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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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dur<strong>ch</strong> Condorcet 84 und später als generelles Phänomen von Arrow formuliert wurde 85 ,<br />

besagt, daß si<strong>ch</strong> aus vollständigen und transitiven Präferenzordnungen von Einzelnen<br />

ni<strong>ch</strong>t immer eine vollständige und transitive Präferenzordnung <strong>der</strong> Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

ermitteln läßt – im kollektiven Resultat wird unter Umständen »jede Alternative<br />

gegenüber je<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en bevorzugt« 86 . Das Wählerparadoxon führt dazu, daß es<br />

für jeden einzelnen Wahlbere<strong>ch</strong>tigten irrational ist, überhaupt an <strong>der</strong> Wahl teilzunehmen<br />

87 . Irrational ist außerdem <strong>der</strong> bei einer Wahlteilnahme entstehende Aufwand<br />

im Verglei<strong>ch</strong> zu den verna<strong>ch</strong>lässigbar geringen Chancen einer Wahlbeeinflussung<br />

dur<strong>ch</strong> die einzelne Stimmabgabe 88 . Denno<strong>ch</strong> nehmen die meisten Wahlbere<strong>ch</strong>tigten<br />

jedenfalls gelegentli<strong>ch</strong> an Wahlen teil. In einigen Staaten wird das dur<strong>ch</strong> eine<br />

sanktionsbewehrte Wahlpfli<strong>ch</strong>t errei<strong>ch</strong>t, die aber die wahre Wahlbeteiligung verdeckt<br />

und damit eigene Na<strong>ch</strong>teile hat. In den übrigen Staaten ist die Wahlbeteiligung<br />

hingegen mit einem vorteilsorientierten Verhalten ni<strong>ch</strong>t zu erklären 89 , es sei<br />

denn, man betra<strong>ch</strong>tet Moralität selbst als vorteilhaft 90 . Die politis<strong>ch</strong>e Kooperation ist<br />

vielmehr, wie bei den Beiträgen zu öffentli<strong>ch</strong>en Gütern, dadur<strong>ch</strong> begründet, daß die<br />

Bürger zumindest teilweise aus sittli<strong>ch</strong>en 91 o<strong>der</strong> moralis<strong>ch</strong>en Motiven handeln 92 : Sie<br />

nehmen den Aufwand ni<strong>ch</strong>t aus Eigennutz (d.h. hobbesianis<strong>ch</strong>) auf si<strong>ch</strong>, son<strong>der</strong>n um<br />

gute Bürger zu sein (d.h. aristotelis<strong>ch</strong>) o<strong>der</strong> um ihren Bürgerpfli<strong>ch</strong>ten zu genügen<br />

(d.h. kantis<strong>ch</strong>). Der 'perfekte Privatier' ist ein für die demokratis<strong>ch</strong>e Ordnung inadäquates<br />

Modell 93 .<br />

84 Condorcet, Essai sur l'Application de l'Analyse la Probabilité des Décisions la Pluralité des Voix<br />

(1785); vgl. dazu J.S. Kelly, Social Choice Theory (1988), S. 15 ff.; L. Kern/J. Nida-Rümelin, Logik kollektiver<br />

Ents<strong>ch</strong>eidungen (1994), S. 29 ff.<br />

85 'Impossibility theorem'; K.J. Arrow, Social Choice and Individual Values (1951); vgl. dazu L. Kern/J.<br />

Nida-Rümelin, Logik kollektiver Ents<strong>ch</strong>eidungen (1994), S. 27 ff.; A.R. S<strong>ch</strong>otter, Microeconomics<br />

(1997), S. 604 ff.<br />

86 L. Kern/J. Nida-Rümelin, Logik kollektiver Ents<strong>ch</strong>eidungen (1994), S. 29, mit <strong>der</strong> Eins<strong>ch</strong>ränkung<br />

(S. 39), daß si<strong>ch</strong> in 94% aller mögli<strong>ch</strong>en Präferenzstrukturen ni<strong>ch</strong>t-zyklis<strong>ch</strong>e und damit konsistente<br />

kollektive Resultate ergeben.<br />

87 D.C. Mueller, Public Choice II (1989), S. 361.<br />

88 Ausführli<strong>ch</strong>e Analyse bei J.C. Harsanyi, Rule Utilitarianism, Rights, Obligations and the Theory of<br />

Rational Behavior (1980), S. 115 ff., 129 ff.<br />

89 B. Ackerman, We The People (1991), S. 236 ff. m.w.N., am Beispiel <strong>der</strong> U.S.A. S. 311: »The problem<br />

comes when the 'public <strong>ch</strong>oice' perspective mistakes this part of politics [the pursuit of selfinterest]<br />

for the whole. Perfect privatism is a crucial part of the problem of American politics, not<br />

the keystone of its constitutional solution.«<br />

90 Dazu oben S. 154 (Utilitarismus von Harsanyi).<br />

91 B. Ackerman, We The People (1991), S. 239: »[W]hile a mo<strong>der</strong>n democracy must learn to economize<br />

on public-regarding virtue, there can be no hope of doing without it entirely«; sowie S. 236: »I<br />

shall [insist] against some fashionable economist views, on the absolute necessity of a certain kind<br />

of virtue in the normal operation of the democratic system.« Ausführli<strong>ch</strong> dazu D.C. Mueller, Public<br />

Choice II (1989), S. 361 ff. m.w.N.<br />

92 So im Ergebnis au<strong>ch</strong> J.C. Harsanyi, Rule Utilitarianism, Rights, Obligations and the Theory of Rational<br />

Behavior (1980), S. 129 f., allerdings mit regelutilitaristis<strong>ch</strong>er Rückführung auf ein Nutzenkalkül.<br />

Vgl. oben S. 269 (Kritik am Utilitarismus als <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie).<br />

93 B. Ackerman, We The People (1991), S. 298 – perfect privatist.<br />

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