Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
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Ziel ist ni<strong>ch</strong>t mehr dur<strong>ch</strong> Verfahren begründet. Deshalb handelt es si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t um<br />
prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien, son<strong>der</strong>n um sol<strong>ch</strong>e <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition.<br />
IV. <strong>Theorien</strong> des Kommunitarismus<br />
Unter den gegenwärtig diskutierten <strong>Theorien</strong> mit aristotelis<strong>ch</strong>er Grundposition sind<br />
vor allem diejenigen des Kommunitarismus (communitarianism) herauszustellen 98 ,<br />
<strong>der</strong>en Kernaussage die Gemeins<strong>ch</strong>aftsgebundenheit des Individuums ist: Das Individuum<br />
findet seinen Lebenssinn und seine Würde vollständig erst dur<strong>ch</strong> die Einbindung<br />
in die Gemeins<strong>ch</strong>aft 99 . Dadur<strong>ch</strong> grenzt si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Kommunitarismus von allen<br />
individualistis<strong>ch</strong>en Strömungen ab, die ihren Ausdruck vor allem in Vertragstheorien<br />
gefunden haben 100 . Denn aristotelis<strong>ch</strong>e Tugendhaftigkeit ri<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong><br />
laut kommunitaristis<strong>ch</strong>er Deutung ni<strong>ch</strong>t allein na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> je eigenen (subjektiven)<br />
Konzeption des Guten, son<strong>der</strong>n dana<strong>ch</strong>, was für den einzelnen (objektiv) »als<br />
Mens<strong>ch</strong> wirkli<strong>ch</strong> gut ist« 101 . Damit verbunden ist eine tendenziell positive Ans<strong>ch</strong>auung<br />
von sozialer Ordnung als einem für die individuelle Freiheit ni<strong>ch</strong>t nur bedrohli<strong>ch</strong>en,<br />
son<strong>der</strong>n diese Freiheit für den Mens<strong>ch</strong>en als zoon politikon erst ermögli<strong>ch</strong>enden<br />
Gebilde 102 . Insoweit gibt es eine Verwandts<strong>ch</strong>aft zu Hegels polititis<strong>ch</strong>er Philosophie<br />
und seinem Begriff <strong>der</strong> Sittli<strong>ch</strong>keit 103 . Man könnte, da es für die hier vorgenommene<br />
Klassifizierung letztli<strong>ch</strong> nur auf das Charakteristikum des Eigenwertes einer dur<strong>ch</strong><br />
Gesells<strong>ch</strong>aft und Staat verkörperten Traditionsgemeins<strong>ch</strong>aft ankommt, beim Kommunitarismus<br />
au<strong>ch</strong> von einer 'hegelianis<strong>ch</strong>en Grundposition' spre<strong>ch</strong>en 104 . Allerdings<br />
hat si<strong>ch</strong> MacIntyre als wohl bekanntester Vertreter des Neoaristotelismus 105 ohne An-<br />
98 Zur Zuordnung des Kommunitarismus zur aristotelis<strong>ch</strong>en Tradition au<strong>ch</strong> H. Brunkhorst, Demokratie<br />
als Solidarität unter Fremden (1996), S. 21.<br />
99 C. Taylor, Quellen des Selbst (1994), S. 72 f. Vgl. die Begriffsbestimmung bei W. Reese-S<strong>ch</strong>äfer, Rezeption<br />
des kommunitaris<strong>ch</strong>en Denkens (1996), S. 3: »Das kommunitaris<strong>ch</strong>e Projekt ist <strong>der</strong> Versu<strong>ch</strong><br />
einer Wie<strong>der</strong>belebung von Gemeins<strong>ch</strong>aftsdenken unter den Bedingungen postmo<strong>der</strong>ner<br />
Dienstleistungsgesells<strong>ch</strong>aften.« Treffende Glei<strong>ch</strong>setzung von 'Kommunitarismus' mit 'Gemeins<strong>ch</strong>aftsdenken'<br />
au<strong>ch</strong> bei W. Brugger, Kommunitarismus als Verfassungstheorie des Grundgesetzes<br />
(1998), S. 338 ff.<br />
100 V. Medina, Social Contract Theories (1990), S. 116.<br />
101 A. MacIntyre, Verlust <strong>der</strong> Tugend (1984), S. 202.<br />
102 Vgl. A. MacIntyre, Verlust <strong>der</strong> Tugend (1984), S. 203; H. S<strong>ch</strong>nädelba<strong>ch</strong>, Was ist Neoaristotelismus?<br />
(1986), S. 50 (Rückbindung <strong>der</strong> Ethik an jeweils s<strong>ch</strong>on gelebtes Ethos), 51 (Vernunft in <strong>der</strong> Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te).<br />
103 H. S<strong>ch</strong>nädelba<strong>ch</strong>, Was ist Neoaristotelismus? (1986), S. 41 f. – Hegel selbst als Neoaristoteliker;<br />
V. Medina, Social Contract Theories (1990), S. 116 ff.; W. Kersting, Die politis<strong>ch</strong>e Philosophie des<br />
Gesells<strong>ch</strong>aftsvertrags (1994), S. 1 – Liberalismuskritik bei Hegel und im Kommunitarismus.<br />
104 Zur Zuordnung des Neohegelianismus zum Neoaristotelismus siehe R. Alexy, Eine diskurstheoretis<strong>ch</strong>e<br />
Konzeption <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft (1993), S. 12 m.w.N. Zur Entgegensetzung von hegelianis<strong>ch</strong>em<br />
Sittli<strong>ch</strong>keits- und kantis<strong>ch</strong>em Moralitätsverständnis siehe beispielsweise F.J. Kelly,<br />
An Analysis of Hegel's Theory of Social Morality (1998), S. 188 ff. m.w.N.<br />
105 Na<strong>ch</strong> an<strong>der</strong>er Eins<strong>ch</strong>ätzung kommt Charles Taylor die Ehre des »führenden kommunitaris<strong>ch</strong>en<br />
Philosophen« zu und ist Amitai Etzioni maßgebli<strong>ch</strong> für die Begründung <strong>der</strong> kommunitaris<strong>ch</strong>en<br />
'Plattform' gewesen; W. Reese-S<strong>ch</strong>äfer, Rezeption des kommunitaris<strong>ch</strong>en Denkens (1996), S. 4. Vgl.<br />
unten S. 167 (Eins<strong>ch</strong>ätzung des Kommunitarismus im Ergebnis). Wie hier für einen qualitativen<br />
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