Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
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ff)<br />
Ein Anwendungsdiskurs? (K. Günther)<br />
Günther hat die These aufgestellt, daß zwar »die Anwendung von Normen auf Situationen<br />
als Diskurs mögli<strong>ch</strong> ist«, es si<strong>ch</strong> dabei aber um spezielle 'Anwendungsdiskurse'<br />
handelt, die von allgemeinen praktis<strong>ch</strong>en Diskursen, insbeson<strong>der</strong>e den Begründungsdiskursen<br />
zur Normbegründung, zu unters<strong>ch</strong>eiden sein sollen 470 . Den Einzelheiten<br />
dieser These kann hier ni<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong>gegangen werden. Do<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>eint die Trennung<br />
von Anwendungs- und Begründungsdiskursen wenig plausibel, wenn man das<br />
erwähnte 'Primat <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung' berücksi<strong>ch</strong>tigt, na<strong>ch</strong> dem jede reale<br />
Erzeugung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> dur<strong>ch</strong> Verfahren davon abhängig ist, daß die Verfahren<br />
selbst als gere<strong>ch</strong>t begründet sind 471 . Soll also dur<strong>ch</strong> eine Normanwendung <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />
erzeugt werden, dann ist das Verfahren <strong>der</strong> Normanwendung letztli<strong>ch</strong><br />
auf eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung angewiesen. Entspre<strong>ch</strong>end hat Esser für die<br />
Re<strong>ch</strong>tsanwendung festgestellt, daß sie ni<strong>ch</strong>t bei einer re<strong>ch</strong>tsinternen Konsistenzprüfung<br />
stehen bleiben könne, son<strong>der</strong>n si<strong>ch</strong> auf eine re<strong>ch</strong>tsexterne Kohärenzprüfung erstrecken<br />
müsse, wenn überhaupt eine Ri<strong>ch</strong>tigkeitskontrolle stattfinden soll 472 . Sie<br />
bleibt damit immer auf eine Begründung angewiesen. Dur<strong>ch</strong> dieses Angewiesensein<br />
auf Begründung erweisen si<strong>ch</strong> Anwendungsdiskurse ni<strong>ch</strong>t als eine von Begründungsdiskursen<br />
zu trennende Diskursform 473 .<br />
b) Die Diskursregeln<br />
Eine Diskurstheorie muß als Argumentationstheorie Regeln dafür formulieren, wann<br />
ein Argument im Diskurs gültig sein soll – die Diskursregeln. Diskursregeln definieren<br />
die Rahmenbedingungen eines idealen Diskurses, <strong>der</strong> glei<strong>ch</strong>zeitig die regulative<br />
Idee aller realen Diskurse ist. Die Diskursregeln sind an an<strong>der</strong>er Stelle bereits ausführli<strong>ch</strong><br />
formuliert, klassifiziert und begründet worden 474 . Hier soll es nur darum<br />
470 K. Günther, Sinn für Angemessenheit (1988), S. 25 ff., 50, 65 ff.; zustimmend J. Habermas,<br />
Erläuterungen zur Diskursethik (1991), S. 138 ff.<br />
471 Dazu oben S. 133 f. (<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungstheorien).<br />
472 Vgl. J. Esser, Vorverständnis und Methodenwahl (1970), S. 139 ff. – Notwendigkeit einer Ri<strong>ch</strong>tigkeitskontrolle<br />
au<strong>ch</strong> jenseits einer internen Re<strong>ch</strong>tfertigung. Sa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> übereinstimmen R. Alexy,<br />
Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1991), S. 433: »In dem mit geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Ents<strong>ch</strong>eidungen<br />
erhobenen Anspru<strong>ch</strong> auf Ri<strong>ch</strong>tigkeit sind beide Aspekte [Ri<strong>ch</strong>tigkeit im Rahmen <strong>der</strong> geltenden<br />
Re<strong>ch</strong>tsordnung sowie Vernünftigkeit und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> des Re<strong>ch</strong>ts selbst] enthalten. Eine geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e<br />
Ents<strong>ch</strong>eidung, die ein unvernünftiges o<strong>der</strong> ungere<strong>ch</strong>tes Gesetz korrekt anwendet, erfüllt<br />
deshalb den mit ihr erhobenen Anspru<strong>ch</strong> auf Ri<strong>ch</strong>tigkeit ni<strong>ch</strong>t in je<strong>der</strong> Hinsi<strong>ch</strong>t.«<br />
473 R. Alexy, Normbegründung und Normanwendung (1993), S. 52 ff.<br />
474 R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1978), S. 233 ff.; zustimmend W. Reese-S<strong>ch</strong>äfer,<br />
Das Begründungsprogramm Diskursethik (1990), S. 24 f. Vgl. außerdem R. Alexy, Diskurstheorie<br />
und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 130. Zu den vier universalen Geltungsansprü<strong>ch</strong>en (Sinnanspru<strong>ch</strong>,<br />
Wahrheitsanspru<strong>ch</strong>, Wahrhaftigkeitsanspru<strong>ch</strong>, Ri<strong>ch</strong>tigkeitsanspru<strong>ch</strong>) bei Habermas und Apel, die<br />
<strong>der</strong> Sa<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> weitgehend ähnli<strong>ch</strong>e Anfor<strong>der</strong>ungen an den idealen Diskurs ausdrücken, sowie<br />
den Gewißheitsansprü<strong>ch</strong>en (Wissen um die Bedeutung eines Behauptens, Bestreitens, Fragens;<br />
Bewußtsein des Wahrheitsanspru<strong>ch</strong>s) siehe K.-O. Apel, Die Vernunftfunktion <strong>der</strong> kommunikativen<br />
Rationalität (1996), S. 22 f., 24 m.w.N. Zum Regelkatalog Alexys sind bisher, soweit ersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>,<br />
keine konkreten Alternativen formuliert worden, obwohl diese Regeln selbst teils Kritik erfahren<br />
haben, etwa bei E. Hilgendorf, Argumentation in <strong>der</strong> Jurisprudenz (1991), S. 186 ff., 203 ff.<br />
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