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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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Einigkeit nur insoweit, als Ursprünge bei Hegel anzusiedeln sind 113 . Insbeson<strong>der</strong>e die<br />

erste <strong>der</strong> oben erwähnten Gemeinsamkeiten steht in <strong>der</strong> direkten Na<strong>ch</strong>folge von Hegels<br />

Auffassung über das sittli<strong>ch</strong> situierte Selbst 114 . Walzer bringt es auf den Punkt,<br />

wenn er meint, Mens<strong>ch</strong>en ohne Sozialbindung seien keine Mens<strong>ch</strong>en, son<strong>der</strong>n »mythis<strong>ch</strong>e<br />

Figuren« 115 . Sandel konkretisiert: in das Personenkonzept müsse au<strong>ch</strong> die<br />

konkrete Einbettung von Individuen in ihre vers<strong>ch</strong>iedenen gemeins<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Verhältnisse<br />

einbezogen werden, also die Zugehörigkeit zur Stadt- o<strong>der</strong> Dorfgemeins<strong>ch</strong>aft,<br />

zu Familie, Klasse, Nation o<strong>der</strong> Volk 116 . Zugespitzt auf eine Hegel/Kant-<br />

Di<strong>ch</strong>otomie könnte man sagen: Der Kommunitarismus betont die Sittli<strong>ch</strong>keit im Sinne<br />

einer sozialübli<strong>ch</strong>en Moralität und kommt dadur<strong>ch</strong> zu einer Moral partikulärer<br />

Bindungen 117 , wohingegen <strong>der</strong> Liberalismus na<strong>ch</strong> den unparteiis<strong>ch</strong>en Prinzipien einer<br />

universellen Moral su<strong>ch</strong>t 118 .<br />

1. Epistemologis<strong>ch</strong>er Kommunitarismus (M.J. Sandel)<br />

Abgesehen von <strong>der</strong> gemeinsamen Frontenstellung gegen den Liberalismus haben die<br />

Positionen innerhalb des kommunitaristis<strong>ch</strong>en Lagers ni<strong>ch</strong>t viel gemein. Eine verbindende<br />

Rolle unter den vers<strong>ch</strong>iedenen Spielarten des Kommunitarismus spielt allein<br />

Sandel, dessen 1982 vorgelegte Rawls-Kritik 119 erst die lebhafte Diskussion auslöste,<br />

die später zum Kristallisationspunkt all jener Auffassungen wurde, die unter<br />

dem Oberbegriff 'Kommunitarismus' (communitarianism) firmieren. Zwar war au<strong>ch</strong><br />

s<strong>ch</strong>on vor 1982 <strong>der</strong> Personenbegriff bei Rawls kritisiert worden, aber erst Sandel hat<br />

die Theorie vermittels einer Kritik ihres Mens<strong>ch</strong>enbildes grundsätzli<strong>ch</strong> in Frage gestellt<br />

120 .<br />

Der Kommunitarismus Sandels findet seinen Ausgangspunkt in <strong>der</strong> Selbsterkenntnis<br />

des Mens<strong>ch</strong>en als Gemeins<strong>ch</strong>aftswesen und kann deshalb s<strong>ch</strong>lagwortartig<br />

als 'epistemologis<strong>ch</strong>' bezei<strong>ch</strong>net werden 121 . In seinem S<strong>ch</strong>lüsselargument zur Gemeins<strong>ch</strong>aftsgebundenheit<br />

des Mens<strong>ch</strong>en stellt Sandel den bei Rawls herausgearbeite-<br />

113 Ni<strong>ch</strong>t zufällig finden si<strong>ch</strong> ausgere<strong>ch</strong>net Personen wie Charles Taylor – in den USA bekannt dur<strong>ch</strong><br />

seine Hegel-Monographie – im kommunitaristis<strong>ch</strong>en Lager; vgl. A. Honneth, Individualisierung<br />

und Gemeins<strong>ch</strong>aft (1994), S. 17. Zur Bedeutung von Aristoteles und Hegel für den Kommunitarismus<br />

au<strong>ch</strong> M. Sandel, Liberalism and the Limits of Justice (1982), S. ix. Im übrigen wird darüber<br />

diskutiert, ob Ursprünge au<strong>ch</strong> beim amerikanis<strong>ch</strong>en Pragmatismus von John Dewey o<strong>der</strong> bei Alexis<br />

de Tocqueville zu finden sind.<br />

114 R. Forst, Kommunitarismus und Liberalismus (1993), S. 183.<br />

115 M. Walzer, Die kommunitaristis<strong>ch</strong>e Kritik am Liberalismus (1993), S. 162.<br />

116 M. Sandel, Liberalism and the Limits of Justice (1982), S. 172.<br />

117 Vgl. A. MacIntyre, Ist Patriotismus eine Tugend? (1993), S. 102.<br />

118 Zur Gegensätzli<strong>ch</strong>keit von Kommunitarismus und Universalismus H. Brunkhorst, Demokratie als<br />

Solidarität unter Fremden (1996), S. 25 ff.<br />

119 M. Sandel, Liberalism and the Limits of Justice (1982), S. 50 ff., 122 ff.<br />

120 Zu dieser Eins<strong>ch</strong>ätzung R. Forst, Kommunitarismus und Liberalismus (1993), S. 183. Die Kritik<br />

des Personenbegriffs findet si<strong>ch</strong> bei M. Sandel, Liberalism and the Limits of Justice (1982), S. 47 ff.<br />

(50 ff.).<br />

121 Zur Selbsteins<strong>ch</strong>ätzung Sandels vgl. die Ausführungen zum 'constitutive self-un<strong>der</strong>standing' im<br />

Kapitel 'moral epistemology of justice': M. Sandel, Liberalism and the Limits of Justice (1982),<br />

S. 168 ff. (171 f.), sowie zum 'epistemological claim' S. 182 f.<br />

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