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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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gere<strong>ch</strong>t ist, ist immer au<strong>ch</strong> gefor<strong>der</strong>t. Entspre<strong>ch</strong>end stellt si<strong>ch</strong> das Verlangen na<strong>ch</strong><br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> an<strong>der</strong>s dar als etwa das Verlangen na<strong>ch</strong> Gnade: <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> wird gefor<strong>der</strong>t,<br />

um Gnade muß man bitten.<br />

Der 'Pfli<strong>ch</strong>tigkeit' eines Handelns steht ni<strong>ch</strong>t entgegen, daß es vers<strong>ch</strong>iedene<br />

Handlungsweisen geben kann, die gere<strong>ch</strong>t sind. Bestimmte Fragen, zum Beispiel die<br />

Festsetzung des Wahlalters, lassen unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Antworten zu, die alle glei<strong>ch</strong>ermaßen<br />

gere<strong>ch</strong>t sind 57 . Die Pfli<strong>ch</strong>t bes<strong>ch</strong>ränkt si<strong>ch</strong> dann darauf, eine <strong>der</strong> gere<strong>ch</strong>ten<br />

Handlungen vorzunehmen. Dieses Phänomen <strong>der</strong> Uns<strong>ch</strong>ärfe des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteils<br />

tritt bei prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> auf, wenn es an einem verfahrensexternen<br />

Kriterium <strong>der</strong> Ergebnisgere<strong>ch</strong>tigkeit fehlt 58 .<br />

Obwohl vers<strong>ch</strong>iedene Handlungen gere<strong>ch</strong>t sein können, gibt es zwis<strong>ch</strong>en ihnen<br />

keine Grade <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>. Der Sollensbezug besteht ganz o<strong>der</strong> gar ni<strong>ch</strong>t. Bei <strong>der</strong><br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in D 1 kann ni<strong>ch</strong>t von einer gere<strong>ch</strong>ten, einer no<strong>ch</strong> gere<strong>ch</strong>teren und <strong>der</strong><br />

gere<strong>ch</strong>testen Handlung gespro<strong>ch</strong>en werden. Zwar gibt es umgangsspra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> die<br />

'gere<strong>ch</strong>teste Lösung', do<strong>ch</strong> ist eine sol<strong>ch</strong>e Formulierung nur ein Platzhalter für die<br />

genauere Aussage, daß es si<strong>ch</strong> um eine beson<strong>der</strong>s gut begründete Wahl unter mehreren<br />

gere<strong>ch</strong>ten Lösungen handelt. 'Gere<strong>ch</strong>t' ist kein graduelles Prädikat, son<strong>der</strong>n es ist<br />

wie je<strong>der</strong> Geltungsanspru<strong>ch</strong> »binär kodiert« 59 . Wie ein S<strong>ch</strong>wellenwert zeigt es an, ob<br />

eine Handlung no<strong>ch</strong> im erlaubten Berei<strong>ch</strong> liegt o<strong>der</strong> bereits in den moralis<strong>ch</strong>en Verbotsberei<strong>ch</strong><br />

<strong>der</strong> Ungere<strong>ch</strong>tigkeit ums<strong>ch</strong>lägt. Von einer einzelnen Handlung sagen<br />

wir deshalb ni<strong>ch</strong>t, sie sei 'fast gere<strong>ch</strong>t' o<strong>der</strong> 'äußerst gere<strong>ch</strong>t'. Zwis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

und Ungere<strong>ch</strong>tigkeit besteht vielmehr ein Verhältnis <strong>der</strong> exklusiven Alternativität. Eine<br />

Handlung ist entwe<strong>der</strong> gere<strong>ch</strong>t o<strong>der</strong> ungere<strong>ch</strong>t, eine Zwis<strong>ch</strong>enstufe gibt es begriffli<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t. Zwar können Situationen <strong>der</strong> Ungewißheit und Unents<strong>ch</strong>eidbarkeit<br />

ni<strong>ch</strong>t ausges<strong>ch</strong>lossen werden – sie treten sogar re<strong>ch</strong>t häufig auf. Wenn aber ein Urteil<br />

über die Frage <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ni<strong>ch</strong>t gefällt werden kann, so bedeutet dies, daß<br />

eine Pfli<strong>ch</strong>tigkeit des Handelns ni<strong>ch</strong>t zu begründen ist. Im Ergebnis muß diese<br />

Handlungsweise dann als gere<strong>ch</strong>t und erlaubt angesehen werden, denn es gilt au<strong>ch</strong><br />

umgekehrt: Was ni<strong>ch</strong>t ungere<strong>ch</strong>t ist, ist gere<strong>ch</strong>t.<br />

Gelegentli<strong>ch</strong> wird <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ni<strong>ch</strong>t nur deontologis<strong>ch</strong> als Pfli<strong>ch</strong>tigkeit, son<strong>der</strong>n<br />

au<strong>ch</strong> axiologis<strong>ch</strong> als Werthaftigkeit (bzw. personenbezogen als Tugendhaftigkeit) konzipiert<br />

60 . Man könnte den Unters<strong>ch</strong>ied folgen<strong>der</strong>maßen ausdrücken 61 :<br />

57 Mit diesem Beispiel J.R. Lucas, Principles of Politics (1966), S. 237.<br />

58 Dazu unten S. 127 (Formen <strong>der</strong> definitoris<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

59 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 284: »Geltungsansprü<strong>ch</strong>e sind binär kodiert und lassen<br />

ein Mehr o<strong>der</strong> Weniger ni<strong>ch</strong>t zu«.<br />

60 Deontologis<strong>ch</strong> sind Prädikate, die etwas als 'pfli<strong>ch</strong>tig' vors<strong>ch</strong>reiben (Präskription innerhalb einer<br />

Pfli<strong>ch</strong>tenlehre). Axiologis<strong>ch</strong> sind demgegenüber Prädikate, die etwas als 'gut' bewerten (Evaluation<br />

innerhalb einer Wertlehre). Zu einer Formalisierung dieses Unters<strong>ch</strong>ieds im <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff<br />

siehe N. Jansen, Struktur <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1998), S. 59.<br />

61 Vgl. oben S. 50 (handlungsbezogene Definition D 1 ); unten S. 75 (normbezogene Definition D 1N ).<br />

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