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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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nan) eine Gruppe von 'Starken' ein rationales Interesse daran haben können, eine<br />

Gruppe von 'S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en' als gänzli<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>tlos zu behandeln, indem sie sie als Sklaven<br />

ausbeutet? Letztli<strong>ch</strong> kommt es innerhalb <strong>der</strong> <strong>Theorien</strong> rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens<br />

zur Re<strong>ch</strong>tfertigung allein darauf an, ob die Handlungsweise für die Handelnden selbst<br />

vorteilhaft ist.<br />

Gauthier versu<strong>ch</strong>t eine sol<strong>ch</strong>e Begründung <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>te allein aus ihrer Vorteilhaftigkeit<br />

heraus. Seine Begründungskette enthält erstens das Argument, daß Kooperation<br />

genau dann rational begründet ist, wenn sie den zu erwartenden Nutzen jedes einzelnen<br />

Kooperationsteilnehmers maximiert 318 . Sie geht zweitens davon aus, daß die<br />

Anerkennung von Re<strong>ch</strong>ten (im Sinne gegenseitiger Ansprü<strong>ch</strong>e auf Rücksi<strong>ch</strong>tnahme;<br />

constraints) ni<strong>ch</strong>t erst aus gutem Willen o<strong>der</strong> Zuneigung, son<strong>der</strong>n bereits dur<strong>ch</strong> die<br />

tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e o<strong>der</strong> potentielle Partners<strong>ch</strong>aft in einer Kooperation entsteht 319 . Darin<br />

liegt eine Argumentationskette: 'Wenn individuelle Nutzenmaximierung, dann Kooperation,<br />

dann Re<strong>ch</strong>te' – insgesamt also eine moralfreie Begründung von Re<strong>ch</strong>ten.<br />

Die Problematik dieser Begründung wird deutli<strong>ch</strong>, wenn man si<strong>ch</strong> den begrenzten<br />

Geltungsanspru<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>er 'Re<strong>ch</strong>te' vor Augen führt. Es handelt si<strong>ch</strong> um gegenseitige<br />

Re<strong>ch</strong>te innerhalb einer Kooperation, ni<strong>ch</strong>t um Re<strong>ch</strong>te kraft Personseins. Zwar mag es<br />

zutreffen, daß <strong>der</strong>jenige, <strong>der</strong> aus eigenem Vorteil eine Kooperation eingeht, dabei<br />

notwendig diejenigen 'Re<strong>ch</strong>te' anerkennt, die für das Funktionieren partners<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />

Zusammenwirkens vorausgesetzt werden müssen. Do<strong>ch</strong> ist dur<strong>ch</strong> dieses Vorteilskalkül<br />

niemand gehin<strong>der</strong>t, an<strong>der</strong>e Mens<strong>ch</strong>en außerhalb <strong>der</strong> Kooperation zum bloßen<br />

Objekt seiner Handlungswillkür zu ma<strong>ch</strong>en und sie dadur<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>tlos zu stellen.<br />

Eine sol<strong>ch</strong>e Handlungsweise kann ni<strong>ch</strong>t innerhalb <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidungstheorie selbst<br />

als 'fals<strong>ch</strong>' wi<strong>der</strong>legt werden, es sei denn, man führt empiris<strong>ch</strong>e Annahmen ein (z.B.<br />

Instabilität dur<strong>ch</strong> Revolutionsneigung), die an <strong>der</strong> Vorteilhaftigkeit rütteln. Die Begründung<br />

von Re<strong>ch</strong>ten innerhalb einer Kooperation kann deshalb das allgemeine S<strong>ch</strong>ädigungsverbot,<br />

das mit <strong>der</strong> Lockes<strong>ch</strong>en Provisio postuliert wird, ni<strong>ch</strong>t vollständig leisten.<br />

Für die Theorie Gauthiers bedeutet das: Aus si<strong>ch</strong> selbst heraus kann sie einen moralis<strong>ch</strong>en<br />

Ausgangspunkt des Rationalitätskalküls ni<strong>ch</strong>t begründen 320 . Die Lockes<strong>ch</strong>e<br />

Provisio ist ein sol<strong>ch</strong>er moralis<strong>ch</strong>er Ausgangspunkt. Sie bleibt in Gauthiers Theorie<br />

ein Fremdkörper, denn die Provisio ist ni<strong>ch</strong>t selbst ents<strong>ch</strong>eidungstheoretis<strong>ch</strong> begründet.<br />

Gauthier wendet si<strong>ch</strong> zwar gegen die substantielle Begründung vorpositiver Re<strong>ch</strong>te<br />

bei Locke 321 , gegen substantielle Unparteili<strong>ch</strong>keitskritik im Marxismus 322 sowie gegen<br />

utilitaristis<strong>ch</strong>e Begründungen <strong>der</strong> Provisio 323 , bietet mit seiner Begründungskette<br />

318 D. Gauthier, Morals by Agreement (1986), S. 224: »[C]ooperation has, as its sole and sufficient rationale,<br />

the maximization of expected utility.«<br />

319 D. Gauthier, Morals by Agreement (1986), S. 222: »The moral claims ... that are expressed in our<br />

rights, depend ... on our actual or potential partnership in activities that bring mutual benefit.«<br />

320 Dem entspri<strong>ch</strong>t das Ergebnis bei H.-P. Weikard, Contractarian Approa<strong>ch</strong>es to Intergenerational Justice<br />

(1998), S. 391 – Zirkularität <strong>der</strong> Begründung bei Gauthier.<br />

321 D. Gauthier, Morals by Agreement (1986), S. 222: »Locke, ... his moral theory, unlike Hobbes's, is<br />

overtly theistic.«<br />

322 D. Gauthier, Morals by Agreement (1986), S. 110 ff.<br />

323 Gegen die utilitaristis<strong>ch</strong>e Begründung von Re<strong>ch</strong>ten D. Gauthier, Morals by Agreement (1986),<br />

S. 104 ff., 221. Au<strong>ch</strong> von Vertragstheorien grenzt er si<strong>ch</strong> insoweit ab: ebd., S. 222 f.<br />

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