />

Diskursprinzip und Re<strong>ch</strong>tsform verdankt.« 191<br />

b) Zur Begründungslücke bei J. Habermas<br />

Unabhängig davon, wel<strong>ch</strong>er Interpretation man folgt, stößt man in Habermas Theorie<br />

auf folgendes Problem: Der Übergang von philosophis<strong>ch</strong>en Diskursvoraussetzungen<br />

zu universellen Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>ten ist ni<strong>ch</strong>t lückenlos begründet (Begründungslückenthese).<br />

Bei Interpretation (1) ist diese Begründungslücke offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>. Wie sollten si<strong>ch</strong><br />

aus <strong>der</strong> bloßen Form des Re<strong>ch</strong>ts so weitgehende inhaltli<strong>ch</strong>e Aussagen ableiten lassen,<br />

wie Habermas sie in Gestalt <strong>der</strong> ersten drei Grundre<strong>ch</strong>tsgruppen vorstellt? Aber au<strong>ch</strong><br />

bei den Interpretationen (2) und (3) erweist si<strong>ch</strong> die Begründung als lückenhaft. In<br />

beiden Fällen wäre das Diskursprinzip <strong>der</strong> Ausgangspunkt <strong>der</strong> Begründung. Dieses<br />

ma<strong>ch</strong>t die Zustimmungsfähigkeit in rationalen Diskursen zum Kriterium <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tig-<br />

187 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 155 f.<br />

188 Dazu oben S. 240: »Gültig sind genau die Handlungsnormen, denen alle mögli<strong>ch</strong>erweise Betroffenen<br />

als Teilnehmer an rationalen Diskursen zustimmen könnten.«<br />

189 Etwa bei J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 156: »Diese drei Kategorien von Re<strong>ch</strong>ten<br />

ergeben si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on aus <strong>der</strong> Anwendung des Diskursprinzips auf das Re<strong>ch</strong>tsmedium als sol<strong>ch</strong>es,<br />

das heißt auf die Bedingungen <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsförmigkeit einer horizontalen Vergesells<strong>ch</strong>aftung überhaupt.«;<br />

sowie S. 229: »Im Taumel dieser Freiheit gibt es keine Fixpunkte mehr außer dem des demokratis<strong>ch</strong>en<br />

Verfahrens selber – eines Verfahrens, dessen Sinn s<strong>ch</strong>on im System <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>te bes<strong>ch</strong>lossen<br />

ist.« (Hervorhebungen hinzugefügt, A.T.).<br />

190 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 156 (Hervorhebung bei Habermas).<br />

191 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 154.<br />

297


keit von Normen. Dabei kommen grundsätzli<strong>ch</strong> reale und ideale Diskurse in Betra<strong>ch</strong>t<br />

192 . S<strong>ch</strong>on Habermas Aussage, daß die ersten drei Grundre<strong>ch</strong>tsgruppen begründet<br />

seien, bevor es zu einer Autorenstellung <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tssubjekte komme, ma<strong>ch</strong>t<br />

deutli<strong>ch</strong>, daß er bezügli<strong>ch</strong> dieser Re<strong>ch</strong>te keine realen Diskurse als Grundlage <strong>der</strong><br />

Normbegründung ansieht. Vor allem aber läßt si<strong>ch</strong> die Ri<strong>ch</strong>tigkeit von Normen definitiv<br />

nur in idealen Diskursen begründen. Wenn Habermas argumentiert, die Grundre<strong>ch</strong>tsgruppen<br />

gehörten zu denjenigen Re<strong>ch</strong>ten, »die Bürger einan<strong>der</strong> zuerkennen<br />

müssen, wenn sie ihr Zusammenleben ... legitim regeln wollen« 193 , so klingt das na<strong>ch</strong><br />

einer Legitimität, die dur<strong>ch</strong> ideale Diskurse definitiv begründbar ist 194 .<br />

Damit bleiben für eine Begründung <strong>der</strong> ersten Grundre<strong>ch</strong>tsgruppen nur no<strong>ch</strong><br />

zwei Mögli<strong>ch</strong>keiten. Entwe<strong>der</strong> es wird postuliert, die Re<strong>ch</strong>te müßten das Ergebnis<br />

eines idealen Diskurses sein – Interpretation (2) – o<strong>der</strong> es ist ein transzendentales Argument<br />

gemeint – Interpretation (3) –, na<strong>ch</strong> dem die Grundre<strong>ch</strong>te <strong>der</strong> ersten drei<br />

Gruppen notwendig vorausgesetzt werden müssen, wenn man überhaupt Re<strong>ch</strong>te dur<strong>ch</strong><br />

ideale Diskurse begründen will. Es spri<strong>ch</strong>t einiges dafür, daß si<strong>ch</strong> für einzelne Re<strong>ch</strong>te<br />

zeigen läßt, daß sie notwendiges Ergebnis eines idealen Diskurses sein müssen 195 ;<br />

bei Habermas fehlt indes eine sol<strong>ch</strong>e Begründung. Au<strong>ch</strong> ein transzendentales Argument,<br />

na<strong>ch</strong> dem in <strong>der</strong> Anerkennung des Diskursprinzips bestimmte Grundre<strong>ch</strong>te<br />

notwendig vorausgesetzt sind, läßt si<strong>ch</strong> vortragen 196 . Es kann aber ni<strong>ch</strong>t einfa<strong>ch</strong> davon<br />

ausgegangen werden, daß Diskurse die Geltung universeller Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te notwendig<br />

voraussetzen 197 . Für eine vollständige Begründung muß vielmehr <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>ritt<br />

von <strong>der</strong> Anerkennung <strong>der</strong> Freiheiten im idealen Diskurs hin zur Anerkennung <strong>der</strong><br />

Freiheiten im realen Handeln gelingen, für den bei Habermas bisher Argumente fehlen<br />

198 . Letztli<strong>ch</strong> weist seine Theorie bei <strong>der</strong> Übertragung des Diskursprinzips auf das<br />

Re<strong>ch</strong>t – glei<strong>ch</strong> wel<strong>ch</strong>e Interpretation man ihr geben mag – eine Begründungslücke<br />

auf 199 . Au<strong>ch</strong> gegenüber an<strong>der</strong>en, meist an Apel und Habermas orienterten Versu<strong>ch</strong>en<br />

einer diskurtheoretis<strong>ch</strong>en Begründung <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te läßt si<strong>ch</strong> diese Begründungslücke<br />

aufzeigen 200 . Ihr Gewi<strong>ch</strong>t wird ni<strong>ch</strong>t dadur<strong>ch</strong> geringer, daß heute eine<br />

192 Vgl. oben S. 220 ff. (ideale und reale Diskurse). Diese Zweigleisigkeit <strong>der</strong> diskursiven Normbegründung<br />

findet si<strong>ch</strong> in an<strong>der</strong>em Zusammenhang au<strong>ch</strong> bei J. Habermas, Faktizität und Geltung<br />

(1992), S. 47 f.: »Hingegen bemißt si<strong>ch</strong> die Legitimität von Regeln ... letztli<strong>ch</strong> daran, ob sie in einem<br />

rationalen Gesetzgebungsverfahren zustandegekommen sind – o<strong>der</strong> wenigstens unter pragmatis<strong>ch</strong>en,<br />

ethis<strong>ch</strong>en und moralis<strong>ch</strong>en Gesi<strong>ch</strong>tspunkten hätten gere<strong>ch</strong>tfertigt werden können.« (Hervorhebung<br />

bei Habermas).<br />

193 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 155.<br />

194 An<strong>der</strong>s begründet, nämli<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> reale Diskurse, sind bei Habermas die Normen, die si<strong>ch</strong> aus dem<br />

demokratis<strong>ch</strong>en Prozeß ergeben; vgl. oben S. 242 ff. (deliberative Politik).<br />

195 Dazu unten S. 326 ff. (diskursiv notwendige <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen).<br />

196 Dazu oben S. 250 ff. (Alexys Begründung <strong>der</strong> Freiheit) sowie unten S. 321 ff. (diskurstheoretis<strong>ch</strong><br />

notwendige <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen).<br />

197 Ähnli<strong>ch</strong> E. Zimmermann, Multideontis<strong>ch</strong>e Logik und <strong>Prozedurale</strong> Re<strong>ch</strong>tstheorie II (1999), S. 273 ff.<br />

– aus den Diskursregeln allein folgen keine normativen Prinzipien für den Berei<strong>ch</strong> des Handelns.<br />

198 Ähnli<strong>ch</strong> K.T. S<strong>ch</strong>uon, Von <strong>der</strong> Diskursethik zur <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie (1990), S. 43 – Lücke zwis<strong>ch</strong>en<br />

Grundprinzipien <strong>der</strong> Diskursethik und einer politis<strong>ch</strong>en Theorie.<br />

199 Daran än<strong>der</strong>t au<strong>ch</strong> die jüngere Argumentation ni<strong>ch</strong>ts; vgl. J. Habermas, Faktizität und Geltung<br />

(1994), S. 670 ff.<br />

200 Das gilt beispielsweise gegenüber <strong>der</strong> Argumentation von E. Arens, Der Beitrag <strong>der</strong> Diskursethik<br />

zur universalen Begründung <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1991), S. 69 f. zu erheben. Dort heißt es: »Zu-<br />

298


weitgehende Übereinstimmung dahingehend besteht, die Demokratie als 'ri<strong>ch</strong>tige'<br />

Regierungsform anzusehen 201 . Eine Begründung bleibt vielmehr s<strong>ch</strong>on deshalb erfor<strong>der</strong>li<strong>ch</strong>,<br />

weil die gegenwärtige Einigkeit in <strong>der</strong> Zukunft wie<strong>der</strong> in Frage gestellt<br />

werden könnte 202 . Außerdem gibt es na<strong>ch</strong> wie vor kommunistis<strong>ch</strong>e, autoritäre und<br />

religiös-fundamentalistis<strong>ch</strong>e Staaten, denen gegenüber Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te und Demokratie<br />

<strong>der</strong> Begründung bedürfen. Daß die festgestellte Begründungslücke hier<br />

S<strong>ch</strong>wierigkeiten aufwirft, soll im folgenden kurz illustriert werden.<br />

c) Zur Illustration <strong>der</strong> Begründungslücke: Können China, Singapur und <strong>der</strong> Iran<br />

na<strong>ch</strong> Habermas Begründung gere<strong>ch</strong>t sein?<br />

Die beson<strong>der</strong>e Begründungsbedürftigkeit des Übergangs vom Diskursprinzip zu realen<br />

Re<strong>ch</strong>ten wird deutli<strong>ch</strong>, wenn man die Theorie von Habermas mit den <strong>der</strong>zeitigen<br />

Sozialordnungen in China, Singapur und im Iran konfrontiert. S<strong>ch</strong>on das erste <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzip<br />

und Grundre<strong>ch</strong>t, na<strong>ch</strong> dem das umfassendste System glei<strong>ch</strong>er<br />

subjektiver Handlungsfreiheiten gefor<strong>der</strong>t ist, wird in diesen Ordnungen ni<strong>ch</strong>t erfüllt.<br />

Sie sind deshalb na<strong>ch</strong> Habermas (wie übrigens au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Rawls 203 und Alexy 204<br />

sowie na<strong>ch</strong> den meisten <strong>Theorien</strong> universeller Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te 205 ) im Ergebnis illegitim<br />

und ungere<strong>ch</strong>t. Denkt man si<strong>ch</strong> jeweils einen Regierungsvertreter dieser Staaten<br />

als habermass<strong>ch</strong>en Diskurstheoretiker, so wird deutli<strong>ch</strong>, wel<strong>ch</strong>e Auswirkungen die<br />

Begründungslücke in Habermas Theorie auf <strong>der</strong>en Leistungsfähigkeit hat. Bei diesen<br />

Beispielen kann dahingestellt bleiben, ob die Charakterisierung <strong>der</strong> Staaten empiris<strong>ch</strong><br />

wahr ist. Es soll ledigli<strong>ch</strong> illustriert werden, inwieweit real mögli<strong>ch</strong>e und über<br />

längere Zeiträume stabile Sozialordnungen, die ni<strong>ch</strong>t dem Typus westli<strong>ch</strong>er Demoglei<strong>ch</strong><br />

stellt si<strong>ch</strong> die Frage, ob den diskursiv zu begründenden einzelnen Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>ten ni<strong>ch</strong>t<br />

ein in die Diskursethik strukturell eingebautes Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>t zugrunde liegt, das seinerseits<br />

eben ni<strong>ch</strong>t Inhalt praktis<strong>ch</strong>er Diskurse, son<strong>der</strong>n Voraussetzung für ihr Zustandekommen und ihren<br />

Vollzug ist, mithin zu den Präsuppositionen und Prozeduren des Diskurses gehört. Es ist dies<br />

das Re<strong>ch</strong>t, an Diskursen teilzunehmen. [Es] läßt si<strong>ch</strong> diskursethis<strong>ch</strong> als das fundamentale Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>t<br />

begreifen.« Arens beruft si<strong>ch</strong> zur Begründung allein auf die Diskursregel <strong>der</strong> universellen<br />

Teilnahme und übersieht dabei, daß die Regeln des Diskurses ni<strong>ch</strong>t ohne weitere Begründung<br />

als reale Regeln im Handeln anzusehen sind. An<strong>der</strong>nfalls wären no<strong>ch</strong> eine ganze Reihe<br />

an<strong>der</strong>er Re<strong>ch</strong>te unmittelbar begründet: die Glei<strong>ch</strong>heit, die (Herrs<strong>ch</strong>afts-)Freiheit, Meinungsäußerungsfreiheit<br />

u.v.m. Entspre<strong>ch</strong>enden Bedenken begegnen Ausführungen bei E. Weiß, Diskurstheoretis<strong>ch</strong>e<br />

Aspekte zur Demokratietheorie (1998), S. 80 f., sowie das apodiktis<strong>ch</strong>e Ergebnis bei<br />

R. Hoffmann, Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit (1992), S. 248: »Der Diskurs wird somit zur zentralen For<strong>der</strong>ung<br />

prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>.«<br />

201 In Ri<strong>ch</strong>tung einer Abwertung <strong>der</strong> Begründungsbedürftigkeit hingegen A. Cortina, Diskursethik<br />

und partizipatoris<strong>ch</strong>e Demokratie (1993), S. 239: »Das wi<strong>ch</strong>tigste Problem hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Demokratie<br />

ist also heute ni<strong>ch</strong>t mehr das ihrer ethis<strong>ch</strong>en Begründung. Es besteht vielmehr darin, eine<br />

Antwort auf folgende Frage zu finden: Was ist o<strong>der</strong> was bedeutet Demokratie heute, und wel<strong>ch</strong>e Modelle<br />

<strong>der</strong> Demokratie sind moralis<strong>ch</strong> erstrebenswert und te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong>führbar.« (Hervorhebung bei<br />

Cortina).<br />

202 Dazu unten S. 318 (universeller Geltungsanspru<strong>ch</strong> und Begründungsbedürftigkeit).<br />

203 Vgl. die Rawlss<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien oben S. 203 (N 1 , N 2 ) und S. 209 (N 1 ', N 2 ').<br />

204 Vgl. dessen Herleitung <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te oben S. 250 ff.<br />

205 Vgl. unten S. 318 ff. (universeller Geltungsberei<strong>ch</strong> von Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>tsnormen).<br />

299


kratien entspre<strong>ch</strong>en, <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie von Habermas argumentativ wi<strong>der</strong>stehen<br />

können.<br />

Die Volksrepublik China steht für ein Einparteiensystem mit eng geführter<br />

Staatskontrolle und einer alle Lebensberei<strong>ch</strong>e erfassenden politis<strong>ch</strong>en Ideologie. Die<br />

Freiheit zur politis<strong>ch</strong>en Meinungsäußerung und Information, die Mögli<strong>ch</strong>keit einer<br />

legalen Opposition und die Öffnung gegenüber an<strong>der</strong>en Kulturen sind dur<strong>ch</strong> ein effektives<br />

Verbotssystem nahezu auf Null reduziert (Äußerungsverbote, Medienregime,<br />

Kontaktsperren, Internetzensur an zentralisierten Zugangsknoten). Die Persönli<strong>ch</strong>keitsentfaltung,<br />

körperli<strong>ch</strong>e Unversehrtheit, persönli<strong>ch</strong>e Freiheit und das Lebensre<strong>ch</strong>t<br />

stehen unter dem Vorbehalt <strong>der</strong> Ideologiekonformität (Ein-Kind-Politik,<br />

Haftstrafen ohne Verfahren, Demonstrationsnie<strong>der</strong>s<strong>ch</strong>lagung, exzessive Todesstrafenpolitik).<br />

Sol<strong>ch</strong>e Defizite an öffentli<strong>ch</strong>er und privater Autonomie sind mit den<br />

Grundre<strong>ch</strong>tsgeboten in Habermas Theorie ni<strong>ch</strong>t vereinbar. Was würde ein regierungstreuer<br />

Diskurstheoretiker in China auf die Begründung erwi<strong>der</strong>n, die Freiheitsgebote<br />

ergäben si<strong>ch</strong> »s<strong>ch</strong>on aus <strong>der</strong> Anwendung des Diskursprinzips auf das<br />

Re<strong>ch</strong>tsmedium als sol<strong>ch</strong>es« 206 ? Er könnte zugestehen, daß das Diskursprinzip D 207 H<br />

als Begründungsprinzip gilt und glei<strong>ch</strong>wohl bestreiten, es verlange individuelle<br />

Freiheiten aller Staatsbürger. Es ist geradezu Teil <strong>der</strong> staatssozialistis<strong>ch</strong>en Ideologie,<br />

daß je<strong>der</strong>mann – Herrs<strong>ch</strong>aftsfreiheit und Informiertheit vorausgesetzt – idealiter die<br />

Ri<strong>ch</strong>tigkeit <strong>der</strong> <strong>ch</strong>inesis<strong>ch</strong>en Sozialordnung erkennen kann. Die Behauptung, daß<br />

si<strong>ch</strong> die Betroffenen in einem idealen Diskurs auf die Ordnungsregeln des <strong>ch</strong>inesis<strong>ch</strong>en<br />

Sozialismus und damit auf die zumindest teilweise Ablehnung individueller<br />

Freiheitsre<strong>ch</strong>te einigen könnten, wird in Habermas Theorie ni<strong>ch</strong>t entkräftet. Nun<br />

könnte Habermas als Argument für Legitimationsmängel im <strong>ch</strong>inesis<strong>ch</strong>en System<br />

feststellen, daß in China die prozeduralen Anfor<strong>der</strong>ungen an reale Diskurse, insbeson<strong>der</strong>e<br />

die Informations- und Meinungsfreiheit, ni<strong>ch</strong>t erfüllt sind. Das trifft zu.<br />

Do<strong>ch</strong> könnte <strong>der</strong> <strong>ch</strong>inesis<strong>ch</strong>e Diskurstheoretiker einwenden, die gegenwärtigen Eins<strong>ch</strong>ränkungen<br />

realer Diskurse ließen si<strong>ch</strong> ihrerseits unter Rückgriff auf ideale Diskurse<br />

re<strong>ch</strong>tfertigen: gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Diskussion könne außerhalb des ideologis<strong>ch</strong> gesi<strong>ch</strong>erten<br />

Rahmens keine Ri<strong>ch</strong>tigkeit verbürgen, weil die notwendige Informiertheit<br />

und Herrs<strong>ch</strong>aftsfreiheit dur<strong>ch</strong> westli<strong>ch</strong>e Propaganda boykottiert würde. Derlei<br />

(hypothetis<strong>ch</strong>en) Argumenten mag viel entgegenzuhalten sein; die Begründung <strong>der</strong><br />

Grundre<strong>ch</strong>tsgruppen bei Habermas liefert die nötigen Gegenargumente indes ni<strong>ch</strong>t.<br />

Im na<strong>ch</strong>revolutionären Iran ist im Gegensatz zu China ein politis<strong>ch</strong>er Pluralismus<br />

und eine marktwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Ökonomie vorhanden, nur steht die Staatsordnung<br />

unter einem umfassenden Religionsvorbehalt. Die Regeln <strong>der</strong> Sozialordnung prägen<br />

religiöse Revolutionswä<strong>ch</strong>ter: Frauen ist in <strong>der</strong> Öffentli<strong>ch</strong>keit je<strong>der</strong> unvers<strong>ch</strong>leierte<br />

Aufenthalt o<strong>der</strong> Kontakt mit ni<strong>ch</strong>tverwandten Männern verboten; <strong>der</strong> Zugang zu<br />

westli<strong>ch</strong>er Kultur unterliegt religiöser Aufsi<strong>ch</strong>t (Verbot des Satellitenfernsehens, religiöse<br />

Kontrolle des Kinoprogramms); die Re<strong>ch</strong>tsordnung, insbeson<strong>der</strong>e das strafre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e<br />

Sanktionensystem, untersteht dem Primat des Islam. Mit den Grundre<strong>ch</strong>-<br />

206 So J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 156.<br />

207 D H lautet na<strong>ch</strong> J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 138: »Gültig sind genau die Handlungsnormen,<br />

denen alle mögli<strong>ch</strong>erweise Betroffenen als Teilnehmer an rationalen Diskursen zustimmen<br />

könnten.«<br />

300


ten in Habermas Theorie ist dieser Zustand ni<strong>ch</strong>t vereinbar 208 . Do<strong>ch</strong> könnte ein islamis<strong>ch</strong>er<br />

Diskurstheoretiker ähnli<strong>ch</strong> wie sein <strong>ch</strong>inesis<strong>ch</strong>er Kollege einwenden, daß<br />

bestimmte Freiheiten ni<strong>ch</strong>t diskurstheoretis<strong>ch</strong> geboten seien. Wer argumentiert, daß<br />

alle Betroffenen si<strong>ch</strong> in einem idealen Diskurs auf die Lebensweise des Islam einigen<br />

würden und nur dur<strong>ch</strong> die Verlockungen <strong>der</strong> realen Lebenswelt an dieser Einsi<strong>ch</strong>t<br />

gehin<strong>der</strong>t seien, <strong>der</strong> kehrt Habermas Behauptung um: Aus <strong>der</strong> Anwendung des Diskursprinzips<br />

auf das Re<strong>ch</strong>tsmedium als sol<strong>ch</strong>es folgt, daß das Re<strong>ch</strong>t den Islam gebieten<br />

muß. Eine sol<strong>ch</strong>e religiöse Instrumentalisierung des Re<strong>ch</strong>ts mag unbegründet<br />

sein, do<strong>ch</strong> solange Habermas ni<strong>ch</strong>t den Übergang vom Diskursprinzip zu universellen<br />

Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>ten dur<strong>ch</strong> Argumente abstützt, bilden <strong>der</strong>lei Gegenpositionen eine<br />

Herausfor<strong>der</strong>ung für seine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie.<br />

Selbst für Singapur, dessen Staatsform si<strong>ch</strong> weitgehend an westli<strong>ch</strong>en Demokratievorstellungen<br />

orientiert, läßt si<strong>ch</strong> eine Unvereinbarkeit mit den Grundre<strong>ch</strong>tsgruppen<br />

bei Habermas aufzeigen. Eine politis<strong>ch</strong>e Opposition zur Regierungsmehrheit ist<br />

zwar re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> erlaubt, tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> aber dur<strong>ch</strong> die staatli<strong>ch</strong>e Handhabung von Verleumdungsklagen<br />

nur s<strong>ch</strong>wer mögli<strong>ch</strong>. Individuelle Freiheiten stehen unter einem<br />

strikten Gemeins<strong>ch</strong>aftsvorbehalt (Medienregime, Kaugummiverbot, erniedrigende<br />

Prügelstrafen). Der demokratis<strong>ch</strong>en Sozialordnung westli<strong>ch</strong>en Musters, wie sie letztli<strong>ch</strong><br />

von Habermas mit den Grundre<strong>ch</strong>tsgruppen na<strong>ch</strong>gezei<strong>ch</strong>net wird, entspre<strong>ch</strong>en<br />

diese weitgehenden Bes<strong>ch</strong>ränkungen öffentli<strong>ch</strong>er und privater Autonomie ni<strong>ch</strong>t.<br />

Do<strong>ch</strong> könnte ein Diskurstheoretiker in Singapur argumentieren, daß er sowohl dem<br />

Diskursprinzip als au<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Notwendigkeit realer Diskurse zustimme und ledigli<strong>ch</strong><br />

in <strong>der</strong> Ausgestaltung <strong>der</strong> realen Diskurse an<strong>der</strong>e S<strong>ch</strong>werpunkte setze als dies in<br />

westli<strong>ch</strong>en Demokratien übli<strong>ch</strong> sei: Es gebe asiatis<strong>ch</strong>e Tugenden des Ehrgefühls und<br />

<strong>der</strong> Zurückhaltung, die <strong>der</strong> Meinungsfreiheit und damit den realen Diskursen engere<br />

Grenzen zögen als etwa in den Vereinigten Staaten von Amerika. Die regulative Idee<br />

des idealen Diskurses führe zwangsläufig je na<strong>ch</strong> den sozialen Rahmenbedingungen<br />

zu unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Anfor<strong>der</strong>ungen. Die Freiheiten, auf die si<strong>ch</strong> ideale Diskursteilnehmer<br />

in Singapur einigen würden, müßten deshalb an<strong>der</strong>e sein als in westli<strong>ch</strong>en<br />

Demokratien.<br />

Das letzte Beispiel zeigt die argumentativen S<strong>ch</strong>wierigkeiten, die zu überwinden<br />

sind, wenn aus <strong>der</strong> Diskurstheorie auf bestimmte Freiheiten ges<strong>ch</strong>lossen werden soll.<br />

Die vorausgegangenen Beispiele 'China' und 'Iran' belegen, warum es zusätzli<strong>ch</strong>er<br />

Gründe bedarf, wenn überhaupt universelle Freiheiten aus dem Diskursprinzip abgeleitet<br />

werden sollen. Sol<strong>ch</strong>e Gründe fehlen bisher bei Habermas. Seine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie<br />

kann ni<strong>ch</strong>t vollständig erklären, warum Sozialordnungen wie diejenige<br />

Chinas, des Irans o<strong>der</strong> Singapurs illegitim und ungere<strong>ch</strong>t sind, obwohl ein sol<strong>ch</strong>es<br />

Urteil zu den Konsequenzen gehört, die aus den Grundre<strong>ch</strong>tsgruppen bei Habermas<br />

zu ziehen wären.<br />

208 Vgl. L. Müller, Islam und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1996), S. 142 ff. (Bes<strong>ch</strong>ränkung <strong>der</strong> Religions-, Meinungs-<br />

und Vereinigungsfreiheit), S. 182 ff., 321 (Körperstrafen).<br />

301


4. Zur Kritik an R. Alexys analytis<strong>ch</strong>em Liberalismus<br />

Ursprüngli<strong>ch</strong> wurde an <strong>der</strong> Diskurstheorie Alexys vor allem die Son<strong>der</strong>fallthese kritisiert<br />

209 . Hier soll si<strong>ch</strong> die Analyse und Kritik auf die neuen Thesen Alexys zur diskurstheoretis<strong>ch</strong>en<br />

Begründung <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te konzentrieren. Dieser Untersu<strong>ch</strong>ungss<strong>ch</strong>werpunkt<br />

ist au<strong>ch</strong> deshalb geboten, weil Alexy mit <strong>der</strong> Begründung <strong>der</strong><br />

Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te genau dort ansetzt, wo bei Habermas eine Begründungslücke festgestellt<br />

wurde: beim Übergang vom Diskurs zu realen Re<strong>ch</strong>ten.<br />

a) Zur Notwendigkeit <strong>der</strong> geheu<strong>ch</strong>elten genuinen Diskursteilnahme<br />

Von einer 'genuinen Diskursteilnahme' spri<strong>ch</strong>t Alexy, wenn <strong>der</strong> Diskursteilnehmer<br />

bereit ist, sein Handeln na<strong>ch</strong> allen Ergebnissen des Diskurses auszuri<strong>ch</strong>ten 210 . Die<br />

genuine Diskursteilnahme führt von <strong>der</strong> verpfli<strong>ch</strong>tenden Wirkung <strong>der</strong> Diskursregeln<br />

im Diskurs zu einer verpfli<strong>ch</strong>tenden Anerkennung <strong>der</strong> Autonomie im Handeln. Es<br />

handelt si<strong>ch</strong> damit um eine S<strong>ch</strong>lüsselstelle <strong>der</strong> Begründung von Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>ten.<br />

Wenn gezeigt werden kann, daß eine genuine Diskursteilnahme diskurstheoretis<strong>ch</strong><br />

notwendig ist, dann wäre damit die Autonomie im Handeln auf die kommunikationsnotwendige<br />

Geltung <strong>der</strong> Diskursregeln gestützt. Die objektive Anerkennung von<br />

Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>ten wäre dann diskurstheoretis<strong>ch</strong> notwendig.<br />

Die einzelnen S<strong>ch</strong>ritte des Autonomiearguments lassen si<strong>ch</strong> folgen<strong>der</strong>maßen zusammenfassen<br />

211 : (1) Man kann si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit nur im Diskurs vergewissern 212 .<br />

(2) Regierungen haben ein objektives Interesse an <strong>der</strong> Legitimation ihrer Herrs<strong>ch</strong>aft,<br />

müssen also <strong>der</strong>en Ri<strong>ch</strong>tigkeit behaupten. (3) Wer an Diskursen teilnimmt, setzt die<br />

Autonomie seiner Gesprä<strong>ch</strong>spartner im Diskurs voraus. (4) Wer ernsthaft an Diskursen<br />

teilnimmt (genuine Diskursteilnahme), will soziale Konflikte dur<strong>ch</strong> diskursiv erzeugte<br />

und kontrollierte Konsense lösen. (5) Wer soziale Konflikte dur<strong>ch</strong> Konsense<br />

lösen will, akzeptiert die Autonomie seiner Gesprä<strong>ch</strong>spartner au<strong>ch</strong> im Handeln. (6)<br />

Wer verhin<strong>der</strong>n will, daß das Interesse <strong>der</strong> Diskurspartner am Diskurs und damit die<br />

209 Aus <strong>der</strong> neueren Literatur etwa U. Neumann, Zur Interpretation des forensis<strong>ch</strong>en Diskurses<br />

(1996), S. 417 ff.; zustimmend demgegenüber J.P. Müller, Demokratis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1993),<br />

S. 149 ff., 161 ff. (parlamentaris<strong>ch</strong>e Gesetzgebung), 170 ff. (geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Verfahren), 180 ff. (juristis<strong>ch</strong>e<br />

Interpretation); P. Ts<strong>ch</strong>annen, Stimmre<strong>ch</strong>t und politis<strong>ch</strong>e Verständigung (1995), S. 388. Vgl.<br />

allgemein zur Kritik an <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>fallthese R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation<br />

(1991), S. 426 ff. (Zusammenstellung <strong>der</strong> Positionen). Habermas hatte si<strong>ch</strong> trotz <strong>der</strong> positivre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en<br />

Bindung, <strong>der</strong> prozeßordnungsre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Bes<strong>ch</strong>ränkungen, des autoritativen Ents<strong>ch</strong>eidungs<strong>ch</strong>arakters<br />

und <strong>der</strong> Erfolgsorientierung ursprüngli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>fallthese Alexys ausdrückli<strong>ch</strong> anges<strong>ch</strong>lossen;<br />

J. Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 1 (1981), S. 62 mit Fn. 63.<br />

Neuerdings hat er, <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung Günthers zwis<strong>ch</strong>en Begründungs- und Anwendungsdiskursen<br />

folgend (dazu oben S. 222), die Bejahung <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>fallthese deutli<strong>ch</strong> relativiert; J. Habermas,<br />

Faktizität und Geltung (1992), S. 283 ff. (286): »Aber die komplexere Geltungsdimension von<br />

Re<strong>ch</strong>tsnormen verbietet es, ... insofern den juristis<strong>ch</strong>en Diskurs als Son<strong>der</strong>fall von moralis<strong>ch</strong>en<br />

(Anwendungs-)Diskursen zu begreifen.« Vgl. dazu die Entgegnung von R. Alexy, Jürgen Habermas'<br />

Theorie des juristis<strong>ch</strong>en Diskurses (1995), S. 172 ff.<br />

210 Vgl. oben S. 252 (diskurstheoretis<strong>ch</strong>e Notwendigkeit <strong>der</strong> Autonomie).<br />

211 Vgl. dazu die ausführli<strong>ch</strong>ere Darstellung des Argumentationsgangs oben S. 250 ff. sowie R. Alexy,<br />

Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 129 ff.<br />

212 Dazu oben S. 250 (T R ).<br />

302


Mögli<strong>ch</strong>keit <strong>der</strong> Legitimation »auf Null o<strong>der</strong> fast auf Null« sinkt, <strong>der</strong> muß die genuine<br />

Diskursteilnahme wenigstens heu<strong>ch</strong>eln 213 . (7) Wer genuine Diskursteilnahme<br />

heu<strong>ch</strong>elt, erkennt damit die Autonomie seiner Gesprä<strong>ch</strong>spartner im Handeln immer<br />

no<strong>ch</strong> objektiv an. Aus alledem folgt, daß staatli<strong>ch</strong>e Herrs<strong>ch</strong>aft die objektive Anerkennung<br />

<strong>der</strong> Autonomie im Handeln (und damit Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te) notwendig voraussetzt.<br />

Kritis<strong>ch</strong> ist allein <strong>der</strong> se<strong>ch</strong>ste S<strong>ch</strong>ritt. Alexy formuliert als Mindestanfor<strong>der</strong>ung dafür,<br />

daß man seine Mitmens<strong>ch</strong>en auf Dauer zur Teilnahme an Diskursen motivieren<br />

kann, die geheu<strong>ch</strong>elte genuine Diskursteilnahme. Dana<strong>ch</strong> muß ein Diskursteilnehmer<br />

zumindest immer vorgeben, sein Handeln na<strong>ch</strong> den Ergebnissen des Diskurses ri<strong>ch</strong>ten<br />

zu wollen und dadur<strong>ch</strong> die Autonomie <strong>der</strong> übrigen Diskursteilnehmer au<strong>ch</strong> im<br />

Handeln anzuerkennen 214 . Ni<strong>ch</strong>t genügend wäre es hingegen, die Freiheit an<strong>der</strong>er<br />

im Diskurs zu a<strong>ch</strong>ten, dabei aber von vornherein offen zuzugeben, daß man sie im<br />

Handeln ni<strong>ch</strong>t zu a<strong>ch</strong>ten gedenke; dann würden für zukünftige Diskurse die Teilnehmer<br />

fehlen 215 . Die geheu<strong>ch</strong>elte genuine Diskursteilnahme bedeutet zwar ni<strong>ch</strong>t,<br />

daß man sein Handeln wirkli<strong>ch</strong> immer na<strong>ch</strong> den Ergebnissen des Diskurses ri<strong>ch</strong>tet,<br />

denn zum 'Heu<strong>ch</strong>eln' gehört es ja gerade, daß Reden und Handeln auseinan<strong>der</strong>fallen<br />

können. Do<strong>ch</strong> das Kriterium verlangt von jedem, wenigsten vorzugeben, si<strong>ch</strong> vollständig<br />

na<strong>ch</strong> den im Diskurs erzielten Konsensen zu ri<strong>ch</strong>ten. Dieses Element in Alexys<br />

Kriterium könnte man als vorgebli<strong>ch</strong>en umfassenden Diskursgehorsam bezei<strong>ch</strong>nen.<br />

Für die Existenz von Diskursen wäre na<strong>ch</strong> dieser Argumentation ein sol<strong>ch</strong>er vorgebli<strong>ch</strong>er<br />

umfassen<strong>der</strong> Diskursgehorsam notwendig.<br />

Es ist aber zweifelhaft, ob man wirkli<strong>ch</strong> umfassenden Diskursgehorsam vorgeben<br />

muß, um die Existenz von Diskursen si<strong>ch</strong>erzustellen. Denn die Bereits<strong>ch</strong>aft zur Diskursteilnahme<br />

wird ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>on dann enden ('auf Null o<strong>der</strong> fast auf Null' sinken),<br />

wenn die Beteiligten ihr Handeln zwar ni<strong>ch</strong>t vollständig, aber jedenfalls zu einem erhebli<strong>ch</strong>en<br />

Teil dur<strong>ch</strong> Diskurse beeinflussen lassen. Allein dur<strong>ch</strong> die Chance eines ergebniskonformen<br />

Handelns stellt si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Diskurs als ni<strong>ch</strong>t völlig sinnentleert dar<br />

und lohnt si<strong>ch</strong> für die Teilnehmer. Selbst ein geringer Einfluß des Diskurses auf das<br />

Handeln könnte s<strong>ch</strong>on genügen, um die Diskursteilnahme realistis<strong>ch</strong> werden zu lassen.<br />

Insoweit ähnelt die Motivationslage bei Diskursen <strong>der</strong>jenigen bei Verhandlungen<br />

216 .<br />

213 Zu diesem Argumentationss<strong>ch</strong>ritt R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 152.<br />

214 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 152 f.<br />

215 Vgl. R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 152: »Es ist ni<strong>ch</strong>t attraktiv, mit jemandem<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sdiskurse zu führen, dessen Gesprä<strong>ch</strong>sangebot die Form hat: 'Bevor i<strong>ch</strong><br />

di<strong>ch</strong> mit Gewalt dazu bringe, na<strong>ch</strong> meinen Vorstellungen zu leben, will i<strong>ch</strong> versu<strong>ch</strong>en, ob i<strong>ch</strong> dieses<br />

Ziel ni<strong>ch</strong>t einfa<strong>ch</strong>er dur<strong>ch</strong> Überredung errei<strong>ch</strong>en kann.'«<br />

216 Von realen politis<strong>ch</strong>en Diskursen kann man spre<strong>ch</strong>en, wenn die Beteiligten ni<strong>ch</strong>t bloß 'verhandelnd'<br />

die we<strong>ch</strong>selseitigen Interessen gegeneinan<strong>der</strong> ausspielen, son<strong>der</strong>n 'argumentierend' um eine<br />

ri<strong>ch</strong>tige Lösung ringen. Zum Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en bargaining und arguing siehe oben S. 232.<br />

Zur Interpretation bestimmter Politikformen als reale Diskurse unten S. 347 ff. Die Motivationslage<br />

ist bei Diskursen und Verhandlungen ganz ähnli<strong>ch</strong>: Eine Oppositionsfraktion beteiligt si<strong>ch</strong><br />

konstruktiv an einem Gesetzgebungsverfahren <strong>der</strong> Regierung, wenn eine Chance besteht, daß ihre<br />

Argumente Auswirkungen haben (Diskurs); eine Gewerks<strong>ch</strong>aft kehrt zur Tarifdiskussion zurück,<br />

wenn überhaupt signifikante Zugeständnisse <strong>der</strong> Arbeitgebervertretung zu erwarten sind<br />

(Verhandlung); eine Wi<strong>der</strong>standsgruppe in einer Militärdiktatur erklärt si<strong>ch</strong> zu Gesprä<strong>ch</strong>en über<br />

303


Alexy spri<strong>ch</strong>t bei Situationen, in denen die Parteien zwar keine Gewißheit, aber<br />

do<strong>ch</strong> »eine gewisse Hoffnung« haben, die an<strong>der</strong>e Seite zur Anerkennung von Autonomie<br />

im Handeln zu bewegen, von »eher unwahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>en und s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en Motiven«<br />

217 . Do<strong>ch</strong> so s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong> sind diese Motive ni<strong>ch</strong>t. Sie genügen im Regelfall, um<br />

reale Diskurse mögli<strong>ch</strong> zu ma<strong>ch</strong>en. Die grundsätzli<strong>ch</strong>e Diskursbereits<strong>ch</strong>aft geht<br />

ni<strong>ch</strong>t sofort verloren, wenn eine Seite si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t an die Diskursergebnisse hält. Kommunikation<br />

verursa<strong>ch</strong>t nur geringen Aufwand. Deshalb lohnt sie si<strong>ch</strong> selbst dann,<br />

wenn eine Verbesserung <strong>der</strong> Lage zwar ni<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong>er, aber immerhin mögli<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>eint.<br />

Zwar ers<strong>ch</strong>eint es »ni<strong>ch</strong>t sehr attraktiv«, mit jemandem <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sdiskurse<br />

zu führen, <strong>der</strong> ohne Rücksi<strong>ch</strong>t auf die Ergebnisse seine Herrs<strong>ch</strong>aft mit Gewalt<br />

fortführt 218 . Do<strong>ch</strong> für die Existenz von Diskursen bedarf es einer beson<strong>der</strong>en Attraktivität<br />

ni<strong>ch</strong>t. Es ist geradezu ein Beleg für das ri<strong>ch</strong>tigkeitsverbürgende Potential von<br />

Diskursen, daß sie selbst dort sofort aufleben, wo ihre latente Unterdrückung nur<br />

teilweise gelockert wird. Die Sozialordnungen Chinas, Singapurs und des Iran sind<br />

als Systeme <strong>ch</strong>arakterisiert worden, in denen ein größtmögli<strong>ch</strong>es System individueller<br />

Freiheiten absi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t realisiert wird 219 . Diese Staaten bes<strong>ch</strong>ränken politis<strong>ch</strong>e<br />

Meinungsäußerung und verhin<strong>der</strong>n damit eine diskursive Kontrolle ihrer Ordnungsprinzipien.<br />

Do<strong>ch</strong> wo immer sol<strong>ch</strong>e Bes<strong>ch</strong>ränkungen nur teilweise gelockert<br />

werden, sprießen sofort Reformdiskussionen hervor, selbst wenn die Realisierung<br />

sol<strong>ch</strong>er Reformen angesi<strong>ch</strong>ts <strong>der</strong> tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Ma<strong>ch</strong>tverhältnisse außerordentli<strong>ch</strong><br />

unrealistis<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>eint. Das allseitige Vorgeben umfassenden Diskursgehorsams ist<br />

folgli<strong>ch</strong> keine notwendige Voraussetzung für die Existenz von Diskursen. Die empiris<strong>ch</strong>e<br />

Prämisse, daß eine genuine Diskursteilnahme, d.h. die Bereits<strong>ch</strong>aft, alle sozialen<br />

Konflikte dur<strong>ch</strong> Konsense zu lösen, wenigstens geheu<strong>ch</strong>elt werden muß ('S<strong>ch</strong>ritt 6'<br />

<strong>der</strong> Argumentationsfolge), trifft in dieser Allgemeinheit ni<strong>ch</strong>t zu 220 .<br />

No<strong>ch</strong> deutli<strong>ch</strong>er als in den politis<strong>ch</strong>en Situationen wird <strong>der</strong> Zusammenhang bei<br />

Einzelents<strong>ch</strong>eidungen: Wenn si<strong>ch</strong> M mit ihrer To<strong>ch</strong>ter T auf eine Debatte über das<br />

Tas<strong>ch</strong>engeldes einläßt und dabei zugesteht, daß <strong>der</strong> <strong>der</strong>zeitige Betrag eigentli<strong>ch</strong> zu<br />

niedrig ist, dann aber die Diskussion abbri<strong>ch</strong>t und eine Erhöhung ohne weitere Begründung<br />

verweigert, wird dann die T nie wie<strong>der</strong> einen Versu<strong>ch</strong> unternehmen, mit<br />

M über eine Tas<strong>ch</strong>engel<strong>der</strong>höhung zu diskutieren? Es ist wohl eher das Gegenteil<br />

<strong>der</strong> Fall: T wird erkennen, daß das Zugeständnis s<strong>ch</strong>on ein erster S<strong>ch</strong>ritt auf dem<br />

Weg zur Verbesserung <strong>der</strong> Situation ist. Allein <strong>der</strong> Umstand, daß si<strong>ch</strong> M auf eine<br />

Waffenstillstand s<strong>ch</strong>on dann bereit, wenn überhaupt eine Chance besteht, die Lage signifikant zu<br />

verbessern (Verhandlung o<strong>der</strong> Diskurs).<br />

217 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 152.<br />

218 So das Argument bei R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 152.<br />

219 Dazu oben S. 299 ff. (Illustration).<br />

220 Dieselbe Kritik gilt gegenüber <strong>der</strong> Konzeption von A. Honneth, Diskursethik und implizites <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>skonzept<br />

(1986), S. 188: »nur die Gesells<strong>ch</strong>aft darf im Sinne einer Diskursethik letztli<strong>ch</strong><br />

als gere<strong>ch</strong>t gelten, die in ihrer normativen Infrastruktur die Voraussetzungen für herrs<strong>ch</strong>aftsfreie<br />

Dialoge bereithält und also all ihren Mitglie<strong>der</strong>[n] die Chance einer zwanglosen und glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigten<br />

Aushandlung von strittigen Normen überhaupt erst gewährt.« A. Cortina, Diskursethik<br />

und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1990), S. 46 f. – Je<strong>der</strong> Teilnehmer habe ein Re<strong>ch</strong>t darauf, daß »Argumente ...<br />

einen wirkli<strong>ch</strong>en Einfluß in den dur<strong>ch</strong> Konsens getroffenen Ents<strong>ch</strong>eidungen haben.« Reale 'Diskurs<strong>ch</strong>ance'<br />

o<strong>der</strong> realer 'Diskursgehorsam' lassen si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t als notwendige Voraussetzung mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er<br />

Kommunikation verstehen (Präsuppositionsanalyse).<br />

304


Diskussion einläßt und die Argumente <strong>der</strong> T anhört, begründet eine Chance, daß die<br />

M <strong>der</strong> Einsi<strong>ch</strong>t irgendwann au<strong>ch</strong> Taten folgen läßt und das Tas<strong>ch</strong>engeld erhöht. T<br />

wird also um so mehr darauf drängen, den Diskurs neu aufzunehmen. Erst wenn<br />

klar ist, daß überhaupt keine Chance besteht, dur<strong>ch</strong> den Diskurs einen Einfluß auf<br />

das Handeln zu gewinnen, wenn also M niemals <strong>der</strong> argumentativen Einsi<strong>ch</strong>t Taten<br />

folgen läßt, wird T si<strong>ch</strong> auf neue Diskurse ni<strong>ch</strong>t mehr einlassen.<br />

Aus alledem ist <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>luß zu ziehen, daß die Bereits<strong>ch</strong>aft zur Teilnahme an Diskursen<br />

und damit die Existenz von Diskursen s<strong>ch</strong>on dann realistis<strong>ch</strong> ist, wenn immerhin<br />

eine Chance zur Einflußnahme auf das Handeln besteht und si<strong>ch</strong> deshalb die<br />

Diskursbereits<strong>ch</strong>aft au<strong>ch</strong> in Zukunft für die Beteiligten lohnt. Wenn <strong>der</strong> kooperative<br />

Geist des Diskurses ni<strong>ch</strong>t in jedem Fall vollständig in reales Handeln umgesetzt<br />

wird, ma<strong>ch</strong>t das Diskurse ni<strong>ch</strong>t unmögli<strong>ch</strong>. Eine geheu<strong>ch</strong>elte genuine Diskursteilnahme<br />

in dem Sinn, daß alle Beteiligten stets vorgeben, au<strong>ch</strong> im Handeln die Autonomie<br />

aller an<strong>der</strong>en umfassend und ausnahmslos anzuerkennen, gehört ni<strong>ch</strong>t zu den<br />

diskurstheoretis<strong>ch</strong>en Notwendigkeiten.<br />

Gegen dieses Ergebnis könnte eingewandt werden, daß <strong>der</strong>lei entwertete Diskurse<br />

eine wirkli<strong>ch</strong>e Legitimation sozialer Ordnung ni<strong>ch</strong>t tragen können. Das stimmt.<br />

Do<strong>ch</strong> ri<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> das Interesse an Ri<strong>ch</strong>tigkeit ni<strong>ch</strong>t notwendig auf eine wirkli<strong>ch</strong>e<br />

Legitimation sozialer Ordnung. »Man kann an Diskursen teilnehmen, ohne an<br />

<strong>der</strong> Autonomie seiner Gesprä<strong>ch</strong>spartner im geringsten interessiert zu sein« 221 , also<br />

ohne ein subjektives o<strong>der</strong> motivationales Interesse an Ri<strong>ch</strong>tigkeit. Dann bleibt nur<br />

ein objektives o<strong>der</strong> institutionelles Interesse. Das ist wie<strong>der</strong>um dur<strong>ch</strong> die langfristige<br />

Stabilität <strong>der</strong> Herrs<strong>ch</strong>aft bedingt. Der Tyrann hat nur insoweit ein objektives Interesse<br />

an Ri<strong>ch</strong>tigkeit, als die Legitimation seiner Herrs<strong>ch</strong>aft notwendige Voraussetzung<br />

für <strong>der</strong>en längerfristige Stabilität ist. Nun zeigt si<strong>ch</strong> aber, daß zwar einige Unre<strong>ch</strong>tsregimes<br />

instabil sind, do<strong>ch</strong> längst ni<strong>ch</strong>t jede Bes<strong>ch</strong>ränkung von Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>ten<br />

und Demokratie zu einem revolutionären Herrs<strong>ch</strong>aftsumsturz führt. Jedenfalls während<br />

<strong>der</strong> Lebenszeit eines autokratis<strong>ch</strong>en Herrs<strong>ch</strong>ers kann die Stabilität andauern, solange<br />

sie ni<strong>ch</strong>t als offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>es Unre<strong>ch</strong>tsregime den latenten Wi<strong>der</strong>stand zusätzli<strong>ch</strong><br />

s<strong>ch</strong>ürt 222 . Selbst für einen friedli<strong>ch</strong>en Übergang von autokratis<strong>ch</strong>er Herrs<strong>ch</strong>aft zu<br />

demokratis<strong>ch</strong>er Organisation gibt es historis<strong>ch</strong>e Beispiele 223 . In aller Regel bes<strong>ch</strong>ränkt<br />

si<strong>ch</strong> das empiris<strong>ch</strong> belegbare objektive Interesse an Ri<strong>ch</strong>tigkeit folgli<strong>ch</strong> darauf,<br />

daß die Herrs<strong>ch</strong>enden zumindest pro forma die Legitimität ihrer Herrs<strong>ch</strong>aft behaupten<br />

und jedenfalls eine Chance dafür eröffnen, daß eine Sozialordnung entsteht, die in<br />

Diskursen gere<strong>ch</strong>tfertigt wird o<strong>der</strong> werden könnte. So ist zu erklären, daß Militärdiktatoren<br />

mit einigem Erfolg immer wie<strong>der</strong> demokratis<strong>ch</strong>e Wahlen ankündigen, vers<strong>ch</strong>ieben<br />

und annullieren, selbst wenn sie zu keinem Zeitpunkt zur Ma<strong>ch</strong>taufgabe tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />

bereit sind. Ein »diskurstheoretis<strong>ch</strong>es Tyrannendilemma« 224 zwingt zwar zur<br />

Vers<strong>ch</strong>leierung des Terrors, begründet aber no<strong>ch</strong> kein objektives Interesse an <strong>der</strong><br />

vollständigen Anerkennung von Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>ten und Demokratie.<br />

221 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 151.<br />

222 Zur reinen Ma<strong>ch</strong>therrs<strong>ch</strong>aft als eines labilen, aber glei<strong>ch</strong>wohl mögli<strong>ch</strong>en Grenzfalles vgl. H. Dreier,<br />

Staatli<strong>ch</strong>e Legitimität, Grundgesetz und neue soziale Bewegung (1987), S. 140 f. m.w.N.<br />

223 Beispiele aus <strong>der</strong> jüngeren Zeit sind die Demokratisierung Chiles, Osteuropas und Südafrikas.<br />

224 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 153.<br />

305


Es bleibt also dabei: Die in den Diskursregeln verkörperte spra<strong>ch</strong>pragmatis<strong>ch</strong>e<br />

Autonomie <strong>der</strong> Diskursteilnehmer wird ni<strong>ch</strong>t vollständig in eine moralis<strong>ch</strong>e Autonomie<br />

im Handeln transformiert. Daraus folgt indes ni<strong>ch</strong>t, daß die Begründung von<br />

Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>ten und Demokratie, wie sie im analytis<strong>ch</strong>en Liberalismus von Alexy<br />

angelegt ist, im Ergebnis ni<strong>ch</strong>t trägt, son<strong>der</strong>n nur, daß si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>werpunkt <strong>der</strong> Begründung<br />

verlagert 225 .<br />

b) Zur Konkretisierung <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te<br />

Die Ausdifferenzierung eines Katalogs von Freiheitsre<strong>ch</strong>ten aus dem allgemeinen<br />

Freiheitsre<strong>ch</strong>t R F (»Je<strong>der</strong> hat das Re<strong>ch</strong>t, frei zu beurteilen, was geboten und was gut<br />

ist, und entspre<strong>ch</strong>end zu handeln.« 226 ) wird bei Alexy in zwei Operationen verortet:<br />

Erstens könne man zeigen, daß einzelne Freiheitsre<strong>ch</strong>te Spezialfälle dieses Re<strong>ch</strong>ts<br />

seien. Und zweitens sei es mögli<strong>ch</strong>, Re<strong>ch</strong>te als notwendige Voraussetzung für die Realisierung<br />

von R F zu begründen 227 . Diese zweite Vorgehensweise entspri<strong>ch</strong>t Alexys<br />

Begründung <strong>der</strong> Autonomie im Handeln: Au<strong>ch</strong> dort erweist si<strong>ch</strong> das Ergebnis als eine<br />

notwendige Voraussetzung des Diskurses. Die Begründung <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te<br />

wird in das transzendentale Argument <strong>der</strong> Diskurstheorie einbezogen und gerät dadur<strong>ch</strong><br />

zum Bestandteil einer erweiterten Präsuppositionsanalyse. Daran ist im Prinzip<br />

ni<strong>ch</strong>ts auszusetzen, nur fragt si<strong>ch</strong>, ob die unmittelbare diskurstheoretis<strong>ch</strong>e Begründung<br />

<strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te ausrei<strong>ch</strong>end präzise S<strong>ch</strong>lüsse zuläßt, um einen 'Katalog<br />

konkreter Freiheitsre<strong>ch</strong>te', d.h. Grundre<strong>ch</strong>tsprinzipien für das positive (Verfassungs-)Re<strong>ch</strong>t,<br />

tragen zu können.<br />

Die mögli<strong>ch</strong>en Bestimmungen einzelner Grund- und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te sind vielfältig,<br />

wie die unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Regelungen und S<strong>ch</strong>werpunktsetzungen in geltenden<br />

Verfassungen belegen. Das gilt erst re<strong>ch</strong>t für die sozialen Grundre<strong>ch</strong>te, die laut<br />

Alexy zumindest teilweise als notwendige Voraussetzung für die Verwirkli<strong>ch</strong>ung<br />

von Freiheit begründet werden können 228 . Wel<strong>ch</strong>es sind die 'konkreten Freiheitsre<strong>ch</strong>te',<br />

die si<strong>ch</strong> aus dem allgemeinen Freiheitsre<strong>ch</strong>t R F gewinnen lassen? In R F ist unter<br />

an<strong>der</strong>em von Geboten und <strong>der</strong>en Beurteilung die Rede. Die in <strong>der</strong> Lebenswelt in<br />

erster Linie problematis<strong>ch</strong>en Gebote sind Re<strong>ch</strong>tsnormen, ihre Beurteilung ist eine kollektive.<br />

Eine erste konkretisierende Folgerung aus R F kann darum im Gebot fortgesetzter<br />

diskursiver Kontrolle aller Re<strong>ch</strong>tsnormen gesehen werden. Im Diskurs muß<br />

es je<strong>der</strong>zeit mögli<strong>ch</strong> sein, einmal gefundene Ergebnisse wie<strong>der</strong> in Frage zu stellen.<br />

Über das Kriterium <strong>der</strong> diskursiven Kontrolle wird diese Restriktion auf die Dimension<br />

des Handelns übertragen. So, wie man si<strong>ch</strong> im Diskurs <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit von<br />

Handlungsnormen nur vergewissern kann, wenn man zur neuerli<strong>ch</strong>en Infragestellung<br />

einzelner Ergebnisse je<strong>der</strong>zeit bereit ist, so kann im Handeln eine Re<strong>ch</strong>tfertigung<br />

nur andauern, solange das Handeln diskursiv kontrolliert bleibt. Die diskursi-<br />

225 Dazu unten S. 315 ff. (die hier verfolgte Begründungsstrategie).<br />

226 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 153.<br />

227 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 154: »Die zweite Operation besteht darin,<br />

daß dargelegt wird, daß bestimmte Re<strong>ch</strong>te notwendige Mittel sind, um autonom handeln zu können.«<br />

228 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 154; ausführli<strong>ch</strong> zu diesen Re<strong>ch</strong>ten <strong>der</strong>s.,<br />

Theorie <strong>der</strong> Grundre<strong>ch</strong>te (1985), S. 454 ff.<br />

306


ve Kontrolle des Handelns ist ein Akt öffentli<strong>ch</strong>er Autonomie. Diskurstheoretis<strong>ch</strong><br />

notwendige Gehalte des allgemeinen Freiheitsre<strong>ch</strong>ts R F sind deshalb jedenfalls diejenigen<br />

Einzelre<strong>ch</strong>te, die si<strong>ch</strong> Mens<strong>ch</strong>en gegenseitig einräumen müssen, wenn sie die<br />

Regelungen ihres Zusammenlebens einer fortlaufenden diskursiven Kontrolle aussetzen<br />

wollen 229 . Dazu gehört die Meinungsäußerungsfreiheit in öffentli<strong>ch</strong>en Angelegenheiten<br />

(political spee<strong>ch</strong>) sowie ein Mindestmaß an den mit <strong>der</strong> individuellen und<br />

kollektiven Wahrnehmung dieser Freiheit verbundenen weiteren Kommunikationsgrundre<strong>ch</strong>ten<br />

