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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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1. Zur Kritik an J. Rawls ents<strong>ch</strong>eidungstheoretis<strong>ch</strong>em Ansatz<br />

Das ents<strong>ch</strong>eidungstheoretis<strong>ch</strong>e Element bei Rawls, die Maximin-Regel, ist bereits kritis<strong>ch</strong><br />

gewürdigt worden 119 . Hier bleibt <strong>der</strong> Kritik nur hinzuzufügen, daß die risikos<strong>ch</strong>eue<br />

Grundhaltung <strong>der</strong> Parteien im Rawlss<strong>ch</strong>en Urzustand ein Ergebnis <strong>der</strong> künstli<strong>ch</strong>en<br />

Unwissenheit ist, die Rawls dur<strong>ch</strong> den S<strong>ch</strong>leier des Ni<strong>ch</strong>twissens erzeugt.<br />

Dur<strong>ch</strong> dieses Konstrukt sollen die Parteien eine mögli<strong>ch</strong>st hohe Grundsi<strong>ch</strong>erung begehren,<br />

die sie je<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Güterverteilung vorziehen (Maximin), so daß sogar das<br />

egalitäre Differenzprinzip als Verteilungsprinzip in <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Ordnung akzeptabel<br />

ers<strong>ch</strong>eint. Für eine sol<strong>ch</strong>e Verallgemeinerung <strong>der</strong> Risikos<strong>ch</strong>eu fehlt bei Rawls<br />

indes jede Begründung. Es ist mit Re<strong>ch</strong>t kritisiert worden, daß ein verallgemeinerbares<br />

Interesse an risikoarmen Ents<strong>ch</strong>eidungen ni<strong>ch</strong>t besteht 120 . In bezug auf diese Annahme<br />

kann die Theorie von Rawls nur als unbegründet angesehen werden, was seine<br />

spätere Abwendung von dem ents<strong>ch</strong>eidungstheoretis<strong>ch</strong>en Ansatz verständli<strong>ch</strong><br />

ma<strong>ch</strong>t 121 .<br />

2. Zur Kritik an J. Rawls <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Fairneß<br />

Die ältere Fairneßtheorie zei<strong>ch</strong>net si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> die weitgehenden Wissensbes<strong>ch</strong>ränkungen<br />

<strong>der</strong> Parteien hinter dem S<strong>ch</strong>leier des Ni<strong>ch</strong>twissens aus. Sie führt letztli<strong>ch</strong> dazu,<br />

daß alle persönli<strong>ch</strong>en Fähigkeiten <strong>der</strong> Parteien sozialisiert werden. Niemand<br />

kann für die eigenen Talente Partei ergreifen, wenn er sie ni<strong>ch</strong>t kennt. Wer also tü<strong>ch</strong>tiger,<br />

kräftiger, intelligenter ist als an<strong>der</strong>e, muß das in <strong>der</strong> Fairneßkonzeption von<br />

Rawls ignorieren. Dur<strong>ch</strong> diese glei<strong>ch</strong>ma<strong>ch</strong>eris<strong>ch</strong>en Prämissen nutzt die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie<br />

zwar weiterhin das Darstellungmittel des Vertrags, löst si<strong>ch</strong> aber vom<br />

kontraktualistis<strong>ch</strong>en Rationalitätskonzept 122 , denn die Parteien treten ni<strong>ch</strong>t länger in<br />

eine Verhandlung über den Ausglei<strong>ch</strong> ihrer gegenseitigen Interessen, son<strong>der</strong>n sind<br />

konstruktiv so stark einan<strong>der</strong> angegli<strong>ch</strong>en, daß jede Partei die glei<strong>ch</strong>en Überlegungen<br />

anstellen muß.<br />

Dur<strong>ch</strong> diese Verzerrung des Vertragsmodells bei Rawls wird eine generelle<br />

S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>e <strong>der</strong> Sozialvertragstheorien deutli<strong>ch</strong>: ihre konstruktive Beliebigkeit 123 . Je<br />

na<strong>ch</strong>dem, wie <strong>der</strong> Urzustand o<strong>der</strong> Naturzustand ges<strong>ch</strong>il<strong>der</strong>t wird, können ganz gegensätzli<strong>ch</strong>e<br />

Sozialordnungen als gere<strong>ch</strong>t begründet werden. Dieser Mangel entspri<strong>ch</strong>t<br />

dem altbekannten Problem <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien, daß die Ents<strong>ch</strong>eidung<br />

mit <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidungssituation dur<strong>ch</strong> den Theoretiker bereits präju-<br />

119 Dazu oben S. 180 ff. (Theorie <strong>der</strong> Maximin-Wahl).<br />

120 A. Kaufmann, <strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1989), S. 14; A. Weale, Limits of Democracy<br />

(1989), S. 45; R.A. Posner, Economic Analysis of Law (1992), S. 462 f. Vgl. au<strong>ch</strong> R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 117; M.R. Deckert, Folgenorientierung in <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsanwendung (1995),<br />

S. 200 f. – Zusammenfassung <strong>der</strong> Kritik.<br />

121 Zu diesem Ri<strong>ch</strong>tungswe<strong>ch</strong>sel siehe S. 180 ff. (Theorie <strong>der</strong> Maximin-Wahl).<br />

122 Zur Differenz zwis<strong>ch</strong>en dem Vertrag als Darstellungsmittel und dem Vertrag als Rationalitätskonzept<br />

siehe oben S. 98 ff. (Vertrag).<br />

123 Vgl. W. Kersting, Die politis<strong>ch</strong>e Philosophie des Gesells<strong>ch</strong>aftsvertrags (1994), S. 52: »[D]ie generellen<br />

Gültigkeitsbedingungen des re<strong>ch</strong>tfertigungstheoretis<strong>ch</strong>en Kontraktualismus: seine Begründungsleistungen<br />

sind abhängig von den Bestimmungen <strong>der</strong> Vertragssituation«.<br />

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