Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
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Im Ergebnis bleibt festzuhalten: Die <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en Grundposition<br />
sind explizit – o<strong>der</strong> bei älteren Sozialvertragstheorien implizit – <strong>Theorien</strong> des rationalen<br />
Ents<strong>ch</strong>eidens (rational <strong>ch</strong>oice theories, decision theories). Als Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien<br />
beurteilen sie die Ri<strong>ch</strong>tigkeit einer Handlungsweise allein mit individueller<br />
Nutzenmaximierung. Trotz des gemeinsamen methodis<strong>ch</strong>en Ausgangspunktes begründen<br />
diese <strong>Theorien</strong> sehr unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Ergebnisse als gere<strong>ch</strong>t o<strong>der</strong> ungere<strong>ch</strong>t,<br />
je na<strong>ch</strong>dem, wel<strong>ch</strong>es Nutzenkalkül bei <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidung zugrundegelegt wird.<br />
D. <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en Grundposition (Universalität)<br />
I. Charakteristika (T K D 1K D 4K )<br />
Den <strong>Theorien</strong> mit kantis<strong>ch</strong>er Grundposition ist eigentümli<strong>ch</strong>, daß sie, glei<strong>ch</strong> den<br />
<strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en Tradition, Handlungen ungea<strong>ch</strong>tet <strong>der</strong> (axiologis<strong>ch</strong>en)<br />
Werthaftigkeit <strong>der</strong> sozialen Ordnung, die si<strong>ch</strong> aus ihnen ergibt, für si<strong>ch</strong> betra<strong>ch</strong>tet als<br />
(deontologis<strong>ch</strong>) ri<strong>ch</strong>tig o<strong>der</strong> fals<strong>ch</strong> beurteilen. Im Gegensatz zur hobbesianis<strong>ch</strong>en<br />
Begründung <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit einer Handlungsweise ist aber ni<strong>ch</strong>t die individuelle Nutzenmaximierung<br />
das Ri<strong>ch</strong>tigkeitskriterium. Der kantis<strong>ch</strong>en Grundposition ist vielmehr<br />
das Prinzip <strong>der</strong> Universalität eigentümli<strong>ch</strong>, verstanden als Geltung für alle 344 .<br />
Die Idee <strong>der</strong> Universalisierbarkeit wird dabei sehr unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> gedeutet. Auf die<br />
wi<strong>ch</strong>tigsten Unters<strong>ch</strong>iede zwis<strong>ch</strong>en Sozialvertrags-, Beoba<strong>ch</strong>ter- und Diskurstheorien<br />
wird no<strong>ch</strong> einzugehen sein. Für Kant selbst ist die enge Verbindung <strong>der</strong> Universalität<br />
mit dem Begriff <strong>der</strong> Autonomie kennzei<strong>ch</strong>nend 345 . Die Autonomie ist dabei einerseits<br />
eine private, na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> je<strong>der</strong> individuell eine Konzeption des Ri<strong>ch</strong>tigen und Gere<strong>ch</strong>ten<br />
wählt und realisiert. Sie ist an<strong>der</strong>erseits eine öffentli<strong>ch</strong>e, na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> je<strong>der</strong> mit<br />
an<strong>der</strong>en eine politis<strong>ch</strong>e Konzeption des Ri<strong>ch</strong>tigen und Gere<strong>ch</strong>ten wählt und realisiert<br />
346 .<br />
Im Gegensatz zum Eigennutz-Axiom <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en Grundposition läßt<br />
si<strong>ch</strong> das Universalitäts-Axiom <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en Grundposition in folgendem Theorem<br />
ausdrücken:<br />
T K :<br />
Die Handlung X einer Person P ist genau dann ri<strong>ch</strong>tig,<br />
wenn sie si<strong>ch</strong> für alle als ri<strong>ch</strong>tig erweist.<br />
Der Ri<strong>ch</strong>tigkeitsbegriff, <strong>der</strong> mit T K bes<strong>ch</strong>rieben ist, knüpft an die Anerkennung dur<strong>ch</strong><br />
alle an. Damit ist eine neue Grundkonstante angespro<strong>ch</strong>en, die in allen <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong><br />
kantis<strong>ch</strong>en Grundposition auftritt: die <strong>der</strong> Unparteili<strong>ch</strong>keit (impartiality). Die Unparteili<strong>ch</strong>keit<br />
eines Ergebnisses verbürgt entwe<strong>der</strong> <strong>der</strong> Konsens (Sozialvertrags-, Dis-<br />
344 Vgl. den kategoris<strong>ch</strong>en Imperativ bei I. Kant, KpV (1788), A 54: »Handle so, daß die Maxime deines<br />
Willens je<strong>der</strong>zeit zuglei<strong>ch</strong> als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.«<br />
345 Vgl. I. Kant, KpV (1788), A 58: »Die Autonomie des Willens ist das alleinige Prinzip aller moralis<strong>ch</strong>en<br />
Gesetze und <strong>der</strong> ihnen gemäßen Pfli<strong>ch</strong>ten; alle Heteronomie <strong>der</strong> Willkür gründet dagegen<br />
ni<strong>ch</strong>t allein gar keine Verbindli<strong>ch</strong>keit, son<strong>der</strong>n ist vielmehr dem Prinzip <strong>der</strong>selben und <strong>der</strong> Sittli<strong>ch</strong>keit<br />
des Willens entgegen.«<br />
346 Zur öffentli<strong>ch</strong>en Autonomie siehe R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 127.<br />
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