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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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C. Zur Institutionalisierung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (Trittbrettfahrerproblem)<br />

Die Frage <strong>der</strong> Institutionalisierung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen gehört na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Mindestgehaltsthese<br />

zu den notwendigen Themen einer politis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie,<br />

denn die Theorie muß si<strong>ch</strong> gegenüber Konzepten des Anar<strong>ch</strong>ismus bewähren 112 .<br />

Das kann sie nur, wenn gezeigt wird, daß es überhaupt notwendig ist, staatli<strong>ch</strong>e<br />

Ma<strong>ch</strong>t auszuüben. Für die Notwendigkeit staatli<strong>ch</strong>er Ma<strong>ch</strong>tausübung gibt es Gründe,<br />

die keine bestimmte <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung voraussetzen, son<strong>der</strong>n si<strong>ch</strong> allein<br />

an Effizienzüberlegungen orientieren.<br />

Am Beispiel des Trittbrettfahrerproblems 113 läßt si<strong>ch</strong> zeigen, warum handlungsleitende<br />

Normen in die Re<strong>ch</strong>tsform überführt und dadur<strong>ch</strong> mit staatli<strong>ch</strong>em Zwang<br />

sanktioniert werden müssen. Ohne eine sol<strong>ch</strong>e Institutionalisierung <strong>der</strong> Normen<br />

wäre es für den einzelnen am vorteilhaftesten, von allen an<strong>der</strong>en die Einhaltung <strong>der</strong><br />

Normen zu erwarten, si<strong>ch</strong> selbst aber ni<strong>ch</strong>t an sie zu halten. Wenn beispielsweise alle<br />

an<strong>der</strong>en für ein öffentli<strong>ch</strong>es Verkehrsmittel zahlen, i<strong>ch</strong> selbst aber s<strong>ch</strong>warzfahre, so<br />

ist das die für mi<strong>ch</strong> vorteilhafteste Lösung, bei <strong>der</strong> i<strong>ch</strong> ein gutes Nahverkehrsnetz<br />

ohne eigene Kosten nutzen kann. Wäre dies zulässig, würde also ein für alle wirksamer<br />

Zwang fehlen, so wäre mein Vorteil aber s<strong>ch</strong>nell verloren, denn dann würden<br />

au<strong>ch</strong> alle an<strong>der</strong>en die Zahlung einstellen und die Finanzierung des Nahverkehrs brä<strong>ch</strong>e<br />

zusammen. Ohne einen wirksamen Zwang befinde i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> folgli<strong>ch</strong> in einem<br />

Dilemma, dem Trittbrett- o<strong>der</strong> S<strong>ch</strong>warzfahrerdilemma. Dem anar<strong>ch</strong>istis<strong>ch</strong>en Ideal<br />

<strong>der</strong> Freiheit von staatli<strong>ch</strong>en Zwängen läßt si<strong>ch</strong> deshalb entgegenhalten: Nur die Institutionalisierung<br />

von Normen, ihre Bewehrung mit staatli<strong>ch</strong>em Zwang, kann die<br />

Normdur<strong>ch</strong>setzung und damit die Realisierung von Kooperationsgewinnen in <strong>der</strong><br />

Gemeins<strong>ch</strong>aft si<strong>ch</strong>ern 114 .<br />

Dem ist von Mi<strong>ch</strong>ael Taylor entgegengehalten worden, daß <strong>der</strong> positive Altruismus<br />

und die freiwillige Kooperationsbereits<strong>ch</strong>aft nur deshalb so s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong> seien, weil<br />

<strong>der</strong> Staat si<strong>ch</strong> bereits regelnd eingemis<strong>ch</strong>t habe 115 . Der Staat sei wie eine sü<strong>ch</strong>tigma<strong>ch</strong>ende<br />

Droge: er werde erst dadur<strong>ch</strong> notwendig, daß man in eine Abhängigkeit gerate,<br />

die dur<strong>ch</strong> den Staat selbst erzeugt sei 116 . Angesi<strong>ch</strong>ts <strong>der</strong> Empfindli<strong>ch</strong>keit <strong>der</strong><br />

altruistis<strong>ch</strong>en Balance ist dieser Einwand indes ni<strong>ch</strong>t plausibel: S<strong>ch</strong>on wenige offen<br />

und sanktionslos agierende S<strong>ch</strong>warzfahrer könnten genügen, um eine Kettenreaktion<br />

112 Dazu oben S. 117 (Mindestgehaltsthese); vgl. A. de Jasay, Social Contract Free Ride (1989), S. 205 ff.<br />

– unfairness of anar<strong>ch</strong>y.<br />

113 Dazu etwa M. Olson, The Logic of Collective Action (1965), S. 2: »[E]ven if all of the individuals in<br />

a large group are rational and self-interested, and would gain if, as a group, they acted to a<strong>ch</strong>ieve<br />

their common interest or objective, they will still not voluntarily act to a<strong>ch</strong>ieve that common or<br />

group interest.« Fallbeispiele bei G.J. Hardin, The Tragedy of the Commons (1986), S. 1243 ff.<br />

114 Vgl. H.L.A. Hart, Concept of Law (1961), S. 91 – Notwendigkeit autoritativer Ents<strong>ch</strong>eidung über<br />

Regelverletzung.<br />

115 M. Taylor, Anar<strong>ch</strong>y and Cooperation (1976), S. 134.<br />

116 M. Taylor, Anar<strong>ch</strong>y and Cooperation (1976), S. 134.<br />

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