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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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c) Zur Anwendbarkeit des Scanlon-Kriteriums (T S )<br />

Um die gemeinte Unparteili<strong>ch</strong>keit inhaltli<strong>ch</strong> zu konkretisieren, greift Barry auf das<br />

Kriterium von Scanlon in T S zurück. Bestimmte Grundfreiheiten, etwa die in Rawls<br />

erstem <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzip N 1 (z.B. Meinungsäußerungsfreiheit, Religionsfreiheit),<br />

ließen si<strong>ch</strong> damit als <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sregeln <strong>der</strong> Unparteili<strong>ch</strong>keit begründen 444 . Denn<br />

eine auf eine Mehrheitsreligion bes<strong>ch</strong>ränkte Freiheit könne ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>lüssig als Grundlage<br />

für eine allgemeine Einigung angeboten werden, da au<strong>ch</strong> für die ausges<strong>ch</strong>lossene<br />

Min<strong>der</strong>heit die Religionsfreiheit so wi<strong>ch</strong>tig sei, daß sie eine Auss<strong>ch</strong>lußregelung<br />

vernünftigerweise zurückweisen müßte. Allgemein muß eine Sa<strong>ch</strong>frage, die wi<strong>ch</strong>tig<br />

für jeden ist, so dur<strong>ch</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sregeln bestimmt sein, daß je<strong>der</strong> ihr zustimmen<br />

könnte. Neben <strong>der</strong> religiösen sei deshalb beispielsweise au<strong>ch</strong> die sexuelle Toleranz<br />

als <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sregel geboten; Gesetze, die konsensualen homosexuellen Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tsverkehr<br />

verbieten, sind dana<strong>ch</strong> ungere<strong>ch</strong>t. Die '<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Unparteili<strong>ch</strong>keit'<br />

appelliert an die inhärente Fairneß sol<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sregeln, ni<strong>ch</strong>t an die<br />

mögli<strong>ch</strong>erweise dur<strong>ch</strong> sie för<strong>der</strong>baren Konzeptionen des Guten 445 . Na<strong>ch</strong> Barry gibt<br />

es keine Konzeption des Guten, die mit hinrei<strong>ch</strong>en<strong>der</strong> Gewißheit begründen könnte,<br />

warum ihre Glaubenssätze au<strong>ch</strong> für diejenigen verbindli<strong>ch</strong> sein sollen, die sie ablehnen<br />

446 .<br />

d) <strong>Prozedurale</strong> und substantielle Verfassungsregeln<br />

Zu den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sregeln, die in eine Verfassung aufzunehmen sind, zählt Barry<br />

neben den s<strong>ch</strong>on genannten Freiheiten <strong>der</strong> Religion und des konsensuellen Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tsverkehrs<br />

au<strong>ch</strong> die persönli<strong>ch</strong>e Freiheit, das Gebot des fairen Verfahrens, das<br />

Verbot <strong>der</strong> Folter, Grundregeln des politis<strong>ch</strong>en Systems zur Si<strong>ch</strong>erung gegen Mißbrau<strong>ch</strong><br />

dur<strong>ch</strong> die Regierung o<strong>der</strong> Parlamentsmehrheiten, die Meinungsäußerungsfreiheit<br />

und die Freiheit zur politis<strong>ch</strong>en Organisation 447 . Do<strong>ch</strong> führt das Kriterium in<br />

T S ni<strong>ch</strong>t in jedem Fall zu Freiheitsre<strong>ch</strong>ten. Au<strong>ch</strong> bestimmte Freiheitsbes<strong>ch</strong>ränkungen<br />

müßten als S<strong>ch</strong>utzansprü<strong>ch</strong>e aufgenommen und als Verbotstatbestand in den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sregeln<br />

berücksi<strong>ch</strong>tigt werden, etwa <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>utz gegen Räuberbanden, Kindesmißhandlung,<br />

Witwenverbrennung und Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tsverstümmelung 448 .<br />

Ni<strong>ch</strong>t alle dieser <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sregeln sollen si<strong>ch</strong> als prozedurale Garantien formulieren<br />

lassen 449 . Man<strong>ch</strong>mal sei es notwendig, ein bestimmtes Ergebnis verfassungskräftig<br />

festzus<strong>ch</strong>reiben, weil prozedurale Regeln keinen hinrei<strong>ch</strong>enden S<strong>ch</strong>utz<br />

444 Hierzu und zum folgenden B. Barry, Justice as Impartiality (1995), S. 70, 82 ff.<br />

445 Bestimmte (intolerante) Konzeptionen des Guten werden selten dur<strong>ch</strong> diese Art <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sregeln<br />

geför<strong>der</strong>t werden, finden si<strong>ch</strong> also häufiger dur<strong>ch</strong> Barrys <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie bes<strong>ch</strong>ränkt<br />

als an<strong>der</strong>e (tolerantere) Konzeptionen. Das ist na<strong>ch</strong> Barry dur<strong>ch</strong>aus gewollt; B. Barry, Justice<br />

as Impartiality (1995), S. 77; sowie S. 114: »We often find an elaborate rationalization of the<br />

indefensible. Slavery, for example, ... Since justice as impartiality requires the parties not to have<br />

false beliefs, it is hardly surprising that there should be people to whom it is not accessible, given<br />

their esxisting beliefs.«<br />

446 B. Barry, Justice as Impartiality (1995), S. 169.<br />

447 B. Barry, Justice as Impartiality (1995), S. 85.<br />

448 B. Barry, Justice as Impartiality (1995), S. 90 f.<br />

449 B. Barry, Justice as Impartiality (1995), S. 93.<br />

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