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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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III. <strong>Theorien</strong> zum Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt (nonagreement basepoint)<br />

Die ges<strong>ch</strong>il<strong>der</strong>ten <strong>Theorien</strong> zur Optimierung relativer Nutzenfaktoren begründen,<br />

wel<strong>ch</strong>e Verteilung bei vorgegebenem Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt (nonagreement basepoint)<br />

rational ist 223 . Die geringere Verhandlungsma<strong>ch</strong>t (bargaining power) einer Partei führt<br />

dazu, daß es für diese rational ist, bei vorgegebenem Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt s<strong>ch</strong>on mit<br />

einem geringeren Anteil am Kooperationsgewinn zufrieden zu sein. Von den <strong>Theorien</strong><br />

wird ni<strong>ch</strong>ts darüber gesagt, wel<strong>ch</strong>en Einfluß die Beteiligten auf den Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt<br />

nehmen können, an dem das Rationalitätskalkül ansetzt 224 . <strong>Theorien</strong><br />

über Szenarien maximaler Drohung gehen an<strong>der</strong>s vor. Na<strong>ch</strong> ihnen ist grundsätzli<strong>ch</strong><br />

eine Glei<strong>ch</strong>verteilung des Kooperationsgewinns rational. Allerdings soll si<strong>ch</strong> diese<br />

Glei<strong>ch</strong>verteilung dana<strong>ch</strong> bemessen, was die Beteiligten im Verglei<strong>ch</strong> zu einer (hypothetis<strong>ch</strong>en)<br />

Situation maximaler Drohung erhalten würden. Der Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt<br />

besteht also ni<strong>ch</strong>t in bloßem Kooperationsverzi<strong>ch</strong>t, son<strong>der</strong>n in einer<br />

geda<strong>ch</strong>ten Gegners<strong>ch</strong>aft.<br />

1. Theorie des hypothetis<strong>ch</strong>en Drohspiels (R.B. Braithwaite)<br />

Na<strong>ch</strong> Braithwaite ergibt si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt aus einem hypothetis<strong>ch</strong>en<br />

Drohspiel 225 . Zur Verdeutli<strong>ch</strong>ung seines Ansatzes greift Braithwaite auf ein inzwis<strong>ch</strong>en<br />

klassis<strong>ch</strong>es Beispiel zurück: Pianist P und Trompeter T leben in bena<strong>ch</strong>barten<br />

Räumen und haben jeden Tag glei<strong>ch</strong>zeitig Gelegenheit für Übungen. Ihre Verhandlung<br />

geht darüber, wer an wievielen Tagen des Monats spielen darf. Die<br />

Wuns<strong>ch</strong>vereinbarung lautet für jeden, daß er selbst immer und <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e nie musiziert.<br />

Der Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt wird ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> bei<strong>der</strong>seitigen Spielverzi<strong>ch</strong>t, son<strong>der</strong>n<br />

dur<strong>ch</strong> die jeweils größte Drohung gegenüber dem Na<strong>ch</strong>barn definiert, bezei<strong>ch</strong>-<br />

223 Gelegentli<strong>ch</strong> wird statt von basepoint au<strong>ch</strong> von baseline gespro<strong>ch</strong>en; R. Nozick, Anar<strong>ch</strong>y, State, and<br />

Utopia (1974), S. 177; B. Barry, Theories of Justice (1989), S. 56-95; W.A. Edmundson, Is Law Coercive?<br />

(1995), S. 83 ff. Der von Braithwaite benutzte Begriff des basepoints ist vorzugswürdig, denn er<br />

drückt treffend aus, daß es um eine ganz bestimmte ni<strong>ch</strong>tkooperative Verglei<strong>ch</strong>ssituation geht,<br />

von <strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Kooperationsgewinn glei<strong>ch</strong>mäßig zu verteilen ist. Ein an<strong>der</strong>er, mit basepoint inhaltsglei<strong>ch</strong>er<br />

Begriff ist die initial bargaining position; dazu D. Gauthier, Morals by Agreement<br />

(1986), S. 190 ff. Zu diversen mögli<strong>ch</strong>en Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkten als Basis für die rationale Ents<strong>ch</strong>eidung<br />

siehe B. Barry, ebd., S. 56 ff.<br />

224 Es gehört zu den s<strong>ch</strong>wierigsten Problemen <strong>der</strong> <strong>Theorien</strong> rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens und Sozialvertragstheorien,<br />

die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> einer Ausgangsposition <strong>der</strong> Unglei<strong>ch</strong>heit zu begründen. Von präsumptiver<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> eines (d.h. jedes) status quo bis hin zur notwendigen Ableitung aus einem<br />

Zustand ursprüngli<strong>ch</strong>er (hypothetis<strong>ch</strong>-historis<strong>ch</strong>er) Glei<strong>ch</strong>heit wird hier alles vertreten. Einzelne<br />

Ents<strong>ch</strong>eidungstheoretiker erklären die Ausgangsposition <strong>der</strong> Parteien zum integralen Bestandteil<br />

<strong>der</strong> Theorie; D. Gauthier, Morals by Agreement, S. 191 f.: »Rationale Prozeduren führen<br />

nur dann zu rational akzeptablen Ergebnissen, wenn sie ihrerseits von einer rational akzeptablen<br />

Ausgangspositions ausgehen.« Zur zentralen Bedeutung <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidung über den Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt<br />

für die Verteilungsre<strong>ch</strong>tfertigung R. Nozick, Anar<strong>ch</strong>y, State, and Utopia (1974),<br />

S. 177.<br />

225 Vgl. zum Übergang von einer antagonistis<strong>ch</strong>en 'unklugen' zu einer 'klugen' Strategie R.B. Braithwaite,<br />

Theory of Games as a Tool for the Moral Philosopher (1955), S. 45: »[T]here being no other<br />

satisfactory criterion for interpersonal fairness, ea<strong>ch</strong> collaborator should be regarded as benefiting<br />

equally by a <strong>ch</strong>ange from a prudential to a counter-prudential when his colleague is holding to his<br />

prudential strategy.«<br />

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