Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
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s<strong>ch</strong>on gar ni<strong>ch</strong>t die Chance einer diskursiven Kontrolle gewahrt bleibt, dann wird<br />
<strong>der</strong> Legitimationsmangel so gravierend, daß die langfristige Stabilität gefährdet ist 73 .<br />
Insoweit gilt dann die empiris<strong>ch</strong>-analytis<strong>ch</strong>e Argumentation: Stabilität erfor<strong>der</strong>t Legitimation<br />
und diese erfor<strong>der</strong>t mindestens geheu<strong>ch</strong>elte genuine Diskursteilnahme.<br />
Das Mindeste, zu dem ein Militärdiktator bereit sein muß, um das eigene (d.h. begrenzte)<br />
objektive Interesse an Ri<strong>ch</strong>tigkeit zu verfolgen, ist das gelegentli<strong>ch</strong>e Heu<strong>ch</strong>eln<br />
einer genuinen Diskursteilnahme. Mehr ist für Stabilität ni<strong>ch</strong>t in jedem Fall nötig,<br />
und mehr implizierte Anerkennung von Re<strong>ch</strong>ten kann dem kommunikativen Handeln<br />
au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t entnommen werden. Damit erkennt ein Diktator zwar Autonomie<br />
und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te ni<strong>ch</strong>t insgesamt als notwendige Voraussetzungen seiner Kommunikation<br />
an, do<strong>ch</strong> werden immerhin einzelne Grundsätze <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>tsund<br />
Demokratieidee vorausgesetzt, wenn si<strong>ch</strong> eine Regierung überhaupt irgendwann<br />
Diskursen stellt.<br />
2. Die notwendig vorausgesetzten Prinzipien (N S N M N E N G )<br />
Wel<strong>ch</strong>es sind diejenigen Einzelgrundsätze, die selbst dann notwendig vorausgesetzt<br />
werden müssen, wenn si<strong>ch</strong> jemand nur gelegentli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeitskontrolle in Diskursen<br />
stellt? Sol<strong>ch</strong>e Grundsätze können in einer Präsuppositionsanalyse <strong>der</strong> Kommunikation<br />
ers<strong>ch</strong>lossen werden, erweitert dur<strong>ch</strong> die s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>e empiris<strong>ch</strong>e Prämisse,<br />
daß Regierende ein (dur<strong>ch</strong> Stabilitätsziele begrenztes) objektives Interesse an Ri<strong>ch</strong>tigkeit<br />
haben.<br />
Wer si<strong>ch</strong> zumindest gelegentli<strong>ch</strong> in Diskursen mit an<strong>der</strong>en über praktis<strong>ch</strong>e Ri<strong>ch</strong>tigkeit<br />
verständigt, setzt dabei die Geltung <strong>der</strong> Diskursregeln voraus. Er erkennt<br />
deshalb erstens die Autonomie <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en in diesem Diskurs an. Und er erkennt<br />
zweitens an, daß <strong>der</strong> Diskurs unter Mens<strong>ch</strong>en, ni<strong>ch</strong>t etwa die göttli<strong>ch</strong>e Eingebung o<strong>der</strong><br />
ähnli<strong>ch</strong>es, insoweit das adäquate Verfahren zur Begründung <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit bietet<br />
(anthropozentris<strong>ch</strong>es Erkenntnismodell). Wer als Regieren<strong>der</strong> gelegentli<strong>ch</strong> ernsthaft<br />
an Diskursen teilnimmt (genuiner Diskursteilnehmer) o<strong>der</strong> die ernsthafte Teilnahme<br />
jedenfalls heu<strong>ch</strong>elt, <strong>der</strong> erkennt erstens in diesem Diskurs objektiv an, daß die dabei<br />
behandelten Fragen sozialen Handelns tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> Konsense aller Betroffenen<br />
beantwortet werden sollten. Er erkennt zweitens objektiv an, daß <strong>der</strong> Diskurs unter<br />
Mens<strong>ch</strong>en, ni<strong>ch</strong>t etwa die autoritative Ents<strong>ch</strong>eidung o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Zufall 74 , insoweit das<br />
adäquate Verfahren zur Begründung <strong>der</strong> sozialen Ordnung bietet (anthropozentris<strong>ch</strong>es<br />
Souveränitätsmodell).<br />
Der Grundsatz <strong>der</strong> anthropozentris<strong>ch</strong>en Souveränität kann als unhintergehbare<br />
Voraussetzung von Kommunikation und Staatli<strong>ch</strong>keit angesehen werden. In ihm ist<br />
erstens anerkannt, daß Mens<strong>ch</strong>en ents<strong>ch</strong>eiden, und zweitens, daß sie au<strong>ch</strong> über die<br />
Herrs<strong>ch</strong>aftsordnung ents<strong>ch</strong>eiden. Selbst ein 'König von Gottes Gnaden' muß si<strong>ch</strong> gelegentli<strong>ch</strong><br />
bei seinen Bürgern vergewissern, ob sie sein Gottesgnadentum na<strong>ch</strong> wie<br />
vor für ri<strong>ch</strong>tig halten. Das bedeutet ni<strong>ch</strong>t, daß ein Regieren<strong>der</strong> sein Handeln immer<br />
73 Vgl. oben S. 37 ff. (notwendiger Anspru<strong>ch</strong> des Re<strong>ch</strong>ts auf Ri<strong>ch</strong>tigkeit).<br />
74 Vgl. B. Barry, Political Argument (1965), S. 84 ff., <strong>der</strong> außer dem Diskurs und <strong>der</strong> autoritativen<br />
Ents<strong>ch</strong>eidung fünf Verfahren nennt: S<strong>ch</strong>lagabtaus<strong>ch</strong> (combat), Verhandlung (bargaining), Abstimmung<br />
(voting), Los (<strong>ch</strong>ance) und Wettkampf (contest).<br />
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