Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
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entwerfen, ohne den Kreis <strong>der</strong> gefor<strong>der</strong>ten Handlungen auf private Lebensberei<strong>ch</strong>e<br />
(z.B. 'gute' Wahl von Freunden, 'gute' Erziehung von Kin<strong>der</strong>n) zu erstrecken. Abzugrenzen<br />
ist <strong>der</strong> Konsequentialismus dagegen von individueller Nutzenmaximierung,<br />
denn soweit Eigennutz über Gemeinnutz gestellt wird, ist das ein Charakteristikum<br />
<strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en, ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Tradition 81 .<br />
II.<br />
<strong>Theorien</strong> des (ontologis<strong>ch</strong>en) Naturre<strong>ch</strong>ts<br />
Naturre<strong>ch</strong>tslehren wurden bereits dadur<strong>ch</strong> gekennzei<strong>ch</strong>net, daß sie ein Bekenntnis<br />
zu einer bestimmten Konzeption des Guten enthalten 82 . Damit sind sie glei<strong>ch</strong>zeitig<br />
<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition. Für sie ist genau das<br />
Handeln ri<strong>ch</strong>tig und gere<strong>ch</strong>t, das die vorgefaßte Konzeption des Guten zu för<strong>der</strong>n<br />
vermag. Am deutli<strong>ch</strong>sten ist dies bei den Religionslehren 83 . Ihr <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sverständnis<br />
orientiert si<strong>ch</strong> an Glaubenszielen, die ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Erkenntnis zugängli<strong>ch</strong> sind,<br />
son<strong>der</strong>n nur dur<strong>ch</strong> ein Bekenntnis subjektiv verbindli<strong>ch</strong> werden können. Aber ni<strong>ch</strong>t<br />
nur Religionslehren weisen diesen Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en Bekenntnis und Zielorientierung<br />
auf. Au<strong>ch</strong> die Marxistis<strong>ch</strong>-Leninistis<strong>ch</strong>e Ideologie mit ihrem kommunistis<strong>ch</strong>en<br />
Gesells<strong>ch</strong>aftsideal enthält einen Absolutheitsanspru<strong>ch</strong> ihrer Ziele, <strong>der</strong> mit<br />
Re<strong>ch</strong>t als Parallele zu den Religionslehren identifiziert wurde 84 .<br />
III. <strong>Theorien</strong> des Utilitarismus<br />
Utilitarismus wählt im Gegensatz zu Naturre<strong>ch</strong>tslehren ein formales Kriterium <strong>der</strong><br />
Ergebnisgere<strong>ch</strong>tigkeit als vorgegebenen, absoluten Maßstab: das größte Glück <strong>der</strong><br />
größten Zahl. Die Beson<strong>der</strong>heit des Utilitarismus liegt ni<strong>ch</strong>t in <strong>der</strong> Nutzenmaximie-<br />
81 Dazu unten S. 167 ff. (hobbesianis<strong>ch</strong>e Grundposition). Eindringli<strong>ch</strong> zur Abgrenzung utilitaristis<strong>ch</strong>er<br />
von sowohl hobbesianis<strong>ch</strong>er als au<strong>ch</strong> kantis<strong>ch</strong>er Normbegründung R.B. Brandt, The Concept<br />
of Rationality in Ethical and Political Theory (1977), S. 272 ff.<br />
82 Dazu, daß Naturre<strong>ch</strong>tslehren hier immer als sol<strong>ch</strong>e im engeren Sinn verstanden sind, also als ontologis<strong>ch</strong>e<br />
Naturre<strong>ch</strong>tslehren, siehe oben S. 89 (Naturre<strong>ch</strong>ts- und Vernunftre<strong>ch</strong>tslehren).<br />
83 Zur Ähnli<strong>ch</strong>keit <strong>der</strong> naturre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en und theologis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung vgl. L. Müller,<br />
Islam und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1996), S. 102: »Wir haben festgestellt, daß die Funktion sowohl <strong>der</strong><br />
naturre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en als au<strong>ch</strong> <strong>der</strong> theologis<strong>ch</strong>en Begründung von Re<strong>ch</strong>t ein- und dieselbe ist, nämli<strong>ch</strong><br />
die, bestimmte Re<strong>ch</strong>tsinhalte auf einer metare<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Ebene zu verwurzeln. Dadur<strong>ch</strong> sollen sie<br />
mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Disposition entzogen werden. Jedenfalls insoweit weisen naturre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e und theologis<strong>ch</strong>e<br />
Begründungsversu<strong>ch</strong>e keine Unters<strong>ch</strong>iede auf«.<br />
84 J.A. S<strong>ch</strong>umpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie (1942), S. 19: »In einer wi<strong>ch</strong>tigen Hinsi<strong>ch</strong>t<br />
ist <strong>der</strong> Marxismus Religion. Dem Gläubigen bietet er erstens ein System von letzten Zielen,<br />
die den Sinn des Leben[s] enthalten und absolute Maßstäbe sind, na<strong>ch</strong> wel<strong>ch</strong>en Ereignisse und<br />
Taten beurteilt werden können; und zweitens bietet er si<strong>ch</strong> als Führer zu jenen Zielen, was glei<strong>ch</strong>bedeutend<br />
ist mit einem Erlösungsplan und mit <strong>der</strong> Aufdeckung des Übels, von dem die<br />
Mens<strong>ch</strong>heit o<strong>der</strong> ein auserwählter Teil <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>heit erlöst werden soll.« (Hervorhebung bei<br />
S<strong>ch</strong>umpeter). Als ni<strong>ch</strong>tmarxistis<strong>ch</strong>er Sozialist konnte S<strong>ch</strong>umpeter diese Aussage ni<strong>ch</strong>t unparteiis<strong>ch</strong><br />
treffen; inhaltli<strong>ch</strong> zutreffend ist sie glei<strong>ch</strong>wohl. Parallelisierung von religiösem Naturre<strong>ch</strong>t und<br />
Marxismus au<strong>ch</strong> bei H. Klenner, Über die vier Arten von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien gegenwärtiger<br />
Re<strong>ch</strong>tsphilosophie (1995), S. 140 f.<br />
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