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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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estimmbare Vielzahl von individuellen Re<strong>ch</strong>ten und institutionellen Garantien, für<br />

die optimale diskursive Kontrolle <strong>der</strong> sozialen Ordnung sorgen kann. Dazu sind<br />

weitergehende empiris<strong>ch</strong>e Prämissen und analytis<strong>ch</strong>e Begründungss<strong>ch</strong>ritte nötig, die<br />

hier ni<strong>ch</strong>t im einzelnen dargelegt werden können. Eins<strong>ch</strong>ränkend muß angesi<strong>ch</strong>ts<br />

<strong>der</strong> unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Rahmenbedingungen von Gesells<strong>ch</strong>aften angemerkt werden,<br />

daß die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm N D ni<strong>ch</strong>t notwendig bedeutet, die Demokratie müsse, so<br />

sie no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t verwirkli<strong>ch</strong>t ist, übergangslos eingeführt werden 104 .<br />

Die Darstellung von Grundzügen einer Diskurstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> bes<strong>ch</strong>ränkt<br />

si<strong>ch</strong> hier darauf, den Status <strong>der</strong> Demokratiebegründung festzulegen: Das<br />

Grundre<strong>ch</strong>t auf Demokratie eins<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> des implizierten Demokratiegebots ist diskursiv<br />

notwendig, gilt also unabhängig von <strong>der</strong> Dur<strong>ch</strong>führung konkreter Diskurse für<br />

jede Form <strong>der</strong> sozialen Ordnung. Daraus folgt, daß Staaten unabhängig von den in<br />

ihnen stattfindenden realen Diskursen unter Umständen als ungere<strong>ch</strong>t beurteilt werden<br />

können, weil sie Grundparameter <strong>der</strong> demokratis<strong>ch</strong>en Organisation ni<strong>ch</strong>t verwirkli<strong>ch</strong>en<br />

105 . Die <strong>ch</strong>inesis<strong>ch</strong>e Staatsordnung ist dana<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>on wegen ihrer sozialistis<strong>ch</strong>en<br />

Eigentumsordnung ungere<strong>ch</strong>t, wohl aber wegen ihres Verzi<strong>ch</strong>ts auf eine<br />

optimale diskursive Kontrolle, konkret also wegen <strong>der</strong> sa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t weiter begründeten<br />

Unterdrückung von Opposition im Interesse einer Parteiwahrheit. Mit N D ist<br />

indes no<strong>ch</strong> keine Festlegung auf eine bestimmte Demokratieform verbunden 106 , au<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t etwa auf westli<strong>ch</strong>e Demokratien na<strong>ch</strong> nordamerikanis<strong>ch</strong>em o<strong>der</strong> europäis<strong>ch</strong>em<br />

Muster. Es kann beispielsweise in den s<strong>ch</strong>on erörterten Fällen von Singapur und<br />

dem Iran 107 kein Verstoß gegen N D festgestellt werden, weil beide Staaten zwar die<br />

Meinungsäußerung und allgemeine Handlungsfreiheit in einer Weise bes<strong>ch</strong>ränken,<br />

wie sie in westli<strong>ch</strong>en Demokratien ni<strong>ch</strong>t akzeptabel wäre, si<strong>ch</strong> aber, wenn au<strong>ch</strong> mit<br />

ganz an<strong>der</strong>er Gewi<strong>ch</strong>tung, dem Grundsatz einer optimierten Freiheit ihrer Bürger<br />

(N F ) no<strong>ch</strong> verpfli<strong>ch</strong>tet fühlen und eine diskursive Kontrolle <strong>der</strong> sozialen Ordnung<br />

(N D ) grundsätzli<strong>ch</strong> zulassen. Sol<strong>ch</strong>e Staatsordnungen lassen si<strong>ch</strong> erst dann als ungere<strong>ch</strong>t<br />

bezei<strong>ch</strong>nen, wenn si<strong>ch</strong> zeigt, daß ihre Konkretisierung von Einzelfreiheiten<br />

ni<strong>ch</strong>t in konkreten Diskursen erfolgte, die diskurstheoretis<strong>ch</strong>en Anfor<strong>der</strong>ungen genügen,<br />

wie sie in einer mittelbaren Begründung formuliert werden können 108 .<br />

104 J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 39, S. 245 f. (nonideal theory) sowie bereits E. Brunner, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

(1943), S. 236 ff., <strong>der</strong> zu Re<strong>ch</strong>t darauf hinweist, daß in <strong>der</strong> Stufenfolge staatli<strong>ch</strong>er Ordnungsbildung<br />

vor allem erst einmal eine Friedensordnung erri<strong>ch</strong>tet werden muß, was ni<strong>ch</strong>t unter allen<br />

Umständen dur<strong>ch</strong> unmittelbare Einführung einer Demokratie mögli<strong>ch</strong> ist. Die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te <strong>der</strong> Demokratien<br />

in Afrika bietet rei<strong>ch</strong>es Ans<strong>ch</strong>auungsmaterial für dieses Problem.<br />

105 Im Ergebnis ähnli<strong>ch</strong>, wenn au<strong>ch</strong> bezogen auf positives Re<strong>ch</strong>t, verläuft die völkerre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Diskussion<br />

zum Anspru<strong>ch</strong> auf Demokratie. Vgl. B. Bauer, Der völkerre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Anspru<strong>ch</strong> auf Demokratie<br />

(1998), S. 234 ff. m.w.N.<br />

106 Vgl. au<strong>ch</strong> P. Ts<strong>ch</strong>annen, Stimmre<strong>ch</strong>t und politis<strong>ch</strong>e Verständigung (1995), S. 494 ff., wona<strong>ch</strong> eine<br />

diskurstheoretis<strong>ch</strong>e Demokratiebegründung ni<strong>ch</strong>t nur eine Konkurrenz-, son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong> eine Konkordanzdemokratie<br />

s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Musters zu tragen vermag.<br />

107 Dazu oben S. 299 ff. (Illustration; Frage na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> von China, Singapur und dem Iran<br />

vor dem Hintergrund von Habermas' <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung).<br />

108 Dazu unten S. 334 ff. (mittelbare Begründung gere<strong>ch</strong>ten Re<strong>ch</strong>ts).<br />

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