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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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Parallelbegriff <strong>der</strong> Fraktion verkörpert 194 . Die 'mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Natur in <strong>der</strong> Politik' begründet<br />

die latente Gefahr, daß die öffentli<strong>ch</strong>e Meinung ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> rationale Kritik,<br />

son<strong>der</strong>n dur<strong>ch</strong> Gruppen bestimmt wird, die Privatinteressen verfolgen 195 . Überhaupt<br />

kann das Ergebnis des politis<strong>ch</strong>en Prozesses, die öffentli<strong>ch</strong>e Meinung, dur<strong>ch</strong>aus<br />

zu Stimmungsbil<strong>der</strong>n führen, die irrationales Handeln tragen, etwa die Ä<strong>ch</strong>tung<br />

religiöser Dissidenten o<strong>der</strong> die Hexenverfolgung 196 .<br />

b) Der ni<strong>ch</strong>tstrategis<strong>ch</strong>e Charakter <strong>der</strong> Politik<br />

»Der gesamte politis<strong>ch</strong>e Tageskampf stellt si<strong>ch</strong> als eine endlose Diskussion über<br />

die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> dar.« 197 Man muß ni<strong>ch</strong>t so weit gehen wie Radbru<strong>ch</strong> und kann do<strong>ch</strong><br />

einen ni<strong>ch</strong>tstrategis<strong>ch</strong>en Charakter <strong>der</strong> Politik überall dort aufzeigen, wo argumentiert<br />

wird 198 . Als Situationen politis<strong>ch</strong>er Argumentation können mit Weinberger mindestens<br />

die Erstellung politis<strong>ch</strong>er Programme, die Überzeugung von Wählern und<br />

die Begegnung mit An<strong>der</strong>sdenkenden angeführt werden 199 . Hier seien nur die ersten<br />

beiden Beispiele verfolgt, weil das dritte bezügli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung von strategis<strong>ch</strong>en<br />

und ni<strong>ch</strong>tstrategis<strong>ch</strong>en Gehalten zumindest ambivalent ist. Bei Programmerstellung<br />

und Wählerüberzeugung gilt indes, daß sie dur<strong>ch</strong> politis<strong>ch</strong>e Argumentation<br />

bei relativer Unbestimmtheit <strong>der</strong> Ziele gekennzei<strong>ch</strong>net und ni<strong>ch</strong>t wie politis<strong>ch</strong>e Propaganda<br />

ergebnisorientiert auf die Bewirkung bestimmter Überzeugungen geri<strong>ch</strong>tet<br />

ist 200 . Zwar ist au<strong>ch</strong> die Überzeugung wi<strong>ch</strong>tig, gewissermaßen als Instrument <strong>der</strong><br />

Meinungs- und Willensbildung. Do<strong>ch</strong> ein Politikverständnis, das si<strong>ch</strong> allein auf den<br />

strategis<strong>ch</strong>en Gehalt <strong>der</strong> Politik bes<strong>ch</strong>ränkt 201 , ist unvollständig. Das zeigt si<strong>ch</strong> beispielsweise,<br />

wenn eine Partei öffentli<strong>ch</strong> als 'Partei <strong>der</strong> Besserverdienenden' auftritt.<br />

Sie gibt damit den Anspru<strong>ch</strong> auf, Ziele zu vertreten, die ri<strong>ch</strong>tig für alle sind. Was ist<br />

daran fals<strong>ch</strong>? Warum muß mit dem Auftreten einer Partei immer <strong>der</strong> Anspru<strong>ch</strong> verbunden<br />

sein, universelle Ri<strong>ch</strong>tigkeit zu verfolgen? Wäre die Partei keine Partei, son<strong>der</strong>n<br />

eine Lobbygruppe, etwa <strong>der</strong> Berufsverband <strong>der</strong> Apotheker, dann würde niemand<br />

Kritik daran üben, wenn si<strong>ch</strong> die Ziele <strong>der</strong> Vereinigung auf die Dur<strong>ch</strong>setzung<br />

194 Vgl. J. Madison, Fe<strong>der</strong>alist No. 10 (1787), S. 57: »By a faction I un<strong>der</strong>stand a number of citizens,<br />

whether amounting to a majority or minority of the whole, who are united and actuated by some<br />

common impulse of passion, or of interest, adverse to the rights of other citizens, or to the permanent<br />

and aggregate interests of the community.«<br />

195 So die ni<strong>ch</strong>tidealistis<strong>ch</strong>e Politikanalyse bei J.A. S<strong>ch</strong>umpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie<br />

(1942), S. 417 f.<br />

196 Beispiele bei J.A. S<strong>ch</strong>umpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie (1942), S. 381 ff.<br />

197 G. Radbru<strong>ch</strong>, Re<strong>ch</strong>tsphilosophie (1973), S. 165.<br />

198 Vgl. O. Weinberger, Zur Theorie <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Argumentation (1995), S. 165 f. – Die dort angeführten<br />

Beispiele (Perelmans universelles Auditorium, Habermas' Diskurstheorie, Gadamers Hermeneutik)<br />

betreffen allesamt ein argumentierendes Verstehen.<br />

199 O. Weinberger, Zur Theorie <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Argumentation (1995), S. 173.<br />

200 O. Weinberger, Zur Theorie <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Argumentation (1995), S. 175; allerdings im Ergebnis<br />

an<strong>der</strong>s als hier: ebd., S. 181 – die politis<strong>ch</strong>e Argumentationstheorie liege »an <strong>der</strong> Grenze« zwis<strong>ch</strong>en<br />

Begründungstheorie und <strong>der</strong> Pragmatik interpersonalen Überzeugens. Vgl. au<strong>ch</strong> J.S. Fishkin,<br />

The Voice of the People (1995), S. 154 f. – Übergang von <strong>der</strong> Partei- zur Massenzeitung.<br />

201 So offenbar H. S<strong>ch</strong>ulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentaris<strong>ch</strong>er Gesetzgebung (1988), S. 246<br />

ff., 300 – Entgegensetzung von Politik und Diskurs; an<strong>der</strong>erseits aber <strong>der</strong>s., ebd., S. 378: Gesetze<br />

als »rationale Domestizierung« von Politik.<br />

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