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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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dadur<strong>ch</strong> würde die Theorie zeitli<strong>ch</strong>-räumli<strong>ch</strong> so kontingent, daß sie die Aufgabe <strong>der</strong><br />

Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr sinnvoll erfüllen könnte. Der Mindestgehalt<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien, die hier untersu<strong>ch</strong>t werden sollen, besteht also darin,<br />

Antworten auf die fünf Fragen zu bieten, die zeitli<strong>ch</strong> und räumli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t kontingent<br />

und in diesem Sinne universell sind. Au<strong>ch</strong> in den abs<strong>ch</strong>ließend vorzustellenden<br />

Grundzügen einer Diskurstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> wird auf diese fünf Themenkreise<br />

<strong>der</strong> Mindestgehaltsthese zurückzukommen sein 369 .<br />

IV. Ergebnisse<br />

Unter den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien sind diejenigen beson<strong>der</strong>s bedeutsam, die si<strong>ch</strong> mit<br />

politis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> befassen (S<strong>ch</strong>werpunktthese). Sie werden gemeinhin na<strong>ch</strong><br />

dem Darstellungsmittel klassifiziert (Vertrag, Beoba<strong>ch</strong>ter, Diskurs). Eine sol<strong>ch</strong>e Einteilung<br />

ist allein wenig aussagekräftig, weil praktis<strong>ch</strong> je<strong>der</strong> Inhalt im Gewand einer<br />

Vertragstheorie präsentiert werden kann (Indifferenzeinwand). Dagegen vermag die<br />

Klassifizierung na<strong>ch</strong> Grundpositionen <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie die unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en<br />

Konzeptionen <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft, die von den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

jeweils verfolgt werden, besser zu betonen. Sowohl die Formen des Vernunftgebrau<strong>ch</strong>s<br />

(pragmatis<strong>ch</strong>, ethis<strong>ch</strong>, moralis<strong>ch</strong>) als au<strong>ch</strong> die in den <strong>Theorien</strong> verwendeten<br />

Darstellungsmittel (Vertrag, Beoba<strong>ch</strong>ter, Diskurs) sind demgegenüber untergeordnete<br />

Unters<strong>ch</strong>eidungskriterien.<br />

Trotz des sehr unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Anwendungsberei<strong>ch</strong>s, den <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> behandeln (Mikro-, Meso-, Makrotheorien), bleiben sie verglei<strong>ch</strong>bar<br />

(Skalierbarkeitsthese). Eine vollständige Theorie <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

muß mindestens die fünf Themenkreise 'Begründungsmodell', 'Institutionalisierung',<br />

'Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te', 'Demokratie' und 'Güterverteilung' behandeln (Mindestgehaltsthese).<br />

Als beson<strong>der</strong>e, ni<strong>ch</strong>t zum Mindestkanon gehörige Themenkreise können die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

gegenüber <strong>der</strong> Natur, in <strong>der</strong> Völkergemeins<strong>ch</strong>aft, gegenüber zukünftigen<br />

Generationen und unter den Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tern gelten. In <strong>der</strong> Regel läßt si<strong>ch</strong> eine unvollständige<br />

Theorie ohne Argumentationsbru<strong>ch</strong> vervollständigen (Ergänzbarkeitsthese)<br />

und verliert ihre Gültigkeit ni<strong>ch</strong>t dadur<strong>ch</strong>, daß sie na<strong>ch</strong>trägli<strong>ch</strong> auf die beson<strong>der</strong>en<br />

Themenkreise ausgedehnt wird (Erweiterbarkeitsthese).<br />

C. <strong>Prozedurale</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

Das Beson<strong>der</strong>e an prozeduralen <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist, daß sie si<strong>ch</strong> wesentli<strong>ch</strong><br />

auf ein Verfahren stützen, um <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> zu begründen 370 . Damit setzen sie voraus,<br />

daß überhaupt <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> mit <strong>der</strong> Einhaltung von Verfahrensregeln begründet<br />

werden kann. Eine sol<strong>ch</strong>e Konzeption <strong>der</strong> dur<strong>ch</strong> Verfahren begründbaren <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

wird allgemein 'prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' (procedural justice) – in man<strong>ch</strong>en<br />

Aspekten au<strong>ch</strong> 'natürli<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' (natural justice) 371 – genannt. Sie fun-<br />

369 Dazu unten S. 309 ff. (Fünf Fragen politis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien).<br />

370 Dazu im einzelnen unten S. 132 ff. (prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien).<br />

371 So bei dem von R.S. Summers und J.R. Lucas entwickelten Katalog von Ents<strong>ch</strong>eidungsregeln <strong>der</strong><br />

natürli<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>; J.R. Lucas, Principles of Politics (1966), S. 130: »The rules of Natural Ju-<br />

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