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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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ae) steht – ganz im Wortsinne 235 – für dasjenige Re<strong>ch</strong>t, das si<strong>ch</strong> aus <strong>der</strong> Natur <strong>der</strong><br />

Welt 236 und dabei insbeson<strong>der</strong>e aus <strong>der</strong> Natur des Mens<strong>ch</strong>en ableitet, diesem also<br />

vorgegeben ist, ohne daß es seiner Setzung unterworfen wäre (Vorpositivität) 237 . Naturre<strong>ch</strong>t<br />

beanspru<strong>ch</strong>t unabdingbare Gültigkeit, ist also – im Gegensatz zum positiven<br />

Re<strong>ch</strong>t – von Raum und Zeit unabhängig (Cicero, lex aeterna, lex naturalis) 238 . Als antikes<br />

(Platon, Aristoteles) 239 , spätantikes (Augustinus, lex divina), mittelalterli<strong>ch</strong>es (Thomas<br />

von Aquin, ius divinum) 240 , reformatoris<strong>ch</strong>es (Luther, Calvin) 241 o<strong>der</strong> sonst ontologis<strong>ch</strong>es,<br />

d.h. kosmologis<strong>ch</strong>es o<strong>der</strong> anthropologis<strong>ch</strong>es 242 Naturre<strong>ch</strong>t (Grotius, Pufendorf)<br />

hat es bis zur Aufklärung na<strong>ch</strong> dem Wesen des Mens<strong>ch</strong>en gefragt, seither indes,<br />

235 Vgl. O. Höffe, Artikel: Naturre<strong>ch</strong>t (1987), Sp. 1298: »Die Natur ist jener Aspekt am Mens<strong>ch</strong>en und<br />

seiner Welt, <strong>der</strong> <strong>der</strong> persönli<strong>ch</strong>en, gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en und ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Verfügung entzogen, insofern<br />

s<strong>ch</strong>on vom Begriff her vorpositiv und überpositiv gültig ist.«<br />

236 Ni<strong>ch</strong>tanthropozentris<strong>ch</strong> ist beispielsweise <strong>der</strong> Naturre<strong>ch</strong>tsbegriff in Dig. 1, 1, 1, 3: »Ius naturale est,<br />

quod natura omnia animalia docuit: nam ius istud non humani generis proprium, sed omnium animalium,<br />

quae in terra, quae in mari nascuntur, avium quoque commune est.« In <strong>der</strong> Übersetzung von Seiler, in:<br />

Behrends/Knütel/Kupis<strong>ch</strong>/Seiler (Hrsg.), Corpus Iuris Civilis, Bd. 2 (1995), S. 92: »Naturre<strong>ch</strong>t ist<br />

das, was die Natur alle Lebewesen gelehrt hat. Denn dieses Re<strong>ch</strong>t ist ni<strong>ch</strong>t allein dem Mens<strong>ch</strong>enges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t<br />

eigen, son<strong>der</strong>n allen Lebewesen, die es auf dem Lande und im Wasser gibt, gemeinsam<br />

– au<strong>ch</strong> den Vögeln.«<br />

237 Vgl. dazu die frühe Kritik bei J. Bentham, Anar<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>al Fallacies (1820), S. 501: »Natural rights is<br />

simple nonsense: natural and imprescriptible rights, rhetorical nonsense, – nonsense upon stilts.«<br />

238 Vgl. M.T. Cicero, Über den Staat, III, 22: »Es stellt si<strong>ch</strong> ja das wahre Gesetz in <strong>der</strong> geradlinigen<br />

Vernunft dar, die in Einklang steht mit <strong>der</strong> Natur, die über alle Mens<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> ausgebreitet hat,<br />

die festen, dauernden Bestand hat, ... Dieses Gesetz in seiner Rei<strong>ch</strong>weite einzus<strong>ch</strong>ränken, verstößt<br />

wi<strong>der</strong> göttli<strong>ch</strong>es Re<strong>ch</strong>t; es ist au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t erlaubt, es teilweise aufzuheben, und es kann au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

ganz abges<strong>ch</strong>afft werden. ... es wird ni<strong>ch</strong>t an<strong>der</strong>s in Rom, an<strong>der</strong>s in Athen, an<strong>der</strong>s heute, an<strong>der</strong>s<br />

später sein, son<strong>der</strong>n die Völker werden sowohl in ihrer Gesamtheit wie zu allen Zeiten dieses eine<br />

