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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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8. Die <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition halten eine bestimmte Konzeption<br />

des guten Lebens für allgemeinverbindli<strong>ch</strong>; <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> beurteilt si<strong>ch</strong> in Abhängigkeit<br />

von dem als wertvoll erkannten 'Guten'. Die materiellen Konzeptionen<br />

des Guten in Naturre<strong>ch</strong>tslehren und im Kommunitarismus stimmen mit <strong>der</strong> formellen<br />

Konzeption des Guten im Utilitarismus darin überein, daß ihre Ziele selbst ni<strong>ch</strong>t<br />

mehr dur<strong>ch</strong> Verfahren überprüft, son<strong>der</strong>n nur no<strong>ch</strong> gesetzt werden. Insoweit kann<br />

man von einem partiellen Begründungsverzi<strong>ch</strong>t spre<strong>ch</strong>en. Bei Naturre<strong>ch</strong>tslehren<br />

wird <strong>der</strong> materielle Begründungsmaßstab für <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ('göttli<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>'),<br />

beim Utilitarismus das formelle <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzip ('größtes Glück <strong>der</strong><br />

größten Zahl') und beim Kommunitarismus die Bindung an eine kollektive Konzeption<br />

des Guten ('Traditionsgemeins<strong>ch</strong>aft') ni<strong>ch</strong>t mehr hinterfragt. Insoweit sind die<br />

<strong>Theorien</strong> nur bekenntnis-, ni<strong>ch</strong>t erkenntnisfähig.<br />

9. Die <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en Grundposition sind explizit – o<strong>der</strong> bei älteren<br />

Sozialvertragstheorien implizit – <strong>Theorien</strong> des rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens (rational<br />

<strong>ch</strong>oice theories, decision theories). Als Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien beurteilen sie die Ri<strong>ch</strong>tigkeit<br />

einer Handlungsweise allein mit individueller Nutzenmaximierung. Trotz des<br />

gemeinsamen methodis<strong>ch</strong>en Ausgangspunktes begründen diese <strong>Theorien</strong> sehr unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e<br />

Ergebnisse als gere<strong>ch</strong>t o<strong>der</strong> ungere<strong>ch</strong>t, je na<strong>ch</strong>dem, wel<strong>ch</strong>es Nutzenkalkül<br />

bei <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidung zugrundegelegt wird.<br />

10. Die <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en Grundposition fragen na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit eines<br />

Handelns für alle Betroffenen. Sie kommen in den Darstellungsformen <strong>der</strong> Sozialvertrags-,<br />

Beoba<strong>ch</strong>ter- und Diskurstheorien vor. Trotz vielfa<strong>ch</strong>er Ähnli<strong>ch</strong>keiten im<br />

Ergebnis unters<strong>ch</strong>eiden sie si<strong>ch</strong> grundlegend in <strong>der</strong> Methodik <strong>der</strong> Begründung.<br />

IV. Analyse und Kritik von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

11. Gegen den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskeptizismus <strong>der</strong> nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>en 'Antitheorien'<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> spri<strong>ch</strong>t erstens, daß sie die Rationalitätspotentiale prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t realisieren (Inadäquatheitsargument), und zweitens, daß sie zur<br />

Ri<strong>ch</strong>tigkeit sozialer Ordnung Aussagen treffen, die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Handelns aber<br />

glei<strong>ch</strong>zeitig für positiv ni<strong>ch</strong>t begründbar erklären (Inakzeptabilitätsargument).<br />

12. Abgesehen vom Utilitarismus, dessen Nutzenmaximierungsideal formal definiert<br />

ist, sind alle <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition einem Bekenntnis zu<br />

materiellen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>svorstellungen verpfli<strong>ch</strong>tet, das sie selbst ni<strong>ch</strong>t positiv begründen<br />

können. Ihre Konzeption des Guten liegt in einem Traditionalismus o<strong>der</strong> in<br />

einer religiösen o<strong>der</strong> sonst materialen Wertvorstellung, die zwar einem Wandel unterworfen<br />

sein kann, aber letztli<strong>ch</strong> immer einen unbegründeten Rest enthält. Mit<br />

dieser Begründungsabstinenz verhält es si<strong>ch</strong> ähnli<strong>ch</strong> wie bei den <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>en<br />

Grundposition: Sie ist angesi<strong>ch</strong>ts <strong>der</strong> prozeduralen Begründungsmögli<strong>ch</strong>keiten<br />

inadäquat und angesi<strong>ch</strong>ts <strong>der</strong> sozialen Aufgabe <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung<br />

inakzeptabel. Das bloße Bekenntnis zu einer kollektiven Konzeption des Guten,<br />

sei es material (Naturre<strong>ch</strong>tslehren, Kommunitarismus) o<strong>der</strong> formal (Utilitarismus),<br />

kann die For<strong>der</strong>ung na<strong>ch</strong> einer Begründung ri<strong>ch</strong>tigen Re<strong>ch</strong>ts ni<strong>ch</strong>t befriedigen.<br />

13. Im Hinblick auf das strategis<strong>ch</strong>e Handeln unter egoistis<strong>ch</strong>en Nutzenmaximierern,<br />

das bei den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en Grundposition den<br />

Ausgangspunkt bildet, verfügt die Spieltheorie über einen gegenüber älteren Sozial-<br />

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