16.04.2014 Aufrufe

Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Meinungsbildung 582 . Das Re<strong>ch</strong>t als ein Mittel zur Reduktion unvermeidli<strong>ch</strong>er gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er<br />

Komplexität sei zur Legitimation auf die re<strong>ch</strong>tsexterne Kommunikation<br />

in <strong>der</strong> Politik angewiesen, die als eine 'komplexitätserhaltende Gegensteuerung' funktioniere<br />

583 . Deshalb erweitert Habermas die deliberative Demokratie zur deliberativen<br />

Politik, die er mit den Begriffen <strong>der</strong> 'politis<strong>ch</strong>en Öffentli<strong>ch</strong>keit' und <strong>der</strong> 'Zivilgesells<strong>ch</strong>aft'<br />

erläutert.<br />

Als politis<strong>ch</strong>e Öffentli<strong>ch</strong>keit bezei<strong>ch</strong>net Habermas das Kommunikationsnetzwerk,<br />

das Meinungen (Inhalte und Stellungnahmen) dur<strong>ch</strong> Filterung und Synthetisierung<br />

zu themenspezifis<strong>ch</strong> gebündelten öffentli<strong>ch</strong>en Meinungen verdi<strong>ch</strong>tet 584 . Diese Öffentli<strong>ch</strong>keit<br />

ist spezialisiert, etwa in populärwissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e, literaris<strong>ch</strong>e, kir<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e,<br />

künstleris<strong>ch</strong>e, feministis<strong>ch</strong>e, ökologis<strong>ch</strong>e Öffentli<strong>ch</strong>keit; und sie ist organisatoris<strong>ch</strong><br />

differenziert, etwa als episodis<strong>ch</strong>e (Kneipen-, Straßen-) o<strong>der</strong> als veranstaltete (Theater-,<br />

Rockkonzert-, Parteitversammlungs-, Kir<strong>ch</strong>entags-) Öffentli<strong>ch</strong>keit 585 . Die Zivilgesells<strong>ch</strong>aft<br />

ist demgegenüber die Gesamtheit <strong>der</strong> Vereinigungen, Organisationen und<br />

Bewegungen, die Probleme aus privaten Lebensberei<strong>ch</strong>en aufgreifen und verstärkt<br />

an die politis<strong>ch</strong>e Öffentli<strong>ch</strong>keit weiterleiten 586 , beispielsweise soziale Bewegungen,<br />

Bürgerinitiativen, politis<strong>ch</strong>e Vereinigungen o<strong>der</strong> Berufsverbände 587 . Teile <strong>der</strong> Zivilgesells<strong>ch</strong>aft<br />

sind im allgemeinen zu s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>, um selbst Ents<strong>ch</strong>eidungsprozesse umzusteuern,<br />

sie können aber unter bestimmten Umständen über die öffentli<strong>ch</strong>e Meinung<br />

auf Ents<strong>ch</strong>eidungsträger des Re<strong>ch</strong>tsstaats (Parlamente, Geri<strong>ch</strong>te, Behörden)<br />

Einfluß gewinnen 588 . Der Motor dieser Einflußnahme liegt in den Massenmedien, die<br />

regelmäßig eine Differenzierung zwis<strong>ch</strong>en Akteuren in <strong>der</strong> Arena und Zus<strong>ch</strong>auern<br />

im Publikum einführen.<br />

Die Wirkungszusammenhänge zwis<strong>ch</strong>en Zivilgesells<strong>ch</strong>aft, politis<strong>ch</strong>er Öffentli<strong>ch</strong>keit<br />

und Massenmedien können auf vers<strong>ch</strong>iedene Weise für die Legitimation von<br />

Re<strong>ch</strong>t angeführt werden. Habermas wendet si<strong>ch</strong> gegen <strong>Theorien</strong> rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens,<br />

die (als Pluralismus- und Elitentheorien) die kluge Personenwahl innerhalb <strong>der</strong><br />

Zivilgesells<strong>ch</strong>aft o<strong>der</strong> (als social <strong>ch</strong>oice o<strong>der</strong> public <strong>ch</strong>oice <strong>Theorien</strong>) die kluge Sa<strong>ch</strong>ents<strong>ch</strong>eidung<br />

innerhalb <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Öffentli<strong>ch</strong>keit in den Vor<strong>der</strong>grund stellen 589 .<br />

Vielmehr sei »ein Perspektivenwe<strong>ch</strong>sel von <strong>der</strong> Theorie rationaler Wahl zur Diskurstheorie«<br />

geboten, na<strong>ch</strong> dem ni<strong>ch</strong>t länger das Handeln einzelner Aktoren, son<strong>der</strong>n<br />

»das diskursive Niveau beoba<strong>ch</strong>tbarer politis<strong>ch</strong>er Kommunikation ein Maßstab für<br />

die Wirksamkeit einer ... prozeduralisierten Vernunft ist.« 590 Je höher also das diskursive<br />

Niveau, desto höher ist die legitimierende Kraft innerhalb <strong>der</strong> deliberativen Politik.<br />

Für Massenmedien als <strong>der</strong> 'vierten Gewalt' folgt daraus das Gebot einer normati-<br />

582 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 374. Ähnli<strong>ch</strong> G. Jo<strong>ch</strong>um, Materielle Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

an das Ents<strong>ch</strong>eidungsverfahren in <strong>der</strong> Demokratie (1997), 68 ff. (84) – Notwendigkeit eines öffentli<strong>ch</strong>en<br />

Diskurses zur Legitimierung politis<strong>ch</strong>er Ents<strong>ch</strong>eidungen.<br />

583 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 397.<br />

584 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 436.<br />

585 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 452.<br />

586 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 443.<br />

587 Vgl. J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 451.<br />

588 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 451.<br />

589 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 401 ff.<br />

590 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 414 f.<br />

244

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!