(Informations-, Presse-, Rundfunk-, Versammlungs-, Vereinigungsfreiheit).<br />

Insoweit läßt si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Inhalt von R F tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ohne die Dur<strong>ch</strong>führung<br />

konkreter Diskurse ('unmittelbar') bestimmen. Au<strong>ch</strong> ein Grundre<strong>ch</strong>t auf Leben und<br />

körperli<strong>ch</strong>e Integrität und einige an<strong>der</strong>e Einzelaspekte <strong>der</strong> privaten Autonomie sowie<br />

das Re<strong>ch</strong>t auf ein Existenzminimum an Gütern können so begründet werden.<br />

Damit endet die Bestimmbarkeit aber. We<strong>der</strong> die genaue Abgrenzung zwis<strong>ch</strong>en<br />

den als Prinzipien zu verstehenden Grundre<strong>ch</strong>ten, no<strong>ch</strong> <strong>der</strong> konkrete Bestand an<br />

Re<strong>ch</strong>ten lassen si<strong>ch</strong> aus R F unmittelbar bestimmen. Ob etwa Privateigentum und<br />

Erbre<strong>ch</strong>t gewährleistet sein müssen, ob staatli<strong>ch</strong>er S<strong>ch</strong>utz dur<strong>ch</strong> Enteignung verfolgt<br />

werden darf, wel<strong>ch</strong>e kollektiven Pfli<strong>ch</strong>ten den Grundre<strong>ch</strong>ten gegenüberstehen – dies<br />

alles sind Einzelfragen zur Festlegung eines Grundre<strong>ch</strong>tskatalogs, die ohne die<br />

Dur<strong>ch</strong>führung konkreter (Verfassungs-)Diskurse ni<strong>ch</strong>t beantwortet werden können.<br />

Ein vollständiger Katalog konkreter Freiheitsre<strong>ch</strong>te läßt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t diskurstheoretis<strong>ch</strong>unmittelbar<br />

begründen. Vielmehr muß die Begründung um eine mittelbare Komponente<br />

ergänzt werden, wie Alexy sie in <strong>der</strong> Theorie von Habermas feststellt 230 , selbst<br />

aber ni<strong>ch</strong>t verfolgen will 231 , son<strong>der</strong>n nur als mögli<strong>ch</strong>e Ergänzung andeutet 232 . Ri<strong>ch</strong>tigerweise<br />

wird man zur Begründung eines Katalogs konkreter Freiheitsre<strong>ch</strong>te nur gelangen<br />

können, wenn man die unmittelbare um eine mittelbare Begründung <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te<br />

erweitert 233 .<br />

IV. Ergebnisse<br />

Au<strong>ch</strong> die <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en Grundposition bieten nur teilweise eine hinrei<strong>ch</strong>ende<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung. Kantis<strong>ch</strong>e Sozialvertragstheorien und Standpunkttheorien<br />

begegnen s<strong>ch</strong>on im methodis<strong>ch</strong>en Ansatz dur<strong>ch</strong>greifenden Bedenken;<br />

229 Vgl. den ähnli<strong>ch</strong>en, wenn au<strong>ch</strong> von vornherein sehr viel weiter gefaßten Ansatz bei J. Habermas,<br />

Faktizität und Geltung (1992), S. 151: »Dieses System [<strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>te, das die private und öffentli<strong>ch</strong>e<br />

Autonomie zur Geltung bringt,] soll genau die Grundre<strong>ch</strong>te enthalten, die si<strong>ch</strong> Bürger gegenseitig<br />

einräumen müssen, wenn sie ihr Zusammenleben mit Mitteln des positiven Re<strong>ch</strong>ts legitim regeln<br />

wollen.«<br />

230 Dazu R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 146: »Um eine bloß mittelbare Begründung<br />

handelt es si<strong>ch</strong> demgegenüber, wenn die Ents<strong>ch</strong>eidung über die Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te einem<br />

tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> stattfindenden Prozeß überlassen wird, <strong>der</strong> aber bestimmten diskurstheoretis<strong>ch</strong> begründeten<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen genügen muß.« (Hervorhebung bei Alexy).<br />

231 Vgl. R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 147: »Hier sollen nur Re<strong>ch</strong>te interessieren,<br />

die si<strong>ch</strong> unmittelbar diskurstheoretis<strong>ch</strong> begründen lassen, also nur im engeren Sinne diskursiv<br />

notwendige Re<strong>ch</strong>te.«<br />

232 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 163 f. – Demokratieargument.<br />

233 Zu einem Versu<strong>ch</strong>, diese Ergänzung vorzunehmen, vgl. unten S. 326 ff. (diskursiv notwendige<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen); S. 334 ff. (mittelbare Begründung gere<strong>ch</strong>ten Re<strong>ch</strong>ts).<br />

307


sie können den Verda<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> konstruktiven Beliebigkeit ihrer moralis<strong>ch</strong>en Gehalte<br />

ni<strong>ch</strong>t ausräumen. Diskurstheorien verspre<strong>ch</strong>en am ehesten, eine befriedigende Antwort<br />

auf die Frage na<strong>ch</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Re<strong>ch</strong>t geben zu können. Dabei öffnet Apels<br />

Verantwortungsethik das Tor für Ausnahmen von <strong>der</strong> diskursiven Bindung des<br />

Handelns unkontrolliert weit. Die Idee <strong>der</strong> deliberativen Politik bei Habermas bildet<br />

hingegen einen vielverspre<strong>ch</strong>enden Ansatzpunkt dafür, die aus diskurstheoretis<strong>ch</strong>er<br />

Si<strong>ch</strong>t erfor<strong>der</strong>li<strong>ch</strong>en Anwendungsbedingungen und Verfahrensregeln für die Genese<br />

ri<strong>ch</strong>tigen Re<strong>ch</strong>ts zu formulieren. Habermas Begründung von Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>ten und<br />

Demokratie erweist si<strong>ch</strong> hingegen als lückenhaft. Für eine sol<strong>ch</strong>e Begründung verspri<strong>ch</strong>t<br />

das Modell Alexys eine Grundlage.<br />

308


Fünfter Teil:<br />

Grundzüge einer Diskurstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

Auf 'Grundzüge' einer Diskurstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> muß dieser letzte Teil <strong>der</strong><br />

Untersu<strong>ch</strong>ung bes<strong>ch</strong>ränkt bleiben, weil eine ausgearbeitete <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>s-, Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>ts-<br />

und Demokratietheorie den hier gesteckten Rahmen sprengen würde.<br />

Es soll nur darum gehen, die verglei<strong>ch</strong>ende Theoriedarstellung im dritten sowie die<br />

Analyse und Kritik im vierten Teil dieser Untersu<strong>ch</strong>ung zusammenzuführen und<br />

no<strong>ch</strong> um einen kleinen S<strong>ch</strong>ritt zu ergänzen, <strong>der</strong> si<strong>ch</strong> als Beitrag zu einem analytis<strong>ch</strong><br />

begründeten Liberalismus versteht 1 . Dabei muß <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>werpunkt auf sol<strong>ch</strong>en Elementen<br />

liegen, die bei den bisher vorgestellten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien zu kurz kommen.<br />

Das gilt vor allem für die Verknüpfung von prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung,<br />

wie sie die politis<strong>ch</strong>e Philosophie <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en und kantis<strong>ch</strong>en<br />

Grundposition prägt, mit prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugung, wie sie als Leitbild<br />

von realen Diskursen in Re<strong>ch</strong>t und Politik fungiert. S<strong>ch</strong>on diese letzte Aussage, daß<br />

es si<strong>ch</strong> bei re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er und politis<strong>ch</strong>er Kommunikation überhaupt um Diskurse handle,<br />

ist umstritten. In den s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en Anfor<strong>der</strong>ungen, die an reale Diskurse gestellt<br />

werden, wei<strong>ch</strong>t das hier vorgestellte Diskursmodell vom bisher übli<strong>ch</strong>en ab 2 .<br />

A. Vorüberlegungen<br />

I. Die fünf Fragen politis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (Mindestgehaltsthese)<br />

Für die Vorüberlegungen zu einer diskursiven <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie kann bei <strong>der</strong><br />

s<strong>ch</strong>on zuvor begründeten Mindestgehaltsthese angesetzt werden. Na<strong>ch</strong> dieser These<br />

muß eine politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie – und um eine sol<strong>ch</strong>e geht es hier 3 – mindestens<br />

Aussagen zu Begründungsmodell, Institutionalisierung, Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>ten,<br />

Demokratie und Güterverteilung treffen 4 .<br />

Das Begründungsmodell ist erstens ein notwendiger Bestandteil von politis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien,<br />

weil jede Explikation von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> zunä<strong>ch</strong>st eine Konzeption<br />

<strong>der</strong> allgemeinen praktis<strong>ch</strong>en Vernunft benötigt, um die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Handelns<br />

im <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff 5 dur<strong>ch</strong> Kriterien konkretisieren zu können. Darin liegt eine<br />

Antwort auf die Herausfor<strong>der</strong>ung des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskeptizismus. Die diskurstheoretis<strong>ch</strong>e<br />

Konzeption praktis<strong>ch</strong>er Vernunft wurde bereits im Zusammenhang mit <strong>der</strong><br />

Diskurstheorie erläutert 6 . Darauf kann hier zurückgegriffen werden. Als Ergebnis<br />

ist festzuhalten, daß man si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Ri<strong>ch</strong>tigkeit nur im Diskurs vergewis-<br />

1 Vgl. die Einleitung, S. 21 ff. a.E.<br />

2 Dazu unten S. 347 ff. (Diskursivität <strong>der</strong> Politik) sowie oben S. 218 (D Dr ).<br />

3 Vgl. oben S. 78 (S<strong>ch</strong>werpunktthese).<br />

4 Dazu oben S. 117 (Mindestgehaltsthese).<br />

5 Dazu oben S. 45 (D 1 ).<br />

6 Dazu oben S. 217 ff. (Diskurstheorien).<br />

309


sern kann 7 . Ein Begründungsmodell ist zweitens au<strong>ch</strong> deshalb nötig, weil die Explikation<br />

von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er Weise auf eine Konzeption <strong>der</strong> allgemeinen<br />

praktis<strong>ch</strong>en Vernunft gestützt werden kann. Zur Vervollständigung des Begründungsmodells<br />

muß deshalb erklärt werden, auf wel<strong>ch</strong>e Weise die Diskurstheorie<br />

zur Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen einzusetzen ist 8 .<br />

Die Frage <strong>der</strong> Institutionalisierung verlangt na<strong>ch</strong> einer Verteidigung <strong>der</strong> staatli<strong>ch</strong>en<br />

Zwangsordnung gegenüber <strong>der</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung des Anar<strong>ch</strong>ismus. Hier sind<br />

Gründe dafür zu nennen, daß es überhaupt einen Staat geben muß, <strong>der</strong> re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Befugnisse<br />

und Pfli<strong>ch</strong>ten seiner Bürger festlegt und dur<strong>ch</strong>setzt. Da in dieser Frage<br />

weitgehende Übereinstimmung unter allen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien besteht, kann die<br />

Antwort hierzu kurz ausfallen 9 .<br />

Der inhaltli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>werpunkt einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie liegt in <strong>der</strong> Begründung<br />

von universellen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen über Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te, Demokratie und Güterverteilung<br />

(soziale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>). Hier führt die Zurückhaltung, die gegenüber einer<br />

diskurstheoretis<strong>ch</strong>en Begründung <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te geboten ers<strong>ch</strong>eint 10 , dazu,<br />

daß in allen drei Berei<strong>ch</strong>en (Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te, Demokratie, Güterverteilung) gilt: Nur<br />

wenige gere<strong>ch</strong>tigkeitstheoretis<strong>ch</strong>e Ordnungsgebote lassen si<strong>ch</strong> als diskurstheoretis<strong>ch</strong>e<br />

Notwendigkeit verstehen. Au<strong>ch</strong> eine diskursive Notwendigkeit läßt si<strong>ch</strong> nur<br />

für einige Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>tskategorien geltend ma<strong>ch</strong>en (unmittelbare Begründung).<br />

Weitergehende Konkretisierungsmögli<strong>ch</strong>keiten gibt es erst im Rahmen <strong>der</strong> Herausbildung<br />

einer Verfassungs- und Re<strong>ch</strong>tsordnung. Im Interesse mögli<strong>ch</strong>st detaillierter<br />

Aussagen müssen die Anwendungsbedingungen und Verfahrensregeln untersu<strong>ch</strong>t<br />

werden, unter denen ri<strong>ch</strong>tiges (d.h. gere<strong>ch</strong>tes) Re<strong>ch</strong>t in realen Verfahren einer sol<strong>ch</strong>en<br />

Ordnung begründet werden kann (mittelbare Begründung).<br />

II.<br />

Zur Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

Es gibt unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Argumentationswege, um eine Theorie des allgemeinen<br />

praktis<strong>ch</strong>en Diskurses zu einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie auszubauen. <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

lassen si<strong>ch</strong> zunä<strong>ch</strong>st begründen, indem man – unabhängig von <strong>der</strong> tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />

Dur<strong>ch</strong>führung einzelner Diskurse – ihre diskurstheoretis<strong>ch</strong>e o<strong>der</strong> diskursive<br />

Notwendigkeit zeigt. Von diskurstheoretis<strong>ch</strong>er Notwendigkeit einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm<br />

soll die Rede sein, wenn ihre Geltung als notwendige Voraussetzung von Diskursen begründet<br />

wird (1). Demgegenüber sei eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm hier diskursiv notwendig<br />

genannt, wenn gezeigt werden kann, daß ihre Geltung eine notwendige Folge von<br />

Diskursen sein muß (2). Beide Begründungsweisen gehören wegen ihrer Unabhängigkeit<br />

von <strong>der</strong> Dur<strong>ch</strong>führung konkreter Diskurse zu den Formen <strong>der</strong> unmittelbaren<br />

Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen 11 . Um den Kreis diskursiv bloß mögli<strong>ch</strong>er<br />

7 Dazu oben S. 250 (T R ).<br />

8 Dazu unten S. 314 ff. (kombinative Begründungsstrategien).<br />

9 Dazu unten S. 333 ff. (Institutionalisierung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

10 Dazu oben S. 302 ff. (Kritik an <strong>der</strong> Notwendigkeit <strong>der</strong> genuinen Diskursteilnahme).<br />

11 Vgl. Alexys methodis<strong>ch</strong>es Vorgehen bei <strong>der</strong> 'unmittelbaren Begründung' <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te:<br />

R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 146 ff. Alexy spri<strong>ch</strong>t in allen Fällen von<br />

diskursiv notwendigen, unmögli<strong>ch</strong>en o<strong>der</strong> mögli<strong>ch</strong>en Normen im engeren Sinn (unmittelbare Begründung:<br />

unabhängig von <strong>der</strong> tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Dur<strong>ch</strong>führung einzelner Diskurse) sowie diskursiv<br />

310


Normen näher einzugrenzen, ist eine ergänzende mittelbare Begründung sinnvoll, bei<br />

<strong>der</strong> »die Ents<strong>ch</strong>eidung über die Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te einem tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> stattfindenden politis<strong>ch</strong>en<br />

Prozeß überlassen wird, <strong>der</strong> aber bestimmten diskurstheoretis<strong>ch</strong> begründeten<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen genügen muß.« 12 Au<strong>ch</strong> im Rahmen <strong>der</strong> mittelbaren Begründung<br />

von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen bleibt die Diskurstheorie bestimmend, weil sie die Kriterien<br />

für Anwendungsbedingungen und Verfahrensregeln liefert, unter denen reale<br />

Verfahren gere<strong>ch</strong>te Ergebnisse hervorbringen können (3). S<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> bleibt im diskurstheoretis<strong>ch</strong>en<br />

Rahmen au<strong>ch</strong> Raum für Argumente <strong>der</strong> individuellen Nutzenmaximierung<br />

(4).<br />

1. Die diskurstheoretis<strong>ch</strong>e Notwendigkeit von Normen<br />

Die diskurstheoretis<strong>ch</strong>e Notwendigkeit, also <strong>der</strong> Umstand, daß <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

eine notwendige Voraussetzung von Diskursregeln sind, wird gezeigt, indem man<br />

das transzendentale Argument <strong>der</strong> Begründung von Diskursregeln weiterführt 13 .<br />

Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen werden in die Präsuppositionsanalyse <strong>der</strong> Diskurstheorie<br />

einbezogen. So, wie si<strong>ch</strong> bestimmte Spre<strong>ch</strong>akte ni<strong>ch</strong>t denken lassen, ohne daß dabei<br />

<strong>der</strong> Diskurs na<strong>ch</strong> den Diskursregeln als Ri<strong>ch</strong>tigkeitsgarant anerkannt wird, so könnte<br />

die Anwendung <strong>der</strong> Diskursregeln undenkbar sein, ohne daß glei<strong>ch</strong>zeitig bestimmte<br />

grundlegende <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien gewährleistet sind (diskurstheoretis<strong>ch</strong>e Notwendigkeit).<br />

Methodis<strong>ch</strong> wird bei dieser transzendentalen Argumentation die Präsuppositionsanalyse<br />

<strong>der</strong> Diskurstheorie um Voraussetzungen <strong>der</strong> spezifis<strong>ch</strong>en Kommunikation<br />

über <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> erweitert, ohne daß es <strong>der</strong> Dur<strong>ch</strong>führung einzelner<br />

(<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>s-)Diskurse bedarf.<br />

Die diskurstheoretis<strong>ch</strong> begründeten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen sind immer universalistis<strong>ch</strong>,<br />

da sie mit einer Erweiterung <strong>der</strong> universell geltenden Diskursregeln in die Lebenswelt<br />

begründet werden. Wer beispielsweise argumentiert, daß die Diskursregeln<br />

(zusammen mit universell geda<strong>ch</strong>ten empiris<strong>ch</strong>en Prämissen) notwendig dazu<br />

führen, die Autonomie <strong>der</strong> Mitmens<strong>ch</strong>en anzuerkennen 14 , <strong>der</strong> begründet diese Autonomie<br />

unabhängig von historis<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aften und in diesem Sinne universell.<br />

Die universell begründete Autonomie ist damit glei<strong>ch</strong>zeitig vorpositiv, gilt also unabhängig<br />

von den mögli<strong>ch</strong>en Konkretisierungen, die Sozialordnungen annehmen können.<br />

notwendigen, unmögli<strong>ch</strong>en und mögli<strong>ch</strong>en Normen im weiteren Sinn (mittelbare Begründung: in<br />

einem tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> stattfindenden Verfahren). Die erweiterte Terminologie (diskurstheoretis<strong>ch</strong>/diskursiv)<br />

wird hier zur Verdeutli<strong>ch</strong>ung <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>iede zwis<strong>ch</strong>en den Argumentationswegen<br />

eingeführt.<br />

12 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 146. Zustimmend zur Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

dieser Begründungsformen H. Koriath, Diskurs und Strafre<strong>ch</strong>t (1999), S. 188.<br />

13 Vgl. R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 146 ff.; außerdem A. Cortina, Diskursethik<br />

und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1990), S. 44 f. – Die als unhintergehbare pragmatis<strong>ch</strong>e Voraussetzungen<br />

<strong>der</strong> Kommunikation begründeten Re<strong>ch</strong>te werden dort 'pragmatis<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te' genannt. Vgl.<br />

oben S. 225 ff. (transzendentales Argument).<br />

14 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 148 ff.<br />

311


2. Die diskursive Notwendigkeit von Normen<br />

Ein zweiter Argumentationsweg, in dem <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen unabhängig von<br />

konkreten Diskursen, also unmittelbar, begründet werden, liegt vor, wenn gezeigt<br />

wird, daß eine Norm notwendige Folge <strong>der</strong> Diskursregeln ist, also in jedem denkbaren<br />

Diskurs als Ergebnis bestätigt werden müßte (diskursive Notwendigkeit). Bei einem<br />

hypothetis<strong>ch</strong>en Diskurs ergibt si<strong>ch</strong> die S<strong>ch</strong>wierigkeit, daß dafür erhebli<strong>ch</strong>es empiris<strong>ch</strong>es<br />

Wissen und Prognosen über das Diskussionsverhalten aller Betroffenen erfor<strong>der</strong>li<strong>ch</strong><br />

sind 15 . Die unmittelbare Begründung einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm als diskursiv<br />

notwendig ist mit <strong>der</strong> Unsi<strong>ch</strong>erheit belastet, daß sie s<strong>ch</strong>on falsifiziert werden kann,<br />

indem eine einzige empiris<strong>ch</strong>e Prämisse o<strong>der</strong> Verhaltensprognose wi<strong>der</strong>legt wird 16 .<br />

Häufig sind über hypothetis<strong>ch</strong>e Konsense nur Spekulationen mögli<strong>ch</strong>, so daß si<strong>ch</strong><br />

die Aussagen auf wenige elementare Fälle bes<strong>ch</strong>ränken müssen, in denen si<strong>ch</strong> mit<br />

hinrei<strong>ch</strong>en<strong>der</strong> Si<strong>ch</strong>erheit sagen läßt, was ein notwendiges Ergebnis unabhängig von<br />

<strong>der</strong> tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Dur<strong>ch</strong>führung einzelner <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sdiskurse sei 17 .<br />

Au<strong>ch</strong> die unmittelbar als diskursiv notwendig begründeten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

sind universalistis<strong>ch</strong> in dem Sinne, daß si<strong>ch</strong> Diskursteilnehmer zu allen Zeiten<br />

und an allen Orten auf sie einigen müßten. Mögli<strong>ch</strong>e Kandidaten für sol<strong>ch</strong>e Normen<br />

sind beispielsweise prinzipielle Tötungsverbote. Will man mögli<strong>ch</strong>st konkrete <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgebote<br />

herleiten, so ers<strong>ch</strong>eint es am aussi<strong>ch</strong>tsrei<strong>ch</strong>sten, die diskursive mit<br />

<strong>der</strong> diskurstheoretis<strong>ch</strong>en Begründung zu verbinden. Dabei wird argumentiert, daß<br />

unter den Bedingungen einer Sozialordnung, die den diskurstheoretis<strong>ch</strong> notwendigen<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgeboten entspri<strong>ch</strong>t (z.B.: Gebot einer minimalen Volkssouveränität<br />

18 ), je<strong>der</strong> Diskurs über die Konkretisierung dieser Gebote notwendig zu bestimmten<br />

Ergebnissen gelangen muß (z.B. Geltung <strong>der</strong> Wahlre<strong>ch</strong>tsgrundsätze 19 ). Diese Ergebnisse<br />

bilden dann selbst wie<strong>der</strong>um universalistis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen.<br />

3. Die diskursive Mögli<strong>ch</strong>keit von Normen<br />

Eine mittelbare Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen liegt darin, bestimmte diskurstheoretis<strong>ch</strong><br />

begründete Anfor<strong>der</strong>ungen zu formulieren, die si<strong>ch</strong>erstellen, daß die<br />

in tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> stattfindenden Einzelverfahren begründeten Normen gere<strong>ch</strong>t sind 20 .<br />

Die so begründeten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen sind zumindest diskursiv mögli<strong>ch</strong>, etwa<br />

wenn si<strong>ch</strong> ein Parlament ents<strong>ch</strong>ließt, eine Quellensteuer auf Kapitalgewinne zu verabs<strong>ch</strong>ieden.<br />

Sie sind darüber hinaus diskursiv notwendig, wenn kein Fall eines anfor<strong>der</strong>ungsgere<strong>ch</strong>ten<br />

Verfahrens denkbar ist, in dem sie abgelehnt würden, wenn ihre<br />

Ni<strong>ch</strong>t-Geltung also diskursiv unmögli<strong>ch</strong> ist 21 . Eine sol<strong>ch</strong>e Prognose läßt si<strong>ch</strong> allenfalls<br />

für ganz grundlegende <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen abgeben; man könnte beispielsweise<br />

15 Vgl. R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1978), S. 241 – hypothetis<strong>ch</strong>e Kriterien.<br />

16 Zum hier verwendeten Falsifikationsbegriff oben S. 264, Fn. 20.<br />

17 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 157.<br />

18 Dazu unten S. 323 (minimale Volkssouveränität).<br />

19 Dazu unten S. 330 (Begründung <strong>der</strong> Demokratie).<br />

20 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 146.<br />

21 Zum logis<strong>ch</strong>en Verhältnis zwis<strong>ch</strong>en Notwendigkeit und Unmögli<strong>ch</strong>keit von Normen vgl. R. Alexy,<br />

Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 146: »Derartige Re<strong>ch</strong>te sind im engeren Sinne<br />

diskursiv notwendig. Ihre Ni<strong>ch</strong>t-Geltung ist im engeren Sinne diskursiv unmögli<strong>ch</strong>.«<br />

312


die These vertreten, daß jedes Parlament, ausrei<strong>ch</strong>ende Informiertheit und Diskussionsfreiheit<br />

vorausgesetzt, die willkürli<strong>ch</strong>e Tötung von Mens<strong>ch</strong>en verbieten würde.<br />

Um die diskursive Mögli<strong>ch</strong>keit einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm in mittelbarer Begründung<br />

darzulegen, ist es eigentli<strong>ch</strong> nötig, das Verfahren tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong>zuführen. In<br />

einer Theorie lassen si<strong>ch</strong> einzelne Verfahren aber ni<strong>ch</strong>t vorwegnehmen. Der Kern<br />

<strong>der</strong> mittelbaren Begründung besteht für eine Diskurstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> deshalb<br />

darin, die Anwendungsbedingungen und Verfahrensregeln zu bestimmen, unter<br />

denen Verfahren gere<strong>ch</strong>te Ergebnisse hervorbringen; die Theorie muß die realen<br />

Bedingungen einer Genese ri<strong>ch</strong>tigen Re<strong>ch</strong>ts aufzeigen. Nun wäre es naheliegend, die<br />

vollständige Verwirkli<strong>ch</strong>ung <strong>der</strong> Diskursregeln als Verfahrensregeln zu for<strong>der</strong>n. Da<br />

aber die Diskursregeln in realen Diskursen nie vollständig verwirkli<strong>ch</strong>t werden können,<br />

verlagert si<strong>ch</strong> die Aufgabenstellung auf die Frage, wel<strong>ch</strong>e Annäherung an die<br />

regulative Idee des idealen Diskurses in wel<strong>ch</strong>en realen Verfahren geboten ist 22 .<br />

Die mittelbare Begründung ist universalistis<strong>ch</strong>, wenn sie Anwendungsbedingungen<br />

und Verfahrensregeln von realen Verfahren bestimmt, die in je<strong>der</strong> gere<strong>ch</strong>ten Sozialordnung<br />

ges<strong>ch</strong>affen werden müssen; sie ist ni<strong>ch</strong>tuniversalistis<strong>ch</strong>, wenn sie Regeln<br />

definiert, die in einer bestimmten Sozialordnung als Annäherung an Diskursideale<br />

gefor<strong>der</strong>t sind.<br />

4. Die ents<strong>ch</strong>eidungstheoretis<strong>ch</strong> ergänzte Normbegründung<br />

<strong>Prozedurale</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien können (s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>e) empiris<strong>ch</strong>e Prämissen enthalten,<br />

ohne dadur<strong>ch</strong> ihren Charakter als prozedurale <strong>Theorien</strong> zu verlieren 23 . Entspre<strong>ch</strong>end<br />

kann in einer Diskurstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> die diskurstheoretis<strong>ch</strong>e<br />

Normbegründung dur<strong>ch</strong> Argumente <strong>der</strong> individuellen Nutzenmaximierung unterstützt<br />

und verstärkt werden, ohne daß die Theorie dadur<strong>ch</strong> ihren Charakter als Diskurstheorie<br />

verlöre 24 . Der kantis<strong>ch</strong>e Begründungsrahmen bleibt gegenüber sol<strong>ch</strong>en<br />

hobbesianis<strong>ch</strong>en Begründungselementen dominant 25 . Zeigt man beispielsweise, daß<br />

es für jeden einzelnen individuell nützli<strong>ch</strong>er ist, wenn eine staatli<strong>ch</strong>e Zwangsordnung<br />

als ri<strong>ch</strong>tige Ordnung legitimiert wird, dann kann man damit die reale Bedeutung<br />

des Ri<strong>ch</strong>tigkeitsgaranten 'Diskurs' stärken 26 . Methodis<strong>ch</strong> wird die Diskurstheorie<br />

dabei ledigli<strong>ch</strong> um empiris<strong>ch</strong>e und analytis<strong>ch</strong>e Prämissen ergänzt 27 . Das Konzept<br />

des allgemeinen praktis<strong>ch</strong>en Diskurses ist offen für sol<strong>ch</strong>e Erweiterungen, denn in<br />

22 Vgl. oben S. 218 (D Dr ).<br />

23 Dazu oben S. 139 ff. (Grenzziehung zwis<strong>ch</strong>en prozeduralen und materialen <strong>Theorien</strong>).<br />

24 So beispielsweise bei R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 133 ff.<br />

25 Vgl. R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 133: »Zur Verstärkung seiner Geltung<br />

[<strong>der</strong> des transzendentalen Arguments] muß ihm als zweiter Teil ein auf individuelle Nutzenmaximierung<br />

abstellendes Argument hinzugesellt werden. Die kantis<strong>ch</strong>e und hobbesianis<strong>ch</strong>e Linie<br />

gehen auf diese Weise bei <strong>der</strong> Begründung <strong>der</strong> Diskursregeln eine Verbindung ein. In ihr bleibt<br />

die kantis<strong>ch</strong>e Linie allerdings dominant.«<br />

26 So R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 142 ff.<br />

27 Das rationalistis<strong>ch</strong>e Nutzenkalkül läßt si<strong>ch</strong> als eine Kombination von empiris<strong>ch</strong>en Prämissen (realen,<br />

individuellen Nutzenfunktionen) mit einer ents<strong>ch</strong>eidungstheoretis<strong>ch</strong> anlysierbaren Logik <strong>der</strong><br />

strategis<strong>ch</strong>en Interaktion auffassen. Vgl. zu dieser Deutung <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidungstheorie als empiris<strong>ch</strong>-analytis<strong>ch</strong>e<br />

Theorie die Ausführungen zur Spieltheorie oben S. 270 ff. (Kritik <strong>der</strong> spieltheoretis<strong>ch</strong>en<br />

Grundlegung).<br />

313


ihm werden außer moralis<strong>ch</strong>en au<strong>ch</strong> ethis<strong>ch</strong>e und pragmatis<strong>ch</strong>e Fragen und Gründe<br />

miteinan<strong>der</strong> verbunden 28 .<br />

III. Zu kombinativen Begründungsstrategien<br />

Die Argumentationswege können einzeln verfolgt o<strong>der</strong> zu einer kombinativen Begründungsstrategie<br />

verbunden werden. Die hier verfolgte Begründungsstrategie<br />

kann am besten als ein Mittelweg zwis<strong>ch</strong>en Habermas und Alexy <strong>ch</strong>arakterisiert werden:<br />

Im Verglei<strong>ch</strong> zu Habermas soll die Begründungsbrücke zwis<strong>ch</strong>en Diskursideal<br />

und realen Re<strong>ch</strong>ten verstärkt, im Verglei<strong>ch</strong> zu Alexy hingegen soll sie abges<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>t<br />

werden.<br />

1. Die Begründungsstrategie bei J. Habermas<br />

Habermas begründet die ersten drei <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien (Handlungsfreiheiten,<br />

Mitglieds<strong>ch</strong>aft, Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utz), die er als Klassen von Grundre<strong>ch</strong>ten bezei<strong>ch</strong>net 29 ,<br />

mit <strong>der</strong> Aussage: »Diese drei Kategorien ergeben si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on aus <strong>der</strong> Anwendung des<br />

Diskursprinzips auf das Re<strong>ch</strong>tsmedium als sol<strong>ch</strong>es« 30 . Ob damit eine Begründung<br />

als notwendiges Ergebnis o<strong>der</strong> als notwendige Voraussetzung jedes Diskurses über die<br />

Etablierung von Re<strong>ch</strong>ten gemeint ist, bleibt offen 31 . Eindeutig ist hingegen in Habermas<br />

Begründungsstrategie, daß die einzelnen Grundre<strong>ch</strong>te zur Konkretisierung <strong>der</strong><br />

Grundre<strong>ch</strong>tskategorien dur<strong>ch</strong> einen Gebrau<strong>ch</strong> <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Autonomie hervorgebra<strong>ch</strong>t<br />

werden. Die diskurstheoretis<strong>ch</strong>en Anfor<strong>der</strong>ungen an die gesetzli<strong>ch</strong>e Autorens<strong>ch</strong>aft<br />

bilden die mittelbare Begründung <strong>der</strong> einzelnen Grund- und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te.<br />

Au<strong>ch</strong> beim Begriff <strong>der</strong> deliberativen Politik setzt Habermas darauf, die »Bedingungen<br />

einer legitimationswirksamen Genese des Re<strong>ch</strong>ts« aufzuzeigen 32 , also Bedingungen,<br />

unter denen die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> dur<strong>ch</strong> reale Diskurse begründet wird. Vorbehaltli<strong>ch</strong><br />

interpretatoris<strong>ch</strong>er Ungenauigkeiten wird man wohl sagen können, die Begründungsstrategie<br />

bei Habermas kombiniert den zweiten und dritten <strong>der</strong> oben genannten<br />

Argumentationswege: unmittelbar begründete diskursive Notwendigkeit<br />

für die Grundre<strong>ch</strong>tskategorien, mittelbar begründete diskursive Notwendigkeit o<strong>der</strong><br />

Mögli<strong>ch</strong>keit für die konkreten Grundre<strong>ch</strong>te und sonstigen Re<strong>ch</strong>te.<br />

2. Die Begründungsstrategie bei R. Alexy<br />

Im Gegensatz zu Habermas verfolgt Alexy eine Begründungsstrategie, die ents<strong>ch</strong>eidungstheoretis<strong>ch</strong>e<br />

Elemente eins<strong>ch</strong>ließt 33 , si<strong>ch</strong> aber auf die unmittelbare Begründung<br />

28 R. Alexy, Jürgen Habermas' Theorie des juristis<strong>ch</strong>en Diskurses (1995), S. 173.<br />

29 Dazu oben S. 241 ff. (<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien in Re<strong>ch</strong>tsform).<br />

30 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 156.<br />

31 Zu mögli<strong>ch</strong>en Interpretationen siehe oben S. 295 (Übertragbarkeit des Diskursprinzips auf das<br />

Re<strong>ch</strong>t).<br />

32 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 349 ff. (349); zur Grundlegung ebd., S. 160 f.<br />

33 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 132 f., 142 ff., 151 ff. Dazu oben S. 247 ff.<br />

(analytis<strong>ch</strong>er Liberalismus).<br />

314


konzentriert 34 . Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te und Demokratie werden in ein transzendentales Argument<br />

über die notwendigen Voraussetzungen von Diskursen eingebunden und<br />

stellen si<strong>ch</strong> dabei selbst als Notwendigkeit dar. Während Alexys Autonomieargument<br />

diskurstheoretis<strong>ch</strong>e Notwendigkeit im Sinne notwendiger Voraussetzungen des<br />

Diskurses zeigt, ist das an Habermas orientierte Konsensargument auf diskursive Notwendigkeit<br />

geri<strong>ch</strong>tet, indem es zeigt, daß die Glei<strong>ch</strong>heit <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te unabhängig<br />

von <strong>der</strong> Dur<strong>ch</strong>führung konkreter Diskurse ein notwendiges Ergebnis jedes<br />

Diskurses sein muß 35 . Alexys Transformationsargument markiert ebenfalls die Umsetzung<br />

moralis<strong>ch</strong>er Re<strong>ch</strong>te in positives Re<strong>ch</strong>t als notwendiges Ergebnis eines jeden<br />

Diskurses über das Erkenntnis-, das Dur<strong>ch</strong>setzungs- und das Organisationsproblem<br />

36 . Das Demokratieargument s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> verweist auf die Legitimation dur<strong>ch</strong><br />

demokratis<strong>ch</strong>e Prozeduren und zei<strong>ch</strong>net die Diskurstheorie als eine Basistheorie des<br />

demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaates aus 37 .<br />

Die Begründungsstrategie Alexys kombiniert folgli<strong>ch</strong> alle vier <strong>der</strong> oben genannten<br />

Argumentationswege, wobei im Zentrum das Autonomieargument steht, na<strong>ch</strong> dem<br />

die Anerkennung von Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>ten (und Demokratie) bereits eine notwendige<br />

Voraussetzung für diskursive Legitimation ist (diskurstheoretis<strong>ch</strong>e Notwendigkeit).<br />

3. Die hier verfolgte Begründungsstrategie<br />

Au<strong>ch</strong> hier soll, wie bei Alexy und an<strong>der</strong>s als bei Habermas, die unmittelbare Begründung<br />

von Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>ten und Demokratie im Zentrum stehen. Ents<strong>ch</strong>eidungstheoretis<strong>ch</strong>e<br />

Überlegungen zeigen ergänzend, warum die Institutionalisierung sol<strong>ch</strong>er<br />

Re<strong>ch</strong>te als positives Gesetz nötig ist. Die Theorie wird vervollständigt dur<strong>ch</strong><br />

Aussagen darüber, wie eine mittelbare Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen zur<br />

Konkretisierung <strong>der</strong> Grund- und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te sowie des ri<strong>ch</strong>tigen (d.h. gere<strong>ch</strong>ten)<br />

Re<strong>ch</strong>ts insgesamt beitragen kann.<br />

Innerhalb <strong>der</strong> unmittelbaren Begründung von Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>ten und Demokratie<br />

ist, wie das Ergebnis des vierten Teils gezeigt hat, bei <strong>der</strong> Annahme diskurstheo-<br />

34 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 147. Die Verbindung <strong>der</strong> unmittelbaren<br />

Begründung mit einer mittelbaren, die im tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Gebrau<strong>ch</strong> <strong>der</strong> öffentli<strong>ch</strong>en Autonomie<br />

mögli<strong>ch</strong> wird, deutet Alexy auf S. 155 an: dur<strong>ch</strong> den öffentli<strong>ch</strong>en Gebrau<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Autonomie könne<br />

»die unmittelbare diskurstheoretis<strong>ch</strong>e Begründung <strong>der</strong> Grund- und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te systematis<strong>ch</strong><br />

mit <strong>der</strong> mittelbaren verbunden werden. Erst diese Verknüpfung führt zu einem voll entwickelten<br />

System <strong>der</strong> Grundre<strong>ch</strong>te.«<br />

35 Vgl. R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 157 ff.: In einigen elementaren Fällen<br />

lasse si<strong>ch</strong> (ausnahmsweise) mit Si<strong>ch</strong>erheit sagen, was diskursiv notwendige Ergebnisse eines idealen<br />

Diskurses wären. Dem glei<strong>ch</strong>heitsfeindli<strong>ch</strong>en Rassisten stünden keine überprüfbaren Argumente<br />

zur Verfügung. Gegenüber einer Elite sei die freiwillige Re<strong>ch</strong>tsaufgabe wegen empiris<strong>ch</strong><br />

belegter Gefahren des Ma<strong>ch</strong>tmißbrau<strong>ch</strong>s unrealistis<strong>ch</strong>. Zusätzli<strong>ch</strong> wird bei Alexy die Glei<strong>ch</strong>heit<br />

au<strong>ch</strong> auf das Autonomieargument gestützt; ebd., S. 161 f.<br />

36 Vgl. R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 144 ff. (145) – Wenn Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te<br />

garantiert sein sollen, dann folgt daraus, daß sie in die Form des positiven Re<strong>ch</strong>ts transformiert<br />

werden müssen.<br />

37 Dazu oben S. 247, Fn. 608.<br />

315


etis<strong>ch</strong>er Notwendigkeiten Zurückhaltung geboten 38 . Nur in engen Grenzen vermag<br />

eine sol<strong>ch</strong>e Begründung Elemente von Demokratie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>tsordnung zu<br />

stützen. Im wesentli<strong>ch</strong>en muß sie inhaltli<strong>ch</strong> auf eine minimale Volkssouveränität<br />

und die für <strong>der</strong>en Nutzung erfor<strong>der</strong>li<strong>ch</strong>e Existenzsi<strong>ch</strong>erung und Meinungsäußerungsfreiheit<br />

in politis<strong>ch</strong>en Angelegenheiten (political spee<strong>ch</strong>) bes<strong>ch</strong>ränkt bleiben.<br />

Nur insoweit läßt si<strong>ch</strong>, zusammen mit empiris<strong>ch</strong>en und analytis<strong>ch</strong>en Prämissen, das<br />

transzendentale Argument anführen, daß die universelle Anerkennung <strong>der</strong> Autonomie<br />

im Handeln eine notwendige Voraussetzung für mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Kommunikation<br />

darstellt 39 .<br />

Die unmittelbare Begründung verstärkt si<strong>ch</strong> allerdings, indem die diskursive<br />

Notwendigkeit eines Konsenses über die Anerkennung von Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>ten und<br />

Demokratie gezeigt wird. Nimmt man s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>e empiris<strong>ch</strong>e Prämissen über die<br />

Wirkungszusammenhänge <strong>der</strong> Lebenswelt hinzu, so müssen die wi<strong>ch</strong>tigsten Kategorien<br />

von Grundre<strong>ch</strong>ten als ein notwendiges Ergebnis je<strong>der</strong> idealen mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Kommunikation<br />

über staatli<strong>ch</strong>e Ordnung angesehen werden. Dur<strong>ch</strong> diese beiden Argumentationss<strong>ch</strong>ritte<br />

zusammen lassen si<strong>ch</strong> universelle und vorpositive Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te<br />

zumindest als konkretisierungsbedürftige Kategorien diskursiv begründen, ohne<br />

daß es auf die Dur<strong>ch</strong>führung konkreter Diskurse ankäme 40 . Der Diskurs unter idealen<br />

Bedingungen fungiert dabei als (hypothetis<strong>ch</strong>es) Verfahren reiner prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

41 .<br />

Ergänzt wird die unmittelbare Begründung zunä<strong>ch</strong>st dur<strong>ch</strong> die ents<strong>ch</strong>eidungstheoretis<strong>ch</strong>en<br />

Überlegungen dazu, was eine Konkretisierung und Institutionalisierung<br />

<strong>der</strong> Grundre<strong>ch</strong>tskategorien als positives Re<strong>ch</strong>t notwendig ma<strong>ch</strong>t.<br />

Die mittelbare Begründung gere<strong>ch</strong>ten Re<strong>ch</strong>ts kann s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> nur darin bestehen,<br />

die »Bedingungen einer legitimationswirksamen Genese des Re<strong>ch</strong>ts« aufzuzeigen 42 –<br />

d.h. die »diskurstheoretis<strong>ch</strong> begründeten Anfor<strong>der</strong>ungen« 43 , unter denen die in juristis<strong>ch</strong>en<br />

und politis<strong>ch</strong>en Verfahren getroffenen Ents<strong>ch</strong>eidungen gere<strong>ch</strong>t sind. Dadur<strong>ch</strong>,<br />

daß für reale Verfahren bereits die unmittelbar begründeten Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>tskategorien<br />

normativ vorgegeben sind, gibt es insoweit teils einen äußeren Rahmen<br />

und teils einen verfahrensexternen Maßstab für <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>. Reale Diskurse und<br />

an<strong>der</strong>e Verfahren explizieren deshalb ni<strong>ch</strong>t mehr reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>,<br />

son<strong>der</strong>n es kommen nur no<strong>ch</strong> die Gedanken <strong>der</strong> quasi-reinen, unvollkommenen und<br />

vollkommenen prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> zum Ausdruck 44 . Als Verfahren quasi-reiner<br />

Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit gilt beispielsweise die Auswahl, die ein Gesetzgeber unter<br />

unzähligen diskursiv mögli<strong>ch</strong>en und damit gere<strong>ch</strong>ten Ents<strong>ch</strong>eidungen treffen kann 45 .<br />

Als Verfahren unvollkommener Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit, bei <strong>der</strong> die Verfahrensdur<strong>ch</strong>führung<br />

nur die Aufgabe hat, ein aufgrund verfahrensexterner Kriterien als gere<strong>ch</strong>t<br />

38 Dazu oben S. 302 ff. (Kritik an <strong>der</strong> Notwendigkeit <strong>der</strong> genuinen Diskursteilnahme).<br />

39 Dazu unten S. 321 ff. (diskurstheoretis<strong>ch</strong> notwendige <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen).<br />

40 Dazu unten S. 326 ff. (diskursiv notwendige <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen).<br />

41 Dazu oben S. 127 (reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

42 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 349.<br />

43 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 146.<br />

44 Dazu oben S. 127 (reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

45 Vgl. oben S. 128 (quasi-reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

316


feststehendes Ergebnis real zu errei<strong>ch</strong>en, wurde bereits <strong>der</strong> Strafpozeß erwähnt 46 .<br />

Ob es im Re<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> Verfahren vollkommener prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> gibt, etwa<br />

beim Zivilprozeß, ist eine Frage <strong>der</strong> einzelnen Re<strong>ch</strong>tsordnung 47 . Reale Re<strong>ch</strong>tsdiskurse<br />

verbinden also Konstruktionselemente sowohl <strong>der</strong> definitoris<strong>ch</strong>en Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

(quasi-reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>) als au<strong>ch</strong> <strong>der</strong> dienenden Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

(vollkommene und unvollkommene prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>) 48 .<br />

In wel<strong>ch</strong>em Verhältnis diese Konstruktionselemente zueinan<strong>der</strong> stehen, ist indes eine<br />

bisher ungeklärte Frage 49 . Sie wird hier für die Elemente einer Diskurstheorie <strong>der</strong><br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> am Beispiel westli<strong>ch</strong>er Demokratien in Grundzügen zu beantworten<br />

sein 50 .<br />

Für die Reihenfolge innerhalb dieser kombinativen Begründungsstrategie liegt es<br />

nahe, mit den vorpositiven <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen, die unmittelbar begründet werden<br />

können, zu beginnen (B), dann die Notwendigkeit ihrer Institutionalisierung<br />

darzulegen (C), um s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> die mittelbare Begründung bei konkreten Diskursen<br />

in staatli<strong>ch</strong> organisierten Verfahren zu untersu<strong>ch</strong>en (D).<br />

IV. Ergebnisse<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen lassen si<strong>ch</strong> unmittelbar begründen, indem man ihre diskurstheoretis<strong>ch</strong>e<br />

o<strong>der</strong> diskursive Notwendigkeit zeigt; sie lassen si<strong>ch</strong> mittelbar begründen, indem<br />

man die Anwendungsbedingungen und Verfahrensregeln definiert, unter denen reale<br />

Diskurse gere<strong>ch</strong>te Ergebnisse hervorbringen. Es bietet si<strong>ch</strong> an, diese Begründungsformen<br />

zu einer kombinierten Begründungsstrategie zu verbinden.<br />

B. Zur unmittelbaren Begründung von Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>ten und<br />

Demokratie<br />

In wel<strong>ch</strong>em Umfang müssen Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te und Demokratie in je<strong>der</strong> staatli<strong>ch</strong>en<br />

Re<strong>ch</strong>tsordnung realisiert sein? Diese Grundfrage zur persönli<strong>ch</strong>en und öffentli<strong>ch</strong>en<br />

Autonomie, zu Freiheits- und Glei<strong>ch</strong>heitsre<strong>ch</strong>ten <strong>der</strong> Bürger betrifft die Spitze <strong>der</strong><br />

re<strong>ch</strong>tsstaatli<strong>ch</strong>en Normenpyramide. Wenn Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te gere<strong>ch</strong>tigkeitstheoretis<strong>ch</strong><br />

geboten sein sollten, dann deshalb, weil sie die Integrität des einzelnen gegen<br />

staatli<strong>ch</strong>e Eingriffe und gegen Übergriffe <strong>der</strong> Mitbüger zu s<strong>ch</strong>ützen vermögen. Als<br />

Kontrollinstrumente können sie nur funktionieren, wenn ihnen <strong>der</strong> hö<strong>ch</strong>ste Rang unter<br />

den Re<strong>ch</strong>tsnormen zukommt – <strong>der</strong> Status von Grundre<strong>ch</strong>ten. Derartige hö<strong>ch</strong>strangige<br />

Normen sind in den Diskurstheorien von Habermas und Alexy begründet<br />

worden. Do<strong>ch</strong> bleibt keine <strong>der</strong> Begründungsweisen frei von Kritik. Hier soll deshalb<br />

die skizzierte kombinative Begründungsstrategie verfolgt werden, die einerseits im<br />

46 Dazu oben S. 126 (unvollkommene prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

47 Dazu oben S. 129 (dienende Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit).<br />

48 Ebenso U. Neumann, Zur Interpretation des forensis<strong>ch</strong>en Diskurses (1996), S. 424.<br />

49 Au<strong>ch</strong> U. Neumann, Zur Interpretation des forensis<strong>ch</strong>en Diskurses (1996), S. 424 ff., <strong>der</strong> diese Eins<strong>ch</strong>ätzung<br />

teilt, greift sie ni<strong>ch</strong>t auf. Bei A. Kaufmann, <strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

(1989), S. 16 ff. ist nur dargestellt, daß hier unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Komponenten <strong>der</strong> prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

einfließen.<br />

50 Dazu unten S. 334 ff. (mittelbare Begründung gere<strong>ch</strong>ten Re<strong>ch</strong>ts).<br />

317


Verglei<strong>ch</strong> zu Habermas die Begründungsdi<strong>ch</strong>te beim Übergang von dem Diskursideal<br />

zu realen Re<strong>ch</strong>ten erhöht, die aber an<strong>der</strong>erseits im Verglei<strong>ch</strong> zu Alexy zurückhalten<strong>der</strong>e<br />

S<strong>ch</strong>lußfolgerungen für die diskurstheoretis<strong>ch</strong>e Notwendigkeit einer realen Anerkennung<br />

von Autonomie zieht.<br />

I. Der universelle Geltungsberei<strong>ch</strong><br />

»Die Universalität <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te bestreiten, heißt, die Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te bestreiten.«<br />

51 Diese These Krieles bringt treffli<strong>ch</strong> zum Ausdruck, daß es s<strong>ch</strong>on zum Begriff<br />

<strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te gehört, sie als vorpositive Verbindli<strong>ch</strong>keit für jede Sozialordnung<br />

anzusehen 52 . Vermittelt dur<strong>ch</strong> die Kommunikationsgrundre<strong>ch</strong>te erstreckt si<strong>ch</strong><br />

diese Verbindli<strong>ch</strong>keit auf Grundgedanken <strong>der</strong> Demokratie 53 . Do<strong>ch</strong> ein starker Geltungsanspru<strong>ch</strong><br />

verlangt, gerade weil die tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Anerkennung universeller<br />

Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te in <strong>der</strong> internationalen Gemeins<strong>ch</strong>aft na<strong>ch</strong> wie vor hinter dem Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>tsideal<br />

von Deklarationen und Konventionen zurücksteht, na<strong>ch</strong> einer starken<br />

Begründung 54 . Kriele meint, dem auswei<strong>ch</strong>en zu können, indem er die Begründungspfli<strong>ch</strong>t<br />

umkehrt: Ni<strong>ch</strong>t die Befürworter universeller Mens<strong>ch</strong>re<strong>ch</strong>te müßten die<br />

Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Universalitätsgedankens zeigen, son<strong>der</strong>n die Mens<strong>ch</strong>re<strong>ch</strong>tsverletzer<br />

ihr Handeln re<strong>ch</strong>tfertigen. Die damit geltend gema<strong>ch</strong>te Evidenz, die viellei<strong>ch</strong>t bei<br />

<strong>der</strong> Ungere<strong>ch</strong>tigkeit von Folter no<strong>ch</strong> plausibel ist 55 , trägt allenfalls einen Mindestgehalt<br />

von Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>ten, <strong>der</strong> als S<strong>ch</strong>nittmenge <strong>der</strong> konkreten Freiheiten und<br />

Glei<strong>ch</strong>heitssätze sowohl in westli<strong>ch</strong>en Demokratien als au<strong>ch</strong> in sozialistis<strong>ch</strong>en Staaten,<br />

islamis<strong>ch</strong>en Theokratien und traditionellen Stammeskulturen anerkannt wird 56 .<br />

Und selbst insoweit gilt: Was evident ist, müßte si<strong>ch</strong> beson<strong>der</strong>s gut begründen lassen.<br />

Gelingt eine Begründung indes ni<strong>ch</strong>t, so ist das ein Indiz, daß au<strong>ch</strong> mit <strong>der</strong> behaupteten<br />

Evidenz etwas ni<strong>ch</strong>t stimmt.<br />

51 M. Kriele, Zur Universalität <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1993), S. 47; ähnli<strong>ch</strong> bereits <strong>der</strong>s., Die demokratis<strong>ch</strong>e<br />

Weltrevolution (1987), §§ 12 ff. (S. 39 ff.). Ebenso D. Klippel, Politis<strong>ch</strong>e Freiheit und Freiheitsre<strong>ch</strong>te<br />

im deuts<strong>ch</strong>en Naturre<strong>ch</strong>t des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts (1976), S. 124 ff. (»Absolutheitsanspru<strong>ch</strong>«);<br />

J. Donnelly, Universal Human Rights in Theory and Practice (1989), S. 9 ff. Zweifelnd L. Kühnhardt,<br />

Universalität <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1991), S. 133 ff.: »Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>tsuniversalität in <strong>der</strong> Anfe<strong>ch</strong>tung«.<br />

Differenzierend zwis<strong>ch</strong>en einer Universalität <strong>der</strong> Idee <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te und einer<br />

sol<strong>ch</strong>en ihrer Verwirkli<strong>ch</strong>ung: K. Stern, Zur Universalität <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1998), S. 1066 f.<br />

52 Dazu etwa L. Kühnhardt, Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te, politis<strong>ch</strong>es Denken und politis<strong>ch</strong>e Systeme (1988), S. 71<br />

ff. m.w.N.<br />

53 Vgl. J. Donnelly, Universal Human Rights in Theory and Practice (1989), S. 88 ff. – notwendige<br />

Verbindung zwis<strong>ch</strong>en universellen Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>ten und einem demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaat<br />

im Sinne des westli<strong>ch</strong>en Liberalismus.<br />

54 Vgl. zu <strong>Theorien</strong> kulturellen Relativismus L. Kühnhardt, Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te, politis<strong>ch</strong>es Denken und<br />

politis<strong>ch</strong>e Systeme (1988), S. 69 f. – Universalität im Sinne allgemeiner faktis<strong>ch</strong>er Verwirkli<strong>ch</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te sei von <strong>der</strong> Universalität ihrer theoretis<strong>ch</strong>en Begründung zu unters<strong>ch</strong>eiden;<br />

außerdem K. Stern, Zur Universalität <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1998), S. 1071 ff.<br />

55 So das wi<strong>ch</strong>tigste Argument für die Argumentationslastverteilung bei M. Kriele, Zur Universalität<br />

<strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1993), S. 53.<br />

56 Vgl. zum europäis<strong>ch</strong>-amerikanis<strong>ch</strong>en Ursprung <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te K. Stern, Zur Universalität<br />

<strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1998), S. 1066 ff. m.w.N.<br />

318


Es ist zudem fragli<strong>ch</strong>, ob si<strong>ch</strong> die Universalität <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te als vorpositive<br />

Verbindli<strong>ch</strong>keit auf alle Einzelre<strong>ch</strong>te in völkerre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Konventionen beziehen<br />

kann 57 . Zweifel hieran sind um so bere<strong>ch</strong>tigter, als <strong>der</strong>lei Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te inzwis<strong>ch</strong>en<br />

in ihrer 'dritten Generation' weitrei<strong>ch</strong>ende Befugnisse beinhalten, wie sie in<br />

den meisten Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Welt ni<strong>ch</strong>t gewährleistet werden und teils ni<strong>ch</strong>t einmal gewährleistet<br />

werden können 58 ; wer akut Gefahr läuft zu verhungern, dem nützen politis<strong>ch</strong>-demokratis<strong>ch</strong>e<br />

Re<strong>ch</strong>te wenig 59 . Zwar mag es mögli<strong>ch</strong> sein, die Universalität<br />

einzelner Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te und einzelner Elemente des westli<strong>ch</strong>en Demokratieverständnisses<br />

zu begründen und damit ihrer Verurteilung als westli<strong>ch</strong>es Kulturgut zu<br />

entrinnen. Äußerst unplausibel, ja »vermessen« 60 muß es aber ers<strong>ch</strong>einen, wenn<br />

ausgere<strong>ch</strong>net diejenige Ausprägung, die si<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> in Staaten <strong>der</strong> westli<strong>ch</strong>en<br />

Hemisphäre entwickelt hat und <strong>der</strong>en Grundelemente Individualität und Säkularität<br />

sind, ohne nähere Begründung absolut gesetzt wird 61 . Vor dem Hintergrund einer<br />

<strong>der</strong>artigen 'Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>tsdi<strong>ch</strong>te' müßten Zweifel entstehen, ob beispielsweise <strong>der</strong><br />

Islam als kulturelles System mit einem universellen Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>tsverständnis<br />

westli<strong>ch</strong>er Prägung überhaupt vereinbar ist 62 . Sol<strong>ch</strong>en inhaltli<strong>ch</strong>en Zweifeln am Ergebnis<br />

stehen methodis<strong>ch</strong>e zur Seite. Wenn man diskurstheoretis<strong>ch</strong> beurteilen will,<br />

ob kulturspezifis<strong>ch</strong>e Rituale wie die Zwangsbes<strong>ch</strong>neidung von Frauen ungere<strong>ch</strong>t<br />

sind 63 , weil sie einen Verstoß gegen ein insoweit universell geltendes Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>t<br />

