Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
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die These vertreten, daß jedes Parlament, ausrei<strong>ch</strong>ende Informiertheit und Diskussionsfreiheit<br />
vorausgesetzt, die willkürli<strong>ch</strong>e Tötung von Mens<strong>ch</strong>en verbieten würde.<br />
Um die diskursive Mögli<strong>ch</strong>keit einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm in mittelbarer Begründung<br />
darzulegen, ist es eigentli<strong>ch</strong> nötig, das Verfahren tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong>zuführen. In<br />
einer Theorie lassen si<strong>ch</strong> einzelne Verfahren aber ni<strong>ch</strong>t vorwegnehmen. Der Kern<br />
<strong>der</strong> mittelbaren Begründung besteht für eine Diskurstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> deshalb<br />
darin, die Anwendungsbedingungen und Verfahrensregeln zu bestimmen, unter<br />
denen Verfahren gere<strong>ch</strong>te Ergebnisse hervorbringen; die Theorie muß die realen<br />
Bedingungen einer Genese ri<strong>ch</strong>tigen Re<strong>ch</strong>ts aufzeigen. Nun wäre es naheliegend, die<br />
vollständige Verwirkli<strong>ch</strong>ung <strong>der</strong> Diskursregeln als Verfahrensregeln zu for<strong>der</strong>n. Da<br />
aber die Diskursregeln in realen Diskursen nie vollständig verwirkli<strong>ch</strong>t werden können,<br />
verlagert si<strong>ch</strong> die Aufgabenstellung auf die Frage, wel<strong>ch</strong>e Annäherung an die<br />
regulative Idee des idealen Diskurses in wel<strong>ch</strong>en realen Verfahren geboten ist 22 .<br />
Die mittelbare Begründung ist universalistis<strong>ch</strong>, wenn sie Anwendungsbedingungen<br />
und Verfahrensregeln von realen Verfahren bestimmt, die in je<strong>der</strong> gere<strong>ch</strong>ten Sozialordnung<br />
ges<strong>ch</strong>affen werden müssen; sie ist ni<strong>ch</strong>tuniversalistis<strong>ch</strong>, wenn sie Regeln<br />
definiert, die in einer bestimmten Sozialordnung als Annäherung an Diskursideale<br />
gefor<strong>der</strong>t sind.<br />
4. Die ents<strong>ch</strong>eidungstheoretis<strong>ch</strong> ergänzte Normbegründung<br />
<strong>Prozedurale</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien können (s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>e) empiris<strong>ch</strong>e Prämissen enthalten,<br />
ohne dadur<strong>ch</strong> ihren Charakter als prozedurale <strong>Theorien</strong> zu verlieren 23 . Entspre<strong>ch</strong>end<br />
kann in einer Diskurstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> die diskurstheoretis<strong>ch</strong>e<br />
Normbegründung dur<strong>ch</strong> Argumente <strong>der</strong> individuellen Nutzenmaximierung unterstützt<br />
und verstärkt werden, ohne daß die Theorie dadur<strong>ch</strong> ihren Charakter als Diskurstheorie<br />
verlöre 24 . Der kantis<strong>ch</strong>e Begründungsrahmen bleibt gegenüber sol<strong>ch</strong>en<br />
hobbesianis<strong>ch</strong>en Begründungselementen dominant 25 . Zeigt man beispielsweise, daß<br />
es für jeden einzelnen individuell nützli<strong>ch</strong>er ist, wenn eine staatli<strong>ch</strong>e Zwangsordnung<br />
als ri<strong>ch</strong>tige Ordnung legitimiert wird, dann kann man damit die reale Bedeutung<br />
des Ri<strong>ch</strong>tigkeitsgaranten 'Diskurs' stärken 26 . Methodis<strong>ch</strong> wird die Diskurstheorie<br />
dabei ledigli<strong>ch</strong> um empiris<strong>ch</strong>e und analytis<strong>ch</strong>e Prämissen ergänzt 27 . Das Konzept<br />
des allgemeinen praktis<strong>ch</strong>en Diskurses ist offen für sol<strong>ch</strong>e Erweiterungen, denn in<br />
22 Vgl. oben S. 218 (D Dr ).<br />
23 Dazu oben S. 139 ff. (Grenzziehung zwis<strong>ch</strong>en prozeduralen und materialen <strong>Theorien</strong>).<br />
24 So beispielsweise bei R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 133 ff.<br />
25 Vgl. R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 133: »Zur Verstärkung seiner Geltung<br />
[<strong>der</strong> des transzendentalen Arguments] muß ihm als zweiter Teil ein auf individuelle Nutzenmaximierung<br />
abstellendes Argument hinzugesellt werden. Die kantis<strong>ch</strong>e und hobbesianis<strong>ch</strong>e Linie<br />
gehen auf diese Weise bei <strong>der</strong> Begründung <strong>der</strong> Diskursregeln eine Verbindung ein. In ihr bleibt<br />
die kantis<strong>ch</strong>e Linie allerdings dominant.«<br />
26 So R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 142 ff.<br />
27 Das rationalistis<strong>ch</strong>e Nutzenkalkül läßt si<strong>ch</strong> als eine Kombination von empiris<strong>ch</strong>en Prämissen (realen,<br />
individuellen Nutzenfunktionen) mit einer ents<strong>ch</strong>eidungstheoretis<strong>ch</strong> anlysierbaren Logik <strong>der</strong><br />
strategis<strong>ch</strong>en Interaktion auffassen. Vgl. zu dieser Deutung <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidungstheorie als empiris<strong>ch</strong>-analytis<strong>ch</strong>e<br />
Theorie die Ausführungen zur Spieltheorie oben S. 270 ff. (Kritik <strong>der</strong> spieltheoretis<strong>ch</strong>en<br />
Grundlegung).<br />
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