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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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(N 2a ) aus 378 , das dadur<strong>ch</strong> zum umstrittensten Element <strong>der</strong> Theorie wurde.<br />

c) Das Vierstufenmodell<br />

Aus <strong>der</strong> Si<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie ist es von beson<strong>der</strong>em Interesse, daß Rawls<br />

in <strong>der</strong> Wahl <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgrundsätze nur eine von mehreren Stufen <strong>der</strong> Konkretisierung<br />

von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in <strong>der</strong> sozialen Ordnung sieht 379 . Rawls arbeitet mit einem<br />

vierstufigen Modell. Auf <strong>der</strong> ersten Stufe stecken die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgrundsätze<br />

den Rahmen für alle na<strong>ch</strong>folgenden Stufen ab. Auf <strong>der</strong> zweiten Stufe wählen die<br />

Parteien eine gere<strong>ch</strong>te Verfassung. Dazu wird <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>leier des Ni<strong>ch</strong>twissens teilweise<br />

gelüftet, so daß ihnen zusätzli<strong>ch</strong>e Kenntnisse über allgemeine Eigens<strong>ch</strong>aften <strong>der</strong><br />

Gesells<strong>ch</strong>aft und ihrer Ressourcen eröffnet sind. Auf <strong>der</strong> dritten Stufe erarbeiten die<br />

Beteiligten im Rahmen <strong>der</strong> Verfassungsvorgaben und bei weiterer Enthüllung ihres<br />

zunä<strong>ch</strong>st vers<strong>ch</strong>leierten Wissens die Gesetze, die für sie gere<strong>ch</strong>t sind. Die vierte Stufe<br />

s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> betrifft die Re<strong>ch</strong>tsanwendung im Einzelfall, also die gere<strong>ch</strong>te staatli<strong>ch</strong>e<br />

Administration und Adjudikation. Zwis<strong>ch</strong>en den Einzelstufen besteht na<strong>ch</strong> Rawls eine<br />

We<strong>ch</strong>selwirkung, die es etwa erlaubt, bereits bei <strong>der</strong> Verfassunggebung auf gesetzgeberis<strong>ch</strong>e<br />

Bedürfnisse Rücksi<strong>ch</strong>t zu nehmen.<br />

d) Die Funktion prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

Rawls nutzt reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Grundlage seiner Theorie 380 . Die 'faire<br />

Prozedur', die hier zur Anwendung kommt, ist die sozialvertragli<strong>ch</strong>e Überlegung<br />

hinter dem S<strong>ch</strong>leier des Ni<strong>ch</strong>twissens: Was immer die Parteien wählen ist qua definitionem<br />

gere<strong>ch</strong>t. Rawls bezei<strong>ch</strong>net die reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> au<strong>ch</strong> als das<br />

Konzept, das <strong>der</strong> Güterverteilung im zweiten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzip zugrunde<br />

liegt 381 . Statt auf relative Positionen von Individuen und ihre Beteiligung bei <strong>der</strong> Güterverteilung<br />

einzugehen, nimmt das zweite <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzip einen prozeduralen<br />

Standpunkt ein. Der Status eines Individuums muß ni<strong>ch</strong>t für si<strong>ch</strong> betra<strong>ch</strong>tet<br />

(substantiell) als gere<strong>ch</strong>t begründet werden 382 . Solange die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgrundsätze<br />

bea<strong>ch</strong>tet werden, ist jedes dadur<strong>ch</strong> bewirkte Ergebnis (prozedural) gere<strong>ch</strong>t.<br />

Neben reiner Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit nutzt Rawls au<strong>ch</strong> quasi-reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

in seinem Vierstufenmodell 383 . Die aufeinan<strong>der</strong>folgenden Stufen <strong>der</strong> Ver-<br />

378 In <strong>der</strong> Neuformulierung <strong>der</strong> Theorie hat Rawls unter an<strong>der</strong>em au<strong>ch</strong> die Rangfolge <strong>der</strong> Prinzipien<br />

geän<strong>der</strong>t, so daß das Differenzprinzip zu N 2b ' wird; siehe S. 209 (neue <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien).<br />

379 Zur 'four-stage sequence' siehe J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 31, S. 195 ff.; zustimmend P. Koller,<br />

Mo<strong>der</strong>ne Vertragstheorie und Grundgesetz (1996), S. 380 ff. (382).<br />

380 J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 24, S. 136: »The idea of the original position is to set up a fair<br />

procedure so that any principles agreed to will be just. The aim is to use the notion of pure procedural<br />

justice as a basis of theory.«<br />

381 J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 14, S. 84 f.<br />

382 Die Formulierung bei Rawls ('in itself just') ma<strong>ch</strong>t den Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en prozedural definierter<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> und material determinierter Ergebnisgere<strong>ch</strong>tigkeit deutli<strong>ch</strong>. Siehe J. Rawls, Theory<br />

of Justice (1971), § 14, S. 87 f.<br />

383 J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 31, S. 195 ff. (201).<br />

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