16.04.2014 Aufrufe

Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

alis<strong>ch</strong> Handelnde die eigene Konzeption des Guten unter den Vorbehalt, daß diese<br />

mit den konkurrierenden Konzeptionen an<strong>der</strong>er vereinbar ist.<br />

Moralis<strong>ch</strong>e Konflikte entstehen dadur<strong>ch</strong>, daß Personen eine unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e<br />

Vorstellung davon haben, wel<strong>ch</strong>e Verhaltensregeln für alle begründet sind und darum<br />

gelten sollten. Die Lösung moralis<strong>ch</strong>er Konflikte ges<strong>ch</strong>ieht dur<strong>ch</strong> die Etablierung<br />

von Verhaltensnormen, d.h. vor allem dur<strong>ch</strong> zwingende Re<strong>ch</strong>tsnormen, aber au<strong>ch</strong><br />

dur<strong>ch</strong> Konventionsbildung in Politik und Gesells<strong>ch</strong>aft 262 .<br />

Unter den Grundpositionen <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie ist die kantis<strong>ch</strong>e diejenige,<br />

die den moralis<strong>ch</strong>en Vernunftgebrau<strong>ch</strong> am stärksten betont. Wie<strong>der</strong>um gilt, daß<br />

au<strong>ch</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en und aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition dem moralis<strong>ch</strong>en<br />

Vernunftgebrau<strong>ch</strong> Platz einräumen können, dann aber nur innerhalb eines<br />

Handlungsrahmens, <strong>der</strong> pragmatis<strong>ch</strong> (Moralität als Bedürfnis) o<strong>der</strong> ethis<strong>ch</strong> (Moralität<br />

als Identitätsbildung) begründet ist.<br />

Eine Beson<strong>der</strong>heit ergibt si<strong>ch</strong> beim Utilitarismus, denn dieser rekurriert einerseits<br />

auf moralis<strong>ch</strong>en Vernunftgebrau<strong>ch</strong>, weil si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Einzelne in seinen Bedürfnissen<br />

dem größeren Gemeinnutzen unterwerfen muß, insoweit also uneigennützig und in<br />

diesem Sinne 'moralis<strong>ch</strong>' handelt. Die vers<strong>ch</strong>iedenen Spielarten des Utilitarismus<br />

sind aber an<strong>der</strong>erseits ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en, son<strong>der</strong>n vielmehr <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en<br />

Grundposition zuzure<strong>ch</strong>nen, da es beim Utilitarismus allein um die Verwirkli<strong>ch</strong>ung<br />

einer formal definierten Konzeption des Guten – des 'größten Glücks <strong>der</strong> größten<br />

Zahl' 263 – geht, so daß si<strong>ch</strong> jede 'moralis<strong>ch</strong>e' Uneigennützigkeit im Utilitarismus einem<br />

Gemeinwohlideal unterordnet.<br />

dd) Ergebnisse<br />

Wenn die <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en Grundposition s<strong>ch</strong>lagwortartig als 'moralis<strong>ch</strong>' gekennzei<strong>ch</strong>net<br />

werden, diejenigen <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en Grundposition demgegenüber<br />

als 'pragmatis<strong>ch</strong>' und die <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition als 'ethis<strong>ch</strong>',<br />

dann trifft das insoweit zu, als damit tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> <strong>der</strong>jenige Vernunftgebrau<strong>ch</strong> identifiziert<br />

ist, <strong>der</strong> bei den jeweiligen <strong>Theorien</strong> an erster Stelle steht, dem si<strong>ch</strong> also die an<strong>der</strong>en<br />

Gebrau<strong>ch</strong>sformen unterordnen. Fals<strong>ch</strong> wäre es indes, daraus zu s<strong>ch</strong>ließen,<br />

daß die <strong>Theorien</strong> nie an<strong>der</strong>e als die für sie kennzei<strong>ch</strong>nenden Gebrau<strong>ch</strong>sformen <strong>der</strong><br />

praktis<strong>ch</strong>en Vernunft zulassen. Eine kantis<strong>ch</strong>e Theorie kann dur<strong>ch</strong>aus Raum lassen<br />

für pragmatis<strong>ch</strong>e und ethis<strong>ch</strong>e Motive des Handelns, ebenso wie eine hobbesianis<strong>ch</strong>e<br />

262 Vgl. J. Habermas, Vom pragmatis<strong>ch</strong>en, ethis<strong>ch</strong>en und moralis<strong>ch</strong>en Gebrau<strong>ch</strong> <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft<br />

(1988), S. 117 f.<br />

263 Zum Prinzip <strong>der</strong> 'greatest happiness of the greatest number' bei Bentham siehe oben Fn. 6. Diese Gesamtnutzenmaximierung<br />

ist im Ergebnis mit <strong>der</strong> Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittsnutzenmaximierung (average utility)<br />

identis<strong>ch</strong>, weil es für das Nutzenmaximierungskriterium glei<strong>ch</strong>gültig ist, ob man nur eine Summe<br />

aller einzelnen Nutzenbeiträge bildet (Gesamtnutzenmaximierung), o<strong>der</strong> ob man no<strong>ch</strong> einen<br />

S<strong>ch</strong>ritt weiter geht und diese Nutzensumme hypothetis<strong>ch</strong> als glei<strong>ch</strong>mäßig verteilt denkt (Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittsnutzenmaximierung).<br />

In je<strong>der</strong> <strong>der</strong> beiden Betra<strong>ch</strong>tungen enspri<strong>ch</strong>t die Maximierung des<br />

insgesamt (ni<strong>ch</strong>t: individuell) gebildeten Nutzens <strong>der</strong>jenigen Si<strong>ch</strong>t, die gemeinhin als 'utilitaristis<strong>ch</strong>'<br />

bezei<strong>ch</strong>net wird. Es ist ni<strong>ch</strong>t ausges<strong>ch</strong>lossen, einen Utilitarismus zu formulieren, in dem<br />

die Gesamtnutzenmaximierung gegen an<strong>der</strong>e substantielle Ziele ausgetaus<strong>ch</strong>t wird, etwa gegen<br />

eine Mindestnutzenmaximierung, die dann dem Differenzprinzip bei Rawls sehr ähnli<strong>ch</strong> wäre; vgl.<br />

zum Ganzen D. Gauthier, Morals by Agreement (1986), S. 240 ff. (247).<br />

96

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!