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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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Vereinbarung festges<strong>ch</strong>rieben wird. Mit <strong>der</strong> Entwaffnung sind glei<strong>ch</strong>zeitig die Grenzen<br />

<strong>der</strong> Handlungsfreiheit (limits of liberty) und die korrespondierenden Eigentumsre<strong>ch</strong>te<br />

festgelegt. Insgesamt enthält <strong>der</strong> konstitutionelle Vertrag also drei Elemente,<br />

die zusammen die protektive Funktion des Staates bestimmen: den Entwaffnungsvertrag,<br />

die Definition von Eigentumsre<strong>ch</strong>ten und die Bedingungen für die Ausübung<br />

von Zwangsgewalt. Er enthält darüberhinaus als viertes Element die Grenzen für<br />

die produktive Funktion des Staates, also die Bestimmungen darüber, wann das Kollektiv<br />

Ents<strong>ch</strong>eidungen über Bereitstellung und Finanzierung öffentli<strong>ch</strong>er Güter treffen<br />

darf.<br />

Der postkonstitutionelle Vertrag baut auf diesem vierten Element des konstitutionellen<br />

Vertrags auf. Die spontan entstehenden Marktbeziehungen zwis<strong>ch</strong>en Beteiligten<br />

des konstitutionellen Vertrags sind wegen hoher Transaktionskosten im Mehrpersonenverhältnis<br />

und wegen des Free-Ri<strong>der</strong>-Problems 236 ni<strong>ch</strong>t geeignet, effiziente<br />

Ergebnisse zu liefern. Für eine effiziente Bereitstellung öffentli<strong>ch</strong>er Güter müssen<br />

Regeln über eine kollektive Ents<strong>ch</strong>eidung <strong>der</strong> Gemeins<strong>ch</strong>aft in einem weiteren Sozialvertrag<br />

festgelegt werden. Dieser postkonstitutionelle Vertrag unterliegt den Bes<strong>ch</strong>ränkungen<br />

des vorausgehenden konstitutionellen Vertrags.<br />

Insgesamt kann man Bu<strong>ch</strong>anans Theorie als prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie<br />

verstehen, die darlegt, daß selbst krasseste Unglei<strong>ch</strong>behandlungen (Sklaverei) aus<br />

<strong>der</strong> Perspektive hobbesianis<strong>ch</strong>er Sozialvertragstheorien 'gere<strong>ch</strong>t' ers<strong>ch</strong>einen können,<br />

wenn man die individuelle Nutzenmaximierung mit dem gedankli<strong>ch</strong>en Modell des<br />

hypothetis<strong>ch</strong>en Drohspiels kombiniert.<br />

3. Theorie <strong>der</strong> realistis<strong>ch</strong>en Verhaltenshypothesen (J.R. Lucas)<br />

Lucas, <strong>der</strong> die Erkenntnisse von Nash, Harsanyi und Selten in grundlegen<strong>der</strong> Weise<br />

um eine Theorie <strong>der</strong> rationalen Erwartungen (rational expectations) erweitert hat, lehnt<br />

die von Braithwaite und Bu<strong>ch</strong>anan verwendete Drohspielbedingung als für rationales<br />

Verhalten ni<strong>ch</strong>t relevant ab 237 . Wer seine eigene kluge Strategie wähle, also diejenige,<br />

die die eigenen Interessen am besten för<strong>der</strong>t o<strong>der</strong> si<strong>ch</strong>ert, <strong>der</strong> würde ni<strong>ch</strong>t von ihr<br />

abwei<strong>ch</strong>en, nur um Vergeltung an <strong>der</strong> Gegenpartei zu üben 238 . Wenn maximal effektive<br />

Drohstrategien angewandt werden sollen, so müßten diese, um glaubwürdig zu<br />

sein, au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> eine realistis<strong>ch</strong>e Bindung an das angedrohte Verhalten gestützt<br />

sein 239 . Das sei aber real ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Fall, da si<strong>ch</strong> keine Partei von <strong>der</strong> bei<strong>der</strong>seitigen<br />

Vers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terung irgendwel<strong>ch</strong>e Vorteile erhoffen könne. Der realistis<strong>ch</strong>e und damit<br />

ri<strong>ch</strong>tige Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt liege also ni<strong>ch</strong>t in einem Szenario maximaler Drohung,<br />

son<strong>der</strong>n die Beteiligten seien wie gegenseitig desinteressierte Mitarbeiter einer Uni-<br />

236 Als Free-Ri<strong>der</strong>-, Trittbrettfahrer- o<strong>der</strong> S<strong>ch</strong>warzfahrer-Problem wird die Tendenz einzelner Individuen<br />

bezei<strong>ch</strong>net, si<strong>ch</strong> unerkannt an den Frü<strong>ch</strong>ten <strong>der</strong> Massenkooperation zu beteiligen, ohne einen<br />

eigenen Beitrag zu leisten. Dazu unten S. 333 (Trittbrettfahrerproblem).<br />

237 J.R. Lucas, Moralists and Gamesmen (1959), S. 1 ff. (9). Ebenso, wenn au<strong>ch</strong> ohne Begründung, Selten;<br />

dazu oben S. 175 (Theorie <strong>der</strong> relevanten Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>tspunkte).<br />

238 Vgl. J.R. Lucas, Moralists and Gamesmen (1959), S. 9 f.<br />

239 Vgl. J.R. Lucas, Moralists and Gamesmen (1959), S. 9 f.<br />

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