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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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An<strong>der</strong>s als bei Hobbes, <strong>der</strong> nur Tötungsverzi<strong>ch</strong>t und Lebensre<strong>ch</strong>t in den negativen<br />

Taus<strong>ch</strong> einbezieht, ist na<strong>ch</strong> Höffe unbedingt ein Paketges<strong>ch</strong>äft notwendig, in dem diejenigen<br />

Integritäts- und Freiheitsinteressen, die natürli<strong>ch</strong>erweise allen Mens<strong>ch</strong>en gemeinsam<br />

sind, gebündelt werden 327 . Dafür sind na<strong>ch</strong> Höffe zwei Gründe auss<strong>ch</strong>laggebend.<br />

Erstens gibt es Mens<strong>ch</strong>en, die bereit sind, für Ehre o<strong>der</strong> Religion zu sterben,<br />

denen also das Leben ni<strong>ch</strong>t über alles an<strong>der</strong>e geht. Für sol<strong>ch</strong>e Mens<strong>ch</strong>en wäre <strong>der</strong><br />

Taus<strong>ch</strong> 'Tötungsverzi<strong>ch</strong>t gegen Lebensre<strong>ch</strong>t' für si<strong>ch</strong> allein genommen unvorteilhaft;<br />

lieber würden sie unter Todesgefahr den Angreifer töten, als si<strong>ch</strong> ihre Ehre o<strong>der</strong> Religion<br />

nehmen zu lassen. Zweitens ist die Bündelung des Taus<strong>ch</strong>pakets au<strong>ch</strong> deshalb<br />

nötig, weil sonst den Mens<strong>ch</strong>en, denen an einzelnen Re<strong>ch</strong>ten überhaupt ni<strong>ch</strong>ts liegt,<br />

die A<strong>ch</strong>tung dieses Re<strong>ch</strong>ts bei an<strong>der</strong>en ni<strong>ch</strong>t abgetaus<strong>ch</strong>t werden könnte (Asymmetrie<br />

von Opfer und Täter). Der Agnostiker kann auf seine Religionsfreiheit verzi<strong>ch</strong>ten.<br />

Warum sollte er dann die Religionsfreiheit an<strong>der</strong>er a<strong>ch</strong>ten? Ein Paketges<strong>ch</strong>äft<br />

wird er dagegen beson<strong>der</strong>s bereitwillig eingehen, weil es ihn wegen seines Desinteresses<br />

an <strong>der</strong> Religion ni<strong>ch</strong>t viel kostet, die Religion an<strong>der</strong>er zu respektieren, während<br />

die übrigen Güter (Ehre, Eigentum, Leib und Leben) ihm gerade deshalb beson<strong>der</strong>s<br />

wi<strong>ch</strong>tig sein müssen, weil sie na<strong>ch</strong> seinen Wertvorstellungen das einzige sind, das<br />

zählt. Höffe bezei<strong>ch</strong>net diese zusätzli<strong>ch</strong>e individuelle Vorteilhaftigkeit, die dur<strong>ch</strong><br />

Wertungsunters<strong>ch</strong>iede entsteht, als Ringtaus<strong>ch</strong> 328 .<br />

Gegenüber Kin<strong>der</strong>n und Alten, <strong>der</strong>en Handlung für an<strong>der</strong>e keine Bedrohung<br />

darstellt und <strong>der</strong>en Gewaltverzi<strong>ch</strong>t im Taus<strong>ch</strong> darum eigentli<strong>ch</strong> wertlos ist, führt<br />

Höffe das Argument eines asyn<strong>ch</strong>ronen Taus<strong>ch</strong>es ein 329 . Erwa<strong>ch</strong>sene verzi<strong>ch</strong>ten auf<br />

Gewalt gegen Kin<strong>der</strong>, damit sie au<strong>ch</strong> im Alter <strong>der</strong>en Respekt ihrer Integrität und<br />

Freiheit genießen.<br />

Dur<strong>ch</strong> die Vorteilhaftigkeit für jeden einzelnen wird <strong>der</strong> Freiheitsverzi<strong>ch</strong>t zu einem<br />

zwangsfreien Zwang; er ist ein Klugheitsgebot. Dadur<strong>ch</strong>, daß mit dem Freiheitsverzi<strong>ch</strong>t<br />

eine Leistung erbra<strong>ch</strong>t wird, erstarkt die bloße Vorteilhaftigkeit zu einem Anspru<strong>ch</strong><br />

auf Gegenleistung. Es gibt keine Handlungsalternativen mehr; <strong>der</strong> Freiheitsverzi<strong>ch</strong>t<br />

gilt als absolutes Klugheitsgebot. Der Anspru<strong>ch</strong>, also die Befugnis, den Freiheits-<br />

und Integritätsbestand au<strong>ch</strong> einzufor<strong>der</strong>n, bedeutet, daß die natürli<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

in <strong>der</strong> Form vorpositiver Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te auftritt. Mit dem Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>t<br />

verbunden ist ein moralis<strong>ch</strong>es Selbstverteidigungsre<strong>ch</strong>t, das jedem Mens<strong>ch</strong>en<br />

kraft seines Mens<strong>ch</strong>seins zukommt. Je<strong>der</strong> darf si<strong>ch</strong> gegen das Töten, Beleidigen o<strong>der</strong><br />

Bestehlen an<strong>der</strong>er verteidigen (Zwangsbefugnis). An<strong>der</strong>s als die spontane Selbstregulierung<br />

des primären Naturzustandes bildet <strong>der</strong> so umrissene sekundäre Naturzustand<br />

eine vorpolitis<strong>ch</strong>e und vorinstitutionelle natürli<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>tsgemeins<strong>ch</strong>aft.<br />

327 Vgl. die überras<strong>ch</strong>ende Abgrenzung des Interessenbündels bei O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

(1987), S. 394: »These von natürli<strong>ch</strong>en, allen Mens<strong>ch</strong>en gemeinsamen Interessen«. Hier liegt ein<br />

gewisser Wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong> zu <strong>der</strong> Aussage auf S. 389, daß einige Mens<strong>ch</strong>en an Religion überhaupt<br />

kein Interesse haben.<br />

328 O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 382 ff.; zur Struktur des Ringtaus<strong>ch</strong>es als do ut des ut det<br />

siehe P.W. Heermann, Ringtaus<strong>ch</strong>, Taus<strong>ch</strong>ringe und multilaterales Bartering (1999), S. 183 f.<br />

329 O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 393 spri<strong>ch</strong>t von einem 'dia<strong>ch</strong>ronen Freiheitstaus<strong>ch</strong>'.<br />

Die hier bevorzugte Entgegensetzung von syn<strong>ch</strong>ron mit asyn<strong>ch</strong>ron ist demgegenüber ni<strong>ch</strong>t ri<strong>ch</strong>tiger,<br />

son<strong>der</strong>n übli<strong>ch</strong>er.<br />

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