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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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Theorie im Einzelfall moralis<strong>ch</strong>es Verhalten als ri<strong>ch</strong>tig einzustufen vermag. Daher<br />

bleibt es dabei, daß die Grundpositionen <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie mit ihrer je beson<strong>der</strong>en<br />

Konzeption <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft das wi<strong>ch</strong>tigste Unters<strong>ch</strong>eidungsmerkmal<br />

von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien bilden; die einzelnen Gebrau<strong>ch</strong>sformen <strong>der</strong><br />

Vernunft ordnen si<strong>ch</strong> dem jeweils unter.<br />

e) Vertrags-, Beoba<strong>ch</strong>ter-, Diskurstheorien<br />

Übli<strong>ch</strong>erweise werden <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien – vor allem Sozialvertragstheorien 264 –<br />

na<strong>ch</strong> dem Darstellungsmittel klassifiziert, dessen sie si<strong>ch</strong> bedienen. Darum bedarf es<br />

einer Begründung dafür, daß dieser Unters<strong>ch</strong>eidung hier nur untergeordnete Bedeutung<br />

beigemessen wird. Den Ausgangspunkt <strong>der</strong> Begründung bildet die These, daß<br />

die Kategorien 'Vertrag', 'Beoba<strong>ch</strong>ter' und 'Diskurs' ni<strong>ch</strong>t nur vers<strong>ch</strong>iedene Darstellungsmittel,<br />

son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Rationalitätskonzepte identifizieren (bbdd),<br />

die indes mit dem Gebrau<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Kategorien als Darstellungsmittel ni<strong>ch</strong>t in allen<br />

<strong>Theorien</strong> zusammenfallen (aa, Divergenzthese). Eine Klassifizierung na<strong>ch</strong> Darstellungsmitteln<br />

ist deshalb für die Analyse von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien ni<strong>ch</strong>t aussagekräftig<br />

(ee, Indifferenzeinwand).<br />

aa) Darstellungsmittel und Rationalitätskonzept (Divergenzthese)<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien, zumindest diejenigen <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> 265 , arbeiten<br />

in aller Regel mit einem <strong>der</strong> drei Darstellungsmittel 'Vertrag', 'Beoba<strong>ch</strong>ter' o<strong>der</strong><br />

'Diskurs', sofern sie ni<strong>ch</strong>t auf ein beson<strong>der</strong>es Darstellungsmittel ganz verzi<strong>ch</strong>ten und<br />

argumentativ einen moralis<strong>ch</strong>en Standpunkt (moral point of view) einnehmen. 'Vertrag',<br />

'Beoba<strong>ch</strong>ter' und 'Diskurs' sind ni<strong>ch</strong>t nur Darstellungsmittel, son<strong>der</strong>n es gibt<br />

daneben au<strong>ch</strong> methodis<strong>ch</strong>e Unters<strong>ch</strong>iede, die mit diesen Kategorien identifiziert<br />

werden. So ist eine Diskurstheorie immer dialogis<strong>ch</strong> angelegt, d.h. sie begründet<br />

ri<strong>ch</strong>tiges Handeln mit dem Zusammenwirken mehrerer Personen, während eine Beoba<strong>ch</strong>tertheorie<br />

monologis<strong>ch</strong> vorgeht, die Begründung also in <strong>der</strong> Reflexion einer<br />

einzelnen Person sieht 266 . Man kann insoweit vom voluntativen (Vertrag), perspektivis<strong>ch</strong>en<br />

(Beoba<strong>ch</strong>ter) o<strong>der</strong> argumentativen Rationalitätskonzept (Diskurs) spre<strong>ch</strong>en.<br />

Die Divergenzthese besagt, daß eine Theorie, die ein bestimmtes Darstellungsmittel<br />

benutzt, keineswegs immer au<strong>ch</strong> das entspre<strong>ch</strong>ende Rationalitätskonzept zugrundelegt<br />

267 . Am deutli<strong>ch</strong>sten wird dies beim beliebtesten Darstellungsmittel, dem<br />

Vertrag. Eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie – glei<strong>ch</strong> ob sie die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Handelns perspektivis<strong>ch</strong><br />

(Beoba<strong>ch</strong>ter), voluntativ (Vertrag) o<strong>der</strong> argumentativ (Diskurs) begrün-<br />

264 Vgl. oben S. 22, Fn. 7 (neuere Arbeiten zu Sozialvertragstheorien). Zur ideenges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Bedeutung<br />

des Sozialvertrags als »Denkfigur« vgl. H. Dreier, Staatli<strong>ch</strong>e Legitimität, Grundgesetz<br />

und neue soziale Bewegung (1987), S. 149 m.w.N.<br />

265 Vgl. oben S. 78 (S<strong>ch</strong>werpunktthese).<br />

266 Dazu unten S. 211 ff. (dialogis<strong>ch</strong>es im Gegensatz zum monologis<strong>ch</strong>en Vorgehen).<br />

267 Ähnli<strong>ch</strong> W. Kersting, Die politis<strong>ch</strong>e Philosophie des Gesells<strong>ch</strong>aftsvertrags (1994), S. 45 f., <strong>der</strong> zwis<strong>ch</strong>en<br />

dem 'Darstellungsprogramm' und dem 'Begründungsprogramm' des philosophis<strong>ch</strong>en Kontraktualismus<br />

unters<strong>ch</strong>eidet.<br />

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