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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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(Gebots-)Satz 'Du sollst deinen Nä<strong>ch</strong>sten lieben wie di<strong>ch</strong> selbst!' 153 o<strong>der</strong> die re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e<br />

Anordnung 'Der S<strong>ch</strong>uldner ist verpfli<strong>ch</strong>tet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu<br />

und Glauben mit Rücksi<strong>ch</strong>t auf die Verkehrssitte es erfor<strong>der</strong>n.' (§ 242 BGB). Für den<br />

Normbegriff in D N kommt es ni<strong>ch</strong>t darauf an, ob si<strong>ch</strong> das Gesolltsein einer Handlung<br />

als soziale Regel etablieren konnte 154 , o<strong>der</strong> ob es eine Verhaltenserwartung begründet<br />

155 .<br />

Außerdem ist zwis<strong>ch</strong>en <strong>der</strong> Norm selbst und ihrer Geltung zu unters<strong>ch</strong>eiden 156 :<br />

Zum Begriff <strong>der</strong> Norm gehört zunä<strong>ch</strong>st nur die (semantis<strong>ch</strong>e) Bedeutung, die in<br />

Normsätzen o<strong>der</strong> Normzei<strong>ch</strong>en verkörpert ist. Wer weiter behauptet, daß einer<br />

Norm (re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e, religiöse, soziale) Geltung zukomme, o<strong>der</strong> wer eine Norm selbst in<br />

Geltung setzt (z.B. <strong>der</strong> parlamentaris<strong>ch</strong>e Gesetzgeber, <strong>der</strong> gebotsverkündende Vorsteher<br />

einer religiösen Sekte, <strong>der</strong> einladende Gastgeber) verläßt die Ebene bloßer Semantik<br />

und begibt si<strong>ch</strong> auf die Ebene <strong>der</strong> Pragmatik. Auf diesen pragmatis<strong>ch</strong>en Gehalt<br />

<strong>der</strong> Normverwendung wird bei <strong>der</strong> Begründung und Erzeugung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

zurückzukommen sein 157 .<br />

2. Der Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm (D NG )<br />

Werden Normen im Sinne von D N mit dem <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprädikat zu einem normbezogenen<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteil verbunden ('Das Tötungsverbot ist gere<strong>ch</strong>t.'), so<br />

könnte man insoweit von einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm im Sinne einer 'gere<strong>ch</strong>ten Norm'<br />

spre<strong>ch</strong>en, weil jede Einzelhandlung, die <strong>der</strong> Norm entspri<strong>ch</strong>t, gere<strong>ch</strong>t sein müßte 158 .<br />

Aber ni<strong>ch</strong>t diese explizite Verbindung einer Norm mit dem <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprädikat ist<br />

übli<strong>ch</strong>erweise gemeint, wenn von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen die Rede ist. <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

sind vielmehr alle Normen, die den Anwendungsberei<strong>ch</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> teilen<br />

159 . S<strong>ch</strong>on das Tötungsverbot selbst ('Du sollst ni<strong>ch</strong>t töten!') ist implizit eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm,<br />

weil die Handlungsweise 'Tötung eines an<strong>der</strong>en Mens<strong>ch</strong>en' einen<br />

153 Alt- wie neutestamentaris<strong>ch</strong>: 3. Mose 19, 18 = Matthäus 22, 39.<br />

154 Zur Bezugsetzung zwis<strong>ch</strong>en Normbegriff (hier: Re<strong>ch</strong>tsregel) und sozialer Regel vgl. H.L.A. Hart,<br />

Concept of Law (1961), S. 54 ff. (more complex practice), sowie S. 84: »Rules are conceived and spoken<br />

of as imposing obligations when the general demand for conformity is insistent and the social<br />

pressure brought to bear upon those who deviate or threaten to deviate is great.«<br />

155 So N. Luhmann, Re<strong>ch</strong>tssoziologie (1987), S. 43: »Normen sind demna<strong>ch</strong> kontrafaktis<strong>ch</strong> stabilisierte<br />

Verhaltenserwartungen.« (Hervorhebung bei Luhmann).<br />

156 Ausführli<strong>ch</strong>er dazu R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> Grundre<strong>ch</strong>te (1985), S. 47 ff. m.w.N. Wenn in diesem<br />

Zusammenhang von 'Geltung' einer Norm gespro<strong>ch</strong>en wird, dann ist das ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>e<br />

Geltungsbegriff im Gegensatz zu einer moralis<strong>ch</strong>en Gültigkeit, son<strong>der</strong>n ein umfassen<strong>der</strong> Begriff<br />

für jede erdenkli<strong>ch</strong>e (re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e, religiöse, soziale, moralis<strong>ch</strong>e) Verbindli<strong>ch</strong>keit.<br />

157 Dazu unten S. 74 (Begründung und Erzeugung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen).<br />

158 Vgl. H. Kelsen, Das Problem <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1960), S. 358: »<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ... als Eigens<strong>ch</strong>aft au<strong>ch</strong><br />

von Normen«. Die umstrittene Frage, ob si<strong>ch</strong> deontis<strong>ch</strong>e Operatoren (geboten, verboten, erlaubt)<br />

nur auf Handlungen o<strong>der</strong> (bei Normen höherer Ordnung) au<strong>ch</strong> auf handlungsleitende Normen<br />

selbst beziehen können, kann dabei offen bleiben, denn hier wird das <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprädikat, ni<strong>ch</strong>t<br />

ein deontis<strong>ch</strong>er Operator, auf die Norm angewendet.<br />

159 Vgl. H. Kelsen, Das Problem <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1960), S. 357: »Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> eines Mens<strong>ch</strong>en ist<br />

die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> seines sozialen Verhaltens; und die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> seines sozialen Verhaltens besteht<br />

darin, daß es einer den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>swert konstituierenden und in diesem Sinne gere<strong>ch</strong>ten<br />

Norm entspri<strong>ch</strong>t. Diese Norm kann man als <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm bezei<strong>ch</strong>nen.«<br />

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