Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
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Zielen haben sollen 153 . Traditionalismus hat in einer sol<strong>ch</strong>en Welt nur Raum, wo Individualre<strong>ch</strong>te<br />
an<strong>der</strong>er ni<strong>ch</strong>t gemin<strong>der</strong>t werden, im Ergebnis also nur als folkloristis<strong>ch</strong>e<br />
Färbung <strong>der</strong> re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t geregelten Gemeins<strong>ch</strong>aftsberei<strong>ch</strong>e. Am Beispiel <strong>der</strong><br />
französis<strong>ch</strong>en Kultur im kanadis<strong>ch</strong>en Quebec zeigt Taylor, daß eine Gesells<strong>ch</strong>aft, die<br />
ihren kollektiven Zielen ähnli<strong>ch</strong> große Bedeutung wie individuellen Re<strong>ch</strong>ten gibt, zu<br />
einer sol<strong>ch</strong>en 'prozeduralen Republik' in Wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong> geraten muß 154 . Daraus folgert<br />
er, daß das politis<strong>ch</strong>e Gemeinwesen des Liberalismus si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t neutral gegenüber<br />
allen in ihm vereinten kulturellen Min<strong>der</strong>heiten verhält 155 . Geboten sei darum<br />
ein an<strong>der</strong>es, mit dem ersten ni<strong>ch</strong>t vereinbares 156 Modell des Liberalismus ('Liberalismus<br />
2'), bei dem si<strong>ch</strong> das Gemeinwesen um eine kollektive Konzeption des guten<br />
Lebens herum organisiere, glei<strong>ch</strong>zeitig aber – und das ist <strong>der</strong> liberale Gehalt – die<br />
wi<strong>ch</strong>tigsten Grundre<strong>ch</strong>te <strong>der</strong>er a<strong>ch</strong>te, die si<strong>ch</strong> diese Konzeption selbst ni<strong>ch</strong>t zueigen<br />
ma<strong>ch</strong>en 157 . Damit drängt Taylor die von ihm kritisierte 'desengagierte Vernunft' zurück<br />
und vers<strong>ch</strong>afft den als 'kollektive Ziele' verkleideten Gefühlen und Leidens<strong>ch</strong>aften<br />
<strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>en neuen Raum, wie sie ihn im 'Liberalismus 1' ni<strong>ch</strong>t finden konnten.<br />
Nur so könne eine liberale Ordnung gefunden werden, ohne daß die Beteiligten ihre<br />
(gemeins<strong>ch</strong>afts- und traditionsgeprägte) Identität preisgeben müßten 158 . Ähnli<strong>ch</strong> wie<br />
bei Sandel zeigt si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>e Effekt eher in Nuancen: die neue Si<strong>ch</strong>tweise habe<br />
»fast unvermeidli<strong>ch</strong> gewisse Abwandlungen <strong>der</strong> Gesetze zur Folge« 159 . Die größere<br />
Bedeutung liegt im Grundsätzli<strong>ch</strong>en: Taylor will den 'differenz-blinden' Liberalismus,<br />
<strong>der</strong> kulturelle Neutralität verspri<strong>ch</strong>t, ohne sie einhalten zu können, dur<strong>ch</strong> eine bewußt<br />
kulturbezogene Gesells<strong>ch</strong>aftsordnung ersetzen, die im Wege <strong>der</strong> multikulturellen<br />
Dur<strong>ch</strong>dringung von Gemeins<strong>ch</strong>aften zu einer langsamen Anglei<strong>ch</strong>ung <strong>der</strong> unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en<br />
kollektiven Ziele führen kann, ohne daß auf dem Weg dorthin einzelne<br />
Kulturen und die mit ihnen verbundene Indentität ihrer Mitglie<strong>der</strong> aufgegeben werden<br />
müßten 160 .<br />
4. Lokaler Kommunitarismus (M. Walzer)<br />
Der Kommunitarismus Walzers kann 'lokal' genannt werden, denn er betont – wie die<br />
Fors<strong>ch</strong>ung zu 'local justice' 161 – die Unters<strong>ch</strong>iede, die die Verteilungsgere<strong>ch</strong>tigkeit je<br />
153 C. Taylor, Multikulturalismus (1992), S. 49. Taylor nennt ausdrückli<strong>ch</strong> John Rawls, Ronald Dworkin<br />
und Bruce Ackerman als prominente Vertreter dieser Auffassung im angloamerikanis<strong>ch</strong>en Raum.<br />
Die These stimmt als politis<strong>ch</strong>e Folgerung darüber hinaus für alle an<strong>der</strong>en <strong>Theorien</strong>, die einen<br />
Vorrang des Re<strong>ch</strong>ten vor dem Guten einräumen, d.h. für alle deontologis<strong>ch</strong>en im Gegensatz zu teleologis<strong>ch</strong>en<br />
<strong>Theorien</strong>. Taylor selbst betont (ebd., S. 49), daß diese Trennlinie <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung<br />
zwis<strong>ch</strong>en prozeduralen und substantiellen <strong>Theorien</strong> entspri<strong>ch</strong>t.<br />
154 C. Taylor, Multikulturalismus (1992), S. 51 ff.<br />
155 C. Taylor, Multikulturalismus (1992), S. 52.<br />
156 C. Taylor, Multikulturalismus (1992), S. 54.<br />
157 Taylor zählt hierzu das Re<strong>ch</strong>t auf Leben und persönli<strong>ch</strong>e Freiheit, das Re<strong>ch</strong>t auf fairen Prozeß, Redefreiheit,<br />
Religionsfreiheit und ähnli<strong>ch</strong> elementare Re<strong>ch</strong>te; C. Taylor, Multikulturalismus (1992),<br />
S. 52 f.<br />
158 C. Taylor, Multikulturalismus (1992), S. 55.<br />
159 C. Taylor, Multikulturalismus (1992), S. 55.<br />
160 C. Taylor, Multikulturalismus (1992), S. 56 ff.<br />
161 Dazu oben S. 108, Fn. 340 (Mesotheorien und local justice).<br />
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