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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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ein Regel-Ausnahme-Verhältnis andeutet, son<strong>der</strong>n vielmehr ein Einzelergebnis <strong>der</strong><br />

Verteilungsgere<strong>ch</strong>tigkeit 104 . Den Formen <strong>der</strong> Einzelfallgere<strong>ch</strong>tigkeit soll hier ni<strong>ch</strong>t<br />

weiter na<strong>ch</strong>gegangen werden.<br />

Interessant als Gegensatz zum weiten Begriff in D 1 ers<strong>ch</strong>eint vor allem <strong>der</strong> enge<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff, <strong>der</strong> von Radbru<strong>ch</strong> systematis<strong>ch</strong> bestimmt wurde und seitdem<br />

in <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Literatur große Verbreitung findet. Er soll hier juristis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff<br />

genannt werden. Der juristis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff versteht <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

als eine unter mehreren spezifis<strong>ch</strong>en Ideen des Re<strong>ch</strong>ts; er stellt <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

die Zweckmäßigkeit und Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit als Antinomien innerhalb <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsidee<br />

gegenüber 105 . Die so bestimmte <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Re<strong>ch</strong>tswert 'konkurriert' dann mit<br />

an<strong>der</strong>en Zielen, etwa <strong>der</strong> Effizienzsteigerung o<strong>der</strong> <strong>der</strong> staatli<strong>ch</strong>en Selbsterhaltung 106 .<br />

Außer bei Radbru<strong>ch</strong> finden si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> bei an<strong>der</strong>en Autoren ähnli<strong>ch</strong> antinomis<strong>ch</strong> bestimmte<br />

Re<strong>ch</strong>tsbegriffe; so stellt etwa Lucas <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> außerdem Freiheit,<br />

Gemeinwohl und Moralität gegenüber 107 . Eine abs<strong>ch</strong>ließende Liste dürfte si<strong>ch</strong> kaum<br />

befriedigend erstellen lassen, zumal si<strong>ch</strong> die Güter gegenseitig bedingen 108 .<br />

104 Gemeint ist hier <strong>der</strong> weite equity-Begriff im Sinne proportionaler Glei<strong>ch</strong>heit (equitable distribution).<br />

Enger ist demgegenüber <strong>der</strong> sozialpsy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>e Begriff <strong>der</strong> equity-Theory; dana<strong>ch</strong> ist equity »die<br />

Wahrnehmung, daß alle an <strong>der</strong> Beziehung beteiligten Personen einen im Verhältnis zu ihren Beiträgen<br />

relativ glei<strong>ch</strong>en Gewinn erhalten«; H.W. Bierhoff, Sozialpsy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

(1996), S. 4. In Kontinentaleuropa wird als 'equity' o<strong>der</strong> 'équité' gelegentli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> das<br />

Regel-Ausnahme-Verhältnis bezei<strong>ch</strong>net, das hier 'Billigkeit' heißen soll; so etwa P. Ricœur, Soimême<br />

comme un autre (1990), S. 305.<br />

105 G. Radbru<strong>ch</strong>, Gesetzli<strong>ch</strong>es Unre<strong>ch</strong>t und übergesetzli<strong>ch</strong>es Re<strong>ch</strong>t (1946), S. 345: »Neben die Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit<br />

treten ... Zweckmäßigkeit und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>«; <strong>der</strong>s., Re<strong>ch</strong>tsphilsophie (1973), S. 164 ff.<br />

(Antinomien <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsidee) sowie S. 142 f. (Zweck des Re<strong>ch</strong>ts). Genauso K. Engis<strong>ch</strong>, Auf <strong>der</strong> Su<strong>ch</strong>e<br />

na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1971), S. 186 ff.; F. Bydlinski, Juristis<strong>ch</strong>e Methodenlehre und Re<strong>ch</strong>tsbegriff<br />

(1982), S. 325 ff. Ähnli<strong>ch</strong> H.L.A. Hart, Concept of Law (1961), S. 162: »Not only is this [justice]<br />

distinct from other values whi<strong>ch</strong> laws may have or lack, but sometimes the demands of justice<br />

may conflict with other values.« Hart erwähnt das Interesse an Generalprävention, die öffentli<strong>ch</strong>e<br />

Si<strong>ch</strong>erheit, den Wohlstand, die Funktionsfähigkeit des Geri<strong>ch</strong>tswesens, die Kosten <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsdur<strong>ch</strong>setzung;<br />

I. Tammelo, Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1977), S. 81: »Neben <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> gibt es<br />

au<strong>ch</strong> an<strong>der</strong>e Leitwerte des Re<strong>ch</strong>ts, vor allem die Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit, die re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Zweckmäßigkeit,<br />

das im Re<strong>ch</strong>tswege erzielbare Gemeinwohl und au<strong>ch</strong> die Billigkeit.« Ausdrückli<strong>ch</strong>e Hervorhebungen<br />

<strong>der</strong> Differenz zwis<strong>ch</strong>en Ri<strong>ch</strong>tigkeit und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> etwa bei D.D. Raphael, Justice and<br />

Liberty (1980), S. 111: »If so, he [Rawls] is regarding his theory as one of rightness, not of justice or<br />

fairness as commonly un<strong>der</strong>stood.« Au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Huster gibt es in <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsdogmatik 'spezifis<strong>ch</strong>e<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgebote', die mit Erwägungen kollektiven Wohls kollidieren können; S. Huster, Re<strong>ch</strong>te<br />

und Ziele (1993), S. 221. Vgl. au<strong>ch</strong> W. Hoffmann-Riem, Wahrheit, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, Unabhängigkeit<br />

und Effizienz (1997), S. 1 f. Verwe<strong>ch</strong>slungsgefahr besteht zwis<strong>ch</strong>en den hier gemeinten (re<strong>ch</strong>tstheoretis<strong>ch</strong>en)<br />

Antinomien innerhalb <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsidee und den ebenfalls als 'Antinomien im Re<strong>ch</strong>t'<br />

diskutierten (re<strong>ch</strong>tsdogmatis<strong>ch</strong>en) Wi<strong>der</strong>sprü<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>keiten innerhalb einzelner Re<strong>ch</strong>tsgebiete; vgl.<br />

die Beiträge in dem von C. Perelman herausgegebenen Sammelband 'Les Antinomies en Droit'<br />

(1965), insbeson<strong>der</strong>e die dortige Definition von P. Foriers, Les Antinomies en Droit (1965), S. 20:<br />

»realer o<strong>der</strong> s<strong>ch</strong>einbarer Wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en zwei Re<strong>ch</strong>tsnormen«.<br />

106 Vgl. G. Radbru<strong>ch</strong>, Re<strong>ch</strong>tsphilosophie (1973), S. 164 f.; J.R. Lucas, Principles of Politics (1966), S. 238:<br />

Ein reales Beispiel 'ungere<strong>ch</strong>ter' Maßnahmen, die im Interesse staatli<strong>ch</strong>er Selbsterhaltung dur<strong>ch</strong>geführt<br />

wurden, liege in <strong>der</strong> Internierung von Personen japanis<strong>ch</strong>er Abstammung in den Vereinigten<br />

Staaten während des zweiten Weltkriegs.<br />

107 Vgl. J.R. Lucas, Principles of Politics (1966), S. 233 ff. Beson<strong>der</strong>s eindringli<strong>ch</strong> seine Gegenüberstellung<br />

von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> und Freiheit (S. 242): »Freedom is radically different from Justice, and we<br />

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