Gesetz als ewiges und unverän<strong>der</strong>li<strong>ch</strong>es umfassen und einer wird glei<strong>ch</strong>sam <strong>der</strong> gemeinsame<br />

Lehrer und Gebieter über alle sein: Gott.« Zu lex aeterna und lex naturalis bei Augustinus siehe A.<br />

Kaufmann, Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1984), S. 17.<br />

239 Vgl. W. Waldstein, Zur juristis<strong>ch</strong>en Relevanz <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> bei Aristoteles, Cicero und Ulpian<br />

(1996), S. 67 ff.: Der antike Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Tugend bedinge, daß eine substantiell gere<strong>ch</strong>te<br />

mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Ordnung naturre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> verstanden werde.<br />

240 Vgl. etwa Thomas von Aquin, ST, II-II, 57, 2 (Antwort zu 3.): »Ad tertium dicendum quod jus divinum<br />

dicitur quod divinitus promulgatur. ...« In <strong>der</strong> Übersetzung von Groner: »Zu 3.: Jenes Re<strong>ch</strong>t heißt<br />

'göttli<strong>ch</strong>', das dur<strong>ch</strong> Gott kundgetan wird. Es bezieht si<strong>ch</strong> teilweise auf das naturhaft Gere<strong>ch</strong>te –<br />

seine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> bleibt dem Mens<strong>ch</strong>en jedo<strong>ch</strong> verborgen –, teilweise auf das, was dur<strong>ch</strong> göttli<strong>ch</strong>e<br />

Verfügung gere<strong>ch</strong>t wird. Daher kann, wie das mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>t, au<strong>ch</strong> das göttli<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong><br />

diesen zwei Gesi<strong>ch</strong>tspunkten unters<strong>ch</strong>ieden werden.« Vgl. dazu: M.B. Crowe, St. Thomas and Ulpian's<br />

Natural Law (1974), S. 261 ff. (281 f.) – weitgehende Übernahme von Ulpians Naturre<strong>ch</strong>tsverständnis<br />

in <strong>der</strong> thomasis<strong>ch</strong>en Lehre; M. Beck-Mannagetta, Mittelalterli<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>slehre<br />

(1996), S. 74 ff.<br />

241 Dazu etwa E. Brunner, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1943), S. 319 ff. Anm. 34 m.w.N.<br />

242 Das kosmologis<strong>ch</strong>e Naturre<strong>ch</strong>t bes<strong>ch</strong>reibt als ontologis<strong>ch</strong>es Naturbild eine (gottgestiftete) Ordnung<br />

<strong>der</strong> Welt, das anthropologis<strong>ch</strong>e Naturre<strong>ch</strong>t dagegen das Wesen des Mens<strong>ch</strong>en; O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 89. Der Übergang vom theozentris<strong>ch</strong>en zum anthropozentris<strong>ch</strong>en<br />

Weltbild und damit ein Paradigmenwe<strong>ch</strong>sel in <strong>der</strong> Naturre<strong>ch</strong>tslehre kann etwa bei Jean Bodin verortet<br />

werden; vgl. J. Bodin, Se<strong>ch</strong>s Bü<strong>ch</strong>er über den Staat (1583), I. Bu<strong>ch</strong>, 1. Kapitel, S. 101: »Wenn<br />

nun aber die wahre Glückseligkeit des Staates (R) glei<strong>ch</strong>zusetzen ist mit <strong>der</strong> des einzelnen Mens<strong>ch</strong>en<br />

...«. Das neue anthropozentris<strong>ch</strong>e Weltbild hat seinen Nie<strong>der</strong>s<strong>ch</strong>lag dann in den ni<strong>ch</strong>ttheozentris<strong>ch</strong>en<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien von Thomas Hobbes (Vom Bürger, 1642; Leviathan, 1651) und<br />

John Locke (Two Treatises of Government, 1698) gefunden.<br />

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