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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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) Das Gefangenendilemma<br />

Wird mit <strong>der</strong> Spieltheorie das rationalistis<strong>ch</strong>e Ents<strong>ch</strong>eidungskalkül als einzige<br />

Grundlage sozialer Ordnung betra<strong>ch</strong>tet, dann müßte es genügen, diejenigen Normen<br />

mit staatli<strong>ch</strong>em Zwang dur<strong>ch</strong>zusetzen, die eine Marktordnung für egoistis<strong>ch</strong>e Nutzenmaximierer<br />

s<strong>ch</strong>ützen, also eine Sozialordnung im Sinne des libertären Na<strong>ch</strong>twä<strong>ch</strong>terstaates.<br />

Bereits die Analyse des Gefangenendilemmas zeigt, daß eine <strong>der</strong>artige<br />

Minimalstaatli<strong>ch</strong>keit die mögli<strong>ch</strong>en Kooperationsgewinne in <strong>der</strong> Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

ni<strong>ch</strong>t realisiert und darum ni<strong>ch</strong>t die bestmögli<strong>ch</strong>e soziale Ordnung begründen kann.<br />

Die Einzelheiten des Gefangenendilemmas sind so oft ges<strong>ch</strong>il<strong>der</strong>t worden, daß<br />

sie hier ni<strong>ch</strong>t wie<strong>der</strong>holt werden müssen 79 . Festzuhalten bleibt nur das bemerkenswerte<br />

Ergebnis: In einer ni<strong>ch</strong>tkooperativen Sozialsituation, in <strong>der</strong> die Beteiligten vollständig<br />

rational ihren je eigenen Vorteil verfolgen, kann das Ergebnis für jeden <strong>der</strong><br />

Beteiligten s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter sein als bei einer Kooperation. Die Beteiligten wissen zwar,<br />

daß es eigentli<strong>ch</strong> für alle besser wäre, wenn sie gemeinsam ein Kooperationsziel verwirkli<strong>ch</strong>ten,<br />

do<strong>ch</strong> aufgrund <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidungsgesetze individueller Nutzenmaximierung<br />

bleibt ihnen keine Wahl: sie müssen die Kooperation verweigern. Dadur<strong>ch</strong> entgeht<br />

ihnen ein real mögli<strong>ch</strong>er Kooperationsvorteil. Hätten die Beteiligten ni<strong>ch</strong>t die<br />

Position individueller Nutzenmaximierer eingenommen, son<strong>der</strong>n si<strong>ch</strong> aus Tugendhaftigkeit<br />

(d.h. 'aristotelis<strong>ch</strong>') o<strong>der</strong> aus Moralität (d.h. 'kantis<strong>ch</strong>') nutzenunabhängig<br />

für die Kooperation ents<strong>ch</strong>ieden, dann ginge es ihnen im Ergebnis besser. Eine staatli<strong>ch</strong>e<br />

Ordnung, die au<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>e Kooperationsvorteile no<strong>ch</strong> realisieren will, kann folgli<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t allein dem freien Spiel <strong>der</strong> Kräfte seinen Lauf lassen, son<strong>der</strong>n muß die Rahmenbedingungen<br />

für »unbedingte Kooperation« setzen 80 . Der Staat muß s<strong>ch</strong>on aus<br />

pragmatis<strong>ch</strong>en Gründen jenseits minimalstaatli<strong>ch</strong>en Integritätss<strong>ch</strong>utzes au<strong>ch</strong> die Sittli<strong>ch</strong>keit<br />

o<strong>der</strong> Moralität för<strong>der</strong>n, um zusätzli<strong>ch</strong>e Kooperationsvorteile gegenüber individualistis<strong>ch</strong>er<br />

Nutzenmaximierung zu si<strong>ch</strong>ern.<br />

c) Das Beitragsdilemma bei öffentli<strong>ch</strong>en Gütern (D. Parfit)<br />

Ein weiterer Regelungsberei<strong>ch</strong>, in dem si<strong>ch</strong> die Inadäquatheit <strong>der</strong> Spieltheorie als<br />

Grundlage einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie erweist, ist die Si<strong>ch</strong>erung öffentli<strong>ch</strong>er Güter 81 .<br />

Das hier zu beoba<strong>ch</strong>tende Beitragsdilemma kann als volkswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Son<strong>der</strong>fall<br />

des Gefangenendilemmas angesehen werden.<br />

79 Darstellungen etwa bei R. Axelrod/W.D. Hamilton, Evolution of Cooperation (1981), S. 1391 ff.;<br />

O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 420 ff.; G. Kir<strong>ch</strong>gässner, Homo oeconomicus (1991), S. 50<br />

ff. m.w.N.; L. Kern/J. Nida-Rümelin, Logik kollektiver Ents<strong>ch</strong>eidungen (1994), S. 201 ff. m.w.<br />

Beispielen. Eine weniger bekannte Variante des Gefangenendilemmas hat Hardin für die<br />

Nutzung öffentli<strong>ch</strong>er Güter ges<strong>ch</strong>il<strong>der</strong>t; G.J. Hardin, The Tragedy of the Commons (1968), S. 1243<br />

80 ff. Vgl. L. Kern/J. Nida-Rümelin, Logik kollektiver Ents<strong>ch</strong>eidungen (1994), S. 227 ff. (228).<br />

81 Der Begriff <strong>der</strong> 'öffentli<strong>ch</strong>en Güter' ist umstritten. W. Blümel/R. Pethig/O. v.d.Hagen, Theory of<br />

Public Goods (1986), S. 242 haben im wesentli<strong>ch</strong>en drei Begriffsverwendungen ausgema<strong>ch</strong>t: öffentli<strong>ch</strong>e<br />

Güter als alle Gegenstände, bei <strong>der</strong>en Zurverfügungstellung ein Marktversagen eintreten<br />

kann; öffentli<strong>ch</strong>e Güter als öffentli<strong>ch</strong> vorgehaltene Güter; öffentli<strong>ch</strong>e Güter als alle Gegenstände,<br />

die zur Verfügung aller stehen und gemeins<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> verbrau<strong>ch</strong>t werden. Auf die Feinheiten <strong>der</strong><br />

Abgrenzung (ebd., S. 245 ff.) kann hier verzi<strong>ch</strong>tet werden, da Parfits Beitragsdilemma für alle diese<br />

Fälle gilt.<br />

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