57 Vgl. L. Kühnhardt, Universalität <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1991), S. 229: »Die Untersu<strong>ch</strong>ungen haben<br />

zu dem Ergebnis führen müssen, daß si<strong>ch</strong> historis<strong>ch</strong> und ideenges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> kein Na<strong>ch</strong>weis über<br />

die Existenz des Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>tsbegriffs in ausgewählten politis<strong>ch</strong>en Kulturen vor ihrer Berührung<br />

und Reibung mit <strong>der</strong> westli<strong>ch</strong>en Welt finden läßt.«<br />

58 Die erste Generation bürgerli<strong>ch</strong>er und politis<strong>ch</strong>er Re<strong>ch</strong>te kann man als individualistis<strong>ch</strong> und freiheitli<strong>ch</strong>,<br />

die zweite Generation ökonomis<strong>ch</strong>er und sozialer Re<strong>ch</strong>te als solidaris<strong>ch</strong> und egalitär und<br />

die dritte Generation <strong>der</strong> gemeins<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en und kulturellen Re<strong>ch</strong>te als kollektivistis<strong>ch</strong> bezei<strong>ch</strong>nen;<br />

vgl. J. Donnelly, Universal Human Rights in Theory and Practice (1989), S. 143 f. – mit <strong>der</strong><br />

Parallele zu 'liberty', 'equality' und 'fraternity'. Zur Kritik an <strong>der</strong> Generationenlehre: ebd., S. 144<br />

ff. (146): »insurmountable conceptual problems«. Zur Kennzei<strong>ch</strong>nung <strong>der</strong> dritten Generation als<br />

Re<strong>ch</strong>te zur Befriedigung wirts<strong>ch</strong>afli<strong>ch</strong>er, sozialer und kultureller Bedürfnisse K. Stern, Zur Universalität<br />

<strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1998), S. 1071.<br />

59 Zu dieser Skepsis gegenüber westli<strong>ch</strong> konnotierten Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>tskatalogen siehe J.K. Nyerere,<br />

Essays on Socialism (1968), S. 10.<br />

60 K. Stern, Zur Universalität <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1998), S. 1063 f.<br />

61 Zu den Unters<strong>ch</strong>ieden im Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>tsverständnis westli<strong>ch</strong>er Demokratien, afrikanis<strong>ch</strong>er<br />

Staaten und islamis<strong>ch</strong>er Gesells<strong>ch</strong>aftsordnungen siehe J. Donnelly, Universal Human Rights in<br />

Theory and Practice (1989), S. 49 ff.; L. Kühnhardt, Universalität <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1991), S. 86<br />

ff., 142 ff., 212 ff.; J. Hinkmann, Philosophis<strong>ch</strong>e Argumente für und wi<strong>der</strong> die Universalität <strong>der</strong><br />

Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1996), S. 10 ff., 80 ff., 104 ff. Zum Islam außerdem C.E. Ritterband, Universeller<br />

Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utz und völkerre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>es Interventionsverbot (1982), S. 519 ff.; L. Müller, Islam<br />

und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1996), S. 111 ff. Zu relativistis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>tskonzeptionen etwa<br />

S.P. Sinha, Human Rights: Freeing Human Rights from Natural Rights, in: ARSP 70 (1984), S. 342<br />

ff., 378 ff. (Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te als wertvolle Ideologie); <strong>der</strong>s., Non-Universality of Law (1995), S. 193<br />

ff. (Ni<strong>ch</strong>tuniversalität des Re<strong>ch</strong>ts insgesamt). Verglei<strong>ch</strong>end J. Hinkmann, Philosophis<strong>ch</strong>e Argumente<br />

für und wi<strong>der</strong> die Universalität <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1996), S. 79.<br />

62 Vgl. S.P. Huntington, The Clash of Civilizations? (1993), S. 38. Diese Gefahr übersieht Fukuyama;<br />

vgl. oben S. 24, Fn. 12.<br />

63 Zum Problem <strong>der</strong> Bes<strong>ch</strong>neidung von Frauen in Afrika vgl. H. Lightfoot-Klein, Das grausame Ritual<br />

(1992), S. 43 ff.; zur Klitorisbes<strong>ch</strong>neidung während des letzten Jahrhun<strong>der</strong>ts in England und<br />

Nordamerika als 'Behandlung' gegen Masturbation und 'lesbis<strong>ch</strong>e Neigungen': ebd., S. 214 ff.; zu<br />

319


darstellen, dann kann das dur<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Begründungsstrategien ges<strong>ch</strong>ehen,<br />

die ni<strong>ch</strong>t alle glei<strong>ch</strong>ermaßen geeignet sind, Universalität zu begründen 64 .<br />

Die Universalität und ihre Begründungsbedürftigkeit werden dur<strong>ch</strong> den Prinzipien<strong>ch</strong>arakter<br />

<strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te beeinflußt. Na<strong>ch</strong> ihrem Inhalt führen die Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te<br />

und Grundfreiheiten zu latenten Zielkonflikten zwis<strong>ch</strong>en Einzelre<strong>ch</strong>ten,<br />

die stets eine Abwägung kollidieren<strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>te erfor<strong>der</strong>n. Sol<strong>ch</strong>e Abwägungen geben<br />

den Re<strong>ch</strong>ten je na<strong>ch</strong> den sozialen Rahmenbedingungen unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Gestalt:<br />

die Wohnraumbewirts<strong>ch</strong>aftung in <strong>der</strong> Na<strong>ch</strong>kriegszeit, die Nahrungspreisbindung in<br />

Hungersnöten, die Ein-Kind-Politik in Zeiten <strong>der</strong> Bevölkerungsexplosion könnten<br />

mit <strong>der</strong> Idee universeller Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te vereinbar sein, während sie unter normalen<br />

Bedingungen die Eigentums- und Persönli<strong>ch</strong>keitsre<strong>ch</strong>te verletzen würden. Einerseits<br />

vers<strong>ch</strong>ärft si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> die Begründungsbedürftigkeit, weil <strong>der</strong> Kreis <strong>der</strong><br />

unter allen Umständen 'evidenten' Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te kleiner wird 65 . An<strong>der</strong>erseits bietet<br />

si<strong>ch</strong> im Prinzipien<strong>ch</strong>arakter eine neue Chance für die Begründungsfähigkeit, wie<br />

sie Jansen in dem Konzept einer freistehenden Prinzipientheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

zum Ausdruck gebra<strong>ch</strong>t hat 66 .<br />

Trotz aller Unsi<strong>ch</strong>erheit über den Inhalt universeller Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te kann mindestens<br />

das zu ihrem unbestrittenen Kanon gezählt werden, was gelegentli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong><br />

als »harter Kern des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>smaßstabes« bezei<strong>ch</strong>net wird: die Verbote von<br />

Sklaverei, Hexenverfolgung, feudalistis<strong>ch</strong>er Kastenbildung, mör<strong>der</strong>is<strong>ch</strong>er Rasseno<strong>der</strong><br />

Klassendiskriminierung sowie absoluter Herrs<strong>ch</strong>aft ausgewählter Einzelpersonen<br />

o<strong>der</strong> sol<strong>ch</strong>er Parteien, die für si<strong>ch</strong> in Anspru<strong>ch</strong> nehmen, die 'Wahrheit' erkannt<br />

zu haben 67 . Do<strong>ch</strong> selbst für diesen Kernberei<strong>ch</strong> ist die diskurstheoretis<strong>ch</strong>e Begründung<br />

ni<strong>ch</strong>t einfa<strong>ch</strong>. Die Diskurstheorie besagt nur (aber au<strong>ch</strong> immerhin), daß man<br />

si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit des eigenen Handelns nur in Diskursen vergewissern kann 68 , daß<br />

diese Diskurse (zumindest näherungsweise) na<strong>ch</strong> den Diskursregeln zu erfolgen haben<br />

und daß sie als reale Diskurse bei nahezu allen Mens<strong>ch</strong>en gemäß <strong>der</strong>en normaler<br />

Lebensform zumindest gelegentli<strong>ch</strong> vorkommen 69 . Eine gere<strong>ch</strong>tigkeitstheoretis<strong>ch</strong>e<br />

Begründung <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te muß hingegen Handlungsnormen re<strong>ch</strong>tfertigen, die<br />

für das Handeln aller Mens<strong>ch</strong>en unter allen Umständen gelten sollen. Wer freiwillig,<br />

gelegentli<strong>ch</strong> und zu Einzelfragen an Diskursen teilnimmt, erklärt damit ni<strong>ch</strong>t implizit<br />

seine Bereits<strong>ch</strong>aft, si<strong>ch</strong> zwangsweise, fortdauernd und umfassend einer Kontrolle<br />

seines Handelns dur<strong>ch</strong> Diskurse auszusetzen.<br />

einer Analyse <strong>der</strong> vers<strong>ch</strong>iedenen Ers<strong>ch</strong>einungsformen in mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t vgl. J. Hinkmann,<br />

Philosophis<strong>ch</strong>e Argumente für und wi<strong>der</strong> die Universalität <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1996),<br />

S. 86 ff.<br />

64 Dazu oben S. 314 ff. (Zu kombinativen Begründungsstrategien).<br />

65 W. Brugger, Mens<strong>ch</strong>enwürde, Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te, Grundre<strong>ch</strong>te (1997), S. 23 ff. hält selbst das Folterverbot<br />

unter beson<strong>der</strong>en Umständen in einer Abwägung mit an<strong>der</strong>en Re<strong>ch</strong>ten (Rettung vor terroristis<strong>ch</strong>er<br />

Erpressung) für überwindbar.<br />

66 Dazu oben S. 286 ff. (Kritik an Rawls' politis<strong>ch</strong>em Liberalismus).<br />

67 F. Bydlinski, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als re<strong>ch</strong>tspraktis<strong>ch</strong>er Maßstab (1996), S. 138 f.; ähnli<strong>ch</strong> W. Brugger, Mens<strong>ch</strong>enwürde,<br />

Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te, Grundre<strong>ch</strong>te (1997), S. 13 ff.<br />

68 Dazu oben S. 250 (T R ).<br />

69 Vgl. oben S. 248 ff. (Teilnahme an <strong>der</strong> allgemeinsten Lebensform).<br />

320


II.<br />

Die diskurstheoretis<strong>ch</strong> notwendigen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

1. Eine Modifikation <strong>der</strong> Argumentationsfolge Alexys<br />

Um den S<strong>ch</strong>ritt von <strong>der</strong> spra<strong>ch</strong>pragmatis<strong>ch</strong>en Geltung <strong>der</strong> Diskursregeln hin zur<br />

Geltung <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te im Handeln zu vollziehen, kann im wesentli<strong>ch</strong>en an die<br />

Argumentationsfolge von Alexy angeknüpft werden, wobei allerdings bei <strong>der</strong> empiris<strong>ch</strong>en<br />

Prämisse über die Bedingungen <strong>der</strong> Existenz realer Diskurse ('S<strong>ch</strong>ritt 6') größere<br />

Zurückhaltung geboten ist 70 . Die modifizierte Argumentation enthält folgende<br />

Einzels<strong>ch</strong>ritte:<br />

(1) Man kann si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit nur im Diskurs vergewissern. (2) Regierungen<br />

haben ein objektives Interesse an <strong>der</strong> Legitimation ihrer Herrs<strong>ch</strong>aft, müssen also <strong>der</strong>en<br />

Ri<strong>ch</strong>tigkeit behaupten. (3) Wer an Diskursen teilnimmt, setzt die Autonomie seiner<br />

Gesprä<strong>ch</strong>spartner im Diskurs voraus. (4) Wer ernsthaft an Diskursen teilnimmt<br />

(genuine Diskursteilnahme), will soziale Konflikte dur<strong>ch</strong> diskursiv erzeugte und<br />

kontrollierte Konsense lösen. (5) Wer soziale Konflikte dur<strong>ch</strong> Konsense lösen will,<br />

akzeptiert die Autonomie seiner Gesprä<strong>ch</strong>spartner au<strong>ch</strong> im Handeln. (6) Wer verhin<strong>der</strong>n<br />

will, daß das Interesse <strong>der</strong> Diskurspartner am Diskurs und damit die Mögli<strong>ch</strong>keit<br />

<strong>der</strong> Legitimation 'auf Null o<strong>der</strong> fast auf Null' sinkt, muß die genuine Diskursteilnahme<br />

wenigstens gelegentli<strong>ch</strong> heu<strong>ch</strong>eln. (7) Wer genuine Diskursteilnahme heu<strong>ch</strong>elt,<br />

erkennt damit die Autonomie seiner Gesprä<strong>ch</strong>spartner im Handeln immer<br />

no<strong>ch</strong> objektiv an.<br />

Was bedeutet dieser eins<strong>ch</strong>ränkend formulierte 'S<strong>ch</strong>ritt 6' <strong>der</strong> Argumentation?<br />

Warum genügt es beispielsweise dem Militärdiktator, daß er 'gelegentli<strong>ch</strong>' eine genuine<br />

Diskursteilnahme heu<strong>ch</strong>elt? Sein objektives Interesse an <strong>der</strong> Legitimation <strong>der</strong><br />

Herrs<strong>ch</strong>aft bes<strong>ch</strong>ränkt si<strong>ch</strong> auf <strong>der</strong>en Stabilität wenigstens zu seinen Lebzeiten 71 . Eine<br />

Legitimation läßt si<strong>ch</strong> zwar ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> Akklamationswahlen, Regierungsdemonstrationen,<br />

Medienkontrolle und ähnli<strong>ch</strong>e Diktaturmittel, son<strong>der</strong>n nur dur<strong>ch</strong> Diskurse<br />

begründen. Do<strong>ch</strong> die empiris<strong>ch</strong>e Prämisse, daß zur Stabilitätssi<strong>ch</strong>erung legitimationsverbürgende<br />

Diskurse nötig sind, kann nur mit abges<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>tem Inhalt aufre<strong>ch</strong>terhalten<br />

werden: Den Betroffenen muß nur (aber au<strong>ch</strong> immerhin) eine Chance<br />

bleiben, daß soziale Konflikte dur<strong>ch</strong> Konsense gelöst werden 72 . Angesi<strong>ch</strong>ts dieser<br />

Motivationslage weiß ein kluger Diktator, daß er ni<strong>ch</strong>t uneinges<strong>ch</strong>ränkt und je<strong>der</strong>zeit<br />

seine Bereits<strong>ch</strong>aft heu<strong>ch</strong>eln muß, das Regieren konsensfähig zu ma<strong>ch</strong>en. Er kann es<br />

si<strong>ch</strong> in vielen Fragen erlauben, Legitimationsmögli<strong>ch</strong>keiten unverblümt zu ignorieren,<br />

kann also beispielsweise öffentli<strong>ch</strong>e Regierungskritik und politis<strong>ch</strong>e Opposition<br />

weitgehend bes<strong>ch</strong>ränken. Dadur<strong>ch</strong> verstößt er we<strong>der</strong> gegen innere Gesetzmäßigkeiten<br />

<strong>der</strong> Kommunikation no<strong>ch</strong> gegen sein (pragmatis<strong>ch</strong> bes<strong>ch</strong>ränktes) Interesse an<br />

Ri<strong>ch</strong>tigkeit. Wenn allerdings die Herrs<strong>ch</strong>aft vollständig in ein offenes Unre<strong>ch</strong>tsregime<br />

ums<strong>ch</strong>lägt, weil ni<strong>ch</strong>t einmal ein Anspru<strong>ch</strong> auf Ri<strong>ch</strong>tigkeit erhoben wird und<br />

70 Dazu oben S. 302 ff. (Kritik an <strong>der</strong> Notwendigkeit <strong>der</strong> genuinen Diskursteilnahme). Der 'S<strong>ch</strong>ritt 6'<br />

<strong>der</strong> Begründung bei Alexy wurde wie folgt <strong>ch</strong>arakterisiert: '(6) Wer verhin<strong>der</strong>n will, daß das Interesse<br />

<strong>der</strong> Diskurspartner am Diskurs und damit die Mögli<strong>ch</strong>keit <strong>der</strong> Legitimation »auf Null o<strong>der</strong><br />

fast auf Null« sinkt, <strong>der</strong> muß die genuine Diskursteilnahme wenigstens heu<strong>ch</strong>eln.'<br />

71 Vgl. hierzu und zum folgenden die Bespre<strong>ch</strong>ung <strong>der</strong> Argumentationsfolge Alexys oben S. 250 ff.<br />

(Begründung von Freiheit und Demokratie).<br />

72 Vgl. oben S. 302 ff. (Kritik und Beispiele zur Motivation für eine Diskursteilnahme).<br />

321


s<strong>ch</strong>on gar ni<strong>ch</strong>t die Chance einer diskursiven Kontrolle gewahrt bleibt, dann wird<br />

<strong>der</strong> Legitimationsmangel so gravierend, daß die langfristige Stabilität gefährdet ist 73 .<br />

Insoweit gilt dann die empiris<strong>ch</strong>-analytis<strong>ch</strong>e Argumentation: Stabilität erfor<strong>der</strong>t Legitimation<br />

und diese erfor<strong>der</strong>t mindestens geheu<strong>ch</strong>elte genuine Diskursteilnahme.<br />

Das Mindeste, zu dem ein Militärdiktator bereit sein muß, um das eigene (d.h. begrenzte)<br />

objektive Interesse an Ri<strong>ch</strong>tigkeit zu verfolgen, ist das gelegentli<strong>ch</strong>e Heu<strong>ch</strong>eln<br />

einer genuinen Diskursteilnahme. Mehr ist für Stabilität ni<strong>ch</strong>t in jedem Fall nötig,<br />

und mehr implizierte Anerkennung von Re<strong>ch</strong>ten kann dem kommunikativen Handeln<br />

au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t entnommen werden. Damit erkennt ein Diktator zwar Autonomie<br />

und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te ni<strong>ch</strong>t insgesamt als notwendige Voraussetzungen seiner Kommunikation<br />

an, do<strong>ch</strong> werden immerhin einzelne Grundsätze <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>tsund<br />

Demokratieidee vorausgesetzt, wenn si<strong>ch</strong> eine Regierung überhaupt irgendwann<br />

Diskursen stellt.<br />

2. Die notwendig vorausgesetzten Prinzipien (N S N M N E N G )<br />

Wel<strong>ch</strong>es sind diejenigen Einzelgrundsätze, die selbst dann notwendig vorausgesetzt<br />

werden müssen, wenn si<strong>ch</strong> jemand nur gelegentli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeitskontrolle in Diskursen<br />

stellt? Sol<strong>ch</strong>e Grundsätze können in einer Präsuppositionsanalyse <strong>der</strong> Kommunikation<br />

ers<strong>ch</strong>lossen werden, erweitert dur<strong>ch</strong> die s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>e empiris<strong>ch</strong>e Prämisse,<br />

daß Regierende ein (dur<strong>ch</strong> Stabilitätsziele begrenztes) objektives Interesse an Ri<strong>ch</strong>tigkeit<br />

haben.<br />

Wer si<strong>ch</strong> zumindest gelegentli<strong>ch</strong> in Diskursen mit an<strong>der</strong>en über praktis<strong>ch</strong>e Ri<strong>ch</strong>tigkeit<br />

verständigt, setzt dabei die Geltung <strong>der</strong> Diskursregeln voraus. Er erkennt<br />

deshalb erstens die Autonomie <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en in diesem Diskurs an. Und er erkennt<br />

zweitens an, daß <strong>der</strong> Diskurs unter Mens<strong>ch</strong>en, ni<strong>ch</strong>t etwa die göttli<strong>ch</strong>e Eingebung o<strong>der</strong><br />

ähnli<strong>ch</strong>es, insoweit das adäquate Verfahren zur Begründung <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit bietet<br />

(anthropozentris<strong>ch</strong>es Erkenntnismodell). Wer als Regieren<strong>der</strong> gelegentli<strong>ch</strong> ernsthaft<br />

an Diskursen teilnimmt (genuiner Diskursteilnehmer) o<strong>der</strong> die ernsthafte Teilnahme<br />

jedenfalls heu<strong>ch</strong>elt, <strong>der</strong> erkennt erstens in diesem Diskurs objektiv an, daß die dabei<br />

behandelten Fragen sozialen Handelns tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> Konsense aller Betroffenen<br />

beantwortet werden sollten. Er erkennt zweitens objektiv an, daß <strong>der</strong> Diskurs unter<br />

Mens<strong>ch</strong>en, ni<strong>ch</strong>t etwa die autoritative Ents<strong>ch</strong>eidung o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Zufall 74 , insoweit das<br />

adäquate Verfahren zur Begründung <strong>der</strong> sozialen Ordnung bietet (anthropozentris<strong>ch</strong>es<br />

Souveränitätsmodell).<br />

Der Grundsatz <strong>der</strong> anthropozentris<strong>ch</strong>en Souveränität kann als unhintergehbare<br />

Voraussetzung von Kommunikation und Staatli<strong>ch</strong>keit angesehen werden. In ihm ist<br />

erstens anerkannt, daß Mens<strong>ch</strong>en ents<strong>ch</strong>eiden, und zweitens, daß sie au<strong>ch</strong> über die<br />

Herrs<strong>ch</strong>aftsordnung ents<strong>ch</strong>eiden. Selbst ein 'König von Gottes Gnaden' muß si<strong>ch</strong> gelegentli<strong>ch</strong><br />

bei seinen Bürgern vergewissern, ob sie sein Gottesgnadentum na<strong>ch</strong> wie<br />

vor für ri<strong>ch</strong>tig halten. Das bedeutet ni<strong>ch</strong>t, daß ein Regieren<strong>der</strong> sein Handeln immer<br />

73 Vgl. oben S. 37 ff. (notwendiger Anspru<strong>ch</strong> des Re<strong>ch</strong>ts auf Ri<strong>ch</strong>tigkeit).<br />

74 Vgl. B. Barry, Political Argument (1965), S. 84 ff., <strong>der</strong> außer dem Diskurs und <strong>der</strong> autoritativen<br />

Ents<strong>ch</strong>eidung fünf Verfahren nennt: S<strong>ch</strong>lagabtaus<strong>ch</strong> (combat), Verhandlung (bargaining), Abstimmung<br />

(voting), Los (<strong>ch</strong>ance) und Wettkampf (contest).<br />

322


diskursiv kontrollieren lassen müßte 75 . Denn hier genügt, daß für die Regierten eine<br />

Chance <strong>der</strong> Einflußnahme besteht. Aber jedenfalls kann si<strong>ch</strong> ein Regieren<strong>der</strong> nur im<br />

Zusammenwirken mit den Betroffenen <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit eines Handelns vergewissern<br />

76 , und es ist für ihn ein pragmatis<strong>ch</strong>es Gebot, daß er eine sol<strong>ch</strong>e Vergewisserung<br />

zumindest gelegentli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> vornimmt. Man könnte dies eine 'minimale Volkssouveränität'<br />

nennen.<br />

Die Anerkennung dreier weiterer Grundsätze ist Voraussetzung dafür, daß eine<br />

diskursive Kontrolle des Regierungshandelns, und sei sie nur gelegentli<strong>ch</strong>, überhaupt<br />

stattfinden kann. Wer einen realen Diskurs über die Regeln <strong>der</strong> sozialen Ordnung<br />

führen will, muß in diesem Diskurs mindestens politis<strong>ch</strong>e Meinungsäußerungsfreiheit,<br />

Existenzbere<strong>ch</strong>tigung und Glei<strong>ch</strong>heit zugestehen, wobei Glei<strong>ch</strong>heit<br />

au<strong>ch</strong> die Einbeziehung aller kommunikationsfähigen Betroffenen bedeutet. Dies<br />

sind diejenigen Anfor<strong>der</strong>ungen aus den Diskursregeln 77 , die si<strong>ch</strong> in jedem realen Diskurs<br />

verwirkli<strong>ch</strong>en lassen, glei<strong>ch</strong>gültig wie dessen sonstige Rahmenbedingungen<br />

aussehen mögen (z.B. Ents<strong>ch</strong>eidungsdruck 78 ). Werden sie ni<strong>ch</strong>t gewährleistet, so ist<br />

die Kommunikation ni<strong>ch</strong>t länger <strong>der</strong> regulativen Idee des idealen Diskurses verpfli<strong>ch</strong>tet.<br />

Sie kann kein Garant praktis<strong>ch</strong>er Ri<strong>ch</strong>tigkeit sein; es handelt si<strong>ch</strong> dann<br />

ni<strong>ch</strong>t mehr um einen Diskurs 79 . Wer beispielsweise gelegentli<strong>ch</strong> das Gesprä<strong>ch</strong> über<br />

Fragen <strong>der</strong> Sozialordnung su<strong>ch</strong>t, glei<strong>ch</strong>zeitig aber alle Oppositionsführer töten läßt,<br />

ihnen die Meinungsäußerung verbietet o<strong>der</strong> sie sonst von <strong>der</strong> Kommunikation abs<strong>ch</strong>neidet,<br />

<strong>der</strong> kann keinerlei Legitimationswirkung von einem sol<strong>ch</strong>en Gesprä<strong>ch</strong> erwarten.<br />

Mangels Ri<strong>ch</strong>tigkeitsorientierung führt eine Regierung, die dies tut, keinen<br />

Diskurs. Mehr no<strong>ch</strong>: Sie verhält si<strong>ch</strong> insoweit wi<strong>der</strong>sprü<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>, denn die vier Grundsätze<br />

stellen si<strong>ch</strong> als notwendige Voraussetzungen von Kommunikation und Staatli<strong>ch</strong>keit<br />

dar. Eine Apartheidsregierung o<strong>der</strong> die Regierung einer Sklavereigesells<strong>ch</strong>aft<br />

handelt ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>lüssig, wenn sie einerseits meint, die Ri<strong>ch</strong>tigkeit ihrer sozialen<br />

Ordnung begründen zu können, an<strong>der</strong>erseits aber die unterdrückte Min<strong>der</strong>heit<br />

(o<strong>der</strong> sogar eine Mehrheit) nie zu Wort kommen läßt.<br />

Diese Präsuppositionsanalyse bedeutet ni<strong>ch</strong>t, daß si<strong>ch</strong> Regierende aus diskurstheoretis<strong>ch</strong>er<br />

Notwendigkeit zu je<strong>der</strong> Zeit und in je<strong>der</strong> Hinsi<strong>ch</strong>t einer diskursiven<br />

Kontrolle zu stellen hätten. Sie müssen gelegentli<strong>ch</strong> Diskurse über die Sozialordnung<br />

zulassen. Das Regierungshandeln muß si<strong>ch</strong> aber ni<strong>ch</strong>t vollständig na<strong>ch</strong> diesen<br />

ri<strong>ch</strong>ten, son<strong>der</strong>n es genügt, wenn im Prinzip anerkannt ist, daß dur<strong>ch</strong> Diskurse eine<br />

gewisse Einflußnahme auf die soziale Ordnung mögli<strong>ch</strong> wird. Ein Militärdiktator,<br />

<strong>der</strong> reale Diskurse grundsätzli<strong>ch</strong> zuläßt, sie in militäris<strong>ch</strong>en Fragen aber verbietet,<br />

handelt ni<strong>ch</strong>t wi<strong>der</strong>sprü<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>. Dadur<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>eiden si<strong>ch</strong> die hier entwickelten<br />

75 Die diskursive Kontrolle des gesamten Regierungshandelns gehört indes zu den spezifis<strong>ch</strong>en<br />

Merkmalen des demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaates; vgl. R. Zippelius, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in<br />

<strong>der</strong> offenen Gesells<strong>ch</strong>aft (1996), S. 84 f. – demokratis<strong>ch</strong>e 'Rückkoppelung'.<br />

76 Vgl. oben S. 250 (T R ).<br />

77 Vgl. oben S. 222 ff. (Diskursregeln).<br />

78 Zu Gründen, warum in realen Diskursen nie alle Bedingungen eines idealen Diskurses verwirkli<strong>ch</strong>t<br />

werden können, siehe oben S. 218 ff. (Diskursarten).<br />

79 Zum Begriff des idealen und realen Diskurses siehe D Di und D Dr oben S. 218 ff. Zum Charakteristikum<br />

<strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeitsorientierung vgl. S. 232 (arguing vs. bargaining).<br />

323


Grundsätze von dem Autonomieprinzip A und dem allgemeinen Freiheitsre<strong>ch</strong>t R F<br />

80.<br />

Die Relativierung kann mit <strong>der</strong> Formulierung 'im Prinzip' ausgedrückt werden 81 :<br />

N S :<br />

N M :<br />

N E :<br />

N G :<br />

Grundsatz <strong>der</strong> anthropozentris<strong>ch</strong>en Souveränität: Im Prinzip<br />

haben Mens<strong>ch</strong>en das Re<strong>ch</strong>t, die Regeln <strong>der</strong> sie betreffenden<br />

sozialen Ordnung zu bestimmen.<br />

Grundsatz <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Meinungsfreiheit: Im Prinzip haben<br />

Mens<strong>ch</strong>en das Re<strong>ch</strong>t, ihre Meinung in politis<strong>ch</strong>en<br />

Angelegenheiten zu äußern.<br />

Grundsatz <strong>der</strong> mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Existenzbere<strong>ch</strong>tigung: Im Prinzip<br />

haben Mens<strong>ch</strong>en ein Re<strong>ch</strong>t auf Leben und körperli<strong>ch</strong>e<br />

Unversehrtheit.<br />

Grundsatz <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heit: Bezügli<strong>ch</strong> dieser Grundsätze<br />

sind alle Mens<strong>ch</strong>en im Prinzip glei<strong>ch</strong>.<br />

Der inhaltli<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>e dieser Grundsätze 82 steht die Stärke ihrer Geltung gegenüber:<br />

Allein dur<strong>ch</strong> eine Analyse <strong>der</strong> Kommunikationsbedingungen zusammen mit<br />

<strong>der</strong> s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en empiris<strong>ch</strong>en Prämisse über ein begrenztes objektives Interesse <strong>der</strong><br />

Regierenden an Ri<strong>ch</strong>tigkeit kann die diskurstheoretis<strong>ch</strong>e Notwendigkeit <strong>der</strong> Grundsätze<br />

begründet werden. Sie gelten deshalb zu allen Zeiten und an allen Orten, solange<br />

die Annahmen über die allgemeinste Lebensform des Mens<strong>ch</strong>en (Kommunikation)<br />

83 und das pragmatis<strong>ch</strong>e Interesse <strong>der</strong> Regierung zutreffend sind. Sie sind in<br />

diesem Sinne universell, wenn au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t letztbegründet 84 .<br />

Folge <strong>der</strong> Universalität ist, ganz im Sinne <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>tsidee, ihre Unverzi<strong>ch</strong>tbarkeit<br />

und Unveräußerli<strong>ch</strong>keit 85 . Die Grundsätze können beispielsweise ni<strong>ch</strong>t<br />

80 Vgl. insoweit das Autonomieprinzip und das allgemeine Freiheitsre<strong>ch</strong>t (hier mit Hervorhebungen):<br />

zu A (»Es ist wüns<strong>ch</strong>enswert, daß [alle] Mens<strong>ch</strong>en ihr Verhalten nur na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> freien Annahme<br />

von Prinzipien ri<strong>ch</strong>ten, die sie, na<strong>ch</strong> genügen<strong>der</strong> Reflexion und Beratung, als gültig beurteilen.«)<br />

oben S. 250; zu R F (»Je<strong>der</strong> hat [zu jedem Zeitpunkt] das Re<strong>ch</strong>t, [in je<strong>der</strong> Hinsi<strong>ch</strong>t] frei zu beurteilen,<br />

was geboten und was gut ist, und entspre<strong>ch</strong>end zu handeln.«) oben S. 253.<br />

81 Es mag hier offen bleiben, ob N S bis N G trotz ihrer inhaltli<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>e no<strong>ch</strong> Prinzipien im Sinne<br />

<strong>der</strong> Prinzipientheorie sind, also ni<strong>ch</strong>t-regelhafte Normen mit inhärenter Optimierungstendenz.<br />

Immerhin tragen N S bis N G die Ausnahmen bereits in si<strong>ch</strong>. Den Status von Optimierungsgeboten<br />

könnte man ihnen wohl nur zuspre<strong>ch</strong>en, wenn man glei<strong>ch</strong>zeitig ein starkes gegenläufiges Prinzip<br />

als abwägungsrelevant gegenüberstellte, etwa ein sol<strong>ch</strong>es <strong>der</strong> Realpolitik samt <strong>der</strong> damit implizierten<br />

Spielräume.<br />

82 Zu ihr soglei<strong>ch</strong> S. 325 (inhaltli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>e <strong>der</strong> Prinzipien).<br />

83 Zu dieser Annahme als Teil <strong>der</strong> Begründung <strong>der</strong> Diskursregeln siehe oben S. 248 (Teilnahme an<br />

<strong>der</strong> allgemeinsten Lebensform als Begründungselement bei Alexy).<br />

84 Zur Kritik an <strong>der</strong> Letztbegründung vgl. oben S. 261 (Mün<strong>ch</strong>hausen-Trilemma). Zur Wi<strong>der</strong>legbarkeit<br />

<strong>der</strong> Grundsätze siehe unten S. 325 (mögli<strong>ch</strong>e Wi<strong>der</strong>legung).<br />

85 Vgl. zum Gedanken <strong>der</strong> Unveräußerli<strong>ch</strong>keit von Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>ten: Allgemeine Erklärung <strong>der</strong><br />

Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te, Resolution 217 (III) <strong>der</strong> Generalversammlung <strong>der</strong> Vereinten Nationen vom 10.<br />

Dezember 1948, übersetzt und abgedruckt in: B. Simma/U. Fastenrath (Hrsg.), Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te<br />

(1992), S. 5-10, Präambel: »Da die Anerkennung <strong>der</strong> allen Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Familie<br />

324


dadur<strong>ch</strong> ausgehebelt werden, daß in einem realen Diskurs ein Konsens erzielt wird,<br />

zukünftig nur no<strong>ch</strong> den König und seine dynastis<strong>ch</strong>en Thronfolger über die Ri<strong>ch</strong>tigkeit<br />

<strong>der</strong> Herrs<strong>ch</strong>aft befinden zu lassen. Eine sol<strong>ch</strong>e Selbstentäußerung <strong>der</strong> Erkenntniskompetenz<br />

ist unmögli<strong>ch</strong>, denn <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit kann man si<strong>ch</strong> nur im Diskurs vergewissern<br />

86 . Au<strong>ch</strong> ein sol<strong>ch</strong>ermaßen 'ermä<strong>ch</strong>tigter' König müßte si<strong>ch</strong> in <strong>der</strong> Zukunft<br />

zumindest gelegentli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit seiner Herrs<strong>ch</strong>aft in Diskursen mit an<strong>der</strong>en<br />

vergewissern. Diese Notwendigkeit und mit ihr den Grundsatz <strong>der</strong> anthropozentris<strong>ch</strong>en<br />

Souveränität (N S ) erkennt er bereits an, indem er kommuniziert und regiert.<br />

Um aber reale Diskurse führen zu können, sind au<strong>ch</strong> N M , N E und N G notwendig vorausgesetzt.<br />

Also sind die mit diesen Grundsätzen ausgedrückten Re<strong>ch</strong>te genauso<br />

unverzi<strong>ch</strong>tbar wie die Erkenntniskompetenz selbst.<br />

3. Die inhaltli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>e <strong>der</strong> Prinzipien<br />

Immerhin markieren die vier Prinzipien jedes Sklaverei- o<strong>der</strong> Apartheidsregime, in<br />

dem die Unterdrückten ni<strong>ch</strong>t einmal eine Chance haben, die Regeln <strong>der</strong> sie betreffenden<br />

Sozialordnung mitzubestimmen, als ungere<strong>ch</strong>t. Entspre<strong>ch</strong>endes gilt für die<br />

Verni<strong>ch</strong>tung von Mens<strong>ch</strong>en in einem Genozid. Abgesehen von sol<strong>ch</strong>en eindeutigen<br />

Beispielen erweisen si<strong>ch</strong> die Prinzipien aber als inhaltli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>. Beispielsweise<br />

könnten sie eine Sozialordnung wie das Apartheidsregime des vorreformatoris<strong>ch</strong>en<br />

Südafrika ni<strong>ch</strong>t als ungere<strong>ch</strong>t qualifizieren. Dort waren die unterdrückten Bevölkerungsgruppen<br />

am öffentli<strong>ch</strong>en Diskurs über Reformen beteiligt. Diese Diskurse waren<br />

von idealen Bedingungen weit entfernt, do<strong>ch</strong> sie eröffneten immerhin eine Chance,<br />

daß Reformen dur<strong>ch</strong>geführt würden. Damit war die Einflußnahmemögli<strong>ch</strong>keit<br />

dur<strong>ch</strong> öffentli<strong>ch</strong>e Meinungsäußerung 'im Prinzip' anerkannt, hat aber an <strong>der</strong> Realität<br />

des Apartheidsregimes lange Zeit ni<strong>ch</strong>ts än<strong>der</strong>n können. Eine <strong>der</strong>artige Kombination<br />

aus grundsätzli<strong>ch</strong>er Anerkennung diskursiver Kontrollmögli<strong>ch</strong>keiten bei glei<strong>ch</strong>zeitiger<br />

Wirkungslosigkeit in <strong>der</strong> realen Sozialordnung läßt si<strong>ch</strong> mit je unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en<br />

Nuancen au<strong>ch</strong> für China, Singapur und den Iran feststellen 87 . Als diskurstheoretis<strong>ch</strong>e<br />

Notwendigkeit lassen si<strong>ch</strong> die bei sol<strong>ch</strong>en Staaten defizitären Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te<br />

(z.B. Wahlre<strong>ch</strong>t, Eigentum, allgemeine Glei<strong>ch</strong>heit) ni<strong>ch</strong>t begründen.<br />

4. Zu mögli<strong>ch</strong>en Wi<strong>der</strong>legungen <strong>der</strong> Prinzipien<br />

Mit alledem ist keine Letztbegründung gegeben, son<strong>der</strong>n es gibt definierte Punkte,<br />

an denen ein Versu<strong>ch</strong> zur Falsifizierung dieser Diskurstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ansetzen<br />

könnte 88 . Eine Wi<strong>der</strong>legung <strong>der</strong> bisherigen Aussagen kann analytis<strong>ch</strong> o<strong>der</strong><br />

empiris<strong>ch</strong> begründet werden. Als analytis<strong>ch</strong>e Wi<strong>der</strong>legung müßte sie zeigen, daß<br />

die Präsuppositionsanalyse <strong>der</strong> Diskurstheorie fals<strong>ch</strong> ist. Nur dadur<strong>ch</strong> ließe si<strong>ch</strong> die<br />

These ers<strong>ch</strong>üttern, daß jede Kommunikation, verbunden mit <strong>der</strong> empiris<strong>ch</strong>en Prämisse<br />

eines bes<strong>ch</strong>ränkten objektiven Interesses je<strong>der</strong> Regierung an Ri<strong>ch</strong>tigkeit, die<br />

innewohnenden Würde und ihrer glei<strong>ch</strong>en und unveräußerli<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>te die Grundlage <strong>der</strong> Freiheit,<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> und des Friedens in <strong>der</strong> Welt bildet, ...«.<br />

86 Dazu oben S. 250 (T R ).<br />

87 Vgl. zu diesen Beispielen oben S. 299 ff. (Illustration).<br />

88 Zum hier verwendeten Falsifikationsbegriff oben S. 264, Fn. 20.<br />

325


Geltung <strong>der</strong> vier Prinzipien bereits notwendig voraussetzt. Als empiris<strong>ch</strong>e Wi<strong>der</strong>legung<br />

müßte sie belegen, daß eine <strong>der</strong> empiris<strong>ch</strong>en Prämissen unzutreffend ist. Dazu<br />

könnte bezweifelt werden, daß ein argumentierendes Begründen zur allgemeinsten<br />

Lebensform des Mens<strong>ch</strong>en gehört. O<strong>der</strong> es könnte behauptet werden, daß es Regierungen<br />

gibt, die kein pragmatis<strong>ch</strong>es Interesse an Ri<strong>ch</strong>tigkeit haben. Am erfolgverspre<strong>ch</strong>endsten<br />

ers<strong>ch</strong>eint dieser letzte Wi<strong>der</strong>legungsversu<strong>ch</strong>. Tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> läßt si<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t positiv beweisen, daß es niemals eine Regierung geben kann, die dauerhaft stabil<br />

ist, ohne die Ri<strong>ch</strong>tigkeit ihrer Herrs<strong>ch</strong>aft geltend zu ma<strong>ch</strong>en, also als offenes Unre<strong>ch</strong>tsregime.<br />

Aber gegen die empiris<strong>ch</strong>e Mögli<strong>ch</strong>keit einer legitimationsfreien Stabilität<br />

spri<strong>ch</strong>t immerhin, daß es keine Regierungen gibt, die darauf verzi<strong>ch</strong>ten, ihre<br />

Legitimität zu behaupten 89 .<br />

5. Ergebnisse<br />

Eine um s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>e empiris<strong>ch</strong>e Prämissen erweiterte Präsuppsitionsanalyse <strong>der</strong><br />

mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Kommunikation kann begründen, daß die objektive Anerkennung <strong>der</strong><br />

Grundsätze <strong>der</strong> anthropozentris<strong>ch</strong>en Souveränität, <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heit im Diskurs, <strong>der</strong><br />

politis<strong>ch</strong>en Meinungsfreiheit und <strong>der</strong> mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Existenzbere<strong>ch</strong>tigung diskurstheoretis<strong>ch</strong><br />

notwendig sind. Bestimmte Formen von Sklaverei, Apartheid und Genozid<br />

erweisen si<strong>ch</strong> bereits dadur<strong>ch</strong> als ungere<strong>ch</strong>t. Im übrigen erlauben die Grundsätze<br />

nur eine s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>skontrolle.<br />

III. Die diskursiv notwendigen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

1. Zur Begründung <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heit<br />

Während bisher na<strong>ch</strong> denjenigen Normen gesu<strong>ch</strong>t wurde, die notwendige Voraussetzungen<br />

für Kommunikation und Staatli<strong>ch</strong>keit sind, soll nun dana<strong>ch</strong> gefragt werden,<br />

was die notwendigen Ergebnisse von Diskursen über <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen sein müssen.<br />

Dabei sollen zunä<strong>ch</strong>st nur sol<strong>ch</strong>e Ergebnisse interessieren, die unabhängig von<br />

<strong>der</strong> Dur<strong>ch</strong>führung konkreter Diskurse eintreten müssen (unmittelbare Begründung).<br />

Man stellt dazu auf einen »hypothetis<strong>ch</strong>en Konsens ab, den reale Personen unter<br />

idealen Bedingungen errei<strong>ch</strong>en würden.« 90 Alexy hat für den allgemeinen Glei<strong>ch</strong>heitssatz<br />

bereits eine sol<strong>ch</strong>e Begründung vorgelegt (Konsensargument 91 ). Dem ist an<br />

dieser Stelle ni<strong>ch</strong>ts hinzuzufügen; <strong>der</strong> allgemeine Glei<strong>ch</strong>heitssatz ist diskursiv notwendig.<br />

Er s<strong>ch</strong>ließt sowohl rassistis<strong>ch</strong>e als au<strong>ch</strong> elitäre Begründungen von Re<strong>ch</strong>tsunglei<strong>ch</strong>heit<br />

aus.<br />

89 Vgl. dazu M. Kriele, Zur Universalität <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1993), S. 47 ff.<br />

90 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 157.<br />

91 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 155 ff. Dazu oben S. 254 (Begründung <strong>der</strong><br />

Glei<strong>ch</strong>heit).<br />

326


2. Zur Begründung <strong>der</strong> Freiheit<br />

a) Ein Grundre<strong>ch</strong>t auf optimierte Freiheiten (N F )<br />

Die Begründungsweise des Konsensarguments kann auf an<strong>der</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

ausgedehnt werden und dadur<strong>ch</strong> eine zusätzli<strong>ch</strong>e Last bei <strong>der</strong> Begründung von<br />

Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>ten und Demokratie tragen, die den diskurstheoretis<strong>ch</strong>en Notwendigkeiten<br />

ni<strong>ch</strong>t aufzubürden war 92 . In Anlehnung an Rawls und Habermas kann zunä<strong>ch</strong>st<br />

ein Re<strong>ch</strong>t auf optimierte Freiheiten formuliert werden 93 :<br />

N F :<br />

Grundre<strong>ch</strong>t auf optimierte Freiheiten: Je<strong>der</strong> hat das Re<strong>ch</strong>t<br />

auf das größtmögli<strong>ch</strong>e Maß glei<strong>ch</strong>er subjektiver Handlungsfreiheiten.<br />

Das Grundre<strong>ch</strong>t auf optimierte Freiheiten ist diskursiv notwendig. So, wie si<strong>ch</strong> Unglei<strong>ch</strong>heit<br />

in einem idealen Diskurs über <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien ni<strong>ch</strong>t re<strong>ch</strong>tfertigen<br />

ließe, so kann au<strong>ch</strong> kein Grund gegen die Optimierung subjektiver Handlungsfreiheiten<br />

angeführt werden.<br />

Vor <strong>der</strong> Begründung dieser These muß zunä<strong>ch</strong>st betont werden, daß ein System<br />

größtmögli<strong>ch</strong>er Freiheiten no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t bedeutet, es müsse dabei eine bestimmte Gewi<strong>ch</strong>tung<br />

<strong>der</strong> Freiheiten geben. Das Grundre<strong>ch</strong>t N F drückt beispielsweise ni<strong>ch</strong>t aus,<br />

daß dem Freiheitsre<strong>ch</strong>t auf Nutzung privaten Grundeigentums gegenüber einem<br />

mögli<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>t auf Bewegungsfreiheit ein bestimmter Vorrang eingeräumt werden<br />

müßte – sozialistis<strong>ch</strong>e Vorstellungen über das Primat kollektiven Eigentums sind<br />

ni<strong>ch</strong>t ausges<strong>ch</strong>lossen. N F legt au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t fest, daß eine Staatsordnung laizistis<strong>ch</strong> sein<br />

muß, son<strong>der</strong>n erlaubt beispielsweise Konkretisierungen des Re<strong>ch</strong>tssystems, in denen<br />

bestimmten religiösen Freiheiten Vorrang vor künstleris<strong>ch</strong>en o<strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Freiheiten<br />

eingeräumt wird. Dadur<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> dieses Grundre<strong>ch</strong>t auf optimierte<br />

Freiheiten unter an<strong>der</strong>em von Rawls erstem <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzip, das zwar<br />

ähnli<strong>ch</strong> formuliert ist, inhaltli<strong>ch</strong> aber bereits ein bestimmtes Maß an politis<strong>ch</strong>en<br />

Handlungsfreiheiten voraussetzt. Das Grundre<strong>ch</strong>t N F gebietet ni<strong>ch</strong>t bestimmte Einzelfreiheiten,<br />

son<strong>der</strong>n verbietet ledigli<strong>ch</strong>, daß eine staatli<strong>ch</strong>e Ordnung ohne sa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />

Grund unglei<strong>ch</strong> behandelt bzw. ohne Abwägung mit an<strong>der</strong>en Freiheitsinteressen<br />

Handlungsbes<strong>ch</strong>ränkungen erri<strong>ch</strong>tet. N F enthält insoweit ein Verbot staatli<strong>ch</strong>er Willkür<br />

im Sinne eines allgemeinen Glei<strong>ch</strong>heitssatzes sowie das Gebot <strong>der</strong> Verhältnismäßigkeit,<br />

das dem Staat verbietet, ungeeignete, ni<strong>ch</strong>t erfor<strong>der</strong>li<strong>ch</strong>e o<strong>der</strong> unangemessene<br />

92 Zur gebotenen Zurückhaltung oben S. 302 ff. (Kritik an <strong>der</strong> Notwendigkeit <strong>der</strong> genuinen Diskursteilnahme).<br />

93 Vgl. oben S. 203 (N 1 : »Jede Person hat das glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>t auf das umfangrei<strong>ch</strong>ste Gesamtsystem<br />

glei<strong>ch</strong>er Grundfreiheiten, das mit einem entspre<strong>ch</strong>enden Freiheitssystem für alle vereinbar ist.«),<br />

S. 209 (N 1 ': »Jede Person hat einen glei<strong>ch</strong>en Anspru<strong>ch</strong> auf ein vollständig angemessenes System<br />

glei<strong>ch</strong>er Grundre<strong>ch</strong>te und Freiheiten, das mit dem glei<strong>ch</strong>en System für alle verträgli<strong>ch</strong> ist; und in<br />

diesem System muß den glei<strong>ch</strong>en politis<strong>ch</strong>en Freiheiten, und nur diesen Freiheiten, ihr fairer Wert<br />

garantiert werden.«) und Habermas' erste Grundre<strong>ch</strong>tskategorie oben S. 241 (»Grundre<strong>ch</strong>te, die<br />

si<strong>ch</strong> aus <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong> autonomen Ausgestaltung des Re<strong>ch</strong>ts auf das größtmögli<strong>ch</strong>e Maß glei<strong>ch</strong>er subjektiver<br />

Handlungsfreiheiten ergeben. ...«).<br />

327


Freiheitsbes<strong>ch</strong>ränkungen zu erri<strong>ch</strong>ten. Au<strong>ch</strong> ohne Konkretisierung auf Einzelfreiheiten<br />

liegt in N F damit bereits ein Grundbestand formaler Freiheitssi<strong>ch</strong>erungsmittel.<br />

Das Grundre<strong>ch</strong>t auf optimierte Freiheiten wi<strong>der</strong>legt nur <strong>der</strong>jenige, <strong>der</strong> zeigen<br />

kann, daß es mögli<strong>ch</strong> ist, die Diskursregeln einzuhalten, dabei ein begrenztes objektives<br />

Interesse an Ri<strong>ch</strong>tigkeit zu wahren und trotzdem unter idealen Bedingungen<br />

des Diskurses die Geltung von N F abzulehnen 94 . Wer argumentiert, ein Staat dürfe<br />

Freiheit au<strong>ch</strong> ohne Abwägung mit an<strong>der</strong>en Freiheitsinteressen bes<strong>ch</strong>ränken, etwa<br />

weil es (unabhängig von realen religiösen Interessen) ein Gottesgebot sei, daß ein bestimmter<br />

Berggipfel niemals von Mens<strong>ch</strong>en bestiegen werde, <strong>der</strong> rekurriert damit<br />

auf obskure Vorstellungen über praktis<strong>ch</strong>e Vernunft. Damit würde er entwe<strong>der</strong> dem<br />

Grundsatz anthropozentris<strong>ch</strong>er Souveränität 95 wi<strong>der</strong>spre<strong>ch</strong>en, na<strong>ch</strong> dem es allein Sa<strong>ch</strong>e<br />

<strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>en ist, über die Regeln ihres Zusammenlebens zu ents<strong>ch</strong>eiden. O<strong>der</strong><br />

er würde einen Begründungsverzi<strong>ch</strong>t for<strong>der</strong>n, <strong>der</strong> mit <strong>der</strong> empiris<strong>ch</strong>en Prämisse eines<br />

begrenzten objektiven Interesses an Ri<strong>ch</strong>tigkeit ni<strong>ch</strong>t in Einklang zu bringen ist.<br />

Also ist es unter den notwendigen Voraussetzungen von Kommunikation und sozialer<br />

Ordnung eine notwendige Folge, die Geltung von N F anzuerkennen.<br />

b) Die diskursiv notwendigen Einzelfreiheiten<br />

Wel<strong>ch</strong>e Freiheiten müssen notwendig in ein Gesamtsystem optimierter Freiheiten,<br />

wie es N F erfor<strong>der</strong>t, einbezogen werden? Einen ersten Anhaltspunkt bieten die<br />

Grundsätze <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Meinungsfreiheit N M und <strong>der</strong> mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Existenzbere<strong>ch</strong>tigung<br />

N E . Ihre diskurstheoretis<strong>ch</strong>e Notwendigkeit rei<strong>ch</strong>t nur so weit, wie sie<br />

für die Existenz realer Diskurse über Fragen <strong>der</strong> sozialen Ordnung vorausgesetzt<br />

werden müssen. Do<strong>ch</strong> wenn sie überhaupt irgendwie vorausgesetzt werden müssen,<br />

dann müssen sie, glei<strong>ch</strong> mit wel<strong>ch</strong>em Gewi<strong>ch</strong>t, jedenfalls Teil des Gesamtsystems<br />

optimierter Freiheiten sein, das dur<strong>ch</strong> N F gefor<strong>der</strong>t ist. Dasselbe kann für alle<br />

Kommunikationsgrundre<strong>ch</strong>te gelten, die für eine Optimierung politis<strong>ch</strong>er Meinungsäußerung<br />

jedenfalls ansatzweise erfor<strong>der</strong>li<strong>ch</strong> sind. Au<strong>ch</strong> sie sind diskursiv<br />

notwendige Einzelfreiheiten. Diskursiv notwendig sind folgli<strong>ch</strong>, ohne daß ihr relatives<br />

Gewi<strong>ch</strong>t damit bestimmt wäre, erstens das Re<strong>ch</strong>t auf Leben und körperli<strong>ch</strong>e Unversehrtheit<br />

(eins<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> des Re<strong>ch</strong>ts auf persönli<strong>ch</strong>e Freiheit und <strong>der</strong> Freiheit von<br />

Folter) und zweitens die politis<strong>ch</strong>e Meinungsäußerungsfreiheit mit allen ihren Voraussetzungen,<br />

also Vereinigungs-, Versammlungs-, Presse-, Rundfunk- und Informationsfreiheit<br />

sowie Gewissens-, Religions-, Kunst-, private Meinungsfreiheit und das<br />

Re<strong>ch</strong>t auf Privatsphäre (alle als Voraussetzung zur Meinungsbildung) und s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong><br />

au<strong>ch</strong> Re<strong>ch</strong>te, die zur Verwirkli<strong>ch</strong>ung dieser Freiheiten notwendig sind, insbeson<strong>der</strong>e<br />

subjektive Re<strong>ch</strong>te auf S<strong>ch</strong>utz dur<strong>ch</strong> den Staat, soziale Grundre<strong>ch</strong>te sowie das<br />

Re<strong>ch</strong>t auf ein Existenzminimum 96 . Dur<strong>ch</strong> dieses System vorpositiv begründeter Einzelfreiheiten,<br />

beson<strong>der</strong>s dur<strong>ch</strong> die zuletzt erwähnten Re<strong>ch</strong>te auf S<strong>ch</strong>utz und Existenzminimum,<br />

wird insgesamt ein Konzept <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enwürde begründet 97 .<br />

94 Vgl. R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 158 – dort zur Glei<strong>ch</strong>heit.<br />

95 Dazu oben S. 321 ff. (N S ).<br />

96 Vgl. R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 154 – dort allerdings als diskurstheoretis<strong>ch</strong>e<br />

Notwendigkeit begründet. Vgl. oben S. 253 (konkrete Freiheitsre<strong>ch</strong>te).<br />

97 Vgl. F. Bydlinski, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als re<strong>ch</strong>tspraktis<strong>ch</strong>er Maßstab (1996), S. 160 f.<br />

328


Sämtli<strong>ch</strong>e Einzelre<strong>ch</strong>te sind diskursiv notwendig, wenn es darum geht, ein System<br />

optimierter Freiheiten zu entwickeln. Es gibt keine Gründe, sie ni<strong>ch</strong>t jedenfalls<br />

mit einem Kerngehalt in die Gesamtabwägung <strong>der</strong> Freiheitsre<strong>ch</strong>te einzubeziehen.<br />

Eine Staatsordnung, die eine dieser Freiheiten kategoris<strong>ch</strong> verbietet, etwa die Presseo<strong>der</strong><br />

Religionsfreiheit ganz abs<strong>ch</strong>afft, genügt ni<strong>ch</strong>t länger dem Grundre<strong>ch</strong>t auf optimierte<br />

Freiheiten und ist s<strong>ch</strong>on deshalb ungere<strong>ch</strong>t.<br />

Die Konkretisierung von N F auf Einzelfreiheiten eröffnet neue Wi<strong>der</strong>legungsmögli<strong>ch</strong>keiten,<br />

denn in ihr verbirgt si<strong>ch</strong> die zusätzli<strong>ch</strong>e (s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>e) empiris<strong>ch</strong>e Prämisse,<br />

daß es si<strong>ch</strong> in allen Fällen um Freiheiten handelt, die zur Optimierung politis<strong>ch</strong>er<br />

Meinungsäußerung und damit zur souveränen Gestaltung <strong>der</strong> sozialen Ordnung<br />

dur<strong>ch</strong> Mens<strong>ch</strong>en beitragen können. Nur wegen dieses Potentials dürfen sie –<br />

na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> hier verfolgten 'kommunikationszentrierten' Begründung – in einem System<br />

weitestgehen<strong>der</strong> Freiheiten jedenfalls ni<strong>ch</strong>t vollständig unberücksi<strong>ch</strong>tigt bleiben.<br />

Wer begründen kann, daß eine <strong>der</strong> Freiheiten mit mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Gestaltungshoheit<br />

