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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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Die Re<strong>ch</strong>tsdogmatik, insbeson<strong>der</strong>e die des Prozeßre<strong>ch</strong>ts, stützt si<strong>ch</strong> auf die dienende<br />

Funktion vollkommener o<strong>der</strong> unvollkommener prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 410 :<br />

Verfahrensregeln des Beweisre<strong>ch</strong>ts dienen <strong>der</strong> Wahrheitsfindung, Verteidigungsbefugnisse<br />

dienen dem S<strong>ch</strong>utz vor Fehlurteilen. In den (selteneren) Fällen vollkommener<br />

prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> führt die Einhaltung <strong>der</strong> Verfahrensvors<strong>ch</strong>riften mit<br />

Si<strong>ch</strong>erheit zu einer 'angemessenen' – das heißt in diesem Zusammenhang: zu einer<br />

ni<strong>ch</strong>t revisiblen – Annäherung an das als gere<strong>ch</strong>t erkannte Ergebnis. Das kann etwa<br />

bei einem Re<strong>ch</strong>tsverfahren na<strong>ch</strong> Zivilprozeßre<strong>ch</strong>t gelten, wenn eine Beweislastents<strong>ch</strong>eidung<br />

getroffen wird und die materiell re<strong>ch</strong>tskräftige Ents<strong>ch</strong>eidung (solange<br />

kein Wie<strong>der</strong>aufnahmegrund vorliegt) als angemessene Annäherung an das als gere<strong>ch</strong>t<br />

erkannte Ergebnis (Ansprü<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> den tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Vorgängen) qualifiziert<br />

wird. An<strong>der</strong>s als beim fals<strong>ch</strong>en Strafurteil würde man hier ni<strong>ch</strong>t von einem 'Fehlurteil'<br />

o<strong>der</strong> 'Justizirrtum' spre<strong>ch</strong>en 411 . Die Obliegenheit, daß je<strong>der</strong> selbst für die Dur<strong>ch</strong>setzbarkeit<br />

<strong>der</strong> eigenen zivilre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Ansprü<strong>ch</strong>e zu sorgen hat, ist im Rahmen <strong>der</strong><br />

Beweislastverteilung hinzunehmen, das Ergebnis einer Beweislastents<strong>ch</strong>eidung angemessen<br />

412 .<br />

In <strong>der</strong> Regel ist die zugrundegelegte prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> aber unvollkommen,<br />

weil selbst bei Einhaltung aller Verfahrensregeln das Verfahrensergebnis ni<strong>ch</strong>t<br />

in jedem Fall eine angemessene Annäherung an die Ergebnisgere<strong>ch</strong>tigkeit ist. Am<br />

Beispiel des Strafverfahrens wurde dieser Zusammenhang bereits erörtert 413 . Unvollkommen<br />

prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> nimmt darum zwar an <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugung<br />

teil, hat jedo<strong>ch</strong> wegen <strong>der</strong> mit ihr verbundenen Unsi<strong>ch</strong>erheit nur einen Status,<br />

<strong>der</strong> si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>lagwortartig als <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sför<strong>der</strong>ungsfunktion kennzei<strong>ch</strong>nen läßt.<br />

2. Definitoris<strong>ch</strong>e Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

Bei den Formen <strong>der</strong> definitoris<strong>ch</strong>en Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit läßt si<strong>ch</strong> die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

des Ergebnisses ni<strong>ch</strong>t unabhängig von <strong>der</strong> Dur<strong>ch</strong>führung des Verfahrens beur-<br />

410 Weitere Beispiele etwa bei J. Berkemann, Fairneß als Re<strong>ch</strong>tsprinzip (1989), S. 223 ff.<br />

411 Der Wertungsunters<strong>ch</strong>ied muß ni<strong>ch</strong>t notwendig moralis<strong>ch</strong>, son<strong>der</strong>n er kann au<strong>ch</strong> ökonomis<strong>ch</strong> begründet<br />

werden; R.A. Posner, Economic Analysis of Law (1992), S. 553.<br />

412 Vgl. aus <strong>der</strong> deuts<strong>ch</strong>en Strafprozeßre<strong>ch</strong>tsliteratur U. Neumann, Materiale und prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

im Strafverfahren (1989), S. 56 f., 62 f. – zum Zusammenhang von Wie<strong>der</strong>aufnahmegründen<br />

und materieller Re<strong>ch</strong>tskraft mit <strong>der</strong> Funktion prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in realen Geri<strong>ch</strong>tsverfahren.<br />

Neumanns Zweifel an <strong>der</strong> 'dienenden Funktion' des Strafprozesses (S. 58) betreffen<br />

ni<strong>ch</strong>t die hier angespro<strong>ch</strong>ene 'dienende Funktion' <strong>der</strong> vollkommenen und unvollkommenen<br />

prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>. Erstere betrifft das Verhältnis zwis<strong>ch</strong>en Prozessre<strong>ch</strong>t und materiellem<br />

Re<strong>ch</strong>t, letztere fragt nur dana<strong>ch</strong>, ob ein verfahrensexternes Kriterium für die Beurteilung <strong>der</strong><br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> besteht. Das ist s<strong>ch</strong>on immer dann <strong>der</strong> Fall, wenn überhaupt irgendein Wie<strong>der</strong>aufnahmegrund<br />

anerkannt ist, <strong>der</strong> über bloße Verfahrensmängel hinausgeht, also etwa wenn beim<br />

Strafprozeß neue Tatsa<strong>ch</strong>en o<strong>der</strong> Beweismittel vorliegen (§ 359 Nr. 5 StPO) o<strong>der</strong> beim Zivil- und<br />

Verwaltungsprozeß in den Fällen des Prozeßbetrugs (§ 580 Nr. 1-4 ZPO, § 153 I VwGO). Denn<br />

darin beweist si<strong>ch</strong>, daß die Ri<strong>ch</strong>tigkeit und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidung ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> das Verfahren<br />

definiert wird. Es kommt also ni<strong>ch</strong>t darauf an, ob si<strong>ch</strong> die Wie<strong>der</strong>aufnahmegründe »überwiegend<br />

wie<strong>der</strong>um auf Defizite im Berei<strong>ch</strong> des Verfahrens« beziehen; so aber Neumann, ebd.,<br />

S. 56. Treffend hingegen M. Kriele, Kriterien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1963), S. 34: S<strong>ch</strong>on das Zugeständnis,<br />

ein Urteil könne ungere<strong>ch</strong>t sein, besage »letztli<strong>ch</strong>, daß die Kriterien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ni<strong>ch</strong>t allein<br />

in prozessualen Fragen zu su<strong>ch</strong>en sind, son<strong>der</strong>n daß es materiale Kriterien geben muß.«<br />

413 Dazu oben S. 126 (Strafverfahren als Verfahren unvollkommen prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

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