Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
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strebigkeit aus 167 . We<strong>der</strong> <strong>der</strong> Diskurs no<strong>ch</strong> irgendein an<strong>der</strong>es Verfahren kann garantieren,<br />
daß Mens<strong>ch</strong>en stets gute Einfälle haben o<strong>der</strong> gute Urteile treffen. Es gibt deshalb<br />
keine Garantie, daß si<strong>ch</strong> subjektive Momente solange gegenseitig abs<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>en,<br />
bis die objektiven Elemente deutli<strong>ch</strong> hervortreten 168 . Ein Konvergenzbeweis in diesem<br />
starken Sinne kann ni<strong>ch</strong>t erbra<strong>ch</strong>t werden. Geht man an<strong>der</strong>sherum davon aus,<br />
die Erkenntnis müsse wenigstens langfristig in einem Prozeß <strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>tstetigen Annäherung<br />
erfolgen, dann wäre für kein einzelnes Ergebnis si<strong>ch</strong>er, daß genau dieser<br />
S<strong>ch</strong>ritt eine Annäherung an die absolute Ri<strong>ch</strong>tigkeit statt eine (vorübergehende) Entfernung<br />
von ihr bedeutet. Ein sol<strong>ch</strong>er s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>er Konvergenzbeweis, wenn er überhaupt<br />
erbra<strong>ch</strong>t werden kann, wäre für die Beurteilung des Erkenntnisgewinns dur<strong>ch</strong><br />
einzelne Ergebnisse ohne inhaltli<strong>ch</strong>e Aussage. Eine Konvergenztheorie <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit<br />
vermag die S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>en einer Konsenstheorie ni<strong>ch</strong>t zu überbrücken.<br />
Zur vierten Kritik: S<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> kann eine Kritik darin bestehen, die Diskurstheorie<br />
sei in Diskursen über die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Re<strong>ch</strong>ts auf moralis<strong>ch</strong>e Argumentation bes<strong>ch</strong>ränkt,<br />
könne hingegen diejenige des pragmatis<strong>ch</strong>en o<strong>der</strong> ethis<strong>ch</strong>en Handelns<br />
ni<strong>ch</strong>t erklären 169 . Au<strong>ch</strong> diese Kritik verfängt ni<strong>ch</strong>t. Wenn die Diskurstheorie davon<br />
ausgeht, man könne si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit nur im Diskurs vergewissern 170 , so folgt<br />
daraus no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, daß pragmatis<strong>ch</strong>e und ethis<strong>ch</strong>e Argumente aus diesem Diskurs<br />
verbannt wären. Elemente rationalen Ents<strong>ch</strong>eidungsverhaltens o<strong>der</strong> konsequentialistis<strong>ch</strong>er<br />
Denkweise sind ni<strong>ch</strong>t ausges<strong>ch</strong>lossen 171 . In einem praktis<strong>ch</strong>en Diskurs<br />
können vielmehr moralis<strong>ch</strong>e, ethis<strong>ch</strong>e und pragmatis<strong>ch</strong>e Fragen und Gründe miteinan<strong>der</strong><br />
verbunden werden 172 . Ein Diskurs kann deshalb sogar begründen, warum<br />
einzelne Ents<strong>ch</strong>eidungen gerade ni<strong>ch</strong>t diskursiv, son<strong>der</strong>n pragmatis<strong>ch</strong> getroffen<br />
werden sollten. Es könnte si<strong>ch</strong> beispielsweise im Diskurs eine marktwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong><br />
kontrollierte Verteilung von Gütern als ri<strong>ch</strong>tig erweisen, in <strong>der</strong> die einzelnen Handlungen<br />
ni<strong>ch</strong>t mehr diskursiv, son<strong>der</strong>n na<strong>ch</strong> Kriterien rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens gefällt<br />
werden. Allerdings bleibt bei allen Fragen letztli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Diskurs kontrollierend. Ein<br />
ni<strong>ch</strong>tdiskursives Handelns ist genau so lange ri<strong>ch</strong>tig, wie es si<strong>ch</strong> in einem Diskurs als<br />
ri<strong>ch</strong>tig begründen ließe.<br />
Im Ergebnis erweisen si<strong>ch</strong> die allgemeinen Bedenken gegen die Diskurstheorie als<br />
prozedurale Theorie <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Ri<strong>ch</strong>tigkeit ni<strong>ch</strong>t als dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>lagend. Zu prüfen<br />
bleibt die Kritik, die an einzelnen Formen <strong>der</strong> Diskurstheorie geltend gema<strong>ch</strong>t<br />
werden kann.<br />
167 Vgl. R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1991), S. 403 – selbst von einem hinrei<strong>ch</strong>enden<br />
Erfindungs- und Urteilsvermögen könne ein mangeln<strong>der</strong> o<strong>der</strong> fehlerhafter Gebrau<strong>ch</strong><br />
gema<strong>ch</strong>t werden.<br />
168 So aber die Vorstellung bei A. Kaufmann, Über die Wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>keit <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tswissens<strong>ch</strong>aft<br />
(1986), S. 441.<br />
169 Vgl. J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 283: »Nun liegt es nahe, die Diskurstheorie des<br />
Re<strong>ch</strong>ts na<strong>ch</strong> dem Modell <strong>der</strong> besser untersu<strong>ch</strong>ten Diskursethik auszuri<strong>ch</strong>ten. ... juristis<strong>ch</strong>e Diskurse<br />
als Teilmenge moralis<strong>ch</strong>er Argumentation ...«. Dagegen R. Alexy, Jürgen Habermas' Theorie<br />
des juristis<strong>ch</strong>en Diskurses (1995), S. 172 f.<br />
170 Dazu oben S. 250 (T R ).<br />
171 Zum Begriff des Konsequentialismus (consequentialism) siehe oben S. 152 (Charakteristika <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en<br />
Grundposition).<br />
172 R. Alexy, Jürgen Habermas' Theorie des juristis<strong>ch</strong>en Diskurses (1995), S. 173. So au<strong>ch</strong> oben S. 250<br />
(T R ).<br />
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