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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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te Regeln <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> regelmäßig negativ formuliert, also als Regeln über Ungere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

139 . Die politis<strong>ch</strong>e Philosophie sei s<strong>ch</strong>on aus Gründen <strong>der</strong> Bestimmtheit<br />

besser beraten, na<strong>ch</strong> Verfahren zur Vermeidung von Ungere<strong>ch</strong>tigkeit zu su<strong>ch</strong>en, statt<br />

si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> unbestimmten Vielfalt gere<strong>ch</strong>ter Lösungen auszuliefern 140 . Sowohl psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong><br />

als au<strong>ch</strong> moralis<strong>ch</strong> verdienten Fragen <strong>der</strong> Ungere<strong>ch</strong>tigkeit Priorität gegenüber<br />

Fragen <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 141 . Folgli<strong>ch</strong> sei ein Blickwe<strong>ch</strong>sel von <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

hin zur Ungere<strong>ch</strong>tigkeit geboten.<br />

Diese Kritik ist nur dann überhaupt verständli<strong>ch</strong>, wenn unter Ungere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

etwas an<strong>der</strong>es als Ni<strong>ch</strong>tgere<strong>ch</strong>tigkeit verstanden wird 142 . Denn an<strong>der</strong>nfalls wäre in<br />

<strong>der</strong> Untersu<strong>ch</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> immer au<strong>ch</strong> eine spiegelbildli<strong>ch</strong>e Untersu<strong>ch</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Ungere<strong>ch</strong>tigkeit enthalten. Dementspre<strong>ch</strong>end wird von den Proponenten <strong>der</strong><br />

Kritik unter Ungere<strong>ch</strong>tigkeit eine Art gesteigerter Ni<strong>ch</strong>tgere<strong>ch</strong>tigkeit verstanden. Gegenstand<br />

<strong>der</strong> Ungere<strong>ch</strong>tigkeitsfors<strong>ch</strong>ung soll ni<strong>ch</strong>t einfa<strong>ch</strong> das sein, was einer Legitimation<br />

als 'gere<strong>ch</strong>t' entzogen ist, son<strong>der</strong>n vielmehr das, was als Diskriminierung für<br />

einzelne Gruppen von Bena<strong>ch</strong>teiligten beson<strong>der</strong>s s<strong>ch</strong>wer wiegt.<br />

An <strong>der</strong> Kritik ist ri<strong>ch</strong>tig, daß man si<strong>ch</strong> (negativ) über das Bestehen von Ungere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

häufig lei<strong>ch</strong>ter einigen kann als (positiv) über das von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 143 . So<br />

lassen denn au<strong>ch</strong> gegenwärtige <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien konkrete Aussagen über gebotene<br />

Än<strong>der</strong>ungen in Staat und Gesells<strong>ch</strong>aft regelmäßig vermissen. Es mag au<strong>ch</strong><br />

ri<strong>ch</strong>tig sein, daß unter <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Ungere<strong>ch</strong>tigkeit an<strong>der</strong>e Fragen gestellt<br />

werden als in <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 144 . Fals<strong>ch</strong> ist hingegen, daß konkrete <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sregeln<br />

si<strong>ch</strong> nur negativ formulieren ließen 145 . Au<strong>ch</strong> kann ni<strong>ch</strong>t gefolgert<br />

werden, eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie müsse si<strong>ch</strong> allein einzelnen Diskriminierungsfragen<br />

widmen, um soziale Relevanz zu entfalten. Es ist wi<strong>ch</strong>tig, den Regelfall <strong>der</strong> ri<strong>ch</strong>tigen<br />

Erzeugung von gere<strong>ch</strong>ten Ergebnissen zu analysieren. Gerade darin liegt ein<br />

bere<strong>ch</strong>tigtes Anliegen <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tspraxis an die Re<strong>ch</strong>tstheorie. Die Ungere<strong>ch</strong>tigkeitsfors<strong>ch</strong>ung<br />

ist ein wesentli<strong>ch</strong>er Teil <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tskritik – <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien kann sie<br />

indes ni<strong>ch</strong>t ersetzen. Entspre<strong>ch</strong>end ist au<strong>ch</strong> <strong>der</strong> eng verstandene Begriff <strong>der</strong> Ungere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

ni<strong>ch</strong>t taugli<strong>ch</strong> als Grundbegriff <strong>der</strong> <strong>Theorien</strong>. Vielmehr muß – wie übli<strong>ch</strong><br />

– unter Ungere<strong>ch</strong>tigkeit allein Ni<strong>ch</strong>tgere<strong>ch</strong>tigkeit verstanden werden. Grundbegriff<br />

einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie bleibt damit <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>.<br />

139 F.A. Hayek, Law, Legislation and Liberty, Bd. II (1976), S. 36; vgl. J.R. Lucas, On Justice (1980), S. 4<br />

ff. (4): »And therefore we should ... adopt a negative approa<strong>ch</strong>, discovering what justice is by consi<strong>der</strong>ing<br />

on what occasions we protest at injustice or unfairness.«<br />

140 J.R. Lucas, Principles of Politics (1966), S. 130, 234 – allerdings mit <strong>der</strong> Eins<strong>ch</strong>ränkung (S. 234), daß<br />

ein positives Begriffsverständnis als regulative Idee (»a goal of aspiration and a criterion of appraisal«)<br />

sowohl für Einzelents<strong>ch</strong>eidungen als au<strong>ch</strong> allgemeine Gesetze wirksam bleibt.<br />

141 T. Simon, Democracy and Social Injustice (1995), S. 16 ff.<br />

142 T. Simon, Democracy and Social Injustice (1995), S. 11 ff. – 'Separability Thesis'.<br />

143 O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 43; T. Simon, Democracy and Social Injustice (1995),<br />

S. 14.<br />

144 T. Simon, Democracy and Social Injustice (1995), S. 24.<br />

145 Vgl. O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 43 f. (Beispiele zur positiven Formulierung von<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sregeln); außerdem unten S. 203 (Zwei Prinzipien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> bei Rawls).<br />

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