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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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zentrieren, ohne die weitergehenden Fragen, die ebenfalls zur politis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

gehören 361 , begründet auszus<strong>ch</strong>ließen.<br />

Die Erweiterbarkeitsthese ist ni<strong>ch</strong>t trivial. So hat Walzer mit Re<strong>ch</strong>t darauf hingewiesen,<br />

daß <strong>der</strong> Nationalstaat keine abges<strong>ch</strong>lossene Distributionswelt ist 362 . Wenn<br />

aber die Güterverteilung zwangsläufig territorialstaatli<strong>ch</strong>e Grenzen sprengt, dann<br />

muß au<strong>ch</strong> eine Therorie über gere<strong>ch</strong>te Güterverteilung den Rahmen einer politis<strong>ch</strong>en,<br />

d.h. heute immer no<strong>ch</strong> primär staatli<strong>ch</strong>en, Sozialordnung zugunsten einer internationalen<br />

Perspektive öffnen, wenn sie den Anspru<strong>ch</strong> auf Vollständigkeit erheben<br />

will. Angesi<strong>ch</strong>ts <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>wierigkeiten, die damit verbunden sind, überhaupt eine<br />

Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> zu begründen, ist es bei aller Kritik verständli<strong>ch</strong>, wenn zunä<strong>ch</strong>st<br />

dur<strong>ch</strong>weg von dem vereinfa<strong>ch</strong>ten Modell ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tsloser, gegenwärtig leben<strong>der</strong><br />

Mens<strong>ch</strong>en in einem Nationalstaat ausgegangen wird und die weiteren Probleme, insbeson<strong>der</strong>e<br />

die in <strong>der</strong> feministis<strong>ch</strong>en Jurisprudenz betonte Ungere<strong>ch</strong>tigkeit zwis<strong>ch</strong>en<br />

den Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tern, vorerst aus dem Grundkanon <strong>der</strong> Theorie ausgeklammert bleiben.<br />

Do<strong>ch</strong> bevor eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie, die zunä<strong>ch</strong>st nur für die Grundfragen<br />

<strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> Ergebnisse gefundenen hat, auf die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> zwis<strong>ch</strong>en<br />

Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tern, Naturentitäten, Generationen, Nationen o<strong>der</strong> Völkern übertragen<br />

wird, muß die Kritik wie<strong>der</strong> in Erinnerung gerufen werden 363 . Es besteht immer<br />

die Gefahr, daß eine Theorie si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t verzerrungsfrei auf die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> unter<br />

Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tern, gegenüber <strong>der</strong> Natur o<strong>der</strong> zwis<strong>ch</strong>en den Generationen o<strong>der</strong> Nationen<br />

übertragen läßt. S<strong>ch</strong>on Rawls hat zugestanden, daß eine Theorie dann unter Umständen<br />

revidiert werden muß 364 . Do<strong>ch</strong> es könnte mehr als eine bloße Revision nötig<br />

werden. Je na<strong>ch</strong>dem, auf wel<strong>ch</strong>e Voraussetzungen si<strong>ch</strong> eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie<br />

stützt, kann die implizite Erweiterbarkeitsthese insgesamt s<strong>ch</strong>eitern. Wenn etwa die<br />

feministis<strong>ch</strong>e These zutreffen sollte, daß es eine spezifis<strong>ch</strong> weibli<strong>ch</strong>e Form praktis<strong>ch</strong>er<br />

Vernunft gibt 365 , dann wäre damit jede ni<strong>ch</strong>tfeministis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie<br />

aus den Angeln gehoben.<br />

Alle Eins<strong>ch</strong>ränkungen zusammen definieren den Kreis <strong>der</strong> Gegenstände, die in<br />

den hier zu untersu<strong>ch</strong>enden <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien behandelt werden. Es geht zunä<strong>ch</strong>st<br />

nur um politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> unter aktuell lebenden Mens<strong>ch</strong>en ohne Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

des Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ts. Fragen <strong>der</strong> Naturgere<strong>ch</strong>tigkeit, Generationengere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

o<strong>der</strong> Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tergere<strong>ch</strong>tigkeit kann man demgegenüber als Erweiterungen von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

verstehen.<br />

361 Etwas an<strong>der</strong>s O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 51 f., <strong>der</strong> zwar das Verhältnis <strong>der</strong> Staaten<br />

zueinan<strong>der</strong> und das Verhältnis <strong>der</strong> Lebenden zu den künftigen Generationen in den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff<br />

einbezogen wissen will, wegen 'Asymmetrie' aber ni<strong>ch</strong>t das Verhältnis zu unzure<strong>ch</strong>nungsfähigen<br />

Entitäten <strong>der</strong> Natur.<br />

362 M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 61.<br />

363 Dazu unten S. 358 ff. (Fünfter Teil).<br />

364 J. Rawls, Political Liberalism (1993), S. 20: »Other questions we can discuss later, and how we<br />

answer them may require us to revise answers already rea<strong>ch</strong>ed.«<br />

365 So z.B. A.M. Jaggar, Toward a Feminist Conception of Moral Reasoning (1995), S. 115 ff. m.w.N.<br />

Jaggar vertritt die These, es gebe einen 'Feministis<strong>ch</strong>en Praktis<strong>ch</strong>en Dialog' (FPD), <strong>der</strong> die Diskurstheorie<br />

von Habermas aufgreift, um sie auf ein empiris<strong>ch</strong>, begriffli<strong>ch</strong>, moralis<strong>ch</strong> und pragmatis<strong>ch</strong><br />

an<strong>der</strong>es Verständnis moralis<strong>ch</strong>er Begründung zu übertragen.<br />

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