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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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ge, wenn au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t die alleinige Rolle 422 . Das ri<strong>ch</strong>tigkeitsverbürgende Element liegt<br />

in <strong>der</strong> geda<strong>ch</strong>ten Überpersönli<strong>ch</strong>keit, die sogar das Ideal <strong>der</strong> Allwissenheit eins<strong>ch</strong>ließen<br />

kann 423 und jedenfalls die Befangenheit des Einzelnen in seiner neigungs- und<br />

interessengebundenen Identität dur<strong>ch</strong> ein Element <strong>der</strong> Universalisierung des Standpunkts<br />

erweitert. Der Handelnde ist, ganz im Sinne Kants, ni<strong>ch</strong>t länger seiner neigungsbefangenen<br />

Willkür ausgeliefert, son<strong>der</strong>n findet in <strong>der</strong> objektivierten Selbstgesetzgebung<br />

einen freien Willen und damit Autonomie 424 .<br />

b) Das Nagel-Kriterium (T N )<br />

Statt unmittelbar auf Kants Konzept des freien Willens und <strong>der</strong> privaten Autonomie<br />

zurückzugreifen 425 , vertritt Nagel die These, daß si<strong>ch</strong> die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Handelns als<br />

ein angemessener Ausglei<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en dem parteiis<strong>ch</strong>en und dem unparteiis<strong>ch</strong>en<br />

Standpunkt darstellen läßt 426 . Grundsätze, die glei<strong>ch</strong>zeitig beiden Standpunkten<br />

vollständig gere<strong>ch</strong>t werden, gibt es na<strong>ch</strong> Nagel ni<strong>ch</strong>t 427 . Au<strong>ch</strong> könne <strong>der</strong> parteiis<strong>ch</strong>e<br />

Standpunkt des Individuums nie ganz zugunsten eines unparteiis<strong>ch</strong>en Standpunktes<br />

aufgegeben werden, weil er bestimmte bere<strong>ch</strong>tigte Ansprü<strong>ch</strong>e des Einzelnen stelle<br />

(z.B. den Anspru<strong>ch</strong> auf Überleben und auf familiäre und gemeins<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Solidarität<br />

428 ). Mit dieser vermittelnden Position zwis<strong>ch</strong>en den Standpunkten grenzt Nagel<br />

si<strong>ch</strong> einerseits vom Konsequentialismus ab, <strong>der</strong> auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> agenten-neutrale<br />

Gründe anerkennt (aristotelis<strong>ch</strong>e Grundposition) 429 , und an<strong>der</strong>erseits von 'reinen individualistis<strong>ch</strong>en<br />

Re<strong>ch</strong>tstheorien', die auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> auf den Ausglei<strong>ch</strong> kollidieren<strong>der</strong><br />

Einzelinteressen und damit auf agenten-relative Gründe abstellen (hobbesianis<strong>ch</strong>e<br />

Grundposition) 430 . Das Ri<strong>ch</strong>tigkeitskriterium läßt si<strong>ch</strong> in folgendem Theorem<br />

ausdrücken 431 :<br />

422 Zur Kombination des persönli<strong>ch</strong>en und des überpersönli<strong>ch</strong>en (Beoba<strong>ch</strong>ter-)Standpunkts siehe vor<br />

allem T. Nagel, Equality and Impartiality (1991), S. 10 ff.<br />

423 Beispielsweise K. Baier, Standpunkt <strong>der</strong> Moral (1958), S. 191: »Standpunkt eines ... Beoba<strong>ch</strong>ters ...<br />

gewissermaßen mit Gottes Augen«. Illustrativ aus <strong>der</strong> Literatur insoweit F. Dürrenmatt, Monstervortrag<br />

über <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1969), S. 12 ff.<br />

424 Vgl. I. Kant, KpV (1788), A 58 zu Autonomie des Willens und Heteronomie <strong>der</strong> Willkür.<br />

425 Zu den S<strong>ch</strong>wierigkeiten ausführli<strong>ch</strong> T. Nagel, View from Nowhere (1986), S. 110 ff.<br />

426 T. Nagel, Equality and Impartiality (1991), S. 40: »The conception of morality whi<strong>ch</strong> I would defend<br />

includes general principles for both agent-neutral and agent-relative reasons, and for the<br />

proper relation between them.«<br />

427 T. Nagel, Equality and Impartiality (1991), S. 49.<br />

428 Vgl. zu den Beispielen T. Nagel, Equality and Impartiality (1991), S. 11, 14; zur Unaufgebbarkeit<br />

des parteiis<strong>ch</strong>en Standpunkts ebd., S. 15, 40.<br />

429 Zum Begriff des Konsequentialismus (consequentialism) siehe oben S. 152 (Charakteristika <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en<br />

Grundposition). Agenten-neutrale Gründe sind diejenigen, die ni<strong>ch</strong>t aus Si<strong>ch</strong>t eines<br />

bestimmten Handelnden, son<strong>der</strong>n aus Si<strong>ch</strong>t eines unparteiis<strong>ch</strong>en Beoba<strong>ch</strong>ters zählen.<br />

430 T. Nagel, Equality and Impartiality (1991), S. 49.<br />

431 Das Kriterium ist in wörtli<strong>ch</strong>er Übersetzung Nagels Definition eines gere<strong>ch</strong>ten Systems entnommen;<br />

T. Nagel, Equality and Impartiality (1991), S. 38: »A legitimate system is one whi<strong>ch</strong> reconciles<br />

the two universal principles of impartiality and reasonable partiality so that no one can object that<br />

his interests are not being accorded sufficient weight or that the demands made on him are excessive.«<br />

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