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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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Die Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en dem juristis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff, wie er von<br />

Radbru<strong>ch</strong> und an<strong>der</strong>en formuliert wurde, und dem in D 1 bestimmten weiten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff<br />

ist grundlegend für den Gebrau<strong>ch</strong> des Prädikats 'gere<strong>ch</strong>t'. Na<strong>ch</strong> dem<br />

juristis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff wird man Personen häufig absi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> 'ungere<strong>ch</strong>t'<br />

behandeln, beispielsweise mit <strong>der</strong> Begründung: 'A müßte gere<strong>ch</strong>terweise X erhalten;<br />

für die Effizienz des Verteilungsverfahrens ist es aber unerläßli<strong>ch</strong> und deshalb ri<strong>ch</strong>tig,<br />

wenn er X ni<strong>ch</strong>t erhält.' Na<strong>ch</strong> dem weiten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff würde dieselbe<br />

Behandlung des A dagegen als 'gere<strong>ch</strong>t' ers<strong>ch</strong>einen: 'A müßte aus Gründen <strong>der</strong><br />

Glei<strong>ch</strong>behandlung X erhalten; das Effizienzgebot ma<strong>ch</strong>t es aber ri<strong>ch</strong>tig und damit gere<strong>ch</strong>t,<br />

wenn er X ni<strong>ch</strong>t erhält.' Dieser unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Gebrau<strong>ch</strong> des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprädikats<br />

betrifft ni<strong>ch</strong>t etwa nur exotis<strong>ch</strong>e Grenzfälle, son<strong>der</strong>n tritt in ganz gewöhnli<strong>ch</strong>en<br />

Regelungen einer Re<strong>ch</strong>tsordnung auf. Wenn beispielsweise S seinen Gläubiger<br />

G wegen einer Darlehenssumme mit ges<strong>ch</strong>ickter Hinhaltetaktik so lange vertröstet,<br />

bis <strong>der</strong> Rückzahlungsanspru<strong>ch</strong> verjährt ist, dann gilt das re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Ergebnis als ungere<strong>ch</strong>t,<br />

aber denno<strong>ch</strong> ri<strong>ch</strong>tig, wenn man mit dem juristis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff operiert.<br />

Denn G stand die Rückzahlung des Darlehens zu (suum cuique) 109 . Er kann seinen<br />

individuellen Anspru<strong>ch</strong> nur deshalb ni<strong>ch</strong>t verwirkli<strong>ch</strong>en, weil die dur<strong>ch</strong> das kollektive<br />

Bedürfnis na<strong>ch</strong> Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit und Re<strong>ch</strong>tsfrieden begründeten Verjährungsregeln<br />

eine geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Dur<strong>ch</strong>setzung auss<strong>ch</strong>ließen. Na<strong>ch</strong> dem hier mit D 1 zugrundegelegten<br />

weiten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff ist das Ergebnis demgegenüber unter<br />

Bea<strong>ch</strong>tung aller Gesi<strong>ch</strong>tspunkte (eins<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> des Interesses an Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit)<br />

insgesamt ri<strong>ch</strong>tig und folgli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> gere<strong>ch</strong>t.<br />

Auf den ersten Blick mag es vorteilhaft ers<strong>ch</strong>einen, zwis<strong>ch</strong>en einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

im engeren Sinne und an<strong>der</strong>en Gesi<strong>ch</strong>tspunkten (Wohlstand, gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>em Gesamtnutzen,<br />

Funktionsfähigkeit <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsordnung) einen Zielkonflikt festzustellen<br />

110 . Der <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff würde dadur<strong>ch</strong> spezifis<strong>ch</strong>er, ließe si<strong>ch</strong> auf die Ri<strong>ch</strong>tigkeit<br />

eines Verteilungs- o<strong>der</strong> Ausglei<strong>ch</strong>sergebnisses konzentrieren, und könnte in<br />

dieser Spezifität von einer Gesamtbeurteilung unter Abwägung mit an<strong>der</strong>en relevanten<br />

Faktoren unters<strong>ch</strong>ieden werden 111 . Do<strong>ch</strong> gibt es drei Gründe, aus denen <strong>der</strong> enge,<br />

juristis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t als Ausgangspunkt für <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sanalysen<br />

eignet. Erstens führt er zu <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>wierigkeit, Kriterien einer Ge-<br />

have to compromise Justice, however all-embracing we make it, if we are to have Freedom at all.<br />

In allowing men to exercise legal privileges, we allow them to act arbitrarily, selfishly, inconsi<strong>der</strong>ately,<br />

unreasonably and unfairly. ... Freedom is inherently unfair.«<br />

108 Das sieht au<strong>ch</strong> G. Radbru<strong>ch</strong>, Gesetzli<strong>ch</strong>es Unre<strong>ch</strong>t und übergesetzli<strong>ch</strong>es Re<strong>ch</strong>t (1946), S. 345: »Die<br />

Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit, die jedem positiven Gesetz s<strong>ch</strong>on wegen seiner Positivität eignet, nimmt eine<br />

merkwürdige Mittelstellung zwis<strong>ch</strong>en Zweckmäßigkeit und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ein: sie ist einerseits<br />

vom Gemeinwohl gefor<strong>der</strong>t, an<strong>der</strong>erseits aber au<strong>ch</strong> von <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>. Daß das Re<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong>er<br />

sei, daß es ni<strong>ch</strong>t heute und hier so, morgen und dort an<strong>der</strong>s ausgelegt und angewandt werde, ist<br />

zuglei<strong>ch</strong> eine For<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>.«<br />

109 Dazu oben S. 45 (suum cuique-Formel).<br />

110 Vgl. den Katalog bei H.L.A. Hart, Concept of Law (1961), S. 162 ff.<br />

111 So z.B. S. Huster, Re<strong>ch</strong>te und Ziele (1993), S. 208.<br />

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