Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
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d) <strong>Theorien</strong> na<strong>ch</strong> Vernunftgebrau<strong>ch</strong>? (J. Habermas)<br />
Für die Klassifizierung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien na<strong>ch</strong> den Grundpositionen politis<strong>ch</strong>er<br />
Philosophie wurde auf die Konzeption praktis<strong>ch</strong>er Vernunft Bezug genommen.<br />
Von <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft, verstanden als <strong>der</strong> Fähigkeit, begründete und in diesem<br />
Sinne 'ri<strong>ch</strong>tige' Antworten auf Fragen des Handelns zu finden, ma<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en<br />
auf drei grundsätzli<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Weisen Gebrau<strong>ch</strong>, die im Ans<strong>ch</strong>luß an<br />
Habermas als pragmatis<strong>ch</strong>er, ethis<strong>ch</strong>er und moralis<strong>ch</strong>er Gebrau<strong>ch</strong> bezei<strong>ch</strong>net werden<br />
können 249 . Zu je<strong>der</strong> dieser Gebrau<strong>ch</strong>sformen gibt es spezifis<strong>ch</strong>e Konfliktpotentiale<br />
und Konfliktlösungsmodelle. Die Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en den drei Formen ist für<br />
die Analyse von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien deshalb wi<strong>ch</strong>tig, weil es zu <strong>der</strong>en Eigenart<br />
gehört, entwe<strong>der</strong> die eine o<strong>der</strong> die an<strong>der</strong>e Gebrau<strong>ch</strong>sweise stärker zu betonen. So<br />
läßt si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> pragmatis<strong>ch</strong>e Vernunftgebrau<strong>ch</strong> am ehesten mit <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en<br />
Grundposition identifizieren, <strong>der</strong> ethis<strong>ch</strong>e mit denen <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en und<br />
<strong>der</strong> moralis<strong>ch</strong>e mit <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en Grundposition. Denno<strong>ch</strong> kann gezeigt<br />
werden, daß Habermas Typologie des Vernunftgebrau<strong>ch</strong>s ni<strong>ch</strong>t identis<strong>ch</strong> ist mit <strong>der</strong><br />
hier vorgenommenen Klassifizierung na<strong>ch</strong> Grundpositionen.<br />
aa) Pragmatis<strong>ch</strong>er Vernunftgebrau<strong>ch</strong><br />
Einen pragmatis<strong>ch</strong>en Gebrau<strong>ch</strong> von <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft ma<strong>ch</strong>t, wer das Handeln<br />
dana<strong>ch</strong> ri<strong>ch</strong>tet, ob es gut für jemanden o<strong>der</strong> einige ist. Dem vorgelagert ist die<br />
Zweckrationalität, also die Frage, ob ein Handeln überhaupt gut für etwas (einen<br />
Zweck, ein Ziel) ist 250 . Typis<strong>ch</strong>erweise liegt <strong>der</strong> pragmatis<strong>ch</strong>e Gebrau<strong>ch</strong> <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en<br />
Vernunft darin, gemäß den eigenen Interessen, also individualpragmatis<strong>ch</strong> zu<br />
handeln (Egoismus). Pragmatis<strong>ch</strong> ist aber au<strong>ch</strong> ein Handeln, das sozialpragmatis<strong>ch</strong><br />
na<strong>ch</strong> dem Gesamtwohl einer Gruppe fragt (Utilitarismus). Dur<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>ickte Abwägung<br />
<strong>der</strong> Vor- und Na<strong>ch</strong>teile führt pragmatis<strong>ch</strong>e Rationalität zu einer Optimierung<br />
des Verhaltens bei vorgegebenen Rahmenbedingungen. Allgemeine Handlungsprinzipien<br />
erlangen dabei den Status von Klugheitsregeln: 'Unter den gegebenen<br />
Umständen ist Handlungsweise A für mi<strong>ch</strong>/für alle besser als Handlungsweise B.'<br />
Handeln na<strong>ch</strong> pragmatis<strong>ch</strong>er Rationalität ist einfa<strong>ch</strong>, solange die Umstände bestimmbar<br />
und die Ergebnisse von Handlungsweisen vorhersehbar sind: Wer vor einem<br />
starken Regens<strong>ch</strong>auer in einen Unterstand flieht, weiß einigermaßen si<strong>ch</strong>er, daß<br />
er klug handelt, selbst wenn dies die Reise verzögert. S<strong>ch</strong>wieriger wird es, wenn die<br />
Umstände unklar sind. (Der Regens<strong>ch</strong>auer könnte in einen Dauerregen übergehen,<br />
so daß die Weiterreise ohnehin ni<strong>ch</strong>t im Trockenen ges<strong>ch</strong>ehen kann.) Sehr s<strong>ch</strong>wierig<br />
wird <strong>der</strong> pragmatis<strong>ch</strong>e Gebrau<strong>ch</strong> <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong>, wenn <strong>der</strong> Er-<br />
249 So die hier weitgehend übernommene Klassifizierung von J. Habermas, Vom pragmatis<strong>ch</strong>en, ethis<strong>ch</strong>en<br />
und moralis<strong>ch</strong>en Gebrau<strong>ch</strong> <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft (1988), S. 101. Vgl. au<strong>ch</strong> dessen Definition<br />
<strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft (ebd., S. 109): »Praktis<strong>ch</strong>e Vernunft nennen wir das Vermögen, ...<br />
Imperative [für das Handeln] zu begründen«. Dazu R. Alexy, Jürgen Habermas' Theorie des juristis<strong>ch</strong>en<br />
Diskurses (1995), S. 173: Im allgemeinen praktis<strong>ch</strong>en Diskurs werden »moralis<strong>ch</strong>e, ethis<strong>ch</strong>e<br />
und pragmatis<strong>ch</strong>e Fragen und Gründe miteinan<strong>der</strong> verbunden«.<br />
250 Zu dieser Abgrenzung von Zweckrationalität (gut für etwas) und pragmatis<strong>ch</strong>er Rationalität (gut<br />
für jemanden o<strong>der</strong> einige) siehe z.B. O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 53 f.; K. Günther,<br />
Kann ein Volk von Teufeln Re<strong>ch</strong>t und Staat moralis<strong>ch</strong> legitimieren? (1991), S. 190.<br />
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