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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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3. Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Unabweisbarkeit (T.M. Scanlon)<br />

a) Das Scanlon-Kriterium (T S )<br />

Einen an<strong>der</strong>en Ansatz des kantis<strong>ch</strong>en Kontraktualismus vertritt Scanlon. Im Gegensatz<br />

zum Rawlss<strong>ch</strong>en Urzustand geht er von wohlinformierten Personen in einer Situation<br />

glei<strong>ch</strong>er Ma<strong>ch</strong>t, garantiert dur<strong>ch</strong> ein Vetore<strong>ch</strong>t, aus. Ihr geda<strong>ch</strong>ter Sozialvertrag<br />

bezieht si<strong>ch</strong> auf diejenigen Vereinbarungen, die si<strong>ch</strong> vernünftigerweise ni<strong>ch</strong>t zurückweisen<br />

lassen. Scanlon formuliert hierfür ein allgemeines Theorem über die<br />

Fals<strong>ch</strong>heit sozialbezogenen Handelns (Ungere<strong>ch</strong>tigkeit). Im Umkehrs<strong>ch</strong>luß läßt si<strong>ch</strong><br />

daraus ableiten, wann sozialbezogenes Handeln ri<strong>ch</strong>tig ist (<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>). Das<br />

Theorem lautet in wörtli<strong>ch</strong>er Übersetzung 412 :<br />

T S :<br />

Eine Handlung ist fals<strong>ch</strong>, wenn ihre Ausführung unter<br />

den Umständen von jedem Regelsystem zur Verhaltensregelung<br />

verboten würde, das niemand vernünftigerweise<br />

als Grundlage einer informierten, unerzwungenen,<br />

allgemeinen Vereinbarung zurückweisen könnte.<br />

b) Die Voraussetzung <strong>der</strong> Unerzwungenheit<br />

Scanlon sieht den hypothetis<strong>ch</strong>en Vertrag (die 'allgemeine Vereinbarung') als 'unerzwungen'<br />

(unforced) an. Das entspri<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> kontraktualistis<strong>ch</strong>en Vorstellung, daß nur<br />

eine freiwillige Ents<strong>ch</strong>eidung binden kann 413 . Es s<strong>ch</strong>ließt jedenfalls aus, einen Teilnehmer<br />

zur Zustimmung zu zwingen. Do<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Scanlon verbirgt si<strong>ch</strong> in dem Kriterium<br />

<strong>der</strong> Unerzwungenheit no<strong>ch</strong> mehr. Es soll außerdem auss<strong>ch</strong>ließen, daß si<strong>ch</strong> jemand<br />

in einer s<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>eren Verhandlungsposition (weak bargaining position) befindet,<br />

weil dann an<strong>der</strong>e auf besseren Vertragsbedingungen bestehen könnten 414 . Das Scanlon-Kriterium<br />

enthält damit, ohne daß dies aus seiner Formulierung sofort deutli<strong>ch</strong><br />

würde, bereits das Element substantieller Glei<strong>ch</strong>heit <strong>der</strong> Beteiligten als Voraussetzung.<br />

Man kann sagen, daß insoweit eine Annäherung an Rawls Modell eines egalitär<br />

definierten Urzustandes besteht.<br />

III. Beoba<strong>ch</strong>ter- und an<strong>der</strong>e Standpunkttheorien<br />

Das Darstellungsmittel des Beoba<strong>ch</strong>ters präsentiert eine als Person geda<strong>ch</strong>te Beurteilungseinheit<br />

in <strong>der</strong> Außenperspektive 415 . Die Unparteili<strong>ch</strong>keit, die für <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong><br />

412 Im englis<strong>ch</strong>en Original bei T.M. Scanlon, Contractualism and Utilitarianism (1982), S. 110 lautet<br />

das Theorem: »An act is wrong if its performance un<strong>der</strong> the circumstances would be disallowed<br />

by any system of rules for the regulation of behaviour whi<strong>ch</strong> no one could reasonably reject as a<br />

basis for informed, unforced general agreement.«<br />

413 Vgl. oben S. 98 (Rationalitätskonzept des Vertrags).<br />

414 T.M. Scanlon, Contractualism and Utilitarianism (1982), S. 111.<br />

415 Beispielsweise K. Baier, Standpunkt <strong>der</strong> Moral (1958), S. 191: »Regeln ... sind dem Vorteil von je<strong>der</strong>mann<br />

ohne Unters<strong>ch</strong>ied dienli<strong>ch</strong> ... , wenn wir diese Regeln vom Standpunkt <strong>der</strong> Moral aus<br />

betra<strong>ch</strong>ten, d.h. vom Standpunkt eines unabhängigen, vorurteilslosen, unparteili<strong>ch</strong>en, objektiven,<br />

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