Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
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darstellen, dann kann das dur<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Begründungsstrategien ges<strong>ch</strong>ehen,<br />
die ni<strong>ch</strong>t alle glei<strong>ch</strong>ermaßen geeignet sind, Universalität zu begründen 64 .<br />
Die Universalität und ihre Begründungsbedürftigkeit werden dur<strong>ch</strong> den Prinzipien<strong>ch</strong>arakter<br />
<strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te beeinflußt. Na<strong>ch</strong> ihrem Inhalt führen die Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te<br />
und Grundfreiheiten zu latenten Zielkonflikten zwis<strong>ch</strong>en Einzelre<strong>ch</strong>ten,<br />
die stets eine Abwägung kollidieren<strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>te erfor<strong>der</strong>n. Sol<strong>ch</strong>e Abwägungen geben<br />
den Re<strong>ch</strong>ten je na<strong>ch</strong> den sozialen Rahmenbedingungen unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Gestalt:<br />
die Wohnraumbewirts<strong>ch</strong>aftung in <strong>der</strong> Na<strong>ch</strong>kriegszeit, die Nahrungspreisbindung in<br />
Hungersnöten, die Ein-Kind-Politik in Zeiten <strong>der</strong> Bevölkerungsexplosion könnten<br />
mit <strong>der</strong> Idee universeller Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te vereinbar sein, während sie unter normalen<br />
Bedingungen die Eigentums- und Persönli<strong>ch</strong>keitsre<strong>ch</strong>te verletzen würden. Einerseits<br />
vers<strong>ch</strong>ärft si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> die Begründungsbedürftigkeit, weil <strong>der</strong> Kreis <strong>der</strong><br />
unter allen Umständen 'evidenten' Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te kleiner wird 65 . An<strong>der</strong>erseits bietet<br />
si<strong>ch</strong> im Prinzipien<strong>ch</strong>arakter eine neue Chance für die Begründungsfähigkeit, wie<br />
sie Jansen in dem Konzept einer freistehenden Prinzipientheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />
zum Ausdruck gebra<strong>ch</strong>t hat 66 .<br />
Trotz aller Unsi<strong>ch</strong>erheit über den Inhalt universeller Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te kann mindestens<br />
das zu ihrem unbestrittenen Kanon gezählt werden, was gelegentli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong><br />
als »harter Kern des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>smaßstabes« bezei<strong>ch</strong>net wird: die Verbote von<br />
Sklaverei, Hexenverfolgung, feudalistis<strong>ch</strong>er Kastenbildung, mör<strong>der</strong>is<strong>ch</strong>er Rasseno<strong>der</strong><br />
Klassendiskriminierung sowie absoluter Herrs<strong>ch</strong>aft ausgewählter Einzelpersonen<br />
o<strong>der</strong> sol<strong>ch</strong>er Parteien, die für si<strong>ch</strong> in Anspru<strong>ch</strong> nehmen, die 'Wahrheit' erkannt<br />
zu haben 67 . Do<strong>ch</strong> selbst für diesen Kernberei<strong>ch</strong> ist die diskurstheoretis<strong>ch</strong>e Begründung<br />
ni<strong>ch</strong>t einfa<strong>ch</strong>. Die Diskurstheorie besagt nur (aber au<strong>ch</strong> immerhin), daß man<br />
si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit des eigenen Handelns nur in Diskursen vergewissern kann 68 , daß<br />
diese Diskurse (zumindest näherungsweise) na<strong>ch</strong> den Diskursregeln zu erfolgen haben<br />
und daß sie als reale Diskurse bei nahezu allen Mens<strong>ch</strong>en gemäß <strong>der</strong>en normaler<br />
Lebensform zumindest gelegentli<strong>ch</strong> vorkommen 69 . Eine gere<strong>ch</strong>tigkeitstheoretis<strong>ch</strong>e<br />
Begründung <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te muß hingegen Handlungsnormen re<strong>ch</strong>tfertigen, die<br />
für das Handeln aller Mens<strong>ch</strong>en unter allen Umständen gelten sollen. Wer freiwillig,<br />
gelegentli<strong>ch</strong> und zu Einzelfragen an Diskursen teilnimmt, erklärt damit ni<strong>ch</strong>t implizit<br />
seine Bereits<strong>ch</strong>aft, si<strong>ch</strong> zwangsweise, fortdauernd und umfassend einer Kontrolle<br />
seines Handelns dur<strong>ch</strong> Diskurse auszusetzen.<br />
einer Analyse <strong>der</strong> vers<strong>ch</strong>iedenen Ers<strong>ch</strong>einungsformen in mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t vgl. J. Hinkmann,<br />
Philosophis<strong>ch</strong>e Argumente für und wi<strong>der</strong> die Universalität <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1996),<br />
S. 86 ff.<br />
64 Dazu oben S. 314 ff. (Zu kombinativen Begründungsstrategien).<br />
65 W. Brugger, Mens<strong>ch</strong>enwürde, Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te, Grundre<strong>ch</strong>te (1997), S. 23 ff. hält selbst das Folterverbot<br />
unter beson<strong>der</strong>en Umständen in einer Abwägung mit an<strong>der</strong>en Re<strong>ch</strong>ten (Rettung vor terroristis<strong>ch</strong>er<br />
Erpressung) für überwindbar.<br />
66 Dazu oben S. 286 ff. (Kritik an Rawls' politis<strong>ch</strong>em Liberalismus).<br />
67 F. Bydlinski, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als re<strong>ch</strong>tspraktis<strong>ch</strong>er Maßstab (1996), S. 138 f.; ähnli<strong>ch</strong> W. Brugger, Mens<strong>ch</strong>enwürde,<br />
Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te, Grundre<strong>ch</strong>te (1997), S. 13 ff.<br />
68 Dazu oben S. 250 (T R ).<br />
69 Vgl. oben S. 248 ff. (Teilnahme an <strong>der</strong> allgemeinsten Lebensform).<br />
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