Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
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keitsbegriff kein Kriterium für die Ri<strong>ch</strong>tigkeit staatli<strong>ch</strong>er Gesetze 75 , o<strong>der</strong> man bezieht<br />
ihn auf das vorpositive, 'ri<strong>ch</strong>tige' Re<strong>ch</strong>t 76 , dann wird <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> allgemeinen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />
zirkulär, denn Maßstäbe für ri<strong>ch</strong>tiges Re<strong>ch</strong>t können nur in den Formen<br />
<strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> gefunden werden. Wer heute von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im<br />
aristotelis<strong>ch</strong>en Sinne spri<strong>ch</strong>t, meint deshalb ni<strong>ch</strong>t Gesetzesgehorsam, son<strong>der</strong>n nur die<br />
beiden Formen <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> und damit letztli<strong>ch</strong> immer eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />
mit Glei<strong>ch</strong>heitsbezug.<br />
b) Zur Verteilungsgere<strong>ch</strong>tigkeit<br />
Au<strong>ch</strong> die zentrale Bedeutung <strong>der</strong> Verteilungsgere<strong>ch</strong>tigkeit (distributive justice), beson<strong>der</strong>s<br />
in <strong>der</strong> Form <strong>der</strong> sozialen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 77 , trägt dazu bei, daß <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heitsbezug<br />
zu den Kernelementen des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffs gere<strong>ch</strong>net wird. Die Verteilungsgere<strong>ch</strong>tigkeit<br />
ist in <strong>der</strong> Rezeption des aristotelis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffs so dominant,<br />
daß sie teils als die einzige, alles umfassende Form <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> angesehen<br />
wird 78 . Ein <strong>der</strong>art weiter Begriff <strong>der</strong> Verteilungsgere<strong>ch</strong>tigkeit entsteht, wenn man<br />
mit <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> die Verteilung ni<strong>ch</strong>t nur <strong>der</strong> materiellen Güter, son<strong>der</strong>n aller Vorund<br />
Na<strong>ch</strong>teile identifiziert – also beispielsweise au<strong>ch</strong> 'Güter' in Form von Freiheitsre<strong>ch</strong>ten<br />
und 'Lasten' in Gestalt von Steuerzahlungs- und Militärdienstpfli<strong>ch</strong>ten. Gerade<br />
in den empiris<strong>ch</strong>en Studien <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tssoziologie und Sozialpsy<strong>ch</strong>ologie wird<br />
Verteilungsgere<strong>ch</strong>tigkeit regelmäßig mit Ergebnisgere<strong>ch</strong>tigkeit (outcome justice) und<br />
substantieller <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (substantive justice) glei<strong>ch</strong>gesetzt. Au<strong>ch</strong> in <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en<br />
Philosophie wurde die Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> einem allgemeinsten Verteilungsprinzip dur<strong>ch</strong><br />
Rawls Differenzprinzip 79 neu angestoßen und illustriert das Gewi<strong>ch</strong>t, das die Verteilungsgere<strong>ch</strong>tigkeit<br />
hat. Je<strong>der</strong> Verteilung ist eine Glei<strong>ch</strong>heitsproblematik immanent –<br />
selbst für diejenigen, die den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff ohne das Element <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heit<br />
75 R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 103; W. Kersting, Re<strong>ch</strong>tsverbindli<strong>ch</strong>keit und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />
bei Thomas Hobbes (1998), S. 371.<br />
76 Zur Mögli<strong>ch</strong>keit einer an<strong>der</strong>en Bedeutung als <strong>der</strong> des staatli<strong>ch</strong>en Gesetzes vgl. P. Trude, Der Begriff<br />
<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>ts- und Staatsphilosophie (1955), S. 55: »Seine<br />
[des Wortes 'Gesetz'] begriffli<strong>ch</strong>e Bedeutung in <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en [Philosophie] ist vielmehr eine<br />
weitere, einerseits nämli<strong>ch</strong> die alte im Sinne von Sitte und Gewohnheit und an<strong>der</strong>erseits die neue<br />
im Sinne eines mit Zwangsgewalt verbundenen Gesetzes«. Sowie ebd., S. 57: »Die allgemeine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />
ist demna<strong>ch</strong> ... diejenige Art <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, wel<strong>ch</strong>e die Befolgung je<strong>der</strong> das Gemeins<strong>ch</strong>aftsleben<br />
regelnden Re<strong>ch</strong>tsnorm anordnet.«<br />
77 Soziale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> bezei<strong>ch</strong>net die gere<strong>ch</strong>te Verteilung von Gütern in einem Gemeinwesen. Das<br />
Verteilungsergebnis kann dabei außer dur<strong>ch</strong> Verteilungshandlungen (Distribution) au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong><br />
Ausglei<strong>ch</strong>shandlungen (Restitution) beeinflußt werden. Ähnli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> H.L.A. Hart, Concept of<br />
Law (1961), S. 162 f.<br />
78 So etwa bei R.M. Hare, Moralis<strong>ch</strong>es Denken (1981), S. 226; ebenfalls in diese Ri<strong>ch</strong>tung G. Del Vec<strong>ch</strong>io,<br />
Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1950), S. 59 (»erhabenste Einzelart«); R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />
(1991), S. 103 ff. (105): Die Verteilungsgere<strong>ch</strong>tigkeit betreffe die Gewährung von Vergünstigungen<br />
und die Auferlegung von Belastungen aller Art, d.h. die Verteilung von Re<strong>ch</strong>ten und Pfli<strong>ch</strong>ten,<br />
wobei es einen »engen Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en Problemen <strong>der</strong> Taus<strong>ch</strong>- und sol<strong>ch</strong>en <strong>der</strong> Verteilungsgere<strong>ch</strong>tigkeit«<br />
gebe. Zum Begriff <strong>der</strong> Verteilungsgere<strong>ch</strong>tigkeit M. Kriele, Kriterien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />
(1963), S. 45 ff. (46); J.R. Lucas, Principles of Politics (1966), S. 259; S. Huster, Re<strong>ch</strong>te und<br />
Ziele (1993), S. 203; R. Spaemann, Moralis<strong>ch</strong>e Grundbegriffe (1994), S. 50 ff.<br />
79 Dazu unten S. 203 (Zwei Prinzipien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />
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