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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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Vierter Teil:<br />

Analyse und Kritik von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

A. <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>en Grundposition<br />

I. Zur Analyse <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskepsis ('Mün<strong>ch</strong>hausen-Trilemma',<br />

H. Albert)<br />

Die Grundthese <strong>der</strong> 'Antitheorien' <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> besagt, daß si<strong>ch</strong> Normen <strong>der</strong><br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> – wie überhaupt alle Aussagen über die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Handelns – einer<br />

positiven Begründung entziehen. Diese Skepsis, die inhaltli<strong>ch</strong> mit ganz unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en<br />

Argumenten gegen Konzeptionen <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft begründet<br />

wird, ist analytis<strong>ch</strong>-epistemologis<strong>ch</strong> vom kritis<strong>ch</strong>en Rationalismus im sogenannten<br />

Mün<strong>ch</strong>hausen-Trilemma aufgearbeitet worden 1 . Das von Albert wirkmä<strong>ch</strong>tig formulierte<br />

Trilemma bildet eine geeignete Grundlage für die Auseinan<strong>der</strong>setzung mit <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskepsis:<br />

»Wenn man für alles eine Begründung verlangt, muß man au<strong>ch</strong><br />

für die Erkenntnisse, auf die man jeweils die zu begründende Auffassung ... zurückgeführt<br />

hat, wie<strong>der</strong> eine Begründung verlangen. Das führt zu einer Situation mit drei<br />

Alternativen, die alle drei unakzeptabel ers<strong>ch</strong>einen, also: zu einem Trilemma, das i<strong>ch</strong><br />

... das Mün<strong>ch</strong>hausen-Trilemma nennen mö<strong>ch</strong>te. Man hat hier offenbar nämli<strong>ch</strong> nur die<br />

Wahl zwis<strong>ch</strong>en: 1. einem infiniten Regreß, ... 2. einem logis<strong>ch</strong>en Zirkel ... und s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong>:<br />

3. einem Abbru<strong>ch</strong> des Verfahrens ... dur<strong>ch</strong> Rekurs auf ein Dogma.« 2<br />

Das Trilemma erstreckt si<strong>ch</strong> auf die Normbegründung im allgemeinen. Eine<br />

Norm 3 kann nur dadur<strong>ch</strong> begründet werden, daß mindestens ein weiterer normativer<br />

Satz benutzt wird (z.B.: 'Es ist verboten, A zum Tode zu verurteilen, weil die Todesstrafe<br />

verboten ist.'), denn wenn man eine auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>tnormative Begründung<br />

versu<strong>ch</strong>t, so entsteht entwe<strong>der</strong> eine analytis<strong>ch</strong>e Aussage, die allein die Norm inhaltli<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t begründen kann ('Verbote sollen bea<strong>ch</strong>tet werden.') 4 , o<strong>der</strong> es liegt eine empiris<strong>ch</strong>e<br />

Aussage zugrunde, die zusammen mit <strong>der</strong> normativen Konklusion einen realistis<strong>ch</strong>en<br />

Fehls<strong>ch</strong>luß bildet ('Die Todesstrafe ist verboten, weil niemand gern<br />

stirbt.') 5 . Da also für jeden normativen Satz wie<strong>der</strong>um mindestens ein normativer<br />

1 Vgl. dazu H. Albert, Die Wissens<strong>ch</strong>aft und die Fehlbarkeit <strong>der</strong> Vernunft (1982), S. 58 ff.; <strong>der</strong>s., Traktat<br />

über kritis<strong>ch</strong>e Vernunft (1991), S. 13 ff.; in <strong>der</strong> Sa<strong>ch</strong>e ebenso K.R. Popper, Logik <strong>der</strong> Fors<strong>ch</strong>ung<br />

(1989), S. 60 – Trilemma (Dogmatismus, unendli<strong>ch</strong>er Regreß, psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>e Basis).<br />

2 H. Albert, Traktat über kritis<strong>ch</strong>e Vernunft (1991), S. 1 (Hervorhebungen bei Albert).<br />

3 Vgl. oben S. 71 (D N – die Verbindung eines deontis<strong>ch</strong>en Operators mit einer Handlungsweise; Gebot,<br />

Verbot, Erlaubnis).<br />

4 Vgl. dazu H. Albert, Traktat über kritis<strong>ch</strong>e Vernunft (1991), S. 13 f.: »Dur<strong>ch</strong> logis<strong>ch</strong>e Folgerung<br />

kann niemals Gehalt gewonnen werden. ... [Sie] dient ... ni<strong>ch</strong>t dazu, neue Informationen zu erzeugen.<br />

Das bedeutet unter an<strong>der</strong>em, daß aus analytis<strong>ch</strong>en Aussagen keine gehaltvollen Aussagen<br />

deduzierbar sind.«<br />

5 Der 'realistis<strong>ch</strong>e' o<strong>der</strong> 'naturalistis<strong>ch</strong>e Fehls<strong>ch</strong>luß' (naturalistic fallacy) besagt, daß eine evaluative<br />

o<strong>der</strong> normative Aussage (Werturteil, Norm) ni<strong>ch</strong>t logis<strong>ch</strong> fehlerfrei allein auf deskriptive Aussagen<br />

(Tatsa<strong>ch</strong>enbehauptungen) gestützt werden kann. Der Grundsatz wird au<strong>ch</strong> Sein-Sollens-<br />

Fehls<strong>ch</strong>luß genannt, da er die strikte Trennung von Sein (is) und Sollen (ought) verlangt; vgl.<br />

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