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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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politis<strong>ch</strong>en Führern und Meinungsbildnern, seien so einflußrei<strong>ch</strong>, daß die politis<strong>ch</strong>en<br />

Überzeugungen ni<strong>ch</strong>t mehr als Ergebnis vernunftmäßiger Argumentation angesehen<br />

werden könnten 211 . Das mag als Analyse <strong>der</strong> realen Umstände zutreffen. Do<strong>ch</strong><br />

selbst wenn man <strong>der</strong>artige Einflüsse in vollem Umfang zugesteht, än<strong>der</strong>t das ni<strong>ch</strong>ts<br />

an <strong>der</strong> Orientierung <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tspolitik am idealen Diskurs – eine Orientierung, die<br />

unauswei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ist, wenn argumentiert wird. Um si<strong>ch</strong> von dieser Orientierung ganz<br />

zu lösen, müßte Politik auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> auf argumentationslose Handlungsweisen reduziert<br />

werden – etwa auf Verhandlungen unter dem Aspekt <strong>der</strong> individuellen o<strong>der</strong><br />

partikulären Nutzenmaximierung, auf Gewalt, Aufmärs<strong>ch</strong>e o<strong>der</strong> Sportfeste. Das<br />

aber ist bei <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tspolitik erkennbar ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Fall; sie su<strong>ch</strong>t Legitimation in <strong>der</strong><br />

Argumentation und muß si<strong>ch</strong> deshalb an <strong>der</strong> regulativen Idee eines idealen Diskurses<br />

orientieren. Nur dadur<strong>ch</strong>, daß die Anwendungsbedingungen und Verfahrensregeln<br />

realer Diskurse – so unvollkommen das im Einzelfall au<strong>ch</strong> sein mag – si<strong>ch</strong> Diskursidealen<br />

annähern, kann die Ri<strong>ch</strong>tigkeit <strong>der</strong> Ergebnisse wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>er werden<br />

(unvollkommen prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>) o<strong>der</strong> innerhalb eines materiellen Rahmens als<br />

definitiv gelten (quasi-reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

3. Der Wahlkampf als realer Diskurs<br />

Neben dem parlamentaris<strong>ch</strong>en Gesetzgebungsprozeß muß na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> erweiterten<br />

Son<strong>der</strong>fallthese 212 au<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Wahlkampf als realer Diskurs verstanden werden, denn<br />

diese beiden Berei<strong>ch</strong>e bilden zusammen den Kern <strong>der</strong> 'Re<strong>ch</strong>tspolitik', <strong>der</strong> von Habermas<br />

als 'legislative Politik' bezei<strong>ch</strong>net wird 213 .<br />

Wahlen, also Abstimmungen über Personalents<strong>ch</strong>eidungen, ri<strong>ch</strong>ten si<strong>ch</strong> im demokratis<strong>ch</strong>en<br />

Verfassungsstaat na<strong>ch</strong> den Wahlre<strong>ch</strong>tsgrundsätzen 214 . Sind diese eingehalten,<br />

so ist die Wahlents<strong>ch</strong>eidung qua definitionem gere<strong>ch</strong>t – jedenfalls prima facie,<br />

denn es könnte si<strong>ch</strong> ausnahmsweise herausstellen, daß eine 'gewählte' Person unwählbar<br />

war, die Wahlents<strong>ch</strong>eidung si<strong>ch</strong> also inhaltli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t im zulässigen Berei<strong>ch</strong><br />

bewegte. Abgesehen von sol<strong>ch</strong>en Fehlermögli<strong>ch</strong>keiten kann niemand die Wahl mit<br />

dem Argument für unri<strong>ch</strong>tig o<strong>der</strong> ungere<strong>ch</strong>t erklären, daß die Wahlbere<strong>ch</strong>tigten<br />

'fals<strong>ch</strong>' gewählt hätten. Der Wahlakt ist das einzige Kriterium für die Ri<strong>ch</strong>tigkeit und<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> des Ergebnisses (quasi-reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

Der Wahlakt selbst, also die Abstimmung an <strong>der</strong> Urne, ist kein realer Diskurs. Ein<br />

realer Diskurs und Teil <strong>der</strong> deliberativen Politik ist aber die Wahl in einem weiteren<br />

Sinne, also die Veranstaltung 'Wahlkampf'. Insoweit besteht dasselbe Verhältnis wie<br />

zwis<strong>ch</strong>en <strong>der</strong> Abstimmung im Parlament (Mehrheitsents<strong>ch</strong>eidung; kein realer Diskurs)<br />

und dem Verfahren <strong>der</strong> parlamentaris<strong>ch</strong>en Gesetzgebung insgesamt (realer<br />

Diskurs). Der Wahlkampf ist ri<strong>ch</strong>tigkeitsorientiert. Das zeigt si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on daran, daß<br />

211 O. Weinberger, Über die Kultur <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Argumentation (1994), S. 155.<br />

212 Dazu oben S. 350 (S RP ).<br />

213 'Re<strong>ch</strong>tspolitik' findet außerdem unter Re<strong>ch</strong>tsdogmatikern statt, wenn etwa formale Qualitäten<br />

o<strong>der</strong> die systematis<strong>ch</strong>e Konsistenz von Gesetzen untersu<strong>ch</strong>t werden. Sol<strong>ch</strong>e Berei<strong>ch</strong>e <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tspolitik<br />

werden hier ni<strong>ch</strong>t weiter untersu<strong>ch</strong>t. Sie unterliegen als juristis<strong>ch</strong>e Diskurse ohne weiteres<br />

<strong>der</strong> Son<strong>der</strong>fallthese.<br />

214 Zur unmittelbaren Begründung <strong>der</strong> Wahlre<strong>ch</strong>tsgrundsätze als <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen siehe oben<br />

S. 330 (Begründung <strong>der</strong> Demokratie).<br />

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