über die soziale Ordnung ni<strong>ch</strong>ts zu tun hat, <strong>der</strong> hätte die diskursive Notwendigkeit<br />

insoweit wi<strong>der</strong>legt. Do<strong>ch</strong> eine <strong>der</strong>artige Wi<strong>der</strong>legung ers<strong>ch</strong>eint sa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ausges<strong>ch</strong>lossen.<br />

c) Zu den Grenzen einer Eigentumsbegründung<br />

S<strong>ch</strong>wieriger ers<strong>ch</strong>eint die Begründung von Privateigentum, Besitzre<strong>ch</strong>ten, Immaterialgüterre<strong>ch</strong>ten<br />

und S<strong>ch</strong>utz vor Enteignung. Wer <strong>der</strong>en diskursive Notwendigkeit behaupten<br />

wollte, müßte begründen, daß es niemals eine von freien und glei<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en<br />

souverän gestaltete Sozialordnung geben könnte, in <strong>der</strong> individuelle Eigentumsre<strong>ch</strong>te<br />

weitgehend ausges<strong>ch</strong>lossen sind. So eine weitgehende Folgerung ergibt<br />

si<strong>ch</strong> jedenfalls ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>on aus den materiellen Voraussetzungen realer Diskurse, denn<br />

ein Existenzminimum und ein staatli<strong>ch</strong>er S<strong>ch</strong>utz <strong>der</strong> Freiheitsbetätigung gegen Übergriffe<br />

ist au<strong>ch</strong> denkbar, ohne daß Individualeigentum begründet wird. Do<strong>ch</strong> kann<br />

die Begründung von Eigentumsre<strong>ch</strong>ten in zweierlei Hinsi<strong>ch</strong>t gelingen. Erstens ist<br />

die S<strong>ch</strong>affung und Nutzung von Privateigentum in einem Kernberei<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts an<strong>der</strong>es<br />

als eine beson<strong>der</strong>e Form <strong>der</strong> Handlungsfreiheit (Arbeitstheorie des Eigentums 98 ).<br />

Zumindest ein sol<strong>ch</strong>er Kernberei<strong>ch</strong> des Privateigentums muß darum Bestandteil eines<br />

jeden Systems optimierter Freiheiten sein. Und zweitens ist <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>utz vor willkürli<strong>ch</strong>er<br />

Enteignung aus denselben Gründen diskursiv notwendig, aus denen bereits<br />

das allgemeine Verbot staatli<strong>ch</strong>er Willkür begründet war 99 .<br />

Im übrigen muß die Gestaltung <strong>der</strong> Eigentumsordnung konkreten Diskursen<br />

überlassen bleiben. Ihre <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> o<strong>der</strong> Ungere<strong>ch</strong>tigkeit kann nur in einer mittelbaren<br />

Begründung untersu<strong>ch</strong>t werden 100 . Einer unmittelbaren Begründung sind<br />

insoweit enge Grenzen gesetzt.<br />

98 Vgl. zu dieser Theorie von J. Locke oben S. 84 ff., Fn. 210.<br />

99 Dazu oben S. 327 (Grundre<strong>ch</strong>t auf optimierte Freiheiten).<br />

100 Dazu unten S. 334 ff. (mittelbare Begründung gere<strong>ch</strong>ten Re<strong>ch</strong>ts).<br />

329


3. Zur Begründung <strong>der</strong> Güterordnung<br />

Ni<strong>ch</strong>t unmittelbar begründbar sind au<strong>ch</strong> die Verteilungsprinzipien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>,<br />

die häufig als Prinzipien <strong>der</strong> 'sozialen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' bezei<strong>ch</strong>net werden und regelmäßig<br />

die Güterordnung und die Mögli<strong>ch</strong>keit von Umverteilung im Interesse materieller<br />

Glei<strong>ch</strong>stellung betreffen. Im eng begrenzten Umfang sozialer Grundre<strong>ch</strong>te<br />

und eines Re<strong>ch</strong>ts auf das Existenzminimum sind Umverteilungsansprü<strong>ch</strong>e bereits als<br />

Voraussetzungen <strong>der</strong> Freiheitsnutzung gewährleistet. Im übrigen aber, wie beispielsweise<br />

bei dem von Rawls vorges<strong>ch</strong>lagenen Differenzprinzip, gilt, daß sol<strong>ch</strong>e<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgrundsätze ni<strong>ch</strong>t als notwendige Folge des diskursiven Erkenntnisverfahrens<br />

begründet werden können. Die abstrakte Festlegung einer gere<strong>ch</strong>ten Eigentumsordnung<br />

ist genauso unmögli<strong>ch</strong> wie jede konkrete Abgrenzung zwis<strong>ch</strong>en Einzelfreiheiten:<br />

Aus <strong>der</strong> Diskurstheorie läßt si<strong>ch</strong> insoweit kein bestimmtes Sozialmodell<br />

ableiten.<br />

4. Zur Begründung <strong>der</strong> Demokratie (N D )<br />

Diskursiv notwendig sind hingegen die politis<strong>ch</strong>en Grundre<strong>ch</strong>te und institutionellen<br />

Mindestgarantien des demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaates. Dazu gehören Wahl- und<br />

Abstimmungsre<strong>ch</strong>te, Wählbarkeitsre<strong>ch</strong>te, Staatsbürgers<strong>ch</strong>aftsre<strong>ch</strong>te, die Grundelemente<br />

des Demokratie- und Re<strong>ch</strong>tsstaatsprinzips (Gewaltenteilung, Bindung <strong>der</strong> Gewalten<br />

an das Re<strong>ch</strong>t, Wahlre<strong>ch</strong>tsgrundsätze, Mehrheitsprinzip, Verantwortli<strong>ch</strong>keit<br />

<strong>der</strong> Regierung u.v.m.). Sie alle folgen aus <strong>der</strong> Verbindung des Souveränitätsgedankens<br />

in N S mit dem Optimierungsgedanken in N F zu einem Grundsatz <strong>der</strong> optimalen<br />

diskursiven Kontrolle <strong>der</strong> sozialen Ordnung 101 , dem ein Grundre<strong>ch</strong>t auf Demokratie<br />

entspri<strong>ch</strong>t:<br />

N D :<br />

Grundre<strong>ch</strong>t auf Demokratie: Je<strong>der</strong> hat das Re<strong>ch</strong>t auf die<br />

optimale diskursive Kontrolle <strong>der</strong> sozialen Ordnung in<br />

Form eines demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaates.<br />

S<strong>ch</strong>on <strong>der</strong> Grundsatz <strong>der</strong> anthropozentris<strong>ch</strong>en Souveränität (N S ) besagt, daß es diskurstheoretis<strong>ch</strong><br />

notwendig ist, jedenfalls gelegentli<strong>ch</strong> die Ri<strong>ch</strong>tigkeit <strong>der</strong> sozialen Ordnung<br />

einer Kontrolle in realen Diskursen auszusetzen. Mit dem Grundre<strong>ch</strong>t auf optimierte<br />

Freiheiten (N F ) läßt si<strong>ch</strong> dieser Grundsatz zu einem sol<strong>ch</strong>en <strong>der</strong> fortgesetzten<br />

diskursiven Kontrolle erweitern, denn nur diese kann eine Optimierung begründen<br />

102 . Dabei ist es s<strong>ch</strong>on dur<strong>ch</strong> das Glei<strong>ch</strong>heitsgebot im realen Diskurs (N G ) ausges<strong>ch</strong>lossen,<br />

eine sol<strong>ch</strong>e 'Optimierung' in <strong>der</strong> Kontrolle dur<strong>ch</strong> einzelne Gruppen zu sehen,<br />

etwa dur<strong>ch</strong> reale Diskurse innerhalb einer Staatspartei 103 . In einem idealen Diskurs<br />

über die ri<strong>ch</strong>tige soziale Ordnung kann es keine Gründe geben, die optimale<br />

diskursive Kontrolle zu verweigern. Damit ist <strong>der</strong> erste Teil von N D begründet.<br />

Zur Begründung des zweiten Teils von N D muß gezeigt werden, daß nur die<br />

Form eines demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaates, also eine zumindest in Grundzügen<br />

101 Dazu oben S. 220 (realer Diskurs als diskursive Kontrolle).<br />

102 Vgl. oben S. 112, Fn. 350 (marketplace of ideas, Zitat aus dem KPD-Verbotsurteil).<br />

103 Dazu oben S. 299 ff. (Illustration; Argumente gegen Habermas' Begründung am Beispiel Chinas).<br />

330


estimmbare Vielzahl von individuellen Re<strong>ch</strong>ten und institutionellen Garantien, für<br />

die optimale diskursive Kontrolle <strong>der</strong> sozialen Ordnung sorgen kann. Dazu sind<br />

weitergehende empiris<strong>ch</strong>e Prämissen und analytis<strong>ch</strong>e Begründungss<strong>ch</strong>ritte nötig, die<br />

hier ni<strong>ch</strong>t im einzelnen dargelegt werden können. Eins<strong>ch</strong>ränkend muß angesi<strong>ch</strong>ts<br />

<strong>der</strong> unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Rahmenbedingungen von Gesells<strong>ch</strong>aften angemerkt werden,<br />

daß die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm N D ni<strong>ch</strong>t notwendig bedeutet, die Demokratie müsse, so<br />

sie no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t verwirkli<strong>ch</strong>t ist, übergangslos eingeführt werden 104 .<br />

Die Darstellung von Grundzügen einer Diskurstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> bes<strong>ch</strong>ränkt<br />

si<strong>ch</strong> hier darauf, den Status <strong>der</strong> Demokratiebegründung festzulegen: Das<br />

Grundre<strong>ch</strong>t auf Demokratie eins<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> des implizierten Demokratiegebots ist diskursiv<br />

notwendig, gilt also unabhängig von <strong>der</strong> Dur<strong>ch</strong>führung konkreter Diskurse für<br />

jede Form <strong>der</strong> sozialen Ordnung. Daraus folgt, daß Staaten unabhängig von den in<br />

ihnen stattfindenden realen Diskursen unter Umständen als ungere<strong>ch</strong>t beurteilt werden<br />

können, weil sie Grundparameter <strong>der</strong> demokratis<strong>ch</strong>en Organisation ni<strong>ch</strong>t verwirkli<strong>ch</strong>en<br />

105 . Die <strong>ch</strong>inesis<strong>ch</strong>e Staatsordnung ist dana<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>on wegen ihrer sozialistis<strong>ch</strong>en<br />

Eigentumsordnung ungere<strong>ch</strong>t, wohl aber wegen ihres Verzi<strong>ch</strong>ts auf eine<br />

optimale diskursive Kontrolle, konkret also wegen <strong>der</strong> sa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t weiter begründeten<br />

Unterdrückung von Opposition im Interesse einer Parteiwahrheit. Mit N D ist<br />

indes no<strong>ch</strong> keine Festlegung auf eine bestimmte Demokratieform verbunden 106 , au<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t etwa auf westli<strong>ch</strong>e Demokratien na<strong>ch</strong> nordamerikanis<strong>ch</strong>em o<strong>der</strong> europäis<strong>ch</strong>em<br />

Muster. Es kann beispielsweise in den s<strong>ch</strong>on erörterten Fällen von Singapur und<br />

dem Iran 107 kein Verstoß gegen N D festgestellt werden, weil beide Staaten zwar die<br />

Meinungsäußerung und allgemeine Handlungsfreiheit in einer Weise bes<strong>ch</strong>ränken,<br />

wie sie in westli<strong>ch</strong>en Demokratien ni<strong>ch</strong>t akzeptabel wäre, si<strong>ch</strong> aber, wenn au<strong>ch</strong> mit<br />

ganz an<strong>der</strong>er Gewi<strong>ch</strong>tung, dem Grundsatz einer optimierten Freiheit ihrer Bürger<br />

(N F ) no<strong>ch</strong> verpfli<strong>ch</strong>tet fühlen und eine diskursive Kontrolle <strong>der</strong> sozialen Ordnung<br />

(N D ) grundsätzli<strong>ch</strong> zulassen. Sol<strong>ch</strong>e Staatsordnungen lassen si<strong>ch</strong> erst dann als ungere<strong>ch</strong>t<br />

bezei<strong>ch</strong>nen, wenn si<strong>ch</strong> zeigt, daß ihre Konkretisierung von Einzelfreiheiten<br />

ni<strong>ch</strong>t in konkreten Diskursen erfolgte, die diskurstheoretis<strong>ch</strong>en Anfor<strong>der</strong>ungen genügen,<br />

wie sie in einer mittelbaren Begründung formuliert werden können 108 .<br />

104 J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 39, S. 245 f. (nonideal theory) sowie bereits E. Brunner, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

(1943), S. 236 ff., <strong>der</strong> zu Re<strong>ch</strong>t darauf hinweist, daß in <strong>der</strong> Stufenfolge staatli<strong>ch</strong>er Ordnungsbildung<br />

vor allem erst einmal eine Friedensordnung erri<strong>ch</strong>tet werden muß, was ni<strong>ch</strong>t unter allen<br />

Umständen dur<strong>ch</strong> unmittelbare Einführung einer Demokratie mögli<strong>ch</strong> ist. Die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te <strong>der</strong> Demokratien<br />

in Afrika bietet rei<strong>ch</strong>es Ans<strong>ch</strong>auungsmaterial für dieses Problem.<br />

105 Im Ergebnis ähnli<strong>ch</strong>, wenn au<strong>ch</strong> bezogen auf positives Re<strong>ch</strong>t, verläuft die völkerre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Diskussion<br />

zum Anspru<strong>ch</strong> auf Demokratie. Vgl. B. Bauer, Der völkerre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Anspru<strong>ch</strong> auf Demokratie<br />

(1998), S. 234 ff. m.w.N.<br />

106 Vgl. au<strong>ch</strong> P. Ts<strong>ch</strong>annen, Stimmre<strong>ch</strong>t und politis<strong>ch</strong>e Verständigung (1995), S. 494 ff., wona<strong>ch</strong> eine<br />

diskurstheoretis<strong>ch</strong>e Demokratiebegründung ni<strong>ch</strong>t nur eine Konkurrenz-, son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong> eine Konkordanzdemokratie<br />

s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Musters zu tragen vermag.<br />

107 Dazu oben S. 299 ff. (Illustration; Frage na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> von China, Singapur und dem Iran<br />

vor dem Hintergrund von Habermas' <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung).<br />

108 Dazu unten S. 334 ff. (mittelbare Begründung gere<strong>ch</strong>ten Re<strong>ch</strong>ts).<br />

331


5. Zu mögli<strong>ch</strong>en Wi<strong>der</strong>legungen <strong>der</strong> Grundre<strong>ch</strong>te<br />

Au<strong>ch</strong> bezügli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> diskursiv notwendigen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen lassen si<strong>ch</strong> Ansatzpunkte<br />

für eine mögli<strong>ch</strong>e Falsifizierung markieren 109 . Eine Wi<strong>der</strong>legung müßte<br />

zeigen, daß <strong>der</strong> hypothetis<strong>ch</strong>e Konsens, den reale Personen unter idealen Bedingungen<br />

errei<strong>ch</strong>en würden, ni<strong>ch</strong>t notwendig alle genannten Grundre<strong>ch</strong>te und Ordnungsprinzipien<br />

eins<strong>ch</strong>ließen muß. Das könnte analytis<strong>ch</strong> gelingen, wenn si<strong>ch</strong> zeigen ließe,<br />

daß jenseits bloßer Spekulation niemals Aussagen darüber mögli<strong>ch</strong> sind, was Ergebnis<br />

eines idealen Diskurses sein muß; den besten S<strong>ch</strong>utz gegen eine sol<strong>ch</strong>e analytis<strong>ch</strong>e<br />

Wi<strong>der</strong>legung mit dem Argument des 'Mün<strong>ch</strong>hausen-Trilemmas' bietet <strong>der</strong> Verzi<strong>ch</strong>t<br />

auf Letztbegründung 110 .<br />

Eine empiris<strong>ch</strong>e Wi<strong>der</strong>legung müßte belegen, daß eine <strong>der</strong> empiris<strong>ch</strong>en Prämissen<br />

unzutreffend ist. Hier konnten die weitergehenden empiris<strong>ch</strong>en Prämissen, na<strong>ch</strong> denen<br />

nur die Form eines demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaates geeignet ist, die optimale<br />

diskursive Kontrolle <strong>der</strong> sozialen Ordnung zu errei<strong>ch</strong>en, ni<strong>ch</strong>t im einzelnen dargelegt<br />

werden. Die relative Konkretisierungsoffenheit, die für den demokratis<strong>ch</strong>en<br />

Verfassungsstaat angenommen wurde, ma<strong>ch</strong>t eine empiris<strong>ch</strong>e Wi<strong>der</strong>legbarkeit aber<br />

jedenfalls unwahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>.<br />

IV. Ergebnisse<br />

Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te und Demokratie lassen si<strong>ch</strong> weitgehend unmittelbar begründen, also<br />

ohne Rückgriff auf konkrete Diskurse. Eine diskurstheoretis<strong>ch</strong>e Präsuppositionsanalyse,<br />

erweitert um s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>e empiris<strong>ch</strong>e Prämissen, kann dabei zeigen, daß die<br />

Grundsätze <strong>der</strong> anthropozentris<strong>ch</strong>en Souveränität, <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Meinungsäußerungsfreiheit,<br />

<strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heit im Diskurs und <strong>der</strong> mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Existenzbere<strong>ch</strong>tigung<br />

bei je<strong>der</strong> Kommunikation über <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> notwendig vorausgesetzt werden müssen<br />

(diskurstheoretis<strong>ch</strong>e Notwendigkeit). Sie sind damit aber ni<strong>ch</strong>t ausnahmslos, son<strong>der</strong>n<br />

nur 'im Prinzip' objektiv anerkannt, haben also no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t den Status vorpositiver<br />

Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te. Mit Hilfe des hypothetis<strong>ch</strong>en idealen Diskurses – einem Verfahren<br />

<strong>der</strong> reinen prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> – lassen si<strong>ch</strong> darüber hinaus einzelne<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien begründen (diskursive Notwendigkeit). Dazu gehören ein<br />

umfassendes System öffentli<strong>ch</strong>er und privater Freiheiten, <strong>der</strong> allgemeine Glei<strong>ch</strong>heitssatz,<br />

das Gebot <strong>der</strong> Verhältnismäßigkeit und ein Grundre<strong>ch</strong>t auf Demokratie. Die<br />

spezifis<strong>ch</strong>e Abwägung <strong>der</strong> Freiheitsre<strong>ch</strong>te untereinan<strong>der</strong>, die Begründung einer Eigentumsordnung<br />

und die konkrete Institutionalisierung eines demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaates<br />

folgen hingegen ni<strong>ch</strong>t aus einem idealen Diskurs. Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

sol<strong>ch</strong>er Konkretisierungen kann nur in einer mittelbaren Begründung unter Bezugnahme<br />

auf reale Diskurse gezeigt werden 111 .<br />

109 Zum hier verwendeten Falsifikationsbegriff oben S. 264, Fn. 20.<br />

110 Dazu oben S. 261 ff. (Mün<strong>ch</strong>hausen-Trilemma).<br />

111 Dazu unten S. 334 ff. (mittelbare Begründung gere<strong>ch</strong>ten Re<strong>ch</strong>ts).<br />

332


C. Zur Institutionalisierung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (Trittbrettfahrerproblem)<br />

Die Frage <strong>der</strong> Institutionalisierung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen gehört na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Mindestgehaltsthese<br />

zu den notwendigen Themen einer politis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie,<br />

denn die Theorie muß si<strong>ch</strong> gegenüber Konzepten des Anar<strong>ch</strong>ismus bewähren 112 .<br />

Das kann sie nur, wenn gezeigt wird, daß es überhaupt notwendig ist, staatli<strong>ch</strong>e<br />

Ma<strong>ch</strong>t auszuüben. Für die Notwendigkeit staatli<strong>ch</strong>er Ma<strong>ch</strong>tausübung gibt es Gründe,<br />

die keine bestimmte <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung voraussetzen, son<strong>der</strong>n si<strong>ch</strong> allein<br />

an Effizienzüberlegungen orientieren.<br />

Am Beispiel des Trittbrettfahrerproblems 113 läßt si<strong>ch</strong> zeigen, warum handlungsleitende<br />

Normen in die Re<strong>ch</strong>tsform überführt und dadur<strong>ch</strong> mit staatli<strong>ch</strong>em Zwang<br />

sanktioniert werden müssen. Ohne eine sol<strong>ch</strong>e Institutionalisierung <strong>der</strong> Normen<br />

wäre es für den einzelnen am vorteilhaftesten, von allen an<strong>der</strong>en die Einhaltung <strong>der</strong><br />

Normen zu erwarten, si<strong>ch</strong> selbst aber ni<strong>ch</strong>t an sie zu halten. Wenn beispielsweise alle<br />

an<strong>der</strong>en für ein öffentli<strong>ch</strong>es Verkehrsmittel zahlen, i<strong>ch</strong> selbst aber s<strong>ch</strong>warzfahre, so<br />

ist das die für mi<strong>ch</strong> vorteilhafteste Lösung, bei <strong>der</strong> i<strong>ch</strong> ein gutes Nahverkehrsnetz<br />

ohne eigene Kosten nutzen kann. Wäre dies zulässig, würde also ein für alle wirksamer<br />

Zwang fehlen, so wäre mein Vorteil aber s<strong>ch</strong>nell verloren, denn dann würden<br />

au<strong>ch</strong> alle an<strong>der</strong>en die Zahlung einstellen und die Finanzierung des Nahverkehrs brä<strong>ch</strong>e<br />

zusammen. Ohne einen wirksamen Zwang befinde i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> folgli<strong>ch</strong> in einem<br />

Dilemma, dem Trittbrett- o<strong>der</strong> S<strong>ch</strong>warzfahrerdilemma. Dem anar<strong>ch</strong>istis<strong>ch</strong>en Ideal<br />

<strong>der</strong> Freiheit von staatli<strong>ch</strong>en Zwängen läßt si<strong>ch</strong> deshalb entgegenhalten: Nur die Institutionalisierung<br />

von Normen, ihre Bewehrung mit staatli<strong>ch</strong>em Zwang, kann die<br />

Normdur<strong>ch</strong>setzung und damit die Realisierung von Kooperationsgewinnen in <strong>der</strong><br />

Gemeins<strong>ch</strong>aft si<strong>ch</strong>ern 114 .<br />

Dem ist von Mi<strong>ch</strong>ael Taylor entgegengehalten worden, daß <strong>der</strong> positive Altruismus<br />

und die freiwillige Kooperationsbereits<strong>ch</strong>aft nur deshalb so s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong> seien, weil<br />

<strong>der</strong> Staat si<strong>ch</strong> bereits regelnd eingemis<strong>ch</strong>t habe 115 . Der Staat sei wie eine sü<strong>ch</strong>tigma<strong>ch</strong>ende<br />

Droge: er werde erst dadur<strong>ch</strong> notwendig, daß man in eine Abhängigkeit gerate,<br />

die dur<strong>ch</strong> den Staat selbst erzeugt sei 116 . Angesi<strong>ch</strong>ts <strong>der</strong> Empfindli<strong>ch</strong>keit <strong>der</strong><br />

altruistis<strong>ch</strong>en Balance ist dieser Einwand indes ni<strong>ch</strong>t plausibel: S<strong>ch</strong>on wenige offen<br />

und sanktionslos agierende S<strong>ch</strong>warzfahrer könnten genügen, um eine Kettenreaktion<br />

112 Dazu oben S. 117 (Mindestgehaltsthese); vgl. A. de Jasay, Social Contract Free Ride (1989), S. 205 ff.<br />

– unfairness of anar<strong>ch</strong>y.<br />

113 Dazu etwa M. Olson, The Logic of Collective Action (1965), S. 2: »[E]ven if all of the individuals in<br />

a large group are rational and self-interested, and would gain if, as a group, they acted to a<strong>ch</strong>ieve<br />

their common interest or objective, they will still not voluntarily act to a<strong>ch</strong>ieve that common or<br />

group interest.« Fallbeispiele bei G.J. Hardin, The Tragedy of the Commons (1986), S. 1243 ff.<br />

114 Vgl. H.L.A. Hart, Concept of Law (1961), S. 91 – Notwendigkeit autoritativer Ents<strong>ch</strong>eidung über<br />

Regelverletzung.<br />

115 M. Taylor, Anar<strong>ch</strong>y and Cooperation (1976), S. 134.<br />

116 M. Taylor, Anar<strong>ch</strong>y and Cooperation (1976), S. 134.<br />

333


in Gang zu setzen, die das Finanzierungssystem verni<strong>ch</strong>tet 117 . Die Ingerenz des Staates<br />

kann deshalb ni<strong>ch</strong>t als einziger Grund für mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Unvollkommenheit angesehen<br />

werden. Au<strong>ch</strong> Gauthiers Auffassung, daß si<strong>ch</strong> eine bes<strong>ch</strong>ränkte Maximierung<br />

(constrained maximization) allein ents<strong>ch</strong>eidungsrational begründen lasse, wurde bereits<br />

wi<strong>der</strong>legt 118 . Deshalb bleibt es bei dem Ergebnis: Zumindest einige Normen<br />

müssen mit Re<strong>ch</strong>tsma<strong>ch</strong>t staatli<strong>ch</strong> erzwungen werden.<br />

Es gilt: Die unmittelbar begründeten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen müssen in <strong>der</strong> Form<br />

zwingenden Re<strong>ch</strong>ts institutionalisiert werden, weil nur die Institutionalisierung von<br />

Normen, ihre Bewehrung mit staatli<strong>ch</strong>em Zwang, die Normdur<strong>ch</strong>setzung und damit<br />

die Realisierung von Kooperationsgewinnen in <strong>der</strong> Gemeins<strong>ch</strong>aft si<strong>ch</strong>ern kann.<br />

D. Zur mittelbaren Begründung gere<strong>ch</strong>ten Re<strong>ch</strong>ts<br />

Bei <strong>der</strong> mittelbaren Begründung gere<strong>ch</strong>ten Re<strong>ch</strong>ts verlagert die Diskurstheorie den<br />

Blick von den inhaltli<strong>ch</strong>en Geboten <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te und Demokratie hin zu den<br />

Prozeduren und Institutionen, die in einem demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaat notwendig<br />

sind, um die Erzeugung gere<strong>ch</strong>ten Re<strong>ch</strong>ts si<strong>ch</strong>erzustellen; sie wird zur »Basistheorie<br />

des demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaates« 119 . Als sol<strong>ch</strong>e kann sie diskurstheoretis<strong>ch</strong>e<br />

Bedingungen formulieren, die für Verfahren und Institutionen gelten<br />

müssen. Im folgenden geht es nur um die Verfahren.<br />

I. Der verfassungsrelative Geltungsberei<strong>ch</strong><br />

Wenn na<strong>ch</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen gesu<strong>ch</strong>t wird, die Bedingungen realer Verfahren<br />

so bestimmen, daß die Erzeugung gere<strong>ch</strong>ten Re<strong>ch</strong>ts jedenfalls geför<strong>der</strong>t wird, dann<br />

ist damit ni<strong>ch</strong>t länger die universalistis<strong>ch</strong>e 120 , son<strong>der</strong>n eine verfassungsrelative Perspektive<br />

eingenommen: Es wird bereits vorausgesetzt, daß eine konkrete Verfassungsordnung<br />

existiert o<strong>der</strong> dur<strong>ch</strong> den Prozeß <strong>der</strong> Verfassunggebung begründet<br />

wird. Diese muß dem <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>srahmen entspre<strong>ch</strong>en, <strong>der</strong> dur<strong>ch</strong> die unmittelbar<br />

begründeten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen (Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te und Demokratie) gesetzt ist.<br />

Soweit ni<strong>ch</strong>t ausdrückli<strong>ch</strong> an<strong>der</strong>s gekennzei<strong>ch</strong>net, beziehen si<strong>ch</strong> die re<strong>ch</strong>tsdogmatis<strong>ch</strong>en<br />

Beispiele im folgenden auf die gegenwärtige Staatsordnung <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

Deuts<strong>ch</strong>land, ohne daß dabei <strong>der</strong> Anspru<strong>ch</strong> aufgegeben würde, daß die Aussagen<br />

als allgemeine Gehalte einer Diskurstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> jedenfalls sinngemäß<br />

au<strong>ch</strong> für alle an<strong>der</strong>en demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaaten zutreffen.<br />

117 Au<strong>ch</strong> Taylor gesteht zu, daß die reale Kooperation bei vielen 'Spielern' eher unwahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong><br />

wird als bei einem 'Zweipersonenspiel'; M. Taylor, Anar<strong>ch</strong>y and Cooperation (1976), S. 92 f. – Ergebnisse<br />

zum N-person supergame.<br />

118 Dazu oben S. 191 ff. (moralis<strong>ch</strong>er Gehalt <strong>der</strong> Theorie Gauthiers).<br />

119 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 164. Dazu oben S. 247, Fn. 608. Ähnli<strong>ch</strong><br />

J.P. Müller, Demokratis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1993), S. 143 ff. (146).<br />

120 Dazu oben S. 318 (universeller Geltungsberei<strong>ch</strong> bei unmittelbarer Begründung).<br />

334


1. Die Merkmale des demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaates<br />

Wenn aus <strong>der</strong> Diskurstheorie die Bedingungen von gere<strong>ch</strong>tigkeitsverbürgenden Verfahren<br />

entwickelt werden sollen, so muß zunä<strong>ch</strong>st gefragt werden, wel<strong>ch</strong>e Funktion<br />

sol<strong>ch</strong>en Verfahren im demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaat zukommt. Der Begriff des<br />

demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaates – wie <strong>der</strong> Demokratiebegriff allgemein – ist dabei<br />

ähnli<strong>ch</strong> umstritten wie <strong>der</strong>jenige <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 121 . Der kleinste gemeinsame<br />

Nenner ist von Lincoln in <strong>der</strong> 'Gettysburg Address' formuliert worden. Dana<strong>ch</strong> ist die<br />

Demokratie eine Herrs<strong>ch</strong>aft des Volkes, dur<strong>ch</strong> das Volk und für das Volk (»government<br />

of the people, by the people, and for the people«) 122 . In Anlehnung an die deuts<strong>ch</strong>e<br />

Verfassungsjudikatur läßt si<strong>ch</strong> weiter konkretisieren, daß es si<strong>ch</strong> um einen Staat mit<br />

freiheitli<strong>ch</strong>er demokratis<strong>ch</strong>er Grundordnung handeln muß, d.h. um »eine Ordnung<br />

..., die unter Auss<strong>ch</strong>luß jegli<strong>ch</strong>er Gewalt- und Willkürherrs<strong>ch</strong>aft eine re<strong>ch</strong>tsstaatli<strong>ch</strong>e<br />

Herrs<strong>ch</strong>aftsordnung auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>der</strong> Selbstbestimmung des Volkes na<strong>ch</strong> dem<br />

Willen <strong>der</strong> jeweiligen Mehrheit und <strong>der</strong> Freiheit und Glei<strong>ch</strong>heit darstellt« 123 . Freiheits-<br />

und Glei<strong>ch</strong>heitsre<strong>ch</strong>te, Re<strong>ch</strong>tsstaatli<strong>ch</strong>keit und Volkssouveränität eins<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong><br />

parlamentaris<strong>ch</strong>er Gesetzgebung na<strong>ch</strong> dem Mehrheitsprinzip sind damit die<br />

Grundparameter <strong>der</strong> institutionalisierten Ordnung, <strong>der</strong>en Verfahren im folgenden<br />

untersu<strong>ch</strong>t werden sollen.<br />

2. Das relative Primat des <strong>Prozedurale</strong>n<br />

In demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaaten kann von einem 'relativen Primat des <strong>Prozedurale</strong>n'<br />

gespro<strong>ch</strong>en werden 124 . Mit dem 'Primat des <strong>Prozedurale</strong>n' ist gemeint, daß<br />

in einer Situation <strong>der</strong> inhaltli<strong>ch</strong>en Unbestimmtheit die gere<strong>ch</strong>te Ents<strong>ch</strong>eidung nur<br />

dur<strong>ch</strong> regelhaftes Verfahren gefunden werden kann. Von einem 'relativen' Primat<br />

muß man deshalb spre<strong>ch</strong>en, weil si<strong>ch</strong> die Verfahrensergebnisse innerhalb <strong>der</strong> Vorgaben<br />

zu halten haben, die dur<strong>ch</strong> unmittelbar begründete <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen gesetzt<br />

sind 125 . Das am Mehrheitserfor<strong>der</strong>nis orientierte Gesetzgebungsverfahren ist<br />

ein Beispiel dafür. Aber au<strong>ch</strong> im Geri<strong>ch</strong>ts- und Verwaltungsverfahren sind prozedurale<br />

Garantien immer dann geboten, wenn inhaltli<strong>ch</strong>e Gewißheit ni<strong>ch</strong>t herzustellen<br />

121 Vgl. G. Jo<strong>ch</strong>um, Materielle Anfor<strong>der</strong>ungen an das Ents<strong>ch</strong>eidungsverfahren in <strong>der</strong> Demokratie<br />

(1997), S. 23 f. – Unmögli<strong>ch</strong>keit einer allgemeinen und umfassenden Begriffsbestimmung <strong>der</strong> Demokratie.<br />

Zu den Differenzen <strong>der</strong> Demokratiebegriffe bei S<strong>ch</strong>umpeter, Barber, Gould und Dahl siehe<br />

T. Simon, Democracy and Social Injustice (1995), S. 143 ff. Für eine kurze Übersi<strong>ch</strong>t zu den Begriffen<br />

partizipatoris<strong>ch</strong>er, liberaler und repräsentativer Demokratie siehe A. Cortina, Diskursethik<br />

und partizipatoris<strong>ch</strong>e Demokratie (1993), S. 240 ff. Zur Abgrenzung des demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaates<br />

vom demokratis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>tsstaat und vom formellen Re<strong>ch</strong>tsstaat R. Alexy, Die Institutionalisierung<br />

<strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te im demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaat (1998), S. 258 ff.<br />

m.w.N.<br />

122 Rede vom 19. November 1863, Text in: A. Rock, Dokumente <strong>der</strong> amerikanis<strong>ch</strong>en Demokratie<br />

(1947), S. 166.<br />

123 BVerfGE 2, 1 (12 f.) – SRP; bestätigt in BVerfGE 5, 85 (140) – KPD. Zur Analyse <strong>der</strong> Judikatur<br />

C. Gusy, Die 'freiheitli<strong>ch</strong>e demokratis<strong>ch</strong>e Grundordnung' in <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung des Bundesverfassungsgeri<strong>ch</strong>ts<br />

(1980), S. 279 ff.<br />

124 Ähnli<strong>ch</strong> R. Pits<strong>ch</strong>as, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren (1990), S. 401 ff., 429<br />

ff. m.w.N.; A. Cortina, Diskursethik und partizipatoris<strong>ch</strong>e Demokratie (1993), S. 238 f.; T. Vesting,<br />

<strong>Prozedurale</strong>s Rundfunkre<strong>ch</strong>t (1997), S. 94 ff.<br />

125 Vgl. oben S. 216 (prozedurale und substantielle Verfassungsregeln).<br />

335


ist. Für die Garantie eines wirksamen Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utzes und für die Mitwirkungsbefugnisse<br />

bei inhaltli<strong>ch</strong>en Ents<strong>ch</strong>eidungen über risikorei<strong>ch</strong>e Großprojekte läßt si<strong>ch</strong> das<br />

beispielhaft mit <strong>der</strong> deuts<strong>ch</strong>en Verfassungsjudikatur belegen 126 . Allgemein gilt, daß<br />

ni<strong>ch</strong>t nur Gesetzgebung und Regierung Verfahren unterliegen, son<strong>der</strong>n daß au<strong>ch</strong> die<br />

Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung in geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Verfahrensordnungen eingebunden ist. Selbst im<br />

(weitgehend) privatautonom gestalteten Berei<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Wirts<strong>ch</strong>aft bilden si<strong>ch</strong> Verfahren<br />

na<strong>ch</strong> Marktme<strong>ch</strong>anismen heraus. Als reale Verfahren kommen dabei, selbst bei einer<br />

diskurstheoretis<strong>ch</strong>en Konzeption des demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaates, ni<strong>ch</strong>t nur<br />

(kantis<strong>ch</strong>e) Diskurse, son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong> (hobbesianis<strong>ch</strong>e) Verhandlungen und selbst das<br />

Mittel <strong>der</strong> autoritativen Ents<strong>ch</strong>eidung in Betra<strong>ch</strong>t 127 . Diese Verfahrenshülle, die si<strong>ch</strong><br />

um die unbestimmten Inhalte aller Ents<strong>ch</strong>eidungsberei<strong>ch</strong>e legt, wirkt im demokratis<strong>ch</strong>en<br />

Verfassungsstaat als Garant von Ri<strong>ch</strong>tigkeit und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>.<br />

Die zentrale Bedeutung des Verfahrens folgt aus <strong>der</strong> Kontingenz <strong>der</strong> Inhalte, d.h.<br />

aus <strong>der</strong> Fähigkeit <strong>der</strong> Demokratie, die soziale Ordnung na<strong>ch</strong> dem jeweiligen Mehrheitswillen<br />

weitgehend flexibel umzugestalten 128 . Dieser Inhaltsoffenheit entspri<strong>ch</strong>t<br />

es, wenn die Diskurstheorie von einem ni<strong>ch</strong>tteleologis<strong>ch</strong>en Charakter <strong>der</strong> Gesells<strong>ch</strong>aft<br />

ausgeht 129 . Sie enthält damit eine implizite Absage an aristotelis<strong>ch</strong>e Konzeptionen<br />

von Staat und Gesells<strong>ch</strong>aft – eins<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> aller Spielarten des Kommunitarismus.<br />

Die ni<strong>ch</strong>tteleologis<strong>ch</strong>e Konzeption demokratis<strong>ch</strong>er Verfassungsstaaten ist beson<strong>der</strong>s<br />

im Gegensatz zu inhaltli<strong>ch</strong>en Festlegungen des osteuropäis<strong>ch</strong>en Sozialismus<br />

deutli<strong>ch</strong> hervorgetreten 130 . Wenn demokratis<strong>ch</strong>e Verfassungsstaaten unter an<strong>der</strong>em<br />

dadur<strong>ch</strong> gekennzei<strong>ch</strong>net sind, daß in ihnen – abgesehen von den unmittelbar begründeten<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen 131 – eine 'Wahrheit' <strong>der</strong> ri<strong>ch</strong>tigen Sozialordnung im<br />

Sinne einer dauerhaft unverrückbaren Endgültigkeit ni<strong>ch</strong>t behauptet wird, dann tritt<br />

126 Vgl. die Judikatur zu Grundre<strong>ch</strong>ten als Verfahrensgarantien: BVerfGE 49, 220 (225) - Zwangsversteigerung:<br />

»Die Geri<strong>ch</strong>te haben bei <strong>der</strong> Gestaltung des Verfahrens die Bedeutung des Verfassungsre<strong>ch</strong>ts<br />

für das Zwangsversteigerungsverfahren ni<strong>ch</strong>t ausrei<strong>ch</strong>end berücksi<strong>ch</strong>tigt. ... Unmittelbar<br />

aus Art. 14 GG folgt die Pfli<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Geri<strong>ch</strong>te, bei Eingriffen in dieses Grundre<strong>ch</strong>t einen tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />

wirksamen Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utz zu gewähren.« BVerfGE 53, 30 (65) - Mülheim-Kärli<strong>ch</strong>: »[Es] ist<br />

von <strong>der</strong> gefestigten Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung des Bundesverfassungsgeri<strong>ch</strong>ts auszugehen, daß Grundre<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utz<br />

weitgehend au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> die Gestaltung von Verfahren zu bewirken ist«.<br />

127 Dazu soglei<strong>ch</strong> S. 337 (einige reale Verfahren).<br />

128 Vgl. J.P. Müller, Demokratis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1993), S. 146 sowie J. Habermas, Faktizität und Geltung<br />

(1994), S. 662: »Worauf gründet die Legitimität von Regeln, die do<strong>ch</strong> vom politis<strong>ch</strong>en Gesetzgeber<br />

je<strong>der</strong>zeit geän<strong>der</strong>t werden können? ... Darauf gibt die Diskurstheorie eine einfa<strong>ch</strong>e, auf den<br />

ersten Blick unwahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>e Antwort: das demokratis<strong>ch</strong>e Verfahren ermögli<strong>ch</strong>t das freie Flottieren<br />

von Themen und Beiträgen, Informationen und Gründen, si<strong>ch</strong>ert <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Willensbildung<br />

einen diskursiven Charakter und begründet damit die fallibilistis<strong>ch</strong>e Vermutung, daß<br />

verfahrensgere<strong>ch</strong>t zustandegekommene Resultate mehr o<strong>der</strong> weniger vernünftig sind.«<br />

129 R. Alexy, Basic Rights and Democracy in Jürgen Habermas´ Procedural Paradigm of the Law<br />

(1994), S. 230; zustimmend, jedenfalls in bezug auf den ni<strong>ch</strong>tteleologis<strong>ch</strong>en Charakter <strong>der</strong> Gesells<strong>ch</strong>aft,<br />

wohl K.-H. Ladeur, Re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Ordnungsbildung unter Ungewißheitsbedingungen und intersubjektive<br />

Rationalität (1996), S. 409 f. Vgl. aber dessen Kritik an <strong>der</strong> Diskurstheorie: <strong>der</strong>s.,<br />

Postmo<strong>der</strong>ne Re<strong>ch</strong>tstheorie (1992), S. 95.<br />

130 Vgl. etwa das deutli<strong>ch</strong>e Fazit in <strong>der</strong> Abre<strong>ch</strong>nung mit dem Sozialismus bei A. Zsidai, Systemwandel<br />

und Beseitigung von Ungere<strong>ch</strong>tigkeiten (1995), S. 506: »Die formelle <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> re<strong>ch</strong>tsstaatli<strong>ch</strong>er<br />

Provenienz bedeutet gerade das Auss<strong>ch</strong>ließen je<strong>der</strong> materiellen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>spostulate und Konzeptionen.«<br />

(Hervorhebung bei Zsidai).<br />

131 Dazu oben S. 317 ff. (unmittelbare Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen).<br />

336


damit eine Situation <strong>der</strong> inhaltli<strong>ch</strong>en Unbestimmtheit ein, aus <strong>der</strong> heraus nur no<strong>ch</strong><br />

Verfahren legitime Ents<strong>ch</strong>eidungsgrundlagen bieten können. Auf diese Weise ist das<br />

relative Primat des <strong>Prozedurale</strong>n mit <strong>der</strong> Grundents<strong>ch</strong>eidung gegen einen Wissensabsolutismus<br />

verbunden. Weil die 'ri<strong>ch</strong>tige' soziale Ordnung ni<strong>ch</strong>t unmittelbar inhaltli<strong>ch</strong><br />

erkannt werden kann, bleiben nur Verfahren, um Ents<strong>ch</strong>eidungen über diese<br />

Ordnung zu treffen. Das hat au<strong>ch</strong> Folgen für den Charakter <strong>der</strong> Institutionen in einer<br />

Re<strong>ch</strong>tsordnung. Der Staat, seine Organe und Funktionsträger, sind ni<strong>ch</strong>t selbst<br />

Ziele im Sinne eines Ordnungsideals, son<strong>der</strong>n bloße Mittel zur Ermögli<strong>ch</strong>ung von<br />

Ents<strong>ch</strong>eidungsverfahren 132 .<br />

3. Zu einigen realen Verfahren: Diskurs, Abstimmung, Verhandlung, Ents<strong>ch</strong>eidung<br />

Unabhängig von <strong>der</strong> prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung gibt es in allen Sozialordnungen<br />

ein Spektrum realer Verfahren, die als Mittel prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugung<br />

anerkannt sind. Das sind keinesfalls nur Diskurse 133 . Das eigennützige<br />

Verhalten von Marktteilnehmern bestimmt die privatautonome Re<strong>ch</strong>tserzeugung,<br />

wie sie dur<strong>ch</strong> vertragli<strong>ch</strong>e Bindung im Rahmen <strong>der</strong> Gesetze von Markt und<br />

Wettbewerb stattfindet. Die von egoistis<strong>ch</strong>er Nutzenmaximierung getragene Verhandlung,<br />

die zu sol<strong>ch</strong>er Re<strong>ch</strong>tsetzung führt, ist kein Diskurs und wird denno<strong>ch</strong> als<br />

Verfahren zur Erzeugung gere<strong>ch</strong>ter Ergebnisse anerkannt 134 . Au<strong>ch</strong> die Abstimmung<br />

im Parlament und bei Wahlen ist eine Mehrheitsents<strong>ch</strong>eidung und kein Konsens im<br />

Sinne <strong>der</strong> Diskurstheorie. Selbst die s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>te Dezisionsgewalt, die einer Regierung<br />

im Rahmen <strong>der</strong> Gesetze bleibt, kann als gere<strong>ch</strong>tigkeitserzeugende Verfahrensregel<br />

angesehen werden, obwohl die Ents<strong>ch</strong>eidung <strong>der</strong> Regierung mit Diskursivität – jedenfalls<br />

unmittelbar – ni<strong>ch</strong>ts zu tun hat.<br />

Im folgenden werden nur die Anfor<strong>der</strong>ungen untersu<strong>ch</strong>t, die an die unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en<br />

Verfahren vom Verfahrenstyp des realen Diskurses gestellt werden. Das ist nur<br />

s<strong>ch</strong>einbar eine gewi<strong>ch</strong>tige Bes<strong>ch</strong>ränkung auf einen Teil <strong>der</strong> anerkannten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungsverfahren.<br />

Denn tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> besteht bei allen Verfahren eine re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e<br />

Einhegung. Der privatautonom ges<strong>ch</strong>lossene Vertrag genießt nur solange Anerkennung,<br />

wie er si<strong>ch</strong> an die zwingenden Bestimmungen des Vertragsre<strong>ch</strong>ts hält, etwa<br />

das Wu<strong>ch</strong>erverbot 135 ; die Wahl von Abgeordneten ri<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> (verfassungsre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en)<br />

Wahlre<strong>ch</strong>tsgrundsätzen und den Re<strong>ch</strong>tsnormen <strong>der</strong> Wahlordnung; die<br />

Abstimmung im Parlament unterliegt (verfassungs-)re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> fixierten Mehrheitsregeln.<br />

Wenn, wie im folgenden, die Verfahren des Re<strong>ch</strong>ts als reale Diskurse angese-<br />

132 Vgl. zu diesem Charakterwe<strong>ch</strong>sel K.-H. Ladeur, Re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Ordnungsbildung unter Ungewißheitsbedingungen<br />

und intersubjektive Rationalität (1996), S. 410: »azentris<strong>ch</strong>er Charakter komplexer<br />

Ordnungsbildung«. Zu Verfahren als <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgaranten für bena<strong>ch</strong>teiligte Min<strong>der</strong>heiten<br />

vgl. T.W. Simon, Democracy and Social Injustice (1995), S. 196 ff.<br />

133 Vgl. B. Barry, Political Argument (1965), S. 84 ff., <strong>der</strong> außer Diskurs, Verhandlung, Abstimmung<br />

(eins<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> Personalabstimmungen, d.h. Wahlen) und autoritativer Ents<strong>ch</strong>eidung no<strong>ch</strong> den<br />

S<strong>ch</strong>lagabtaus<strong>ch</strong> (combat), das Los (<strong>ch</strong>ance) und den Wettkampf (contest) nennt.<br />

134 R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 114; C.-W. Canaris, Die Bedeutung <strong>der</strong> iustitia distributiva<br />

im deuts<strong>ch</strong>en Vertragsre<strong>ch</strong>t (1993), S. 44 ff., 48 (»Ri<strong>ch</strong>tigkeitsgewähr des Vertragsme<strong>ch</strong>anismus«),<br />

50 und 58 (»Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit«).<br />

135 C.-W. Canaris, Die Bedeutung <strong>der</strong> iustitia distributiva im deuts<strong>ch</strong>en Vertragsre<strong>ch</strong>t (1993), S. 51 ff.<br />

337


hen werden, dann wird dadur<strong>ch</strong> zumindest mittelbar die Gesamtheit <strong>der</strong> Verfahren<br />

in einem demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaat erfaßt. Insoweit kann von <strong>der</strong> Diskurstheorie<br />

als Basistheorie des demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaates gespro<strong>ch</strong>en werden<br />

136 .<br />

4. Zu den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfunktionen realer Verfahren<br />

Innerhalb einer Verfassungsordnung können reale Verfahren ni<strong>ch</strong>t mehr die Funktion<br />

reiner prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> haben 137 . Ihnen ist bereits ein <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>srahmen<br />

dur<strong>ch</strong> die unmittelbar begründeten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen vorgegeben. Verfahren<br />

im demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaat haben häufig nur no<strong>ch</strong> eine heuristis<strong>ch</strong>e<br />

Funktion, indem sie zur Realisierung <strong>der</strong> s<strong>ch</strong>on verfahrensextern als gere<strong>ch</strong>t begründeten<br />

Ergebnisse beitragen 138 . Das gilt für die Verfahren <strong>der</strong> vollkommenen und unvollkommenen<br />

prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>. Für beide Verfahrensarten lassen si<strong>ch</strong><br />

Beispiele im Re<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong>weisen 139 . Do<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>e Verfahren sollen im folgenden nur<br />

am Rande interessieren.<br />

Sehr viel wi<strong>ch</strong>tiger sind Verfahren <strong>der</strong> quasi-reinen prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>.<br />

Ihnen kommt teilweise Definitionswirkung für die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> des Ergebnisses zu.<br />

Vereinfa<strong>ch</strong>t gespro<strong>ch</strong>en definieren sol<strong>ch</strong>e Verfahren prima facie gere<strong>ch</strong>te Ergebnisse<br />

und leisten dadur<strong>ch</strong> einen eigenen Beitrag zur Begründung <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit des<br />

Re<strong>ch</strong>ts, d.h. <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Re<strong>ch</strong>t. Insoweit kann von einer '<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>swahlfunktion'<br />

gespro<strong>ch</strong>en werden 140 . Die Begründungskomponente dieser Funktion<br />

läßt si<strong>ch</strong> am Beispiel des parlamentaris<strong>ch</strong>en Gesetzgebungsprozesses verdeutli<strong>ch</strong>en.<br />

Der parlamentaris<strong>ch</strong>e Gesetzgeber hat im Rahmen <strong>der</strong> verfassungsmäßigen Grenzen<br />

die Wahl zwis<strong>ch</strong>en unendli<strong>ch</strong> vielen Gestaltungsmögli<strong>ch</strong>keiten. Ents<strong>ch</strong>eidet er si<strong>ch</strong><br />

im Gesetzgebungsverfahren für eine dieser Mögli<strong>ch</strong>keiten, so ist sie prima facie gere<strong>ch</strong>t,<br />

weil er sie dur<strong>ch</strong> das Verfahren als gere<strong>ch</strong>t definiert, es sei denn, sie verstößt<br />

ausnahmsweise gegen die materiellen S<strong>ch</strong>ranken, die au<strong>ch</strong> dem Gesetzgeber im<br />

Rahmen <strong>der</strong> Verfassungsordnung gezogen sind.<br />

Warum kann diese <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sdefinitionswirkung eintreten? Voraussetzung<br />

für jede Form prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> sind die drei Fairneßelemente, d.h. Hintergrundfairneß<br />

(background fairness), Anwendungsfairneß (procedural fairness) und Prozedurfairneß<br />

(fairness of the procedure) 141 . Hintergrundfairneß besteht etwa darin, daß<br />

alle Mitglie<strong>der</strong> des Parlaments die glei<strong>ch</strong>e Stimme haben. Anwendungsfairneß verlangt<br />

die korrekte Einhaltung aller wesentli<strong>ch</strong>en Verfahrensregeln, also etwa die fehlerfreie<br />

Stimmenauszählung. Am anspru<strong>ch</strong>svollsten ist, wie immer, die Prozedurfairneß.<br />

Hier muß begründet werden, warum die parlamentaris<strong>ch</strong>e Gesetzgebung<br />

ein faires (prozedural gere<strong>ch</strong>tes) Verfahren ist. Formale Gründe können beispiels-<br />

136 Dazu oben S. 247, Fn. 608.<br />

137 Vgl. oben S. 127 (reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

138 Vgl. A. Kaufmann, <strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1989), S. 20 – zum 'heuristis<strong>ch</strong>en Wert'<br />

<strong>der</strong> prozeduralen <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>; R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 107 ff. –<br />

zur <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugung in realen Verfahren.<br />

139 Dazu oben S. 125 (Formen dienen<strong>der</strong> Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit).<br />

140 Dazu oben S. 128 (quasi-reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

141 Dazu oben S. 121 ff. (Begriff <strong>der</strong> Fairneß).<br />

338


weise in <strong>der</strong> demokratis<strong>ch</strong>en Legitimationskette gesehen werden, weil nur sol<strong>ch</strong>e<br />

Gesetze bes<strong>ch</strong>lossen werden, für die si<strong>ch</strong> die Mehrheit <strong>der</strong> selbst wie<strong>der</strong>um mit<br />

Mehrheit gewählten Parlamentsmitglie<strong>der</strong> ents<strong>ch</strong>eidet 142 . Wi<strong>ch</strong>tiger ers<strong>ch</strong>einen hingegen<br />

die prozeduralen Gründe dafür, daß parlamentaris<strong>ch</strong> verabs<strong>ch</strong>iedete Gesetze<br />

Ri<strong>ch</strong>tigkeit garantieren 143 . Daß wesentli<strong>ch</strong>e Ents<strong>ch</strong>eidungen in einer Demokratie unmittelbar<br />

dur<strong>ch</strong> Parlamentsgesetze bestimmt sein müssen (Parlamentsvorbehalt, Wesentli<strong>ch</strong>keitstheorie),<br />

liegt weniger an dem Rang, den das Parlament als Autor <strong>der</strong><br />

Gesetzgebung dank seiner demokratis<strong>ch</strong>en Legitimation unter den Staatsorganen<br />

einnimmt (formale Begründung), son<strong>der</strong>n ist »vor allem in den beson<strong>der</strong>en Rationalitätsgarantien<br />

des parlamentaris<strong>ch</strong>en Ents<strong>ch</strong>eidungsprozesses« begründet – in »Diskursivität<br />

und Öffentli<strong>ch</strong>keit« (prozedurale Begründung) 144 . Sieht man das Gesetzgebungsverfahren<br />

als realen Diskurs an, so ist es fair (prozedural gere<strong>ch</strong>t), weil es eine<br />

unter den realen Umständen angemessene Annäherung an die regulative Idee des<br />

idealen Diskurses bildet 145 .<br />

Die Einzelheiten einer sol<strong>ch</strong>en Begründung können an dieser Stelle no<strong>ch</strong> offen<br />

bleiben 146 . Mit <strong>der</strong> Überlegung ist aber <strong>der</strong> Gang <strong>der</strong> Begründung deutli<strong>ch</strong> geworden.<br />

Es geht darum zu zeigen, daß <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Re<strong>ch</strong>t mittelbar begründet werden<br />

kann, indem man begründet, wel<strong>ch</strong>e prozeduralen Anfor<strong>der</strong>ungen an reale Diskurse<br />

zu stellen sind, damit <strong>der</strong>en Ergebnisse kraft quasi-reiner prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

als gere<strong>ch</strong>t angesehen werden müssen.<br />

II.<br />

Zur Diskursivität des Re<strong>ch</strong>ts<br />

1. Die Son<strong>der</strong>fallthese (R. Alexy)<br />

Mit Alexy kann <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>e Diskurs als Son<strong>der</strong>fall des allgemeinen praktis<strong>ch</strong>en<br />

Diskurses angesehen werden (Son<strong>der</strong>fallthese) 147 . Um in einem prozeduralen Stu-<br />

142 Vgl. J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 363: »Wahlergebnisse sind die Lizenz für eine<br />

Übernahme <strong>der</strong> Regierungsma<strong>ch</strong>t«.<br />

143 Zur Unters<strong>ch</strong>eidung J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 363 ff. Zur Kritik einer Blickverengung<br />

auf das Mehrheitsprinzip etwa J. Dewey, The Public and its Problems (1927), S. 365:<br />

»Majority rule, just as majority rule, is as foolish as its critics <strong>ch</strong>arge it with being. ... The essential<br />

need ... is the improvement of the methods and conditions of debate, discussion and persuasion.«<br />

144 B.-O. Bryde, Geheimgesetzgebung (1998), S. 116, 120. Vgl. J. Dewey, The Public and its Problems<br />

(1927), S. 365: »The strongest point to be made in behalf of even su<strong>ch</strong> rudimentary political forms<br />

as democracy has already attained, popular voting, majority rule and so on, is that to some extent<br />

they involve a consultation and discussion whi<strong>ch</strong> uncover social needs and troubles.«<br />

145 Vgl. dazu oben S. 221 (T Dr ). Vgl. J.P. Müller, Demokratis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1993), S. 149 ff. – Mehrheitsprinzip<br />

und Min<strong>der</strong>heitens<strong>ch</strong>utz als angemessene Annäherung an Diskursideale.<br />

146 Dazu vor allem unten S. 347 (Diskursivität <strong>der</strong> Politik). Zur Ideenges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des kommunikativen<br />

Prozesses als eines Verfahrens zur »Entbergung« des gemeinsamen Interesses aus <strong>der</strong> Vielfalt partikulärer<br />

Egoismen vgl. H. Dreier, Demokratis<strong>ch</strong>e Repräsentation und vernünftiger Allgemeinwille<br />

(1988), S. 461 ff. – »Repräsentation als Veredelungsprozeß«. Ausdrückli<strong>ch</strong> bereits J. Madison,<br />

Fe<strong>der</strong>alist No. 10 (1787), S. 62: »[T]o refine and enlarge the public views, by passing them through<br />

the medium of a <strong>ch</strong>osen body of citizens, whose ... love of justice, will be least likely to sacrifice it<br />

to temporary or partial consi<strong>der</strong>ations.«<br />

147 R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1978), S. 261 ff.; dazu oben S. 255 (Begründung<br />

von Re<strong>ch</strong>tsnormen) und S. 302, Fn. 209 (Kritik).<br />

339


fenmodell legitimierbarer Ordnung zusätzli<strong>ch</strong>e diskurstheoretis<strong>ch</strong>e Begründung zu<br />

entfalten, kann es sinnvoll sein, vers<strong>ch</strong>iedene reale juristis<strong>ch</strong>e Diskurse zu unters<strong>ch</strong>eiden:<br />

die Verfahren <strong>der</strong> Verfassunggebung und Verfassungsän<strong>der</strong>ung, <strong>der</strong> parlamentaris<strong>ch</strong>en<br />

