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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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daß <strong>der</strong> Anwendungsberei<strong>ch</strong> einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie dur<strong>ch</strong> die Fokussierung auf<br />

Fragen politis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> sa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> kaum bes<strong>ch</strong>ränkt ist. Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie<br />

kann eng auf einzelne Fragen konzentriert sein, etwa bei einer Theorie über<br />

die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> <strong>der</strong> Verteilungsprinzipien in <strong>der</strong> Organtransplantation o<strong>der</strong> über<br />

die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> des S<strong>ch</strong>wangers<strong>ch</strong>aftsabbru<strong>ch</strong>s, o<strong>der</strong> sehr weit, beispielsweise in<br />

einer Theorie über die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> <strong>der</strong> Weltordnung, wie sie völkerre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong><br />

die Staatengemeins<strong>ch</strong>aft determiniert wird. Au<strong>ch</strong> die Frage, ob eine Materie überhaupt<br />

re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> geregelt ist, gehört zur politis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 190 .<br />

Typis<strong>ch</strong>erweise bes<strong>ch</strong>äftigt si<strong>ch</strong> eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie mit <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

einer staatli<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>tsordnung. Es ist kein Zufall, daß si<strong>ch</strong> die staatli<strong>ch</strong>e Ordnung<br />

als Anwendungsberei<strong>ch</strong> <strong>der</strong> meisten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien herausgebildet hat, son<strong>der</strong>n<br />

Effekt <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en Bedeutung <strong>der</strong> staatli<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>tsordnung in <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne.<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen stellen si<strong>ch</strong> dort am dringli<strong>ch</strong>sten, wo die soziale Ordnung<br />

ihre stärkste Prägung erfährt. Dies ist na<strong>ch</strong> wie vor die Domäne <strong>der</strong> einzel- und territorialstaatli<strong>ch</strong><br />

verfaßten Re<strong>ch</strong>tsordnung. Der überstaatli<strong>ch</strong>en Völkerre<strong>ch</strong>tsordnung<br />

fehlt eine dem einzelstaatli<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>t verglei<strong>ch</strong>bare Dur<strong>ch</strong>setzungskraft. Die rein<br />

gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en, d.h. ni<strong>ch</strong>tstaatli<strong>ch</strong>en Berei<strong>ch</strong>e sozialer Ordnung entfalten ihre<br />

normative Kraft nur dort, wo dies <strong>der</strong> re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Rahmen des staatli<strong>ch</strong>en Gewaltmonopols<br />

zuläßt. Einzelne Re<strong>ch</strong>tsgebiete ordnen si<strong>ch</strong> dabei <strong>der</strong> gesamtstaatli<strong>ch</strong>en Verfassungsordnung<br />

sowohl ein als au<strong>ch</strong> unter. Soziale Ordnung ist darum am stärksten<br />

dur<strong>ch</strong> die jeweilige Verfassungsre<strong>ch</strong>tsordnung eines Territorialstaates geprägt.<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen stellen si<strong>ch</strong> bezogen auf dieses Ordnungsprimat <strong>der</strong> Verfassung<br />

am dringendsten und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien wählen die Verfassungsordnung demgemäß<br />

am häufigsten als Anwendungsberei<strong>ch</strong>. Als Konsequenz aus <strong>der</strong> Erkenntnis,<br />

daß die hier interessierenden <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien in erster Linie die politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

zum Gegenstand haben (S<strong>ch</strong>werpunktthese), werden im folgenden unter<br />

den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien – soweit ni<strong>ch</strong>t ausdrückli<strong>ch</strong> an<strong>der</strong>s erwähnt – nur diejenigen<br />

untersu<strong>ch</strong>t, die (unmittelbar o<strong>der</strong> mittelbar) die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> <strong>der</strong> staatli<strong>ch</strong>en<br />

Re<strong>ch</strong>tsordnung beurteilen.<br />

3. Die Umstände <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (D. Hume)<br />

Von Hume stammt die These von den 'Umständen <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' (circumstances of<br />

justice) 191 , die in gegenwärtigen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien aufgegriffen wird 192 . Na<strong>ch</strong><br />

ihr ist <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> eine künstli<strong>ch</strong>e Tugend (artificial virtue), von mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Konventionen<br />

abhängig und nur unter bestimmten Umständen überhaupt relevant. Zu<br />

190 Dazu oben S. 38 (<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tstheorie).<br />

191 Vgl. D. Hume, A Treatise of Human Nature, Bd. III: Of Morals (1740), Teil II: Of Justice and Injustice,<br />

Abs<strong>ch</strong>nitt II: Of the Origin of Justice and Property – 'natural temper' und 'outward circumstances'<br />

sowie ausdrückli<strong>ch</strong>: »Here then is a proposition whi<strong>ch</strong>, I think, may be regarded as certain,<br />

that it is only from the selfishness and confined generosity of man, along with the scanty provision nature<br />

has made for his wants that justice <strong>der</strong>ives its origin.« (Hervorhebung bei Hume); <strong>der</strong>s., An Enquiry<br />

Concerning the Principles of Morals (1751), Abs<strong>ch</strong>nitt III: Of Justice, Teil I sowie Anhang III:<br />

Some Further Consi<strong>der</strong>ations With Regard to Justice.<br />

192 Etwa J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 22, S. 126 ff.; B. Barry, Theories of Justice (1989), S. 152 ff.<br />

Vgl. au<strong>ch</strong> die causal connexions bei H.L.A. Hart, Concept of Law (1961), S. 190 ff. (human vulnerability,<br />

approximate equality, limited altruism, limited resources, limited un<strong>der</strong>standing and strength of will).<br />

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