16.04.2014 Aufrufe

Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Sozialbezug aufweist. Bis auf den Sozialbezug verbinden si<strong>ch</strong> die Definitionselemente<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> bereits mit dem Begriff <strong>der</strong> Norm und mit <strong>der</strong>en pragmatis<strong>ch</strong>em<br />

Gehalt 160 : <strong>der</strong> Handlungs- und Sollensbezug ergibt si<strong>ch</strong> aus dem deontologis<strong>ch</strong>en<br />

Charakter <strong>der</strong> Norm, <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeitsbezug aus ihrem Geltungsanspru<strong>ch</strong>. Der<br />

Glei<strong>ch</strong>heitsbezug liegt in <strong>der</strong> Regelhaftigkeit <strong>der</strong> deontologis<strong>ch</strong>en Aussage 161 , denn<br />

Normen betreffen na<strong>ch</strong> D N stets Handlungsweisen ('Du sollst ni<strong>ch</strong>t töten!'), ni<strong>ch</strong>t nur<br />

eine einzelne Handlung ('A soll B ni<strong>ch</strong>t erste<strong>ch</strong>en!'). Zwar könnte man au<strong>ch</strong> beim<br />

Verbot einer einzelnen Handlung von einer Norm spre<strong>ch</strong>en – <strong>der</strong> Fallnorm 162 . Do<strong>ch</strong><br />

wird gemeinhin die Norm dadur<strong>ch</strong> vom Sa<strong>ch</strong>verhalt unters<strong>ch</strong>ieden, daß erstere abstrakt-generell,<br />

letzterer hingegen konkret-individuell ist 163 . Die Definition <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm<br />

kann demzufolge kurz ausfallen:<br />

D NG :<br />

Eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm ist die Verbindung eines deontis<strong>ch</strong>en<br />

Operators (Gebot, Verbot, Erlaubnis) mit einer<br />

sozialbezogenen Handlungsweise.<br />

Je na<strong>ch</strong>dem, ob die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm definitive o<strong>der</strong> prinzipielle Geltung beanspru<strong>ch</strong>t,<br />

können <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sregeln und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien unters<strong>ch</strong>ieden<br />

werden 164 . Offenbar ist mit dem Übergang vom <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff (D 1 ) zum Begriff<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm (D NG ) eine gewisse Vereinfa<strong>ch</strong>ung verbunden, weil ein<br />

Großteil <strong>der</strong> Definitionselemente bereits im Begriff <strong>der</strong> Norm und in ihrem pragmatis<strong>ch</strong>en<br />

Gehalt aufgeht. <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien, die wie diejenige von Rawls einzelne<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien begründen 165 , ohne zuvor den Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> zu<br />

definieren 166 , nutzen diese Vereinfa<strong>ch</strong>ungsmögli<strong>ch</strong>keit aus. Sie nehmen eine Abbildung<br />

des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffs in den Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm vor, die letztli<strong>ch</strong><br />

den Definitionsproblemen beim <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff auswei<strong>ch</strong>t. Eine sol<strong>ch</strong>e<br />

Strategie vers<strong>ch</strong>weigt indes den unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Gebrau<strong>ch</strong>, <strong>der</strong> vom Begriff <strong>der</strong><br />

160 Vgl. die Definitionsexplikation oben S. 50 ff. (D 1 ); zur Geltung als dem pragmatis<strong>ch</strong>en Gehalt von<br />

Normen oben S. 71 f. (Begriff <strong>der</strong> Norm) und unten S. 74 ff. (Begründung und Erzeugung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen;<br />

normbezogene Definition <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

161 Vgl. oben S. 60 (Kritik am Glei<strong>ch</strong>heitsbezug und das Kriterium <strong>der</strong> Regelhaftigkeit).<br />

162 Der Begriff ist <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsmethodik Fikents<strong>ch</strong>ers entlehnt. Unter 'Fallnorm' versteht W. Fikents<strong>ch</strong>er,<br />

Methoden des Re<strong>ch</strong>ts IV (1977), S. 176 ff., 202 ff., 382 f. (202) »diejenige Regel des objektiven<br />

Re<strong>ch</strong>ts, die einem Lösungsbedürftigen Sa<strong>ch</strong>verhalt eine ihn regelnde Re<strong>ch</strong>tsfolge zuordnet.« Gemeint<br />

ist dabei die Übertragung <strong>der</strong> ratio decidendi auf den Einzelfall; vgl. ebd. S. 190. Fallnormen<br />

sind damit au<strong>ch</strong> »die erst in Zukunft notwendig werdenden, <strong>der</strong>zeit no<strong>ch</strong> gar ni<strong>ch</strong>t gebildeten«<br />

Normen; F. Bydlinski, Juristis<strong>ch</strong>e Methodenlehre und Re<strong>ch</strong>tsbegriff (1982), S. 516.<br />

163 So zumindest für <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen au<strong>ch</strong> H. Kelsen, Das Problem <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1960),<br />

S. 362 f.: »<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen haben einen generellen Charakter. Generell ist eine Norm, wenn<br />

sie ni<strong>ch</strong>t – wie eine individuelle Norm – in einem einzigen Falle, son<strong>der</strong>n in einer von vornherein<br />

unbestimmten Zahl von glei<strong>ch</strong>en Fällen gilt, das heißt: zu befolgen o<strong>der</strong> anzuwenden ist.«<br />

164 Dazu oben Fn. 49 (Regeln und Prinzipien).<br />

165 Zur Theorie von Rawls ausführli<strong>ch</strong> S. 199 ff. (<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Fairneß); S. 205 ff. (Politis<strong>ch</strong>er Liberalismus).<br />

Da <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien nur <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen mit prinzipiellem Geltungsanspru<strong>ch</strong><br />

sind, müßte Rawls genau genommen von '<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sregeln' spre<strong>ch</strong>en, weil seine 'Prinzipien'<br />

Anspru<strong>ch</strong> auf definitive Geltung erheben.<br />

166 Dazu oben S. 47 (Erfor<strong>der</strong>li<strong>ch</strong>keit einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sdefinition).<br />

73

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!