Gesetzgebung, <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung und das Verwaltungsverfahren.<br />

Vom juristis<strong>ch</strong>en Diskurs als Son<strong>der</strong>fall des allgemeinen praktis<strong>ch</strong>en Diskurses muß<br />

in all diesen Fällen gespro<strong>ch</strong>en werden, weil juristis<strong>ch</strong>e Diskurse im Gegensatz zu<br />

allgemeinen praktis<strong>ch</strong>en Diskursen Bes<strong>ch</strong>ränkungen unterliegen. Juristis<strong>ch</strong>e Diskurse<br />

sind keine handlungsentlasteten Diskurse 148 , son<strong>der</strong>n dienen <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit in einem<br />

materialen Ents<strong>ch</strong>eidungsrahmen 149 und unter formalen Ents<strong>ch</strong>eidungsbedingungen,<br />

die von Sa<strong>ch</strong>zwängen geprägt und dadur<strong>ch</strong> den Diskursidealen <strong>der</strong> unbegrenzten<br />

Zeit und Beteiligung abträgli<strong>ch</strong> sind (Zeitnot, Finanznot, Personalnot, Bedürfnis<br />

na<strong>ch</strong> Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit u.v.m.). Trotzdem bleiben sie als reale Diskurse identifizierbar,<br />

denn sie sind ri<strong>ch</strong>tigkeitsorientierte Begründungsverfahren, folgen also <strong>der</strong> regulativen<br />

Idee eines Diskurses unter idealen Bedingungen 150 .<br />

2. Die Verfassungsnormsetzung als realer Diskurs<br />

a) Die materielle Verfassungsordnung<br />

Demokratis<strong>ch</strong>e Verfassungsstaaten müssen keine ges<strong>ch</strong>riebene Verfassung haben,<br />

do<strong>ch</strong> sie verfügen als Teil ihrer Staatli<strong>ch</strong>keit jedenfalls über eine materielle Verfassungsordnung<br />

im Sinne von Fundamentalnormen <strong>der</strong> Staatsorganisation (leges fundamentales).<br />

Bei <strong>der</strong> Begründung dieser Verfassungsordnung wird die Souveränität<br />

des Volkes als verfassunggebende Gewalt (pouvoir constituant) wirksam, die si<strong>ch</strong> von<br />

allen an<strong>der</strong>en, erst mit dem Gründungsakt ges<strong>ch</strong>affenen Staatsgewalten (pouvoirs<br />

constitués) unters<strong>ch</strong>eidet 151 . Verfassungsnormen entstehen dur<strong>ch</strong> Verfassunggebung<br />

o<strong>der</strong> Verfassungsän<strong>der</strong>ung. Das Verfahren <strong>der</strong> Verfassunggebung o<strong>der</strong> -neugebung<br />

(Totalrevision) besteht regelmäßig in <strong>der</strong> Verabs<strong>ch</strong>iedung dur<strong>ch</strong> eine unmittelbar<br />

vom Volk gewählte Nationalversammlung o<strong>der</strong> in einem Referendum über den Verfassungsentwurf<br />

eines Verfassungskonvents. Die Verfassungsän<strong>der</strong>ung, die ni<strong>ch</strong>t<br />

Totalrevision ist, erfolgt regelmäßig dur<strong>ch</strong> einen verfassungsän<strong>der</strong>nden Gesetzgeber<br />

(pouvoir constituant constitué) in einem beson<strong>der</strong>en Verfahren, das die ers<strong>ch</strong>werte Abän<strong>der</strong>barkeit<br />

<strong>der</strong> Verfassungsnormen begründet 152 . In jedem Fall – bei Begründung<br />

148 Dazu oben S. 220 (handlungsentlasteter Diskurs).<br />

149 Ein Ents<strong>ch</strong>eidungsrahmen folgt selbst für Verfassungsdiskurse aus dem <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>srahmen,<br />

<strong>der</strong> dur<strong>ch</strong> unmittelbar begründete <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen vorgegeben ist; siehe oben S. 317 ff.<br />

(unmittelbare Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen).<br />

150 Vgl. J.P. Müller, Demokratis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1993), S. 149 ff. sowie oben S. 218 (D Dr ), 221 (T Dr ).<br />

151 Vgl. zu diesen staatstheoretis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>lüsselbegriffen E.J. Sieyes, Was ist <strong>der</strong> Dritte Stand? (1789),<br />

Kapitel V (Unveräußerli<strong>ch</strong>keit des Verfassunggebungsre<strong>ch</strong>ts <strong>der</strong> Nation); dazu E. Zweig, Die Lehre<br />

vom Pouvoir Constituant (1909), S. 116 ff. (137); aus jüngerer Zeit E.-W. Böckenförde, Die verfassunggebende<br />

Gewalt des Volkes (1986), S. 11 ff.; H. Dreier, Präambel (1996), Rn. 49 m.w.N. Die<br />

Bedeutung dieses Unters<strong>ch</strong>iedes für die Legitimation des positiven Re<strong>ch</strong>ts betonend H. Hofmann,<br />

Legitimität und Re<strong>ch</strong>tsgeltung (1977), S. 60 ff.<br />

152 Zum Charakteristikum <strong>der</strong> ers<strong>ch</strong>werten Abän<strong>der</strong>barkeit, das vielfa<strong>ch</strong>, aber ni<strong>ch</strong>t ausnahmslos in<br />

einem qualifizierten Mehrheitserfor<strong>der</strong>nis besteht, vgl. H. Dreier, Artikel 79 II GG (1998), Rn. 7 f.<br />

(re<strong>ch</strong>tsverglei<strong>ch</strong>ende Bezüge), Rn. 11 (ers<strong>ch</strong>werte Abän<strong>der</strong>barkeit) m.w.N.<br />

340


wie bei Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> (materiellen) Verfassungsordnung – handelt es si<strong>ch</strong> um ein<br />

Normsetzungsverfahren, bei dem Normen mit grundlegen<strong>der</strong>er Bedeutung, meist<br />

sogar mit einem formal höheren Rang (Vorrang <strong>der</strong> Verfassung) als bei einfa<strong>ch</strong>er Gesetzgebung,<br />

verabs<strong>ch</strong>iedet werden.<br />

b) Die Verfassunggebung als realer Diskurs<br />

Versteht man die Verfassunggebung als realen Diskurs, so ist sie <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit verpfli<strong>ch</strong>tet<br />

153 . Das legt sie bereits dur<strong>ch</strong> diejenigen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen fest, die diskurstheoretis<strong>ch</strong><br />

o<strong>der</strong> diskursiv notwendig sind (Grundre<strong>ch</strong>te auf Glei<strong>ch</strong>heit, optimierte<br />

Freiheiten und Demokratie) 154 . Die Tätigkeit einer verfassunggebenden Nationalversammlung<br />

o<strong>der</strong> eines Verfassungskonvents ma<strong>ch</strong>t es wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>er<br />

(wenn au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong>er), daß Verfassungsnormen kodifiziert werden, die diesen<br />

notwendigen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen genügen (System größtmögli<strong>ch</strong>er Freiheiten,<br />

Glei<strong>ch</strong>heitssatz, demokratis<strong>ch</strong>e Institutionen und Verfahren). Soweit diese <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

dank <strong>der</strong> Verfahrensweise als Re<strong>ch</strong>t institutionalisiert werden können,<br />

ist die Verfassunggebung ein Verfahren unvollkommener prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

155 .<br />

Vor allem aber benötigt das Verfahren <strong>der</strong> Verfassunggebung die Definitionswirkung<br />

<strong>der</strong> quasi-reinen prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>. Nur sie kann begründen, daß die<br />

Wahl zwis<strong>ch</strong>en unendli<strong>ch</strong> vielen mögli<strong>ch</strong>en Verfassungsgestaltungen zu einem gere<strong>ch</strong>ten<br />

Ergebnis geführt hat. Dazu muß <strong>der</strong> Prozeß <strong>der</strong> Verfassunggebung selbst als<br />

faires Verfahren begründet sein (Prozedurfairneß). Sieht man die Verfassunggebung<br />

als realen Diskurs, so müssen alle Anfor<strong>der</strong>ungen erfüllt sein, die eine den Umständen<br />

na<strong>ch</strong> angemessene Annäherung an die regulative Idee eines Diskurses unter<br />

idealen Bedingungen ermögli<strong>ch</strong>en 156 . Das kann beispielhaft am Prozeß <strong>der</strong> Verfassunggebung<br />

in Südafrika gezeigt werden. Dort wurde zunä<strong>ch</strong>st eine Interimsverfassung<br />

angenommen, was den Zeitdruck für die Verabs<strong>ch</strong>iedung einer endgültigen<br />

Verfassung min<strong>der</strong>te und die Informiertheit <strong>der</strong> Beteiligten för<strong>der</strong>te (Diskursideale<br />

<strong>der</strong> vollkommenen Informiertheit und unbegrenzten Zeit 157 ). Außerdem wurden<br />

Mehrheitsents<strong>ch</strong>eidungen zurückgestellt, um für die Berücksi<strong>ch</strong>tigung regionaler<br />

und sozialer (hier: rassis<strong>ch</strong> und ethnis<strong>ch</strong> getrennter) Min<strong>der</strong>heiten breiteren Raum zu<br />

lassen (Diskursideal <strong>der</strong> vollkommenen Zwanglosigkeit). Zur wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Be-<br />

153 Vgl. oben S. 250 (T R ).<br />

154 Dazu oben S. 328 ff. (diskursiv notwendige Freiheiten).<br />

155 Dazu oben S. 126 (unvollkommene prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>). No<strong>ch</strong> weitergehend (reine prozedurale<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>) W. Henke, Die verfassunggebende Gewalt (1957), S. 36: »Darum gibt es nur<br />

eine legitime Art <strong>der</strong> Verfassunggebung, nämli<strong>ch</strong> die <strong>der</strong> Verfassungsgesetzgebung dur<strong>ch</strong> eine<br />

frei und allgemein gewählte Nationalversammlung. Damit wird das Verfahren zum einzigen Kriterium<br />

<strong>der</strong> Legitimität des Verfassungsgesetzes.« (Hervorhebung bei Henke). Vgl. zur Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit,<br />

wenn au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t Si<strong>ch</strong>erheit, mit <strong>der</strong> Volkssouveränität zu gere<strong>ch</strong>ten Ergebnissen führt,<br />

aus <strong>der</strong> U.S.-amerikanis<strong>ch</strong>en Verfassungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: J. Madison, Fe<strong>der</strong>alist No. 51 (1788), S. 352 f.:<br />

»In the extended republic of the United States, and among the great variety of interests, parties<br />

and sects whi<strong>ch</strong> it embraces, a coalition of the majority of the whole society could seldom take<br />

place on any other principles than those of justice and the general good«.<br />

156 Vgl. oben S. 221 (T Dr ).<br />

157 Vgl. dazu R. Alexy, Probleme <strong>der</strong> Diskurstheorie (1989), S. 113 sowie oben S. 218 (D Di ).<br />

341


gleitung fand eine umfangrei<strong>ch</strong>e empiris<strong>ch</strong>e Verfassungsverglei<strong>ch</strong>ung statt (Diskursideal<br />

<strong>der</strong> vollkommenen Informiertheit). Zusätzli<strong>ch</strong> wurde die Verfassunggebung<br />

erstmalig dur<strong>ch</strong> einen öffentli<strong>ch</strong>en Mitwirkungsprozeß begleitet (Diskursideale <strong>der</strong><br />

unbegrenzten Teilnehmers<strong>ch</strong>aft und vollkommenen Zwanglosigkeit). Es wurde also<br />

alles getan, was na<strong>ch</strong> den Umständen angemessen war, um eine weitgehende Annäherungen<br />

an einen Diskurs unter idealen Bedingungen zu errei<strong>ch</strong>en. Im Ergebnis<br />

sind die Normen <strong>der</strong> resultierenden Verfassung – notwendige, wie die Abs<strong>ch</strong>affung<br />

des Apartheidsregimes, ebenso wie optionale, etwa die eigentumsre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Bestimmungen,<br />

die Konkretisierung <strong>der</strong> Freiheitsre<strong>ch</strong>te und die demokratis<strong>ch</strong>en Institutionen<br />

– gere<strong>ch</strong>t, weil sie si<strong>ch</strong> erstens dank <strong>der</strong> Verfahrensweise im <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>srahmen<br />

<strong>der</strong> vorpositiven Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>ts- und Demokratiegebote halten (unvollkommene<br />

prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>) und sie zweitens innerhalb dieses Rahmens<br />

dur<strong>ch</strong> ein na<strong>ch</strong> den Umständen als fair begründetes Verfahren (den realen Verfassungsdiskurs)<br />

unter den mögli<strong>ch</strong>en Gestaltungsformen ausgewählt wurden (quasireine<br />

prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

Der praktis<strong>ch</strong>e Wert <strong>der</strong> Diskurstheorie als Theorie <strong>der</strong> Verfassunggebung zeigt<br />

si<strong>ch</strong> dort, wo sie als Grundlage für Kritik herangezogen werden kann. Bezogen auf<br />

China wurde bereits darauf hingewiesen, daß eine weitgehende Eins<strong>ch</strong>ränkung von<br />

Privateigentum im Rahmen <strong>der</strong> unmittelbaren Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

no<strong>ch</strong> keinen Grund bietet, die Sozialordnung insoweit als ungere<strong>ch</strong>t zu qualifizieren.<br />

Bei <strong>der</strong> mittelbaren Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen ergeben si<strong>ch</strong> nunmehr<br />

weitergehende Ansätze für Kritik. Die Eigentumsregelungen einer Verfassungsordnung<br />

sind genau dann gere<strong>ch</strong>t, wenn es mögli<strong>ch</strong> ist, daß sie Ergebnis eines<br />

realen Verfassungsdiskurses sein könnten. Wenn dagegen gezeigt werden kann, daß<br />

<strong>der</strong> konkrete Verfassunggebungsprozeß ni<strong>ch</strong>t in einem realen Diskurs bestand, weil<br />

er si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t so weit, wie na<strong>ch</strong> den Umständen angemessen, an <strong>der</strong> regulativen Idee<br />

eines Diskurses unter idealen Bedingungen orientiert hat 158 , und wenn außerdem Indizien<br />

dafür vorliegen, daß die sozialistis<strong>ch</strong>e Eigentumsordnung unter den Bedingungen<br />

eines realen Diskurses keine Bestätigung hätte finden können, dann sind<br />

dies gültige Gründe gegen die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> <strong>der</strong> real existierenden Verfassungsordnung<br />

Chinas 159 .<br />

c) Die Verfassungsän<strong>der</strong>ung als realer Diskurs<br />

Versteht man die Verfassungsän<strong>der</strong>ung als realen Diskurs, so bleibt au<strong>ch</strong> sie inhaltli<strong>ch</strong><br />

auf alle <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen festgelegt, die unmittelbar als diskurstheoretis<strong>ch</strong><br />

und diskursiv notwendig begründet werden können (Grundre<strong>ch</strong>te auf Glei<strong>ch</strong>heit,<br />

optimierte Freiheiten und Demokratie) 160 . Prozedural betra<strong>ch</strong>tet ist die Tätigkeit des<br />

verfassungsän<strong>der</strong>nden Gesetzgebers (glei<strong>ch</strong> <strong>der</strong> des Verfassunggebers) ein Verfahren,<br />

in dem unvollkommene und quasi-reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> verwirkli<strong>ch</strong>t<br />

werden. Au<strong>ch</strong> beim Verfassungsän<strong>der</strong>ungsverfahren müssen alle Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

158 Dazu oben S. 218 (D Dr ).<br />

159 Vgl. die frühe Legitimitätskritik im vorrevolutionären Frankrei<strong>ch</strong>: E.J. Sieyes, Was ist <strong>der</strong> Dritte<br />

Stand? (1789), Kapitel II (Illegitimität mangels Beteiligung des 'Dritten Standes') und V (Verfassunggebungsre<strong>ch</strong>t<br />

<strong>der</strong> 'Nation'; Nationalversammlung als Repräsentationsorgan).<br />

160 Dazu oben S. 328 ff. (diskursiv notwendige Freiheiten).<br />

342


erfüllt sein, die eine den Umständen na<strong>ch</strong> angemessene Annäherung an die regulative<br />

Idee eines Diskurses unter idealen Bedingungen ermögli<strong>ch</strong>en 161 . Die Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

selbst entspre<strong>ch</strong>en, je na<strong>ch</strong> Ausgestaltung des Verfahrens (Referendum, Gesetzgebung),<br />

denen <strong>der</strong> Verfassunggebung o<strong>der</strong> denen <strong>der</strong> parlamentaris<strong>ch</strong>en Gesetzgebung<br />

162 , regelmäßig verstärkt um qualifizierte Mehrheitserfor<strong>der</strong>nisse o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />

Ers<strong>ch</strong>wernisse, die eine den Umständen na<strong>ch</strong> – d.h. unter Berücksi<strong>ch</strong>tigung <strong>der</strong> grundlegenden<br />

Bedeutung bzw. des formal höheren Ranges <strong>der</strong> Verfassungsnorm – angemessene<br />

Annäherung an das Diskursideal <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidung dur<strong>ch</strong> Konsens bewirken.<br />

d) Zur <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> von Ewigkeitsklauseln<br />

Dur<strong>ch</strong> die diskurstheoretis<strong>ch</strong>e Analyse können au<strong>ch</strong> bei demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaaten,<br />

die im wesentli<strong>ch</strong>en als gere<strong>ch</strong>t anzusehen sind, Kritikpotentiale aufgedeckt<br />

werden. Dazu sei das Kriterium <strong>der</strong> optimalen diskursiven Kontrolle betra<strong>ch</strong>tet.<br />

Für die unmittelbar begründeten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen (notwendige <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen)<br />

läuft es leer, weil insoweit das notwendige Ergebnis jedes Diskurses<br />

bereits feststeht. Im übrigen beurteilen si<strong>ch</strong> die Anfor<strong>der</strong>ungen an die 'Optimalität'<br />

einer diskursiven Kontrolle dana<strong>ch</strong>, was na<strong>ch</strong> den Umständen als angemessene Annäherung<br />

an die Bedingungen eines idealen Diskurses anzusehen ist 163 . Inhaltli<strong>ch</strong>e<br />

Aussagen hierzu lassen si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t allgemein treffen. Aber jedenfalls folgt aus dem<br />

Kriterium <strong>der</strong> optimalen diskursiven Kontrolle, daß bestimmte Verfassungsnormen<br />

überhaupt revisibel bleiben müssen. Es gilt <strong>der</strong> Satz: Verfassungsnormen, die ni<strong>ch</strong>t<br />

zu den unmittelbar begründbaren <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen gehören (optionale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen),<br />

müssen innerhalb <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsordnung einer diskursiven Kontrolle unterliegen<br />

164 . Eine diskursive Kontrolle besteht, wenn Verfassungsnormen weiterhin<br />

<strong>der</strong> Verfügungsbefugnis <strong>der</strong> Betroffenen unterstehen, also einzeln geän<strong>der</strong>t (Einzelrevision)<br />

o<strong>der</strong> im Rahmen einer Überprüfung <strong>der</strong> gesamten Verfassung verworfen<br />

werden können (Totalrevision). Damit lassen si<strong>ch</strong> verfassungsre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Gestaltungsformen<br />

kritisieren, in denen sowohl die Einzel- als au<strong>ch</strong> die Totalrevision von<br />

optionalen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen dur<strong>ch</strong> faktis<strong>ch</strong>e o<strong>der</strong> normative Ewigkeitsklauseln<br />

für alle Zukunft verhin<strong>der</strong>t wird (entren<strong>ch</strong>ment).<br />

In <strong>der</strong> Verfassung <strong>der</strong> Vereinigten Staaten von Amerika ist beispielsweise das<br />

Re<strong>ch</strong>t zum Waffentragen (right to bear arms 165 ) dur<strong>ch</strong> die Än<strong>der</strong>ungsmodalitäten <strong>der</strong><br />

Verfassung (amendments) <strong>der</strong>art versteinert, daß die Bestimmung einer faktis<strong>ch</strong>en<br />

161 Vgl. oben S. 221 (T Dr ).<br />

162 Dazu unten S. 345 (parlamentaris<strong>ch</strong>e Gesetzgebung als realer Diskurs).<br />

163 Vgl. oben S. 221 (T Dr ).<br />

164 Dazu oben S. 220 (realer Diskurs als diskursive Kontrolle). Nur eine diskursive Kontrolle 'innerhalb<br />

<strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsordnung' ist den Umständen na<strong>ch</strong> angemessen. Daß Verfassungsnormen je<strong>der</strong>zeit<br />

dur<strong>ch</strong> revolutionäre Akte, also 'außerhalb <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsordnung', beseitigt werden können, ist trivial,<br />

hat aber mit <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> <strong>der</strong> re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Ordnung selbst, um die es hier allein geht (dazu<br />

oben S. 78 – S<strong>ch</strong>werpunktthese), ni<strong>ch</strong>ts zu tun.<br />

165 Amendment II (1791) <strong>der</strong> U.S.-Verf.: »... the right of the people to keep and bear Arms, shall not be<br />

infringed.«<br />

343


Ewigkeitsgarantie unterliegt 166 . Dabei gibt es zwei Auslegungsmögli<strong>ch</strong>keiten für die<br />

Norm. Sieht man sie als Prinzip an, dann wäre sie mit an<strong>der</strong>en Grundre<strong>ch</strong>ten in jedem<br />

Einzelfall abzuwägen; die diskursive Kontrolle wäre dadur<strong>ch</strong> gewahrt. Gilt sie<br />

indes als Regel mit wenigen feststehenden Ausnahmen, so läge darin eine Konkretisierung<br />

des relativen Gewi<strong>ch</strong>ts von Freiheitsre<strong>ch</strong>ten, die einer diskursiven Kontrolle<br />

faktis<strong>ch</strong> entzogen wäre. Eine Interpretation des Verfassungsre<strong>ch</strong>ts als abwägungsbedürftiges<br />

Prinzip ist deshalb gere<strong>ch</strong>tigkeitstheoretis<strong>ch</strong> geboten.<br />

Au<strong>ch</strong> anhand <strong>der</strong> Verfassung <strong>der</strong> Bundesrepublik Deuts<strong>ch</strong>land läßt si<strong>ch</strong> Ähnli<strong>ch</strong>es<br />

zeigen. Von <strong>der</strong> grundgesetzli<strong>ch</strong>en Ewigkeitsgarantie (Art. 79 III i.V.m. Art. 1<br />

und 20 GG) sind ni<strong>ch</strong>t nur die Verfassungskonkretisierungen notwendiger <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

(Grundre<strong>ch</strong>te auf Glei<strong>ch</strong>heit, optimierte Freiheit und Demokratie), son<strong>der</strong>n<br />

au<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>e Verfassungsprinzipien erfaßt, die zu den optionalen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

zählen (Bundesstaatli<strong>ch</strong>keit, Staatsform <strong>der</strong> Republik) und folgli<strong>ch</strong> einer diskursiven<br />

Kontrolle unterliegen müssen 167 . Diese Kontrolle besteht nur, wenn man<br />

annimmt, daß si<strong>ch</strong> (jedenfalls über eine zulässige Verfassungsän<strong>der</strong>ung) die verfassunggebende<br />

Gewalt aktivieren ließe, um auf diesem Wege die ni<strong>ch</strong>t diskurstheoretis<strong>ch</strong><br />

o<strong>der</strong> diskursiv notwendigen Normen zu än<strong>der</strong>n. Ginge das ni<strong>ch</strong>t, enthielte<br />

die normative Ordnung des Grundgesetzes insoweit eine ungere<strong>ch</strong>te Bes<strong>ch</strong>ränkung<br />

<strong>der</strong> Volkssouveränität. Eine Auslegung, die zumindest eine Totalrevision zuläßt<br />

(Art. 146 GG) und dadur<strong>ch</strong> die öffentli<strong>ch</strong>e Diskussion über Revisionen des Fö<strong>der</strong>alismus<br />

und Republikanismus ni<strong>ch</strong>t von vornherein als Aufruf zur Revolution diskreditiert,<br />

ist deshalb gere<strong>ch</strong>tigkeitstheoretis<strong>ch</strong> geboten 168 .<br />

e) Ergebnisse<br />

Die Beispiele zeigen, daß si<strong>ch</strong> Kriterien für 'ri<strong>ch</strong>tiges Re<strong>ch</strong>t' aus Si<strong>ch</strong>t einer Diskurstheorie<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> allein daraus ableiten lassen, daß Verfassunggebung und<br />

Verfassungsän<strong>der</strong>ung als reale Diskurse verstanden werden.<br />

166 Zur faktis<strong>ch</strong>en Sperrwirkung am Beispiel <strong>der</strong> ers<strong>ch</strong>werten Än<strong>der</strong>ungsmodalitäten in Art. V, letzter<br />

Halbsatz U.S.-Verf. (»[N]o State, without its Consent, shall be deprived of its equal Suffrage in<br />

the Senate.«) vgl. B. Ackerman, We The People (1991), S. 15 mit Fn. 21: »This effort to entren<strong>ch</strong> Fe<strong>der</strong>alism<br />

caused all sorts of trouble in the aftermath of the Civil War.« Zu einer ni<strong>ch</strong>t bloß faktis<strong>ch</strong>en,<br />

son<strong>der</strong>n normativen Unabän<strong>der</strong>li<strong>ch</strong>keitsklausel vgl. ebd., S. 15 – Die Bestimmung des Artikels<br />

V, I Sec. 9 (1) <strong>der</strong> U.S.-Verfassung vom 17.9.1787 (»Provided that no Amendment whi<strong>ch</strong> may<br />

be made prior to the Year One thousand eight hundred and eight shall in any Manner affect the<br />

first and fourth Clauses in the Ninth Section of the first Article«; »The Migration or Importation of<br />

Su<strong>ch</strong> Persons as any of the States now existing shall think proper to admit, shall not be prohibited<br />

by the Congress prior to the Year one thousand eight hundred and eight, but a Tax or duty may<br />

be imposed on su<strong>ch</strong> Importation, not exceeding ten dollars for ea<strong>ch</strong> Person.«) habe die explizite<br />

Unabän<strong>der</strong>li<strong>ch</strong>keit <strong>der</strong> Sklaverei vor dem Jahr 1808 geregelt. Allerdings wäre eine sol<strong>ch</strong>e Festlegung<br />

na<strong>ch</strong> Ackermans Konzept <strong>der</strong> 'dualen Demokratie' als gere<strong>ch</strong>t einzustufen; vgl. oben S. 258<br />

(dualistis<strong>ch</strong>e Demokratie bei Ackerman).<br />

167 Kritis<strong>ch</strong> zur Einbeziehung H. Dreier, Grenzen demokratis<strong>ch</strong>er Freiheit im Verfassungsstaat (1994),<br />

S. 747 ff. – Problematik <strong>der</strong> Unantastbarkeitsgarantie.<br />

168 Vgl. B. Stückrath, Art. 146 GG: Verfassungsablösung zwis<strong>ch</strong>en Legalität und Legitimität (1997),<br />

S. 185 ff. – Legalität einer künftigen Verfassungsneus<strong>ch</strong>öpfung; ebd., S. 253 – die legale Aufhebung<br />

des deuts<strong>ch</strong>en Fö<strong>der</strong>alismus sei im Rahmen des Art. 146 mögli<strong>ch</strong>.<br />

344


3. Die parlamentaris<strong>ch</strong>e Gesetzgebung als realer Diskurs<br />

So, wie das Verfahren <strong>der</strong> Verfassunggebung innerhalb eines <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>srahmens<br />

aus unmittelbar begründeten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen angewendet wird, so verhält<br />

si<strong>ch</strong> die parlamentaris<strong>ch</strong>e Gesetzgebung innerhalb des konkreteren <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>srahmens<br />

<strong>der</strong> Verfassung 169 . Einerseits steigt dur<strong>ch</strong> ein öffentli<strong>ch</strong>es parlamentaris<strong>ch</strong>es<br />

Verfahren die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit, daß nur sol<strong>ch</strong>e Gesetze verabs<strong>ch</strong>iedet werden, die<br />

mit <strong>der</strong> Verfassung vereinbar sind (unvollkommen prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>). An<strong>der</strong>erseits<br />

expliziert die parlamentaris<strong>ch</strong>e Gesetzgebung quasi-reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

170 , indem sie unter unendli<strong>ch</strong> vielen verfassungsgemäßen Konkretisierungsmögli<strong>ch</strong>keiten<br />

eine definitive Wahl trifft 171 .<br />

Im Parlamentarismus gelten »Mindestvorgaben für einen rationalen Gesetzgebungsprozeß«<br />

172 , die eine Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Ergebnisses innerhalb <strong>der</strong> verfassungskräftig<br />

gesetzten Grenzen si<strong>ch</strong>erstellen sollen. Sol<strong>ch</strong>e Anwendungsbedingungen und<br />

Verfahrensregeln des Gesetzgebungsverfahrens sind, ohne daß das hier im einzelnen<br />

gezeigt werden müßte, den Umständen na<strong>ch</strong> angemessene Annäherungen an die regulative<br />

Idee eines Diskurses unter idealen Bedingungen 173 . Die resultierenden Gesetze<br />

sind prima facie genau dann gere<strong>ch</strong>t, wenn sie unter sol<strong>ch</strong>en Bedingungen zustandegekommen<br />

sind 174 . Die Ungere<strong>ch</strong>tigkeit eines Gesetzes kann man ni<strong>ch</strong>t damit<br />

begründen, daß eine an<strong>der</strong>e Regelung 'sinnvoller' gewesen wäre, son<strong>der</strong>n nur no<strong>ch</strong><br />

damit, daß entwe<strong>der</strong> <strong>der</strong> materielle Rahmen des gere<strong>ch</strong>ten Legislativberei<strong>ch</strong>s verlassen<br />

(z.B. dur<strong>ch</strong> Verletzung von Freiheitsre<strong>ch</strong>ten) o<strong>der</strong> eine wesentli<strong>ch</strong>e Verfahrensregel<br />

des parlamentaris<strong>ch</strong>en Prozesses ni<strong>ch</strong>t eingehalten wurde. Gerade mit Blick auf<br />

diese zweite Wi<strong>der</strong>legungsmögli<strong>ch</strong>keit ist es aus Si<strong>ch</strong>t prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

problematis<strong>ch</strong>, wenn eine Verfassungsjudikatur bei Verfahrensfehlern nur<br />

einges<strong>ch</strong>ränkt die Konsequenz zieht, daß die resultierenden Gesetze ni<strong>ch</strong>tig sind 175 .<br />

Das gilt jedenfalls für sol<strong>ch</strong>e Verfahrensfehler, die die Diskursivität und Öffent-<br />

169 Vgl. J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 31, S. 195 ff. – Stufen zunehmen<strong>der</strong> Konkretisierung.<br />

170 J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 31, S. 195 ff. (201); dazu oben S. 128 (quasi-reine prozedurale<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

171 Vgl. M. Böhm, Der Normmens<strong>ch</strong> (1996), S. 180 ff. (181) – zwei unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Verfahrensfunktionen:<br />

Verfahren »im Dienste« (z.B. prozeduraler Grundre<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utz) und »anstelle« einer Konkretisierung<br />

des materiellen Re<strong>ch</strong>ts (z.B. prozedurale Grenzwertfindung).<br />

172 B.-O. Bryde, Geheimgesetzgebung (1998), S. 116.<br />

173 Vgl. oben S. 221 (T Dr ); J.P. Müller, Demokratis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1993), S. 161: »Parlamente sind<br />

<strong>der</strong> Idee na<strong>ch</strong> in den gegenwärtigen Demokratien Diskursforen par excellence.« Skeptis<strong>ch</strong>er<br />

H. S<strong>ch</strong>ulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentaris<strong>ch</strong>er Gesetzgebung (1988), S. 252 – partieller<br />

Diskurs<strong>ch</strong>arakter des Gesetzgebungsverfahrens, S. 399 – an diskursive Diskussion sei unter Zeitdruck<br />

ni<strong>ch</strong>t mehr zu denken.<br />

174 Vgl. J. Habermas, Faktizität und Geltung (1994), S. 662: »[D]as demokratis<strong>ch</strong>e Verfahren ... begründet<br />

... die fallibilistis<strong>ch</strong>e Vermutung, daß verfahrensgere<strong>ch</strong>t zustandegekommene Resultate ... vernünftig<br />

sind.«<br />

175 So in <strong>der</strong> deuts<strong>ch</strong>en Verfassungsre<strong>ch</strong>tsjudikatur das Bundesverfassungsgeri<strong>ch</strong>t, das die Ni<strong>ch</strong>tigkeitsfolge<br />

bei Verfahrensfehlern bes<strong>ch</strong>ränkt: BVerfGE 34, 9 (25) – Besoldungsvereinheitli<strong>ch</strong>ung;<br />

91, 148 (175) – Umlaufverfahren: »Während bei inhaltli<strong>ch</strong>en Fehlern die Ni<strong>ch</strong>tigkeit die regelmäßige<br />

Folge des Verfassungsverstoßes bildet, führt ein Verfahrensfehler nur dann zur Ni<strong>ch</strong>tigkei[t]<br />

<strong>der</strong> Norm, wenn er evident ist. Das gebietet die Rücksi<strong>ch</strong>t auf die Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit.« Kritis<strong>ch</strong> dazu<br />

B.-O. Bryde, Geheimgesetzgebung (1998), S. 119 f.; aus politikwissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong><br />

H.-J. Mengel, Gesetzgebung und Verfahren (1997), S. 345 ff., 381 ff.<br />

345


li<strong>ch</strong>keit des parlamentaris<strong>ch</strong>en Gesetzgebungsverfahrens beeinträ<strong>ch</strong>tigen, indem sie<br />

Verfahrensstationen o<strong>der</strong> Mitwirkungsre<strong>ch</strong>te entfallen lassen 176 .<br />

Die eigentli<strong>ch</strong>en Ri<strong>ch</strong>tigkeitsgarantien des Gesetzgebungsverfahrens liegen allerdings<br />

ni<strong>ch</strong>t innerhalb <strong>der</strong> Institution 'Parlament', son<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> diskursiven Kontrolle<br />

dur<strong>ch</strong> eine kritis<strong>ch</strong>e Öffentli<strong>ch</strong>keit 177 . Darauf wird im Rahmen <strong>der</strong> deliberativen<br />

Politik zurückzukommen sein 178 .<br />

4. Die Verwaltungs- und Geri<strong>ch</strong>tsverfahren als reale Diskurse<br />

Die Regeln des Verwaltungsverfahrens erhöhen bei Ents<strong>ch</strong>eidungen <strong>der</strong> gebundenen<br />

Verwaltung die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit <strong>der</strong> korrekten Re<strong>ch</strong>tsanwendung (unvollkommen<br />

prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 179 ) und legen im Berei<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Ermessensverwaltung die Anwendungsbedingungen<br />

und Verfahrensregeln fest, unter denen eine Ents<strong>ch</strong>eidung<br />

prima facie gere<strong>ch</strong>t ist (quasi-reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>). Bei den Geri<strong>ch</strong>tsverfahren<br />

steht <strong>der</strong> erste Aspekt (korrekte Re<strong>ch</strong>tsanwendung, unvollkommen prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>)<br />

im Vor<strong>der</strong>grund. Jedenfalls im Rahmen einer anerkannten ri<strong>ch</strong>terre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en<br />

Re<strong>ch</strong>tsfortbildung tritt aber ein gewisser Spielraum des Ri<strong>ch</strong>ters hinzu 180 . Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

in diesem Berei<strong>ch</strong> wird wie<strong>der</strong>um dur<strong>ch</strong> Anwendungsbedingungen und<br />

Verfahrensregeln si<strong>ch</strong>ergestellt, die vor allem die Unparteili<strong>ch</strong>keit des Ri<strong>ch</strong>ters garantieren<br />

sollen (quasi-reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>). Der Ri<strong>ch</strong>ter wird dur<strong>ch</strong> das<br />

Konzept <strong>der</strong> Unparteili<strong>ch</strong>keit zu einem Garanten <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit (Diskursideal <strong>der</strong><br />

Fähigkeit und Bereits<strong>ch</strong>aft zum Rollentaus<strong>ch</strong> 181 ). Seine Verfahrensposition führt unter<br />

an<strong>der</strong>em dazu, daß er als Repräsentant für das ganze System von Re<strong>ch</strong>ten im<br />

Re<strong>ch</strong>tsstreit auftritt, so wie es idealiter von den als Urheber des Re<strong>ch</strong>ts geltenden Bügern<br />

im Einzelfall interpretiert würde 182 . Regeln über die Tatsa<strong>ch</strong>enermittlung nä-<br />

176 B.-O. Bryde, Geheimgesetzgebung (1998), S. 120.<br />

177 Vgl. J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 369: »Die deliberative Politik gewinnt ihre legitimierende<br />

Kraft aus <strong>der</strong> diskursiven Struktur einer Meinungs- und Willensbildung, die ihre sozialintegrative<br />

Funktion nur dank <strong>der</strong> Erwartung einer vernünftigen Qualität ihrer Ergebnisse erfüllen<br />

kann. Deshalb bildet das diskursive Niveau <strong>der</strong> öffentli<strong>ch</strong>en Debatten die wi<strong>ch</strong>tigste Variable.«<br />

(Hervorhebung bei Habermas).<br />

178 Dazu unten S. 353 ff. (deliberative Politik).<br />

179 Vgl. F. Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren (1998), Rn. 586 ff. – Relativierung <strong>der</strong> Fehlerfolgen<br />

wegen <strong>der</strong> dienenden Funktion des Verfahrens. Zur dienenden Rolle des Verfahrens au<strong>ch</strong><br />

J. Pietzcker, Das Verwaltungsverfahren zwis<strong>ch</strong>en Verwaltungseffizienz und Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utzauftrag<br />

(1983), S. 222; R. Pits<strong>ch</strong>as, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren (1990), S. 160 ff.<br />

– relative Ri<strong>ch</strong>tigkeitsgewähr.<br />

180 Die re<strong>ch</strong>tsdogmatis<strong>ch</strong>en Details sind häufig umstritten. Vgl. etwa die lange Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

über die Theorie <strong>der</strong> Punktstrafe, na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> je<strong>der</strong> einzelnen Tats<strong>ch</strong>uld eine bestimmte<br />

(gere<strong>ch</strong>te) Strafgröße entspri<strong>ch</strong>t: R. v. Laun, Das freie Ermessen und seine Grenzen (1910),<br />

S. 57 ff., 259; E. S<strong>ch</strong>midt, Probleme staatli<strong>ch</strong>en Strafens in <strong>der</strong> Gegenwart (1946), S. 209; E. Dreher,<br />

Über die gere<strong>ch</strong>te Strafe (1947), S. 56 ff. (62 ff.); W. Fris<strong>ch</strong>, Revisionsre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Probleme <strong>der</strong> Strafzumessung<br />

(1971), S. 67 ff. (84 ff.); H.-J. Bruns, Über Strafrahmen (1978), S. 162 ff.; <strong>der</strong>s., Der »Bestimmtheitsgrad«<br />

<strong>der</strong> Punktstrafe im Strafzumessungsre<strong>ch</strong>t (1979), S. 291 f.; <strong>der</strong>s., Das Re<strong>ch</strong>t <strong>der</strong><br />

Strafzumessung (1985), S. 63 ff., 105 ff.<br />

181 Vgl. R. Alexy, Probleme <strong>der</strong> Diskurstheorie (1989), S. 113; dazu oben S. 218 (D Di ).<br />

182 K.-H. Ladeur, Re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Ordnungsbildung unter Ungewißheitsbedingungen und intersubjektive<br />

Rationalität (1996), S. 407.<br />

346


hern das Verfahren so weit, wie na<strong>ch</strong> den Umständen angemessen, dem Diskursideal<br />

<strong>der</strong> vollkommenen empiris<strong>ch</strong>en Informiertheit an 183 . Au<strong>ch</strong> die Auslegung hat den<br />

Charakter eines Diskurses 184 . An <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeitsorientierung des Geri<strong>ch</strong>tsverfahrens<br />

än<strong>der</strong>t au<strong>ch</strong> die strategis<strong>ch</strong>e Interaktion <strong>der</strong> Parteien ni<strong>ch</strong>ts, da si<strong>ch</strong> <strong>der</strong>en Aktivität<br />

gegenseitig kompensiert und letztli<strong>ch</strong> im Interesse einer ri<strong>ch</strong>tigen Ents<strong>ch</strong>eidung<br />

vom Verfahren instrumentalisiert wird.<br />

Gerade für das Strafverfahren gibt es eine Reihe ri<strong>ch</strong>tigkeitsverbürgen<strong>der</strong> Verfahrensregeln,<br />

die häufig sogar in den Rang von Verfassungsnormen gehoben werden.<br />

Sie alle haben entwe<strong>der</strong> unmittelbar das Ziel, im Strafverfahren si<strong>ch</strong>erzustellen, daß<br />

nur s<strong>ch</strong>uldige Straftäter verurteilt werden (Uns<strong>ch</strong>uldsvermutung, Verbot <strong>der</strong> Doppelbestrafung,<br />

Anspru<strong>ch</strong> auf Verteidigung), o<strong>der</strong> sie wirken im Verfahren auf die<br />

Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Ergebnisses hin, indem sie <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit dienen (Analogieverbot,<br />

nulla poena sine lege-Grundsatz). Generell gilt, daß die Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit als ein<br />

Kriterium für die Ri<strong>ch</strong>tigkeit angesehen werden muß und zu dem hier verfolgten<br />

weiten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff keinen Gegensatz bildet 185 . S<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> gibt es no<strong>ch</strong> Regeln,<br />

die die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Verfahrens selbst betreffen (Beweisverwertungsverbote,<br />

Zeugnisverweigerungsre<strong>ch</strong>te).<br />

5. Ergebnisse<br />

Juristis<strong>ch</strong>e Verfahren lassen si<strong>ch</strong> sinnvoll als reale Diskurse begreifen. Anwendungsbedingungen<br />

und Verfahrensregeln können dann so formuliert werden, daß sie <strong>der</strong><br />

regulativen Idee eines Diskurses unter idealen Bedingungen folgen. Eine Diskurstheorie<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ermögli<strong>ch</strong>t dadur<strong>ch</strong> eine weitergehende, konkretisierende<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung jenseits <strong>der</strong> unmittelbar begründeten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

('<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>srahmen'). Sie wird so zu einer Basistheorie des demokratis<strong>ch</strong>en<br />

Verfassungsstaates.<br />

III. Zur Diskursivität <strong>der</strong> Politik<br />

1. Zum Begriff <strong>der</strong> Politik<br />

Der Begriff <strong>der</strong> Politik ist umstritten 186 und findet si<strong>ch</strong>, statt selbst definiert zu werden,<br />

meist nur als Gegenbegriff zu an<strong>der</strong>en, etwa 'Wirts<strong>ch</strong>aft', 'Moral' o<strong>der</strong> 'Re<strong>ch</strong>t' 187 .<br />

Unter den bisherigen Ansätzen zu einer Begriffsbestimmung definiert S<strong>ch</strong>umpeter als<br />

'Politik' »die Methode, die ein Volk verwendet, um zu Ents<strong>ch</strong>eidungen zu gelan-<br />

183 Vgl. oben S. 218 (T Dr ).<br />

184 So ausdrückli<strong>ch</strong> BVerfGE 82, 30 (38 f.): »Die Auslegung insbeson<strong>der</strong>e des Verfassungsre<strong>ch</strong>ts hat<br />

den Charakter eines Diskurses, in dem au<strong>ch</strong> bei methodis<strong>ch</strong> einwandfreier Arbeit ni<strong>ch</strong>t absolut<br />

ri<strong>ch</strong>tige, unter Fa<strong>ch</strong>kundigen ni<strong>ch</strong>t bezweifelbare Aussagen dargeboten werden, son<strong>der</strong>n Gründe<br />

geltend gema<strong>ch</strong>t, an<strong>der</strong>e Gründe dagegengestellt werden und s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> die besseren Gründe<br />

den Auss<strong>ch</strong>lag geben sollen.«<br />

185 Vgl. demgegenüber oben S. 63 (engere <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffe, insbeson<strong>der</strong>e bei Radbru<strong>ch</strong>).<br />

186 Vgl. G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre (1966), S. 13 mit Na<strong>ch</strong>weisen zur älteren Literatur.<br />

187 C. S<strong>ch</strong>mitt, Der Begriff des Politis<strong>ch</strong>en (1932), S. 7, 53 ff.<br />

347


gen.« 188 Weinberger hat jüngst allgemeiner formuliert: »Politik ist sozial relevantes<br />

Handeln.« 189 Hier kann und muß <strong>der</strong> Begriffsstreit über diese und an<strong>der</strong>e, kompliziertere<br />

Definitionen 190 ni<strong>ch</strong>t geführt werden. Statt dessen sollen ledigli<strong>ch</strong> die unumstrittenen<br />

Gehalte <strong>der</strong> Politik auf ihren strategis<strong>ch</strong>en und ni<strong>ch</strong>tstrategis<strong>ch</strong>en Charakter<br />

hin untersu<strong>ch</strong>t werden, um ans<strong>ch</strong>ließend die These zu begründen, daß die Konzeption<br />

deliberativer Politik, wie Habermas sie entwickelt hat, an Plausibilität gewinnen<br />

kann, wenn man sie als eine Theorie <strong>der</strong> realen Diskurse in <strong>der</strong> Politik formuliert<br />

und insofern die Son<strong>der</strong>fallthese vom Re<strong>ch</strong>t auf die ni<strong>ch</strong>tstrategis<strong>ch</strong>e Politik<br />

ausdehnt.<br />

a) Der strategis<strong>ch</strong>e Charakter <strong>der</strong> Politik<br />

Politik ist in erster Linie strategis<strong>ch</strong> 191 . Als 'strategis<strong>ch</strong>' bezei<strong>ch</strong>net man jedes Handeln,<br />

mit dem ein Handeln<strong>der</strong> ein Ziel verfolgt und dabei die Ents<strong>ch</strong>eidungen mindestens<br />

eines weiteren zielgeri<strong>ch</strong>tet Handelnden in das Erfolgskalkül einbezieht 192 .<br />

In <strong>der</strong> Politik wollen die Beteiligten individuelle o<strong>der</strong> kollektive Ziele verwirkli<strong>ch</strong>en.<br />

Sie vereinigen si<strong>ch</strong> dazu auf <strong>der</strong> Grundlage von Wahlplattformen o<strong>der</strong> Programmen,<br />

gehen Allianzen ein, bilden Koalitionen, bekämpfen politis<strong>ch</strong>e Gegner; dies alles sind<br />

strategis<strong>ch</strong>e Handlungsweisen.<br />

Das strategis<strong>ch</strong>e Politikverständnis spiegelt si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> im Parteibegriff wi<strong>der</strong>.<br />

Während im klassis<strong>ch</strong>en Verständnis die Partei no<strong>ch</strong> eine Mens<strong>ch</strong>engruppe war, <strong>der</strong>en<br />

Mitglie<strong>der</strong> aufgrund eines gemeinsam als ri<strong>ch</strong>tig erkannten Prinzips das Gemeinwohl<br />

fö<strong>der</strong>n wollen, also ni<strong>ch</strong>t allein eigennützige Gruppenziele verfolgen, legt die<br />

neuere Politikwissens<strong>ch</strong>aft das strategis<strong>ch</strong>e Interesse hinter dem Parteihandeln offen:<br />

»Eine Partei ist eine Gruppe, <strong>der</strong>en Mitglie<strong>der</strong> willens sind, im Konkurrenzkampf<br />

um die politis<strong>ch</strong>e Ma<strong>ch</strong>t in Übereinstimmung miteinan<strong>der</strong> zu handeln.« 193 No<strong>ch</strong> früher<br />

als beim Parteibegriff findet si<strong>ch</strong> dieses strategis<strong>ch</strong>e Verständnis von Politik im<br />

188 J.A. S<strong>ch</strong>umpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie (1942), S. 386.<br />

189 O. Weinberger, Zur Theorie <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Argumentation (1995), S. 164.<br />

190 Mehrdimensional (national/international, instrumentell/als Selbstzweck) etwa die Begriffsbestimmung<br />

bei M. Weber, Wirts<strong>ch</strong>aft und Gesells<strong>ch</strong>aft (1976), Bd. II, S. 822: »'Politik' würde für uns<br />

also heißen: Streben na<strong>ch</strong> Ma<strong>ch</strong>tanteil o<strong>der</strong> na<strong>ch</strong> Beeinflussung <strong>der</strong> Ma<strong>ch</strong>tverteilung, sei es zwis<strong>ch</strong>en<br />

Staaten, sei es innerhalb eines Staates zwis<strong>ch</strong>en den Mens<strong>ch</strong>engruppen, die er ums<strong>ch</strong>ließt.<br />

... Wer Politik treibt, erstrebt Ma<strong>ch</strong>t: Ma<strong>ch</strong>t entwe<strong>der</strong> als Mittel im Dienst an<strong>der</strong>er Ziele – idealer<br />

o<strong>der</strong> egoistis<strong>ch</strong>er –, o<strong>der</strong> Ma<strong>ch</strong>t 'um ihrer selbst willen': um das Prestigegefühl, das sie gibt, zu<br />

genießen.«<br />

191 Um diese Feststellung zu treffen, muß man keineswegs so weit gehen wie Carl S<strong>ch</strong>mitt, <strong>der</strong> von einer<br />

»allem politis<strong>ch</strong>en Verhalten immanenten Freund-Feindunters<strong>ch</strong>eidung« spri<strong>ch</strong>t und dann<br />

postuliert: »zum Begriff des Feindes gehört die im Berei<strong>ch</strong> des Realen liegende Eventualität eines<br />

Kampfes«, um ans<strong>ch</strong>ließend den Krieg als normales Mittel <strong>der</strong> Politik und Charakteristikum des<br />

Staates anzusehen: C. S<strong>ch</strong>mitt, Der Begriff des Politis<strong>ch</strong>en (1932), S. 19 ff., 33 f. Beispielhaft für ein<br />

rein strategis<strong>ch</strong>es Politikverständnis ist dessen These (S. 25): »Das Politis<strong>ch</strong>e liegt ... in <strong>der</strong> klaren<br />

Erkenntnis <strong>der</strong> eigenen ... Situation und in <strong>der</strong> Aufgabe, Freund und Feind ri<strong>ch</strong>tig zu unters<strong>ch</strong>eiden.«<br />

Zur Kritik ausführli<strong>ch</strong> H. S<strong>ch</strong>ulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentaris<strong>ch</strong>er Gesetzgebung<br />

(1988), S. 376 m.w.N.<br />

192 J. Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 1 (1981), S. 127; dazu oben S. 232 (arguing<br />

vs. bargaining).<br />

193 J.A. S<strong>ch</strong>umpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie (1942), S. 449 f.<br />

348


Parallelbegriff <strong>der</strong> Fraktion verkörpert 194 . Die 'mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Natur in <strong>der</strong> Politik' begründet<br />

die latente Gefahr, daß die öffentli<strong>ch</strong>e Meinung ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> rationale Kritik,<br />

son<strong>der</strong>n dur<strong>ch</strong> Gruppen bestimmt wird, die Privatinteressen verfolgen 195 . Überhaupt<br />

kann das Ergebnis des politis<strong>ch</strong>en Prozesses, die öffentli<strong>ch</strong>e Meinung, dur<strong>ch</strong>aus<br />

zu Stimmungsbil<strong>der</strong>n führen, die irrationales Handeln tragen, etwa die Ä<strong>ch</strong>tung<br />

religiöser Dissidenten o<strong>der</strong> die Hexenverfolgung 196 .<br />

b) Der ni<strong>ch</strong>tstrategis<strong>ch</strong>e Charakter <strong>der</strong> Politik<br />

»Der gesamte politis<strong>ch</strong>e Tageskampf stellt si<strong>ch</strong> als eine endlose Diskussion über<br />

die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> dar.« 197 Man muß ni<strong>ch</strong>t so weit gehen wie Radbru<strong>ch</strong> und kann do<strong>ch</strong><br />

einen ni<strong>ch</strong>tstrategis<strong>ch</strong>en Charakter <strong>der</strong> Politik überall dort aufzeigen, wo argumentiert<br />

wird 198 . Als Situationen politis<strong>ch</strong>er Argumentation können mit Weinberger mindestens<br />

die Erstellung politis<strong>ch</strong>er Programme, die Überzeugung von Wählern und<br />

die Begegnung mit An<strong>der</strong>sdenkenden angeführt werden 199 . Hier seien nur die ersten<br />

beiden Beispiele verfolgt, weil das dritte bezügli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung von strategis<strong>ch</strong>en<br />

und ni<strong>ch</strong>tstrategis<strong>ch</strong>en Gehalten zumindest ambivalent ist. Bei Programmerstellung<br />

und Wählerüberzeugung gilt indes, daß sie dur<strong>ch</strong> politis<strong>ch</strong>e Argumentation<br />

bei relativer Unbestimmtheit <strong>der</strong> Ziele gekennzei<strong>ch</strong>net und ni<strong>ch</strong>t wie politis<strong>ch</strong>e Propaganda<br />

ergebnisorientiert auf die Bewirkung bestimmter Überzeugungen geri<strong>ch</strong>tet<br />

ist 200 . Zwar ist au<strong>ch</strong> die Überzeugung wi<strong>ch</strong>tig, gewissermaßen als Instrument <strong>der</strong><br />

Meinungs- und Willensbildung. Do<strong>ch</strong> ein Politikverständnis, das si<strong>ch</strong> allein auf den<br />

strategis<strong>ch</strong>en Gehalt <strong>der</strong> Politik bes<strong>ch</strong>ränkt 201 , ist unvollständig. Das zeigt si<strong>ch</strong> beispielsweise,<br />

wenn eine Partei öffentli<strong>ch</strong> als 'Partei <strong>der</strong> Besserverdienenden' auftritt.<br />

Sie gibt damit den Anspru<strong>ch</strong> auf, Ziele zu vertreten, die ri<strong>ch</strong>tig für alle sind. Was ist<br />

daran fals<strong>ch</strong>? Warum muß mit dem Auftreten einer Partei immer <strong>der</strong> Anspru<strong>ch</strong> verbunden<br />

sein, universelle Ri<strong>ch</strong>tigkeit zu verfolgen? Wäre die Partei keine Partei, son<strong>der</strong>n<br />

eine Lobbygruppe, etwa <strong>der</strong> Berufsverband <strong>der</strong> Apotheker, dann würde niemand<br />

Kritik daran üben, wenn si<strong>ch</strong> die Ziele <strong>der</strong> Vereinigung auf die Dur<strong>ch</strong>setzung<br />

194 Vgl. J. Madison, Fe<strong>der</strong>alist No. 10 (1787), S. 57: »By a faction I un<strong>der</strong>stand a number of citizens,<br />

whether amounting to a majority or minority of the whole, who are united and actuated by some<br />

common impulse of passion, or of interest, adverse to the rights of other citizens, or to the permanent<br />

and aggregate interests of the community.«<br />

195 So die ni<strong>ch</strong>tidealistis<strong>ch</strong>e Politikanalyse bei J.A. S<strong>ch</strong>umpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie<br />

(1942), S. 417 f.<br />

196 Beispiele bei J.A. S<strong>ch</strong>umpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie (1942), S. 381 ff.<br />

197 G. Radbru<strong>ch</strong>, Re<strong>ch</strong>tsphilosophie (1973), S. 165.<br />

198 Vgl. O. Weinberger, Zur Theorie <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Argumentation (1995), S. 165 f. – Die dort angeführten<br />

Beispiele (Perelmans universelles Auditorium, Habermas' Diskurstheorie, Gadamers Hermeneutik)<br />

betreffen allesamt ein argumentierendes Verstehen.<br />

199 O. Weinberger, Zur Theorie <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Argumentation (1995), S. 173.<br />

200 O. Weinberger, Zur Theorie <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Argumentation (1995), S. 175; allerdings im Ergebnis<br />

an<strong>der</strong>s als hier: ebd., S. 181 – die politis<strong>ch</strong>e Argumentationstheorie liege »an <strong>der</strong> Grenze« zwis<strong>ch</strong>en<br />

Begründungstheorie und <strong>der</strong> Pragmatik interpersonalen Überzeugens. Vgl. au<strong>ch</strong> J.S. Fishkin,<br />

The Voice of the People (1995), S. 154 f. – Übergang von <strong>der</strong> Partei- zur Massenzeitung.<br />

201 So offenbar H. S<strong>ch</strong>ulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentaris<strong>ch</strong>er Gesetzgebung (1988), S. 246<br />

ff., 300 – Entgegensetzung von Politik und Diskurs; an<strong>der</strong>erseits aber <strong>der</strong>s., ebd., S. 378: Gesetze<br />

als »rationale Domestizierung« von Politik.<br />

349


von Apothekerinteressen bes<strong>ch</strong>ränkten. Do<strong>ch</strong> eine Partei ist keine s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>te Interessenvertretung,<br />

son<strong>der</strong>n beanspru<strong>ch</strong>t die Mitwirkung an <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsetzung. Re<strong>ch</strong>t<br />

aber verlangt na<strong>ch</strong> universeller Ri<strong>ch</strong>tigkeit. Deshalb kann <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>e Diskurs als<br />

Son<strong>der</strong>fall des allgemeinen praktis<strong>ch</strong>en Diskurses angesehen werden 202 . Man kann<br />

folgli<strong>ch</strong> sagen, daß <strong>der</strong> Anspru<strong>ch</strong> des Re<strong>ch</strong>ts, ri<strong>ch</strong>tig und damit gere<strong>ch</strong>t zu sein 203 ,<br />

