Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
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Bezügli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> <strong>ch</strong>arismatis<strong>ch</strong>en Herrs<strong>ch</strong>aft hat s<strong>ch</strong>on Weber festgestellt, daß sie –<br />
abgesehen von reinen Formen wie bei <strong>der</strong> Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> einem neuen Dalai Lama – dazu<br />
tendiert, in traditionale o<strong>der</strong> legale Herrs<strong>ch</strong>aft überzugehen. Ähnli<strong>ch</strong>es gilt für<br />
die Übergangstendenz von traditionaler zu legaler Herrs<strong>ch</strong>aft. S<strong>ch</strong>on deshalb empfiehlt<br />
es si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, sol<strong>ch</strong>e Herrs<strong>ch</strong>aftsformen für eine Gruppenbildung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />
heranzuziehen: sie neigen dazu, in einer einzigen Gruppe, <strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
Satzungsherrs<strong>ch</strong>aft, aufzugehen. Demgemäß greifen neuere Legitimitätstheorien, etwa<br />
diejenige Luhmanns 304 , aus Webers Typenlehre nur die Legitimitätskonzeption <strong>der</strong><br />
legalen Herrs<strong>ch</strong>aft auf 305 .<br />
Vor allem aber ist Webers Legitimitätsbegriff inkompatibel mit demjenigen <strong>der</strong><br />
normativen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien. Zwar untersu<strong>ch</strong>en beide 'soziales Handeln' im<br />
Sinne Webers 306 . Au<strong>ch</strong> Webers Unterteilung des sozialen Handelns in zweckrationales,<br />
wertrationales, affektuelles und traditionales 307 findet no<strong>ch</strong> Parallelen in <strong>der</strong> hier<br />
vorgenommenen Gruppenbildung na<strong>ch</strong> Grundpositionen 308 . Webers Begriff <strong>der</strong> Legitimität<br />
läuft aber auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> auf eine empiris<strong>ch</strong>e Untersu<strong>ch</strong>ung <strong>der</strong> Herrs<strong>ch</strong>aft hinaus,<br />
d.h. auf die Erfors<strong>ch</strong>ung des faktis<strong>ch</strong> vorhandenen und mit Erfolg in Anspru<strong>ch</strong><br />
genommenen Legitimitätsglaubens 309 . Für Weber ist Herrs<strong>ch</strong>aft allein die Chance, Gehorsam<br />
für einen bestimmten Befehl zu finden 310 , so daß seine Typen legitimer Herrs<strong>ch</strong>aft,<br />
die er als »Legitimitätsgründe« bezei<strong>ch</strong>net 311 , ni<strong>ch</strong>t deshalb 'legitim' sind, weil<br />
sie einer objektiven Re<strong>ch</strong>tfertigung zugängli<strong>ch</strong> wären. Es kommt allein auf tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e<br />
Akzeptanz an 312 . Darin liegt eine Legitimitätsvorstellung, die normativen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />
fremd ist, diese also au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t erfassen kann. Denn Normativität<br />
fragt na<strong>ch</strong> den ri<strong>ch</strong>tigen Maßstäben, ni<strong>ch</strong>t nur na<strong>ch</strong> den tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en. Insoweit haben<br />
304 Dazu unten S. 148 ff.<br />
305 J. Heidorn, Legitimität und Regierbarkeit (1982), S. 116.<br />
306 M. Weber, Wirts<strong>ch</strong>aft und Gesells<strong>ch</strong>aft (1976), Bd. I, S. 1: »'Handeln' soll dabei ein mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es<br />
Verhalten (einerlei ob äußerli<strong>ch</strong>es o<strong>der</strong> innerli<strong>ch</strong>es Tun, Unterlassen o<strong>der</strong> Dulden) heißen, wenn<br />
und insofern als <strong>der</strong> o<strong>der</strong> die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden. 'Soziales'<br />
Handeln aber soll ein sol<strong>ch</strong>es Handeln heißen, wel<strong>ch</strong>es seinem von dem o<strong>der</strong> den Handelnden gemeinten<br />
Sinn na<strong>ch</strong> auf das Verhalten an<strong>der</strong>er bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert<br />
ist.« (Hervorhebungen bei Weber); vgl. oben S. 50 (handlungsbezogene <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sdefinition<br />
D 1 ).<br />
307 Vgl. M. Weber, Wirts<strong>ch</strong>aft und Gesells<strong>ch</strong>aft (1976), Bd. I, S. 12 ff.: Zweckrational ist soziales Handeln,<br />
das unter Einbeziehung erwarteten Fremdverhaltens eigene Zwecke anstrebt. Wertrational<br />
ist soziales Handeln, das eine bestimmte Verhaltensweise rein als sol<strong>ch</strong>e und unabhängig vom<br />
etwaigen Erfolg gebietet. Affektuell ist soziales Handeln aufgrund aktueller Gefühlslagen. Traditional<br />
ist soziales Handeln aus eingelebter Gewohnheit. Reales Handeln nähert si<strong>ch</strong> diesen reinen<br />
Formen laut Weber entwe<strong>der</strong> an o<strong>der</strong> ist aus ihnen gemis<strong>ch</strong>t (ebd., S. 13).<br />
308 Vgl. oben S. 81 ff. (traditionales Handeln gemäß <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition; zweckrationales<br />
Handeln gemäß <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en Grundposition).<br />
309 J. Winckelmann, Legitimität und Legalität (1952), S. 25; J. Heidorn, Legitimität und Regierbarkeit<br />
(1982), S. 69 ff.<br />
310 M. Weber, Die drei reinen Typen <strong>der</strong> legitimen Herrs<strong>ch</strong>aft (1922), S. 1: »Herrs<strong>ch</strong>aft, d.h. die Chance,<br />
Gehorsam für einen bestimmten Befehl zu finden«; genauer <strong>der</strong>s., Wirts<strong>ch</strong>aft und Gesells<strong>ch</strong>aft<br />
(1976), Bd. I, S. 28: »Herrs<strong>ch</strong>aft soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren<br />
Personen Gehorsam zu finden« (Hervorhebung bei Weber).<br />
311 M. Weber, Die drei reinen Typen <strong>der</strong> legitimen Herrs<strong>ch</strong>aft (1922), S. 1: »An 'Legitimitätsgründen'<br />
<strong>der</strong> Herrs<strong>ch</strong>aft gibt es, in ganz reiner Form, nur drei«.<br />
312 Vgl. unten S. 148 ff. (entspre<strong>ch</strong>en<strong>der</strong> Legitimitätsbegriff bei Luhmann).<br />
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