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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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Zweiter Teil:<br />

Begriff und Klassifizierung prozeduraler<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

Unter prozeduralen <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> werden, vereinfa<strong>ch</strong>t gespro<strong>ch</strong>en, sol<strong>ch</strong>e<br />

<strong>Theorien</strong> verstanden, die zwecks Begründung und Erzeugung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

auf Verfahren zurückgreifen 1 . Für eine genauere Begriffsbestimmung und Klassifizierung<br />

als Voraussetzung je<strong>der</strong> verglei<strong>ch</strong>enden Analyse kommt es darauf an, wel<strong>ch</strong>en<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff die <strong>Theorien</strong> zugrundelegen (A), wel<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

miteinan<strong>der</strong> vergli<strong>ch</strong>en werden können (B), wie diese <strong>Theorien</strong> dabei den<br />

Gedanken von prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> zur Anwendung bringen (C) und mit wel<strong>ch</strong>er<br />

Grenzziehung sie si<strong>ch</strong> als prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien von materialen<br />

(substantiellen) <strong>Theorien</strong> unters<strong>ch</strong>eiden (D).<br />

A. <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

I. Zur Definition <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

1. Die suum cuique-Formel<br />

Suum cuique! 2 Jedem das Seine! So lautet die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sformel, die Ulpian neben<br />

alterum non lae<strong>der</strong>e und honeste vivere in die Dreiheit <strong>der</strong> Gebote des (Natur-)Re<strong>ch</strong>ts<br />

(iuris praecepta) aufgenommen hat 3 , angelehnt an den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff bei Aristoteles<br />

4 und dessen Rezeption in <strong>der</strong> Stoa 5 – Gebote, die mit unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er Abwand-<br />

1 Vgl. A. Kaufmann, <strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1989), S. 5 ff.; R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 107, 111 ff. Dazu unten S. 132 (prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien).<br />

2 Genauer die Dig. 1, 1, 10: »Iustitia est perpetua et constans voluntas jus suum cuique tribuendi.« In <strong>der</strong><br />

Übersetzung von Seiler, in: Behrends/Knütel/Kupis<strong>ch</strong>/Seiler (Hrsg.), Corpus Iuris Civilis, Bd. 2<br />

(1995), S. 94: »<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist <strong>der</strong> unwandelbare und dauerhafte Wille, jedem sein Re<strong>ch</strong>t zu gewähren.«<br />

Inhaltsglei<strong>ch</strong> die Definition <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> bei Cicero, De Finibus 5, 23: »quae animi affectio<br />

suum cuique tribuens ... aeque tuens iustitia dicitur«; Inst., Erstes Bu<strong>ch</strong>, Kapitel I (de iustitia et iure):<br />

»Iustitia est constans et perpetua voluntas jus suum cuique tribuens.« sowie Thomas von Aquin, ST,<br />

II-II, 58, 1: »Et si quis vellet in debitam formam definitionis reducere, posset sic dicere: quod 'justitia est<br />

habitus secundum quem aliquis constanti et perpetua voluntate jus suum unicuique tribuit'.« In <strong>der</strong><br />

Übersetzung von Groner: »Wer die Definition in vollkommene Form bringen wollte, könnte sagen:<br />

Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist ein Habitus, kraft dessen jedem das Seine mit festem und unwandelbarem<br />

Willen zugeteilt wird.« Kritik an <strong>der</strong> ideenges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Zuordnung zu Ulpian bei W. Waldstein,<br />

Ulpians Definition <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1978), S. 215 ff., 231; <strong>der</strong>s., Zur juristis<strong>ch</strong>en Relevanz <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

bei Aristoteles, Cicero und Ulpian (1996), S. 60 f. m.w.N.<br />

3 Dig. 1, 1, 10, 1: »Iuris praecepta sunt haec: honeste vivere, alterum non lae<strong>der</strong>e, suum cuique tribuere.« In<br />

<strong>der</strong> Übersetzung von Seiler, in: Behrends/Knütel/Kupis<strong>ch</strong>/Seiler (Hrsg.), Corpus Iuris Civilis, Bd.<br />

2 (1995), S. 94: »Die Gebote des Re<strong>ch</strong>ts sind folgende: Ehrenhaft leben, niemanden verletzen, jedem<br />

das Seine gewähren.« Au<strong>ch</strong> die Originalität dieser praecepta bei Ulpian ist umstritten;<br />

W. Waldstein, Ulpians Definition <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1978), S. 215; <strong>der</strong>s., Zur juristis<strong>ch</strong>en Relevanz<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> bei Aristoteles, Cicero und Ulpian (1996), S. 60 f. m.w.N.<br />

4 Dazu unten S. 56 (aristotelis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff).<br />

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