Vorwirkungen au<strong>ch</strong> in bestimmten Berei<strong>ch</strong>en <strong>der</strong> Politik haben muß. Deshalb darf<br />

si<strong>ch</strong> Politik ni<strong>ch</strong>t in strategis<strong>ch</strong>em Handeln ers<strong>ch</strong>öpfen, etwa dadur<strong>ch</strong>, daß sie auf eine<br />

bloß emotive Wirkung reklamehafter Wie<strong>der</strong>holungen setzt, Begründungen auf<br />

Täus<strong>ch</strong>ung aufbaut und öffentli<strong>ch</strong> Gründe anführt, die si<strong>ch</strong> von den wirkli<strong>ch</strong>en<br />

Gründen wesentli<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>eiden 204 . Erst die ni<strong>ch</strong>tstrategis<strong>ch</strong>e Begründung, in <strong>der</strong><br />

kritis<strong>ch</strong>e Reflexionen zur Geltung kommen, vervollständigt das politis<strong>ch</strong>e Handeln<br />

zur politis<strong>ch</strong>en Argumentation 205 . Dieser Befund wird gestützt dur<strong>ch</strong> die These, daß<br />

rationalistis<strong>ch</strong>e, nur an Klugheitserwägungen orientierte Staatsbürger »unter einer<br />

empiristis<strong>ch</strong>en Selbstbes<strong>ch</strong>reibung ihrer Praktiken keine hinrei<strong>ch</strong>enden Gründe für<br />

die Einhaltung demokratis<strong>ch</strong>er Spielregeln« haben könnten 206 .<br />

2. Eine erweiterte Son<strong>der</strong>fallthese (S RP )<br />

Diejenige Politik, die auf Re<strong>ch</strong>tsetzung bezogen ist, kann 'Re<strong>ch</strong>tspolitik' genannt werden<br />

207 . Re<strong>ch</strong>tspolitik in diesem weiten Sinne ist ein Platzhalter für ni<strong>ch</strong>tstrategis<strong>ch</strong>e<br />

Politik. Dadur<strong>ch</strong> soll deutli<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>t werden, daß politis<strong>ch</strong>es Handeln jedenfalls<br />

dann als ri<strong>ch</strong>tig begründet werden muß, wenn das Ziel dieses Handelns in <strong>der</strong> Setzung<br />

von Re<strong>ch</strong>t besteht. Der Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Handelns kann man si<strong>ch</strong> allein im Diskurs<br />

vergewissern 208 . Demgemäß kann eine Erweiterung <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>fallthese formuliert<br />

werden:<br />

S RP :<br />

Der re<strong>ch</strong>tspolitis<strong>ch</strong>e Diskurs ist neben dem juristis<strong>ch</strong>en<br />

Diskurs ein weiterer Son<strong>der</strong>fall des allgemeinen praktis<strong>ch</strong>en<br />

Diskurses.<br />

Die Anwendungsbedingungen und Verfahrensregeln eines realen re<strong>ch</strong>tspolitis<strong>ch</strong>en<br />

Diskurses müssen folgli<strong>ch</strong> so weit, wie na<strong>ch</strong> den Umständen angemessen, <strong>der</strong> regulativen<br />

Idee eines Diskurses unter idealen Bedingungen angegli<strong>ch</strong>en werden 209 .<br />

Dieser weitgehenden Folgerung ist entgegengehalten worden, daß es eine 'diskursphilosophis<strong>ch</strong>e<br />

Täus<strong>ch</strong>ung' sei, wenn man annähme, kollektive Diskurse könnten<br />

Rationalität begründen 210 . Die außerrationalen Elemente, etwa das Charisma von<br />

202 Dazu oben S. 339 (Son<strong>der</strong>fallthese, Alexy).<br />

203 Vgl. oben S. 37 (notwendiger Anspru<strong>ch</strong> des Re<strong>ch</strong>ts auf Ri<strong>ch</strong>tigkeit).<br />

204 O. Weinberger, Über die Kultur <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Argumentation (1994), S. 152.<br />

205 O. Weinberger, Über die Kultur <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Argumentation (1994), S. 154.<br />

206 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 358.<br />

207 Dazu soglei<strong>ch</strong> S. 353 ff. (deliberative Politik und Re<strong>ch</strong>tspolitik).<br />

208 Dazu oben S. 250 (T R ).<br />

209 Vgl. oben S. 221 (T Dr ).<br />

210 O. Weinberger, Über die Kultur <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Argumentation (1994), S. 155; ähnli<strong>ch</strong> bereits<br />

A. Kaufmann, <strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1989), S. 18: »Selbsttäus<strong>ch</strong>ung«.<br />

350


politis<strong>ch</strong>en Führern und Meinungsbildnern, seien so einflußrei<strong>ch</strong>, daß die politis<strong>ch</strong>en<br />

Überzeugungen ni<strong>ch</strong>t mehr als Ergebnis vernunftmäßiger Argumentation angesehen<br />

werden könnten 211 . Das mag als Analyse <strong>der</strong> realen Umstände zutreffen. Do<strong>ch</strong><br />

selbst wenn man <strong>der</strong>artige Einflüsse in vollem Umfang zugesteht, än<strong>der</strong>t das ni<strong>ch</strong>ts<br />

an <strong>der</strong> Orientierung <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tspolitik am idealen Diskurs – eine Orientierung, die<br />

unauswei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ist, wenn argumentiert wird. Um si<strong>ch</strong> von dieser Orientierung ganz<br />

zu lösen, müßte Politik auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> auf argumentationslose Handlungsweisen reduziert<br />

werden – etwa auf Verhandlungen unter dem Aspekt <strong>der</strong> individuellen o<strong>der</strong><br />

partikulären Nutzenmaximierung, auf Gewalt, Aufmärs<strong>ch</strong>e o<strong>der</strong> Sportfeste. Das<br />

aber ist bei <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tspolitik erkennbar ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Fall; sie su<strong>ch</strong>t Legitimation in <strong>der</strong><br />

Argumentation und muß si<strong>ch</strong> deshalb an <strong>der</strong> regulativen Idee eines idealen Diskurses<br />

orientieren. Nur dadur<strong>ch</strong>, daß die Anwendungsbedingungen und Verfahrensregeln<br />

realer Diskurse – so unvollkommen das im Einzelfall au<strong>ch</strong> sein mag – si<strong>ch</strong> Diskursidealen<br />

annähern, kann die Ri<strong>ch</strong>tigkeit <strong>der</strong> Ergebnisse wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>er werden<br />

(unvollkommen prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>) o<strong>der</strong> innerhalb eines materiellen Rahmens als<br />

definitiv gelten (quasi-reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

3. Der Wahlkampf als realer Diskurs<br />

Neben dem parlamentaris<strong>ch</strong>en Gesetzgebungsprozeß muß na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> erweiterten<br />

Son<strong>der</strong>fallthese 212 au<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Wahlkampf als realer Diskurs verstanden werden, denn<br />

diese beiden Berei<strong>ch</strong>e bilden zusammen den Kern <strong>der</strong> 'Re<strong>ch</strong>tspolitik', <strong>der</strong> von Habermas<br />

als 'legislative Politik' bezei<strong>ch</strong>net wird 213 .<br />

Wahlen, also Abstimmungen über Personalents<strong>ch</strong>eidungen, ri<strong>ch</strong>ten si<strong>ch</strong> im demokratis<strong>ch</strong>en<br />

Verfassungsstaat na<strong>ch</strong> den Wahlre<strong>ch</strong>tsgrundsätzen 214 . Sind diese eingehalten,<br />

so ist die Wahlents<strong>ch</strong>eidung qua definitionem gere<strong>ch</strong>t – jedenfalls prima facie,<br />

denn es könnte si<strong>ch</strong> ausnahmsweise herausstellen, daß eine 'gewählte' Person unwählbar<br />

war, die Wahlents<strong>ch</strong>eidung si<strong>ch</strong> also inhaltli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t im zulässigen Berei<strong>ch</strong><br />

bewegte. Abgesehen von sol<strong>ch</strong>en Fehlermögli<strong>ch</strong>keiten kann niemand die Wahl mit<br />

dem Argument für unri<strong>ch</strong>tig o<strong>der</strong> ungere<strong>ch</strong>t erklären, daß die Wahlbere<strong>ch</strong>tigten<br />

'fals<strong>ch</strong>' gewählt hätten. Der Wahlakt ist das einzige Kriterium für die Ri<strong>ch</strong>tigkeit und<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> des Ergebnisses (quasi-reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

Der Wahlakt selbst, also die Abstimmung an <strong>der</strong> Urne, ist kein realer Diskurs. Ein<br />

realer Diskurs und Teil <strong>der</strong> deliberativen Politik ist aber die Wahl in einem weiteren<br />

Sinne, also die Veranstaltung 'Wahlkampf'. Insoweit besteht dasselbe Verhältnis wie<br />

zwis<strong>ch</strong>en <strong>der</strong> Abstimmung im Parlament (Mehrheitsents<strong>ch</strong>eidung; kein realer Diskurs)<br />

und dem Verfahren <strong>der</strong> parlamentaris<strong>ch</strong>en Gesetzgebung insgesamt (realer<br />

Diskurs). Der Wahlkampf ist ri<strong>ch</strong>tigkeitsorientiert. Das zeigt si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on daran, daß<br />

211 O. Weinberger, Über die Kultur <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Argumentation (1994), S. 155.<br />

212 Dazu oben S. 350 (S RP ).<br />

213 'Re<strong>ch</strong>tspolitik' findet außerdem unter Re<strong>ch</strong>tsdogmatikern statt, wenn etwa formale Qualitäten<br />

o<strong>der</strong> die systematis<strong>ch</strong>e Konsistenz von Gesetzen untersu<strong>ch</strong>t werden. Sol<strong>ch</strong>e Berei<strong>ch</strong>e <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tspolitik<br />

werden hier ni<strong>ch</strong>t weiter untersu<strong>ch</strong>t. Sie unterliegen als juristis<strong>ch</strong>e Diskurse ohne weiteres<br />

<strong>der</strong> Son<strong>der</strong>fallthese.<br />

214 Zur unmittelbaren Begründung <strong>der</strong> Wahlre<strong>ch</strong>tsgrundsätze als <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen siehe oben<br />

S. 330 (Begründung <strong>der</strong> Demokratie).<br />

351


<strong>der</strong> Punkt, auf den <strong>der</strong> Wahlkampf zuläuft, also <strong>der</strong> Wahlakt selbst, unter den elligiblen<br />

Kandidaten eine Ents<strong>ch</strong>eidung trifft, die als definitiv ri<strong>ch</strong>tig gilt. Dem steht au<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t entgegen, daß die Akteure dieses 'Kampfes' strategis<strong>ch</strong> agieren. Mit dem strategis<strong>ch</strong>en<br />

Element verhält es si<strong>ch</strong> wie bei den Parteien eines Geri<strong>ch</strong>tsverfahrens.<br />

Au<strong>ch</strong> sie verfolgen ihre Ziele strategis<strong>ch</strong>, ohne daß deshalb das Geri<strong>ch</strong>tsverfahren<br />

seinen Charakter als realer Diskurs verlöre 215 . Die Parteien und Akteure müssen si<strong>ch</strong><br />

in <strong>der</strong> Wahl <strong>der</strong> Mittel dem Verfahrens<strong>ch</strong>arakter des realen Diskurses unterordnen,<br />

werden also nur mit sol<strong>ch</strong>en Gründen gehört, die an <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit, ni<strong>ch</strong>t bloß am<br />

Interesse orientiert sind 216 . Im Geri<strong>ch</strong>tsverfahren sorgt dafür <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>ter, im Wahlkampf<br />

ist diese Aufgabe <strong>der</strong> Wählers<strong>ch</strong>aft zugewiesen. Das Funktionieren dieser<br />

Wä<strong>ch</strong>terrolle <strong>der</strong> Wahlbürger ist allerdings ein sehr voraussetzungsvolles Element<br />

des demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaates. Garant für Ri<strong>ch</strong>tigkeit können Wähler nur<br />

sein, wenn das Vertrauen, das in die Vernünftigkeit ihrer Ents<strong>ch</strong>eidungen gesetzt<br />

wird, bere<strong>ch</strong>tigt ist. Dazu gehören ni<strong>ch</strong>t bloß umfassende Mögli<strong>ch</strong>keiten <strong>der</strong> Information,<br />

Meinungsbildung und Willensäußerung 217 , son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Wille einer<br />

breiten Mehrheit, von diesen Mögli<strong>ch</strong>keiten in politis<strong>ch</strong>en Fragen tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> Gebrau<strong>ch</strong><br />

zu ma<strong>ch</strong>en, also die effektive Partizipation. Nur mit einem Mindestmaß an demokratis<strong>ch</strong>er<br />

Erziehung dürfte es gelingen, diese Voraussetzungen zu s<strong>ch</strong>affen und<br />

aufre<strong>ch</strong>tzuerhalten 218 , was glei<strong>ch</strong>zeitig zu dem Dilemma führt, daß in einem freiheitli<strong>ch</strong>en<br />

Staat die Voraussetzungen sol<strong>ch</strong>er Staatli<strong>ch</strong>keit ni<strong>ch</strong>t zu erzwingen sind 219 .<br />

Glei<strong>ch</strong>wohl gilt: Ohne Partizipation einer breiten Mehrheit ist <strong>der</strong> Typus des demokratis<strong>ch</strong>en<br />

Verfassungsstaates ni<strong>ch</strong>t lebensfähig. Man kann deshalb sagen, daß diese<br />

Partizipation mit zu den Anwendungsbedingungen des realen Diskurses 'Wahlkampf'<br />

sowie <strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>tstrategis<strong>ch</strong>en Politik überhaupt gehört.<br />

Versteht man den Wahlkampf als realen Diskurs, so müssen au<strong>ch</strong> die übrigen<br />

Bedingungen, unter denen Wahlkampf betrieben wird, so weit, wie na<strong>ch</strong> den Umständen<br />

angemessen, <strong>der</strong> regulativen Idee eines Diskurses unter idealen Bedingungen<br />

angegli<strong>ch</strong>en werden 220 . Dem Diskursideal <strong>der</strong> vollkommenen Informiertheit<br />

dient es beispielsweise, wenn die Wahlkampftätigkeit von Parteien o<strong>der</strong> sogar die<br />

Parteien insgesamt aus dem staatli<strong>ch</strong>en Haushalt unterstützt werden 221 . Für die unbegrenzte<br />

Teilnahme ist vor allem ein glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigter Zugang zu den Medien nö-<br />

215 Zu dieser Parallele zwis<strong>ch</strong>en politis<strong>ch</strong>er Partei und Prozeßpartei M. Kriele, Einführung in die<br />

Staatslehre (1994), S. 243 f.<br />

216 Vgl. oben S. 346 (Verwaltungs- und Geri<strong>ch</strong>tsverfahren als reale Diskurse).<br />

217 J.P. Müller, Demokratis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1993), S. 205 ff.<br />

218 Ausführli<strong>ch</strong> zu den diskurstheoretis<strong>ch</strong> begründeten Anwendungsbedingungen des demokratis<strong>ch</strong>en<br />

Verfahrens J.P. Müller, Demokratis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1993), S. 192 ff. Vgl. au<strong>ch</strong> F. Kübler,<br />

Der 'Markt <strong>der</strong> Meinungen' (1989), S. 117 ff. – zum amerikanis<strong>ch</strong>en Konzept eines demokratiefunktionalen<br />

'marketplace of ideas'.<br />

219 E.-W. Böckenförde, Entstehung des Staates als Vorgang <strong>der</strong> Säkularisierung (1976), S. 60. Zur Unerzwingbarkeit<br />

einer »Staatssittenlehre« etwa H. Dreier, Staatli<strong>ch</strong>e Legitimität, Grundgesetz und<br />

neue soziale Bewegung (1987), S. 173 m.w.N. Zum Freiheits<strong>ch</strong>arakter des Partizipationsverzi<strong>ch</strong>ts<br />

J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 152 f. – private vs. politis<strong>ch</strong>e Autonomie.<br />

220 Vgl. oben S. 221 (T Dr ).<br />

221 So etwa im deuts<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>t; vgl. M. Morlok, Artikel 21 GG (1998), Rn. 43 ff. m.w.N. (Zulässigkeit<br />

und Gebotenheit staatli<strong>ch</strong>er Parteienfinanzierung).<br />

352


tig 222 . Dem kann das Medienre<strong>ch</strong>t beispielsweise dadur<strong>ch</strong> Re<strong>ch</strong>nung tragen, daß es<br />

den Parteien kostenlose Rundfunksendezeiten für Wahlwerbung einräumt 223 . Eine<br />

ungere<strong>ch</strong>te Teilnahmeverzerrung entsteht hingegen, wenn (wie jahrelang in Taiwan)<br />

sämtli<strong>ch</strong>e Fernsehsen<strong>der</strong> von <strong>der</strong> Regierungspartei kontrolliert sind. An <strong>der</strong> gebotenen<br />

Annäherung an das Diskursideal, wie sie na<strong>ch</strong> den Umständen angemessen wäre,<br />

fehlt es in sol<strong>ch</strong>en Fällen.<br />

4. Die deliberative Politik<br />

a) Die 'legislative Politik' (J. Habermas)<br />

Mit dem Gedanken <strong>der</strong> 'deliberativen Politik' als Verfahrensbegriff <strong>der</strong> Demokratie<br />

rückt Habermas »aus dem breiten Spektrum politis<strong>ch</strong>er Prozesse den Auss<strong>ch</strong>nitt <strong>der</strong><br />

legislativen Politik ins Blickfeld« 224 , also genau denjenigen ni<strong>ch</strong>tstrategis<strong>ch</strong>en Politikgehalt,<br />

<strong>der</strong> im weiteren Sinne als 'Re<strong>ch</strong>tspolitik' bezei<strong>ch</strong>net werden kann 225 . Bei Cohen,<br />

von dessen Idee einer 'deliberative democracy' Habermas ausgeht 226 , kommt <strong>der</strong> öffentli<strong>ch</strong>en<br />

Deliberation die Funktion quasi-reiner prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> zu 227 .<br />

Dazu muß die Prozedurfairneß <strong>der</strong> öffentli<strong>ch</strong>en Deliberation gezeigt werden 228 .<br />

Ni<strong>ch</strong>ts läge näher, als die Fairneß dadur<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong>erzustellen, daß man verlangt, die<br />

Re<strong>ch</strong>tspolitik müsse als realer Diskurs ausgestaltet sein 229 . Habermas zieht aber nirgends<br />

die Konsequenz, daß es si<strong>ch</strong> bei <strong>der</strong> ins Blickfeld gerückten 'legislativen Politik'<br />

um einen realen Diskurs handeln muß 230 . Vielmehr besteht er darauf, daß immer<br />

das strategis<strong>ch</strong>e Element <strong>der</strong> Verhandlung mits<strong>ch</strong>wingt 231 . Dadur<strong>ch</strong> wird das Span-<br />

222 Vgl. L.H. Tribe, American Constitutional Law (1988), S. 786: »Especially when the wealthy have<br />

more access to the most potent media of communication than the poor, how sure can we be that<br />

'free trade in ideas' is likely to generate truth?«<br />

223 So im deuts<strong>ch</strong>en Medienre<strong>ch</strong>t (z.B. § 24 II Rundfunkstaatsvertrag), das bei öffentli<strong>ch</strong>-re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en<br />

Rundfunkanstalten kostenlose und bei privaten Sen<strong>der</strong>n selbstkostenpfli<strong>ch</strong>tige Wahlwerbung für<br />

Parteien gebietet, wobei die staatli<strong>ch</strong>e Leistung na<strong>ch</strong> dem Prinzip <strong>der</strong> abgestuften Chancenglei<strong>ch</strong>heit<br />

verteilt wird, um dem unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Rückhalt <strong>der</strong> Parteien in <strong>der</strong> Bürgers<strong>ch</strong>aft Re<strong>ch</strong>nung zu<br />

tragen; vgl. M. Morlok, Artikel 21 GG (1998), Rn. 95; <strong>der</strong>s., Artikel 38 GG (1998), Rn. 97, 108; jeweils<br />

m.w.N.<br />

224 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 349.<br />

225 Vgl. oben S. 350 (S RP ).<br />

226 Dazu oben S. 242 (Habermas' deliberative Politik).<br />

227 J. Cohen, Deliberation and Democratic Legitimacy (1989), S. 21: »Citizens in su<strong>ch</strong> an or<strong>der</strong> [deliberative<br />

democracy] ... regard their basic institutions as legitimate as far as they establish the framework<br />

for free public deliberation ... [by] an ideal deliberative procedure« (Hervorhebung bei Cohen).<br />

Vgl. oben S. 127 ff. (Formen definitoris<strong>ch</strong>er Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit).<br />

228 Vgl. oben S. 341 ff. (Verfassunggebung als realer Diskurs).<br />

229 G.-P. Calliess, <strong>Prozedurale</strong>s Re<strong>ch</strong>t (1999), 106 ff. (110, 121 f.).<br />

230 Vgl. J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 349 ff. Ähnli<strong>ch</strong> für die Transzendentalpragmatik<br />

Apels: A. Cortina, Diskursethik und partizipatoris<strong>ch</strong>e Demokratie (1993), S. 249, 254.<br />

231 Vgl. J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 349: »Aus dem Blickwinkel <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tstheorie<br />

habe i<strong>ch</strong> diese [deliberative Politik] als einen Prozeß bes<strong>ch</strong>rieben, <strong>der</strong> ... Verhandlungen eins<strong>ch</strong>ließt.«<br />

Ebd., S. 388 f.: »Das Herzstück deliberativer Politik besteht nämli<strong>ch</strong> aus einem Netzwerk<br />

von Diskursen und Verhandlungen«. Ebd., S. 391: »Wir würden den diskursiven Charakter<br />

<strong>der</strong> öffentli<strong>ch</strong>en Meinungs- und Willensbildung mißverstehen, wenn wir glaubten, den idealen<br />

353


nungsverhältnis betont, das zwis<strong>ch</strong>en Politik und Re<strong>ch</strong>t besteht. Im folgenden soll<br />

demgegenüber gezeigt werden, daß si<strong>ch</strong> die Aussagen, die Habermas unter dem Begriff<br />

<strong>der</strong> 'deliberativen Politik' zusammenfaßt, inhaltli<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong> und argumentatoris<strong>ch</strong><br />

klarer treffen lassen, wenn man von <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tspolitik als Son<strong>der</strong>fall des allgemeinen<br />

praktis<strong>ch</strong>en Diskurses ausgeht 232 . Für die Begründung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> des<br />

Re<strong>ch</strong>ts kommt es ni<strong>ch</strong>t darauf an, wel<strong>ch</strong>e strategis<strong>ch</strong>en Motive die politis<strong>ch</strong>en Akteure<br />

verfolgen, son<strong>der</strong>n allein darauf, die Anwendungsbedingungen und Verfahrensregeln<br />

zu formulieren, die eine ni<strong>ch</strong>tstrategis<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>tspolitik mögli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en.<br />

b) Die 'Re<strong>ch</strong>tspolitik' als realer Diskurs<br />

Versteht man die Re<strong>ch</strong>tspolitik als realen Diskurs, so müssen die Rahmenbedingungen,<br />

unter denen Re<strong>ch</strong>tspolitik betrieben wird, so weit, wie na<strong>ch</strong> den Umständen angemessen,<br />

<strong>der</strong> regulativen Idee eines Diskurses unter idealen Bedingungen angegli<strong>ch</strong>en<br />

werden 233 . Genau das wird bei Habermas mit dem Konzept <strong>der</strong> 'deliberativen<br />

Politik' eingelöst. Seine For<strong>der</strong>ungen lassen si<strong>ch</strong> als Annäherungen an Diskursideale<br />

begreifen. Wenn Massenmedien re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er Kontrolle unterliegen sollen, damit sie<br />

als 'Mandatar eines aufgeklärten Publikums' die öffentli<strong>ch</strong>en Meinungen einer verstärkten<br />

Kritik und einem Legitimationszwang aussetzen 234 , so dient das den Diskursidealen<br />

<strong>der</strong> unbegrenzten Informiertheit und Teilnehmers<strong>ch</strong>aft sowie <strong>der</strong> Vorurteilsfreiheit.<br />

Die Vorstellung, daß ausrei<strong>ch</strong>ende Ressourcen <strong>der</strong> Lebenswelt vorhanden<br />

sein müssen, um trotz Administrations- und Medienma<strong>ch</strong>t für eine spontane öffentli<strong>ch</strong>e<br />

Kommunikation und die ungezwungene Artikulation gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Interessen<br />

zu sorgen 235 , orientiert si<strong>ch</strong> am Diskursideal <strong>der</strong> vollkommenen Zwanglosigkeit<br />

<strong>der</strong> Kommunikation. Und die Garantie eines glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigten Zugangs zur<br />

gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> relevanten Meinungsäußerung au<strong>ch</strong> für diejenigen, die stark abwei<strong>ch</strong>ende<br />

Ansi<strong>ch</strong>ten vertreten 236 , dient dem Diskursideal <strong>der</strong> unbegrenzten Teilnehmers<strong>ch</strong>aft.<br />

Habermas betont selbst, daß »das diskursive Niveau beoba<strong>ch</strong>tbarer politis<strong>ch</strong>er<br />

Kommunikation ein Maßstab für die Wirksamkeit einer ... prozeduralisierten<br />

Vernunft ist« 237 – letztli<strong>ch</strong> also <strong>der</strong> Zusammenhang, <strong>der</strong> hier als Theorem über den<br />

realen Diskurs formuliert wurde 238 .<br />

Gehalt allgemeiner Argumentationsvoraussetzungen zu einem Modell reiner kommunikativer<br />

Vergesells<strong>ch</strong>aftung hypostasieren zu dürfen.«<br />

232 Dazu oben S. 350 (S RP ).<br />

233 Vgl. oben S. 221 (T Dr ). Konkrete Folgerungen etwa bei J.P. Müller, Demokratis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

(1993), S. 192 ff. (198 f.), 201 ff. – Eindämmung <strong>der</strong> »Asymmetrie« bei realer Kommunikation.<br />

234 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 455 ff. (455, 457).<br />

235 Vgl. J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 466.<br />

236 Vgl. dazu die Eins<strong>ch</strong>ätzung bei O. Weinberger, Über die Kultur <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Argumentation<br />

(1994), S. 158: Von einem sol<strong>ch</strong>en 'diskursiven Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t' seien selbst die westli<strong>ch</strong>en Demokratien<br />

no<strong>ch</strong> weit entfernt.<br />

237 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 414 f.<br />

238 Dazu oben S. 221 (T Dr ).<br />

354


c) Zur Wohlfahrtsstaatli<strong>ch</strong>keit als <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgebot<br />

Eine Folge des Habermass<strong>ch</strong>en Modells <strong>der</strong> deliberativen Politik liegt in <strong>der</strong> »festen<br />

Verknüpfung von Sozialstaatli<strong>ch</strong>keit und Beteiligung an <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Öffentli<strong>ch</strong>keit«<br />

239 . Das bedeutet zwar ni<strong>ch</strong>t, daß eine aktive wohlfahrtsstaatli<strong>ch</strong>e Politik im<br />

Sinne einer dauernden Steigerung von Sozialleistungen gefor<strong>der</strong>t wäre. Auf einen<br />

<strong>der</strong>artigen Sozialaktivismus legt die deliberative Politik keine Regierung fest. Do<strong>ch</strong><br />

gewinnt die Sozialstaatli<strong>ch</strong>keit einen auf ihre Funktionalität für die politis<strong>ch</strong>e Teilhabe<br />

gestützten Charakter. Die Würdebindung des Existenzminimums erweist si<strong>ch</strong><br />

demgegenüber als weniger bedeutsam, weil die Sozialstaatli<strong>ch</strong>keit dasselbe und<br />

no<strong>ch</strong> mehr verlangt: ni<strong>ch</strong>t nur eine Minimalunterstützung zum Überleben, son<strong>der</strong>n<br />

au<strong>ch</strong> eine relativ zu den tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Lebensbedingungen in einem Staat angemessene<br />

Güterausstattung, die die Teilnahme am politis<strong>ch</strong>en Leben ermögli<strong>ch</strong>t. Wenn nämli<strong>ch</strong><br />

Re<strong>ch</strong>tspolitik als realer Diskurs gestaltet sein muß und wenn weiter ein realer<br />

Diskurs am Ideal <strong>der</strong> vollständigen, zwangsfreien Teilnahme aller Betroffenen orientiert<br />

ist, dann muß au<strong>ch</strong>, soweit das na<strong>ch</strong> den Umständen angemessen ist, die Güterbasis<br />

dafür ges<strong>ch</strong>affen werden, daß Bürger ni<strong>ch</strong>t nur überleben, son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong> effektiv<br />

partizipieren können.<br />

d) Die 'deliberative Abstimmung' (J.S. Fishkin)<br />

Begreift man ni<strong>ch</strong>tstrategis<strong>ch</strong>e Politik als realen Diskurs, so liegt es nahe, die Defizite,<br />

die aus Si<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Diskurstheorie an den bestehenden politis<strong>ch</strong>en Verfahren festgestellt<br />

werden müssen, ni<strong>ch</strong>t nur dur<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>utz (öffentli<strong>ch</strong>e Meinung, Zivilgesells<strong>ch</strong>aft)<br />

und Regulierung (Massenmedien) bestehen<strong>der</strong> Instrumente zu min<strong>der</strong>n 240 , son<strong>der</strong>n<br />

au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> die Einführung neuer Verfahren, die ein höheres 'diskursives Niveau'<br />

verspre<strong>ch</strong>en 241 . Abgesehen von klassis<strong>ch</strong>en direktdemokratis<strong>ch</strong>en Verfahren, wie sie<br />

vor allem in <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>weiz verwirkli<strong>ch</strong>t sind, und einer ganzen Reihe von experimentellen<br />

Verfahren (Teleabstimmungen, Wahlanhörungen, Stadttreffen u.v.m. 242 ) kann<br />

als ein bereits gut etabliertes Beispiel das (<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>s- 243 )Verfahren <strong>der</strong> 'deliberativen<br />

Abstimmung' (deliberative opinion poll model) von Fishkin angesehen werden 244 –<br />

eine Umfrage, die ni<strong>ch</strong>t die tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Meinung <strong>der</strong> Bevölkerung erfassen soll, son-<br />

239 So die Analyse von K.-H. Ladeur, Re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Ordnungsbildung unter Ungewißheitsbedingungen<br />

und intersubjektive Rationalität (1996), S. 413.<br />

240 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 455 ff. (455, 457). Vgl. oben S. 242 ff. (deliberative<br />

Politik und Regulierung <strong>der</strong> Massenmedien).<br />

241 Vgl. oben S. 242 ff. (diskursives Niveau im Konzept <strong>der</strong> deliberativen Politik).<br />

242 Na<strong>ch</strong> dem meist nordamerikanis<strong>ch</strong>en Ursprung: televote, election hearing, town meeting. Vgl.<br />

J.S. Fishkin, Democracy and Deliberation (1991), S. 95 ff. m.w.N. sowie <strong>der</strong>s., The Voice of the People<br />

(1995), S. 134 ff. – zur langen nordamerikanis<strong>ch</strong>en Tradition <strong>der</strong> Stadttreffen, bei denen einfa<strong>ch</strong>e<br />

Bürger ohne politis<strong>ch</strong>e Ämter zur Spra<strong>ch</strong>e kommen, ursprüngli<strong>ch</strong> in öffentli<strong>ch</strong>en Versammlungen,<br />

später zunehmend in Fernsehübertragungen.<br />

243 Zur Einordnung <strong>der</strong> deliberativen Abstimmung als eines realen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sverfahrens siehe<br />

J.S. Fishkin, Dialogue of Justice (1992), S. 1 ff. ('self-reflective society'), 41 ff. (Kriterien für eine akzeptable<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie), 201 ff. (deliberative Abstimmung als legitimes Verfahren).<br />

244 J.S. Fishkin, Democracy and Deliberation (1991), S. 81 ff.; <strong>der</strong>s., The Voice of the People (1995),<br />

S. 161 ff. – deliberative poll. Konkrete Verfahren wurden bisher, soweit ersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>, nur in Großbritannien<br />

und in den U.S.A. dur<strong>ch</strong>geführt.<br />

355


<strong>der</strong>n <strong>der</strong>en potentielle Meinung, wie sie im Falle umfassen<strong>der</strong> Sa<strong>ch</strong>aufklärung und<br />

Beratung gebildet würde (consi<strong>der</strong>ed judgments of the public) 245 . Dabei wird eine repräsentative<br />

Bevölkerungsgruppe von etwa dreihun<strong>der</strong>t bis se<strong>ch</strong>shun<strong>der</strong>t Personen zusammengestellt<br />

und bezahlt, um an einem zentralen Ort zusammenzukommen.<br />

Na<strong>ch</strong> einer Eingangsabstimmung (baseline survey) über die zu ents<strong>ch</strong>eidende Sa<strong>ch</strong>frage<br />

wird die Gruppe mehrere Tage von unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Experten mögli<strong>ch</strong>st ausgewogen<br />

informiert. Dana<strong>ch</strong> führt sie Diskussionen in Kleingruppen und befragt Politiker<br />

mit unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Ansi<strong>ch</strong>ten zur Sa<strong>ch</strong>frage. Erst na<strong>ch</strong> Abs<strong>ch</strong>luß dieses extensiven<br />

und intensiven Informationsprozesses erfolgt die eigentli<strong>ch</strong>e Abstimmung<br />

(deliberative poll). In den bisher real dur<strong>ch</strong>geführten Verfahren gab es jeweils signifikante<br />

Unters<strong>ch</strong>iede zwis<strong>ch</strong>en <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidung vor und na<strong>ch</strong> dem Informationsprozeß<br />

246 . Da die vollkommene Informiertheit zu den Diskursidealen zu re<strong>ch</strong>nen ist,<br />

muß das 'diskursive Niveau' <strong>der</strong> deliberativen Abstimmung gegenüber <strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>tdeliberativen<br />

Eingangsabstimmung als höher und die Ents<strong>ch</strong>eidung deshalb als besser<br />

begründet angesehen werden 247 . Deliberative Abstimmungen sind damit ein mögli<strong>ch</strong>er<br />

Beitrag zur prozedural erzeugten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Re<strong>ch</strong>t.<br />

5. Ergebnisse<br />

Ni<strong>ch</strong>tstrategis<strong>ch</strong>e Politik kann sinnvoll als realer Diskurs zur <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung<br />

verstanden werden. Dadur<strong>ch</strong> werden die Anwendungsbedingungen und Verfahrensregeln,<br />

die Habermas für sein Konzept <strong>der</strong> deliberativen Politik formuliert hat,<br />

unmittelbar als Gebote rekonstruierbar, die Diskursideale näherungsweise verwirkli<strong>ch</strong>en.<br />

Der S<strong>ch</strong>utz öffentli<strong>ch</strong>er Meinungsbildung und zivilgesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Assoziation<br />

sowie die Regulierung von Massenmedien müssen dann dem Umstand Re<strong>ch</strong>nung<br />

tragen, daß diese politis<strong>ch</strong>en Instrumente für die Erzeugung gere<strong>ch</strong>ten Re<strong>ch</strong>ts<br />

als Verfahren prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> konstitutiv sind 248 . Vereinfa<strong>ch</strong>t ausgedrückt:<br />

Ohne einen wirksamen S<strong>ch</strong>utz politis<strong>ch</strong>er Diskurse vor strategis<strong>ch</strong>en Interessen<br />

ist die Begründung gere<strong>ch</strong>ten Re<strong>ch</strong>ts jedenfalls ni<strong>ch</strong>t optimal mögli<strong>ch</strong>. Neue Verfahren,<br />

wie etwa die 'deliberative Abstimmung', können einen prozeduralen Beitrag<br />

zu diesem Optimierungsprozeß leisten.<br />

245 Zu dieser Zielsetzung des Verfahrens und zu <strong>der</strong> Funktion, öffentli<strong>ch</strong>e Meinung ni<strong>ch</strong>t zu bes<strong>ch</strong>reiben<br />

o<strong>der</strong> vorherzusagen, son<strong>der</strong>n eine potentielle Meinung »präskriptiv« zu »empfehlen«:<br />

J.S. Fishkin, The Voice of the People (1995), S. 162.<br />

246 Beispielsweise sank in einer deliberativen Abstimmung über Strafre<strong>ch</strong>tspolitik und Strafvollzug<br />

in Großbritannien die Rate <strong>der</strong> Befürworter von s<strong>ch</strong>ärfen Strafen mit <strong>der</strong>en Informiertheit um ein<br />

Vielfa<strong>ch</strong>es <strong>der</strong> Signifikanzgrenze (von 57% auf 38% bei 1%-Signifikanz); J.S. Fishkin, The Voice of<br />

the People (1995), S. 177 ff.<br />

247 Vgl. J.S. Fishkin, The Voice of the People (1995), S. 161 – Zitate <strong>der</strong> Teilnehmenden; <strong>der</strong>s., Dialogue<br />

of Justice (1992), S. 200 f. – informiertere Wahl von Präsidents<strong>ch</strong>aftskandidaten.<br />

248 Im Ergebnis no<strong>ch</strong> weitergehend G. Jo<strong>ch</strong>um, Materielle Anfor<strong>der</strong>ungen an das Ents<strong>ch</strong>eidungsverfahren<br />

in <strong>der</strong> Demokratie (1997), S. 84: »Politis<strong>ch</strong>e Ents<strong>ch</strong>eidungen sind in <strong>der</strong> Demokratie nur unter<br />

<strong>der</strong> Bedingung eines vorherigen Diskurses legitimiert.« Gemeint ist ein 'öffentli<strong>ch</strong>er Diskurs';<br />

vgl. ebd., S. 68 ff.<br />

356


IV. Zur Wirts<strong>ch</strong>aft<br />

1. Die Wirts<strong>ch</strong>aft als Kontrapunkt zu Diskursen<br />

Im Gegensatz zu Re<strong>ch</strong>t und Politik hat <strong>der</strong> dritte große Sozialberei<strong>ch</strong>, die Wirts<strong>ch</strong>aft,<br />

keinerlei Diskurs<strong>ch</strong>arakter, son<strong>der</strong>n ist geradezu das Gegenteil eines Diskurses. Bei<br />

Marktents<strong>ch</strong>eidungen geht es den Akteuren ni<strong>ch</strong>t darum, was für alle gut o<strong>der</strong> ri<strong>ch</strong>tig<br />

wäre, son<strong>der</strong>n allein um ihre eigenen Interessen. Sie werden ni<strong>ch</strong>t als Wohltäter<br />

o<strong>der</strong> Staatsbürger tätig, son<strong>der</strong>n als egoistis<strong>ch</strong>e Nutzenmaximierer. Es geht ni<strong>ch</strong>t um<br />

Konsense, son<strong>der</strong>n um situative Kompromisse. Das Mittel <strong>der</strong> Interaktion ist ni<strong>ch</strong>t<br />

<strong>der</strong> Diskurs, son<strong>der</strong>n die Verhandlung 249 .<br />

Markt, Verhandlung und Vertrag bilden glei<strong>ch</strong>wohl zusammen ein Verfahrensmodell,<br />

dem man die Funktion <strong>der</strong> quasi-reinen prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> zuordnen<br />

kann. Was immer als Verhandlungsergebnis im Vertrag bes<strong>ch</strong>lossen wird, gilt<br />

als ri<strong>ch</strong>tig und gere<strong>ch</strong>t, wenn ni<strong>ch</strong>t ausnahmsweise eine Verletzung re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er Rahmenbedingungen<br />

vorliegt. Aber die 'Ri<strong>ch</strong>tigkeit', von <strong>der</strong> hier die Rede ist, entspri<strong>ch</strong>t<br />

ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong>jenigen, an <strong>der</strong> si<strong>ch</strong> ein (re<strong>ch</strong>tspolitis<strong>ch</strong>er) Diskurs orientiert: Der<br />

re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Rahmen reduziert si<strong>ch</strong> innerhalb <strong>der</strong> Wirts<strong>ch</strong>aft zu einem Faktor des klugen<br />

Kalküls 250 . Die Wirts<strong>ch</strong>aft s<strong>ch</strong>ließt ni<strong>ch</strong>t alle pragmatis<strong>ch</strong>en, ethis<strong>ch</strong>en und moralis<strong>ch</strong>en<br />

Gründe ein, son<strong>der</strong>n bes<strong>ch</strong>ränkt si<strong>ch</strong> allein auf pragmatis<strong>ch</strong>e; sie strebt na<strong>ch</strong><br />

effizienter Erzielung von Kooperationsgewinnen 251 .<br />

Au<strong>ch</strong> für das ni<strong>ch</strong>tdiskursive Verfahrensmodell <strong>der</strong> Wirts<strong>ch</strong>aft lassen si<strong>ch</strong> Anwendungsbedingungen<br />

und Verfahrensregeln formulieren, bei <strong>der</strong>en Ni<strong>ch</strong>teinhaltung<br />

die Ergebnisse des Marktes ungere<strong>ch</strong>t werden. Diese Anwendungsbedingungen<br />

und Verfahrensregeln werden in <strong>der</strong> Wirts<strong>ch</strong>aftstheorie unter <strong>der</strong> Übers<strong>ch</strong>rift<br />

des Marktversagens (market failure) diskutiert 252 . Eine Theorie des Marktversagens ist<br />

hier ni<strong>ch</strong>t zu entwickeln, do<strong>ch</strong> sei darauf hingewiesen, daß es grundsätzli<strong>ch</strong> zwei Lösungswege<br />

für sol<strong>ch</strong>e Fälle gibt. Entwe<strong>der</strong> das Marktversagen (z.B. Monopolbildung,<br />

Dumping) wird dur<strong>ch</strong> eine Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Rahmenbedingungen<br />

des Marktes beseitigt (z.B. Fusionskontrolle, Kartellverbot), o<strong>der</strong> <strong>der</strong> problematis<strong>ch</strong>e<br />

Gegenstand (z.B. öffentli<strong>ch</strong>e Güter) wird (als ultima ratio 253 ) ganz aus dem Marktmodell<br />

herausgenommen 254 .<br />

249 Vgl. oben S. 232 (arguing vs. bargaining).<br />

250 Ähnli<strong>ch</strong> bereits M. Weber, Wirts<strong>ch</strong>aft und Gesells<strong>ch</strong>aft (1976), Bd. I, S. 181: »Wenn nun trotzdem<br />

Wirts<strong>ch</strong>afts- und Re<strong>ch</strong>tsordnung in hö<strong>ch</strong>st intimen Beziehungen zueinan<strong>der</strong> stehen, so ist eben<br />

diese letztere dabei ni<strong>ch</strong>t in juristis<strong>ch</strong>em, son<strong>der</strong>n in soziologis<strong>ch</strong>em Sinne verstanden: als empiris<strong>ch</strong>e<br />

Geltung. Der Sinn des Wortes 'Re<strong>ch</strong>tsordnung' än<strong>der</strong>t si<strong>ch</strong> dann völlig. Sie bedeutet dann<br />

ni<strong>ch</strong>t einen Kosmos logis<strong>ch</strong> als 'ri<strong>ch</strong>tig' ers<strong>ch</strong>ließbarer Normen, son<strong>der</strong>n einen Komplex von faktis<strong>ch</strong>en<br />

Bestimmungsgründen realen mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Handelns.« (Hervorhebung bei Weber).<br />

251 Vgl. oben S. 169 (T RC ).<br />

252 R.A. Posner, Economic Analysis of Law (1992), S. 271 ff., 367 ff. mit Kritik am Begriff.<br />

253 Vgl. R.A. Posner, Economic Analysis of Law (1992), S. 367 f. – »incentives« statt »regulation«.<br />

254 Vgl. oben S. 276 (Beitragsdilemma bei öffentli<strong>ch</strong>en Gütern).<br />

357


2. Das Re<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Wirts<strong>ch</strong>aft<br />

Ni<strong>ch</strong>t zur Abwendung des Marktversagens, son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong> zur Si<strong>ch</strong>erung <strong>der</strong> ganz<br />

normalen Rahmenbedingungen eines funktionierenden Marktes (Betrugsverbot<br />

u.v.m.) ist Re<strong>ch</strong>t nötig. Die Diskursivität des Re<strong>ch</strong>ts 255 impliziert eine Ri<strong>ch</strong>tigkeitsorientierung,<br />

in <strong>der</strong> außer pragmatis<strong>ch</strong>en au<strong>ch</strong> ethis<strong>ch</strong>e und moralis<strong>ch</strong>e Gründe eine<br />

Rolle spielen können. Pragmatis<strong>ch</strong>e Gründe sind beispielsweise auss<strong>ch</strong>laggebend,<br />

wenn man um <strong>der</strong> Effizienzorientierung willen ein Kartellre<strong>ch</strong>t einführt. Dagegen<br />

handelt es si<strong>ch</strong> um ethis<strong>ch</strong>e o<strong>der</strong> moralis<strong>ch</strong>e Gründe, wenn Verbrau<strong>ch</strong>ers<strong>ch</strong>utz- o<strong>der</strong><br />

Arbeitnehmers<strong>ch</strong>utzgesetze verabs<strong>ch</strong>iedet werden. Damit zeigt si<strong>ch</strong>, daß, obwohl<br />

die Wirts<strong>ch</strong>aft selbst ni<strong>ch</strong>t diskursiv ist, die Verfahren zum Re<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Wirts<strong>ch</strong>aft den<br />

ganz normalen Anwendungsbedingungen und Verfahrensregeln unterliegen, wie sie<br />

für Re<strong>ch</strong>t im allgemeinen gefor<strong>der</strong>t sind (juristis<strong>ch</strong>e Diskurse in Legislative, Exekutive<br />

und Judikative 256 ).<br />

V. Ergebnisse<br />

Im demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaat unterliegen Ents<strong>ch</strong>eidungen über die soziale<br />

Ordnung dem relativen Primat des <strong>Prozedurale</strong>n. Damit verlagert si<strong>ch</strong> die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung<br />

auf die Anfor<strong>der</strong>ungen, die an Verfahren gestellt werden müssen.<br />

Die Verfahren müssen so gestaltet sein, daß sie entwe<strong>der</strong> die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit<br />

erhöhen, ein s<strong>ch</strong>on als gere<strong>ch</strong>t begründetes Ergebnis real umzusetzen (unvollkommen<br />

prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>), o<strong>der</strong> sie müssen si<strong>ch</strong>erstellen, daß jedes Ergebnis,<br />

solange es innerhalb materieller <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>svorgaben liegt, als definitiv gere<strong>ch</strong>t<br />

angesehen werden kann (quasi-reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>). Indem die Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

diskurstheoretis<strong>ch</strong> begründet werden, kann die Diskurstheorie zur Basistheorie<br />

des demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaates werden. Für die vers<strong>ch</strong>iedenen Verfahren<br />

im Re<strong>ch</strong>t (Verfassunggebung, parlamentaris<strong>ch</strong>e Gesetzgebung, Verwaltungsund<br />

Geri<strong>ch</strong>tsverfahren) gelingt dies, indem die Verfahren als reale Diskurse betra<strong>ch</strong>tet<br />

werden. Innerhalb <strong>der</strong> Politik kann diese Betra<strong>ch</strong>tungsweise auf die Re<strong>ch</strong>tspolitik<br />

ausgedehnt werden und dabei neben dem 'ri<strong>ch</strong>tigen' Wahlkampf vor allem Habermas<br />

Konzept <strong>der</strong> deliberativen Politik mit diskurstheoretis<strong>ch</strong>en Anfor<strong>der</strong>ungen begleiten.<br />

Im Berei<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Wirts<strong>ch</strong>aft bleibt die Leistung <strong>der</strong> Diskurstheorie indes auf die Metaebene<br />

des Wirts<strong>ch</strong>aftsre<strong>ch</strong>ts bes<strong>ch</strong>ränkt.<br />

E. Zur Erweiterbarkeitsthese in <strong>der</strong> Diskurstheorie <strong>der</strong><br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

Die Erweiterbarkeitsthese besagt, daß es ein zulässiges methodis<strong>ch</strong>es Vorgehen ist,<br />

wenn gegenwärtige <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien si<strong>ch</strong> zunä<strong>ch</strong>st auf eine vereinfa<strong>ch</strong>te Si<strong>ch</strong>t<br />

<strong>der</strong> Dinge konzentrieren und nur na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> unter aktuell in einem einzelnen<br />

Nationalstaat lebenden Mens<strong>ch</strong>en unbestimmten Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ts fragen, um allenfalls<br />

in einem zweiten S<strong>ch</strong>ritt die gefundenen Ergebnisse auf Fragen na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Ge-<br />

255 Dazu oben S. 339 ff. (Diskursivität des Re<strong>ch</strong>ts).<br />

256 Dazu oben S. 345 ff. (Gesetzgebung, Verwaltung und Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung als reale Diskurse).<br />

358


e<strong>ch</strong>tigkeit gegenüber <strong>der</strong> Natur (Tiere, Pflanzen, unbelebte Entitäten), gegenüber<br />

künftigen Generationen, an<strong>der</strong>en Staaten o<strong>der</strong> unter den Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tern zu erweitern<br />

257 . Im Li<strong>ch</strong>te dieser These soll abs<strong>ch</strong>ließend in Grundzügen beleu<strong>ch</strong>tet werden,<br />

auf wel<strong>ch</strong>em Weg eine Diskurstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> au<strong>ch</strong> hier Maßstäbe entwikkeln<br />

könnte.<br />

I. Zur <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> gegenüber <strong>der</strong> Natur<br />

Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> gegenüber <strong>der</strong> Natur bezei<strong>ch</strong>net mehr als die Umwelts<strong>ch</strong>utzprobleme<br />

<strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>en; sie fragt na<strong>ch</strong> einer Überwindung des Anthropozentrismus.<br />

Hier ist die Diskurstheorie vor das Problem gestellt, daß Diskurse nur unter Mens<strong>ch</strong>en<br />

geführt werden können 258 . Bei diesem Verfahren <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Erkenntnis<br />

sind Tiere und Pflanzen (Biozentrismus) o<strong>der</strong> unbelebte Entitäten (Holismus) von<br />

vornherein keine taugli<strong>ch</strong>en Teilnehmer. Damit stellt si<strong>ch</strong> die Erweiterbarkeit no<strong>ch</strong><br />

s<strong>ch</strong>wieriger dar, als bei <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en Grundposition, die auf Interessen<br />

abstellen, und deshalb für ein (wie au<strong>ch</strong> immer konkretisiertes) Nutzenkalkül<br />

immerhin auf objektive Lebens- o<strong>der</strong> Bestandsinteressen von Tieren, Pflanzen o<strong>der</strong> sogar<br />

unbelebten Entitäten zurückgreifen könnten.<br />

Die Erweiterbarkeitsproblematik hat eine Parallele in <strong>der</strong> ökologis<strong>ch</strong>en Ethik.<br />

Dort wird diskutiert, ob Naturentitäten überhaupt eigene Re<strong>ch</strong>te haben können, o<strong>der</strong><br />

ob es notwendig nur um (einseitige) mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Pfli<strong>ch</strong>ten gegenüber <strong>der</strong> Natur gehen<br />

müsse. Eine mögli<strong>ch</strong>e Antwort lautet, daß jedenfalls für die Zwecke des positiven<br />

Re<strong>ch</strong>ts eine Zuweisung von 'Re<strong>ch</strong>ten' zu Naturentitäten genauso mögli<strong>ch</strong> ist, wie sie<br />

bei juristis<strong>ch</strong>en Personen ges<strong>ch</strong>ieht. Für die Naturentität wird dadur<strong>ch</strong> eine mens<strong>ch</strong>enähnli<strong>ch</strong>e<br />

Persönli<strong>ch</strong>keit fingiert, um sie in den vollen Genuß <strong>der</strong> instrumentellen<br />

Kraft eines 'Re<strong>ch</strong>tes' (claim right) kommen zu lassen. Über juristis<strong>ch</strong>e Vertreter<br />

kann ein sol<strong>ch</strong>es 'Re<strong>ch</strong>t' dann geltend gema<strong>ch</strong>t werden 259 .<br />

Die Gedanken einer Personenfiktion und <strong>der</strong> Vertretungsmögli<strong>ch</strong>keit lassen si<strong>ch</strong><br />

zumindest für reale Diskurse fru<strong>ch</strong>tbar ma<strong>ch</strong>en. Bestimmte Diskursideale, etwa das<br />

<strong>der</strong> unbegrenzten Teilnehmers<strong>ch</strong>aft, könnten dadur<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> für Naturentitäten näherungsweise<br />

verwirkli<strong>ch</strong>t werden. Entlang dieser Entwicklungslinien wäre es beispielsweise<br />

denkbar, diskurstheoretis<strong>ch</strong>e Anfor<strong>der</strong>ungen an Verwaltungsverfahren<br />

zu entwickeln, na<strong>ch</strong> denen einem Baum, bevor er gefällt wird, mögli<strong>ch</strong>st vollständige<br />

Informationen zugeleitet und eine Mögli<strong>ch</strong>keit zur Stellungnahme eingeräumt werden<br />

muß. Die Erweiterung <strong>der</strong> Diskurstheorie auf Fragen <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> gegenüber<br />

<strong>der</strong> Natur ist folgli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t völlig ausges<strong>ch</strong>lossen.<br />

257 Dazu oben S. 114 ff. (Erweiterbarkeitsthese).<br />

258 So au<strong>ch</strong> J. Habermas, Erläuterungen zur Diskursethik (1991), S. 219 ff.; W. Kuhlmann, Anthropozentrismus<br />

(1989), S. 131 ff., beide m.w.N. Vgl. G. Skirbekk, Ethical Gradualism and Discourse Ethics<br />

(1993), S. 297 ff., 306 ff. – Zusammenhänge zwis<strong>ch</strong>en moral agent, moral subject und moral discussant.<br />

259 Vgl. zu dieser ni<strong>ch</strong>tanthropozentris<strong>ch</strong>en Lösungsmögli<strong>ch</strong>keit innerhalb eines na<strong>ch</strong> wie vor anthropozentris<strong>ch</strong>en<br />

Re<strong>ch</strong>tsverständnisses S. Emmenegger/A. Ts<strong>ch</strong>ents<strong>ch</strong>er, Taking Nature's Rights Seriously<br />

(1994), S. 572 ff., 586 ff.<br />

359


II.<br />

Zur <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> gegenüber zukünftigen Generationen<br />

Eine Berücksi<strong>ch</strong>tigung zukünftiger Generationen ist in ähnli<strong>ch</strong>er Weise mögli<strong>ch</strong> wie<br />

bei <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> gegenüber <strong>der</strong> Natur. Ohnehin gehören die Anliegen zukünftiger<br />

Generationen zu den Gegenständen, die dur<strong>ch</strong> aktuell lebende Vorfahren in<br />

Diskurse eingebra<strong>ch</strong>t werden. Darüber hinaus könnte dur<strong>ch</strong> den Gedanken <strong>der</strong><br />

Stellvertretung ein Diskurs fiktiv in die Zukunft verlängert werden.<br />

III. Zur <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in <strong>der</strong> Völkergemeins<strong>ch</strong>aft<br />

Die Chancen auf einen gesi<strong>ch</strong>erten Weltfrieden und damit au<strong>ch</strong> auf eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

in <strong>der</strong> Völkergemeins<strong>ch</strong>aft dürften glei<strong>ch</strong>ermaßen davon abhängen, ob ein Weltre<strong>ch</strong>t<br />

begründet und effektiv dur<strong>ch</strong>gesetzt werden kann. Das ist aus denselben<br />

Gründen geboten wie die Institutionalisierung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen innerhalb<br />

<strong>der</strong> einzelnen Staatsordnung 260 .<br />

Im übrigen gelten die unmittelbar begründeten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen im internationalen<br />

Maßstab genauso wie für den Einzelstaat. Die Grundre<strong>ch</strong>te auf Glei<strong>ch</strong>heit,<br />

optimierte Freiheiten und Demokratie sind universell begründet.<br />

Die mittelbare Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen hängt davon ab, ob man<br />

die Interaktion in <strong>der</strong> Völkergemeins<strong>ch</strong>aft als Diskurs begreifen kann. Dagegen<br />

spri<strong>ch</strong>t vor allem, daß die zwis<strong>ch</strong>enstaatli<strong>ch</strong>e Beziehung häufig als 'Naturzustand'<br />

angesehen wird, in dem nur strategis<strong>ch</strong>es Handeln zählt 261 . An<strong>der</strong>erseits bietet die<br />

Etablierung einer effektiv dur<strong>ch</strong>setzbaren Völkerre<strong>ch</strong>tsordnung Anlaß, die Verfahren<br />

wie die Re<strong>ch</strong>tsverfahren im innerstaatli<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>t zu behandeln, also als reale Diskurse,<br />

die an Ri<strong>ch</strong>tigkeit orientiert sein müssen und für die si<strong>ch</strong> deshalb diskurstheoretis<strong>ch</strong>e<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen formulieren lassen. Dadur<strong>ch</strong> würde die Diskurstheorie zu<br />

einer Basistheorie <strong>der</strong> Völkerre<strong>ch</strong>tsordnung.<br />

Bei <strong>der</strong> Formulierung diskurstheoretis<strong>ch</strong>er Anfor<strong>der</strong>ungen an einen völkerre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en<br />

