Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
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gere<strong>ch</strong>t ist, kann in einer an<strong>der</strong>en gere<strong>ch</strong>t sein 173 . Damit stellt si<strong>ch</strong> für die Theorie<br />
Walzers die Frage, was überhaupt no<strong>ch</strong> als ungere<strong>ch</strong>t gelten soll. Ungere<strong>ch</strong>tigkeit<br />
identifiziert er mit <strong>der</strong> Dominanz einzelner Personen gegenüber an<strong>der</strong>en 174 . Verteilung<br />
muß einen 'geziemenden Respekt' (due respect) vor den Ansi<strong>ch</strong>ten und Meinungen<br />
<strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>en ausdrücken, statt dur<strong>ch</strong> Vorherrs<strong>ch</strong>aft einen Dur<strong>ch</strong>griff auf das<br />
Verteilungsergebnis zu erzwingen 175 . Die oberste <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm in einem System<br />
<strong>der</strong> komplexen Glei<strong>ch</strong>heit ist darum, daß ni<strong>ch</strong>t alles käufli<strong>ch</strong> sein darf 176 . Im<br />
Wege <strong>der</strong> Abstraktion dieser Grundregel formuliert Walzer zur Charakterisierung<br />
<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>skonzeption <strong>der</strong> komplexen Glei<strong>ch</strong>heit ein 'offenes Distributionsprinzip'<br />
177 :<br />
N oD :<br />
»Kein soziales Gut X sollte ungea<strong>ch</strong>tet seiner Bedeutung<br />
an Männer und Frauen, die im Besitz eines an<strong>der</strong>en Gutes<br />
Y sind, einzig und allein deshalb verteilt werden,<br />
weil sie dieses Y besitzen.«<br />
Was Tyrannei und mo<strong>der</strong>nen Totalitarismus <strong>ch</strong>arakterisiert, ist na<strong>ch</strong> diesem Distributionsprinzip<br />
ni<strong>ch</strong>t die absolute Ma<strong>ch</strong>tfülle, son<strong>der</strong>n vielmehr <strong>der</strong> Umstand, daß<br />
die Ma<strong>ch</strong>t dazu eingesetzt wird, willkürli<strong>ch</strong> o<strong>der</strong> glei<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>altend in Distributionssphären<br />
einzugreifen, um Dinge zu erlangen, die si<strong>ch</strong> sonst ni<strong>ch</strong>t von selbst<br />
einstellen würden – »ein ni<strong>ch</strong>t enden<strong>der</strong> Kampf um die Herrs<strong>ch</strong>aft außerhalb <strong>der</strong> eigenen<br />
Lebenssphäre« 178 . Das System <strong>der</strong> komplexen Glei<strong>ch</strong>heit stelle si<strong>ch</strong> als das<br />
Gegenteil des Totalitarismus dar, denn es setze maximale Differenzierung an die<br />
Stelle maximaler Glei<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>altung 179 . Erst dur<strong>ch</strong> die Garantenstellung gegenüber<br />
dem Totalitarismus könne (komplexe) Glei<strong>ch</strong>heit überhaupt zum Ziel in einem freiheitli<strong>ch</strong>en<br />
Staat werden und als ein Argument au<strong>ch</strong> gegen die 'Tyrannei des Geldes'<br />
im nordamerikanis<strong>ch</strong>en Kapitalismus gelten 180 . S<strong>ch</strong>lagwortigartig faßt Walzer zusammen:<br />
»Gute Zäune garantieren gere<strong>ch</strong>te Gesells<strong>ch</strong>aften.« 181<br />
173 Vgl. das Beispiel zur Unglei<strong>ch</strong>verteilung von Korn in einer na<strong>ch</strong> Kastensystem organisierten indis<strong>ch</strong>en<br />
Dorfgemeins<strong>ch</strong>aft: M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 441 f. Walzer spri<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong><br />
in an<strong>der</strong>em Zusammenhang dafür aus, daß ein kulturorientierter Liberalismus ('Liberalismus 2')<br />
in vielen Nationalstaaten angemessen, ein re<strong>ch</strong>teorientierter Liberalismus ('Liberalismus 1') dagegen<br />
in Einwan<strong>der</strong>ergesells<strong>ch</strong>aften wie den Vereinigten Staaten o<strong>der</strong> dem kanadis<strong>ch</strong>en Bundesstaat<br />
geboten sei; M. Walzer, Kommentar zum Multikulturalismus (1992), S. 111 ff. (114 ff.).<br />
174 M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 46 ff., 451. Hier ergeben si<strong>ch</strong> Parallelen zum neueren<br />
verfassungsdogmatis<strong>ch</strong>en Verständnis des Glei<strong>ch</strong>heitsgebots als gruppenbezogenes Dominierungsverbot;<br />
U. Sacksofsky, Grundre<strong>ch</strong>t auf Glei<strong>ch</strong>behandlung (1991), S. 312 ff. Entspre<strong>ch</strong>end für<br />
die Interpretation als Hierar<strong>ch</strong>isierungsverbot S. Baer, Würde o<strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heit? (1996), S. 235 ff.<br />
(240).<br />
175 M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 451.<br />
176 M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 12.<br />
177 M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 50.<br />
178 M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 444.<br />
179 M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 445.<br />
180 M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 440 ff. (445 ff.).<br />
181 M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 449.<br />
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