Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
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s<strong>ch</strong>ränkung auf ein bestimmtes Re<strong>ch</strong>tssystem 63 . Zwis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>tstheorie und<br />
Re<strong>ch</strong>tsphilosophie 64 bleibt deshalb keine Differenz mehr 65 .<br />
Die Re<strong>ch</strong>tstheorie hat si<strong>ch</strong> von <strong>der</strong> Anlehnung an die allgemeine Philosophie begriffli<strong>ch</strong><br />
und inhaltli<strong>ch</strong> zu einer genuin juristis<strong>ch</strong>en Disziplin emanzipiert 66 . Ihre Inhalte<br />
sind dadur<strong>ch</strong> bes<strong>ch</strong>ränkt, daß sie auf die Re<strong>ch</strong>tsdogmatik bezogen bleiben 67 .<br />
Daraus ergibt si<strong>ch</strong> die spezifis<strong>ch</strong> juristis<strong>ch</strong>e Perspektive au<strong>ch</strong> für <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen.<br />
Juristen su<strong>ch</strong>en na<strong>ch</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>smaßstäben für das Re<strong>ch</strong>t. Sie sind ni<strong>ch</strong>t an<br />
jedem beliebigen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sproblem glei<strong>ch</strong>ermaßen interessiert. Wenn beispielsweise<br />
Eltern eines ihrer Kin<strong>der</strong> den an<strong>der</strong>en vorziehen, so ist das eine große<br />
Ungere<strong>ch</strong>tigkeit – sol<strong>ch</strong>es Verhalten ist moralis<strong>ch</strong> verwerfli<strong>ch</strong>, didaktis<strong>ch</strong> und psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong><br />
unklug und ein soziales Unding. Denno<strong>ch</strong> werden dadur<strong>ch</strong>, sieht man<br />
von Extremfällen ab, keine Re<strong>ch</strong>tsfragen ausgelöst. Die hier verletzte <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />
setzt keine re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Maßstäbe. Glei<strong>ch</strong>es gilt für an<strong>der</strong>e Sozialberei<strong>ch</strong>e, die für den<br />
einzelnen eminent wi<strong>ch</strong>tig sind und si<strong>ch</strong> einer re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Regelung do<strong>ch</strong> entziehen:<br />
Illoyalität unter Freunden, Betrug in <strong>der</strong> Liebe, soziale Ä<strong>ch</strong>tung von Min<strong>der</strong>heiten.<br />
Zugespitzt heißt das: Mögen au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> so ungere<strong>ch</strong>te Zustände in einer sozialen Beziehung<br />
vorherrs<strong>ch</strong>en, den Juristen interessieren sie erst, wenn diese Beziehung einer<br />
re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Regelung unterworfen ist. <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> unterliegt dadur<strong>ch</strong> in <strong>der</strong><br />
Re<strong>ch</strong>tstheorie einer spezifis<strong>ch</strong> juristis<strong>ch</strong>en Perspektive.<br />
Dem könnte ein methodis<strong>ch</strong>er Einwand entgegengehalten werden. Wenn in <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />
einerseits Maßstäbe für die Beurteilung <strong>der</strong> sozialen Ordnung<br />
als ri<strong>ch</strong>tig und gere<strong>ch</strong>t erarbeitet werden, an<strong>der</strong>erseits aber die Theorie von Anfang<br />
an auf sol<strong>ch</strong>e Gegenstände bes<strong>ch</strong>ränkt wird, die vom Re<strong>ch</strong>t als relevant anerkannt<br />
sind, so wäre die Untersu<strong>ch</strong>ung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien aus re<strong>ch</strong>tstheoretis<strong>ch</strong>er<br />
Si<strong>ch</strong>t teilweise zirkulär, insoweit nämli<strong>ch</strong>, als sie die Grenzen <strong>der</strong> re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Regulierung<br />
unhinterfragt läßt. Um einem sol<strong>ch</strong>en Einwand zu begegnen und denno<strong>ch</strong><br />
den Berei<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Untersu<strong>ch</strong>ung sa<strong>ch</strong>gere<strong>ch</strong>t auf die spezifis<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Fragen zu<br />
konzentrieren, muß zum Gegenstand einer re<strong>ch</strong>tstheoretis<strong>ch</strong>en Untersu<strong>ch</strong>ung von<br />
<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien immer au<strong>ch</strong> die Ents<strong>ch</strong>eidung gere<strong>ch</strong>net werden, wel<strong>ch</strong>e Ge-<br />
63 Vgl. R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t - Moral - Ideologie, S. 10 f.<br />
64 Re<strong>ch</strong>tsphilosophie ist, in Anlehnung an die triadis<strong>ch</strong>e Definition <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tswissens<strong>ch</strong>aft im 19.<br />
Jahrhun<strong>der</strong>t, das dritte Teilgebiet <strong>der</strong> Jurisprudenz neben Re<strong>ch</strong>tsdogmatik und Re<strong>ch</strong>tsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te;<br />
vgl. R. Dreier, Re<strong>ch</strong>tstheorie und Re<strong>ch</strong>tsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1989), S. 17 ff. – Fragentrias zur Jurisprudenz:<br />
'Was ist re<strong>ch</strong>tens?' (Re<strong>ch</strong>tsdogmatik), 'Ist es vernünftig, daß es so sei?' (Re<strong>ch</strong>tsphilosophie) und<br />
'Wie ist es re<strong>ch</strong>tens geworden?' (Re<strong>ch</strong>tsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te). Spätestens dur<strong>ch</strong> die Arbeiten von Max Weber<br />
hat si<strong>ch</strong> in jüngerer Zeit die Re<strong>ch</strong>tssoziologie abgespalten, so daß nunmehr 'Re<strong>ch</strong>tsphilosophie'<br />
(bzw. Re<strong>ch</strong>tstheorie) die Re<strong>ch</strong>tswissens<strong>ch</strong>aft unter Abzug von Re<strong>ch</strong>tsdogmatik, Re<strong>ch</strong>tsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />
und Re<strong>ch</strong>tssoziologie ist.<br />
65 Vgl. R. Dreier, Re<strong>ch</strong>tstheorie und Re<strong>ch</strong>tsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1989), S. 18: »Man kann sogar zweifeln, ob es<br />
überhaupt no<strong>ch</strong> sinnvoll sei, zwis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>tstheorie und Re<strong>ch</strong>tsphilosophie zu unters<strong>ch</strong>eiden.«;<br />
sowie <strong>der</strong>s., Zum Verhältnis von Re<strong>ch</strong>tsphilosophie und Re<strong>ch</strong>tstheorie (1992), S. 19: »Systematis<strong>ch</strong><br />
lassen si<strong>ch</strong> die Re<strong>ch</strong>tstheorie und die Re<strong>ch</strong>tsphilosophie ... we<strong>der</strong> gegenständli<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> methodis<strong>ch</strong><br />
streng voneinan<strong>der</strong> abgrenzen.« Vgl. au<strong>ch</strong> das breite Spektrum <strong>der</strong> ges<strong>ch</strong>il<strong>der</strong>ten Gegenstände<br />
bei E.P. Haba, Standortbestimmung zeitgenössis<strong>ch</strong>er Re<strong>ch</strong>tstheorie (1996), S. 280 ff.<br />
66 Zur Entwicklung M. Morlok, Was ist und zu wel<strong>ch</strong>em Ende studiert man Verfassungstheorie?<br />
(1988), S. 44 ff. (46 f.).<br />
67 R. Dreier, Re<strong>ch</strong>tstheorie und Re<strong>ch</strong>tsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1989), S. 18, 22 f.<br />
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