Diskurs ist allerdings zu bea<strong>ch</strong>ten, daß es immer um eine Annäherung an Diskursideale<br />

geht, wie sie 'na<strong>ch</strong> den Umständen angemessen' ist 262 . Die Umstände sind<br />

im internationalen Maßstab indes an<strong>der</strong>e als auf nationaler Ebene. So könnte es si<strong>ch</strong><br />

beispielsweise als unangemessen erweisen, wenn gefor<strong>der</strong>t wird, im Interesse einer<br />

mögli<strong>ch</strong>st unbegrenzten Teilnehmers<strong>ch</strong>aft au<strong>ch</strong> die Vertreter <strong>der</strong> kleinsten Staaten an<br />

je<strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidungsfindung über Einzelfragen <strong>der</strong> Völkerre<strong>ch</strong>tsordnung zu beteiligen.<br />

Do<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>eint es, ohne daß dies hier vertieft werden könnte, mögli<strong>ch</strong>, wenigstens<br />

für die Verfahren <strong>der</strong> internationalen Organisationen (UNO, WTO u.v.m.) Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

zu formulieren, die au<strong>ch</strong> dort eine mittelbare Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

im Völkerre<strong>ch</strong>t bewirken.<br />

260 Dazu oben S. 333 (Institutionalisierung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

261 Vgl. den Kontext <strong>der</strong> Begründung <strong>der</strong> Aussage 'homo homini lupus' bei T. Hobbes, Vom Bürger<br />

(1642), Widmung: »Nun sind si<strong>ch</strong>er beide Sätze wahr: Der Mens<strong>ch</strong> ist ein Gott für den Mens<strong>ch</strong>en,<br />

und: Der Mens<strong>ch</strong> ist ein Wolf für den Mens<strong>ch</strong>en; jener, wenn man die Bürger untereinan<strong>der</strong>, dieser,<br />

wenn man die Staaten untereinan<strong>der</strong> verglei<strong>ch</strong>t.«<br />

262 Dazu oben S. 221 (T Dr ).<br />

360


IV. Zur <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> unter den Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tern<br />

Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> unter den Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tern ist das spezifis<strong>ch</strong>e Anliegen des Feminismus.<br />

Dabei gehen die unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en feministis<strong>ch</strong>en Ri<strong>ch</strong>tungen (Liberalfeminismus,<br />

Relationalfeminismus, Radikalfeminismus u.v.m.) von vers<strong>ch</strong>iedenen Diskriminierungsthesen<br />

aus 263 . Diese lassen si<strong>ch</strong> sowohl <strong>der</strong> unmittelbaren wie <strong>der</strong><br />

mittelbaren Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen zuordnen und in eine Diskurstheorie<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> einbinden 264 . In <strong>der</strong> unmittelbaren Begründung geht es<br />

dabei um die Konkretisierung des Grundre<strong>ch</strong>ts auf Glei<strong>ch</strong>heit. Insoweit genügt die<br />

Klarstellung, daß das Glei<strong>ch</strong>heitsgebot au<strong>ch</strong> und vor allem eine Glei<strong>ch</strong>heit unter den<br />

Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tern eins<strong>ch</strong>ließen muß.<br />

S<strong>ch</strong>wieriger stellt si<strong>ch</strong> das feministis<strong>ch</strong>e Anliegen bei <strong>der</strong> mittelbaren Begründung<br />

von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen dar. Hier können, je na<strong>ch</strong>dem, wel<strong>ch</strong>e Diskriminierungsthese<br />

im realen Diskurs berücksi<strong>ch</strong>tigt werden soll, zusätzli<strong>ch</strong>e Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

an Verfahren begründet werden. Es ist ni<strong>ch</strong>t ausges<strong>ch</strong>lossen, daß selbst Quotenregelungen<br />

diskurstheoretis<strong>ch</strong> begründet werden könnten, wenn sie allein eine den Umständen<br />

na<strong>ch</strong> angemessene Annäherung an die Diskursideale <strong>der</strong> unbegrenzten<br />

Teilnehmers<strong>ch</strong>aft und vollkommenen Zwangsfreiheit zu si<strong>ch</strong>ern vermögen. Dabei<br />

kann es ges<strong>ch</strong>ehen, daß unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e feministis<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> zu diskurstheoretis<strong>ch</strong>en<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen mit ganz vers<strong>ch</strong>iedener Stoßri<strong>ch</strong>tung führen, etwa <strong>der</strong> Liberalfeminismus<br />

im Sinne einer verstärkten Teilnehmers<strong>ch</strong>aft, <strong>der</strong> Radikalfeminismus mit<br />

dem Ziel größerer Zwangsfreiheit und <strong>der</strong> Relationalfeminismus gemäß dem Anliegen<br />

größtmögli<strong>ch</strong>er Vorurteilsfreiheit 265 .<br />

263 Dazu H. Pauer-Stu<strong>der</strong>, Ethik und Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terdifferenz (1996), S. 87 ff.; vgl. S. Emmenegger, Feministis<strong>ch</strong>e<br />

Kritik des Vertragsre<strong>ch</strong>ts (1999), S. 5 ff. – Entwicklungslinien <strong>der</strong> feministis<strong>ch</strong>en Jurisprudenz.<br />

264 Zu einem Versu<strong>ch</strong>, in kritis<strong>ch</strong>er Distanz zu Habermas dessen Diskurstheorie in Ri<strong>ch</strong>tung auf einen<br />

interaktiven, relationalen Universalismus weiterzuentwickeln, vgl. S. Benhabib, Der verallgemeinerte<br />

und <strong>der</strong> konkrete An<strong>der</strong>e (1989), S. 454 ff. Hierzu und zu an<strong>der</strong>en »Ans<strong>ch</strong>lußmögli<strong>ch</strong>keiten«<br />

des Feminismus an diskurstheoretis<strong>ch</strong>e Ansätze S. Lang, Feministis<strong>ch</strong>e (Diskurs-)Ethik?<br />

(1990), S. 80 ff.<br />

265 Vgl. S. Emmenegger, Feministis<strong>ch</strong>e Kritik des Vertragsre<strong>ch</strong>ts (1999), S. 27 ff. – unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e<br />

Re<strong>ch</strong>tskritik einzelner feministis<strong>ch</strong>er Ansätze.<br />

361


V. Ergebnisse<br />

Eine Diskurstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, wie sie hier in Grundzügen skizziert wurde,<br />

läßt si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> jenseits <strong>der</strong> Themenkreise, die zum Mindestgehalt einer politis<strong>ch</strong>en<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie zählen, zu einer umfassenden Theorie ausbauen. Die hier vorgestellte<br />

anthropozentris<strong>ch</strong>e, generationsbes<strong>ch</strong>ränkte, staatsbezogene und ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terblinde<br />

Theorie ist für Erweiterungen offen, ohne daß an den Grundzügen <strong>der</strong> Begründung<br />

na<strong>ch</strong>trägli<strong>ch</strong> etwas geän<strong>der</strong>t werden müßte.<br />

362


S<strong>ch</strong>luß:<br />

Die Untersu<strong>ch</strong>ungsergebnisse im Überblick<br />

Die Leitfrage dieser Untersu<strong>ch</strong>ung: 'Wie kann Re<strong>ch</strong>t gere<strong>ch</strong>t sein?' ist im Ergebnis damit<br />

zu beantworten, daß zu einer prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung und -erzeugung<br />

keine Alternative besteht. In einer Diskurstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> können<br />

sowohl universelle <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen begründet, als au<strong>ch</strong> diejenigen Anwendungsbedingungen<br />

und Verfahrensregeln bestimmt werden, die in den realen Diskursen<br />

des Re<strong>ch</strong>ts und <strong>der</strong> Politik gere<strong>ch</strong>te Re<strong>ch</strong>tsnormen erzeugen und si<strong>ch</strong>ern. Der<br />

Weg dazu ließ si<strong>ch</strong> hier nur in Grundzügen skizzieren. Wenn die Arbeit dabei zeigen<br />

konnte, daß au<strong>ch</strong> aus juristis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t in den prozeduralen <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

ein vielverspre<strong>ch</strong>endes Begründungsmodell für 'ri<strong>ch</strong>tiges Re<strong>ch</strong>t' zu finden ist,<br />

dann hat sie ihr wi<strong>ch</strong>tigstes Ziel errei<strong>ch</strong>t.<br />

I. <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, Moral und Re<strong>ch</strong>t<br />

1. Der tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> und regelmäßig festzustellende <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbezug des positiven<br />

Re<strong>ch</strong>ts ist ni<strong>ch</strong>t bloß kontingent, son<strong>der</strong>n beruht auf einem inhaltsoffenen Ri<strong>ch</strong>tigkeitsanspru<strong>ch</strong>,<br />

dessen Erhebung notwendig mit <strong>der</strong> Qualifizierung als 'Re<strong>ch</strong>t' einhergeht.<br />

Sowohl in <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tstheorie als au<strong>ch</strong> in <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsdogmatik läßt si<strong>ch</strong> eine<br />

spezifis<strong>ch</strong> juristis<strong>ch</strong>e Perspektive für <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen entwickeln, aus <strong>der</strong> die<br />

<strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie in einem neuen Li<strong>ch</strong>t ers<strong>ch</strong>einen. <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

wird dadur<strong>ch</strong> zu einem Untersu<strong>ch</strong>ungsgegenstand <strong>der</strong> Jurisprudenz. Aus juristis<strong>ch</strong>er<br />

Si<strong>ch</strong>t muß si<strong>ch</strong> eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie bemühen, die philosophis<strong>ch</strong>e Ebene<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung mit <strong>der</strong> dogmatis<strong>ch</strong>en Ebene <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugung<br />

zu verbinden.<br />

II.<br />

Begriff und Klassifizierung prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

2. Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist Teil <strong>der</strong> Moral. Die notwendigen Elemente des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffs<br />

treten deutli<strong>ch</strong> hervor, wenn man ihn zunä<strong>ch</strong>st unabhängig vom Begriff<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm definiert. Dann zeigt si<strong>ch</strong>, daß das <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprädikat<br />

dur<strong>ch</strong> Handlungs-, Sozial-, Ri<strong>ch</strong>tigkeits-, Sollens- und Glei<strong>ch</strong>heitsbezug geprägt ist.<br />

Im Begriff <strong>der</strong> Norm und in ihrem pragmatis<strong>ch</strong>en Gehalt sind hingegen die meisten<br />

dieser Elemente bereits enthalten, so daß <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen vereinfa<strong>ch</strong>t als Normen<br />

über sozialbezogene Handlungsweisen begriffen werden können. <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

stellt si<strong>ch</strong> dann als Inbegriff <strong>der</strong> Geltung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen dar. Die Behauptung<br />

<strong>der</strong> Geltung kann si<strong>ch</strong> auf die Begründung o<strong>der</strong> Erzeugung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

stützen. Damit ist ein <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff gefunden, <strong>der</strong> sowohl für<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründungs- als au<strong>ch</strong> für <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungstheorien als<br />

Grundlage geeignet ist.<br />

3. Unter den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien sind diejenigen beson<strong>der</strong>s bedeutsam, die<br />

si<strong>ch</strong> mit politis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> befassen (S<strong>ch</strong>werpunktthese). Sie werden gemeinhin<br />

na<strong>ch</strong> dem Darstellungsmittel klassifiziert (Vertrag, Beoba<strong>ch</strong>ter, Diskurs). Eine<br />

363


sol<strong>ch</strong>e Einteilung ist allein wenig aussagekräftig, weil praktis<strong>ch</strong> je<strong>der</strong> Inhalt im Gewand<br />

einer Vertragstheorie präsentiert werden kann (Indifferenzeinwand). Dagegen<br />

vermag die Klassifizierung na<strong>ch</strong> Grundpositionen <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie die<br />

unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Konzeptionen <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft, die von den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

jeweils verfolgt werden, besser zu betonen. Sowohl die Formen des<br />

Vernunftgebrau<strong>ch</strong>s (pragmatis<strong>ch</strong>, ethis<strong>ch</strong>, moralis<strong>ch</strong>) als au<strong>ch</strong> die in den <strong>Theorien</strong><br />

verwendeten Darstellungsmittel (Vertrag, Beoba<strong>ch</strong>ter, Diskurs) sind demgegenüber<br />

untergeordnete Unters<strong>ch</strong>eidungskriterien.<br />

4. Trotz des sehr unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Anwendungsberei<strong>ch</strong>s, den <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> behandeln (Mikro-, Meso-, Makrotheorien), bleiben sie verglei<strong>ch</strong>bar<br />

(Skalierbarkeitsthese). Eine vollständige Theorie <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

muß mindestens die fünf Themenkreise 'Begründungsmodell', 'Institutionalisierung',<br />

'Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te', 'Demokratie' und 'Güterverteilung' behandeln (Mindestgehaltsthese).<br />

Als beson<strong>der</strong>e, ni<strong>ch</strong>t zum Mindestkanon gehörige Themenkreise können<br />

die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> gegenüber <strong>der</strong> Natur, in <strong>der</strong> Völkergemeins<strong>ch</strong>aft, gegenüber<br />

zukünftigen Generationen und unter den Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tern gelten. In <strong>der</strong> Regel läßt si<strong>ch</strong><br />

eine unvollständige Theorie ohne Argumentationsbru<strong>ch</strong> vervollständigen (Ergänzbarkeitsthese)<br />

und verliert ihre Gültigkeit ni<strong>ch</strong>t dadur<strong>ch</strong>, daß sie na<strong>ch</strong>trägli<strong>ch</strong> auf die<br />

beson<strong>der</strong>en Themenkreise ausgedehnt wird (Erweiterbarkeitsthese).<br />

5. <strong>Prozedurale</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist die För<strong>der</strong>ung von Ergebnisgere<strong>ch</strong>tigkeit dur<strong>ch</strong><br />

Verfahren. Sie tritt abs<strong>ch</strong>ließend in vier Formen auf. Nur die reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

läßt eine Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> zu, die ohne verfahrensexterne<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>skriterien und ohne einen übergeordneten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>srahmen auskommt.<br />

Die quasi-reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> bedarf dagegen immer eines<br />

übergeordneten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>srahmens. Die beiden 'dienenden' Formen, die unvollkommene<br />

und die vollkommene prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, eignen si<strong>ch</strong> allein ni<strong>ch</strong>t<br />

zur <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung, son<strong>der</strong>n sind auf verfahrensexterne Kriterien angewiesen.<br />

6. <strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im engeren Sinne sind nur sol<strong>ch</strong>e<br />

<strong>Theorien</strong>, die zur Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> auf Verfahren zurückgreifen. Es<br />

handelt si<strong>ch</strong> dabei um genau diejenigen <strong>Theorien</strong>, die <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en o<strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en<br />

Grundposition <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie zuzure<strong>ch</strong>nen sind. Für diese<br />

<strong>Theorien</strong> ist kennzei<strong>ch</strong>nend, daß sie materiale Annahmen so s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong> wie mögli<strong>ch</strong><br />

halten und die prozeduralen Begründungselemente so stark wie mögli<strong>ch</strong> ausbauen.<br />

Als prozedurale <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im weiteren Sinne kann man au<strong>ch</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungstheorien<br />

verstehen; <strong>der</strong>en Verfahren bleiben aber auf verfahrensexterne<br />

Kriterien zur <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung angewiesen.<br />

III. Einige <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

7. Die <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>en Grundposition verbindet eine grundlegende<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskepsis. Ihr Credo ist, daß <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> inhaltli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t begründet<br />

werden kann. Soweit die <strong>Theorien</strong> auf Verfahren setzen, um Ents<strong>ch</strong>eidungen über<br />

Handlungsweisen herbeizuführen, wird diesen Verfahren keine gere<strong>ch</strong>tigkeitsbegründende<br />

Wirkung zugeordnet; diese sind vielmehr bloß Mittel zur Errei<strong>ch</strong>ung<br />

eines ni<strong>ch</strong>tprozedural bestimmten Zwecks.<br />

364


8. Die <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition halten eine bestimmte Konzeption<br />

des guten Lebens für allgemeinverbindli<strong>ch</strong>; <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> beurteilt si<strong>ch</strong> in Abhängigkeit<br />

von dem als wertvoll erkannten 'Guten'. Die materiellen Konzeptionen<br />

des Guten in Naturre<strong>ch</strong>tslehren und im Kommunitarismus stimmen mit <strong>der</strong> formellen<br />

Konzeption des Guten im Utilitarismus darin überein, daß ihre Ziele selbst ni<strong>ch</strong>t<br />

mehr dur<strong>ch</strong> Verfahren überprüft, son<strong>der</strong>n nur no<strong>ch</strong> gesetzt werden. Insoweit kann<br />

man von einem partiellen Begründungsverzi<strong>ch</strong>t spre<strong>ch</strong>en. Bei Naturre<strong>ch</strong>tslehren<br />

wird <strong>der</strong> materielle Begründungsmaßstab für <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ('göttli<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>'),<br />

beim Utilitarismus das formelle <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzip ('größtes Glück <strong>der</strong><br />

größten Zahl') und beim Kommunitarismus die Bindung an eine kollektive Konzeption<br />

des Guten ('Traditionsgemeins<strong>ch</strong>aft') ni<strong>ch</strong>t mehr hinterfragt. Insoweit sind die<br />

<strong>Theorien</strong> nur bekenntnis-, ni<strong>ch</strong>t erkenntnisfähig.<br />

9. Die <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en Grundposition sind explizit – o<strong>der</strong> bei älteren<br />

Sozialvertragstheorien implizit – <strong>Theorien</strong> des rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens (rational<br />

<strong>ch</strong>oice theories, decision theories). Als Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien beurteilen sie die Ri<strong>ch</strong>tigkeit<br />

einer Handlungsweise allein mit individueller Nutzenmaximierung. Trotz des<br />

gemeinsamen methodis<strong>ch</strong>en Ausgangspunktes begründen diese <strong>Theorien</strong> sehr unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e<br />

Ergebnisse als gere<strong>ch</strong>t o<strong>der</strong> ungere<strong>ch</strong>t, je na<strong>ch</strong>dem, wel<strong>ch</strong>es Nutzenkalkül<br />

bei <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidung zugrundegelegt wird.<br />

10. Die <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en Grundposition fragen na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit eines<br />

Handelns für alle Betroffenen. Sie kommen in den Darstellungsformen <strong>der</strong> Sozialvertrags-,<br />

Beoba<strong>ch</strong>ter- und Diskurstheorien vor. Trotz vielfa<strong>ch</strong>er Ähnli<strong>ch</strong>keiten im<br />

Ergebnis unters<strong>ch</strong>eiden sie si<strong>ch</strong> grundlegend in <strong>der</strong> Methodik <strong>der</strong> Begründung.<br />

IV. Analyse und Kritik von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

11. Gegen den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskeptizismus <strong>der</strong> nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>en 'Antitheorien'<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> spri<strong>ch</strong>t erstens, daß sie die Rationalitätspotentiale prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t realisieren (Inadäquatheitsargument), und zweitens, daß sie zur<br />

Ri<strong>ch</strong>tigkeit sozialer Ordnung Aussagen treffen, die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Handelns aber<br />

glei<strong>ch</strong>zeitig für positiv ni<strong>ch</strong>t begründbar erklären (Inakzeptabilitätsargument).<br />

12. Abgesehen vom Utilitarismus, dessen Nutzenmaximierungsideal formal definiert<br />

ist, sind alle <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition einem Bekenntnis zu<br />

materiellen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>svorstellungen verpfli<strong>ch</strong>tet, das sie selbst ni<strong>ch</strong>t positiv begründen<br />

können. Ihre Konzeption des Guten liegt in einem Traditionalismus o<strong>der</strong> in<br />

einer religiösen o<strong>der</strong> sonst materialen Wertvorstellung, die zwar einem Wandel unterworfen<br />

sein kann, aber letztli<strong>ch</strong> immer einen unbegründeten Rest enthält. Mit<br />

dieser Begründungsabstinenz verhält es si<strong>ch</strong> ähnli<strong>ch</strong> wie bei den <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>en<br />

Grundposition: Sie ist angesi<strong>ch</strong>ts <strong>der</strong> prozeduralen Begründungsmögli<strong>ch</strong>keiten<br />

inadäquat und angesi<strong>ch</strong>ts <strong>der</strong> sozialen Aufgabe <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung<br />

inakzeptabel. Das bloße Bekenntnis zu einer kollektiven Konzeption des Guten,<br />

sei es material (Naturre<strong>ch</strong>tslehren, Kommunitarismus) o<strong>der</strong> formal (Utilitarismus),<br />

kann die For<strong>der</strong>ung na<strong>ch</strong> einer Begründung ri<strong>ch</strong>tigen Re<strong>ch</strong>ts ni<strong>ch</strong>t befriedigen.<br />

13. Im Hinblick auf das strategis<strong>ch</strong>e Handeln unter egoistis<strong>ch</strong>en Nutzenmaximierern,<br />

das bei den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en Grundposition den<br />

Ausgangspunkt bildet, verfügt die Spieltheorie über einen gegenüber älteren Sozial-<br />

365


vertragsmodellen genaueren Begründungsansatz. Die Spieltheorie kann aber ni<strong>ch</strong>t<br />

die normativen Argumente liefern, die zu einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung no<strong>ch</strong> fehlen.<br />

Die si<strong>ch</strong> we<strong>ch</strong>selseitig wi<strong>der</strong>spre<strong>ch</strong>enden Ansätze <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien<br />

zeigen, daß ein universelles Nutzenkalkül ni<strong>ch</strong>t bestimmbar ist. Dieses Defizit läßt<br />

si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t dadur<strong>ch</strong> überbrücken, daß – gewissermaßen dur<strong>ch</strong> die Hintertür –<br />

moralis<strong>ch</strong>e Bes<strong>ch</strong>ränkungen <strong>der</strong> Nutzenmaximierung eingeführt werden, denn damit<br />

verliert die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie ihren Charakter als Ents<strong>ch</strong>eidungstheorie. Die<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en Grundposition stellen si<strong>ch</strong> also insgesamt<br />

als prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien dar, <strong>der</strong>en konkrete <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung<br />

mit so gewi<strong>ch</strong>tigen Unwägbarkeiten belastet ist und zu so inadäquaten<br />

Sozialmodellen führt, daß die <strong>Theorien</strong> im Ergebnis ni<strong>ch</strong>t überzeugen können.<br />

14. Au<strong>ch</strong> die <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en Grundposition bieten nur teilweise eine<br />

hinrei<strong>ch</strong>ende <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung. Kantis<strong>ch</strong>e Sozialvertragstheorien und<br />

Standpunkttheorien begegnen s<strong>ch</strong>on im methodis<strong>ch</strong>en Ansatz dur<strong>ch</strong>greifenden Bedenken;<br />

sie können den Verda<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> konstruktiven Beliebigkeit ihrer moralis<strong>ch</strong>en<br />

Gehalte ni<strong>ch</strong>t ausräumen. Diskurstheorien verspre<strong>ch</strong>en am ehesten, eine befriedigende<br />

Antwort auf die Frage na<strong>ch</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Re<strong>ch</strong>t geben zu können.<br />

V. Grundzüge einer Diskurstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

15. <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen lassen si<strong>ch</strong> unmittelbar begründen, indem man ihre<br />

diskurstheoretis<strong>ch</strong>e o<strong>der</strong> diskursive Notwendigkeit zeigt; sie lassen si<strong>ch</strong> mittelbar<br />

begründen, indem man die Anwendungsbedingungen und Verfahrensregeln definiert,<br />

unter denen reale Diskurse gere<strong>ch</strong>te Ergebnisse hervorbringen. Es bietet si<strong>ch</strong><br />

an, diese Begründungsformen zu einer kombinierten Begründungsstrategie zu verbinden.<br />

16. Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te und Demokratie lassen si<strong>ch</strong> weitgehend unmittelbar begründen,<br />

also ohne Rückgriff auf konkrete Diskurse. Eine diskurstheoretis<strong>ch</strong>e Präsuppositionsanalyse,<br />

erweitert um s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>e empiris<strong>ch</strong>e Prämissen, kann dabei zeigen, daß<br />

die Grundsätze <strong>der</strong> anthropozentris<strong>ch</strong>en Souveränität, <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Meinungsäußerungsfreiheit,<br />

<strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heit im Diskurs und <strong>der</strong> mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Existenzbere<strong>ch</strong>tigung<br />

bei je<strong>der</strong> Kommunikation über <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> notwendig vorausgesetzt<br />

werden müssen (diskurstheoretis<strong>ch</strong>e Notwendigkeit). Sie sind damit aber<br />

ni<strong>ch</strong>t ausnahmslos, son<strong>der</strong>n nur 'im Prinzip' objektiv anerkannt, haben also no<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t den Status vorpositiver Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te. Mit Hilfe des hypothetis<strong>ch</strong>en idealen<br />

Diskurses – einem Verfahren <strong>der</strong> reinen prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> – lassen si<strong>ch</strong> darüber<br />

hinaus einzelne <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien begründen (diskursive Notwendigkeit).<br />

Dazu gehören ein umfassendes System öffentli<strong>ch</strong>er und privater Freiheiten,<br />

<strong>der</strong> allgemeine Glei<strong>ch</strong>heitssatz, das Gebot <strong>der</strong> Verhältnismäßigkeit und ein Grundre<strong>ch</strong>t<br />

auf Demokratie. Die spezifis<strong>ch</strong>e Abwägung <strong>der</strong> Freiheitsre<strong>ch</strong>te untereinan<strong>der</strong>,<br />

die Begründung einer Eigentumsordnung und die konkrete Institutionalisierung eines<br />

demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaates folgen hingegen ni<strong>ch</strong>t aus einem idealen Diskurs.<br />

Die unmittelbar begründeten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen müssen in <strong>der</strong> Form zwingenden<br />

Re<strong>ch</strong>ts institutionalisiert werden, weil nur die Institutionalisierung von Normen,<br />

ihre Bewehrung mit staatli<strong>ch</strong>em Zwang, die Normdur<strong>ch</strong>setzung und damit die<br />

Realisierung von Kooperationsgewinnen in <strong>der</strong> Gemeins<strong>ch</strong>aft si<strong>ch</strong>ern kann.<br />

366


17. Juristis<strong>ch</strong>e Verfahren lassen si<strong>ch</strong> sinnvoll als reale Diskurse begreifen. Anwendungsbedingungen<br />

und Verfahrensregeln können dann so formuliert werden,<br />

daß sie <strong>der</strong> regulativen Idee eines Diskurses unter idealen Bedingungen folgen. Eine<br />

Diskurstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ermögli<strong>ch</strong>t dadur<strong>ch</strong> eine weitergehende, konkretisierende<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung jenseits <strong>der</strong> unmittelbar begründeten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

('<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>srahmen'). Sie wird so zu einer Basistheorie des demokratis<strong>ch</strong>en<br />

Verfassungsstaates.<br />

18. Ni<strong>ch</strong>tstrategis<strong>ch</strong>e Politik kann sinnvoll als realer Diskurs zur <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung<br />

verstanden werden. Dadur<strong>ch</strong> werden die Anwendungsbedingungen<br />

und Verfahrensregeln, die Habermas für sein Konzept <strong>der</strong> deliberativen Politik formuliert<br />

hat, unmittelbar als Gebote rekonstruierbar, die Diskursideale näherungsweise<br />

verwirkli<strong>ch</strong>en. Der S<strong>ch</strong>utz öffentli<strong>ch</strong>er Meinungsbildung und zivilgesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er<br />

Assoziation sowie die Regulierung von Massenmedien müssen dann<br />

dem Umstand Re<strong>ch</strong>nung tragen, daß diese politis<strong>ch</strong>en Instrumente für die Erzeugung<br />

gere<strong>ch</strong>ten Re<strong>ch</strong>ts als Verfahren prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> konstitutiv sind.<br />

Vereinfa<strong>ch</strong>t ausgedrückt: Ohne einen wirksamen S<strong>ch</strong>utz politis<strong>ch</strong>er Diskurse vor<br />

strategis<strong>ch</strong>en Interessen ist die Begründung gere<strong>ch</strong>ten Re<strong>ch</strong>ts jedenfalls ni<strong>ch</strong>t optimal<br />

mögli<strong>ch</strong>. Neue Verfahren, wie etwa die 'deliberative Abstimmung', können einen<br />

prozeduralen Beitrag zu diesem Optimierungsprozeß leisten.<br />

19. Im demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaat unterliegen Ents<strong>ch</strong>eidungen über die soziale<br />

Ordnung dem relativen Primat des <strong>Prozedurale</strong>n. Damit verlagert si<strong>ch</strong> die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung<br />

auf die Anfor<strong>der</strong>ungen, die an Verfahren gestellt werden<br />

müssen. Die Verfahren müssen so gestaltet sein, daß sie entwe<strong>der</strong> die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit<br />

erhöhen, ein s<strong>ch</strong>on als gere<strong>ch</strong>t begründetes Ergebnis real umzusetzen (unvollkommen<br />

prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>), o<strong>der</strong> sie müssen si<strong>ch</strong>erstellen, daß jedes Ergebnis,<br />

solange es innerhalb materieller <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>svorgaben liegt, als definitiv<br />

gere<strong>ch</strong>t angesehen werden kann (quasi-reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>). Indem die<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen diskurstheoretis<strong>ch</strong> begründet werden, kann die Diskurstheorie zur<br />

Basistheorie des demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaates werden. Für die vers<strong>ch</strong>iedenen<br />

Verfahren im Re<strong>ch</strong>t (Verfassunggebung, parlamentaris<strong>ch</strong>e Gesetzgebung, Verwaltungs-<br />

und Geri<strong>ch</strong>tsverfahren) gelingt dies, indem die Verfahren als reale Diskurse<br />

betra<strong>ch</strong>tet werden. Innerhalb <strong>der</strong> Politik kann diese Betra<strong>ch</strong>tungsweise auf die<br />

Re<strong>ch</strong>tspolitik ausgedehnt werden und dabei neben dem 'ri<strong>ch</strong>tigen' Wahlkampf vor<br />

allem Habermas Konzept <strong>der</strong> deliberativen Politik mit diskurstheoretis<strong>ch</strong>en Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

begleiten. Im Berei<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Wirts<strong>ch</strong>aft bleibt die Leistung <strong>der</strong> Diskurstheorie<br />

indes auf die Metaebene des Wirts<strong>ch</strong>aftsre<strong>ch</strong>ts bes<strong>ch</strong>ränkt.<br />

20. Eine Diskurstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, wie sie hier in Grundzügen skizziert<br />

wurde, läßt si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> jenseits <strong>der</strong> Themenkreise, die zum Mindestgehalt einer politis<strong>ch</strong>en<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie zählen, zu einer umfassenden Theorie ausbauen. Die<br />

hier vorgestellte anthropozentris<strong>ch</strong>e, generationsbes<strong>ch</strong>ränkte, staatsbezogene und<br />

ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terblinde Theorie ist für Erweiterungen offen, ohne daß an den Grundzügen<br />

<strong>der</strong> Begründung na<strong>ch</strong>trägli<strong>ch</strong> etwas geän<strong>der</strong>t werden müßte.<br />

367


368


Anhang:<br />

Definitionen, Theoreme und Prinzipien<br />

A: Es ist wüns<strong>ch</strong>enswert, daß Mens<strong>ch</strong>en ihr Verhalten nur na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> freien<br />

Annahme von Prinzipien ri<strong>ch</strong>ten, die sie, na<strong>ch</strong> genügen<strong>der</strong> Reflexion und<br />

Beratung, als gültig beurteilen. (Ninos 'Grundnorm des moralis<strong>ch</strong>en Diskurses',<br />

Alexys 'Autonomieprinzip', S. 251)<br />

D: Ri<strong>ch</strong>tig und damit gültig sind genau die Normen, die in einem idealen<br />

Diskurs von jedem als ri<strong>ch</strong>tig beurteilt werden würden. (Alexys 'Diskursprinzip',<br />

S. 231)<br />

D 1 :<br />

D 1A :<br />

D 1D :<br />

D 1G :<br />

D 1K :<br />

D 1N :<br />

D 1P :<br />

D 1RC :<br />

D 2 :<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist die Ri<strong>ch</strong>tigkeit und Pfli<strong>ch</strong>tigkeit eines Handelns in bezug<br />

auf an<strong>der</strong>e unter dem Gesi<strong>ch</strong>tspunkt <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heit. ('<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' in<br />

handlungsbezogener Definition, S. 50)<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im axiologis<strong>ch</strong>en Sinn ist die Ri<strong>ch</strong>tigkeit und Werthaftigkeit<br />

eines Handelns in bezug auf an<strong>der</strong>e unter dem Gesi<strong>ch</strong>tspunkt <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heit.<br />

('<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' in axiologis<strong>ch</strong>er Definition, S. 55)<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im deontologis<strong>ch</strong>en Sinn ist die Ri<strong>ch</strong>tigkeit und Pfli<strong>ch</strong>tigkeit<br />

eines Handelns in bezug auf an<strong>der</strong>e unter dem Gesi<strong>ch</strong>tspunkt <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heit.<br />

('<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' in deontologis<strong>ch</strong>er Definition, S. 55)<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Sinne des Prinzips minimax relativer Konzession ist die<br />

Ri<strong>ch</strong>tigkeit und Pfli<strong>ch</strong>tigkeit desjenigen sozial- und glei<strong>ch</strong>heitsbezogenen<br />

Handelns, auf das si<strong>ch</strong> egoistis<strong>ch</strong>e Nutzenmaximierer einigen würden,<br />

wenn sie si<strong>ch</strong> gegenseitig die mindestens erfor<strong>der</strong>li<strong>ch</strong>en relativen Zugeständnisse<br />

ma<strong>ch</strong>ten. ('<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' bei Gauthier, S. 191)<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Sinne <strong>der</strong> <strong>Theorien</strong> mit kantis<strong>ch</strong>er Grundposition ist die<br />

Ri<strong>ch</strong>tigkeit und Pfli<strong>ch</strong>tigkeit desjenigen sozial- und glei<strong>ch</strong>heitsbezogenen<br />

Handelns, auf das si<strong>ch</strong> alle in einer Situation <strong>der</strong> Freiheit und Glei<strong>ch</strong>heit<br />

einigen (würden). ('<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' in kantis<strong>ch</strong>en <strong>Theorien</strong>, S. 199)<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist die Geltung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen. ('<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>'<br />

in normbezogener Definition, S. 75)<br />

Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist die Geltung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen als<br />

Re<strong>ch</strong>tsnormen. ('Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' in normbezogener Definition,<br />

S. 78)<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Sinne <strong>der</strong> <strong>Theorien</strong> rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens ist die<br />

Ri<strong>ch</strong>tigkeit und Pfli<strong>ch</strong>tigkeit desjenigen sozial- und glei<strong>ch</strong>heitsbezogenen<br />

Handelns, auf das si<strong>ch</strong> egoistis<strong>ch</strong>e Nutzenmaximierer einigen (würden).<br />

('<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' in <strong>Theorien</strong> rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens, S. 170)<br />

Eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie ist eine Theorie über das Anführen von Gründen<br />

für o<strong>der</strong> gegen die Behauptung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>. (Definition <strong>der</strong> '<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie',<br />

S. 76)<br />

369


D 2 ':<br />

D 2N :<br />

D 3 :<br />

D 3 ':<br />

D 3a :<br />

D 3b :<br />

D 3c :<br />

D 3d :<br />

D 4 :<br />

D 4 ':<br />

Eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie ist eine Theorie über das Anführen von<br />

Gründen für o<strong>der</strong> gegen die Behauptung <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit und Pfli<strong>ch</strong>tigkeit<br />

einer Handlungsweise in bezug auf an<strong>der</strong>e unter dem Gesi<strong>ch</strong>tspunkt <strong>der</strong><br />

Glei<strong>ch</strong>heit. ('<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie' in handlungsbezogener Definition,<br />

S. 77)<br />

Eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie ist eine Theorie über die Geltung von<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen. ('<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie' in normbezogener Definition,<br />

S. 77)<br />

<strong>Prozedurale</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist diejenige För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Ergebnisgere<strong>ch</strong>tigkeit,<br />

die dur<strong>ch</strong> Verfahren errei<strong>ch</strong>t wird (Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit). (Definition<br />

<strong>der</strong> 'prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>', S. 119)<br />

<strong>Prozedurale</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist diejenige För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Ergebnisgere<strong>ch</strong>tigkeit,<br />

die unter den Anwendungsbedingungen eines als gere<strong>ch</strong>tigkeitsför<strong>der</strong>nd<br />

begründeten Verfahrens dur<strong>ch</strong> die korrekte Einhaltung <strong>der</strong> Verfahrensregeln<br />

errei<strong>ch</strong>t wird. ('<strong>Prozedurale</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' in verfahrensqualifizieren<strong>der</strong><br />

Definition, S. 121)<br />

Vollkommene prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (perfect procedural justice) ist diejenige<br />

prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, bei <strong>der</strong> ein Verfahren mit Si<strong>ch</strong>erheit eine<br />

angemessene Annäherung an ein verfahrensunabhängig als gere<strong>ch</strong>t begründetes<br />

Ergebnis bewirkt. (Definition <strong>der</strong> 'vollkommenen prozeduralen<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>', S. 125)<br />

Unvollkommene prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (imperfect procedural justice)<br />

ist diejenige prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, bei <strong>der</strong> ein Verfahren ni<strong>ch</strong>t mit Si<strong>ch</strong>erheit<br />

eine angemessene Annäherung an ein verfahrensunabhängig als<br />

gere<strong>ch</strong>t begründetes Ergebnis bewirkt. (Definition <strong>der</strong> 'unvollkommenen<br />

prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>', S. 126)<br />

Reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (pure procedural justice) ist diejenige prozedurale<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, bei <strong>der</strong> ein Verfahren mit Si<strong>ch</strong>erheit ein gere<strong>ch</strong>tes<br />

Ergebnis bewirkt, wobei es kein verfahrensunabhängiges Kriterium für<br />

die Beurteilung <strong>der</strong> Ergebnisgere<strong>ch</strong>tigkeit gibt (Definitionswirkung).<br />

(Definition <strong>der</strong> 'reinen prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>', S. 127)<br />

Quasi-reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (quasi-pure procedural justice) ist<br />

diejenige prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, bei <strong>der</strong> ein Verfahren ni<strong>ch</strong>t mit Si<strong>ch</strong>erheit<br />

ein gere<strong>ch</strong>tes Ergebnis bewirkt, wobei es kein verfahrensunabhängiges<br />

Kriterium für die Beurteilung <strong>der</strong> Ergebnisgere<strong>ch</strong>tigkeit gibt.<br />

(Definition <strong>der</strong> 'quasi-reinen prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>', S. 128)<br />

<strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> sind <strong>Theorien</strong>, die die Behauptung<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> mit Verfahren begründen. (Definition <strong>der</strong> 'prozeduralen<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie', S. 132)<br />

<strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> sind <strong>Theorien</strong>, die die Behauptung<br />

<strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit und Pfli<strong>ch</strong>tigkeit eines Handelns in bezug auf an<strong>der</strong>e<br />

unter dem Gesi<strong>ch</strong>tspunkt <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heit mit Verfahren begründen. ('<strong>Prozedurale</strong><br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie' in handlungsbezogener Definition, S. 133)<br />

370


D 4E :<br />

D 4K :<br />

D 4N :<br />

D 4RC :<br />

D Di :<br />

D Dr :<br />

D F :<br />

D F ':<br />

D H :<br />

D M :<br />

<strong>Prozedurale</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungstheorien sind <strong>Theorien</strong>, na<strong>ch</strong> denen<br />

die reale Erzeugung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> dadur<strong>ch</strong> geför<strong>der</strong>t wird, daß man<br />

ein als gere<strong>ch</strong>t begründetes Verfahren, dessen Anwendungsbedingungen<br />

vorliegen, korrekt dur<strong>ch</strong>führt. (Definition <strong>der</strong> 'prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungstheorie',<br />

S. 133)<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en Grundposition sind sol<strong>ch</strong>e, na<strong>ch</strong><br />

denen eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm N genau dann ri<strong>ch</strong>tig ist, wenn sie das Ergebnis<br />

einer autonomiewahrenden Prozedur P sein kann. ('<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien'<br />

<strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en Grundposition, S. 199)<br />

<strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> sind <strong>Theorien</strong>, na<strong>ch</strong> denen eine<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm N genau dann ri<strong>ch</strong>tig ist, wenn sie das Ergebnis einer<br />

bestimmten Prozedur P sein kann. ('<strong>Prozedurale</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie' in<br />

normbezogener Definition, S. 132)<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien des rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens sind <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien,<br />

na<strong>ch</strong> denen eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm N genau dann ri<strong>ch</strong>tig ist,<br />

wenn sie das Ergebnis einer Prozedur P des rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens sein<br />

kann. ('<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien' als <strong>Theorien</strong> rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens,<br />

S. 170)<br />

Ein idealer praktis<strong>ch</strong>er Diskurs ist ein Diskurs, bei dem »unter den Bedingungen<br />

unbegrenzter Zeit, unbegrenzter Teilnehmers<strong>ch</strong>aft und vollkommener<br />

Zwanglosigkeit im Wege <strong>der</strong> Herstellung vollkommener<br />

spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>-begriffli<strong>ch</strong>er Klarheit, vollkommener empiris<strong>ch</strong>er Informiertheit,<br />

vollkommener Fähigkeit und Bereits<strong>ch</strong>aft zum Rollentaus<strong>ch</strong> und<br />

vollkommener Vorurteilsfreiheit die Antwort auf eine praktis<strong>ch</strong>e Frage<br />

gesu<strong>ch</strong>t wird.« (Alexys Definition des 'idealen praktis<strong>ch</strong>en Diskurses',<br />

S. 219)<br />

Ein realer praktis<strong>ch</strong>er Diskurs ist ein Diskurs, bei dem unter Bedingungen,<br />

die so weit, wie es na<strong>ch</strong> den Umständen angemessen ist, denen des<br />

idealen Diskurses angenähert sind, mindestens aber den Verzi<strong>ch</strong>t aller Beteiligten<br />

auf die absi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Ausübung von Zwang dur<strong>ch</strong> Gewalt und<br />

Drohung beinhalten, die Antwort auf eine praktis<strong>ch</strong>e Frage gesu<strong>ch</strong>t wird.<br />

(Definition des 'realen praktis<strong>ch</strong>en Diskurses', S. 219)<br />

Fairneß ist <strong>der</strong> Inbegriff <strong>der</strong> Verfahrensri<strong>ch</strong>tigkeit bei sol<strong>ch</strong>en Prozeduren<br />

und ihrer Dur<strong>ch</strong>führung (Prozeß), die selbst ri<strong>ch</strong>tigkeitsorientiert sind.<br />

(Definition <strong>der</strong> 'Fairneß', S. 122)<br />

Fairneß ist genau das, was in <strong>der</strong> prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> die För<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Ergebnisses ausma<strong>ch</strong>t. (Synonymität von 'Fairneß'<br />

und 'prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>', S. 123)<br />

Gültig sind genau die Handlungsnormen, denen alle mögli<strong>ch</strong>erweise<br />

Betroffenen als Teilnehmer an rationalen Diskursen zustimmen könnten.«<br />

(Habermas 'Diskursprinzip', S. 240)<br />

Materiale (substantielle) <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> eines Ergebnisses<br />

(Ergebnisgere<strong>ch</strong>tigkeit). (Definition <strong>der</strong> 'materialen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>',<br />

S. 119)<br />

371


D N :<br />

D NG :<br />

D P :<br />

D R :<br />

Eine Norm ist die Verbindung eines deontis<strong>ch</strong>en Operators (Gebot, Verbot,<br />

Erlaubnis) mit einer Handlungsweise. (Definition <strong>der</strong> 'Norm', S. 71)<br />

Eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm ist die Verbindung eines deontis<strong>ch</strong>en Operators<br />

(Gebot, Verbot, Erlaubnis) mit einer sozialbezogenen Handlungsweise.<br />

(Definition <strong>der</strong> '<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm', S. 73)<br />

<strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> sind <strong>Theorien</strong>, na<strong>ch</strong> denen eine Aussage genau<br />

dann wahr o<strong>der</strong> ri<strong>ch</strong>tig ist, wenn sie das Ergebnis einer bestimmten Prozedur<br />

sein kann. (Definition <strong>der</strong> 'prozeduralen Theorie', S. 132)<br />

<strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> praktis<strong>ch</strong>er Ri<strong>ch</strong>tigkeit sind <strong>Theorien</strong>, na<strong>ch</strong> denen<br />

eine normative Aussage N genau dann ri<strong>ch</strong>tig ist, wenn sie das Ergebnis<br />

einer bestimmten Prozedur P sein kann. (Definition <strong>der</strong> 'prozeduralen<br />

Theorie praktis<strong>ch</strong>er Ri<strong>ch</strong>tigkeit' in Anlehnung an Alexy, S. 132)<br />

E: Erstens muß es in allem Tun und Lassen darum gehen, das Überleben <strong>der</strong><br />

mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Gattung als <strong>der</strong> realen Kommunikationsgemeins<strong>ch</strong>aft si<strong>ch</strong>erzustellen,<br />

zweitens darum, in <strong>der</strong> realen die ideale Kommunikationsgemeins<strong>ch</strong>aft<br />

zu verwirkli<strong>ch</strong>en. Das erste Ziel ist die notwendige Bedingung<br />

des zweiten Ziels; und das zweite Ziel gibt dem ersten seinen<br />

Sinn, – den Sinn, <strong>der</strong> mit jedem Argument s<strong>ch</strong>on antizipiert ist. (Apels 'Ergänzungsprinzip',<br />

S. 236)<br />

N 1 :<br />

N 1 ':<br />

N 2 :<br />

Jede Person hat das glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>t auf das umfangrei<strong>ch</strong>ste Gesamtsystem<br />

glei<strong>ch</strong>er Grundfreiheiten, das mit einem entspre<strong>ch</strong>enden Freiheitssystem<br />

für alle vereinbar ist. (Rawls 'Erstes <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzip', S. 203)<br />

Jede Person hat einen glei<strong>ch</strong>en Anspru<strong>ch</strong> auf ein vollständig angemessenes<br />

System glei<strong>ch</strong>er Grundre<strong>ch</strong>te und Freiheiten, das mit dem<br />

glei<strong>ch</strong>en System für alle verträgli<strong>ch</strong> ist; und in diesem System muß den<br />

glei<strong>ch</strong>en politis<strong>ch</strong>en Freiheiten, und nur diesen Freiheiten, ihr fairer Wert<br />

garantiert werden. (Rawls 'Erstes <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzip' in <strong>der</strong> Neuformulierung,<br />

S. 210)<br />

Soziale und wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Unglei<strong>ch</strong>heiten müssen so bes<strong>ch</strong>affen sein, daß<br />

sie sowohl<br />

N 2 ':<br />

(a) den am wenigsten Begünstigten zum größten Vorteil gerei<strong>ch</strong>en, vereinbar<br />

mit dem gere<strong>ch</strong>ten Spargrundsatz, als au<strong>ch</strong><br />

(b) mit Ämtern und Positionen verbunden sind, die allen unter den Bedingungen<br />

fairer Chancenglei<strong>ch</strong>heit offenstehen. (Rawls 'Zweites <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzip',<br />

S. 203)<br />

Soziale und wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Unglei<strong>ch</strong>heiten müssen zwei Bedingungen erfüllen:<br />

(a) erstens müssen sie mit Positionen und Ämtern verbunden sein, die unter<br />

den Bedingungen fairer Chancenglei<strong>ch</strong>heit allen offen stehen;<br />

(b) und zweitens müssen sie den am wenigsten begünstigten Mitglie<strong>der</strong>n<br />

<strong>der</strong> Gesells<strong>ch</strong>aft zum größten Vorteil gerei<strong>ch</strong>en. (Rawls 'Zweites <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzip'<br />

in <strong>der</strong> Neuformulierung, S. 210)<br />

372


N D :<br />

N E :<br />

N F :<br />

N G :<br />

N M :<br />

N oD :<br />

N S :<br />

R F :<br />

Grundre<strong>ch</strong>t auf Demokratie: Je<strong>der</strong> hat das Re<strong>ch</strong>t auf die optimale diskursive<br />

Kontrolle <strong>der</strong> sozialen Ordnung in Form eines demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaates.<br />

(S. 330)<br />

Grundsatz <strong>der</strong> mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Existenzbere<strong>ch</strong>tigung: Im Prinzip haben<br />

Mens<strong>ch</strong>en ein Re<strong>ch</strong>t auf Leben und körperli<strong>ch</strong>e Unversehrtheit. (S. 324)<br />

Grundre<strong>ch</strong>t auf optimierte Freiheiten: Je<strong>der</strong> hat das Re<strong>ch</strong>t auf das größtmögli<strong>ch</strong>e<br />

Maß glei<strong>ch</strong>er subjektiver Handlungsfreiheiten. (S. 327)<br />

Grundsatz <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heit: Bezügli<strong>ch</strong> dieser Grundsätze sind alle Mens<strong>ch</strong>en<br />

im Prinzip glei<strong>ch</strong>. (S. 324)<br />

Grundsatz <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Meinungsfreiheit: Im Prinzip haben Mens<strong>ch</strong>en<br />

das Re<strong>ch</strong>t, ihre Meinung in politis<strong>ch</strong>en Angelegenheiten zu äußern.<br />

(S. 324)<br />

Kein soziales Gut X sollte ungea<strong>ch</strong>tet seiner Bedeutung an Männer und<br />

Frauen, die im Besitz eines an<strong>der</strong>en Gutes Y sind, einzig und allein deshalb<br />

verteilt werden, weil sie dieses Y besitzen.« (Walzers 'offenes Distributionsprinzip',<br />

S. 166)<br />

Grundsatz <strong>der</strong> anthropozentris<strong>ch</strong>en Souveränität: Im Prinzip haben Mens<strong>ch</strong>en<br />

das Re<strong>ch</strong>t, die Regeln <strong>der</strong> sie betreffenden sozialen Ordnung zu bestimmen.<br />

(S. 324)<br />

Je<strong>der</strong> hat das Re<strong>ch</strong>t, frei zu beurteilen, was geboten und was gut ist, und<br />

entspre<strong>ch</strong>end zu handeln.« (Alexys 'allgemeines Freiheitsre<strong>ch</strong>t', S. 253)<br />

S: Der juristis<strong>ch</strong>e Diskurs ist ein Son<strong>der</strong>fall des allgemeinen praktis<strong>ch</strong>en<br />

Diskurses.« (Alexys 'Son<strong>der</strong>fallthese', S. 255)<br />

S RP :<br />

Der re<strong>ch</strong>tspolitis<strong>ch</strong>e Diskurs ist neben dem juristis<strong>ch</strong>en Diskurs ein<br />

weiterer Son<strong>der</strong>fall des allgemeinen praktis<strong>ch</strong>en Diskurses. (Erweiterte<br />

Son<strong>der</strong>fallthese, S. 350)<br />

T Dr : Die Anwendungsbedingungen und Verfahrensregeln eines realen<br />

Diskurses müssen so weit, wie na<strong>ch</strong> den Umständen angemessen, <strong>der</strong><br />

regulativen Idee eines Diskurses unter idealen Bedingungen angegli<strong>ch</strong>en<br />

werden. (Theorem über den realen Diskurs, S. 221)<br />

T K :<br />

T Ko :<br />

T L :<br />

Die Handlung X einer Person P ist genau dann ri<strong>ch</strong>tig, wenn sie si<strong>ch</strong> für<br />

alle als ri<strong>ch</strong>tig erweist. (Theorem über das Universalitäts-Axiom <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en<br />

Grundposition, S. 198)<br />

Im Diskurs begründet ist eine Behauptung genau dann, wenn sie von allen<br />

Diskursteilnehmern als ri<strong>ch</strong>tig beurteilt wird (Konsens). (Theorem<br />

über den Konsens, S. 230)<br />

Wer sein ganzes Leben lang keine Behauptung [im starken Sinne] aufstellt<br />

und keine Begründung [unter Anerkennung von Glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigung,<br />

Zwanglosigkeit und Universalität] gibt, nimmt ni<strong>ch</strong>t an <strong>der</strong> allgemeinsten<br />

Lebensform des Mens<strong>ch</strong>en teil.« (Alexys empiris<strong>ch</strong>e Prämisse über die<br />

Teilnahme an <strong>der</strong> allgemeinsten Lebensform des Mens<strong>ch</strong>en, S. 248)<br />

373


T N :<br />

T R :<br />

T R ':<br />

T RC :<br />

T S :<br />

Eine Handlung ist ri<strong>ch</strong>tig, wenn sie die beiden universellen Prinzipien <strong>der</strong><br />

Unparteili<strong>ch</strong>keit und <strong>der</strong> vernünftigen Parteili<strong>ch</strong>keit so zum Ausglei<strong>ch</strong><br />

bringt, daß niemand einwenden kann, seine Interessen seien ni<strong>ch</strong>t mit hinrei<strong>ch</strong>endem<br />

Gewi<strong>ch</strong>t berücksi<strong>ch</strong>tigt o<strong>der</strong> es würden übermäßige Opfer<br />

von ihm verlangt. (Nagel-Kriterium, S. 214)<br />

Der Ri<strong>ch</strong>tigkeit – verstanden als universelle Ri<strong>ch</strong>tigkeit für alle unter Eins<strong>ch</strong>luß<br />

sämtli<strong>ch</strong>er pragmatis<strong>ch</strong>en, ethis<strong>ch</strong>en und moralis<strong>ch</strong>en Gründe –<br />

kann man si<strong>ch</strong> nur in Diskursen vergewissern. (Theorem <strong>der</strong> Diskurstheorie<br />

als Theorie <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Ri<strong>ch</strong>tigkeit, S. 250)<br />

Man kann si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit nur im Diskurs vergewissern. (Kurzform<br />

von T R , S. 250)<br />

Die Handlung X einer Person P ist genau dann ri<strong>ch</strong>tig, wenn sie si<strong>ch</strong> bei<br />

Abwägung aller Vor- und Na<strong>ch</strong>teile für P als die vorteilhafteste darstellt.<br />

(Theorem über das Eigennutz-Axiom <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en Grundposition,<br />

S. 169)<br />

Eine Handlung ist fals<strong>ch</strong>, wenn ihre Ausführung unter den Umständen<br />

von jedem Regelsystem zur Verhaltensregelung verboten würde, das niemand<br />

vernünftigerweise als Grundlage einer informierten, unerzwungenen,<br />

allgemeinen Vereinbarung zurückweisen könnte. (Scanlon-<br />

Kriterium, S. 211)<br />

U: Jede gültige Norm muß <strong>der</strong> Bedingung genügen, daß die Folgen und Nebenwirkungen,<br />

die si<strong>ch</strong> aus ihrer allgemeinen Befolgung für die Befriedigung<br />

<strong>der</strong> Interessen jedes einzelnen voraussi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ergeben, von allen Betroffenen<br />

zwanglos akzeptiert werden können.« (Habermas 'Universalisierungsprinzip',<br />

S. 239)<br />

U h :<br />

U h ':<br />

Handle nur na<strong>ch</strong> einer Maxime, von <strong>der</strong> du, aufgrund realer Verständigung<br />

mit den Betroffenen bzw. ihren Anwälten o<strong>der</strong> – ersatzweise – aufgrund<br />

eines entspre<strong>ch</strong>enden Gedankenexperiments, unterstellen kannst,<br />

daß die Folgen und Nebenwirkungen, die si<strong>ch</strong> aus ihrer allgemeinen Befolgung<br />

für die Befriedigung <strong>der</strong> Interessen jedes einzelnen Betroffenen<br />

voraussi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ergeben, in einem realen Diskurs von allen Betroffenen<br />

zwanglos akzeptiert werden können.« (Apels 'Universalisierungsprinzip',<br />

S. 235)<br />

Handle (stets) so, als ob du Mitglied einer idealen Kommunikationsgemeins<strong>ch</strong>aft<br />

wärest! (Apels 'Universalisierungsprinzip' in <strong>der</strong> Neuformulierung<br />

von Pieper, S. 236)<br />

374


Literaturverzei<strong>ch</strong>nis<br />

Aarnio, Aulis: Zur Legitimation des Re<strong>ch</strong>ts. Ein begriffli<strong>ch</strong>er Überblick, in: Re<strong>ch</strong>tstheorie<br />

20 (1989), S. 143-151.<br />

– /Alexy, Robert/Peczenik, Aleksan<strong>der</strong>: Grundlagen <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation,<br />

in: W. Krawietz/R. Alexy (Hrsg.), Metatheorie juristis<strong>ch</strong>er Argumentation<br />

(1983), S. 9-87.<br />

A<strong>ch</strong>terberg, Norbert/Krawietz, Werner (Hrsg.): Legitimation des mo<strong>der</strong>nen Staates,<br />

ARSP Beiheft 15, Wiesbaden 1981.<br />

Ackerman, Bruce: Social Justice in the Liberal State, New Haven/London 1980.<br />

– We The People, Band 1: Foundations, Cambridge/London 1991.<br />

Albert, Hans: Die Wissens<strong>ch</strong>aft und die Fehlbarkeit <strong>der</strong> Vernunft, Tübingen 1982.<br />

– Traktat über die kritis<strong>ch</strong>e Vernunft, 5. Aufl. Tübingen 1991.<br />

Alexy, Robert: Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation. Die Theorie des rationalen<br />

Diskurses als Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Begründung, Frankfurt a.M. 1978.<br />

– Die Idee einer prozeduralen Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation, Vortrag,<br />

gehalten 1979 in Helsinki, Erstveröffentli<strong>ch</strong>ung 1981; zitiert mit dem Jahr des<br />

Vortrags na<strong>ch</strong> dem Neuabdruck in: <strong>der</strong>s., Re<strong>ch</strong>t, Vernunft, Diskurs (1995),<br />

