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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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17. Juristis<strong>ch</strong>e Verfahren lassen si<strong>ch</strong> sinnvoll als reale Diskurse begreifen. Anwendungsbedingungen<br />

und Verfahrensregeln können dann so formuliert werden,<br />

daß sie <strong>der</strong> regulativen Idee eines Diskurses unter idealen Bedingungen folgen. Eine<br />

Diskurstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ermögli<strong>ch</strong>t dadur<strong>ch</strong> eine weitergehende, konkretisierende<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung jenseits <strong>der</strong> unmittelbar begründeten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

('<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>srahmen'). Sie wird so zu einer Basistheorie des demokratis<strong>ch</strong>en<br />

Verfassungsstaates.<br />

18. Ni<strong>ch</strong>tstrategis<strong>ch</strong>e Politik kann sinnvoll als realer Diskurs zur <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung<br />

verstanden werden. Dadur<strong>ch</strong> werden die Anwendungsbedingungen<br />

und Verfahrensregeln, die Habermas für sein Konzept <strong>der</strong> deliberativen Politik formuliert<br />

hat, unmittelbar als Gebote rekonstruierbar, die Diskursideale näherungsweise<br />

verwirkli<strong>ch</strong>en. Der S<strong>ch</strong>utz öffentli<strong>ch</strong>er Meinungsbildung und zivilgesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er<br />

Assoziation sowie die Regulierung von Massenmedien müssen dann<br />

dem Umstand Re<strong>ch</strong>nung tragen, daß diese politis<strong>ch</strong>en Instrumente für die Erzeugung<br />

gere<strong>ch</strong>ten Re<strong>ch</strong>ts als Verfahren prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> konstitutiv sind.<br />

Vereinfa<strong>ch</strong>t ausgedrückt: Ohne einen wirksamen S<strong>ch</strong>utz politis<strong>ch</strong>er Diskurse vor<br />

strategis<strong>ch</strong>en Interessen ist die Begründung gere<strong>ch</strong>ten Re<strong>ch</strong>ts jedenfalls ni<strong>ch</strong>t optimal<br />

mögli<strong>ch</strong>. Neue Verfahren, wie etwa die 'deliberative Abstimmung', können einen<br />

prozeduralen Beitrag zu diesem Optimierungsprozeß leisten.<br />

19. Im demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaat unterliegen Ents<strong>ch</strong>eidungen über die soziale<br />

Ordnung dem relativen Primat des <strong>Prozedurale</strong>n. Damit verlagert si<strong>ch</strong> die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung<br />

auf die Anfor<strong>der</strong>ungen, die an Verfahren gestellt werden<br />

müssen. Die Verfahren müssen so gestaltet sein, daß sie entwe<strong>der</strong> die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit<br />

erhöhen, ein s<strong>ch</strong>on als gere<strong>ch</strong>t begründetes Ergebnis real umzusetzen (unvollkommen<br />

prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>), o<strong>der</strong> sie müssen si<strong>ch</strong>erstellen, daß jedes Ergebnis,<br />

solange es innerhalb materieller <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>svorgaben liegt, als definitiv<br />

gere<strong>ch</strong>t angesehen werden kann (quasi-reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>). Indem die<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen diskurstheoretis<strong>ch</strong> begründet werden, kann die Diskurstheorie zur<br />

Basistheorie des demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaates werden. Für die vers<strong>ch</strong>iedenen<br />

Verfahren im Re<strong>ch</strong>t (Verfassunggebung, parlamentaris<strong>ch</strong>e Gesetzgebung, Verwaltungs-<br />

und Geri<strong>ch</strong>tsverfahren) gelingt dies, indem die Verfahren als reale Diskurse<br />

betra<strong>ch</strong>tet werden. Innerhalb <strong>der</strong> Politik kann diese Betra<strong>ch</strong>tungsweise auf die<br />

Re<strong>ch</strong>tspolitik ausgedehnt werden und dabei neben dem 'ri<strong>ch</strong>tigen' Wahlkampf vor<br />

allem Habermas Konzept <strong>der</strong> deliberativen Politik mit diskurstheoretis<strong>ch</strong>en Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

begleiten. Im Berei<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Wirts<strong>ch</strong>aft bleibt die Leistung <strong>der</strong> Diskurstheorie<br />

indes auf die Metaebene des Wirts<strong>ch</strong>aftsre<strong>ch</strong>ts bes<strong>ch</strong>ränkt.<br />

20. Eine Diskurstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, wie sie hier in Grundzügen skizziert<br />

wurde, läßt si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> jenseits <strong>der</strong> Themenkreise, die zum Mindestgehalt einer politis<strong>ch</strong>en<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie zählen, zu einer umfassenden Theorie ausbauen. Die<br />

hier vorgestellte anthropozentris<strong>ch</strong>e, generationsbes<strong>ch</strong>ränkte, staatsbezogene und<br />

ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terblinde Theorie ist für Erweiterungen offen, ohne daß an den Grundzügen<br />

<strong>der</strong> Begründung na<strong>ch</strong>trägli<strong>ch</strong> etwas geän<strong>der</strong>t werden müßte.<br />

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