16.04.2014 Aufrufe

Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Freunde). Die Anerkennung gilt außerdem zumindest objektiv (institutionell) für alle<br />

Regierenden, weil diese s<strong>ch</strong>on aus Gründen <strong>der</strong> Klugheit die Ri<strong>ch</strong>tigkeit ihrer Herrs<strong>ch</strong>aft<br />

behaupten müssen und das (praktis<strong>ch</strong> ausnahmslos) au<strong>ch</strong> tun. Wo immer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen<br />

erörtert werden, also die Ri<strong>ch</strong>tigkeit und Pfli<strong>ch</strong>tigkeit sozial- und<br />

glei<strong>ch</strong>heitsbezogenen Handelns zum Thema gema<strong>ch</strong>t wird, besteht zumindest diese<br />

objektive Anerkennung. Also gilt allgemein: Im Diskurs über <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist die<br />

Freiheit anerkannt.<br />

Freiheitsre<strong>ch</strong>te verlangen aber mehr als die Freiheit im Diskurs. Sie sollen au<strong>ch</strong><br />

Freiheit im Handeln si<strong>ch</strong>ern. Für die Begründung knüpft Alexy an ein Autonomieprinzip<br />

an, das von Nino als 'Grundnorm des moralis<strong>ch</strong>en Diskurses' (basic norm of<br />

moral discourse) formuliert wurde. Bei Nino lautet dieses Theorem 625 :<br />

A: »Es ist wüns<strong>ch</strong>enswert, daß Mens<strong>ch</strong>en ihr Verhalten nur<br />

na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> freien Annahme von Prinzipien ri<strong>ch</strong>ten, die sie,<br />

na<strong>ch</strong> genügen<strong>der</strong> Reflexion und Beratung, als gültig beurteilen.«<br />

Dieses Autonomieprinzip A ähnelt dem Diskursprinzip D 626 , do<strong>ch</strong> kann es ni<strong>ch</strong>t als<br />

direkte Folgerung aus den Diskursregeln angesehen werden, weil es zusätzli<strong>ch</strong> gebietet,<br />

die Freiheit <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en ni<strong>ch</strong>t nur im Diskurs, son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong> im Handeln zu akzeptieren.<br />

Das ist ni<strong>ch</strong>t zwingend. Es ist vorstellbar, daß jemand seinen Mitmens<strong>ch</strong>en<br />

in einem Diskurs über die Ri<strong>ch</strong>tigkeit sozialer Ordnung unter Anerkennung<br />

ihrer Freiheit gegenübertritt, sie dann aber na<strong>ch</strong> Beendigung des Diskurses unter<br />

Mißa<strong>ch</strong>tung ihrer Freiheit <strong>der</strong> eigenen Ma<strong>ch</strong>t unterwirft. Ein sol<strong>ch</strong>er Zwiespalt ist<br />

keinesfalls ungewöhnli<strong>ch</strong>. Man kann von <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit einer Handlungsnorm<br />

überzeugt und denno<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t bereit sein, sie selbst (immer) zu befolgen. Zwis<strong>ch</strong>en<br />

praktis<strong>ch</strong>er Erkenntnis und praktis<strong>ch</strong>er Verbindli<strong>ch</strong>keit besteht eine Differenz. Es ist<br />

geradezu typis<strong>ch</strong> für soziale Ordnungen, daß si<strong>ch</strong> die einzelnen Beteiligten ni<strong>ch</strong>t ohne<br />

Zwang an die eigentli<strong>ch</strong> von ihnen bejahten Normen halten. Trittbrettfahrer 627<br />

und alle an<strong>der</strong>en, die ganz im Sinne Ma<strong>ch</strong>iavellis<strong>ch</strong>er Klugheit 628 die Zustimmung<br />

zu Sozialregeln nur heu<strong>ch</strong>eln, aber glei<strong>ch</strong>zeitig unsozial handeln, müssen dur<strong>ch</strong><br />

Zwang gebunden werden – in <strong>der</strong> hier interessierenden Form also dur<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en<br />

Zwang und dessen effektive Dur<strong>ch</strong>setzung 629 .<br />

Wie also läßt si<strong>ch</strong> das Autonomieprinzip A und das in ihm enthaltene Freiheitsre<strong>ch</strong>t<br />

diskurstheoretis<strong>ch</strong> begründen? Alexy unters<strong>ch</strong>eidet zwei Typen <strong>der</strong> diskurstheoretis<strong>ch</strong>en<br />

Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen: die mittelbare und die unmit-<br />

625 C.S. Nino, The Ethics of Human Rights (1991), S. 138: »The basic norm of moral discourse, the minimum<br />

tacit agreement to whi<strong>ch</strong> we subscribe when we participate sincerely in it, is this: 'It is desirable<br />

that people determine their behaviour only by the free adoption of principles that, after<br />

sufficient reflection and deliberation, they judge valid.'«<br />

626 Dazu oben S. 230 (Konsens und Diskursprinzip).<br />

627 Dazu unten S. 333 ff. (Trittbrettfahrerproblem).<br />

628 Vgl. N. Ma<strong>ch</strong>iavelli, Der Fürst (1532), S. 72 f.: »Ein Herrs<strong>ch</strong>er brau<strong>ch</strong>t also alle die vorgenannten<br />

guten Eigens<strong>ch</strong>aften ni<strong>ch</strong>t in Wirkli<strong>ch</strong>keit zu besitzen; do<strong>ch</strong> muß er si<strong>ch</strong> den Ans<strong>ch</strong>ein geben, als<br />

ob er sie besäße.«<br />

629 Daneben gibt es Formen ni<strong>ch</strong>tre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en sozialen Zwanges, die hier ni<strong>ch</strong>t weiter verfolgt werden<br />

können. Vgl. unten S. 333 ff. (Institutionalisierung und Trittbrettfahrerproblem).<br />

251

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!