S. 94-108.<br />

– Theorie <strong>der</strong> Grundre<strong>ch</strong>te, Baden-Baden 1985.<br />

– Re<strong>ch</strong>tssystem und praktis<strong>ch</strong>e Vernunft, in: Re<strong>ch</strong>tstheorie 18 (1987), S. 405-419.<br />

– Juristis<strong>ch</strong>e Begründung, System und Kohärenz, in: O. Behrends/M. Dießelhorst/R.<br />

Dreier (Hrsg.), Re<strong>ch</strong>tsdogmatik und praktis<strong>ch</strong>e Vernunft (1989),<br />

S. 95-107.<br />

– Probleme <strong>der</strong> Diskurstheorie, zitiert mit dem Jahr <strong>der</strong> Erstveröffentli<strong>ch</strong>ung<br />

(1989) na<strong>ch</strong> dem Neuabdruck in: <strong>der</strong>s., Re<strong>ch</strong>t, Vernunft, Diskurs (1995), S. 109-<br />

126.<br />

– /Dreier, Ralf: The Concept of Jurisprudence, in: Ratio Juris 3 (1990), S. 1-13.<br />

– Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation. Die Theorie des rationalen Diskurses<br />

als Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Begründung, unverän<strong>der</strong>te 2. Aufl. mit Na<strong>ch</strong>wort:<br />

Antwort auf einige Kritiker, Frankfurt a.M. 1991.<br />

– Idee und Struktur eines vernünftigen Re<strong>ch</strong>tssystems, in: <strong>der</strong>s./R. Dreier/U.<br />

Neumann (Hrsg.), Re<strong>ch</strong>ts- und Sozialphilosophie in Deuts<strong>ch</strong>land heute<br />

(1991), S. 30-44.<br />

– /Dreier, Ralf/Neumann, Ulf (Hrsg.): Re<strong>ch</strong>ts- und Sozialphilosophie in Deuts<strong>ch</strong>land<br />

heute. Beiträge zur Standortbestimmung, ARSP Beiheft 44, Stuttgart<br />

1991.<br />

– Begriff und Geltung des Re<strong>ch</strong>ts, Freiburg i.Br./Mün<strong>ch</strong>en 1992.<br />

– Eine diskurstheoretis<strong>ch</strong>e Konzeption <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft, in: <strong>der</strong>s./R.<br />

Dreier (Hrsg.), Re<strong>ch</strong>tssystem und praktis<strong>ch</strong>e Vernunft (1993), S. 11-29.<br />

– /Dreier, Ralf (Hrsg.): Re<strong>ch</strong>tssystem und praktis<strong>ch</strong>e Vernunft, ARSP Beiheft 51,<br />

Stuttgart 1993.<br />

375


– Mauers<strong>ch</strong>ützen. Zum Verhältnis von Re<strong>ch</strong>t, Moral und Strafbarkeit, Vortrag<br />

vom 17. April 1993 vor <strong>der</strong> Joa<strong>ch</strong>im-Jungius-Gesells<strong>ch</strong>aft <strong>der</strong> Wissens<strong>ch</strong>aften,<br />

Göttingen 1993.<br />

– Normbegründung und Normanwendung, Erstveröffentli<strong>ch</strong>ung in: Re<strong>ch</strong>tsnorm<br />

und Re<strong>ch</strong>tswirkli<strong>ch</strong>keit, Fests<strong>ch</strong>rift für Werner Krawietz, hrsgg. v.<br />

A. Aarnio/S.L. Paulson/O. Weinberger/G.H. v. Wright/D. Wyduckel (1993);<br />

zitiert mit dem Jahr <strong>der</strong> Erstveröffentli<strong>ch</strong>ung na<strong>ch</strong> dem Neuabdruck in: <strong>der</strong>s.,<br />

Re<strong>ch</strong>t, Vernunft, Diskurs (1995), S. 52-70.<br />

– Basic Rights and Democracy in Jürgen Habermas´ Procedural Paradigm of the<br />

Law, in: Ratio Juris 7 (1994), S. 227-238.<br />

– Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te, in: <strong>der</strong>s., Re<strong>ch</strong>t, Vernunft, Diskurs (1995),<br />

S. 127-164.<br />

– Vorwort, in: <strong>der</strong>s., Re<strong>ch</strong>t, Vernunft, Diskurs (1995), S. 7-10.<br />

– Re<strong>ch</strong>t, Vernunft, Diskurs. Studien zur Re<strong>ch</strong>tsphilosophie, Frankfurt a.M. 1995.<br />

– Grundgesetz und Diskurstheorie, in: W. Brugger (Hrsg.), Legitimation des<br />

Grundgesetzes (1996), S. 343-360.<br />

– Discourse Theory and Human Rights, in: Ratio Juris 9 (1996), S. 209-235.<br />

– John Rawls' Theorie <strong>der</strong> Grundfreiheiten, in: W. Hins<strong>ch</strong> (Hrsg.), Zur Idee des<br />

politis<strong>ch</strong>en Liberalismus (1997), S. 263-303.<br />

– <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Ri<strong>ch</strong>tigkeit, zitiert na<strong>ch</strong> dem dem bisher unveröffentli<strong>ch</strong>ten<br />

deuts<strong>ch</strong>en Original mit <strong>der</strong> Jahreszahl und den Seitenzahlen <strong>der</strong> italienis<strong>ch</strong>en<br />

Erstveröffentli<strong>ch</strong>ung in: Ragion pratica 9 (1997), S. 103-113.<br />

– Law and Correctness, in: Freeman 51 (1998), S. 205-221.<br />

– Die Institutionalisierung <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te im demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaat,<br />

in: S. Gosepath/G. Lohmann (Hrsg.), Philosophie <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te<br />

(1998), S. 244-264.<br />

Allen, Sir Carleton K.: Aspects of Justice, London 1958.<br />

Apel, Karl-Otto: Transformation <strong>der</strong> Philosophie, Band 1: Spra<strong>ch</strong>analytik, Semiotik,<br />

Hermeneutik, Band 2: Das Apriori <strong>der</strong> Kommunikationsgemeins<strong>ch</strong>aft, Frankfurt<br />

a.M. 1973.<br />

– Kann <strong>der</strong> postkantis<strong>ch</strong>e Standpunkt <strong>der</strong> Moralität no<strong>ch</strong> einmal in substantielle<br />

Sittli<strong>ch</strong>keit 'aufgehoben' werden? Das ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tsbezogene Anwendungsproblem<br />

<strong>der</strong> Diskursethik zwis<strong>ch</strong>en Utopie und Regression, in: W. Kuhlmann<br />

(Hrsg.), Moralität und Sittli<strong>ch</strong>keit (1986), S. 217-264.<br />

– Diskurs und Verantwortung. Das Problem des Übergangs zur<br />

postkonventionellen Moral, Frankfurt a.M. 1988.<br />

– Diskursethik vor <strong>der</strong> Problematik von Re<strong>ch</strong>t und Politik: Können die Rationalitätsdifferenzen<br />

zwis<strong>ch</strong>en Moralität, Re<strong>ch</strong>t und Politik selbst no<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> die<br />

Diskursethik normativ-rational gere<strong>ch</strong>tfertigt werden?, in: <strong>der</strong>s./M. Kettner,<br />

Anwendung <strong>der</strong> Diskursethik (1992), S. 29-61.<br />

– /Kettner, Matthias (Hrsg.): Zur Anwendung <strong>der</strong> Diskursethik in Politik, Re<strong>ch</strong>t<br />

und Wissens<strong>ch</strong>aft, Frankfurt a.M. 1992.<br />

– Die Vernunftfunktion <strong>der</strong> kommunikativen Rationalität. Zum Verhältnis von<br />

konsensual-kommunikativer Rationalität, strategis<strong>ch</strong>er Rationalität und Systemrationalität,<br />

in: <strong>der</strong>s./M. Kettner, Die eine Vernunft und die vielen Rationalitäten<br />

(1996), S. 17-41.<br />

376


– /Kettner, Matthias (Hrsg.): Die eine Vernunft und die vielen Rationalitäten,<br />

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Aquin; siehe Thomas von Aquin.<br />

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Thomas von Aquin: Summa Theologica, II. Bu<strong>ch</strong>, II. Teil, Fragen 57-79: Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>,<br />

zitiert 'ST, II-II' mit Frage, Artikel und Abs<strong>ch</strong>nitt (Behauptung,<br />

Korpus <strong>der</strong> Antwort, Nr. <strong>der</strong> Antwort) na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Übersetzung in: 1.) Die Deuts<strong>ch</strong>e<br />

Thomas-Ausgabe, hrsgg. v. <strong>der</strong> Albertus-Magnus-Akademie Walberberg<br />

bei Köln, übers. v. Dominikanern und Benediktinern Deuts<strong>ch</strong>lands und Österrei<strong>ch</strong>s,<br />

Band 18, Heidelberg/Mün<strong>ch</strong>en u.a. 1953; sowie 2.) Thomas von Aquin,<br />

Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, Na<strong>ch</strong>folgefassung von Band 18 <strong>der</strong> Deuts<strong>ch</strong>en Thomasausgabe,<br />

hrsgg. v. Arthur F. Utz, übers. v. Josef F. Groner, Bonn 1987;<br />

Übersetzung bei inhaltli<strong>ch</strong>en Unters<strong>ch</strong>ieden jeweils gekennzei<strong>ch</strong>net, sonst<br />

na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Neuübersetzung.<br />

Timm, Birte: Tatsa<strong>ch</strong>enbehauptungen und Meinungsäußerungen. Eine verglei<strong>ch</strong>ende<br />

Darstellung des deuts<strong>ch</strong>en und US-amerikanis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>ts <strong>der</strong> Haftung für<br />

ehrverletzende Äußerungen, Frankfurt a.M./Berlin u.a. 1996.<br />

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406


Sa<strong>ch</strong>register<br />

Apartheid 24, 323, 325 f., 342<br />

Arbeitstheorie des Eigentums 85 f., 329<br />

Autonomie 29, 78, 84 f., 95, 138, 198 f., 201<br />

f., 213, 217, 240 f., 246, 250 ff., 300 ff.,<br />

311, 314 ff., 321 f., 324<br />

Bargaining power 172 ff., 197, 214, 232,<br />

280, 283, 288<br />

Circumstances of justice 79 f., 202<br />

Comprehensive doctrines 206, 208<br />

Consi<strong>der</strong>ed moral judgments 200, 208<br />

Deliberative Politik 242 ff., 353 ff.<br />

Demokratie 24, 34, 41, 117 f., 146, 167,<br />

195, 217, 240, 242 f., 247, 252, 254, 256,<br />

265, 282, 297, 299 ff., 305 f., 308 ff., 315<br />

ff., 327, 330 ff., 335 f., 339, 341 ff., 344<br />

– deliberative Demokratie 242 ff., 353 f.<br />

– demokratis<strong>ch</strong>er Verfassungsstaat 36,<br />

89, 196, 247, 254, 256, 260, 315, 330, 332,<br />

334 ff., 338, 340, 343, 347, 351 f., 358<br />

– dualistis<strong>ch</strong>e Demokratie 258 ff.<br />

Deontis<strong>ch</strong>e Modalitäten 71, 73<br />

Dia<strong>ch</strong>roner Freiheitstaus<strong>ch</strong> 194<br />

Diskurs<br />

– allgemeinste Lebensform des Mens<strong>ch</strong>en<br />

248 f.<br />

– Anwendungsdiskurs 222<br />

– arguing vs. bargaining 232, 303<br />

– Begründungspfli<strong>ch</strong>t 227 f.<br />

– conversational constraints 258<br />

– Definitionen des Diskurses 218 ff.<br />

– diskursive Kontrolle 220 f., 330 f.<br />

– Diskursprinzip 231, 240, 295 ff.<br />

– Diskursregeln 222 ff., 225 ff., 247 ff.<br />

– genuine Diskursteilnahme 253, 302 ff.,<br />

321 f.<br />

– Glei<strong>ch</strong>heit im Diskurs 224<br />

– handlungsentlasteter Diskurs 220, 224<br />

– idealer praktis<strong>ch</strong>er Diskurs 219, 221<br />

– innerer Diskurs 219<br />

– Interesse an Ri<strong>ch</strong>tigkeit 249 f.<br />

– Konsens 230<br />

– Konvergenzbeweis 221, 290, 293<br />

– Letztbegründung als Variante 229 f.,<br />

233 f., 262 ff., 295<br />

– ni<strong>ch</strong>tstrategis<strong>ch</strong>es Handeln 232<br />

– performativer Selbstwi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong> 225<br />

f., 234<br />

– potentielle Unendli<strong>ch</strong>keit 220<br />

– Präsuppositionsanalyse 233 ff., 306,<br />

311, 322 f., 325, 332<br />

– realer praktis<strong>ch</strong>er Diskurs 219 ff.<br />

– regulative Idee 221<br />

– Ri<strong>ch</strong>tigkeitsanspru<strong>ch</strong> 291 ff.<br />

– Spre<strong>ch</strong>akte 225 f., 239, 250, 311<br />

– transzendentales Argument 225 ff.<br />

– Universalisierungsprinzip 235 ff., 239<br />

– Zwangsfreiheit 224<br />

Diskurstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 97 ff.,<br />

101 f., 135 ff., 217 ff., 290 ff., 309 ff.<br />

– anthropozentris<strong>ch</strong>es Souveränitätsmodell<br />

322<br />

– deliberative Politik 353 ff.<br />

– Demokratie 330 f.<br />

– Eigentum 329<br />

– Erweiterbarkeitsthese 358 ff.<br />

– erweiterte Son<strong>der</strong>fallthese 350 f.<br />

– Ewigkeitsklauseln 343 f.<br />

– Falsifizierbarkeit 325 f., 332<br />

– Freiheitsre<strong>ch</strong>te 328 f.<br />

– Gebot <strong>der</strong> Verhältnismäßigkeit 327<br />

– <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfunktionen realer Verfahren<br />

338 f.<br />

– Grundre<strong>ch</strong>t auf Demokratie 330 f.<br />

– Grundre<strong>ch</strong>t auf optimierte Freiheiten<br />

327 f.<br />

– Grundsatz <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heit 323 f.<br />

– Güterordnung 330<br />

– Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te 317 ff.<br />

– minimale Volkssouveränität 323<br />

– optionale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen 342 ff.<br />

– parlamentaris<strong>ch</strong>e Gesetzgebung 345 f.<br />

– Politik 347 ff.<br />

– politis<strong>ch</strong>e Meinungsfreiheit 323 f.<br />

– Re<strong>ch</strong>t 339 ff.<br />

407


– relatives Primat des <strong>Prozedurale</strong>n 335<br />

ff.<br />

– Verfassungsnormsetzung 340 ff.<br />

– Verwaltungs- und Geri<strong>ch</strong>tsverfahren<br />

346 f.<br />

– Vielfalt realer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sverfahren<br />

337 f.<br />

– Wahlkampf 351 ff.<br />

– Willkürverbot 327<br />

– Wirts<strong>ch</strong>aft 357 f.<br />

– Wohlfahrtsstaatli<strong>ch</strong>keit 355<br />

Divergenzthese 97 f.<br />

Drohspiel 175 ff., 191, 274, 279 ff.<br />

Egoismus 92<br />

Eigennutz 154, 156, 168 f., 196, 198, 278<br />

Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien 138, 167 ff.<br />

Enumerationsthese 124 f.<br />

Ergänzbarkeitsthese 113 f., 118<br />

Erweiterbarkeitsthese 114 ff., 118, 358 ff.<br />

Ethis<strong>ch</strong>es Minimum 30, 141<br />

Fairneß 47, 60, 121 ff.<br />

– Definitionen 122 f.<br />

– Fairneßelemente 121 ff.<br />

– Ri<strong>ch</strong>tigkeitsorientierung 122<br />

– spieltheoretis<strong>ch</strong>e Fairneß 271 f.<br />

– prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 123<br />

Feministis<strong>ch</strong>e Theorie 114, 166, 361<br />

Freestanding view 200, 207 f., 215, 287<br />

Gefangenendilemma 169, 276<br />

Genozid 24, 122, 325 f.<br />

Geordnete Anar<strong>ch</strong>ie 177 f.<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 45 ff.<br />

– aequitas 63<br />

– aristotelis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff 56<br />

ff.<br />

– ausglei<strong>ch</strong>ende <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 57<br />

– axiologis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 54 f., 66 f.,<br />

94, 140<br />

– Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 45 ff.<br />

– binär kodiertes Prädikat 54, 67, 124<br />

– Definitionsverweigerung 47 f., 73 f.<br />

– deontologis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 54 f., 67<br />

– Einzelfallgere<strong>ch</strong>tigkeit 60, 63 f.<br />

– enger <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff 63 ff.<br />

– equity 63 f.<br />

– formale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 46, 62 f.<br />

– Gegenstände <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 48 ff.<br />

– <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sanspru<strong>ch</strong> des Re<strong>ch</strong>ts 37<br />

– <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgefühl 120<br />

– <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen 72 ff.<br />

– <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien in Re<strong>ch</strong>tsform<br />

241 f.<br />

– <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>ssinn 120<br />

– <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskepsis 82 f., 105, 143 ff.,<br />

265 ff.<br />

– Gesetzesgehorsam 57, 67 f.<br />

– Glei<strong>ch</strong>heitsbezug 56 ff.<br />

– Gottesgere<strong>ch</strong>tigkeit 68<br />

– handlungsbezogene Definition 50 f.<br />

– holistis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff 68 f.<br />

– idealistis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff 66<br />

– iustitia commutativa 57<br />

– iustitia distributiva 57<br />

– iustitia particularis 57<br />

– iustitia restitutiva 57<br />

– iustitia universalis 46, 57, 69<br />

– iustitia vindicativa 57<br />

– juristis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff 64 f.<br />

– graduelles Prädikat 54, 67, 124<br />

– künstli<strong>ch</strong>e Tugend 79<br />

– lokale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 110, 164<br />

– natürli<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 193 f.<br />

– normalspra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff<br />

59 f., 66<br />

– normbezogene Definition 75 f.<br />

– Normen <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 71 ff.<br />

– outcome justice 58<br />

– Pfli<strong>ch</strong>tigkeit 52 ff.<br />

– politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 23 f., 78 f.<br />

– Ri<strong>ch</strong>tigkeitsbezug 51 f., 61, 65 f.<br />

– Sa<strong>ch</strong>gere<strong>ch</strong>tigkeit 60<br />

– Sollensbezug 52 ff.<br />

– Sozialbezug 55 f.<br />

– soziale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 34, 47, 58<br />

– spezifis<strong>ch</strong> juristis<strong>ch</strong>e Perspektive 38 ff.<br />

– staatli<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>tsordnung 78 f., 116<br />

– substantive justice 58<br />

– Systemgere<strong>ch</strong>tigkeit 62<br />

– tugendzentrierter <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff<br />

66 ff.<br />

– Ungere<strong>ch</strong>tigkeit 69 f.<br />

– Verteilungsgere<strong>ch</strong>tigkeit 57 ff.<br />

408


– weiter <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff 48, 51, 60<br />

ff.<br />

– Weltgere<strong>ch</strong>tigkeit 69<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

– Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm 71 ff.<br />

– Begründung 74 f., 77<br />

– Erzeugung 75<br />

– formale Normen 74<br />

– materiale Normen 74<br />

– pragmatis<strong>ch</strong>er Gehalt 74 f.<br />

– prozedurale Normen 74<br />

– zwei Prinzipien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 203,<br />

209 f.<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien 76 ff.<br />

– siehe au<strong>ch</strong> 'Diskurstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>'<br />

sowie '<strong>Prozedurale</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien'<br />

– analytis<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> 87 f.<br />

– Antitheorien 23, 137 f., 145, 261, 265,<br />

267<br />

– Argumentationstheorien 136<br />

– Autopoiesis 150 f.<br />

– Begründungslücke 297 ff.<br />

– Beoba<strong>ch</strong>tertheorien 97, 100 f., 211 ff.<br />

– Darstellungsmittel 97 ff.<br />

– Definition <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie 76<br />

f.<br />

– deontologis<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> 106 f.<br />

– Divergenzthese 97 f.<br />

– empiris<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> 87 f., 104 f., 119 f.<br />

– Ergänzbarkeitsthese 113 f., 118<br />

– Erweiterbarkeitsthese 114 ff., 118, 358<br />

ff.<br />

– formale <strong>Theorien</strong> 154 ff.<br />

– Gegenstand <strong>der</strong> <strong>Theorien</strong> 107 ff.<br />

– <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründungstheorien<br />

41, 76 ff., 88 f., 113<br />

– <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungstheorien 41,<br />

76, 88 f., 129, 131, 133 f.<br />

– heuristis<strong>ch</strong>er Wert 88<br />

– Indifferenzeinwand 102 f., 118<br />

– Inkommensurabilitätsthese 108 ff.<br />

– Klassifizierung 80 ff.<br />

– Kohärenz 143, 223<br />

– Kommunitarismus 157 ff.<br />

– Konsequentialismus 153, 269<br />

– Legitimation dur<strong>ch</strong> Verfahren 148 ff.<br />

– Makrotheorien 110, 113<br />

– materiale und prozedurale <strong>Theorien</strong><br />

139 ff.<br />

– Mesotheorien 110<br />

– Mikrotheorien 110, 113<br />

– Mindestgehaltsthese 117 f., 309 f.<br />

– Naturre<strong>ch</strong>tstheorien 89 ff., 136<br />

– normative <strong>Theorien</strong> 87 f.<br />

– Ordoliberalismus 146 ff., 151<br />

– Postmo<strong>der</strong>ne 150 ff.<br />

– rational <strong>ch</strong>oice theories 93, 167 ff.<br />

– Rationalitätskonzept 97 ff.<br />

– re<strong>ch</strong>tsethis<strong>ch</strong>er Relativismus 145 f.<br />

– Skalierbarkeitsthese 111 ff., 118, 233,<br />

270 f.<br />

– soziale Systeme 148 ff.<br />

– Sozialpsy<strong>ch</strong>ologie 87, 110<br />

– Sozialvertragstheorien 97 ff., 135 ff.,<br />

199 ff., 284 ff.<br />

– spontane soziale Ordnung 146 f.<br />

– Standpunkttheorien 100 f., 211 ff., 287<br />

ff.<br />

– Systemtheorien 135, 148 ff., 151<br />

– teleologis<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> 106 f., 140<br />

– <strong>Theorien</strong> des Guten 105 f.<br />

– <strong>Theorien</strong> des Re<strong>ch</strong>ten 105 f.<br />

– <strong>Theorien</strong> mittlerer Rei<strong>ch</strong>weite 42<br />

– Typen legitimer Herrs<strong>ch</strong>aft 103 ff.<br />

– Verglei<strong>ch</strong>barkeit <strong>der</strong> <strong>Theorien</strong> 108 ff.<br />

– Vernunftre<strong>ch</strong>tstheorien 89 ff., 136<br />

– Vollständigkeit von <strong>Theorien</strong> 113 ff.<br />

Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terverhältnis 114, 166, 361<br />

Gesetzgebung 22, 36, 128, 141, 205, 221,<br />

259, 335 f., 338 ff., 343, 345 f., 351, 358<br />

Glei<strong>ch</strong>heit 254 f.<br />

Glücksspiel 127 f.<br />

Grundpositionen <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie<br />

81 ff.<br />

– aristotelis<strong>ch</strong>e Grundposition 83, 152 ff.,<br />

267 ff.<br />

– hobbesianis<strong>ch</strong>e Grundposition 83, 93,<br />

99, 167 ff., 270 ff.<br />

– kantis<strong>ch</strong>e Grundposition 83, 198 ff.,<br />

284 ff.<br />

– lockeanis<strong>ch</strong>e Grundposition 85 ff.<br />

409


– nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>e Grundposition 82 f.,<br />

105, 143 ff., 261 ff.<br />

– S<strong>ch</strong>ema <strong>der</strong> Grundpositionen 85<br />

Handlungsrationalität 28<br />

Herrs<strong>ch</strong>aft 103<br />

Indifferenzeinwand 102 f., 118<br />

Inkommensurabilitätsthese 108 ff.<br />

Interesse an Ri<strong>ch</strong>tigkeit 249 f.<br />

Kaldor-Hicks-Kriterium 273<br />

Kommunitarismus 139, 157 ff., 268 f.<br />

– anar<strong>ch</strong>istis<strong>ch</strong>er Kommunitarismus 163<br />

– epistemologis<strong>ch</strong>er Kommunitarismus<br />

159 ff.<br />

– lokaler Kommunitarismus 164 ff.<br />

– multikultureller Kommunitarismus<br />

163 f.<br />

– neoaristotelis<strong>ch</strong>er Kommunitarismus<br />

161 ff.<br />

Konsens 24, 29, 100 f., 142, 149, 162, 198,<br />

205 ff., 212, 216, 220 f., 230 f., 233,<br />

237 f., 252, 254, 267, 286 f., 291 f., 294,<br />

302 ff., 312, 315 f., 321 f., 325 ff., 332,<br />

337, 343, 357<br />

Konsequentialismus 153, 269<br />

Konzeption des Guten 94 f., 152 ff., 202,<br />

267 f.<br />

Künftige Generationen 56, 114, 195, 360<br />

Lebensform 239, 248 f., 264, 320, 324, 326<br />

Legitimation dur<strong>ch</strong> Verfahren 148 ff.<br />

Letztbegründung 229 f., 233 f., 262 ff., 295<br />

Lexical or<strong>der</strong> 203, 210<br />

Lockes<strong>ch</strong>e Provisio 86, 185 ff., 191 f.<br />

Lotterie 173<br />

Marketplace of ideas 112<br />

Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te 117, 161, 196, 216 f., 253,<br />

256, 282, 296, 299, 306, 317 ff.<br />

Metaphysik 42<br />

Mindestgehaltsthese 117 f., 309 f.<br />

Minimalstaat 183 ff.<br />

Minimax relative Konzession 189 ff.<br />

Moral 27 ff., 52 f.<br />

– 'geronnene Moral' 35, 40<br />

– Individualmoral 55, 68<br />

– konfligierende Normen 68<br />

– moral agent 56, 114<br />

– moral constraints 95<br />

– moralis<strong>ch</strong>er Vernunftgebrau<strong>ch</strong> 95 f.<br />

– supererogatoris<strong>ch</strong>e Moral 53<br />

– Verhältnis zur <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 27 ff., 52<br />

f., 61, 95 f.<br />

Mün<strong>ch</strong>hausen-Trilemma 261 ff.<br />

Nagel-Kriterium 213<br />

Natur 56<br />

– <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> gegenüber <strong>der</strong> Natur<br />

359<br />

– natürli<strong>ch</strong>e Güterverteilung 178<br />

– Naturzustand 171 f., 193<br />

Naturalistis<strong>ch</strong>er Fehls<strong>ch</strong>luß 261 f.<br />

Naturre<strong>ch</strong>t 30 ff., 66 f., 89 ff.<br />

– anthropologis<strong>ch</strong>es Naturre<strong>ch</strong>t 90<br />

– kosmologis<strong>ch</strong>es Naturre<strong>ch</strong>t 90<br />

– minimum content of natural law 141<br />

– ontologis<strong>ch</strong>es Naturre<strong>ch</strong>t 91, 153 f.<br />

– rationalistis<strong>ch</strong>es Naturre<strong>ch</strong>t 91<br />

Negativer Taus<strong>ch</strong> 193<br />

Norm<br />

– Bedeutung 71 f.<br />

– Begriff <strong>der</strong> Norm 71 f.<br />

– Erzeugung 75<br />

– Geltung 72, 74 f.<br />

– <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm 71 ff.<br />

– Moralnorm 74 f.<br />

– Re<strong>ch</strong>tsnorm 75, 96<br />

– Verhaltensnorm 96<br />

Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt 173, 176 ff., 187 f.,<br />

191, 197, 274, 279<br />

Nihilismus 143 f.<br />

Nutzenmaximierung 83, 85, 93, 138, 140,<br />

142, 153 ff., 168 ff., 179 f., 182, 185 f.,<br />

191 f., 196, 198, 232, 247, 249, 269, 276,<br />

279, 281, 284, 311, 313, 337, 351, 357<br />

Ökonomis<strong>ch</strong>es Verhaltensmodell 168<br />

Optimierung relativer Nutzenfaktoren<br />

171 ff.<br />

Ordinary language 59<br />

Ordoliberalismus 146 ff., 151<br />

Original position 99, 180 f., 200 f., 205<br />

Overlapping consensus 200, 206 ff.<br />

Pareto-Optimalität 171 f., 196, 273 f.<br />

Politik<br />

– Begriff 347 f.<br />

– ni<strong>ch</strong>tstrategis<strong>ch</strong>er Charakter 349 f.<br />

410


– strategis<strong>ch</strong>er Charakter 348 f.<br />

Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 23 f., 78 f.<br />

Praecepta iuris 45 f.<br />

Präsuppositionsanalyse 233 ff., 306, 311,<br />

322 f., 325, 332<br />

Praktis<strong>ch</strong>e Vernunft 27 ff., 81<br />

– dialogis<strong>ch</strong>e Konzeption 289<br />

– monologis<strong>ch</strong>e Konzeption 289<br />

Primary social goods 201<br />

Primat des Guten 105<br />

<strong>Prozedurale</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 118 ff.<br />

– siehe au<strong>ch</strong> Fairneß<br />

– Definition 119<br />

– definitoris<strong>ch</strong>e Formen 125, 127 ff., 130<br />

– dienende Formen 125, 129 f.<br />

– Enumerationsthese 124 f.<br />

– Funktionen 129 ff.<br />

– Gegensatz zur materialen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

119<br />

– Glücksspiel 127 f.<br />

– natural justice 118 f.<br />

– prima facie gere<strong>ch</strong>t 129<br />

– quasi-reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

128 f., 204 f.<br />

– reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 127 f.,<br />

204<br />

– subjektive und objektive Form 118 ff.<br />

– unvollkommene prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

126 f.<br />

– vier Formen 124 ff.<br />

– vollkommene prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

125 f.<br />

<strong>Prozedurale</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien 132<br />

ff.<br />

– analytis<strong>ch</strong>er Liberalismus 247 ff., 302<br />

ff.<br />

– Definitionen 132 f.<br />

– diskursive Rekonstruktion des Re<strong>ch</strong>ts<br />

238 ff., 295 ff.<br />

– Diskurstheorien 97 ff., 101 f., 135 ff.,<br />

217 ff., 290 ff.<br />

– Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien 138, 167 ff.<br />

– erweiterte Klassifizierung 137 ff.<br />

– <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Fairneß 199 ff.<br />

– <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Unabweisbarkeit 211<br />

– <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Unparteili<strong>ch</strong>keit 215<br />

ff.<br />

– <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründungstheorien<br />

133 f.<br />

– <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungstheorien 133<br />

– hypothetis<strong>ch</strong>es Drohspiel 176 f.<br />

– kantis<strong>ch</strong>e Sozialvertragstheorien 199<br />

ff., 284 ff.<br />

– Klassifizierung <strong>der</strong> <strong>Theorien</strong> 134 ff.<br />

– libertärer Minimalstaat 183 ff.<br />

– Maximin-Wahl 180 ff.<br />

– Moral dur<strong>ch</strong> Vereinbarung 186 ff.<br />

– neohobbesianis<strong>ch</strong>e Sozialvertragstheorien<br />

138, 180 ff., 279 ff.<br />

– neutraler Dialog 257 ff.<br />

– öffentli<strong>ch</strong>e Wahl 177 ff.<br />

– politis<strong>ch</strong>er Liberalismus 205 ff.<br />

– Primat <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung<br />

133<br />

– public <strong>ch</strong>oice theories 177<br />

– rational <strong>ch</strong>oice theories 93, 173, 138,<br />

173<br />

– realistis<strong>ch</strong>e Verhaltenshypothesen 179<br />

– relevante Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>tszustände 175<br />

– Standpunkttheorien 138<br />

– transzendentaler Taus<strong>ch</strong> 193 ff.<br />

– Transzendentalpragmatik 233 ff., 295<br />

– unglei<strong>ch</strong>e Verhandlungsma<strong>ch</strong>t 173 f.<br />

– Universalpragmatik 238 ff.<br />

– unparteiis<strong>ch</strong>er Beoba<strong>ch</strong>ter 212 ff.<br />

– universalistis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

138<br />

– Unters<strong>ch</strong>ied zu <strong>Theorien</strong> prozeduraler<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 132<br />

– Verhandlungsführung 174<br />

<strong>Prozedurale</strong>s Re<strong>ch</strong>tsparadigma 245 f.<br />

Radbru<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>e Formel 31<br />

Rational <strong>ch</strong>oice theories 93, 167 ff.<br />

Rationalitätskonzept 97 ff.<br />

Re<strong>ch</strong>t<br />

– analytis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgehalt 29 ff.<br />

– Antinomien <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsidee 64<br />

– Begriff des Re<strong>ch</strong>ts 21, 27, 37 f.<br />

– <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sanspru<strong>ch</strong> des Re<strong>ch</strong>ts 37<br />

– inhaltsoffener Ri<strong>ch</strong>tigkeitsanspru<strong>ch</strong> 37<br />

– Interpretation 34 f.<br />

411


– Legitimationsbedarf 33 f.<br />

– normativer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgehalt 31 ff.<br />

– Orientierungsbedarf 34 f.<br />

– Prozedurebene 40<br />

– Re<strong>ch</strong>tsdogmatik 40 f.<br />

– Re<strong>ch</strong>tspfli<strong>ch</strong>ten 52 f.<br />

– Re<strong>ch</strong>tspraxis 40<br />

– Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit 64<br />

– Re<strong>ch</strong>tstheorie 38 ff.<br />

– ri<strong>ch</strong>tiges Re<strong>ch</strong>t 32, 60<br />

– Umsetzungsbedarf 35 f.<br />

Re<strong>ch</strong>tspositivismus 30 ff.<br />

Reflective equilibrium 180 f., 200, 208 f.<br />

Relativismus 144<br />

Religion 68 f., 91<br />

Ri<strong>ch</strong>tigkeit<br />

– prozedurales Verständnis 51 f.<br />

– Ri<strong>ch</strong>tigkeitsanspru<strong>ch</strong> des Re<strong>ch</strong>ts 37 f.<br />

Ringtaus<strong>ch</strong> 194<br />

Scanlon-Kriterium 211, 216, 288<br />

S<strong>ch</strong>utzvereinigungen 184<br />

S<strong>ch</strong>werpunktthese 78 f., 118<br />

Security level 187<br />

Skalierbarkeitsthese 111 ff., 118, 233, 270<br />

Sklaverei 178, 281, 283, 325<br />

Son<strong>der</strong>fallthese 220, 247, 255 f., 339 ff.,<br />

350 f.<br />

Spieltheorie 25, 170 ff., 270 ff.<br />

Suum cuique 45 ff., 49 f., 65, 67, 74, 91, 141<br />

Totalitarismus 165<br />

Tötungsverbot 72 f.<br />

Traditionsgemeins<strong>ch</strong>aft 157<br />

Transponierbarkeitsthese 48 ff.<br />

Transzendentalpragmatik 233 ff., 295<br />

Trennungsthese 30 f.<br />

Trittbrettfahrer 169, 179, 189, 251, 333 f.<br />

Tugendlehre 49, 67 f.<br />

Tugendpfli<strong>ch</strong>ten 52 f.<br />

Universalität 62, 77, 142, 151, 161, 198,<br />

214, 217, 228 ff., 237, 248, 318 ff., 324<br />

Utilitarismus 29, 92, 96, 138 f., 153 ff.,<br />

174, 269<br />

Veil of ignorance 180, 200 f., 204 f.<br />

Verhandlungsma<strong>ch</strong>t 172 ff., 197, 214, 232,<br />

280, 283, 288<br />

Vernunft 92 ff.<br />

– desengagierte Vernunft 163<br />

– ethis<strong>ch</strong>er Vernunftgebrau<strong>ch</strong> 94 f.<br />

– Klugheitsregel 92<br />

– moralis<strong>ch</strong>er Vernunftgebrau<strong>ch</strong> 95 f.<br />

– pragmatis<strong>ch</strong>er Vernunftgebrau<strong>ch</strong> 92 ff.<br />

– strategis<strong>ch</strong>es Handeln 93<br />

– vernünftige Parteili<strong>ch</strong>keit 214<br />

Vierstufenmodell 201, 204<br />

Volenti non fit iniuria 98<br />

Wählerparadoxon 277 f.<br />

Wahl 54, 89<br />

Wahrheit 27, 130, 141, 152, 162, 218, 223,<br />

226 ff., 254, 267, 289, 293, 320, 331, 336<br />

Zufall 152, 322<br />

Zweckmäßigkeit 64<br />

412


Personenregister<br />

Aarnio, A. 49, 78, 132, 248<br />

Ackerman, B. 25, 164, 177, 257 ff., 278, 344<br />

Albert, H. 261 ff.<br />

Alexy, R. 21, 26, 28 f., 30 f., 36 ff., 50 f., 55,<br />

57, 71 f., 81 ff., 87, 92, 122, 132, 136 ff.,<br />

143, 157, 193, 198, 209, 217 ff., 239, 247<br />

ff., 258, 262, 290 ff., 299, 302 ff., 310 ff.,<br />

321 ff., 334, 336, 339, 341, 346, 350<br />

Allen, C.K. 46<br />

Apel, K.-O. 81, 98, 138, 152, 215, 220, 222,<br />

224, 226, 233 ff., 263 f., 295, 298, 308,<br />

353<br />

Arens, E. 298 f.<br />

Aristoteles 24, 28, 45 f., 56 ff., 63, 66 f., 69,<br />

83, 85, 90, 95, 152, 158 f., 161<br />

Arneson, R.J. 273<br />

Arrow, K.J. 277 f.<br />

Austin, J.L. 30, 48, 225<br />

Axelrod, R. 276<br />

Ayer, A.J. 144<br />

Baer, S. 115, 166<br />

Baier, K. 100 f., 211, 213<br />

Bakunin, M.A. 117<br />

Ballestrem, K.G. 212<br />

Barry, B. 41 f., 76, 79, 88, 93, 111 ff., 121,<br />

153, 169, 176, 187, 200, 212, 215 ff., 247,<br />

273, 284, 288, 322, 337<br />

Battis, U. 62<br />

Bauer, B. 331<br />

Baus<strong>ch</strong>, T. 217, 235<br />

Beck-Mannagetta, M. 90<br />

Benhabib, S. 22, 115, 361<br />

Bentham, J. 22, 90, 155 f.<br />

Berkemann, J. 121, 123, 125, 130 f.<br />

Berlin, I. 24<br />

Bessette, J.M. 243<br />

Bierhoff, H.W. 64, 110, 119 ff.<br />

Blümel, W. 276<br />

Bodin, J. 90<br />

Böckenförde, E.-W. 340, 352, 36<br />

Böhm, M. 345<br />

Borowski, M. 36<br />

Braithwaite, R.B. 138, 175, 176 f., 179, 188,<br />

197, 274, 280 f.<br />

Brandt, R.B. 102, 154 f.<br />

Braun, E. 226<br />

Brittan, S. 152<br />

Brugger, W. 36, 55, 157 f., 320<br />

Brumlik, M. 115<br />

Brunkhorst, H. 157 ff., 167, 196<br />

Brunner, E. 41, 49, 68, 89 ff., 115, 139, 212,<br />

331<br />

Bruns, H.-J. 346<br />

Bryde, B.-O. 339, 345 f.<br />

Bu<strong>ch</strong>anan, J.M. 22, 25, 86, 106, 117, 138,<br />

175, 177 ff., 183, 188, 191, 197, 274, 280<br />

f., 283<br />

Bu<strong>ch</strong>wald, D. 28, 223<br />

Bydlinski, F. 21, 30, 36, 64, 67, 73, 117, 265,<br />

320, 328<br />

Calliess, G.-P. 75, 88, 353<br />

Canaris, C.-W. 57, 124, 126 f., 337<br />

Chwaszscza, C. 115<br />

Cicero, M.T. 90<br />

Cohen, J. 242 f., 268 f., 353<br />

Coleman, J.L. 170<br />

Collins, P.H. 101<br />

Condorcet 277 f.<br />

Cortina, A. 140, 299, 304, 311, 335, 353<br />

Crowe, M.B. 90<br />

Dahl 335<br />

Deckert, M.R. 22, 46, 136, 140, 285, 291<br />

Del Vec<strong>ch</strong>io, G. 55, 58<br />

Derrida, J. 150<br />

Dewey, J. 159, 339<br />

Dießelhorst, M. 46<br />

Donnelly, J. 318 f.<br />

Dreher, E. 346<br />

Dreier, H. 31, 34 f., 97, 265, 305, 339 f.,<br />

344, 352<br />

Dreier, J. 168<br />

Dreier, R. 21, 22, 23, 30 ff., 38 ff., 45 ff., 76,<br />

86 ff., 133, 136 ff., 145, 148, 150, 224,<br />

264, 266, 285 f., 337 f.<br />

Dürr, D. 42<br />

413


Dürrenmatt, F. 100, 213<br />

Duxbury, N. 128<br />

Dworkin, R. 35 f., 158, 164, 259<br />

Edmundson, W.A. 176<br />

Elster, J. 110<br />

Emmenegger, S. 359, 361<br />

Engis<strong>ch</strong>, K. 32, 46, 63 f.<br />

Englän<strong>der</strong>, A. 30<br />

Esser, J. 36, 150, 222<br />

Fikents<strong>ch</strong>er, W. 60, 73<br />

Finer, S.E. 24<br />

Finnis, J. 89, 91, 139, 141<br />

Fishkin, J. 182, 243, 349, 355 f.<br />

Fisk, M. 55, 77, 158<br />

Foriers, P. 64<br />

Forst, R. 158 f.<br />

Franck, T.M. 115<br />

Frankena, W.K. 52, 60<br />

Frey, B.S. 168<br />

Fris<strong>ch</strong>, W. 346<br />

Fukuyama, F. 24, 319<br />

Gadamer, H.-G. 240, 349<br />

Gauthier, D. 86, 96, 98, 102, 106, 111, 156,<br />

170, 176, 181 f., 186 ff., 193, 197, 232,<br />

275, 280 f., 334<br />

Geiger, T. 35<br />

Gert, B. 51, 141<br />

Gewirth, A. 60, 99<br />

Goerli<strong>ch</strong>, H. 36<br />

Gould, C.C. 108, 335<br />

Gril, P. 218, 249, 262, 291<br />

Grisez, G. 91, 139<br />

Gronke, H. 217<br />

Günther, K. 25, 42, 215, 222, 283, 291, 302<br />

Güth, W. 171<br />

Gusy, C. 335<br />

Gutman, A. 161<br />

Haba, E.P. 39<br />

Habermas, J. 21, 22, 23, 41 f., 52 ff., 71, 92<br />

ff., 113 f., 116, 134 f., 138, 140, 143, 145,<br />

217, 222, 231 ff., 238 ff., 257 f., 262, 266,<br />

291, 294, 295 ff., 302, 307 f., 314 ff., 327,<br />

331, 336, 339, 345 f., 348 ff., 353 ff., 359,<br />

361<br />

Hagen, O. v.d. 276<br />

Hain, K.-E. 140<br />

Hall, E.W. 99 f.<br />

Hamilton, W.D. 276<br />

Hamlin, A. 106<br />

Hardin, G.J. 276, 333<br />

Harding, S. 101<br />

Hare, R.M. 28, 47 f., 58, 100, 102<br />

Harsanyi, J.C. 53, 111, 156, 169, 173, 174,<br />

175, 179, 181 ff., 190, 197, 232, 269, 275,<br />

278<br />

Hart, H.L.A. 24, 30, 34, 58 f., 64 f., 72, 79,<br />

123, 141, 333<br />

Haug, H. 32<br />

Hayek, F.A. 70, 146 ff., 151 ff., 265 f.<br />

Heermann, P.W. 194<br />

Hegel, G.W.F. 22, 86, 94, 157 ff.<br />

Heidegger, M. 240<br />

Heidorn, J. 103 f., 150<br />

Hekman, S. 101, 115<br />

Held, V. 114<br />

Henke, W. 36, 341<br />

Henkel, H. 63<br />

Heun, W. 62 f.<br />

Hilgendorf, E. 222, 262 f.<br />

Hinkmann, J. 319 f.<br />

Hins<strong>ch</strong>, W. 200<br />

Hittinger, R. 89, 91<br />

Hobbes, T. 22, 24, 32, 83, 85 f., 90, 98, 102,<br />

107, 170 ff., 178, 280 f., 360<br />

Höffe, O. 23, 25, 28, 31, 41 f., 48 ff., 61, 69<br />

f., 78, 86, 89 ff., 92, 94 f., 98, 116 f., 149<br />

f., 181, 193 ff., 200, 262, 265, 276, 281 ff.,<br />

284<br />

Hoffmann, R. 22, 132, 299<br />

Hoffmann-Riem, W. 64<br />

Hofmann, H. 33, 340<br />

Homann, K. 99<br />

Honneth, A. 159, 304<br />

Hufen, F. 346<br />

Hume, D. 22, 79 f., 100 f., 147, 178, 202,<br />

212<br />

Huntington, S.P. 24, 319<br />

Huster, S. 36, 42, 56, 58, 60 ff., 64 ff., 129<br />

Jaggar, A.M. 116<br />

Jansen, N. 53 ff., 71, 74, 209, 262 f., 266,<br />

275, 287<br />

Jasay, A. de 333<br />

414


Jellinek, G. 30, 141, 347<br />

Jhering, R. v. 24<br />

Joas, H. 158<br />

Jo<strong>ch</strong>um, G. 243 f., 335, 356<br />

Kagan, S. 53, 100, 106 f., 153<br />

Kant, I. 22, 24, 27 f., 46, 83 ff., 91, 95, 98,<br />

102, 107, 159, 198, 202, 213, 225, 233,<br />

292<br />

Kaufman, C.K. 141<br />

Kaufmann, A. 21, 22, 28 f., 32, 38, 42, 45,<br />

88 f., 90 f., 99 f., 134 ff., 218, 221, 285,<br />

290 f., 293 f., 317, 338, 350<br />

Kaufmann, M. 30<br />

Kearns, T.R. 69, 151<br />

Kelly, F.J. 157<br />

Kelly, J.J. 38<br />

Kelly, J.S. 278<br />

Kelsen, H. 30 ff., 38, 46, 48 ff., 55 f., 71 ff.,<br />

91, 145 f., 152, 264 f.<br />

Kern, L. 23, 42, 134, 232, 276, 278<br />

Kersting, W. 22, 25, 30 f., 46, 48, 58, 97 ff.,<br />

101 f., 140, 157, 193, 196, 242, 283, 285<br />

Kettner, M. 193, 196, 226, 283<br />

Keuth, H. 262, 290<br />

Kir<strong>ch</strong>gässner, G. 28, 138, 169, 276<br />

Kir<strong>ch</strong>hof, P. 36, 56, 62<br />

Kir<strong>ch</strong>ner, C. 168, 177<br />

Kits<strong>ch</strong>elt, H. 22, 140<br />

Klenner, H. 22, 81, 103, 143, 154<br />

Kley, R. 22, 146 ff., 266 f.<br />

Klippel, D. 318<br />

Köhler, M. 286<br />

Koller, P. 22, 31, 41 f., 86, 99, 182, 193, 204,<br />

281, 283 f.<br />

Koriath, H. 252, 290<br />

Kriele, M. 24, 46, 48, 55, 58 f., 130, 318,<br />

326, 352<br />

Kübler, F. 352<br />

Kühnhardt, L. 318 f.<br />

Kuhlmann, W. 263 f., 359<br />

Kuhn, T.S. 245<br />

Kukathas, C. 148, 266<br />

Ladeur, K.-H. 35, 150 ff., 245, 336 f., 346,<br />

355<br />

Lang, S. 361<br />

Lasars, W. 155<br />

Laun, R. v. 346<br />

Lee, D.E. 115<br />

Leibniz, G.W. 30, 46<br />

Leisner, W. 32, 35, 63<br />

Lenoble, J. 245<br />

Levy, B.H. 47<br />

Lightfoot-Klein, H. 319<br />

Lind, E.A. 120<br />

Locke, J. 22, 24, 85 ff., 90, 178, 183, 185,<br />

188, 192, 329<br />

Lucas, J.R. 28, 47, 49, 52 ff., 64 ff., 70, 118,<br />

138, 179 f., 183, 197, 275<br />

Lübbe, G. 25, 99<br />

Luhmann, N. 30, 33, 35, 38, 72, 78, 104,<br />

135, 148 ff., 151 ff., 267<br />

Lyons, D. 152 f., 155<br />

Lyotard, J.-F. 108, 150 f., 243, 262<br />

Ma<strong>ch</strong>iavelli, N. 251<br />

Ma<strong>ch</strong>ura, S. 148 f.<br />

MacIntyre, A.C. 67, 94, 143, 152, 157 ff.,<br />

161 ff., 167<br />

Mackie, J.L. 153<br />

Madison, J. 243, 339, 341, 349<br />

Maihofer, W. 30<br />

Manthe, U. 46, 57<br />

Mason, D.T. 25, 284<br />

Matsuda, M. 114<br />

Maturana, H.R. 151<br />

Maus, I. 295<br />

Mayer-Maly, D. 89<br />

Mayer-Maly, T. 32<br />

McKenzie, R.B. 168, 275<br />

Medina, V. 22, 98, 102, 117, 157<br />

Mengel, H.-J. 345<br />

Mieth, D. 68<br />

Moore, G.E. 42, 155, 262<br />

Morgenstern, O. 25, 173, 181, 270 f.<br />

Morlok, M. 33, 36, 39, 352 f.<br />

Mueller, D.C. 278<br />

Müller, F. 71<br />

Müller, H.-P. 232<br />

Müller, J.P. 37, 220, 302, 334, 336, 339 f.,<br />

345, 352, 354<br />

Müller, L. 154, 301, 319<br />

Munk, A. 275<br />

415


Nagel, T. 25, 53 f., 100 f., 105 f., 138, 158,<br />

212 ff., 215, 288<br />

Nagl-Docekal, H. 115<br />

Narveson, J. 102<br />

Nash, J.F. 172, 173 f., 179, 197, 272, 275<br />

Neumann, J. v. 25, 173, 181, 270 f.<br />

Neumann, U. 126 ff., 130, 219, 302, 317<br />

Nida-Rümelin, J. 99, 107, 140, 275 f., 278,<br />

283<br />

Nietzs<strong>ch</strong>e, F. 78, 82 f., 143 f., 158<br />

Nino, C.S. 100, 231, 251<br />

Nozick, R. 22, 25, 49, 86, 106, 138, 171 f.,<br />

176, 183 ff., 187 f., 191, 193, 196, 259,<br />

286<br />

Nyerere, J.K. 319<br />

Okin, S.M. 114<br />

Olson, M. 333<br />

O'Neill, O. 103, 115<br />

Parfit, D. 115, 153, 155, 276 f.<br />

Pateman, C. 114<br />

Patzig, G. 28, 144, 234, 295<br />

Pauer-Stu<strong>der</strong>, H. 80, 98, 102, 115, 144, 361<br />

Peczenik, A. 132, 248<br />

Perelman, C. 46, 48, 56, 62 ff., 136, 231,<br />

256, 349<br />

Persson, I. 114<br />

Peters, B. 111, 168<br />

Pethig, R. 276<br />

Pettit, P. 106<br />

Pfordten, D. v.d. 27, 33 ff., 38, 74, 135<br />

Pieper, A. 28, 53, 236<br />

Pietzcker, J. 346<br />

Pits<strong>ch</strong>as, R. 335, 346<br />

Pogge, T.W. 115<br />

Popper, K. 147, 261, 264<br />

Posner, R.A. 28, 75, 130, 138, 168, 285, 357<br />

Pre<strong>ch</strong>tl, P. 286<br />

Proudhon, P.J. 117<br />

Puntel, L.B. 291<br />

Radbru<strong>ch</strong>, G. 31 f., 48, 63 ff., 349<br />

Raphael, D.D. 64<br />

Rawls, J. 22, 23, 25, 28, 41 f., 47, 49, 58, 62,<br />

70, 73 f., 77, 79, 86, 91, 96, 98 ff., 102,<br />

105 f., 110 f., 113, 115 f., 120, 124 ff., 134<br />

ff., 155, 158, 164, 180 ff., 190, 199 ff., 205<br />

ff., 216, 259, 284 ff., 299, 331<br />

Reese-S<strong>ch</strong>äfer, W. 107, 150 f., 157, 218, 222,<br />

226, 231, 266<br />

Regan, T. 114<br />

Rennig, C. 120<br />

Renzikowski, J. 30, 33<br />

Res<strong>ch</strong>er, N. 60<br />

Ricœur, P. 64, 150 ff., 155, 286<br />

Rinck 35<br />

Ritterband, C.E. 319<br />

Robbers, G. 36, 46<br />

Rock, A. 335<br />

Roellecke, G. 38<br />

Röhl, K.F. 87, 119 f.<br />

Rorty, R. 150<br />

Rosen, S. 143 f.<br />

Rosenkrantz, C.F. 200<br />

Ross, A. 71, 145, 155<br />

Rümelin, M. 32, 66, 60<br />

Rüthers, B. 60, 69<br />

Sacksofsky, U. 166<br />

Sandel, M.J. 25, 106 f., 158, 159 ff., 167<br />

Sarat, A. 69, 151<br />

Savigny, E. v. 226<br />

Scanlon, T.M. 158, 211, 216, 288<br />

S<strong>ch</strong>aper, J. 150<br />

S<strong>ch</strong>effler, S. 83, 153, 155<br />

S<strong>ch</strong>midt, E. 346<br />

S<strong>ch</strong>midt, T. 275<br />

S<strong>ch</strong>midt, V. 110<br />

S<strong>ch</strong>mitt, C. 347 f.<br />

S<strong>ch</strong>nädelba<strong>ch</strong>, H. 152, 157<br />

S<strong>ch</strong>nepel, P. 200, 205, 209, 286 f.<br />

S<strong>ch</strong>openhauer, A. 82, 144<br />

S<strong>ch</strong>otter, A.R. 278<br />

S<strong>ch</strong>roth, J. 46, 62<br />

S<strong>ch</strong>ulze-Fielitz, H. 345, 348 f.<br />

S<strong>ch</strong>umpeter, J.A. 154, 335, 348 f.<br />

S<strong>ch</strong>uon, K.T. 298<br />

Searle, J.R. 48, 225 ff., 262<br />

Selten, R. 173, 175, 179, 274 f.<br />

Shklar, J.N. 69<br />

Sieckmann, J.-R. 22, 36, 266, 269, 287<br />

Sieyes, E.J. 340, 342<br />

Simon, T. 42, 69 f., 335, 337<br />

Simons, P.M. 89<br />

Sinha, S.P. 256, 319<br />

416


Skirbekk, G. 359<br />

Skubik, D.W. 115<br />

Smith, A. 100, 147, 232<br />

Snook, D. 25, 284<br />

Soltan, K.E. 88<br />

Spaemann, R. 58<br />

Starck, C. 36<br />

Stark, R. 122<br />

Steiner, D. 121<br />

Steinhoff, U. 290<br />

Steinvorth, U. 25, 77, 102, 264<br />

Sterba, J.P. 108 f.<br />

Stern, K. 318 f.<br />

Stevenson, C.L. 144<br />

Stigler, G.J. 177<br />

Stin<strong>ch</strong>combe, A.L. 28<br />

Strangas, J. 262<br />

Stückrath, B. 344<br />

Sturma, D. 53<br />

Sunstein, C. 243<br />

Tammelo, I. 32, 46, 49 f., 57, 59 f., 64<br />

Taylor, C. 157 ff., 163 f., 167<br />

Taylor, M. 25, 163, 333 f.<br />

Tesón, F.R. 115<br />

Tettinger, P.J. 121 f.<br />

Teubner, G. 75, 150 f.<br />

Thomas von Aquin 46, 57, 90 f., 98 f.<br />

Timm, B. 262<br />

Tönnies, S. 167<br />

Trapp, R. 156, 269<br />

Tribe, L. 353<br />

Trude, P. 57 f.<br />

Ts<strong>ch</strong>annen, P. 247, 275, 302, 331<br />

Ts<strong>ch</strong>ents<strong>ch</strong>er, A. 129, 359<br />

Tugendhat, E. 290<br />

Tullock, G. 168, 177, 275<br />

Tyler, T.R. 120<br />

Ulpian 45 f., 67, 91<br />

Vanberg, V. 25<br />

Van<strong>der</strong>veken, D. 225<br />

Varela, F.J. 151 f.<br />

Vesting, T. 139, 335<br />

Vlastos, G. 47<br />

Waldstein, W. 45, 90<br />

Walter, R. 38, 146<br />

Walzer, M. 25, 110, 116, 158 f., 163, 164 ff.<br />

Weale, A. 285<br />

Weber, M. 39, 103 ff., 229, 236, 348, 357<br />

Weikard, H.-P. 192<br />

Weinberger, O. 28, 71, 290 f., 348 ff., 354<br />

Weinreb, L.L. 46, 89<br />

Weiß, E. 299<br />

Wellbank, H.G. 25, 284<br />

Wels<strong>ch</strong>, W. 60, 151<br />

Welzel, H. 66, 74, 89<br />

Wesner, G. 35 f.<br />

White, S.K. 150<br />

Wieacker, F. 30, 40<br />

Winckelmann, J. 104<br />

Wippler, R. 25<br />

Wittgenstein, L. 59, 248<br />

Young, I.M. 114<br />

Zimmer, G. 150<br />

Zimmermann, E. 298<br />

Zippelius, R. 60, 150, 323<br />

Zoglauer, T. 71<br />

Zsidai, A. 63, 336<br />

Zweig, E. 340<br />

417

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